Werde besser!

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Aus der Reihe: Dein Business
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Sich auf die konkrete Situation einstellen

Wenn Sie Ihre Glaubwürdigkeit stärken wollen, müssen Sie sich auf neue Situationen und Menschen einstellen. Angenommen, Sie haben eine Chefin, für die eine konstante und häufige Kommunikation das Markenzeichen von Glaubwürdigkeit ist. Dann gewinnen Sie ihr Vertrauen, indem Sie jede Woche einen Bericht erstellen und zu Besprechungen immer bestens vorbereitet und mit einer durchdachten Tagesordnung erscheinen. Weil es Ihrer Vorgesetzten sehr wichtig ist, aktiv am Entscheidungsprozess beteiligt zu sein, legen Sie ihr verschiedene Optionen vor und treffen die abschließende Entscheidung gemeinsam mit ihr. Das funktioniert sehr gut.

Dann wechseln Sie die Stelle.

Ihr neuer Chef definiert Glaubwürdigkeit ganz anders: Er gibt Ihnen ein Ziel vor und überlässt es dann Ihnen, wie Sie die angestrebten Ergebnisse erreichen. Von Ihnen erwartet er, dass Sie sich nur beim ihm melden, wenn Sie auf ein Hindernis stoßen. Er möchte nicht, dass Sie ihn einfach nur auf dem Laufenden halten oder ihn in alle Entscheidungen einbeziehen. Jetzt kann das so lange von Ihnen erfolgreich praktizierte Verhalten, bei dem es um regelmäßige Kommunikation ging, auf einmal Ihre Glaubwürdigkeit untergraben. Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig es ist, dass Sie die aktuelle Lage genau beobachten und Ihr Handeln danach ausrichten. Dieses Verhalten wird oft auch als Situationsbewusstsein oder Situation Awareness bezeichnet.

Ich weiß noch, wie ich mit einer talentierten Kundenbetreuerin zusammenarbeitete, der es sehr schwerfiel, sich auf veränderte Situationen einzustellen. Sie kam in unser Team, nachdem sie ihr eigenes Unternehmen viele Jahre erfolgreich geführt hatte. Es gelang ihr, innerhalb kürzester Zeit einige sehr lukrative Aufträge an Land zu ziehen. Sie war im Umgang mit Kunden sehr erfahren und genoss eine hohe Glaubwürdigkeit.

Als ich die Information bekam, dass wir eine Vertriebsleiterstelle neu zu besetzen hatten, dachte ich sofort an sie. Im Laufe des Auswahlverfahrens zeigte sich, dass ihre Verkaufsfähigkeiten wirklich herausragend waren. Sie schien die ideale Kandidatin zu sein. Bei näherer Betrachtung stellte sich allerdings heraus, dass ihre Kollegen und ihr Chef sie etwas kritischer sahen. Sie konnte tatsächlich bessere Zahlen vorweisen als fast alle Verkäufer aus ihrer Region. Dennoch gaben ihr die Leute, mit denen sie direkt zusammenarbeitete, keine allzu guten Noten. Sie beklagten sich über die herablassenden Bemerkungen, die sie häufig von ihr zu hören bekamen. Zudem äußerten sie ihren Frust darüber, dass sie andere oft zur Eile antrieb. Denn das machte sie nicht aus Zeitnot, sondern nur, um anderen ihren Terminplan aufzudrängen.

In diversen Gesprächen, die ich mit ihr und ihren Kollegen führte, kam dann ein Muster zum Vorschein: Sie war eine großartige Verkäuferin. Aber sie kam nicht gut mit den Leuten zurecht, mit denen sie im Alltag zusammenarbeiten musste. Schließlich bat mich ihr Vorgesetzter, die Beförderung erst einmal auszusetzen. Als ich ihr das mitteilte, war sie bitter enttäuscht. Sie meinte, dass ihr noch nie jemand gesagt hätte, dass sie ein Glaubwürdigkeitsproblem hätte. Zudem betonte sie, dass sie viele Jahre lang ihr eigenes Unternehmen erfolgreich geführt hatte. Doch genau da lag der Schlüssel für ihr Problem: Die talentierte Verkäuferin hatte sich ihre Glaubwürdigkeit als Einzelkämpferin erworben. Aber die neue Situation erforderte die Zusammenarbeit mit einem größeren Team. Plötzlich musste sie sich auf andere Zeitpläne, Kompetenzen, Persönlichkeiten und Prioritäten einstellen. Das fiel ihr offensichtlich schwer. Sie war so sehr auf ihre eigene Agenda fokussiert, dass sie dabei das Team komplett aus den Augen verlor. Darunter litt ihre Glaubwürdigkeit – und das kostete sie am Ende die Beförderung.

Wir alle zahlen einen Preis, wenn wir unsere Glaubwürdigkeit verlieren. So groß die Versuchung auch sein mag, das Handtuch zu werfen: Es lohnt sich, am Ball zu bleiben und die eigene Glaubwürdigkeit durch konsequentes Verhalten wiederherzustellen – selbst wenn sie stark in Mitleidenschaft gezogen wurde. An diesem Punkt frage ich mich, ob der Mechaniker, bei dem Chelsea zuerst war, das am Ende wohl begriffen hat?


Chelsea beherzigte den Rat des zweiten Mechanikers und sparte so fast 800 Dollar. Außerdem rief sie die Werkstatt an, bei der sie zuerst gewesen war. Hier sagte sie nicht nur den Termin ab, sondern brachte auch ihre Enttäuschung sehr klar zum Ausdruck.

»Dürfte ich wohl mal mit dem Manager sprechen?«, fragte sie.

»Er ist gerade nicht da. Kann ich Ihnen vielleicht helfen?« Chelsea erkannte die Stimme des Mechanikers, der versucht hatte, ihr unnötige Reifen für knapp 1000 Dollar zu verkaufen.

»Es gibt da eine Sache«, erwiderte sie. »Gestern war ich hier mit einem kaputten Reifen. Sie sagten mir, dass ich einen kompletten neuen Reifensatz brauche.«

»Ja, ich erinnere mich.«

»Also, ich will Ihnen dazu ein Feedback geben: Ich bin zu einer anderen Werkstatt gefahren. Hier stellte sich nicht nur heraus, dass Sie das Profil falsch gemessen haben, sondern dass es auch nicht nötig ist, einen komplett neuen Reifensatz zu kaufen. Am Ende habe ich nur einen Reifen gekauft und das Profil an die übrigen drei Reifen anpassen lassen. Ich wollte nur, dass Sie wissen, dass es sich für mich anfühlt, als wollten Sie mich über den Tisch ziehen. Ich hoffe sehr, dass das nicht stimmt.«

Chelsea erzählte mir später, dass sie in diesem Moment erwartet hatte, dass der Mechaniker entweder auflegen oder aber mit Beschimpfungen reagieren würde.

Doch stattdessen sagte er: »Es tut mir leid. Wie kann ich das wieder gutmachen? Was kann ich für Sie tun?«

»Ehrlich gesagt – gar nichts«, antwortete Chelsea. »Aber danke, dass Sie mir zugehört haben.«

Sobald Sie Ihren Ruf oder Ihre Glaubwürdigkeit bei jemandem verspielt haben, kann der Weg zurück sehr steinig sein. Sie werden Ihre Glaubwürdigkeit nicht von jetzt auf gleich zurückgewinnen. Chelsea hatte keine Mühe, einen anderen Reifenanbieter zu finden. Wenn es aber um Beziehungen geht, lassen sich Menschen nicht so leicht ersetzen. Haben Sie Ihre Glaubwürdigkeit bei jemandem eingebüßt? Oder haben Sie im Hinblick auf Ihren Charakter und Ihre Kompetenz noch Steigerungspotenzial? Dann sollten Sie noch heute damit beginnen, sich glaubwürdiger zu verhalten.

Übung zur 3. Strategie
Verhalten Sie sich glaubwürdig

Wie steigern Sie durch Ihr Verhalten Ihre Glaubwürdigkeit?

1.Stellen Sie sich eine konkrete Situation vor, in der Sie Ihre Glaubwürdigkeit erhöhen wollen.


2.Denken Sie an zwei oder drei Personen, deren Vertrauen Sie gewinnen sollten, um glaubwürdig zu sein.


3.Gehen Sie die Eigenschaften unter Punkt 4 durch. Überlegen Sie, worauf die Personen, bei denen Sie Ihre Glaubwürdigkeit steigern wollen, besonderen Wert legen. Ergänzen Sie weitere Eigenschaften, die wichtig für die Verbesserung Ihrer Glaubwürdigkeit sein könnten.

4.Von 1 bis 10: Kreuzen Sie bei jeder Eigenschaft an, wie die betreffenden Personen Sie darin wohl bewerten würden. Und noch ein Tipp, damit Sie den Überblick behalten: Arbeiten Sie mit bunten Stiften und verwenden Sie für jede Person eine eigene Farbe.


Bitten Sie die betreffenden Personen um Feedback. Fragen Sie, wie Sie Ihre Glaubwürdigkeit in allen Kategorien verbessern können, in denen Sie sich weniger als neun Punkte gegeben haben.


4. Strategie
Werden Sie Ihren Rollen gerecht

Hatten Sie schon mal den Eindruck, dass Sie sich den Erfolg in einem Bereich Ihres Lebens zulasten eines anderen erkauft haben?

Dann ist unsere 4. Strategie vielleicht etwas für Sie:

Werden Sie Ihren Rollen gerecht.

Solange Sie Ihren Rollen nicht gerecht werden, fühlt sich Ihr »Raum« möglicherweise wie Sartres Hölle an, weil …

• Sie sich ständig überfordert und unausgeglichen fühlen.

• Sie eine wichtige Rolle so sehr vernachlässigen, dass die eine oder andere Beziehung darunter leidet.

• Sie das Gefühl haben, dass Ihnen das Leben keine echte Erfüllung bringt.

 

Vor einigen Jahren machte eine gute Bekannte von mir eine schlimme Scheidung durch. Ihr Mann hatte sie mit einem Berg von Schulden sitzenlassen, die er bei Leuten aus dem gemeinsamen Bekanntenkreis gemacht hatte. Plötzlich war Rachel alleinerziehende Mutter. Sie musste zusehen, wie sie sich und die beiden heranwachsenden Töchter irgendwie über die Runden bringen konnte. Ihr Vater riet ihr, Privatinsolvenz anzumelden. Doch Rachel lag sehr viel daran, den finanziellen Verpflichtungen gegenüber ihren Freunden und Bekannten nachzukommen. Um genügend Geld aufzubringen, arbeitete sie fast rund um die Uhr und opferte ihre gesamte Freizeit. Sie verließ das Haus morgens schon vor sieben Uhr, nachdem ihre Töchter zur Schule gegangen waren. Abends kam sie selten vor 19 Uhr zurück. Nach einer schnellen Mahlzeit und einem kurzen Plausch mit den Kindern arbeitete sie bis spät in die Nacht weiter. Um ihre Mutter finanziell zu unterstützen, nahmen Rachels Töchter Mini-Jobs in einem nahegelegenen Schnellrestaurant an. Nach ein paar Jahren fühlte Rachel sich total ausgelaugt. Zudem machte es ihr immer mehr zu schaffen, dass sie wichtige Ereignisse im Leben ihrer Töchter verpasste.

Eines Sonntagabends bereitete Rachel sich auf die nächste aufreibende Woche vor. Schlagartig wurde ihr klar, dass sie irgendwo zurückstecken musste. Sie sagte ihren Töchtern, dass sie einige Jobs aufgeben und die Rückzahlung ihrer Schulden neu regeln wollte, damit sie in Zukunft um halb sechs zum Abendessen zu Hause sein konnte. Doch eine ihrer Töchter erwiderte: »Es ist egal, wann du heimkommst, Mama. Auch wenn du hier bist, bist du ja nicht wirklich bei uns.«


Mir fällt auf Anhieb niemand ein, der sich nicht schwer damit tut, alle wichtigen Rollen, die er im Leben spielt, unter einen Hut zu bekommen. Aber ich kenne viele Menschen, die den bewussten Entschluss fassen, ihre wichtigsten Rollen zu definieren und darauf zu achten, welchen Beitrag sie in jeder dieser Rollen leisten wollen. Das führt dazu, dass sie sich ausgeglichener fühlen, mehr Sinn im Leben sehen und wesentlich erfüllendere Beziehungen führen.

Wenn ich im Zusammenhang mit unseren Rollen von »spielen« spreche, meine ich damit nicht, dass wir anderen etwas vormachen oder uns an ein vorgegebenes Skript halten. Im Gegenteil: Indem wir eine Rolle spielen, drücken wir durch das, was wir sagen und tun, unser wahres Ich und unser innerstes Wertesystem aus. Selbst wenn Schauspieler eine fiktive Rolle spielen, können sie ihr Publikum nur dann wirklich überzeugen, wenn sie einen Teil von sich selbst einbringen. Das habe ich vor Kurzem wieder erlebt, als ich eines meiner liebsten Theaterstücke besucht habe und ein Kritiker der Hauptdarstellerin fünf Sterne gab. Er meinte: »Sie verkörperte in authentischer Weise die wichtigsten Qualitäten des von ihr dargestellten Charakters.«

Natürlich sind die meisten von uns keine professionellen Schauspieler. Dennoch kann die Metapher vom Schauspieler und der Bühne uns bei der Bewertung helfen, wie gut wir unsere Rollen spielen. William Shakespeare schrieb bekanntlich: »Die ganze Welt ist Bühne und alle Fraun und Männer bloße Spieler. Sie treten auf und gehen wieder ab. Sein Leben lang spielt einer manche Rollen …«

Denken Sie an die vielen Rollen, die Sie im Leben spielen: Führungskraft, Nachbar, Mitarbeiter, Kind, Mutter oder Vater, Freund oder Freundin, Coach, Schwester oder Bruder und so weiter. Angenommen, Sie hätten die Möglichkeit, eine Rezension Ihrer Darbietung in den wichtigsten Rollen, die Sie spielen, zu lesen. Wie viele Sterne würden Sie bekommen? Bitte lesen Sie die folgenden vier Beispiele durch:

Vertriebsleiterin * *

Maria konzentriert sich mit vollem Engagement auf ihre Rolle als Führungskraft. Sie möchte unbedingt gewinnen – und das zeigt sich in ihrer Unzufriedenheit mit dem Status quo. Aber in ihrem unerbittlichen Bemühen, Höchstleistungen zu erzielen, übersieht sie häufig die Hinweise von Mitarbeitern, die sich wünschen, dass sie etwas Tempo rausnimmt und sich mehr um sie kümmert.

Freundin *

Allison verspricht, zur Dinnerparty einer Freundin eine Vorspeise mitzubringen. Alle außer Allison sind pünktlich da. Weil Allison schon für ihre Unzuverlässigkeit bekannt ist, hat ihre Freundin für alle Fälle eine Ersatzvorspeise vorbereitet. Allison ist freundlich und liebenswürdig, hat aber den Ruf, nicht zuverlässig zu sein.

Geschäftspartner * * * * *

Wegen drängender Abgabefristen wäre es für Sarah ein Leichtes gewesen, ihren Geschäftspartner, der zusätzlich zum Kernprodukt eine App entwickeln wollte, auf später zu vertrösten. Stattdessen aber nahm sie sich die Zeit, ihm zuzuhören. Zu ihrer Überraschung hatte der Partner Kontakt zu einem kreativen und kostengünstigen Team im Ausland, das ihnen schließlich half, neben der Entwicklung der App auch noch ein Problem mit dem Kernprodukt zu lösen. Sarah spielte ihre Rolle perfekt, indem sie bereit war, unvoreingenommen auf die Vorschläge ihres Geschäftspartners einzugehen.

Vater * *

William ist Vater von drei Jungs, denen die gemeinsame Zeit mit ihm sehr wichtig ist. Getrieben von dem Wunschs, mit einem erfolgreichen Kollegen mitzuhalten, nimmt William eine Beförderung an. Die neue Stelle entspricht nicht wirklich seinen Vorstellungen. Zudem muss er jetzt wesentlich länger arbeiten und viel öfter verreisen. Die Quittung für seine Entscheidung bekommt William, als er allein in einem Hotelzimmer sitzt und vergeblich versucht, seinen Sohn an dessen Geburtstag telefonisch zu erreichen.

Wir sollten uns regelmäßig Zeit nehmen, um unsere Rollen zu überdenken. Doch stattdessen ziehen wir häufig nur Bilanz, wenn wichtige Meilensteine in unserem Leben anstehen – beispielsweise Geburtstage, Beerdigungen oder Schulabschlussfeiern. Die Reflexion über unsere Lebensrollen hat Bronnie Ware auf einzigartige Weise miterlebt. Viele Jahre pflegte und begleitete die australische Hospizschwester Patienten in ihren letzten Lebenswochen. Sie führte zahlreiche Gespräche mit ihnen, während sie einen letzten Blick auf die verschiedenen Rollen warfen, die sie im Leben gespielt hatten. Bronnie Ware schildert diese Erfahrungen in ihrem Buch 5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen. Sie fand heraus, dass viele Menschen in den letzten Lebensphasen ähnliche Reuemuster zeigen. Die fünf häufigsten Reuebekundungen auf dem Sterbebett lauten:

1. Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, mir selbst treu zu sein und ein Leben nach meinen Vorstellungen zu führen, anstatt das zu tun, was andere von mir erwarteten.

2. Ich wünschte, ich hätte nicht so viel gearbeitet.

3. Ich wünschte, ich hätte mir ein Herz gefasst und mehr über meine Gefühle gesprochen.

4. Ich wünschte, ich hätte den Kontakt zu meinen Freunden besser gepflegt.

5. Ich wünschte, ich hätte mir selbst erlaubt, glücklicher und zufriedener zu sein.

Natürlich können Sie auf ein Gespräch mit jemandem wie Bronnie warten, um Bilanz über Ihre Rollen zu ziehen. Es ist aber viel besser, wenn Sie diese nicht erst auf dem Sterbebett erstellen. Denn dann haben Sie noch genügend Zeit, um die nötigen Konsequenzen zu ziehen und positive Veränderungen in Gang zu setzen. Aber wie schaffen Sie es, Ihre Rollen besser zu spielen? Dazu müssen Sie sich erst einmal darüber bewusst werden, welche verschiedenen Rollen Sie in Ihrem Leben ausfüllen. Der nächste Schritt ist, dass Sie festlegen, welchen besonderen Beitrag Sie in jeder dieser Rollen leisten wollen.

Was sind Ihre Rollen?

Ist Ihnen bewusst, wie viele verschiedene Rollen Sie beruflich und privat spielen? Wenn Sie schon einmal einen Soloauftritt gesehen haben, bei dem ein Schauspieler mehrere Rollen spielt, wissen Sie, wie faszinierend das sein kann. Aber auch der beste Schauspieler kann nicht mehrere verschiedene Rollen gleichzeitig spielen. Leider überschätzen wir häufig unsere Fähigkeit, uns effektiv auf mehrere Dinge gleichzeitig zu konzentrieren. Wenn Sie versuchen, mehrere Rollen parallel auszufüllen, kann dabei nur eines herauskommen – Mittelmäßigkeit! Beispielsweise könnte ich eine wichtige E-Mail in meiner Eigenschaft als Projektleiter schreiben und gleichzeitig so tun, als hörte ich am Telefon einer Mitarbeiterin zu. Aber wem werde ich am Ende damit wirklich gerecht? Solange ich Multitasking betreibe, schenke ich keiner Rolle meine volle Aufmerksamkeit. Und alle, die davon betroffen sind, spüren das.

Zu meinen wichtigsten Rollen gehören die des Vaters, Sohns und Großvaters, der Führungskraft, des Ehemanns, des ehrenamtlich Tätigen und des Businesscoachs. Beispiele für berufliche Rollen sind Teamleiter, Autorin, Buchhalter, Assistentin, Lehrer, Softwareentwicklerin, Marketingmanager, Anwältin oder Berater. Außerberufliche Rollen könnten Schwester, Fußballtrainer, Ehe- oder Lebenspartnerin, ehrenamtlicher Hospizmitarbeiter, Künstlerin, Schwimmer, Freundin oder Weltreisender sein. Sie müssen selbst entscheiden, welche Rollen zu einem bestimmten Zeitpunkt die meiste Aufmerksamkeit erfordern. Denken Sie daran: Es geht nicht darum, dass Sie für jede Rolle gleich viel Zeit übrig haben. Die meisten verbringen sicherlich mehr Zeit mit ihrem Beruf als mit ihren Hobbys oder mit guten Freunden. Was zählt ist, dass Sie sich Ihre wichtigsten Rollen regelmäßig bewusst machen und dafür sorgen, dass langfristig ein Gleichgewicht zwischen ihnen besteht. Ob Vater oder Mutter, Partner oder Freund: Manche Rollen werden Sie ein Leben lang begleiten. Andere Rollen, wie berufliche Positionen oder ehrenamtliche Aktivitäten, können im Laufe der Zeit immer wieder wechseln. Zudem hat sich gezeigt, dass wir in unseren langfristigen Rollen häufig am meisten wachsen und hier auch unsere wichtigsten und stabilsten Beziehungen aufbauen.

Die Entscheidung, welche Rollen für Sie persönlich oberste Priorität haben, kann Ihnen keiner abnehmen. Das müssen Sie auf der Grundlage Ihres Wertesystems selbst entscheiden. Doch besonders dann, wenn es um unseren beruflichen Werdegang geht, finden wir uns oft in Rollen wieder, die andere uns zugeteilt haben.

Eine gute Freundin von mir erlebte als Kind, wie ihr Vater Paul die familieneigene Bäckerei sehr erfolgreich führte. Das Backgeschäft ist enorm zeitintensiv und körperlich anstrengend. Paul stand an sechs Tagen in der Woche morgens um vier auf. Er fuhr zur Arbeit, schleppte zwölf Kilo schwere Mehlsäcke herum, wog die Zutaten ab und knetete den Teig, bevor die Bäckerei um sieben Uhr öffnete. Nach dem Morgenansturm reinigte er die Öfen und die Küche und bereitete alles für die Mittagskunden vor. Den ganzen Tag über lief er zwischen glutheißen Öfen und eiskalten Gefrierschränken hin und her, um Zutaten vorzubereiten und Teig einzufrieren. Und das alles nur, um am Ende die Küche mitsamt Schüsseln, Mixgeräten und anderem Werkzeug noch einmal von oben bis unten sauber zu machen. Und am nächsten Morgen begann dann wieder alles von vorn. Das meiste machte er allein – mit Ausnahme von ein oder zwei Angestellten, die ihm zur Hand gingen oder die Kunden im Laden bedienten. Als Vater von zwei Kindern hatte Paul das Bedürfnis, gut für seine Familie zu sorgen und auch noch auf seinen alten Vater achtzugeben, der hart dafür gearbeitet hatte, die Bäckerei am Leben zu erhalten. Während es ihm wirklich wichtig war, seinen Beitrag in seiner Rolle als Vater und Sohn zu leisten, machte Paul die Arbeit in der Bäckerei nicht glücklich.

Die Arbeit war aufreibend und eintönig. Zudem blieb ihm wegen des hohen Arbeitspensums kaum Zeit für die Familie. Und wenn er dann doch mal Zeit für seine Frau und die Kinder hatte, war er zu erschöpft, um etwas Größeres zu unternehmen. Paul war extrovertiert und liebte es, Menschen um sich zu haben. Die einsame Tätigkeit in der Bäckerei erlaubte ihm nicht, seine gesellige Ader auszuleben. Mit den Jahren wurde er immer erschöpfter und niedergeschlagener. Schließlich wurde ihm klar, dass er das richtige Gleichgewicht in seinem Leben verloren hatte. Die Bäckerei vereinnahmte ihn völlig und ließ ihm kaum Zeit und Energie für irgendetwas anderes. So traf er in der Mitte seines Lebens eine einschneidende Entscheidung: Er verkaufte seine Bäckerei und nahm eine Stelle im Schreibwarenhandel an. Auf den ersten Blick erscheint dieser Berufswechsel ziemlich seltsam. Aber Paul war viel zufriedener und glücklicher als in all den Jahren zuvor. Er hatte eine 40-Stunden-Woche und musste nicht mehr so schwere körperliche Arbeit leisten. Dank seiner freundlichen, extrovertierten Art im Umgang mit Menschen konnte er sich eine neue, erfolgreiche Berufslaufbahn aufbauen. Vor allem aber fand er mehr Erfüllung in seiner Arbeit und hatte zudem noch mehr Zeit und Energie, um für seine Frau, seine Kinder und seinen Vater da zu sein. Wenn die Rollen, die wir spielen, nicht mehr zu uns passen, lohnt es sich, eine Veränderung in Gang zu setzen. Denken Sie daran, was die Hospizbewohner am meisten bereut haben: Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, mir selbst treu zu sein und ein Leben nach meinen Vorstellungen zu führen, anstatt das zu tun, was andere von mir erwarteten.

 

Wenn wir uns auf zu viele Rollen gleichzeitig konzentrieren, stoßen wir bald an unsere Grenzen. Doch auch, wenn wir in einer Rolle Großartiges leisten und darüber alles andere zu kurz kommen lassen, gerät unser Leben aus dem Gleichgewicht. Ein Beispiel dafür ist mein Kollege Ruben. Er berichtete mir davon, wie er als junger Manager große Mühe hatte, seinen Rollen gerecht zu werden. Nachdem er eine neue Aufgabe übernommen hatte, drückte ihn das Gewicht der plötzlichen Verantwortung förmlich zu Boden. Rückblickend sagt er, dass er seine Tage damit verbracht hat, »Feuer zu löschen und Drachen zu erlegen«. Als er wieder mal Überstunden machte, wurde er von einem Kalender-Alert unterbrochen. Er schaute nach und sah, dass er mit seiner Frau und seinen Kindern für ein Familienfoto verabredet war. Er wusste, dass seine Frau ein ganzes Paket mit mehreren Sitzungen im Fotostudio gekauft hatte. Deshalb beschloss er, dieses eine Shooting abzusagen. Er rief seine Frau an und erklärte ihr, dass er im Büro zu viel zu tun hätte und dass sie einen neuen Termin mit dem Fotografen vereinbaren sollte. Sie sagte, dass sie das verstehen und sich darum kümmern würde. Ruben war dankbar für die gewonnene Zeit und machte sich sofort wieder an die Arbeit.

Einige Monate später war Weihnachten. Am Heiligen Abend saß er mit seiner Familie zusammen und alle öffneten ihre Geschenke. Ruben bekam ein Päckchen mit seinem Namen darauf. Als er es auspackte, war er ziemlich erstaunt: In dem Päckchen war ein wunderschön gerahmtes Familienportrait. Nur etwas fehlte auf dem Foto – Ruben! Um ihn zu entlasten, hatte seine Frau beschlossen, die Termine beim Fotografen ohne ihn wahrzunehmen. Als er das Bild anstarrte, wurde ihm auf einmal bewusst, dass seine Arbeitsrolle ihn völlig in Beschlag nahm. Dagegen kamen seine Rollen als Ehemann und Vater viel zu kurz. Das Bild, auf dem er fehlte, war eine nicht gerade sanfte Ermahnung, dass seine Prioritäten aus dem Lot geraten waren. »Ich hatte vergessen, was das Wichtigste in meinem Leben ist«, vertraute er mir rückblickend an. »Die Arbeit konnte warten. Teil meiner Familie zu sein, konnte hingegen nicht warten. Ich habe mir geschworen, dass ich nie wieder auf einem Familienfoto fehlen werde!«

Wenn es um die Gewichtung unserer Rollen im Leben geht, geben viele der Arbeit den Vorrang. Doch ich bin fest davon überzeugt, dass es möglich ist, seine Rollen im Beruf und im Privatleben gut auszufüllen. Es ist machbar, fünf Sterne in beiden Bereichen zu bekommen. Wie das geht? In erster Linie ist das eine Frage der Prioritätensetzung. Oft bedeutet das, dass Sie ein Hobby aufgeben oder auf einen Abend mit Kollegen verzichten müssen. Irgendetwas müssen Sie opfern. Entscheidend ist, dass Sie das Bewusstsein für die Gewichtung Ihrer Lebensrollen nicht verlieren.

Haben Sie Klarheit über Ihre wichtigsten Rollen gewonnen? Dann können Sie überlegen, wie Sie diese Rollen ausfüllen wollen. Wenn es um die Gewichtung und Schwerpunktsetzung geht, bietet sich der Vergleich mit einem Fluglotsen an. Der Fluglotse hilft den Maschinen bei der Landung. Ständig sind Dutzende Flieger in Bewegung – auf dem Weg zur Park- oder Startposition, im Landanflug oder auf der Startbahn. Jedes Flugzeug ist wichtig. Der Fluglotse muss sie alle »auf dem Schirm« haben. Doch es ist unmöglich, dass er alle gleichzeitig fest im Blick hat. Im kritischen Augenblick der Landung sollte der Fluglotse ausschließlich diesem einen Flugzeug seine volle Aufmerksamkeit widmen. Um allen Flugzeugen und ihren Passagieren wirklich gerecht zu werden, muss sich der Fluglotse immer auf das eine Flugzeug konzentrieren, das gerade landet. Genau so ist es mit unseren wichtigsten Rollen: Wir sollten sie niemals aus dem Blick verlieren. Aber wir müssen bereit sein, unsere volle Aufmerksamkeit der einen Rolle zu widmen, die sie gerade am meisten braucht.

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