Einführung in die neutestamentliche Exegese

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– Fehlerhafte Wortverbindung oder Worttrennung (vor allem wegen der scriptio continua).

– Missverstandene Abkürzungen.

– Einfügen von sekundären Randnotizen (Marginalien) in den Text.

2. Absichtliche Änderungen

– Änderungen in der Orthographie und Grammatik (Änderung des Nominativ nach ἀπό in Apk 1,4).

– Ersetzen altertümlicher oder ungewöhnlicher Wörter.

– Harmonisierung und Angleichung an Parallelstellen (bei den Synoptikern besonders an das Matthäusevangelium; vgl. die Zusätze am Ende des Vaterunsers in Lk 11,4).

– Berichtigung historischer und geographischer Unstimmigkeiten (vgl. Mk 1,2: Ersetzung der teilweise falschen Angabe τῷ Ήσαΐᾳ τῷ προφήτῃ durch τοῖς προφήταις).

– Anfügung von erklärenden und ergänzenden Erweiterungen (= Glossen). So ist z. B. Röm 7,25b als zusammenfassende Folgerung aus 7,1–23 und aufgrund seiner schwierigen Stellung im unmittelbaren Kontext als Glosse anzusehen.

– Änderung aus dogmatischen Erwägungen. So wurde in Joh 7,8 das οὐκ in οὔπω verwandelt, da Jesus in Joh 7,10 doch zum Fest nach Jerusalem hinaufgeht. In Lk 1,3 ergänzen einige altlateinische Handschriften ‚et spiritui sancto‘ zu κἀμοί, um so die ausdrückliche göttliche Billigung der Evangelienabfassung hervorzuheben.

3.5.5 Termini technici der Textkritik


Bilingue=zweisprachige Handschrift
Glosse=Interpolation – sekundärer Einschub
Kodex=Handschrift in Buchform
Konjektur=Änderung der modernen Herausgeber trotz einheitlicher Überlieferung bzw. ohne direkten Anhalt an der Überlieferung
Majuskel=Unziale – mit großen (griech.) Buchstaben geschriebene Handschrift
Minuskel=mit kleinen (griech.) Buchstaben geschriebene Handschrift
Palimpsest=Pergament-Handschrift, deren Beschriftung getilgt und die dann neu beschrieben wurde (z.B. Cod. Ephraemi)
Polyglotte=mehrsprachige Bibelausgabe
Revision=Überprüfung eines Textes anhand anderer Handschriften
Variante=,varia lectio‘ (vl) – abweichende Lesart

3.6 Der Vollzug der Textkritik

Die Textkritik vollzieht sich in einem analytischen und einem interpretativen Schritt:

a) Die Feststellung der äußeren Bezeugung der einzelnen Lesarten (analytischer Schritt)

Dazu müssen zuerst die textkritischen Angaben des Apparates dechiffriert werden. Es gilt festzustellen, welche Handschriften welche Lesart bezeugen und wie diese Bezeugung qualitativ (Alter und Güte der Handschrift) und quantitativ (Umfang der Bezeugung) zu beurteilen ist. Grundsätzlich gilt die Regel: Die bestbezeugte Lesart ist die ursprünglichere.

Um den analytischen Schritt sachgemäß durchführen zu können, sind gute Kenntnisse vom Wert einzelner Handschriften notwendig. Erfahrungsgemäß haben die Studierenden hier Schwierigkeiten, weil sie oft nicht wissen, wo sie sich diese Kenntnisse aneignen können. Über das unter 3.5.2. Gesagte hinaus ist deshalb folgende Lektüre zum äußeren Wert einzelner Handschriften unerlässlich: K. u. B. ALAND, Der Text des Neuen Testaments, 167–171. 342–348; B. M. METZGER, Der Text des Neuen Testaments, 36–66 und A. WIKENHAUSER – J. SCHMID, Einleitung, 79–161.

b) Die Diskussion der inneren Wahrscheinlichkeit einer Lesart (interpretativer Schritt)

Bei diesem Schritt geht es um die Frage, welche Lesart aufgrund innerer Kriterien die ursprünglichere ist. Es muss dabei geklärt werden, wie sich die einzelnen Lesarten in ihrer Entstehung zueinander verhalten, welche sachlichen Gründe für die eine oder andere Lesart sprechen und wie die divergierenden Textfassungen aus der als ursprünglich postulierten Lesart entstehen konnten. Als Grundsatz hat dabei zu gelten, dass die Lesart die ursprünglichere ist, die die Entstehung der anderen Lesarten am besten erklärt.

Für diesen Schritt der Textkritik gibt es zwei bewährte Regeln:

1. Diejenige Lesart ist die ältere, von der sich die übrigen ableiten lassen.

Es ist dann die Lesart aufzuspüren, die den höheren Schwierigkeitsgrad bietet, denn es ist wahrscheinlicher, dass eine schwierige Lesart geglättet und verständlicher gemacht wurde als umgekehrt. Es gilt also die Regel: lectio difficilior probabilior (vgl. J. A. Bengel: ‚Proclivi scriptioni praestat ardua‘). Diese Regel ist natürlich nicht anwendbar, wenn eine Lesart völlig unsinnig ist.

2. Diejenige Lesart ist gewichtiger, die kürzer ist als die anderen; denn es besteht beim Abschreiben eher die Tendenz, eine Textstelle mit Ergänzungen zu versehen als sie zu kürzen. Es gilt also die Regel: lectio brevior potior. Auch hier gibt es Ausnahmen; denn es kommt vor, dass versehentlich Wörter ausgelassen werden.

Die Diskussion der inneren Wahrscheinlichkeit von Lesarten setzt oft ein hohes Maß an exegetischer und theologiegeschichtlicher Kenntnis voraus. Sprachgebrauch und theologische Tendenz des Autors wollen bedacht sein, und häufig muss die theologische Diskussion einer bestimmten Epoche der Kirchengeschichte bekannt sein, um Glättungen und Ergänzungen als solche erkennen zu können.

3.7 Übung

Textkritische Analyse von Mk 7,24 (nach Nestle-Aland28)

1. Variante

Äußere Bezeugung: ’Eκεῖθεν δέ ἀναστάς lesen die Majuskeln 01, B 03, L 019, Δ 037; die Minuskeln 892, 1241, 1424, sowie eine Randlesart der syrischen Harklensis. Dagegen lesen die Majuskeln A 02, K 017, N 022, Γ 036, Θ 038, die Minuskelfamilien 1 und 13; die Minuskeln 28.33.565.700.2542, mit Abweichungen D 05 und 579, der Mehrheitstext sowie die Harklensis καὶ ἐκεῖθεν ἀναστάς. Die Majuskel W 032, die Itala sowie der Sinai-Syrer lesen lediglich καὶ ἀναστάς. Das Lektionar 2211 liest: ἀναστὰς ό κύριος ἡμῶν Ίησοῦς Χριστός.

Kommt den zuletzt genannten Lesarten schon wegen ihrer geringen äußeren Bezeugung nicht als ursprünglicher Text in Frage, so sind die beiden anderen Lesarten von der äußeren Bezeugung her etwa gleichwertig. Für die textkritische Entscheidung müssen somit innere Kriterien hinzugezogen werden.

Innere Bezeugung: Das καί der zweiten Lesart anstelle des bei Mk seltenen δέ könnte man als Paralleleinfluss von Mt 15,21 erklären. Wahrscheinlicher ist aber ein Einfluss von Mk 10,1, wo der Versanfang lautet: καὶ ἐκεῖθεν ἀναστάς. Dies ist um so wahrscheinlicher, als Mk 10,1 über den Anfang des Verses hinaus Parallelen zu 7,24 bietet.

Textkritisches Urteil: Nimmt man einen Einfluss von Mk 10,1 auf Mk 7,24 im Verlauf der Textüberlieferung an, so ist die Lesart ἐκεῖθεν δὲ ἀναστάς als die ursprüngliche anzusehen. Allerdings ist in diesem Fall keine Eindeutigkeit zu erreichen, was sich schon an den unterschiedlichen Entscheidungen von Nestle-Aland27.28 und Huck-Greeven zeigt.

2. Variante

Äußere Bezeugung: Die Lesart τὰ ὅρια wird durch die Majuskeln 01, B 03, D 05, L 019, W 032, Δ 037, Θ 038, die Minuskelfamilien 1 und 13, die Minuskeln 28, 579, 700, 892, 2542, l 2211 sowie den Kirchenvater Origenes bezeugt. Hingegen lesen die Majuskel A 02, K 017, N 022, Γ 036, die Minuskeln 1241, 1424 und der Mehrheitstext τὰ μεθόρια. Schließlich liest die Minuskel 565 τὰ ὅρη.

Die äußere Bezeugung spricht deutlich für die erste Lesart, obgleich die zweite Lesart im Gegensatz zur dritten auch gut bezeugt ist.

Innere Bezeugung: τὰ μεθόρια ist Hapaxlegomenon im NT und zweifellos die schwierigere Lesart. Zudem kann man für τὰ ὅρια Paralleleinfluss aus Mt 15,22 (τῶν ὁρίων) und Mk 10,1 annehmen.

Textkritisches Urteil: Für die Ursprünglichkeit von τὰ ὅρια spricht vor allem die gute äußere Bezeugung. Andererseits sprechen innere Kriterien für τὰ μεθόρια; denn es ist Hapaxlegomenon und ein Einfluss aus Mt 15,22 und Mk 10,1 ist nicht auszuschließen. Das textkritische Urteil hängt somit von der unterschiedlichen Wertung der äußeren und inneren Kriterien ab, was wiederum durch die divergierenden Meinungen von Nestle-Aland27.28 und Huck-Greeven belegt wird.

3. Variante

Äußere Bezeugung: Nach dem Wort Τύρου lesen die Majuskeln 01, A 02, B 03, K 017, N 022, Γ 036, die Minuskelfamilien 1 und 13, die Minuskeln 33, 579, 700, 892, 1241, 1424, 2542, l 2211, der Mehrheitstext, die lateinische Überlieferung, die Peschitta, die Harklensis sowie die koptischen Übersetzungen καὶ Σιδῶνος. Nur Tyrus als Ortsangabe bezeugen hingegen die Majuskeln D 05, L 019, W 032, Δ 037, Θ 038, die Minuskeln 28, 565, die Itala, der Sinai-Syrer und Origenes. Nach der äußeren Bezeugung ist der ersten Lesart eindeutig der Vorzug zu geben.

Innere Bezeugung: Für die sekundäre Hinzufügung von καὶ Σιδῶνος zum ursprünglichen Τύρου spricht einmal, dass Sidon und Tyrus sowohl im Alten Testament (vgl. Jes 23,4; Jer 27,3; 47,4; Joel 13,48; Sach 9,2) als auch im Neuen Testament (Mt 11,21.22; 15,21; Mk 3,8; 7,31; Lk 6,17; 10,13.14) in der Regel zusammen genannt werden und deshalb καὶ Σιδῶνος unter dem Einfluss von Mt 15,21 wahrscheinlich nachträglich hinzugesetzt wurde. Außerdem läge eine Doppelung der Ortsangaben in Mk 7,24 und 7,31 vor, wenn Sidon und Tyrus auch in 7,24 zusammen genannt würden. Schließlich trifft hier die Regel zu, dass die kürzere Lesart die schwierigere ist.

 

Textkritisches Urteil: Obwohl die äußere Bezeugung eindeutig für die Lesart Τύρου καὶ Σιδῶνος spricht, ist καὶ Σιδῶνος als spätere Hinzufügung anzusehen, die unter dem Einfluss von Mt 15,21 in den Text kam.

4. Variante

Äußere Bezeugung: Anstelle des Imperfekts ἤθελεν lesen 01, Δ 037, die Minuskelfamilie 13, die Minuskel 565 sowie Origenes die Aoristform ἠθέλησεν.

Innere Bezeugung: eine inhaltliche Differenz zwischen der Imperfekt- und der Aoristform besteht nicht.

Textkritisches Urteil: Die äußere Bezeugung spricht für die Ursprünglichkeit des Imperfekts ἤθελεν.

5. Variante

Äußere Bezeugung: Die korrekte Aoristbildung ἠδυνήθη wird durch die Majuskeln A 02, D 05, K 017, L 019, N 022, W 032, Γ 036, Δ 037, Θ 038, die Minuskelfamilien 1 und 13, die Minuskeln 28.579.700. 892.1241.1424.2542, das Lektionar 2211 sowie den Mehrheitstext bezeugt. Hingegen findet sich im Sinaiticus und im Vaticanus die singuläre Aoristform ἠδυνάσθη. Die Imperfektbildung ἠδύνατο wird nur durch die Minuskel 565 belegt. Die beiden ersten Lesarten sind gleich gut bezeugt, so dass innere Kriterien herangezogen werden müssen.

Innere Bezeugung: Die im Neuen Testament nur hier zu findende Aoristbildung ἠδυνάσθη ist zweifellos die schwierigere Lesart. Es ist zu vermuten, dass sie in das korrekte ἠδυνήθη geändert wurde.

Textkritisches Urteil: Da ἠδυνάσθη die ‚lectio difficilior‘ darstellt und auch äußerlich gut bezeugt ist, muss es als ursprünglich angesehen werden.

3.8 Aufgabe

Textkritische Analyse von Mk 14,22–25; Lk 22,17–20, 1Kor 11,23–26 sowie Joh 1,1–18 auf der Grundlage von Nestle-Aland28 und Huck-Greeven.

11 Vgl. zur problematischen Methode der Konjektur B. M. Metzger, Der Text des Neuen Testaments, 184–187. – Wer die Begründung einer Konjektur kennenlernen möchte, lese A. v. Harnack, Zwei alte dogmatische Korrekturen im Hebräerbrief, in: Studien zur Geschichte des Neuen Testaments und der alten Kirche I, AKG 19, 1931, 234–252.

12 Der Ausdruck ‚textus receptus‘ geht auf das Vorwort der 1633 erschienenen 2. Auflage der NT-Ausgabe der Familie Elzevier aus Leiden zurück, wo es heißt: »Textum ergo habes, nunc ab omnibus receptum: in quo nihil immutatum aut corruptum damus« (»Du hast nunmehr einen Text, der von allen angenommen ist, in dem wir nichts verändert oder verdorben wiedergeben«).

13 Vgl. zur aufregenden Fundgeschichte Chr. Böttrich, Der Jahrhundertfund, 2011; D. Parker, Der Codex Sinaiticus, 2012.

14 Zu den Einzelheiten der Theorie von Westcott-Hort vgl. B. M. Metzger, a.a.O., 129–138.

15 Vgl. dazu auch A. Wikenhauser – J. Schmid, Einleitung, 170–183.

16 Zur Forschungsgeschichte: R. Kieffer, Au delà des recensions?, CB.NT 3, 1968, 25 ff. – Kritisch zu der Existenz des Cäsarea-Textes äußert sich K. Aland, Bemerkungen zu den gegenwärtigen Möglichkeiten textkritischer Arbeit aus Anlass einer Untersuchung zum Cäsarea-Text der Katholischen Briefe, NTS 17 (1970/71), 1–9.

17 Vgl. K. u. B. Aland, Der Text des Neuen Testaments, 77.

18 Da die 27. Auflage noch von vielen Studierenden benutzt wird und in der 28. Auflage der Text der Evangelien, der Apostelgeschichte und der Paulusbriefe unverändert ist, lege ich hier beide Ausgaben zugrunde.

19 Dazu H. W. Bartsch, Ein neuer textus receptus für das griechische Neue Testament?, NTS 27 (1981), 585–592; Replik von K. Aland, Ein neuer textus receptus für das griechische Neue Testament?, NTS 28 (1982), 145–153.

20 Vgl. dazu die Auflistung der unter M zusammengefassten Handschriften in Nestle-Aland27, 714.

21 Vgl. hier auch D. Trobisch, Die 28. Auflage des Nestle-Aland, 22–33.

22 Zu den Minuskelfamilien f1 und f13 vgl. B. M. Metzger, Text, 61f.

23 Vgl. zu den Lektionaren K. u. B. Aland, Der Text des Neuen Testaments, 172–178; zu den alten Übersetzungen des NT: a.a.O., 181–221.

4. Texttheorie und Methodenabfolge

Die Textkritik ist die grundlegende Voraussetzung aller weiteren methodischen Arbeit, denn sie legt den zu bearbeitenden Text in seinem Wortlaut fest. Der sich anschließenden Abfolge von Methodenschritten liegt eine bestimmte Texttheorie zugrunde24:

Das Urchristentum war eine charismatische Bewegung, in der die Produktion schriftlicher Texte aller Wahrscheinlichkeit nach erst relativ spät einsetzte. So wie die Verkündigung Jesu von Nazareth mündlich erfolgte, wurden auch die Erzählungen über Jesus von Nazareth zunächst mündlich tradiert, bevor Verschriftungsprozesse in einem größeren Umfang einsetzten (Sammlungen thematisch verwandter Stoffe, Logienquelle). Die Paulusbriefe als älteste literarische Dokumente des Urchristentums (geschrieben zwischen 50 und 61 n.Chr.) setzen noch das mündlich verkündigte Evangelium voraus (vgl. 1Kor 15,1ff) und sind nicht programmatischer, sondern, durch die Missionssituation bedingt, aktueller Ausdruck der Schriftlichkeit. Erst mit dem Markusevangelium (um 70 n.Chr.) etabliert sich das Evangelium als schriftliches Phänomen.

Eine sachgemäße Texttheorie wird deshalb berücksichtigen, dass die ntl. Texte nicht nur von einem einmaligen geschichtlichen Geschehen berichten, sondern selbst eine mündliche/schriftliche Geschichte als Texte durchlaufen haben. Hinter den ntl. Texten steht in der Regel ein Prozess, in dem ältere Texte summiert, verdichtet und in einen neuen Erzählzusammenhang überführt wurden. Die Interpretation auf synchroner Ebene und die diachrone Analyse der Vorgeschichte des Textes müssen sich ergänzen, um Werden und Sosein des Textes gleichermaßen zu erfassen. Es gibt keine Autonomie der Texte gegenüber ihrer eigenen Geschichte, sondern Synchronie und Diachronie sollten in ihrer Interdependenz begriffen werden.

Diesem mehrschichtigen Textmodell entspricht eine Methodenabfolge, die nach der Textfeststellung in der Textkritik auf synchroner Ebene einsetzt (Textanalyse) und wieder dort hinführt (Redaktionsgeschichte), nachdem sie die möglichen Phasen der Vorgeschichte eines Textes analysiert hat (Literar-/Quellenkritik, Formgeschichte, Traditionsgeschichte, Begriffs- und Motivgeschichte, religionsgeschichtlicher Vergleich). Auch wenn die synchrone Ebene Ausgangs- und Zielpunkt der Exegese ist, darf die diachrone Analyse nicht als Umweg aufgefasst werden. Vielmehr stellt der Jetzttext immer nur das Endresultat eines Formungsprozesses dar, dessen bestimmende Faktoren analysiert werden müssen, um den vorliegenden Text zu verstehen.


24 Jedes Textmodell beruht auf einer Setzung, durch die Exegese im wissenschaftlichen Diskurs überhaupt kommunikabel wird; vgl. W. Iser, Der Akt des Lesens, 31990, 87: »Textmodelle stellen heuristische Entscheidungen dar. Sie sind nicht die Sache selbst, wohl aber verkörpern sie einen Zugang zu ihr.«

5. Textanalyse

Literatur

BERGER, K., Exegese des Neuen Testaments, 11–32. – EBNER, M. – HEININGER, B., Exegese des Neuen Testaments, 57–131. – EGGER, W., Methodenlehre zum Neuen Testament, 74–146. – MARGUERAT, D., Strukturale Textlektüren des Evangeliums, ThBer 13 (1985), 41–86. – SOWINSKI, B., Textlinguistik, 1983, 51–124. – POWELL, M. A., What is Narrative Criticism?, Minneapolis 1990. – REINMUTH, E. – BULL, K.-M., Proseminar Neues Testament, 11–51.

5.1 Definition

Die Textanalyse hat die Funktion eines methodisch orientierten Einstiegs in die Textwelt, ihr Ziel ist eine grundlegende Textwahrnehmung. Die Textanalyse untersucht die sprachliche Struktur der in der Textkritik rekonstruierten Urfassung eines Textes. Unter Struktur sind die an Regeln gebundenen internen Beziehungen auf syntaktischer, semantischer, narrativer und pragmatischer Ebene zu verstehen, durch die die Teilelemente eines Ganzen organisiert werden. Alle Elemente eines Textes stehen bewusst zueinander in Beziehung, sie wirken durch ihr Ineinander/Zueinander/Nacheinander zusammen und stellen so in unterschiedlicher Weise Kohärenz her. Aus dem Zusammenspiel der einzelnen Elemente eröffnet sich im Akt des Lesens der Sinn des Textes25. Dieser Sinngehalt ist nicht beliebig, sondern durch die planvoll angelegte Textstruktur wird der Leser bei einer gelingenden Kommunikation zu den Einsichten geführt, die der Autor vermitteln möchte.

5.2 Methodische Schritte

5.2.1 Abgrenzung des Textes

Bei der Abgrenzung eines Textes sind der Anfang und das Ende einer Sinneinheit festzulegen. Hierbei sind Zeit- und Ortsangaben, Veränderungen in der Konstellation der Handlungsträger sowie Themenwechsel von besonderer Bedeutung. Beachtung verdienen auch textabschließende Motive (z.B. Abschlussformeln, Akklamationen bei Wundern).

Die traditionelle Kapitel- und Verseinteilung ist sekundär (die moderne Kapiteleinteilung stammt aus dem 13. Jahrhundert, die Verszählung aus dem 16. Jahrhundert) und entspricht teilweise nicht mehr heutigen Erkenntnissen.

Beispiel: Mk 9,1 gehört nicht zur folgenden Verklärungsgeschichte (V. 2–13), sondern ist Abschluss der in Mk 8,34ff beginnenden Jüngerbelehrung.

5.2.2 Kontextanalyse

Nicht nur der Sinn von Wörtern und Sätzen, sondern auch von Teiltexten wird wesentlich durch den Kontext bestimmt. Deshalb ist eine Kontextanalyse erforderlich, die den Zusammenhang des zuvor abgegrenzten Teiltextes mit dem Gesamttext herausarbeitet. Sie soll die Stellung eines Teiltextes innerhalb einer größeren Sinneinheit (Makrokontext) und seiner unmittelbaren Umgebung (Mikrokontext) bestimmen. Diese Platzierung ist keineswegs zufällig, sondern sowohl auf sprachlicher als auch thematischer Ebene Ausdruck einer Handlungsbewegung, durch die der Autor seine Jesusgeschichte präsentiert und vorantreibt.

5.2.3 Sprachlich-syntaktische Analyse

Die sprachlich-syntaktische Analyse erhebt den Wortschatz eines Textes und untersucht die in einem Text vorkommenden Wortarten (Substantiv, Verb, Adjektiv, Pronomen, Präposition, Artikel, Konjunktion), Wortformen (Tempus, Genus, Modus, Numerus, Kasus) sowie deren Verknüpfung nach den Regeln der Grammatik. Es wird beschrieben, wie sich die Wörter, Teilsätze und Sätze zueinander verhalten, wie sie miteinander verknüpft sind und auf welche Weise Kohärenz hergestellt wird (z.B. durch Repetition, Variation, Amplifikation, Substitution, Auslassung, Platzierung von Leitworten, Proformen).

Der Wortschatz eines Textes muss im Verhältnis zum Wortschatz einer Schrift (z.B. Evangelium) bzw. Schriftengruppe (z.B. synoptische Evangelien, gesamtes Neues Testament) ermittelt werden, um so die sprachliche Eigenart des Textes zu bestimmen. Theologische Leitbegriffe, seltene Wörter, Hapaxlegomena oder Vorzugsvokabular lassen gleichermaßen Rückschlüsse auf den Autor und seine Intentionen zu.

Die Häufigkeit und der Einsatz von Wortarten gibt Auskunft über die Dichte der Textstruktur (z.B. liegt eine hohe Dichte bei einem gehäuften Einsatz von verbindenden Präpositionen vor). Auch die Art des Kommunikationsaktes wird wesentlich durch die Wortarten bestimmt (z.B. weist eine Häufung von Verben auf einen Erzähltext, eine Häufung von abstrakten Nomina auf einen argumentativen Text hin). Die Wortformen erzeugen durch die Kongruenz von Kasus, Numerus und Genus Zusammengehörigkeit; der Tempusgebrauch signalisiert nicht nur Zeitstufen, sondern auch Erzählperspektiven (z.B. verschiedene Tempora in erzählenden und argumentativen Texten). Die Verbmodi verweisen auf Aktionsarten, und Pronominalformen (speziell 1. und 2. Pers.) geben Auskunft über die Autor-/Leserkommunikation. Die interne Verknüpfung der Teil- und Einzelsätze erfolgt nach den Regeln der Syntax und muss entschlüsselt werden (z.B. durch die Bestimmung von Subjekt-Prädikat-Objekt usw.). Wichtig ist dabei die Beachtung der Satzanschlüsse, die unterschiedlich eng sein können; neben geläufigen Verknüpfungen gibt es unverbundene Sätze (Asyndeta).

 

Inkongruenzen bei den Wortarten und Wortformen sowie Störungen der Syntax weisen auf mangelnde Kohärenz hin.

5.2.4 Semantische Analyse

Die semantische Analyse erhebt die Bedeutungsebene eines Textes, indem sie die semantischen Beziehungen zwischen den Teilelementen beschreibt und auf Grund von Themen, Oppositionen und Sinnlinien das Sinngefüge des Textes zu erheben sucht. Die semantische Analyse umfasst somit zwei Arbeitsschritte: 1) Ausgehend von der Bedeutung eines Wortes und seiner Aktualisierung im aktuellen Kontext werden bedeutungsverwandte Worte zusammengestellt und die Bedeutungsträger eines Textes bestimmt. 2) Es gilt den Sinngehalt eines Textes zu ermitteln, indem die Sinnlinien (Gruppe bedeutungsverwandter Worte) bestimmt und aufeinander bezogen werden. Semantische Kohärenz liegt vor, wenn die Informationen eines Textes so aufeinander bezogen sind, dass der Leser keine Informationslücke oder keinen Informationsbruch feststellt.

5.2.5 Narrative Analyse

Die narrative Analyse untersucht den Handlungsablauf und die Handlungsträger. Es geht um die Frage, wie und wodurch eine Handlung vorangetrieben wird. Dabei sind die Sprachhandlungen (direkte/indirekte Rede, Fragen, Forderungen, Drohungen usw.) ebenso zu behandeln wie die chronologische Reihenfolge des Geschehens und der Aufbau von Oppositionen. Von besonderer Bedeutung sind Knotenpunkte, aus denen sich Handlungsalternativen ergeben. Die Handlungsstruktur wird wesentlich von Personen als Handlungsträger bestimmt. Es gilt zu analysieren, welche Handlungsträger auftreten und wie sie sich zueinander verhalten.Wer sind die Träger sprachlicher Äußerungen? Kann zwischen Erzählerund Figurenstimmen unterschieden werden? Wer sind die Adressaten? Welche Personen agieren aus welchem Grund zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort? Welche Personenkonstellationen und Netzwerkstrukturen liegen vor? Welche Personen erheben Machtansprüche und wo entstehen Widerstände? Wie wird Plausibilität zwischen Annahmen und Schlussfolgerungen hergestellt (Topik)? Mit Hilfe der Topoi werden Verknüpfungen, Kausalitäten und Hierarchien etabliert. Von besonderem Interesse sind Brüche in der Handlungssequenz (z.B. Unterbrechung einer Handlung durch eine Kommentierung, Inkongruenzen im Verhältnis von Fragen und Antworten, vom Handlungsablauf nicht motivierte Reaktionen von Personen).

5.2.6 Pragmatische Analyse

Die textpragmatische Analyse fragt nach der Kommunikationsabsicht des Textes und untersucht, was mit dem Text bei seinem Adressaten erreicht werden soll. Ausgangspunkt ist dabei die gemeinsame Welt von Autor und Adressaten; es sollen die Informationen herausgearbeitet werden, mit denen der Autor an die Adressaten herantritt, und es gilt festzustellen, mit welchen Mitteln er sie für sich gewinnen will (z.B. durch die Präsentation von Sympathie- bzw. Antipathieträgern im Text). Welche Gefühlsebenen werden angesprochen (Pathos)? Der Autor verfolgt mit seinem Werk eine Wirkabsicht und versucht sie durch Rezeptionssteuerung bei den Adressaten zu realisieren. Die textpragmatische Analyse erhebt die Steuerungselemente, mit denen der Autor auf Seiten der Leser eine persönliche Partizipation herbeiführen will. In den Bereich der Textpragmatik gehört auch die Rhetorik als kommunikative Kunst der Überzeugung. Welche rhetorischen Strategien werden mit welchen rhetorischen Figuren verfolgt? Welche Wissensformen und Weltsichten werden konstituiert, welche Formen von Wirklichkeit und Wahrheit entstehen?

5.2.7 Feststellung der Kohärenz

Die Ergebnisse der bisherigen Analysen werden unter der Fragestellung der Kohärenz des gesamten Textes aufgenommen und ausgewertet. Neben den bereits genannten Kriterien können als generelle Hinweise auf unzureichende Kohärenz gelten:

– unvereinbare Spannungen und Widersprüche

– gegensätzliche Angaben

– störende Doppelungen und Wiederholungen

– unterschiedliche Bezeichnungen für gleiche Personen oder Sachen

– unterschiedlicher Stil- und Sprachgebrauch

– Risse und Brüche im Satz- und Handlungsaufbau

– auffällige inhaltliche Widersprüche

Mangelnde Kohärenz auf den verschiedenen Ebenen kann die Folge einer Aufnahme heterogenen älteren Materials in einen neuen Kontext sein, sie kann auf verschiedene Verfasser hinweisen oder Ausdruck der unzureichenden literarischen Kompetenz eines Autors sein.

5.3 Lernziel

Die Studierenden sollen zu einer sorgfältigen Textuntersuchung befähigt werden, die als Grundlage für alle weiteren Methodenschritte dient.

5.4 Übung

Textanalyse von Mk 9,14–29

Abgrenzung des Textes

Die Geschichte von der Heilung des epileptischen Knaben hebt sich von der vorhergehenden Verklärungsgeschichte (V. 2–8) und dem folgenden Gespräch beim Abstieg vom Verklärungsberg (V. 9–13) durch den Beginn einer neuen Handlung (markiert durch καὶ ἐλθόντες) und eine völlig neue Thematik ab.

Der Neueinsatz in V. 30 wird durch die mit κἀκεῖθεν ἐξελθόντες eingeleitete Ortsveränderung und das wiederum veränderte Thema (2. Leidensankündigung) deutlich.

Kontextstellung

Stehen im ersten Teil des Markusevangeliums (Mk 1,1–8,26: Jesus in und um Galiläa) Heilungen, Dämonenaustreibungen und Wundergeschichten im Mittelpunkt der Darstellung der ‚vita Jesu‘, so ist auffallend, dass sie im zweiten Großabschnitt des Evangeliums (Mk 8,27–10,52: Jesus auf dem Weg nach Jerusalem) fast völlig (Ausnahmen: Mk 9,14–29; 10,46–52) und im dritten Komplex (Mk 11–16,8: Jesus in Jerusalem) gänzlich fehlen. Bereits diese Beobachtung weist auf die exponierte Stellung der Perikope hin. Thematisch ist der 2. Hauptteil des Markusevangeliums durch Jüngerbelehrungen geprägt. Zu beachten ist die Nähe der Perikope zur zweiten Passions- und Auferstehungsvoraussage in Mk 9,31 (vgl. Mk 8,31; 10,32–34). Inhaltlich ist wichtig, dass sowohl in Mk 9, 14–29 als auch in 10,46–52 der Glaube im Mittelpunkt steht.

Sprachlich-syntaktische Analyse

Der Wortschatz des Textes weist einige Besonderheiten auf. Ntl. Hapaxlegomena sind: τρίζω (V. 18); ἀφρίζω (V.18.20); κυλίομαι (V. 20); παιδιόθεν (V. 21); ἐπισυντρέχω (V. 25); συσπαράσσω (V. 20 und die Parallele Lk 9,42). Seltene Wörter sowohl im Neuen Testament als auch im Markusevangelium sind: ἄλαλος, ἀπιστία, σπαράσσω, ἐπιτάσσω, ῥήσσω, βοηθέω. Die Besonderheiten des Wortschatzes konzentrieren sich auf die Schilderung der Krankheit bzw. Heilung, ein deutlicher Hinweis auf den traditionellen Kern der Wundererzählung.

Innerhalb der Wortarten dominieren deutlich Verben, ca. 27 % des Textes bestehen aus Verben. Innerhalb der Verben wiederum herrschen Verben der Bewegung vor (z.B. ἒρχομαι, τρέχω, φέρω, καταλαμβάνω, ῥήσσω, συσπαράσσω, πίπτω, βοηθέω, ἐκβάλλω, κυλίομαι, βάλλω, ἐπισυντρέχω, κρατέω, ἐγείρω, ἀνίσταμαι). Unter den Konjunktionen ist καί bestimmend (27 Belege), nur V. 19.23 und 25 beginnen nicht mit καί. Bei der Darstellung der Krankheit finden sich zahlreiche Adjektive: ἂλαλος, ἂπιστος, δυνατός, ἀκάθαρτος, κωφός. Das Vorherrschen der Verben weist deutlich auf einen Erzähltext hin, außer in der direkten Rede stehen die Verben zumeist in der 1. P. Sg./Pl. oder in der 3. P. Sg./Pl. Die Fragesätze in V. 16.19.21.28, der Vokativ in V. 19, die Imperative in V. 19.22.24.25 und die zehnmalige direkte Rede verleihen der Handlung Lebendigkeit. Das Erzähltempus ist vornehmlich der Aorist, vielfach werden Haupt- und Gliedsätze durch participia conjuncta verbunden.

Semantische Analyse

Die den Text prägenden Themen- und Sinnlinien sind zunächst antithetisch strukturiert, um dann von Jesus aufgehoben zu werden.

Die Aktivität der Menge, das Unvermögen der Jünger und die Macht Jesu stehen sich gegenüber, angezeigt durch die Opposition ‚nicht können‘ – ‚können‘. Während das Versagen der Jünger mit οὐκ ἰσχύειν bezeichnet wird (V. 18), bringt δύναμαι (V. 22.23.28.29) die Macht Jesu bzw. die Macht des Glaubens zum Ausdruck. Damit korrespondiert der theologische Schlüsselbegriff des Textes: πιστεύειν. Auf die Opposition ἂπιστος (V. 19) bzw. ἀπιστία (V. 25) – πιστεύειν (V. 23.24) und ihre Überwindung durch Jesu Handeln läuft die gesamte Erzählung in ihrer vorliegenden Struktur zu. Mit ‚glauben‘ ist das absolute Zutrauen in Jesu Macht gemeint, der Geistträger Jesus von Nazareth (vgl. Mk. 1,9–11) überwindet die menschenquälenden unreinen Geister. In diesem Sinn findet sich πίστις/πιστεύειν im Zusammenhang mit Wundergeschichten auch in Mk 2,5; 4,40; 5,34.36; 10,52. Allerdings ist damit die besondere Konnotation des Glaubensbegriffes in Mk 9,14–29 noch nicht erfasst, denn der paradoxe Charakter der Aussage in Mk 9,24 ist einzigartig. Glaube und Unglaube werden hier nicht wie sonst im Neuen Testament als Gegensätze aufgefasst. Vielmehr entsteht der Glaube bereits dort, wo er als Schrei des Unglaubens laut wird.

Narrative Analyse

Die narrative Struktur des Textes wird wesentlich durch die Interaktionen zwischen der Menge, den Jüngern und Jesus bestimmt. Die Handlung beginnt mit dem Kommen Jesu vom Berg der Verklärung (vgl. Mk 9,2ff) zu den Jüngern, obwohl 3 Jünger unmittelbar vorher mit Jesus zusammen waren (die divergierende Textüberlieferung zu V. 14 ist aus diesem Problem entstanden). Im weiteren Verlauf der Erzählung spielen die als Disputanten der Jünger erwähnten Schriftgelehrten keine Rolle mehr. In V. 15 erfolgt ein Subjektwechsel (ὁ ὄχλος); das Volk schaut nur auf Jesus und entsetzt sich, eine Reaktion, die in der Regel erst nach einem Wunder Jesu berichtet wird (vgl. Mk 1,27; 2,12; 4,41 u.ö.). Die Frage Jesu in V. 16 richtet sich an die Jünger, es antwortet aber einer aus dem Volk (V. 17). In V. 17b ist zum ersten Mal davon die Rede, dass ein kranker Junge zu Jesus gebracht wird. Dieses Bringen wird in V. 19 und V. 20 wiederum erwähnt. Eine erste Krankheitsschilderung des Vaters erfolgt in V. 17c. 18, die auf Epilepsie schließen lässt. In V. 19 fällt auf, dass Jesus auf die Anrede des Vaters den Jüngern mit der Wendung ὦ γενεὰ ἄπιστος antwortet. Formal unterscheidet sich dieser Vers vom unmittelbaren Kontext durch den Vokativ und durch das zweimalige ἓως πότε an Stelle des sonst dominierenden parataktischen καί. Nachdem der Knabe endlich zu Jesus gebracht wurde, demonstriert der Dämon seine Macht, woraufhin sich ab V. 21 ein Dialog zwischen Jesus und dem Vater entwickelt. In V. 22a schildert der Vater zum zweiten Mal die Krankheit seines Sohnes, im Gegensatz zu V. 18 steht dabei nicht das langsame Auszehren des Kranken, sondern die wie in V. 20 auf Vernichtung zielende Attacke des Dämons im Mittelpunkt. V. 22–24b unterbrechen deutlich den Handlungsablauf. In diesem Lehrgespräch über die Macht des Glaubens geht es nicht um die Heilung des Knaben, sondern an der Person des Vaters wird demonstriert, was rechter Glaube ist. In V. 25 wird die Schilderung des Wunders fortgesetzt. Veranlasst durch das Herbeiströmen des Volkes (das seit V. 14 anwesend ist!), bedroht Jesus den Dämon, der daraufhin mit einem letzten Beweis seiner Macht aus dem Knaben ausfährt. Am Ende der Erzählung geht Jesus mit den seit V. 21 nicht mehr erwähnten Jüngern in ein Haus und erteilt ihnen eine Belehrung, dass eine derartige Krankheit nur mit Gebet ausgetrieben werden kann (V. 28.29). Die Verben der Bewegung und die Oppositionen konstituieren einen narrativen Spannungsbogen; vom anfänglichen Unvermögen der Jünger werden die Hörer und Leser zur Macht Jesu und zur Verheißung des Glaubens und des Gebetes geführt.

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