Wege zur Rechtsgeschichte: Römisches Erbrecht

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Aus der Reihe: Wege zur Rechtsgeschichte #1
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3 Das Intestaterbrecht

Bereits das Zwölftafelgesetz (ca. 450 v. Chr.) unterscheidet danach, ob die Erbfolge aufgrund Testaments oder nach dem Gesetz eintritt. Die gesetzliche Erbfolge ist subsidiär, kommt also nur dann zur Anwendung, wenn der Erblasser kein Testament hinterlassen hat (V,4): „Wenn jemand, der keinen Hauserben hat, testamentslos stirbt, soll der gradnächste agnatische Verwandte den Hausbesitz und das Vermögen haben.“ 9 (si intestato moritur, cui suus heres nec essit, agnatus proximus familiam pecuniamque habeto.) Die Voraussetzung des testamentslosen Versterbens (intestatus = „ohne Testament“, davon: Intestaterbfolge) meint dabei Folgendes:

D. 50.16.64 Paulus 67 ad edictum„Intestatus“ est non tantum qui testamentum non fecit, sed etiam cuius ex testamento hereditas adita non est.

„Ein ohne Testament Verstorbener“ (intestatus) ist nicht nur derjenige, der kein Testament errichtet hat, sondern auch derjenige, aus dessen Testament die Erbschaft nicht angetreten worden ist.

Das Intestaterbrecht greift nicht nur dann ein, wenn der Erblasser von vornherein kein wirksames Testament errichtet hat, sondern auch dann, wenn das errichtete Testament aus einem anderen Grund nicht zur Anwendung gelangt. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn der eingesetzte Erbe vorverstorben ist, oder sich weigert, die Erbschaft anzutreten. In diesem Fall treten Familienangehörige und Verwandte des Erblassers die Erbfolge an; das Intestaterbrecht wird daher auch als „Familienerbrecht“ bezeichnet.

Die von den Erben erworbene Rechtsposition wird in den Zwölftafeln als Vermögensinhaberschaft beschrieben. Dabei wird das Vermögen mit der Synonymdoppelung familia pecuniaque gekennzeichnet, erfasst also sowohl die Dienerschaft (Sklaven) des Testators (familia = „Dienerschaft, Hausgenossenschaft“) als auch die finanziellen Mittel (pecunia = „Geld“):

D. 50.16.195.1 Ulpianus 46 ad edictum„Familiae“ appellatio qualiter accipiatur, videamus. et quidem varie accepta est: Nam et in res et in personas deducitur. in res, ut puta in lege duodecim tabularum his verbis „adgnatus proximus familiam habeto“. […].

Wir wollen betrachten, auf welche Weise die Bezeichnung familia verstanden wird. Und sie ist allerdings auf verschiedene Weise aufgefasst worden: Sie wird nämlich sowohl auf Sachen als auch auf Personen angewendet. Auf Sachen, wie zum Beispiel im Zwölftafelgesetz, mit diesen Worten „der gradnächste agnatische Verwandte soll die familia haben“. […].

Ulpian (3. Jahrhundert n. Chr.) betont, dass sich der Begriff familia im Intestaterbrecht der Zwölftafeln auf Sachen, nicht auf Personen beziehe. Das Wort familia steht also nicht nur für die personenrechtliche Beziehung zwischen Familienangehörigen, sondern kann auch das Vermögen bezeichnen.

Aufgrund der Abhängigkeit des Intestaterbrechts von den Familienstrukturen sind im Folgenden auch die Grundsätze des römischen Familienrechts vorzustellen und in ihrer Bedeutung für das Intestaterbrecht zu würdigen.

3.1 Die Familie als Hierarchie

Die römische Familie ist – genau wie die civitas (Kap. 2.2.2) – als Rechtsgemeinschaft definiert. Diese Gemeinschaft ist hierarchisch organisiert:

D. 50.16.195.2 Ulpianus 46 ad edictum[…] iure proprio familiam dicimus plures personas, quae sunt sub unius potestate aut natura aut iure subiectae, ut puta patrem familias, matrem familias, filium familias, filiam familias quique deinceps vicem eorum sequuntur, ut puta nepotes et neptes et deinceps. Pater autem familias appellatur, qui in domo dominium habet, recteque hoc nomine appellatur, quamvis filium non habeat: non enim solam personam eius, sed et ius demonstramus. […].

[…] nach eigenem Recht (ius civile) bezeichnen wir als Familie mehrere Personen, die entweder der Natur nach oder rechtlich der Gewalt eines einzelnen unterworfen worden sind, wie zum Beispiel den Hausvater (pater familias), die Mutter (mater familias), den Haussohn (filius familias), die Haustochter (filia familias) und diejenigen, die der Reihe nach an ihre Stelle nachfolgen, wie zum Beispiel Enkel und Enkelinnen und so weiter. Als pater familias aber wird derjenige bezeichnet, der im Haus die Vermögensgewalt innehat, und richtigerweise wird er auch mit diesem Namen bezeichnet, wenn er auch kein Kind hat. Wir bezeichnen nämlich nicht allein seine Person, sondern auch die Rechtsstellung. […].

Familie im Sinne des ius civile ist ein Personenverband, welcher der Gewalt eines Oberhaupts untersteht. Das Oberhaupt der römischen Familie ist der Hausvater (pater familias), der die anderen Angehörigen der Familie in seiner Gewalt hat. Dabei ist zu beachten, dass die väterliche Gewalt auch für die Abkömmlinge der Haussöhne gilt, also generationsübergreifend wirkt. Solange also der Großvater lebt, stehen seine Söhne und deren Kinder in seiner Gewalt. Da einem Haussohn mit dem Ausscheiden aus der väterlichen Gewalt die Möglichkeit eröffnet wird, selbst Oberhaupt einer Familie zu sein, wird er als pater familias („Hausvater“) bezeichnet, sobald er aus der Gewalt des Vaters ausscheidet. Diese Bezeichnung gilt unabhängig davon, ob der aus der Gewalt Ausscheidende verheiratet ist oder Kinder hat; sie kennzeichnet also nur die eigene Unabhängigkeit von der väterlichen Gewalt. Bei Enkeln ist zu beachten, dass sie mit dem Tod des Großvaters in die Gewalt ihres Vaters übergehen, also ihrerseits nicht rechtlich selbstständig werden, sondern nur den Gewalthaber wechseln.

Die Hausgewalt des Hausvaters (patria potestas) umfasste ursprünglich das Recht, über Leben und Tod der Abkömmlinge zu entscheiden; noch in der Zeit des Prinzipats beinhaltet sie die Befugnis zur Aussetzung von neugeborenen Hauskindern. Vermögensrechtlich führt die Gewaltunterworfenheit zur Vermögensunfähigkeit: Hauskinder erwerben durch Geschäfte nicht für sich selbst, sondern – gleichsam als „verlängerter Arm“ des Hausvaters – nur mit Wirkung für diesen. Aus diesem Verständnis der Hausgewalt erklärt sich, warum die familia in einem weiteren Sinne auch die Sklaven erfasst: Auch sie stehen in der Gewalt des Hausvaters und erwerben – genau wie die Hauskinder – mit Wirkung für diesen:

Gai. 2,87Igitur liberi nostri, quos in potestate habemus, item quod servi nostri […] nanciscuntur […] id nobis adquiritur […]; et ideo si heres institutus sit, nisi nostro iussu hereditatem adire non potest; et si iubentibus nobis adierit, hereditas nobis adquiritur, proinde atque si nos ipsi heredes instituti essemus; et convenienter scilicet legatum per eos nobis adquiritur.

Was also unsere Hauskinder, die wir in der Hausgewalt haben, ebenso was unsere Sklaven […] erlangen, […] das wird für uns erworben, […]. Und daher kann er [derjenige, der in der Hausgewalt ist], wenn er zum Erben eingesetzt worden ist, nur auf unser Geheiß hin die Erbschaft antreten […]; und wenn er sie auf unseren Befehl hin angetreten hat, wird die Erbschaft für uns ebenso erworben, wie wenn wir selbst zu Erben eingesetzt worden wären; und dementsprechend wird – wie sich versteht – ein Vermächtnis durch sie für uns erworben.

Sowohl Sklaven als auch Hauskinder erwerben für den pater familias. Dies gilt auch für den erbschaftlichen Erwerb: Ist ein Haussohn oder eine Haustochter im Testament eines Dritten zum Erben eingesetzt oder ist ihnen ein Vermächtnis zugedacht worden, entscheidet der Hausvater, ob das Erbe anzutreten oder das Vermächtnis anzunehmen ist. Die Hauskinder erwerben die Erbschaft also nicht für sich selbst, sondern für den Hausvater als Inhaber des Familienvermögens.

Voraussetzung für die Begründung der Hausgewalt (patria potestas) über die Kinder ist das Bestehen einer rechtmäßigen römischen Ehe zwischen den Eltern:

Gai. 1,55Item in potestate nostra sunt liberi nostri, quos iustis nuptiis procreavimus, quod ius proprium civium Romanorum est. […].

Ebenso stehen unsere Kinder, die wir in rechtmäßiger Ehe gezeugt haben, in unserer Hausgewalt (potestas). Dieses Recht ist den römischen Bürgern vorbehalten. […].

Eine rechtmäßige Ehe setzt voraus, dass beide Eheleute das römische Bürgerrecht haben. Mit Nichtrömerinnen kann ausnahmsweise dann eine nach römischem Recht gültige Ehe eingegangen werden, wenn ihnen das Privileg der Eheeingehung nach römischem Recht, das conubium, verliehen worden ist.

Das Gewaltverhältnis – das heißt die Vermögensunfähigkeit des Hauskindes – endet grundsätzlich erst dann, wenn der Gewalthaber verstirbt:

D. 50.16.195.2 Ulpianus 46 ad edictum[…] Et cum pater familias moritur, quotquot capita ei subiecta fuerint, singulas familias incipiunt habere: Singuli enim patrum familiarum nomen subeunt. […].

[…] Und wenn der pater familias verstirbt, beginnen die Personen, wie viele auch immer ihm unterworfen gewesen sind, einzelne Familien zu haben; denn jeder einzelne von ihnen übernimmt den Namen pater familias. […].

Mit dem Tod des Hausvaters werden die Hauskinder gewaltfrei und vermögensfähig; dabei wird nicht zwischen Haussöhnen und Haustöchtern unterschieden. Ein Unterschied zwischen Haussöhnen und Haustöchtern ergibt sich aber daraus, dass Haussöhne selbst Hausgewalt über in rechtmäßiger Ehe geborene Abkömmlinge begründen können, während die Haustöchter lediglich Gewalt über sich selbst erlangen (Kap. 3.1.4).

 

Aus diesem Nachrücken der Hauskinder in die Position des Hausvaters bei dessen Tod ergibt sich die erste Stufe der römischen Intestaterbfolge nach ius civile. Der bereits zitierte Zwölftafelsatz V,4 sieht vor, dass der testamentslose Erblasser von seinem Hauserben (suus heres) beerbt wird: „Wenn jemand, der keinen Hauserben hat, testamentslos stirbt, […]“ (si intestato moritur, cui suus heres nec essit [].). Die Rechtsnachfolge der Hauskinder in die Stellung des Hausvaters wird dabei nicht angeordnet, sondern vorausgesetzt.

3.1.1 Das Erbrecht der Hauskinder

Die gleichsam natürliche Nachfolge der Hauserben in die Rechtsposition des Hausvaters ist eine Konsequenz der Vermögensunfähigkeit der Hauskinder zu Lebzeiten des Hausvaters:

D. 28.2.11 Paulus 2 ad SabinumIn suis heredibus evidentius apparet continuationem dominii eo rem perducere, ut nulla videatur hereditas fuisse, quasi olim hi domini essent, qui etiam vivo patre quodammodo domini existimantur. Unde etiam filius familias appellatur sicut pater familias, sola nota hac adiecta, per quam distinguitur genitor ab eo qui genitus sit. Itaque post mortem patris non hereditatem percipere videntur, sed magis liberam bonorum administrationem consequuntur. […].

Es erscheint in Bezug auf die Hauserben ziemlich einleuchtend, dass die Fortsetzung der Eigentümerstellung dazu führt, dass es keine Erbschaft gegeben zu haben scheint, weil diese angeblich seit langem Eigentümer waren, die auch zu Lebzeiten ihres Vaters auf gewisse Weise für Eigentümer gehalten werden. Daher wird auch der Haussohn nach dem Hausvater benannt, unter Hinzufügung dieses alleinigen Merkmals, durch das der Erzeuger von dem, der gezeugt worden ist, unterschieden wird. Nach dem Tod des Vaters scheinen sie daher nicht eine Erbschaft zu erwerben, sondern sie erlangen vielmehr die freie Verwaltung des Vermögens. […].

Zu Lebzeiten des Hausvaters sind die Hauskinder selbst nicht vermögensfähig, aber aufgrund des Gewaltverhältnisses am Familienvermögen beteiligt. Sie haben also keine eigene Verwaltungsbefugnis, sondern unterstehen auch insoweit dem Vorrecht des Hausvaters. Aus dieser Sicht bedeutet der Tod des Hausvaters die Übernahme der Verwaltung durch die schon zuvor mitberechtigten Hauskinder. Da der Hausvater wie die Hauskinder der Familie angehören, führt der Tod des Hausvaters nicht zum Ende des Familienvermögens, sondern nur zum Wechsel der Verwaltungsbefugnis.

Gai. 3,2Sui autem heredes existimantur […] liberi, qui in potestate morientis fuerunt, veluti filius filiave, nepos neptisve ex filio, pronepos proneptisve ex nepote filio nato prognatus prognatave. […] ita demum tamen nepos neptisve et pronepos proneptisve suorum heredum numero sunt, si praecedens persona desierit in potestate parentis esse, sive morte id acciderit sive alia ratione, veluti emancipatione; nam si per id tempus, quo quis moriatur, filius in potestate eius sit, nepos ex eo suus heres esse non potest. Idem et in ceteris deinceps liberorum personis dictum intellegemus.

Als Hauserben gelten aber […] die Hauskinder, die in der Hausgewalt des Sterbenden standen, wie beispielsweise ein Sohn oder eine Tochter, ein Enkel oder eine Enkelin, die von einem Sohn abstammen, ein Urenkel oder eine Urenkelin, der oder die von einem Enkel abstammen, welcher der Sohn des Sohnes ist. […]. Dennoch zählen ein Enkel oder eine Enkelin und ein Urenkel oder eine Urenkelin nur dann zu den Hauserben, wenn die im Grade vorhergehende Person aus der Hausgewalt des Hausvaters ausgeschieden ist, sei es, dass dies durch den Tod oder aus einem anderen Grund geschehen ist, beispielsweise durch emancipatio; wenn nämlich jemand zu dem Zeitpunkt, an dem er stirbt, einen Sohn in seiner Hausgewalt hat, kann der von diesem abstammende Enkel nicht Hauserbe sein. Dieselbe Aussage gilt auch im Falle der übrigen Hauskinder der Reihe nach.

Die Hauserbenstellung ist nicht auf die Kinder des Erblassers beschränkt. Vielmehr sind alle Abkömmlinge, die über die Söhne in der Gewalt des (Groß-)Vaters stehen, als Hauserben anzusehen. Die gradferneren Abkömmlinge wie Enkel und Urenkel werden aber zu Lebzeiten der gradnäheren, also der Söhne und Enkel, von diesen verdrängt. Erst wenn ein Sohn oder Enkel aus der Hausgewalt ausscheidet, rücken seine Kinder, das heißt die Enkel des Erblassers, in die Position ihres Vaters ein (Stammesprinzip). Solange der Haussohn lebt und nicht emanzipiert ist, verdrängt er die Abkömmlinge (Repräsentationsprinzip).

Diese Verdrängung betrifft freilich nur die eigenen Abkömmlinge:

Gai. 3,7Igitur cum filius filiave et ex altero filio nepotes neptesve extant, pariter ad hereditatem vocantur; nec qui gradu proximior est, ulteriorem excludit. Aequum enim videbatur nepotes neptesve in patris sui locum portionemque succedere. Pari ratione et si nepos neptisque sit ex filio et ex nepote pronepos proneptisve, simul omnes vocantur ad hereditatem.

Wenn folglich ein Sohn oder eine Tochter sowie Enkel oder Enkelinnen, die vom anderen Sohn abstammen, vorhanden sind, werden sie gleichermaßen zur Erbschaft berufen, und der Gradnähere schließt den Gradferneren nicht aus; denn man hielt es für gerecht, dass Enkel und Enkelinnen an die Stelle und in den Erbteil ihres Vaters nachrückten. Aus der gleichen Überlegung werden auch dann, wenn sowohl ein Enkel oder eine Enkelin, die von einem Sohn abstammen, als auch ein Urenkel oder eine Urenkelin, die von einem Enkel abstammen, vorhanden sind, alle zugleich zur Erbschaft berufen.

Durch das Stammesprinzip sind die von einem vorverstorbenen Sohn oder Enkel abstammenden Abkömmlinge neben den gradnäheren Söhnen oder Enkeln zur Erbfolge berufen. Die Kinder des vorverstorbenen Sohnes oder Enkels sind daher gleichberechtigte Hauserben mit den Geschwistern des Sohnes, also ihren Onkeln und Tanten. Haustöchter dagegen, die zu ihren Lebzeiten gleichberechtigt mit ihren Brüdern als Hauserben berufen sind, bilden keinen Stamm. Daher werden ihre Abkömmlinge nicht als Hauserben des mütterlichen Großvaters berufen, sondern sind, sofern sie in legitimer Ehe gezeugt wurden, in der Familie des Ehemanns erbberechtigt.

Nach diesen Grundsätzen ergibt sich die in Übersicht 9a – 9c dargestellte erste Erbklasse der Intestaterbfolge nach ius civile:

Übersicht 9a: Erbfolge der Hauskinder


Verstirbt der Großvater zu Lebzeiten von Vater 1, Vater 2 und deren Schwester, erben die drei gemeinsam nach Kopfteilen; somit erhält jeder ein Drittel des Nachlasses.

Übersicht 9b: Nachrücken der Abkömmlinge


Ist Vater 1 vorverstorben, treten seine Söhne (Sohn 1 und Sohn 2) an seine Stelle. Auf diese Weise erhalten die Söhne 1 und 2 je ein Sechstel, Vater 2 und dessen Schwester je ein Drittel.

Übersicht 9c: Kein Nachrücken bei weiblichen Hauskindern


Ist die Schwester vorverstorben, während Vater 1 und Vater 2 leben, teilen sich die beiden den Nachlass, erhalten also je die Hälfte. Abkömmlinge der Schwester erhalten nichts, treten also nicht an die Stelle der Schwester, weil sie als Frau keinen Stamm bildet. Dagegen bilden die männlichen Abkömmlinge Stämme: Aus diesem Grund treten Enkel 1 und 2 anstelle des Sohnes 1, Enkelin 1 anstelle des Sohnes 2 und Enkel 3 anstelle des Sohnes 3, wenn der jeweilige Sohn vorverstorben ist. Während aber die männlichen Abkömmlinge ihrerseits einen Stamm bilden, endet der Stamm von Sohn 2 mit der Enkelin 1, da sie selbst keine Hausgewalt begründen kann.

Das die Hauserbenstellung begründende Gewaltverhältnis des Hausvaters über seine Hauskinder endet aber nicht nur mit dem Tod des Gewalthabers, sondern kann auch zu dessen Lebzeiten beendet werden.

3.1.2 Die emancipatio des Hauskindes

Diese rechtsgeschäftliche Beendigung der Hausgewalt wird als emancipatio („Entlassung aus der väterlichen Gewalt“) bezeichnet. Die Bezeichnung leitet sich ab von der Form des Rechtsgeschäfts, der Manzipation (mancipatio), die in diesem Zusammenhang zum Zwecke der Freilassung vollzogen wird. Die Manzipation ist ein Libralakt, das heißt ein kaufähnliches Rechtsgeschäft, das „mit Kupfer und Waage“ (per aes et libram) vorgenommen wird. Der Ursprung der Libralakte ist im Zuwägen des Kaufpreises zu sehen, liegt also im Barkauf. Im hier interessierenden Zeitraum dient das Geschäft per aes et libram als Übertragungsakt, mit dem Eigentum an manzipierfähigen Sachen (res mancipi) sowie Gewalt an gewaltunterworfenen Personen (Sklaven und Hauskindern) erworben wird. Der kaufrechtliche Ursprung des Geschäftes lebt allein im Ritual fort: Zum Erwerb des Eigentums oder der Gewalt schlägt der Erwerber mit einer Kupfermünze an die Waage und übergibt diese dem Veräußerer „sozusagen anstelle des Kaufpreises“ (quasi pretii loco, Gai. 1,119). Diese „Manzipation mittels einer Münze“ (mancipatio nummo uno) hat sich vom ursprünglichen Erwerbszweck des Geschäftes gelöst. Damit kann die Manzipation für andere Zwecke genutzt werden:

Gai. 1,132Praeterea emancipatione desinunt liberi in potestate parentum esse. Sed filius quidem tribus mancipationibus, ceteri vero liberi sive masculini sexus sive feminini una mancipatione exeunt de parentium potestate: Lex enim XII tabularum tantum in persona filii de tribus mancipationibus loquitur his verbis: „Si pater ter filium venum duit a patre filius liber esto.“ […]

Im Übrigen hören Hauskinder durch emancipatio auf, in der Hausgewalt der Väter zu sein. Aber ein Sohn tritt freilich erst nach drei Manzipationen, alle anderen Abkömmlinge aber sowohl männlichen als auch weiblichen Geschlechts treten nach einer Manzipation aus der Hausgewalt der Väter aus; das Zwölftafelgesetz spricht nämlich nur bei einem Sohn von drei Manzipationen mit folgenden Worten: „Wenn der Vater den Sohn dreimal zum Verkauf gegeben hat, soll der Sohn vom Vater frei sein.“ […]

Zur Entlassung aus der väterlichen Gewalt müssen Haussöhne dreimal, übrige Abkömmlinge nur einmal in fremde Gewalt veräußert und vom neuen Gewalthaber freigelassen werden. Die Erschwernis bei der emancipatio des Sohnes stützt Gaius (2. Jahrhundert n. Chr.) auf einen Satz des Zwölftafelgesetzes (ca. 450 v. Chr.), nach dem der Sohn vom Vater frei sei, wenn dieser ihn dreimal zum Verkauf gegeben habe. Es besteht die Vermutung, dass die Freiheit des Sohnes im Zwölftafelgesetz ursprünglich als Strafe für den Hausvater vorgesehen war, der seine elterliche Macht durch zu häufigen Verkauf des Sohnes in fremde Dienste missbraucht hatte. Diese Sanktion wird im hier interessierenden Zeitraum ausgenutzt, um das Gewaltverhältnis im gegenseitigen Einvernehmen zu beenden. Ernst Rabel hat die emancipatio daher als ‚nachgeformtes Rechtsgeschäft‘ bezeichnet, mit dem die anerkannten Rechtsfolgen des väterlichen Manzipationsaktes („Freiheit des Sohnes“) zweckentfremdet werden („Entlassung aus der Gewalt“).

Auf Ebene des Intestaterbrechts nach ius civile führt die emancipatio zum Ausscheiden des Hauskindes aus der Gruppe der Hauserben, und – sofern es sich um einen Sohn handelt – zum Nachrücken seiner Abkömmlinge. Die Gewaltfreiheit des Hauskindes wird als Verlust der Familienzugehörigkeit und damit als Statusverlust (capitis deminutio) angesehen. In der Tat steht das emanzipierte Hauskind erbrechtlich einem vorverstorbenen Hauskind gleich.

Sind bei testamentslosem Versterben des Hausvaters keine Hauskinder (mehr) vorhanden, sieht das Zwölftafelgesetz (V,4) vor, dass der gradnächste Agnat Erbe werden soll: „[…], soll der gradnächste Agnat den Hausbesitz und das Vermögen haben.“ (agnatus proximus familiam pecuniamque habeto).

3.1.3 Das Erbrecht der Agnaten

Als agnatus (von adgnatus = „der Hinzugeborene“) wird ein Blutsverwandter bezeichnet, der in ununterbrochener männlicher Linie von einem gemeinsamen Vorvater abstammt:

 

Gai. 3,10Vocantur autem adgnati, qui legitima cognatione iuncti sunt. Legitima autem cognatio est ea, quae per virilis sexus personas coniungitur. Itaque eodem patre nati fratres agnati sibi sunt, qui etiam consanguinei vocantur, nec requiritur, an etiam matrem eandem habuerint. Item patruus fratris filio et invicem is illi agnatus est. […].

Diejenigen werden aber Agnaten genannt, die durch gesetzliche Verwandtschaft verbunden sind. Gesetzlich aber ist diejenige Verwandtschaft, die durch Personen männlichen Geschlechts vermittelt wird. Daher sind Brüder, die von demselben Vater geboren wurden, gegenseitig Agnaten, die auch „Geschwister von der Vaterseite“ (consanguinei) genannt werden, und es wird nicht geprüft, ob sie auch dieselbe Mutter gehabt haben. Ebenso ist der Onkel dem Neffen und umgekehrt der Neffe dem Onkel Agnat. […].

Agnatisch verwandt sind danach Personen, die gemeinsam unter der Gewalt ein- und desselben pater familias stehen oder stehen würden, falls dieser noch lebte. Es handelt sich um eine Verwandtschaftsform, die aufgrund der Beschränkung der Hausgewalt auf Männer nur über diese vermittelt wird. Frauen können nur insoweit agnatisch verwandt sein, als sie mit anderen unter einer gemeinsamen Hausgewalt stehen oder stehen würden, also soweit sie Töchter, Enkelinnen oder Cousinen sind.

Die Verwandtschaftsgrade der agnatischen Verwandtschaft bestimmen sich nach der Anzahl der Zeugungen, die zwischen Angehörigen eines Gewaltverhältnisses bestehen. Agnatische Verwandte des Erblassers im ersten Grad sind dessen Vater und die eigenen, in der Gewalt des Erblassers befindlichen Kinder. Seine agnatischen Verwandten des zweiten Grades sind Geschwister, die sich in der Gewalt desselben Vaters befinden oder befinden würden, sowie der Großvater und über einen Sohn vermittelte Enkel. Der dritte Grad agnatischer Verwandschaft schließlich besteht zwischen dem Erblasser und seinen Neffen und Nichten, sofern diese von seinem Bruder (und nicht von seiner Schwester) abstammen, sowie zu Onkeln und Tanten, die Geschwister des Vaters sind.

Erbberechtigt nach dem Intestaterbrecht des ius civile ist allein der gradnächste Agnat:

Gai. 3,11Non tamen omnibus simul agnatis dat lex XII tabularum hereditatem, sed his, qui tum, cum certum est aliquem intestatum decessisse, proximo gradu sunt.

Dennoch gibt das Zwölftafelgesetz nicht allen Agnaten zugleich die Erbschaft, sondern denjenigen, die in dem Moment, wenn feststeht, dass jemand ohne Testament verstorben ist, die gradnächsten sind.

Der gradnächste Agnat schließt die übrigen agnatisch Verwandten aus. Maßgeblich für die Bestimmung der Gradesnähe ist der Zeitpunkt, in dem die Intestaterbfolge eintritt, also feststeht, dass der Erblasser ohne gültiges Testament verstorben ist.

Anders als bei Hauserben gilt für den proximus agnatus kein Stammesprinzip:

Gai. 3,12Nec in eo iure successio est. Ideoque si agnatus proximus hereditatem omiserit vel, antequam adierit, decesserit, sequentibus nihil iuris ex lege competit.

In diesem Rechtsbereich gibt es auch keine Nachfolge. Und wenn daher der gradnächste Agnat die Erbschaft ausgeschlagen hat oder gestorben ist, bevor er sie angetreten hat, so steht den Agnaten der folgenden Grade nach dem Gesetz kein Recht zu.

Ein Nachrücken der Abkömmlinge in die Erbenstellung als agnatus proximus ist nicht vorgesehen. Sind mehrere Agnaten als Gradnächste berufen, teilen sie sich die Erbschaft nach Kopfteilen:

Gai. 3,16Quod si defuncti nullus frater extet, sed sint liberi fratrum, ad omnes quidem hereditas pertinet; sed quaesitum est, si dispari forte numero sint nati, ut ex uno unus vel duo, ex altero tres vel quattuor, utrum in stirpes dividenda sit hereditas, sicut inter suos heredes iuris est, an potius in capita. Iam dudum tamen placuit in capita dividendam esse hereditatem. Itaque quotquot erunt ab utraque parte personae, in tot portiones hereditas dividetur, ita ut singuli singulas portiones ferant.

Wenn also kein Bruder des Verstorbenen vorhanden ist, es aber Kinder von Brüdern gibt, so steht zwar allen die Erbschaft zu; aber es wurde in Frage gestellt, wenn zufällig Kinder unterschiedlicher Anzahl geboren waren (so dass von einem Bruder ein oder zwei, vom anderen drei oder vier Kinder [abstammten]), ob die Erbschaft nach Stämmen zu teilen sei, wie es bei den Hauserben rechtens ist, oder eher nach Köpfen. Dennoch hat man es schon seit langer Zeit für gut befunden, dass die Erbschaft nach Köpfen zu teilen sei. Deshalb wird die Erbschaft in so viele Teile geteilt werden, wie viele Personen auf beiden Seiten vorhanden sind, so dass auf diese Weise jeder Einzelne je einen Teil erhält.

Sind agnatische Verwandte des ersten und des zweiten Grades (Geschwister des Erblassers) vorverstorben, kommen die Agnaten des dritten Grades zum Zug. Sind als solche insgesamt fünf Kinder von zwei vorverstorbenen Brüdern, also Neffen oder Nichten des Erblassers, vorhanden, sind sie alle als gradnächste Agnaten berufen. Würde man das Stammesprinzip – wie bei Hauserben – zur Geltung bringen, müssten die Neffen oder Nichten den jeweiligen Erbteil ihres Vaters unter sich aufteilen. Da bei der agnatischen Verwandtschaft das Erbe aber nicht nach Stämmen, sondern nach Köpfen geteilt wird, erhält stattdessen jeder Neffe und jede Nichte den Kopfteil, das heißt ein Fünftel (1/5) der Erbschaft.

3.1.4 Das Intestaterbrecht von Frauen

Zwar sind Haustöchter gleichberechtigt neben Haussöhnen als Hauserben berufen. Wie gesehen, sind aber ihre Abkömmlinge nicht in der Vatersfamilie erbberechtigt. Ebenso sind Frauen zwar als Agnaten zur Intestaterbfolge berufen, können aber mangels Gewaltverhältnis selbst keine agnatische Verwandtschaft vermitteln (Kap. 3.1.1). Scheidet die Haustochter aus der väterlichen Gewalt aus, ist sie zwar gewaltfrei, hat aber ihrerseits keine von ihr abhängigen Verwandten:

D. 50.16.195.5 Ulpianus 46 ad edictumMulier autem familiae suae et caput et finis est.

Die Frau aber ist sowohl der Anfang als auch das Ende ihrer eigenen Familie.

Ulpian (3. Jahrhundert n. Chr.) bringt diese Situation auf den Punkt, die Familie der Frau sei auf sie selbst begrenzt. Da die (ehelichen) Kinder in der Gewalt des Vaters stehen, sind sie nach ius civile nur mit der Familie des Ehemanns verwandt. Ein verwandtschaftliches Verhältnis zu ihren Abkömmlingen konnte eine Frau ursprünglich nur dann begründen, wenn sie sich selbst in die Ehegewalt (manus) des Ehemanns begab:

Gai. 3,3Uxor quoque, quae in manu eius est, sua heres est, quia filiae loco est. Item nurus, quae in filii manu est, nam et haec neptis loco est. Sed ita demum erit sua heres, si filius, cuius in manu est, cum pater moritur, in potestate eius non sit. […].

Auch eine in manus stehende Ehefrau ist seine Hauserbin, weil sie im Verhältnis einer Haustochter steht; ebenso eine Schwiegertochter, die sich in der Ehegewalt des Sohnes befindet, denn auch sie steht im Verhältnis einer Enkelin. Aber sie wird nur dann Hauserbin sein, wenn der Sohn, in dessen Ehegewalt sie steht, zum Zeitpunkt des Todes des Vaters nicht in dessen Hausgewalt ist. […].

Eine in manus ihres Ehemanns befindliche Ehefrau hat den Status einer Haustochter und kann daher ihre Kinder als Schwester beerben. Steht sie in der Gewalt des Schwiegervaters, hat sie ihm gegenüber das Erbrecht einer Enkelin; sie erbt also nur dann, wenn ihr Mann, der als Haussohn erbberechtigt ist, vorverstorben ist. Obwohl die Eingehung einer manus-Ehe bereits am Ende der Republik unüblich war, wird sie von Gaius (2. Jahrhundert n. Chr.) aus didaktischen Gründen mitbehandelt: Der rechtshistorische Rückblick zeigt, dass die erbrechtliche Schlechterstellung der Ehefrau ursprünglich durch die Eingehung einer manus-Ehe vermieden werden konnte. Schloss die Frau dagegen – wie es im Prinzipat üblich war – eine Ehe, ohne sich in die Gewalt ihres Ehemanns zu begeben, war sie entweder gewaltfrei oder stand in der Hausgewalt ihres Vaters. Im letzteren Fall war sie in ihrer Herkunftsfamilie erbberechtigt, wurde also als Hauserbin (des Vaters) oder gradnächste agnatische Verwandte (zum Beispiel ihres Bruders oder Onkels) zur Intestaterbfolge berufen.

Allerdings wurde in einer nicht näher bestimmbaren Zeit nach den Zwölftafeln das Intestaterbrecht der Frauen als agnatus proximus weiter beschränkt:

Gai. 3,14[…] nostrae vero hereditates ad feminas ultra consanguineorum gradum non pertinent. Itaque soror fratri sororive legitima heres est, amita vero et fratris filia legitima heres esse non potest; sororis autem nobis loco est etiam mater aut noverca, quae per in manum conventionem apud patrem nostrum iura filiae nancta est.