Jakob Wolff - Die Teufelshand

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Jakob Wolff - Die Teufelshand
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Wie alles begann …

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Epilog

Danksagung

Hexenmeister

Jakob Wolff

-1799-

Die Teufelshand

Verena Jung

Hexenmeister Jakob Wolff

Die Teufelshand

Verena Jung

ISBN 978-3-945230-55-8

Cover: Marc Hamacher

Satz und Layout: Tanja Hamacher

Lektorat: Tanja & Marc Hamacher

© 2020, Leseratten Verlag, Allmersbach im Tal


www. leserattenverlag.de


Der Leseratten Verlag ist Fördermitglied beim PAN – Phantastik-Autoren-Netzwerk e.V. Weitere Infos unter: https://www.phantastik-autoren.net

Für Mama – egal, wohin der Tod uns führt,

ich bin mir sicher, dass es dort Bücher gibt.


Für meine Schwester – erste Leserin meiner Geschichten und Motivatorin,

als ich von meinem Handwerk noch keine Ahnung hatte.

Wie alles begann …

Jakob Wolff (*1466), Sohn von Hexenmeister Markus Wolff, wächst in Speyer auf und hofft, die Apotheke seines Vaters eines Tages zu übernehmen. Genau wie bei seinem Vater ist es sein magisches Erbe als Hexer, den Zustand eines Menschen (körperlich & geistig) durch Berührung zu fühlen. Als sein Vater 1486 von den Mitgliedern seines Hexenzirkels ermordet wird, betrügen sie Jakob auch um sein Erbe. Mit nur wenig Hab und Gut verlässt er Speyer. Darunter ein handschriftliches Exemplar des Hexenhammers von Heinrich Kramer, welcher die Hexenverfolgung legitimiert. Man soll seine Feinde so gut kennen, wie sich selbst, um sich bestmöglich gegen sie verteidigen zu können, so der Leitspruch von Jakobs Vater. Darum versteckte Markus all sein Wissen auf den leeren Rückseiten des präparierten Papiers, sodass dieses nur von Hexen und Hexern gelesen werden konnten.

Während seiner Wanderschaft kommt Jakob nach Harzenberg. Dort hält der Dorfverwalter ein Mädchen im Keller gefangen, das eine Hexe sein soll: Lieselotte Wagner. Tatsächlich entpuppt sich die junge Frau als eine seiner Art und Jakob schmiedet einen Plan, um sie von dem Vorwurf zu entlasten. Nachdem ihm das gelungen ist, ziehen beide weiter und lassen sich in Greiz nieder. Dort leben sie als angebliche Geschwister und sie steigen in der Gesellschaft auf. Um seine aufkommenden Gefühle für Lilo zu unterdrücken, stürzt Jakob sich in eine Ehe mit einer gönnerhaften Witwe. Ihrem Sohn Karl missfällt das, vermutet er in Jakob doch einen Erbschleicher. Darum beginnt er, Lilos Ruf zu schädigen. Jakob versucht, die Situation zu retten, und es kommt ungeplant zu einer Liebesnacht zwischen Jakob und Lilo. Dabei werden sie entdeckt und Jakob verhaftet. Nach Verhör und Folter wird Jakob wegen Ehebruch und Hexerei angeklagt und zum Tode verurteilt.

Lilo sucht in ihrer Verzweiflung nach einem Zauberspruch, mit dem sie Jakob retten kann. Sie mischt einen Trank und verflucht damit Karl, damit dieser an Jakobs statt bei der Hinrichtung stirbt. Danach fliehen Lilo und Jakob in den Norden und beginnen ein neues Leben.

Knapp ein Jahr später tauchen plötzlich Jakobs Wunden von der Folterung wieder auf. Jakob erfährt nun von Lilo, dass ihr bei der Ausführung des Zaubers einige Fehler unterlaufen sind. Diese zwingen Jakob dazu, dem Teufel jedes Jahr ein neues Opfer zu bringen, um weiterleben zu können. Seitdem suchen er und Lilo eine Möglichkeit den Fluch zu brechen … oder aber nach einem Opfer.

Kapitel 1

Jakob atmete tief ein. Der Geruch nach Verbranntem stach ihm in die Nase, ehe er den Atem anhielt und die scharfe Klinge über den Daumen seiner linken Hand zog. Der Schnitt brannte augenblicklich und er stieß die angehaltene Luft aus, um den Aufschrei zu unterdrücken. Trotzdem entwich ihm ein Stöhnen.

Ich hätte etwas Mohnsaft nehmen sollen, um das Schlimmste zu lindern.

Nun war es zu spät. Stattdessen beobachtete er, wie sein Blut in die Schale mit der Gänsedaune tropfte. Das Weiß sog das Rot auf, bis nichts mehr von der ursprünglichen Farbe zu sehen war.

Jakob gönnte sich einen Moment, um seinen Finger zu verbinden und damit zu verhindern, dass Schmutz in die Wunde gelangte. Er wusste zu gut, dass schon eine leichte Verletzung unbehandelt zum Verlust ganzer Gliedmaße oder sogar zum Tod führen konnte.

Anschließend griff er nach dem Lederbeutel und schüttete die erkaltete Asche des Gänseherzens hinein. Darauf folgte die blutbesudelte Gänsedaune. Er hauchte auf dieses Gemisch und verschloss den Beutel.

»Ein Herz für ein Opfer, Blut für Verbundenheit mit ihm und eine Feder, die mich durch meinen Atem zu ihm führt – demjenigen, der den Tod verdient und für mich sterben soll, auf dass ich lebe.«

Nichts geschah, aber das hatte er auch nicht erwartet. Er hängte sich den Lederbeutel um den Hals und versteckte ihn unter seinem Hemd.

Hoffentlich funktioniert der Zauber. Wenn ich schon töten muss, dann wenigstens Mörder und Verbrecher, die den Tod verdienen.

Er verließ den Raum, der ihm hier in Lyon als Wohnung diente, stieg die schmale Treppe hinab und trat auf die Straße. Augenblicklich umfing ihn das Getümmel aus dem Knarzen vorbeifahrender Kutschen, dem Klappern der Pferdehufe, dem gepflegten Geplauder der Damen und dem Lärm, den die Gassenjungen und die arbeitende Klasse im Vorbeigehen von sich gab. Jakob wünschte sich in sein Zimmer zurück, das – von der Straße abgewandt – Ruhe versprach. Doch er bezweifelte, dass ihm dort sein Vorhaben gelang.

Aufmerksam sah er sich um. Nichts.

Er zog die Brauen zusammen und überlegte. Vielleicht benötigte er mehr Freiraum? Er lief die Straße entlang. In der Nähe lag ein Platz, den die Bauern und Händler zum Verkaufen ihrer Waren nutzten. Dort stellte er sich mitten auf die ebene Fläche und drehte sich langsam um die eigene Achse. Häuser säumten das Gelände und beschränkten seinen Blick in die Ferne. Trotzdem hoffte er auf irgendein Zeichen, damit er wusste, dass der Zauber funktionierte und wo er sein Opfer suchen musste.

Immer noch nichts.

Jakob schluckte. Ihm blieben zwölf Tage, um das Ritual zu vollziehen. Sonst würde er seine Seele an den Teufel verlieren. Er unterdrückte den Impuls, das Kreuz zu schlagen. Gott möge das verhindern!

Er zog die Brauen missmutig zusammen. Ist mir bei der Zusammenstellung des Zaubers ein Fehler unterlaufen? Ausgeschlossen. Es liegt an der Ausführung. Ich muss mich mehr konzentrieren.

Er schloss die Augen. Seine Muskulatur im Kiefer und an der Stirn spannte, während er verkrampft nach einer Lösung für sein Problem suchte. Flüchtig kam ihm in den Sinn, dass er in einer Menschenmenge stand. Mit Sicherheit wunderten sich manche über seinen grimmigen Gesichtsausdruck. Er schob den Gedanken von sich. Hier ging es um Wichtigeres. Die paar erstaunten Mitbürger brauchten ihn nicht zu kümmern.

Da fiel ihm ein merkwürdiges Gefühl in der Herzgegend auf, so als hätte jemand einen Bindfaden um sein Brustbein gebunden und würde sanft daran ziehen. Es zupfte ihn nach rechts. Er drehte sich in die Richtung und öffnete die Augen.

 

Süden. Der Zauber funktioniert und führt mich in den Süden!

Euphorie breitete sich in ihm aus. Jakob unterdrückte einen freudigen Ausruf, doch dem Lächeln auf seinen Lippen hatte er nichts entgegenzusetzen. Wenn der Findungszauber zuverlässig arbeitete, würde er seine Opfer schneller finden. Ihm bliebe mehr Zeit, sich um einen Gegenfluch zu kümmern, der ihn und Lilo aus ihrer misslichen Lage befreite.

Eilig wandte er sich um. Er musste in sein Zimmer und packen, denn er wusste nicht, wie weit weg ihn seine Reise führte. Er zwängte sich zwischen den Passanten hindurch und wich Pferden aus. Es war zu wichtig, rasch zu handeln.

Schwer atmend polterte er die Stiege hinauf in sein Zimmer. Er ließ sich keine Zeit, zu Atem zu kommen, sondern zog den Tornister unter seinem Bett hervor. Er warf ihn auf die durchgelegene Matratze und bückte sich erneut, um die lose Diele anzuheben, die seinen wichtigsten und kostbarsten Besitz versteckte. Die Abschrift des Hexenhammers, die er von seinem Vater geerbt hatte. Vorsichtig hob er das alte Buch heraus und steckte es in den Tornister. Anschließend folgte eine Montur Kleidung zum Wechseln, Pflegeutensilien und die nötigsten, selbst hergestellten Tränke und Salben.

Jakob sah sich in dem Zimmer um. Das Meiste in diesem Raum stellte ihm die alte Dame zur Verfügung, die dieses bescheidene Zuhause vermietete.

Es ist schon traurig, wenn das eigene Leben in einen Tornister passt.

Seufzend schulterte er sein Gepäck und stieg hinunter, um seiner Vermieterin die restliche Miete zu zahlen. Er glaubte nicht daran, zurückzukehren. Es war wahrscheinlicher, dass der Findungszauber ihn zukünftig durch die gesamte Welt führte, was ihm ein abenteuerlustiges Prickeln im Nacken bescherte. Dort draußen gab es so viel zu sehen und zu lernen, zahlreiche Menschen, die sein Leben bereichern konnten. Aber zuvor musste er sich verabschieden.

Er atmete tief ein und streckte den Rücken, ehe er an Madeleines Tür klopfte. Das wird nicht leicht für mich.

Die alte Dame mit den gewitzten blauen Augen öffnete. »Ah, mein lieber Loup, was kann ich für dich tun? Ist es wieder Zeit für die Miete?«

Jakob räusperte sich. »Nun ja, ich muss dir leider mitteilen, dass mich dringende Geschäfte dazu zwingen, für eine Weile zu verreisen. Ich weiß nicht, wann ich wiederkomme, und möchte dich daher mit dem Wissen verlassen, dir nichts schuldig zu sein.«

Madeleines Miene nahm einen bekümmerten Ausdruck an. »Wie schade. Du bist ein angenehmer Mieter, immer höflich und darauf bedacht, niemanden zu stören. Ich konnte mich bei dir stets auf die pünktliche Zahlung verlassen. Solche Menschen suchen selten bei mir Quartier. Soll ich dir das Zimmer reservieren?«

Genau damit hatte Jakob gerechnet. Die alte Dame mochte und schätzte ihn und ließ ihn ungern ziehen. Trotzdem musste er standhaft bleiben, um keine falschen Hoffnungen in ihr zu wecken.

»Madeleine, das darf ich nicht von dir verlangen. Wenn ich wieder in Lyon bin, werde ich dich besuchen. Sollte dann zufällig ein Zimmer frei sein, beziehe ich es gerne. Bis dahin möchte ich nicht, dass du auf mich wartest und deshalb ein geringeres Einkommen in Kauf nimmst. Ich weiß, wie sehr du darauf angewiesen bist, seit dein geliebter Gatte verstorben ist.«

Die Erwähnung Monsieur Bernards war ein fieser Trick und Jakob hasste sich dafür, doch er wollte sich nicht länger aufhalten lassen. Es funktionierte wie erwartet. Seine Vermieterin zückte ein Taschentuch aus ihrer Rocktasche und tupfte sich die Augenwinkel.

»Mein armer Sebastian. Gott habe ihn selig. Er hätte dich gemocht und dich vermutlich begleitet. Er war oft und gerne auf Reisen.«

»Er hätte dich nicht so häufig alleinlassen sollen. Aber du weißt ja, wie es mit uns ruhelosen Geistern ist. Man muss sie ziehen lassen. Dann erinnern sie sich an ihre Lieben zuhause und kehren wieder zurück.«

Madeleine lächelte unter Tränen. »Da sagst du wahre Worte. Ich werde mich darauf freuen, dich wiederzusehen.«

Jakob zählte die Miete für die aktuelle Woche ab und hielt ihr die Münzen hin, doch sie hob abwehrend die Hände.

»Behalte es. Du bist jung und hast es viel nötiger als ich. Vielleicht findest du auf deiner Reise ja eine entzückende Braut, bringst sie mit und heiratest sie hier. Dann wirst du es brauchen.«

»Aber Madeleine …«

»Nichts da!«, unterbrach sie ihn. »Es ist erst Dienstag. Da kann ich dir nicht die Miete für eine komplette Woche abknöpfen.«

»Dann wenigstens für die beiden Tage«, versuchte Jakob es. Ihm war nicht wohl dabei, sich von seiner Vermieterin aushalten zu lassen. Jedoch unterschätzte er ihre Sturheit.

Sie legte den Kopf in den Nacken, um ihm besser ins Gesicht zu sehen, und kniff die Augen zusammen. Mit erhobenem Zeigefinger kam sie einen Schritt auf ihn zu und sagte: »Junger Mann, du wirst gefälligst den Wunsch einer Dame respektieren.«

Über dreihundert Jahre Lebenserfahrung erwiesen sich als nutzlos. Gegen eine resolute Frau wie Madeleine konnte er nichts ausrichten. Zugleich fand er sie gerade deshalb so sympathisch.

Er nickte und steckte das Geld ein. »Also gut«, antwortete er und lächelte. »Ich werde mich gerne an dich erinnern, Madeleine.«

»Oh, das werde ich auch, mein lieber Loup. Pass gut auf dich auf.«

Jakob schlüpfte hinaus. Er hasste Abschiede. Von ihnen gab es zu viele in seinem langen Leben, obwohl er mittlerweile darauf zu achten versuchte, sie auf ein Mindestmaß zu beschränken. Aber für jemanden, der prinzipiell ewig leben konnte, ließen sie sich einfach nicht vermeiden.

Er lenkte seine Schritte in südliche Richtung. Langsam lichtete sich der Betrieb auf den Gassen. Die Häuser standen nicht mehr dicht an dicht und der Staub in der Luft, aufgewirbelt durch unzählige Füße, Hufe und Wagenräder, senkte sich auf den Boden.

Als Jakob Lyon zurückließ, beschäftigte eine Frage sein Denken. Wohin brachte ihn der Findungszauber? Er wühlte in seinem Gedächtnis nach den Städten im Süden, von denen er bereits gehört hatte. Marseille fiel ihm zuerst ein. Es war für seine Felder voller Blumen und Kräuter unter den Apothekern bekannt. Ob er so weit reisen würde?

Zu schade, dass der Zauber so ungenau mit seinen Angaben ist. Es wäre deutlich leichter, erschienen mir einfach der Name meines Opfers und der Ort, wo es sich aufhält, vor Augen. So werde ich an jeder Abzweigung nachspüren müssen, ob sich mein Weg nicht geändert hat.

Obwohl dies eine Unbequemlichkeit darstellte, die zudem Zeit kosten konnte, fand er diesen Ablauf auch spannend. Nicht zu wissen, wohin es ging, und sich darauf einzulassen, glich einem Abenteuer. Doch zunächst zupfte das unsichtbare Band des Zaubers ihn weiterhin nach Süden und er folgte ihm.

Der Nachmittag brach an. Jakob war gut vorangekommen, was er dem Umstand zuschrieb, dass er sich in Gedanken von seinem Weg abgelenkt hatte. Mittlerweile fiel es ihm mit jedem weiteren Schritt schwerer, sich auf seine Theorien zu konzentrieren. Seine Füße erinnerten ihn an glühende Kohlen, kribbelten, wenn sie von seinem Körpergewicht entlastet wurden, und schmerzten, sobald er sie wieder belastete. Es war ein untrügliches Zeichen für ihn, dass er zu lange in seinem gemütlichen Zimmer bei Madeleine gewohnt hatte, und er sehnte sich nach einer Pause. Außerdem knurrte ihm der Magen, da er seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte.

Als er einen Bauern mit seinem Handkarren einholte, nutzte er seine Chance. »Liegt in der Nähe eine Herberge?«

Der Mann wandte ihm misstrauisch das Gesicht zu und Jakob sah die gebräunte Haut eines Menschen, der viel im Freien arbeitete. Nach einem Moment des gegenseitigen Musterns blieb der Bauer schnaufend stehen und stellte seinen Karren ab. Er hob den Zeigefinger und deutete voraus.

»Die Straße entlang kommst du nach Vienne. Da wird sich schon was finden«, erklärte er kurz angebunden, wobei er die Endungen der Worte so stark verschluckte, dass Jakob ihn nur mit viel Fantasie zu verstehen vermochte.

Auf einen mürrischen Weggefährten wie diesen verspürte Jakob keine Lust. »Danke«, meinte er und beeilte sich, den Mann zurückzulassen.

Weit kann es nicht sein, dachte er. Ich werde meine Augen offenhalten.

Seine optimistische Stimmung trübte sich mit jedem Augenblick, als die Sonne sich anschickte, unterzugehen. Der Bauer hatte ihm nicht den Eindruck vermittelt, dass es sich bis Vienne dermaßen zog. Sollte er diese Nacht unter freiem Himmel nächtigen? Es wäre nicht das erste Mal, doch er verspürte keine Lust, auf dem harten Boden zu schlafen.

Er biss auf die Zähne und ignorierte den schmerzhaften Protest seiner Füße. Irgendwann musste er einen Ort finden, an dem er übernachten konnte. In Gedanken versprach er sich selbst eine kühlende Salbe für seine malträtierten Fußsohlen. Zum Glück lag der Tiegel in seinem Tornister!

Schließlich wurde seine Geduld belohnt. In der Ferne entdeckte er Fackelschein, der sich aus der Nähe betrachtet als Beleuchtung für den Hof einer Herberge herausstellte. Jakob seufzte erleichtert auf. Er freute sich auf eine herzhafte Mahlzeit, Linderung für seine Füße und vor allem ein Bett.

Kapitel 2

Am nächsten Morgen saß er ausgeruht und mit eingecremten Fußsohlen beim Frühstück. Er hatte länger als üblich geschlafen und war einer der letzten Gäste. Das Schaben der Löffel in den Näpfen mit einem nicht zu bestimmenden, faden Getreidebrei durchdrang die Stille. Dadurch lenkte sich Jakobs Aufmerksamkeit auf zwei Stimmen. Es schien sich um das Ehepaar zu handeln, das die Herberge führte und das im angrenzenden Raum diskutierte.

»Ich fasse es nicht! Wie konntest du nur?«, hörte Jakob den Vorwurf einer Frau hinter dem Vorhang, der den Gastraum vom Hinterzimmer trennte.

»Sollte ich sie abweisen?«, kam es von dem Mann zurück und seine Stimme wirkte unterwürfig und verzweifelt.

»Du weißt, dass ich solches Pack nicht dulde!«

»Es waren Soldaten Napoleons. Ich hätte sie beleidigt, wenn ich sie wegen ihres Gefangenen weggeschickt hätte.«

»Das ist mir gleich. Ich will keine Kriminellen hier haben. Die sollen ihre Verbrecher woanders unterbringen. Hättest sie ja zur nächsten Herberge schicken können!«

»Aber Sophie, sie waren müde und hungrig.«

»Das ist nicht unser Problem. Soll Napoleon doch ein Gefängnis in der Nähe Lyons bauen. Dann schleppen mir seine Soldaten dieses Lumpenpack nicht mehr in die Stube.«

Jakob horchte auf. In der Nähe liegt ein Gefängnis? Ist es möglich, dass der Findungszauber mich dorthin führt? Garantiert gibt es dort genug Menschen, die den Tod verdienen.

Die Stimmen entfernten sich, sodass Jakob nichts Weiteres erfuhr. Nachdenklich löffelte er den Rest des Breis aus.

Wenn der Zauber auf einen Häftling hinweist, muss ich einen Weg in das Gefängnis finden. Ich eigne mich nicht zum Wärter. Das sieht man von weitem. Ob ich dort als Arzt eine Anstellung bekomme?

Als er beim Herbergsvater Unterkunft und Verpflegung bezahlte, nutzte er die Gelegenheit, beiläufig nachzufragen. »Ich hörte, dass es in dieser Gegend ein Gefängnis gibt.« Sein Gegenüber begann zu husten, als habe er sich verschluckt. Jakob empfand kein Mitleid. Er bohrte weiter und übertrieb dabei maßlos. »Wo befindet es sich? Ich möchte auf meiner Reise lieber einen Bogen um diesen Ort machen. Nicht auszudenken, was passieren könnte, sollte dort jemand fliehen.«

Mit hochrotem Kopf räusperte sich der Mann ein letztes Mal und nickte. »Du musst dich nicht sorgen. Das Gefängnis liegt hinter Valence, über zwei Tagesmärsche von hier entfernt. Da läufst du keinem so schnell in die Arme.«

In Jakob breitete sich ein Hochgefühl aus. Den Wegweisern nach zu urteilen, die er am vergangenen Tag immer wieder studiert hatte, lag Valence in südlicher Richtung. Das musste es also sein. Er hatte das Rätsel um sein Ziel gelüftet. Der Rest würde sich ergeben.

Er nahm das Wechselgeld entgegen, dankte und wünschte dem Herbergsvater einen schönen Tag. Für ihn gestaltete sich bereits dieser Morgen als wunderbar, obwohl er nun wusste, dass seine Reise noch mindestens zwei Tage dauerte.

Tatsächlich zeigte sich Gott barmherzig mit Jakob und schickte ihm ein Fuhrwerk, das einem Händler gehörte, der Waren in Valence verkaufen wollte. Er ließ Jakob mitfahren und stellte sich als Pierre vor.

»Wohin soll es denn gehen?«, fragte er.

 

»Ebenfalls nach Valence.«

»Geschäfte?«

»Nicht direkt. Ich hoffe, dort oder in der umliegenden Gegend einen Bekannten zu finden. Ich benötige seine Hilfe«, erklärte Jakob.

Pierre nickte verstehend. »Ein großer Bekanntenkreis ist viel wert«, meinte dieser tiefsinnig und Jakob stimmte ihm zu. »Was soll er denn für dich tun, Loup?«

»Ach«, antwortete Jakob und schüttelte bedauernd den Kopf. »Er soll für mich Fürsprechen. Ich bin Arzt.« Er überließ es Pierre, sich darauf einen Reim zu machen.

»Ein guter Arzt findet überall Arbeit. Sorge dich nicht.«

»Da sagst du was. Es wird langsam dringlich bei mir.«

Jakob verkniff sich mühsam ein Grinsen. Die Menschen verstanden zu gerne, was sie hören wollten. Das nutzte er mittlerweile häufig aus, um sich nicht in seinen eigenen Lügengebilden zu verstricken. Allerdings schätzte er Pierre als einen gutmütigen Mann ein. Wie hätte dieser auch sonst reagieren sollen?

Er wandte den Kopf nach hinten und betrachtete die Waren. »Das ist ein bunter Haufen«, stellte er fest und wechselte das Thema.

»Die Leute brauchen alles, vom Topf über wohlriechende Salben bis hin zum groben Sackleinen. Ich bringe ihnen, wofür sie bezahlen. Bisher bin ich nie auf etwas sitzengeblieben. Manchmal dauert es länger, aber es hat sich immer gelohnt.«

»Gute Kaufleute lassen Angestellte für sich arbeiten, damit sich ihr Geld mehrt.«

»Vorsicht, mein Freund. Das war ein gemeiner Seitenhieb.« Pierre lachte. »Eines Tages werde ich zu diesen Herrschaften gehören, deren einziges Kopfzerbrechen darin gründet, welche Weste sie heute tragen wollen.«

Jakob stimmte in das Lachen mit ein. »Du scheinst eine Nase für gute Geschäfte zu besitzen. Es würde mich nicht wundern, wenn es so kommt.«

Mit Pierre flogen die Stunden mit Neckereien und Erzählungen dahin, bis sie am Abend an der nächsten Herberge hielten.

Gemeinsam nahmen sie ihr Abendessen ein. Der kräftige Eintopf aus weißen Bohnen, Speck und Würstchen wärmte ihre Bäuche und Pierre versprach, Jakob bis Valence mitzunehmen, sollte er rechtzeitig bereit zum Aufbruch sein.

Das ließ sich Jakob nicht zweimal anbieten. In Gedenken an seine geschundenen Füße, die sich erst erholt hatten, fand er sich in der Gaststube ein, bevor die Sonne vollständig am Horizont zu sehen war.

Die Herbergsmutter bemerkte ihn und warf ihm einen verwunderten Blick zu. »Soll ich das Frühstück bereiten?«

Jakob nickte ihr dankend zu. Ihm stand erneut ein langer Reisetag bevor und er wollte ihn nicht mit leerem Magen beginnen.

Während er wartete, konzentrierte er sich auf den Findungszauber. Der sanfte Zug an seinem Brustbein drängte ihn weiterhin Richtung Süden. Zufrieden lächelte Jakob in sich hinein. So einfach sollte es immer sein. Wenn alles kam, wie er es sich vorstellte, würde es in Zukunft so bleiben. Er zweifelte nicht daran.

»Ah, Loup, du bist bereits auf den Beinen! Iss in Ruhe fertig. Ich möchte auch erst frühstücken, bevor wir weiterfahren. Wir haben noch eine knappe Tagesreise vor uns.« Pierre setzte sich zu ihm an den Tisch und winkte der Herbergsmutter zu, damit sie ihm eine Mahlzeit richtete.

Jakob nickte zustimmend und kaute zu Ende. Bald bin ich am Ziel.

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