Buch lesen: «Widerstand: Hoffnung, Wandlung und Mut»

Schriftart:


Aus dem amerikanischen Englisch von Alan Tepper


www.hannibal-verlag.de

Über die Autorin

TORI AMOS ist eine Grammy-nominierte Singer/Songwriterin, Pianistin, Komponistin. Sie hat 15 Studioalben veröffentlicht, darunter ihr letztes, Native Invader, welches 2017 erschien.

Impressum

Deutsche Erstausgabe 2020

© 2020 by Hannibal

Hannibal Verlag, ein Imprint der KOCH International GmbH, A-6604 Höfen

www.hannibal-verlag.de

ISBN 978-3-85445-693-3

Auch als Paperback erhältlich mit der ISBN 978-3-85445-692-6

Titel der Originalausgabe: RESISTANCE – A SONGWRITER’S STORY OF HOPE, CHANGE, AND COURAGE

© 2020 by Sword and Stone Publishing, Inc

ISBN Hardcover: First Atria Books 978-1-9821-0415-3

ATRIA Books and colophon are trademarks of Simon & Schuster, Inc., USA

Cover Design © David Gee

Grafischer Satz in deutscher Sprache: Thomas Auer, www.buchsatz.com

Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch: Alan Tepper

Deutsches Lektorat und Korrektorat: Dr. Matthias Auer

Hinweis für den Leser:

Kein Teil dieses Buchs darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, digitale Kopie oder einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet werden.

Der Autor hat sich mit größter Sorgfalt darum bemüht, nur zutreffende Informationen in dieses Buch aufzunehmen. Alle durch dieses Buch berührten Urheberrechte, sonstigen Schutzrechte und in diesem Buch erwähnten oder in Bezug genommenen Rechte hinsichtlich Eigennamen oder der Bezeichnung von Produkten und handelnden Personen stehen deren jeweiligen Inhabern zu.

Inhalt

Einleitung

Bilderstrecke I

Bilderstrecke II

Bilderstrecke III

Danksagung

Referenzen

Das könnte Sie interessieren

widerstand

Für Mary Ellen Copeland Amos

1929–2019

Einleitung

IN MEINEM NEW YORKER Apartment steht eine Skulptur mit dem Titel Auflehnung. Sie stellt eine Frau mit wehendem Haar dar und ist türkisfarben. Sich in Opposition zu etwas zu befinden, bedeutet gleichzeitig, eine Machtposition zu besetzen. Es ist nicht reaktionär. Die Auflehnung kann aktiver Natur sein und die Entstehung von etwas Neuem befördern. Du willst nicht länger mehr die Opferrolle spielen. Du willst eine eigene Überzeugung vertreten.

Um das klarzustellen: Wir leben in einer Zeit der Krise. Einer nie zuvor da gewesenen Krise.

Es scheint, dass wir in jedem nur erdenklichen Bereich mit dunklen Kräften konfrontiert sind, die darauf abzielen, uns zu spalten, als die eine Welt, als Länder, als Menschen, als Künstler und als Schöpfer. Das beschränkt sich nicht auf die politische Sphäre, denn alles ist politisch geworden. Das reicht vom Oval Office, vom Parlament und dem Kreml über Aufnahmestudios und die Label, die sie mit Personal ausstatten, bis hin zu Schulen und Konservatorien, Stadthallen und Hauptstraßen sowie den Ozeanen und ihren Stränden. Diejenigen, die uns zu kontrollieren wünschen, freuen sich, aus jeder sich ihnen bietenden Möglichkeit Nutzen zu ziehen, um unsere Freiheit einzuschränken, unsere Unabhängigkeit, die Vielfalt unseres künstlerischen Ausdrucks und die Bewahrung der Natur.

Jemand wie ich, der seit beinahe 40 Jahren in der Musikindustrie tätig ist, der reiste und vor ganz unterschiedlichen Menschen auftrat, hatte das Privileg, die Geschichten vieler auf der ganzen Welt zu hören. Dadurch hat sich bei mir ein Gefühl dafür entwickelt, wie schrecklich alles geworden ist. Doch gleichzeitig entstand bei mir durch diese Erfahrungen ein noch stärkeres Gefühl für den Widerstand, die Gegenwehr und die Einsicht, wie wir tief in uns die Kapazität nicht nur für die notwendige Resilienz finden, sondern auch für die „Heilung“ und für das erfolgreiche Überstehen dieser wohl schwierigsten aller Zeiten. Die Erkenntnis, wie wichtig die Rolle des Künstlers in einer Gesellschaft ist, wurde mir dadurch plastisch vor Augen geführt. Auf eine bestimmte Art offenbarte sich mir ein Verständnis dessen, welch bedeutsame Rolle der Künstler in unserer Gesellschaft einnimmt – und wie wichtig es ist, dass wir diese Sphäre mit Intelligenz und Leidenschaft verteidigen.

Auf den folgenden Seiten beschreibe ich meine Reise, um die Rolle einer Künstlerin in der Gesellschaft zu untersuchen, einzuschätzen und dann neu zu bewerten. Damit zeige ich uns einen nach vorn gerichteten Weg auf, während wir uns dazu entschließen, den dunklen Mächten zu widerstehen. Den Mächten, die uns unterwerfen wollen, statt uns weiterzubringen, statt dem Besten tief in uns eine Stimme zu verleihen. Es ist eine Aufgabe, um darauf hinzuweisen, dass die Gegenwart tatsächlich ein Jetzt oder nie fordert. Die Aufgabe besteht darin, die Macht der Musen zu erkennen, die stärksten unserer kreativen Impulse, damit wir vielleicht diese aktuelle Krisensituation in eine hoffnungs-, ja verheißungsvolle Zukunft transformieren können.

Begleite mich auf diesem Pfad des Widerstands – dem Pfad der Kunst, die uns befreien wird.

GOLD DUST

Sights and Sounds

pull me back down another year

I WAS HERE

I WAS HERE

Whipping past

the reflecting pool

me and you

skipping school

and we make it up

as we go along

we make it up as we go along

You said –

you raced from Langley –

pulling me underneath

a Cherry Blossom

canopy

– DO I HAVE –

of course I have,

beneath my raincoat,

I have your photographs.

And the sun on your face

I’m freezing that frame


and somewhere Alfie cries

and says

„Enjoy his every smile

you can see in the dark

through the eyes of Laura Mars“

– How did it go so fast –

you’ll say

as we are looking back

and then we’ll

understand

we held Gold Dust in our hands

Sights and Sounds

pull me back down another year

I WAS HERE

I WAS HERE

Gaslights

glow in the street

Twilight held us

in her palm

as we walked along

and we make it up

as we go along

we make it up as we go along


letting names

hang in the air

what color hair

Autumn knowingly

stared

and the day that

she came

I’m freezing that frame

I’m freezing

that frame

and somewhere Alfie smiles

and says

„Enjoy her every cry

you can see in the dark

through the eyes of Laura Mars“

– how did it go so fast –

You’ll say

as we are looking back

and then we’ll understand

we held Gold Dust

in our hands

in our hands

in our hands


„GOLD DUST“ führt mich für gewöhnlich zurück nach Washington, D.C. Der Song bezieht sich auf verschiedene Jahrzehnte.

Die Sechziger, in denen der Film Alfie veröffentlicht wurde, dem Jahrzehnt, in dem ich zur Welt kam.

Die Siebziger, in denen ich während der Regierungszeit der Demokraten die Schule sausen ließ und in den Bars der Stadt Klavier spielte und bei Parteitagspartys.

Die Achtziger, in denen ich immer noch in Piano-Bars spielte, doch nun drei Blocks vom Weißen Haus entfernt, während der Regierungszeit der Republikaner.

Die Neunziger bis in die Gegenwart, wobei der Song verschiedene Schnappschüsse liefert, als ich während zweier Regierungen in D.C. Konzerte gab, im Frieden und im Krieg.

Die Geschichte von „Gold Dust“ begann im Jahr 2000, als ich mit meiner Tochter Tash schwanger war. Das Stück wurde also ungefähr 20 Jahre nach meinen Teenagerjahren geschrieben, einer Zeit, in der ich mich von einem Mädchen in eine junge Frau verwandelte, die in Hotel-Lounges spielte, nur wenige Blocks vom Weißen Haus entfernt. Doch ich benötigte noch weitere 18 Jahre im Anschluss an die Komposition – es war an Tashs 18. Geburtstag –, um die darin verborgenen Momentaufnahmen zu erkennen und das, was sie in meinem damaligen Leben anstoßen wollten.

Während ich Tash beobachtete, die zu einer jungen Frau geworden war, tauchten vor meinem geistigen Auge die deutlichen Erinnerungen an diesen Tag vor 18 Jahren wie in Echtzeit auf. Vor diesem Septembertag 2000 hatte ich einige schwierige Monate erlebt. Wegen meiner gesundheitlichen Probleme riet man uns dazu, unser Haus in Florida zu verlassen und für einige Monate nach D.C. zu ziehen. Da ich eine Risikoschwangerschaft hatte, musste ich der Einschätzung meines Arztes folgen. Und so wurde der Samen von „Gold Dust“ gesät, noch bevor Tash und ich unser Zuhause verließen. Der Song diente gleichzeitig als Portal für den Umzug von Florida nach D.C., und die Stimme meines Teenager-Ichs wies mir den Weg.

Mein früheres Ich nahm meine Hand, während wir auf dem Weg zu den Ärzten die Straßen von Georgetown am Potomac River entlanggingen. Als wir das Lincoln Memorial passierten, meinte es: Wir waren schon einmal hier … Du magst dich vielleicht nicht an alles erinnern, was hier geschah, an das, was wir hörten und sahen. Das ist in Ordnung. Du machst dir Sorgen um die Geburt deiner Tochter. Das kann ich mir gut vorstellen. Dieser Ort wird dir noch vertrauter vorkommen, nachdem ich dich an die Zeit erinnert habe.

Im Laufe der Jahre bin ich meinem Teenage Guide oft begegnet – meist in einem „Wie bin ich nur hierhergekommen?“-Moment – und die Antwort der Musen ist immer die gleiche: Folge den Fäden, die in den „Song-Beings“ eingewebt sind. Sie werden dich dorthin leiten, wohin du gehen musst. Und sei offen gegenüber allen Song-Beings, die zu dir kommen, nicht nur gegenüber denen, die du persönlich vorziehst.

„Gold Dust“ führt mich in der Zeit zurück, wobei mein Teenager-Ich mich leitet, während ich das hier zu Papier bringe.


1977

Als ich 13 Jahre alt war, einige Monate vor meinem 14. Geburtstag, brachte mich mein Vater nach Georgetown, um mich für einen professionellen Job zu bewerben, bei dem ich Klavier spielen und singen wollte. Es ist unumstritten, dass in den Adern meines Vater, Reverend Edison McKinley Amos, schon bald Rev. Dr. E. M. Amos, mehr als nur eine kleine Dosis Mama Rose (die berühmt-berüchtigte Mutter aller Bühnen) pulsierte.

Obwohl er Geistlicher war, stellte er auch eine beharrliche pragmatische Kraft dar, auf die man sich verlassen konnte – besonders, wenn du seine Tochter im Teenager-Alter warst. Ich werde niemals das Resümee meines Lebens vergessen, das er mir predigte, während wir an jenem milden Nachmittag durch Georgetown fuhren. Meine Mutter besuchte Verwandte in North Carolina, und meine älteren Geschwister hatten das Nest schon verlassen. So fuhren also nur wir zwei auf der steinigen Straße der Buße, während mir der gute Reverend meine Erlösung vor Augen führte.


Die Predigt begann, als wir aus der Einfahrt des Pfarrhauses bogen, die im Schatten der Good Shepherd United Methodist Church lag. Man hatte meinen Vater als Hirte dorthin berufen, der seit 1972 über seine Schäfchen wachte. Die persönlich auf mich zugeschnittene Ansprache verlief ungefähr so …

Myra Ellen, wie Jonas im Alten Testament hast du dich geweigert, den göttlichen Plan zu erfüllen, der dir im Alter von zweieinhalb Jahren auferlegt wurde. Man vertraute dir das Talent für die Musik an, noch bevor du sprechen konntest. Der Weg war gewiesen, als man dich als jüngste Musikerin im Alter von fünf Jahren am Peabody Conservatory aufnahm. Gott offenbarte mir eine Vision von dir – ein Konzert gebend, im Alter von 13 Jahren. Doch wie Jonas kehrtest du der dir von Gott aufgezeigten Mission den Rücken. Wegen deiner rebellischen Aufsässigkeit gegenüber den Professoren, der Respektlosigkeit gegenüber klassischer und sakraler Musik und deiner frechen Einstellung wurdest du im Alter von elf Jahren aus dem Konservatorium geworfen. So wie ich es sehe, ertrinkst du nun in einem selbstzerstörerischen Meer der Durchschnittlichkeit. Nach dem Verrat an Gott und seinem Versinken im Meer, verbrachte Jonas drei Tage im Bauche des Wals. Du hast drei Jahre damit verbracht, dein Potenzial zu ignorieren. Und so hat Gott mir aufgetragen, dich nach Georgetown zu bringen, wo er uns zu einem Ort leiten wird, an dem du Musik machen und dein Handwerk erlernen kannst. Es mag gemessen an deinen Fähigkeiten eine kleinere Bühne sein, aber Gott wird sie bereitstellen.

Mein Vater offenbarte seinen Glauben durch die steife, weiße Halskrause, unter der ein Kreuz am Kragenaufschlag angesteckt war, und ich trug ein Kleid meiner Schwester sowie Plateaustiefel. Gemeinsam stellten wir uns in jedem Restaurant und jeder Bar an der M Street vor. Nach vielen Stunden mit Absagen – die Sonne war schon untergegangen –, meinte ich schließlich: „Schau, Dad, danke für deine Hilfe, aber offensichtlich gibt es für uns hier keinen Platz. Können wir nicht einfach nach Hause fahren? Wir müssen ja niemandem was davon erzählen.“ Mit einem gequälten, aber fest entschlossenen Ausdruck in den Augen antwortete er: „Elly, mein Gott wird uns nicht verlassen.“ Bei der offensichtlich allerletzten Bar in Georgetown, Mr. Henry’s in der Wisconsin Avenue, sprach mein Vater einen knallhart aussehenden Typen an der Tür an. Der Kerl bat uns zu warten, während er den Manager holte. Nachdem mein Vater erklärt hatte, dass er hoffe, für mich eine Auftrittsmöglichkeit zu finden, willigte der Besitzer mit Blick auf einen Versuch ein. Wenn ich was tauge, dürfe ich für Trinkgeld spielen.

In der Bar hockten nur männliche Gäste. Ich spielte einige Songs auf dem Klavier, wonach sich die Männer Stücke wünschten und Dollars in den Kognakschwenker legten, den jemand auf das Klavier gestellt hatte. Meist wurden aktuelle Nummern verlangt, mit einer Tendenz zu Musical-Stücken. Wenn ich einen Song nicht kannte, notierte ich mir den Titel und versprach, ihn bei einer möglichen Einladung am nächsten Wochenende zu spielen. Ich wollte ihn lernen und für den Gast aufführen, wenn er wieder erscheine. Nachdem ich mich in meiner neuen Rolle eingelebt hatte, warf ich einen verstohlenen Blick zu meinem Vater. Die weiße steife Halskrause war ein wahrer Eisbrecher, da die Gäste zuerst annahmen, er trage ein Kostüm. Als sich die Nachricht verbreitete, dass er tatsächlich Prediger und ich seine Tochter sei, machte sich Neugierde breit. Man vermutete eine Notlage und gab uns ernst gemeinte Ratschläge. Einige der Männer sahen wie Holzfäller aus, andere wie John Travolta in Saturday Night Fever und manche wie Diakone in einer Kirche oder Kongressabgeordnete, die man sich im Fernsehen anschaute. Nachdem ich einige Stunden gespielt hatte, freuten sich Dad und ich darüber, dass man uns für den folgenden Freitagabend einlud.

Wir erlebten Mr. Henry’s nicht als einen „Sündenpfuhl voller Abtrünniger“, wie ihn manche von Dads Gemeindemitgliedern abwertend nannten. Als einige von der Schwulenbar erfuhren, in der man uns eine Chance gegeben hatte, warnten uns die guten Christen, dass wir gemeinsam mit den Homosexuellen in den feurigen Strömen der Hölle verbrennen würden. Ich fühlte mich richtig stolz wegen der Antwort, die mein Vater dem Pöbel daraufhin gab: „Es gibt keinen sichereren Platz für ein 13-jähriges Mädchen als in einer Schwulenbar.“ Amen, Dad.

DEVILS AND GODS

Devils and Gods

now that’s an idea

But if we believe

that it’s they who decide

that’s the ultimate

detractor of crime

’cause Devils and Gods

they are you and I

Devils and Gods

they are you and I

Devils and Gods

safe and inside


1979–1980

Das Publikum hatte sich verändert.

Meine Rolle als Happy-Hour-Pianistin sollte nur noch einen schnellen Handschlag untermalen, also einen Vertragsabschluss. Das Management machte mir unmissverständlich klar, dass es nicht mein Job sei, die arbeitenden Besucher abzulenken. Die Lounge war im Grunde genommen ein zweites Büro außerhalb des Büros und kein Ort für eine Chanteuse, um ein Abendprogramm zu singen, damit sich die Zuhörer weniger einsam fühlten. Das war für die After-Hours-Setlist reserviert, wenn man die Lautstärke des kleinen Amps hochfahren durfte und der Job darin bestand, den Gästen Gesellschaft zu bieten, während sie ihren Schlummertrunk zu sich nahmen.

Zur Happy Hour schmiedete man hingegen Deals. Obwohl ich die Details nicht erfuhr, war mir bewusst, Zeuge von etwas Geheimnisvoll-Dunklem zu sein, das dort vor sich ging. Zeuge eines Krieges von Ideen, die man durchsetzen wollte. Irgendwo zwischen „As Time Goes By“ und „Mean To Me“, einer Überblendung zu „Send In the Clowns“, gefolgt von „Don’t Cry For Me, Argentina“ bis hin zu „My Way“ wurden strategische Manöver von Vertretern der Politik durchgespielt, Lobbyisten und Beratern der großen Firmen und der Ölbranche sowie von Bankern, die eine Dividende von ihrem Investment in einen Politiker erwarteten.

Natürlich fanden sich auch Intellektuelle ein, die man leicht erkannte. Einige von ihnen wurden von der Macht und dem Geld hinter den Think Tanks und den Stiftungen angelockt, die schneller aus dem Boden schossen als Feuerameisen-Kolonien in Florida. Wirtschaftliche Kriegszentralen, getarnt als Büros, wurden an und in Nähe der K Street hochgezogen. Das Establishment, für das ich spielte, verbot der Belegschaft, die Meinungen der Gäste infrage zu stellen. Die Kellner warnten uns, dass die Manager nach Rebellen in unseren Reihen Ausschau hielten.

Niemand lachte oder zuckte mit der Wimper, wenn das Piano mit „Smoke Gets In Your Eyes“ den immer dichter werdenden Rauch von Zigaretten oder Zigarren durchdrang. Keine Sorge, Sir: Ich werde gegenüber keinem ihrer Gäste ein Sterbenswörtchen über „Big Oil“ verlieren.

Doch Teenager werden immer Teenager sein. Während des späten Nachmittags, wenn man von mir verlangte, den Geschäftemachern keine störende Musik zu servieren, konnte ich mich nicht zurückhalten, eine Variation des Themas von Rickie Lee Jones’ „Last Chance Texaco“ aufzutischen. (Das machte leider niemanden schlauer. Ich kannte mein Publikum.) Als Jones das Stück 1976 auf den Markt brachte, war es keineswegs kämpferisch ausgerichtet, doch Songs können eine ganz eigene Bedeutung entwickeln, und so stellte es meinen stillen Protest dar – zur Untermalung der Champagner-Toasts der Lobbyisten des „Big Oil“.

Während der damaligen Zeit entwickelten sich delikate politische Diskussionen, die einige der dringendsten kulturellen Konflikte des Landes betrafen. Im Alter von 17 Jahren spielte ich an einer Brutstätte des konservativen Denkens auf seinem Weg zur Macht.

Einer meiner Bosse meinte zu mir: „Die ganze Szene hier ist so sexy, wie es nur geht.“

Doch für mich sahen die alle alt aus: „Ich kann nur Rauch riechen“, lautete meine Antwort.

Er entgegnete: „Und ich rieche nur das Geld.“

Die Reise einer jungen Künstlerin besteht aus mehreren Komponenten. Darunter ist nicht zuletzt die Art und Weise, wie sie ältere Menschen sieht, wenn Themen wie Moral und Verantwortung zur Sprache kommen. Es war kein Zufall, dass ein Vater wie meiner – der christliche Konventionen beiseiteschob, die mich aufgehalten hätten, eine schwule Klientel zu unterhalten oder bei Veranstaltungen aufzutreten, bei denen ich mein Klavierspiel mit unterschiedlichsten Gäste teilte – mich letztendlich zu einem Job führte, bei dem ich die Interaktionen von Menschen mit großem Einfluss beobachten konnte.

Ähnlich wie eine Schwulenbar der sicherste Ort für ein 13-jähriges Mädchen schien, war eine Hotelbar in der Nähe des Weißen Hauses der aufschlussreichste Ort für eine junge Frau im Teenager-Alter. Hier wurde man Zeuge der Schiebereien und der Geschäfte angeblich moralischer Männer, von denen einige das Fundament für eine kompromittierte Zukunft legten.

LITTLE EARTHQUAKES

Yellow Bird flying get shot in the wing

good year for hunters and Christmas parties

and I hate

and I hate

and I hate

elevator music

the way we fight

the way I’m left here silent

oh these little earthquakes

here we go again

these little earthquakes

doesn’t take much to rip us into pieces

we danced in graveyards with vampires till dawn

we laughed in the faces of kings never afraid to burn

and I hate

and I hate

and I hate

disintegration

watching us wither

black winged roses that safely changed their color


I can’t reach you

though I feel you in my head

I can’t reach you

though I know you’re in my head

I can’t reach you

I can’t

reach

you

give me life give me pain give me myself again

give me life give me pain give me myself again

give me life give me pain give me myself again

give me life give me pain give me myself again

these little earthquakes

here we go again

these little earthquakes

doesn’t take much to rip us into pieces


EINE LANGE ZEIT ÜBER mochte ich es ganz und gar nicht, dass sich mir bestimmte Songs erst dann zeigten, wenn sie mir vertrauten – also erst, wenn ich dazu bereit war, sie zu meistern. Einige fordern von mir die Bereitschaft, das Thema so lange zu recherchieren, bis ich zum Kern vorgedrungen bin. Andere wollen erst dann mit mir arbeiten, wenn ich die Emotionen selbst durchlebt habe, für die sie stehen und die sie offenlegen. Die Belastung des Verstehens und die damit verbundenen Konflikte können schwierig werden. Die Wunden mögen tief sein – und sie waren es sicherlich beim Schreiben von „Little Earthquakes“.

Ich habe das Stück bei vielen meiner Konzerte aufgeführt – als Antwort auf Konflikte, um mir über meine Rolle dabei klarzuwerden oder meine Reaktionen, egal wie schmerzhaft sie gewesen sein mögen. Auseinandersetzungen bringen so viele Emotionen ans Tageslicht, und einige haben sich in meiner Perspektive bislang im toten Winkel versteckt. Sich mit diesen Gefühlen zu konfrontieren, kann zu einer Herausforderung werden.

Im Laufe der Jahre wurde „Little Eartquakes“ oft gewünscht, um kollektive Traumata zu verarbeiten. 2017 wurde das Stück während der Native Invader-Tour nachgefragt, um den Schock der Präsidentschaft von Trump zu verarbeiten. In der Geschichte gibt es wichtige Momente, die sich mit unserem Leben kreuzen, und manchmal ist die Einschätzung schwierig, wie sie sich im weiteren Verlauf auswirken und wie sie in unserem Leben widerhallen.

Es gibt Geschehnisse, deren Niederschlag große Auswirkungen nach sich ziehen.


Menschen, die ich zu kennen glaubte, verwandelten sich zwischen dem 4. November 1979 und dem 20. Januar 1981 vor meinen Augen. Die Bilder von Amerikanern mit verbundenen Augen, die als Geiseln in Teheran festgehalten wurden, erschütterten die Grundpfeiler der Nation.

Ursprünglich gab es einen wahren Strom an Unterstützung für Jimmy Carter in Amerika. Mein Vater sagte damals immer: „Jimmy Carter hat meine Stimme bekommen und wird sie auch weiterhin bekommen, egal, was auch geschieht, denn er trägt sein Herz am rechten Fleck, und er ist ein guter Mensch.“ Dennoch: Die Meinung, welches Spektrum an Fähigkeiten ein Präsident braucht, um eine Nation in einer Krise anzuführen, und die emotionale Grundstimmung einer Gesellschaft können sich ändern. Mit dem Fernsehen, das unsere täglichen Gefühle dirigierte, entwickelte sich eine nationale Besessenheit hinsichtlich der Geiseln, schon kurz nach ihrer Gefangennahme. Sie wurden von einer Personengruppe gefangen genommen, die sich als „Muslim Student Followers of the Imam’s Line“ bezeichnete, als sie die amerikanische Botschaft in Teheran besetzte.

Sie gehörten zu den Unterstützern von Ayatollah Khomeini, einem der führenden Imame der Islamischen Revolution im Iran. Früher in dem Jahr, im Januar, erlangten diese Studenten große Zustimmung und verspürten einen enormen Aufwind aufgrund des Sturzes und des darauffolgenden Exils des Schahs – Kopf der prowestlichen, autoritären persischen Monarchie, unterstützt von den Vereinigten Staaten.

Im Vorfeld der Gefangennahme der Amerikaner hatten die Studenten die Auslieferung des Schahs gefordert, um diesen vor Gericht wegen der Verbrechen an seinen Untertanen anzuklagen. Jahrzehntelang hatte die SAVAK, die brutale Geheimpolizei des Iran, Tausende von Oppositionellen und Kritikern des Schahs zum Schweigen gebracht, indem sie Jagd auf sie machte und exekutierte.

Im Oktober 1979 steckte Jimmy Carter in einer Zwickmühle. Monatelang hatten Freunde des Schahs, darunter prominente Republikaner, einige Demokraten und Strippenzieher der großen Unternehmen, großen Druck auf die Carter-Regierung ausgeübt, damit diese dem Schah einen sicheren Hafen in den USA bot. Nachdem bekannt wurde, dass bei ihm eine Krebsbehandlung nötig sei, erhöhte sich der Druck weiter. Einige meinten, dass es eine Schande sei, ihn nicht aufzunehmen. Dennoch verfasste ein Mitarbeiter des US-Außenministeriums eine Liste schrecklicher Konsequenzen, die im Bereich des Möglichen seien, wenn sie sich dazu entschließen würde. Sprach Carter diese Befürchtungen aus? Fragte er die Leute, die Druck auf ihn ausübten, was geschehen könne, wenn der Iran negativ reagiere? Erkundigte er sich nach ihrer möglichen Vorgehensweise, falls die Beamten des Außenministeriums gefangen genommen und als Geiseln festgehalten würden? Thematisierte er politische Gegenmaßnahmen? War die Antwort Totenstille?

Carter gab nach. Am 22. Oktober wurde dem abgesetzten Schah Asyl gewährt, um sich einer medizinischen Behandlung in den USA zu unterziehen. Ayatollah Khomeini antwortete darauf: „Die Vereinigen Staaten, die dem korrupten Aussatz Unterschlupf gewährten, werden von uns auf vielen Wegen zur Rechenschaft gezogen werden.“

Die schreckliche Notlage der Geiseln drang in unser tägliches Leben ein, wurde zu einem Teil des Daseins. ABC begann mit der Ausstrahlung einer allabendlichen Serie mit dem Titel: America Held Hostage: The Iran Crisis. Als die Tage zu Wochen wurden, erfuhr das Land durch Zeitungen und nächtliche Nachrichtenzusammenfassungen alles über die Gefangenen und ihre Familien. Die sich aufdrängenden Frage waren unerbittlich: Wie lange können sie aushalten, ohne schwerwiegenden psychischen und physischen Schaden zu erleiden? Werden sie gefoltert? Schnell zeigte sich, dass die Menschen hier die Geiseln als einen Teil des eigenen Ichs empfanden.

Jeden Abend sahen die Leute im ganzen Land das Verbrennen amerikanischer Flaggen und hörten Demonstranten „Tod den USA!“ rufen oder die Schreie „Versteck der Spione!“, die aus der besetzten US-Botschaft drangen. Die Leute benutzten einen neuen Begriff, um ihre Reaktionen darauf zu beschreiben: „IRAGE“. Die Auswirkungen der Bilder auf unser Land – ein Land, das nach dem verlorenen Vietnam-Krieg auf militärische Interventionen geradezu allergisch reagierte, allergisch auch auf aggressive Tänze um die amerikanische Flagge herum – markierte einen tiefgreifenden und emotionalen Wandel. Die Nation schloss sich zusammen, um die amerikanischen Geiseln nach Hause zu bringen. Ende März, zu Beginn der Frühlings, erinnerten uns gelbe Bändchen, die an Astzweigen flatterten, an einen weiteren Tag, an dem die Amerikaner gegen ihren Willen festgehalten wurden. Jeder Pianist in Washington erhielt zu dieser Zeit endlose Wünsche nach einer Version von „Tie A Yellow Ribbon Round The Old Oak Tree“.

Doch dann geschah das Unvorstellbare.

Die Raubvögel zogen ihre Kreise.

Sogar von meinem Platz auf dem Klavierhocker aus hörte ich ihre Schreie nach dem Blut der Demokraten. Die Operation Eagle Claw verfehlte nicht nur das Ziel der Geiselbefreiung, sondern forderte auch das Leben von acht Kommando-Soldaten in der iranischen Wüste. Sie fand am 24. April 1980 statt mit dem Ziel, die 53 Geiseln zu befreien. Die meisten wurden auf dem Botschaftsgelände festgehalten, einige im Gebäude des Außenministeriums oder an einem anderen Ort. An der Mission waren Mitglieder von vier verschiedenen Einsatzkommandos beteiligt, darunter Soldaten der Delta Force und des 1st Battalion 75th Ranger Regiment, dessen Mitglieder und die einzelnen Einheiten sich rund um den Globus verteilten.

Das U.S. Special Operations Command existierte noch nicht. Es wurde erst am 16. April 1987 vom Verteidigungsministerium aktiviert. Unter der Leitung des Präsidenten, des Verteidigungsministers, der verschiedenen Befehlshaber und des nationalen Sicherheitsberaters stellte man eine Task Force zur Planung und Durchführung der Mission zusammen.

Der Einsatz war höchst komplex und ließ kaum Raum für einen Fehler. Das erste Ziel der 132 Army Ranger der Delta Force, der sechs C-130 Hercules Transportflugzeuge mit Bewaffnung (Codenamen: Republics) und der acht RH-53D Sea-Stallion-Helikopter (Codename: Bluebeards) lag in der Wüste Dasht-e Kavir im Iran, genannt Desert One.

Nach relativ kurzer Zeit sahen sich die Rettungskräfte von Eagle Claw mit einer Katastrophe konfrontiert. Nach dem technischen Versagen von drei der acht Bluebeards entschlossen sich die Kommandierenden, den Einsatz abzubrechen, da nur fünf Hubschrauber für den nächsten Teil der Mission zur Verfügung standen. Doch der Albtraum begann erst.

Für den Fall eines Abbruchs der Desert-One-Evakuierung hatte niemand Ersatzmanöver trainiert. Um den Abflug einer C-130 zu ermöglichen, musste Bluebeard 3 seine Position ändern. Doch der Pilot konnte den Standort der unter ihm befindlichen C-130 nicht erkennen, weil der durch die Rotorblätter aufgewirbelte Staub die Sicht behinderte. Er musste sich auf die Anweisungen eines Flugnavigators am Boden verlassen, der sich – um seine Augen vor dem stechenden Sand zu schützen – unter den Flügel der C-130 gestellt hatte. Dann geschah das Unglück.

Die Rotorblätter von Bluebeard 3 durchschlugen die C-130, die große Mengen Kraftstoff transportierte. Der Kraftstoff und die Munition explodierten, wodurch viele Männer im hinteren Teil der Maschine in der Falle saßen. Andere sprangen aus dem einzigen Ausstieg, der nicht durch Explosionen und Feuerbälle versperrt war. Viele wurden verletzt. Acht kamen ums Leben.

€9,99