Die Liebe stirbt im Weinberg

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

***

Nach einem langen arbeitsreichen Wochenende, das an diesem Sonntag mit einer schnellen Banane endete, legte sich Emma auf die Couch. Sie war im Krankenhaus gewesen, aber als sie die Leiche erwähnte, zitterte der Winzer nur und bekam kein Wort heraus. Die Krankenschwester hatte sie in Richtung Tür geschoben.

„Sie sehen doch, dass er noch unter Schock steht. Kommen Sie morgen wieder oder rufen Sie an. Und jetzt raus hier. Der Patient braucht Ruhe.“

Unzufrieden ging Emma am Montagmorgen zu ihrem Auto und fuhr ins Präsidium. Dort saß ein duftender, frisch geduschter und frisierter Paul Schegerts am Schreibtisch und trank einen Kaffee. Als Emma sich ihm gegenüber an ihren Platz setzte, stand er auf und holte ihr auch eine Tasse Kaffee. Im Laufen goss er einen großen Schluck Milch in die braune Brühe.

„Danke. Der Typ im Krankenhaus ist noch nicht wieder beisammen. Schock, sagt die Schwester. Was hast du gemacht außer Schönheitsreparaturen?“

„Ist das ein Kompliment? Das wäre ja mal etwas ganz Neues aus deinem Mund. Ich habe in der Gerichtsmedizin angerufen. Sie waren nicht erfreut, aber den ersten Infos zufolge ist er an der durchtrennten Kehle gestorben. Er hatte Lippenstift im Gesicht. Was für ein Glückspilz. Wahrscheinlich war er vorher schön ficken und wollte sich auf dem Heimweg die Beine vertreten.“

Emma hasste Paul für seine derbe Ausdrucksweise. Aber sie ahnte, dass er damit etwas vertuschen wollte. Vielleicht war er aber auch einfach nur ein Arsch.

„Mehr nicht?“, fragte sie gelangweilt. „Linkshänder? Rechtshänder? Todeszeitpunkt? Weiß man, wer der Typ war?“

„Ja, in seiner aufgeweichten Hosentasche war seine Brieftasche mit Ausweis. Er hieß Thomas Bückau und war gerade mal so alt wie ich, als er das Zeitliche gesegnet hat. Aus Eltville. Bachstraße. Er hat dort die letzten Tage allein gelebt. Eigentlich war das eine Wohngemeinschaft, aber der andere Typ ist zum Arbeiten in die Schweiz abgereist. Das ist auch sicher. Er hat dort vor einigen Tagen in ein Hotel eingecheckt und geht regelmäßig zur Arbeit. Der kann es also nicht gewesen sein. Warum auch. Weil der Mitbewohner den Putzplan nicht eingehalten hat?“

Emma rollte mit den Augen. Sie antwortete nicht auf die dummen Sprüche ihres Kollegen. Stattdessen loggte sie sich in den Computer ein und suchte die Wegbeschreibung in die Bachstraße. Dann stand sie auf, nahm ihre Jacke vom Haken und sah Paul an.

„Komm, wir befragen die Nachbarn!“, forderte sie ihn auf.

Emma drehte sich um und verließ das Büro. Paul wusch noch die Tassen ab und folgte ihr dann eilig zum Parkplatz, wo sie sich an die Beifahrertür seines Autos gelehnt hatte.

Als er den Motor startete, sagte sie streng: „Und bitte lass mich reden. Du bist heute wieder sowas von pietätlos. Ich will mich nicht blamieren.“

Paul grinste und gab Gas.

***

Natalie stand vor dem Regal mit dem Müsli und suchte nach ihrer Sorte. Das mit Schokoflocken aß sie gerne. Hoch oben im Regal entdeckte sie die letzte Schachtel. Sie stand ganz hinten an der Rückwand und Natalie sah sich nach einem von den Hockern um, die manchmal im Supermarkt herum­standen.

„Kann ich helfen?“, fragte eine sanfte, tiefe Stimme.

Natalie drehte sich um und schaute in zwei schwarze Augen. Die schwarzen Haare und der Bart rahmten ein schönes, gebräuntes Gesicht ein.

„Müsli. Mit Schokoflocken. Da oben!“

Natalie zeigte hilflos mit dem Zeigerfinger nach oben. Der schlanke Südländer reckte sich, griff nach der Packung und stellte sie lächelnd in Natalies Einkaufswagen. Sie warf einen Blick auf seine Einkäufe. Zeig mir, was du isst und ich sag dir, wer du bist. Das hatte ihre Oma immer gesagt.

Im Einkaufswagen des Mannes befanden sich Milch, Tomaten, eine Gurke, Vollkornbrot in Scheiben und zwei kleine Tafeln dunkle Schokolade.

Er war ihrem Blick gefolgt.

„Schokolade. Ohne die kann ich nicht leben.“

Natalie nickte.

„Das kenne ich. Ein Tag ohne Schokolade ist wie ein Lied ohne Melodie. Ich bin Natalie.“

Sie streckte ihm ihre Hand entgegen. Er griff danach. Die wunderbaren dunklen Augen zeigten unverhohlen seine Bewunderung für die schöne blonde Frau.

„Ich bin Cem. Es freut mich, mal einen interessanten Menschen im Supermarkt kennenzulernen. Wollen wir nach unserem Einkauf eine heiße Schoko-lade trinken?“

„Gern“, erwiderte Natalie.

Cem gefiel ihr wirklich sehr. Er sah gut aus, konnte sich benehmen und er schien ein kluger Mensch zu sein. Vielleicht war er der Mann, der richtige Mann?

Sie schritten weiter zusammen durch die Reihen, obwohl sie damit den Zorn der eiligen Mütter auf sich zogen, die hinter ihnen drängelten, während deren Kinder im Einkaufswagen nach allem Möglichen verlangten. Natalie kaufte noch Milch und zwei Brötchen. Danach rollten sie zur Kasse.

„Ich verstaue meinen Einkauf im Auto und dann treffen wir uns hier im Café?“

Cem nickte. Er hatte sein Auto hinter dem Supermarkt geparkt, weil an diesem Freitag die Hölle los war. Im Kofferraum stand ein Korb, in dem er seine Lebensmittel ordentlich ablegte. Danach lief er zurück zum Haupteingang und suchte das übervolle Café im Eingangsbereich nach Natalie ab. Sie war noch nicht wieder drin, also steuerte er auf den einzigen freien Tisch zu und setzte sich mit dem Blick zur Tür.

Natalie kam eine Minute später an. Cem war der Gedanke gekommen, dass sie ihn vielleicht nur vertröstet hatte und dann abgehauen war. Nun rückte er ihr höflich den Stuhl zurück und sah sie sieges-sicher an. Diese Frau war ein Glücksgriff. Dagegen waren die Zicken im Studio hässliche Enten. Ihre Schönheit war unbeschreiblich, fand er und winkte nach der Bedienung.

„Zwei Tassen heiße Schokolade bitte.“

Die mürrische junge Frau nickte wortlos und trottete mit hängenden Schultern davon, um ihnen nach zehn Minuten zwei große blaue Tassen zu bringen, die eine dampfende, braune Flüssigkeit enthielten. Sie schmeckte wässrig, aber Cem war das egal. Er hatte hier seine Traumfrau getroffen. Er bemühte sich um interessante Konversation, was gar nicht so einfach war, denn Natalie redete nicht viel.

„Was machst du beruflich? Ich bin Personal-Trainer in einem Fitnessstudio in Wiesbaden. Wenn du magst, kannst du mal zum Trainieren kommen.“

„Ich bin Krankenschwester. Das mit dem Training überlege ich mir.“

„Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, aber ich denke, dass ich dich hier getroffen habe, war ein Wink des Schicksals. Nie wieder werde ich eine andere Frau ansehen. Würdest du dich mit mir verabreden?“

Natalie überlegte. Thomas war erst zwei Wochen her, aber der schöne Südländer gefiel ihr. Sie würde sich mit ihm treffen, mit ihm schlafen und schauen, wie ihre Gefühlslage war und wie sich der Mann in Sachen Treue verhielt.

„Gerne verabrede ich mich mit dir. Hast du eine Telefonnummer?“

Bereitwillig und überglücklich schrieb er ihr seine Handynummer auf einen alten Kassenbon. Dann verabschiedeten sie sich. Er hielt ihre Hand länger fest, als es nötig war. Sie stellte sich auf Zehenspitzen, um ihn auf die Wange zu küssen.

Am nächsten Wochenende waren sie im Kino verabredet. Natalie trug ein dunkelblaues Kleid, die Haare fielen ihr wieder offen über die Schultern. Sie war leicht geschminkt. Cem kam in einem lässigen dunklen Anzug mit einem schwarzen Shirt darunter. Er küsste ihre Hand.

„Du siehst umwerfend aus. Ich freue mich, dass du mit einem wie mir ausgehst.“

Natalie lächelte ihn an.

„Was heißt denn mit einem wie dir? Du bist ein attraktiver Mann. Und was gucken wir? Es laufen ein Horror-Thriller und eine Liebesschnulze.“

Sie entschieden sich für den Horror-Thriller, weil da nur zehn Leute standen. Er war spannend und blutig. So mochte es Natalie. Liebesschnulzen zeigten nur, wie es im Leben eigentlich nicht lief. Cem hielt ihre Hand ganz fest und als der Killer die kurvige, kopfüber an der Decke hängende Blondine abschlachtete, wanderte seine Hand zu ihrem Knie. Die Blondine schrie, obwohl ihr Kopf schon fast komplett vom Körper abgetrennt war. Nur noch einzelne Hautfetzen im Nacken waren die Verbindung.

Cem beugte sich zu Natalie herüber, fasste mit der linken Hand ihren Nacken, zog sie zu sich heran und küsste sie hinter das rechte Ohr, während Natalie weiter nach vorn zur Leinwand schaute. Die Blondine war inzwischen völlig ausgeblutet. Cems rechte Hand befand sich nun zwischen Natalies Beinen. Der Killer wischte seine blutigen Hände am weißen, engen Kleid der Blondine ab. Natalie fragte sich, warum die Figuren immer weiße Kleidung trugen, wenn Blut im Spiel war. Cems Finger wanderten unter ihren Slip. Natalies rechte Hand legte sich in Cems Schritt. Er war höchst erregt. Der Killer durchtrennte das Seil, an dem die blonde Frau gehangen hatte und sie fiel in die Blutlache. Natalie wandte nun Cem ihr Gesicht zu und sie knutschten hemmungslos.

Beim Abspann des Films, nachdem der Killer vor der herannahenden Polizei auf ein Hochhaus geflüchtet und gesprungen war, verließen sie das Kino. Sie liefen eilig zu Cems Wohnung, die ein paar Straßen weiter war. Dort begannen sie sich bereits hinter der Wohnungstür auszuziehen und liebten sich auf der breiten, schwarzen Ledercouch im Wohnzimmer. Danach blieben sie atemlos liegen.

Cem strich Natalie eine schweißnasse Haarsträhne aus dem Gesicht. Dann küsste er sie zärtlich. Natalie blieb über Nacht bei ihm.

***

„Der Thomas war ein so netter Mann“, schluchzte Gunhild Kröß, die Nachbarin.

 

Sie war fast neunzig Jahre alt und hatte neben Thomas Bückau gewohnt. Er hatte ihr oft geholfen, wenn etwas zu reparieren war oder wenn sie schwere Dinge tragen musste. Jeden Donnerstag hatte er ihr einen Kasten stilles Wasser mitgebracht. Dafür hatte sie ihm die Hemden gebügelt.

„Ach je, oh weh“, jammerte sie weiter. „Der war doch so ein guter Mensch. Wer tut denn so etwas? Wissen Sie schon, wer das gemacht hat?“

Emma tat die alte Dame leid. Sie erklärte ihr, dass sie zu den laufenden Ermittlungen nichts sagen durfte. Paul hatte sehr gern geschwiegen. Mit alten Leuten zu reden fand er immer anstrengend.

„Hatte Herr Bückau in letzter Zeit Besuch oder hat er sich anders verhalten als sonst?“

Gunhild Kröß überlegte. Sie wischte mit einem Taschentuch aus Stoff, das mit einer kornblumenblauen Spitze umhäkelt war, die Tränen ab und schüttelte ratlos den Kopf.

„Nein, nein. Es war alles so wie immer. Er hatte keine Freundin, sein Mitbewohner ist irgendwo im Ausland. Österreich oder Schweiz war das. Ach, ich bin alt und behalte nicht mehr alles. Die beiden haben sich das Häuschen geteilt. Zwei ordentliche junge Männer. Wer bringt mir denn jetzt Wasser mit? Oh, weh!“

Sonst bekamen sie nichts Interessantes zu hören. Die anderen Nachbarn waren entweder nicht da oder sie konnten nichts sagen.

Nur der alte Freddi von gegenüber sagte kurz angebunden: „Eine Blonde war mal da. Abends. Ist da rein.“

„Haben Sie mitbekommen, ob und wann sie wieder herauskam?“

„Ich bin doch kein Spion, der die Leute beobachtet. Keine Ahnung.“

„Wann war das?“

„Weiß nicht.“

Dann drehte er sich um und fegte weiter den Geh­weg. In jedem Dorf gibt es einen Freddi von gegen­über. Der hielt sich meist auf der Straße auf, fegte den Gehsteig, zupfte unsichtbares Unkraut und wusste immer alles. Er wusste alles, bis jemand von der Polizei fragte. Dann wurden die Freddis manchmal stumm, taub und blind.

Emma schüttelte den Kopf und zog Paul fort. Hinter dessen Stirn sah sie eine böse Bemerkung wachsen, die im nächsten Moment aus seinem Mund herauskommen würde. Das konnte sie heute auf keinen Fall gebrauchen.

„Lass uns mal sein Haus ansehen. Ich habe den Schlüssel.“

„Die Alte hat doch gesagt, dass er nichts Besonderes war. Was soll es da zu sehen geben?“

„Paul, was ist eigentlich los mit dir? Habe ich etwas verpasst?“

„Nein, alles gut. Sorry, wenn ich nerve. Es ist nichts. Ich habe Hunger. Gehen wir danach etwas essen?“

Emma steckte den Schlüssel ins Schloss und zog sich Gummihandschuhe an. Paul hatte keine mehr in der Tasche, also steckte er die Hände in die Jackentaschen.

Das Haus war sauber und ordentlich. Nichts deutete auf einen Besucher hin. Vielleicht war die blonde Frau eine Kollegin oder eine Bekannte. Was konnte ein Killer von so jemandem wie Thomas Bückau wollen?

Die Spurensicherung hatte nichts Verdächtiges gefunden. Er hatte kein Tagebuch geführt und auch sonst gab es nur Möbel und Kleidung, Geschirr und Hygieneartikel. Keine Pornos oder Drogen, kein verstecktes Vermögen, keine Waffen. Thomas Bückau war ein ganz normaler Typ gewesen. Warum war er tot? In der Brieftasche war noch alles Geld drin gewesen, somit konnten sie einen Raubmord ausschließen.

Das Zimmer seines Mitbewohners war bis auf die Möbel leer. Alles war mit Plastikfolien abgedeckt. Das hieß wohl, dass er längere Zeit nicht hier sein würde.

Paul unterbrach Emmas Besichtigung.

„Was, wenn der Typ, dieser Mitbewohner, gar nicht weg ist und es zu seinem Mordplan gehört, dass alle denken, er sei in der Schweiz?“

„Und warum sollte er seinen Kumpel umlegen?“

„Ja, keine Ahnung. Eifersucht? Habgier? Konkurrenz im Job?“

„Quatsch. Der Kumpel, wie heißt er doch gleich … Pit Rosenbach … arbeitet in der Werbebranche und Thomas Bückau war beim Finanzamt. Aber nur im Archiv. Frauen waren nicht im Spiel. Also keine Eifersucht. Und Geld hatten beide nicht so viel.“

„Dann wird der Tod des so netten Herrn ein ewiges Rätsel bleiben. Komm, ich brauche etwas zu essen. Sonst muss ich hier in den Kühlschrank schauen.“

Sie verließen das Haus und fuhren an den Rhein, um in einem Lokal direkt am Fluss zu Mittag zu essen. Emma bestellte Salat mit Putenstreifen, Paul ein Steak.

„Du mit deinem Grünfutter. Davon kann man doch nicht leben. Darf ich dir wenigstens noch ein Eis ausgeben?“

Emma lachte und nickte.

„Mach dir mal keine Sorgen um mich. Ich verhungere nicht. Ich nehme Vanille mit heißen Himbeeren. Und du?“

„Ich bin kein Süßer. Und Steak-Eis gibt es ja leider noch nicht.“

Sie alberten noch eine Weile herum. Dann stiegen sie ins Auto und planten die weiteren Schritte.

***

„Natalie, ich habe mich in dich verliebt. Du bist das Beste, was mir je passiert ist. Die Frauen aus dem Fitnessstudio bedeuten mir gar nicht. Die habe ich nur gefickt. Dich liebe ich.“

Natalie lag in Cems Armen auf der schwarzen Ledercouch. Hier in der Stadt konnte sie kommen und gehen, wie sie wollte, hier kannte sie niemand, keiner interessierte sich für sie. Dieser aufregende Mann hatte sich in sie verliebt. Ach ja, das sollte sie glauben? Sie horchte in sich hinein. Nichts. Stille. Leere. Solche Männer wie er sagten „Ich liebe dich“ genauso oft wie „Ich habe Hunger“.

Er küsste sie unterdessen und als sie aufstehen und gehen wollte, zog er sie noch einmal auf die Couch. Sie setzte sich auf ihn und genoss die starken Arme, die sie hielten, während er sich unter ihr bewegte. Danach sah sie ihm in seine dunklen Augen.

Sie flüsterte: „Ich will dich morgen Abend nicht hier treffen. Lass uns ein wenig rausfahren und in den Weinbergen unter den Sternen lieben.“

„Alles, was du willst, mein Engel.“

Cem war begeistert und erregt, dass Natalie so voller Fantasie war. Schon lange hatte er nicht mehr in der freien Natur mit einer Frau geschlafen. Er stellte es sich erregender vor als in seinem Bett. Diese Frau war eine Offenbarung. Natalie verabschiedete sich mit einem langen Kuss. Sie würde ihn um neun Uhr abholen.

Natalie war pünktlich. Cem stieg in ihr Auto. Auf dem Rücksitz lag eine Decke. Sie wusste anscheinend genau, wohin sie wollte, denn sie fuhr schnell. Als sie am Rhein angelangt waren, folgte sie der Straße Richtung Koblenz und bog in Richtung Hallgarten ab. Es war fast dunkel, als sie in den Weinbergen anhielt. Sie stieg aus und streckte sich.

Cem kam um das Auto herum und küsste sie. Dabei fuhren seine Hände unter ihren Rock. Sie hatte die Handtasche über die Schulter gelegt. Er wollte sie ihr abstreifen, aber sie schob ihn von sich. Dann öffnete sie die hintere Tür und gab ihm die Decke.

„Lass uns ein Stück laufen.“

Natalie griff seine Hand und zog ihn hinter sich her. Nach fünfzig Metern gingen sie zwischen den Reihen hindurch und in der Mitte breitete Cem die Decke aus.

„Was für eine schöne Idee, mein Engel. Zieh dich aus und lass dich anschauen.“

Er saß auf der Decke, seine rechte Hand hatte die Hose geöffnet und war darin verschwunden. Natalie stand vor ihm und zog sich langsam aus. Kleidungsstück für Kleidungsstück ließ sie fallen. Dann stand sie nackt und schön vor ihm.

„Du bist so wunderschön. Komm her. Ich will dich jetzt.“

Natalie setzte sich auf seine Schenkel und strich unter seinem Shirt über seine festen Bauchmuskeln. Er stöhnte und schloss die Augen. Neben Natalie lag ihre Handtasche. Sie zog Handschellen heraus und klapperte damit. Cem öffnete die Augen, nickte grinsend und streckte seine Hände aus. Sie legte ihm den kalten Stahl um die Handgelenke.

Cem streckte seine Arme nach oben, schloss die Augen wieder und wollte sich Natalie ganz und gar ergeben. Er bemerkte nicht, wie ihre Hand noch einmal in die Tasche griff. Die spitze, lange Klinge des Messers glänzte im romantischen Mondlicht. Sie hielt das Messer mit beiden Händen über ihren Kopf und rammte es mit ganzer Kraft in seinen Körper. Nun bewegte sie den spitzen Stahl mit kreisenden Bewegungen, als würde sie Tomatensuppe umrühren. Als sie die Klinge herauszog, sprudelte Blut hervor. Sehr viel Blut. Überrascht schaute Cem sie an. Sein Mund wollte schreien, da fuhr die Klinge erneut nieder. Sie traf seinen Hals genau in der Mitte. Sein Schrei erstarb, ehe sie ihn hören konnte. Dann sackte sein Körper in sich zusammen.

Natalie legte das Messer auf die Decke. Sie zog sich ruhig an, schloss seine Hose wieder, fuhr mit der Hand über das Shirt, als wollte sie es glätten, lächelte dabei versonnen.

„Es tut mir leid, ich kann dich nicht lieben. Du bist nicht der Richtige für mich.“

Natalie stand auf, griff nach den Enden der Decke und ließ ihn herunter rollen. Er landete auf dem Bauch. Das blutige Messer wickelte sie in die Decke ein, die Handschellen nahm sie von seinen Handgelenken. Sie behielt sie in der Hand und warf sie im Auto neben die Decke in den Kofferraum.

Natalie fuhr heim und ging schlafen.

***

Nach drei Wochen mühevoller Ermittlungsarbeit gab es noch keine Ergebnisse im Fall Thomas Bückau. Wiesbaden machte Druck. Ihr Chef Norman Eisenmacher hatte sie herumgescheucht. Aber ohne Erfolg. Emma saß an diesem wolkenverhangenen Samstag am Schreibtisch gegenüber von Paul, der seinen Kopf auf die Hände gestützt hatte und ihr beim Denken zusah. Emma grollte vor sich hin.

„Es ist wie immer. Niemand hat etwas Besonderes bemerkt. Keiner hat etwas gesehen. Das nervt. So ein unbedeutender Kerl und der muss sterben. Warum, zum Teufel, bringt jemand so einen Menschen um?“

„Mir egal, ich brauche mal wieder ein ruhiges Wochenende“, sagte Paul gelassen. „Bisschen Party, bisschen saufen, viel schlafen.“

Das Telefon klingelte.

„Gröhninger!“

Es wurde gesprochen.

„Nichts mit Wochenende, mein lieber Paul. Das war die Zentrale. Keine Party, nur eine Leiche im Weinberg. Mann um die dreißig. Erstochen.“

„Scheiße. Ich hasse Killer, die am Wochenende zuschlagen.“

Emma musste lachen. Vielleicht hatte der Täter ja einen Job und in der Woche keine Zeit für sein makabres Vergnügen.

Sie folgte Paul zum Auto. In der Nacht hatte es zu regnen begonnen. Dementsprechend mies war die Laune von Robert Rengsinger, der schon wieder keine Spuren sichern konnte. Bei Trockenheit wäre der Boden zwar auch zu fest gewesen, aber so war alles verdorben. Er stand am Tatort und fluchte vor sich hin.

„Wieso regnet es immer, wenn in den Weinbergen eine Leiche rumliegt? Guten Morgen, Emma. Oh, Paul, du bist ja mal nüchtern.“

„Danke für die Blumen“, erwiderte Paul grinsend, „ich kann mich wenigstens ab und zu mal besaufen. Du hockst ja nur in deiner Bude.“

Emma unterbrach die Frotzeleien und fragte: „Was haben wir?“

„Mann um die dreißig. Erstochen. Viel Blut. Keine Spuren. Der Mörder hat ihm die Innereien zerrissen. Dann ein Stich in die Kehle. Mit Schwung. Er hatte kaum Zeit gehabt zu begreifen, was los war, da war er schon hin. Schaut ihn euch an, dann lasse ich ihn in die Gerichtsmedizin schaffen.“

Emma zog die Abdeckung ein wenig zur Seite.

„So ein schöner Mann. Was für eine Verschwendung.“

Robert reichte ihr die Brieftasche. Das Geld war noch drin. Emma zog den Ausweis aus dem hinteren Fach und las.

„Cem al Hassür, dreiunddreißig. Wohnt in Wiesbaden. Mist. Jetzt schicken sie uns das LKA auf den Hals. Die denken sicher, wir schaffen das nicht alleine. Egal, der Eisenmacher wird das schon deichseln.“

Paul schaute noch einmal auf die Leiche.

„War es derselbe Täter? Was denkst du?“

Robert zuckte mit den Schultern und sagte: „Es könnte sein. Näheres gibt es dann später. Der diensthabende Arzt ist schon weg. Aber Weinberg, Messer, Mann um die dreißig - sieht verdammt nach ein und demselben Täter aus, wenn ihr mich fragt.“

Emma und Paul fuhren zurück ins Büro. Dort wurden sie direkt ins Büro des Chefs gerufen.

Norman Eisenmacher war fünfzig, drahtig und verbissen. Er hatte ein strenges Gesicht, wozu seine freundlichen blauen Augen so gar nicht passten. Die dunklen Haare waren kurz geschnitten und an den Schläfen grau. Seine Haltung war wie immer straff. Er schaute jetzt grimmig, als Emma und Paul das Büro betraten. Norman Eisenmacher bot ihnen einen Platz an.

 

Emma setzte sich vor den Schreibtisch, Paul blieb am Türrahmen stehen. Er hatte bei seinem Chef immer das Gefühl, einen schnellen Rückzug sichern zu müssen.

„Was habe ich gehört? Es gibt einen zweiten Mord? Schon wieder im Weinberg?“

Emma fasste kurz zusammen, was sie schon wussten. Das war fast nichts.

„Wir müssen Wiesbaden einschalten. Für zwei Morde sind wir nicht wichtig genug. So ein Mist. Ich mag diese Kontrollfreaks nicht. Aber Sie beide ermitteln weiter. Ordentlich und akribisch, wenn ich bitten darf. Und bitte mit der nötigen Diskretion. Wir leben hier von zahlenden Touristen. Die wollen Idylle und Romantik, keine Toten in ihren Weinbergen. Kein Wort an die Presse ohne meine Erlaubnis.“

„Alles klar, Chef!“, rief Emma und sie verließ mit Paul das Büro.

Gut, dass die Toten immer in den Morgenstunden entdeckt worden waren. Da schliefen die Touristen noch. Und die Winzer, die in den Weinbergen arbeiteten, waren auch nicht daran interessiert, einen Mord in ihrem Weinberg in die Welt hinauszuschreien.

Emma und Paul machten sich auf den Weg nach Wiesbaden, wo die Spurensicherung gerade die Wohnung des zweiten Opfers abschließen und versiegeln wollte. Die Kollegen aus Wiesbaden reichten Emma den Schlüssel.

Paul fragte, ob sie etwas Wichtiges in der Wohnung gefunden hätten, aber der Kollege schüttelte nur den Kopf.

„Eine ganz normale Wohnung. Ein paar Frauen­haare, wie es aussieht, aber nicht alle vom selben Frauenkopf. Er schien einen größeren Frauenverschleiß gehabt zu haben. Keine Fotos, keine Videos. Man kann auch sagen: NICHTS.“

Emma seufzte und betrat die Wohnung. Paul stand noch vor der Tür und sprach mit dem Kollegen über das letzte Formel-Eins-Rennen.

Emma sah sich um. Glas, Chrom und Leder beherrschten das Wohnzimmer. Die Wohnung hatte zwei Zimmer. Im Schlafzimmer kühles Schwarz und Weiß. Die Satinbettwäsche glänzte im Licht der Sonne, die durch das gardinenlose Fenster hereinfiel. Aus dem fünften Stock hatte man eine wunderbare Sicht über die Stadt. In der Nähe war das Kino, in das sie immer mit ihrer Freundin gegangen war, weil ihnen der Kartenverkäufer so gut gefallen hatte. Emma beschloss, sich mal wieder bei Mona zu melden.