Buch lesen: «Rebeccas Schüler»

Böse Spielchen
ROMAN
TIRA BEIGE
Impressum
1. Auflage 2021
Copyright © 2021 Tira Beige
Verlag: c/o AutorenServices.de,
Birkenallee 24, 36037 Fulda
Umschlaggestaltung und E-Book Konvertierung:
Constanze Kramer, www.coverboutique.de
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Vorwort
Liebe Leserin, lieber Leser,
schön, dass du dich für den zweiten Teil von »Rebeccas Schüler« interessierst. Wenn du meinen Debütroman noch nicht kennst, darfst du gespannt sein, was die Handlung und die Figuren für dich bereithalten. Du wirst die Geschichte dieses Bandes ohne Kenntnis des ersten Buches verstehen. Vielleicht hast du nach der Lektüre Lust, in die düstere Gedankenwelt von Rebecca einzutauchen und die Vorgeschichte kennenzulernen. Dann sei dir »Rebeccas Schüler – Anziehend, verboten und gefährlich« ans Herz gelegt.
Du kennst Teil 1? Sei versichert: Ganz so finster und schwermütig wird es im zweiten Teil nicht werden. Prickelnde Erotik ist aber auf jeden Fall garantiert. In einem Kapitel werde ich dich mitnehmen in die Welt der sogenannten »Pee-Desperation«. Wie du vielleicht aus meinem ersten Buch weißt, dreht sich meine Arbeit um die Themen Macht und Kontrolle. Die Verzweiflung (Desperation), die Menschen empfinden, wenn sie sich am Rande der Selbstbeherrschung bewegen, stellt eine besondere Komponente im Bereich der Macht und Kontrolle über den eigenen Körper dar und kann als sehr anregend empfunden werden. Du bist herzlich eingeladen, diese Form der Erotik aus dem Bereich Natursekt-Fetisch zu entdecken. Ich versichere dir, dass es nicht eklig, sondern erregend werden wird. Lerne den besonderen Reiz gemeinsam mit Rebecca kennen und koste mit ihr zusammen die sinnlichen Gefühle aus. Ich bin sehr gespannt, wie du auf diese Spielart reagierst.
Meiner Meinung nach macht gerade die Vielfalt an erotischen Themen ein Buch abwechslungsreich und interessant. Da einige Leserinnen und Leser dieses spezielle Thema, das nicht unbedingt zum Mainstream gehört, beunruhigend oder verstörend finden könnten, empfehle ich die Lektüre erst ab 18 Jahren.
Ich möchte darauf hinweisen, dass alle handelnden Figuren selbstverständlich volljährig sind und die im Buch beschriebenen Handlungen freiwillig ausführen.
Auf die Verwendung von Kondomen verzichte ich aus Gründen des Leseflusses. Das heißt aber nicht, dass ich sie als bedeutungslos erachte. Im Gegenteil: Kondome schützen vor ungewollter Schwangerschaft und vor ansteckenden Geschlechtskrankheiten.
Ich widme dieses Buch zwei Menschen, die den Schreibprozess entscheidend mitgeprägt haben: Zum einen meinem Schüler L., der die Inspirationsquelle dieses Romans darstellt. Ich dachte, dass es mir nicht noch einmal passiert, dass mich die Lust zu einem Oberstufenschüler packt – Ich wurde eines Besseren belehrt. Zum anderen widme ich dieses Buch meiner Instagram-Bekanntschaft Yannick, meiner Muse während des Schreibprozesses. Ohne seine Hilfe wären die erotischen Szenen nur halb so interessant geworden.
Prolog
Montag, erster Tag nach Beendigung der Herbstferien
Konrad Mayer saß in seinem Stuhl und grübelte. Nervös drehte er seinen dunkelblauen Füllfederhalter zwischen den Fingern hin und her, während sein starrer Blick nach draußen auf die graue Straße schweifte. Seit heute Morgen nur Regen, soweit das Auge reichte. Die Autos fuhren durch die Pfützen, die sich auf der Fahrbahn ausgebreitet hatten. Die patschenden Laute drangen trotz des geschlossenen Fensters an Mayers Ohr. Aber er nahm sie nicht wahr, sondern stierte geistesabwesend ins Freie.
Was war nur in sie gefahren, einfach nicht mehr in der Schule zu erscheinen? War ihr etwas zugestoßen? Warum meldete sie sich nicht? Und was sollte er jetzt mit den Klassen und Kursen machen, die auf ihre Lehrerin warteten?
Mayer stand auf, ging zum Ausgang und riss die Tür seines Büros auf. Die Sekretärin zuckte zusammen. »Huch«, entfuhr es ihr. Entgeistert blickte sie den Schulleiter aus weit aufgerissenen Augen an.
»Frau Teichert«, sagte er aufgewühlt, »hat sich Frau Peters inzwischen gemeldet?« Die Sekretärin schüttelte den Kopf. »Sie würde doch anrufen, wenn sie krank wäre«, murmelte Mayer vor sich hin und umgriff die Halterung der Tür. Sollte er etwa jeden Kollegen einzeln befragen, um herauszubekommen, wo seine Mitarbeiterin geblieben war? Vielleicht wusste Robert etwas?
»Suchen Sie die Nummer des städtischen Polizeireviers heraus«, bat Mayer die Sekretärin und verschwand in seinem Büro hinter dem Schreibtisch. Keine zwei Minuten später hatte Frau Teichert eine Telefonverbindung hergestellt. Ein jung klingender Mann nahm am anderen Ende der Leitung ab. »Hier ist Konrad Mayer, der Direktor des Sportgymnasiums.«
»Guten Tag, was kann ich für Sie tun?«
Mayer klopfte mit dem Füller, den er wieder zur Hand genommen hatte, mehrfach auf die Schreibtischunterlage. Sie erzitterte unter den dumpfen Schlägen.
»Eine meiner Mitarbeiterinnen, Rebecca Peters, ist heute Morgen nicht zum Unterricht erschienen. Sie ist sehr zuverlässig und meldet sich immer ab. Aber heute ist sie seltsamerweise nicht in die Schule gekommen. Nicht, dass etwas passiert ist.«
Eine kurze Pause am anderen Ende der Leitung entstand, während Mayer tief durchatmete.
»Heute ist doch der erste Tag nach den Herbstferien, richtig?«, fragte der Polizist.
Mayer bejahte.
»Vielleicht ist sie noch im Urlaub und kann aus dem Ausland heraus keinen Kontakt zur Schule herstellen?«
Der Direktor überlegte. Sollte sie tatsächlich allein weggefahren sein? Soweit er wusste, war sie seit geraumer Zeit Single. Aber in Wahrheit kannte er seine Mitarbeiterin dafür nicht gut genug. Nur die Tatsache, dass sie stets vertrauenswürdig war, ließ ihn an der Frage des Polizisten zweifeln.
»Sie hätte sicherlich eine E-Mail oder SMS geschrieben. Ich würde meine Hand dafür ins Feuer legen, dass sich Frau Peters gemeldet hätte. Selbst, wenn sie nicht vor Ort wäre.«
Wieder sagte niemand der beiden ein Wort. Dann erklang die warme Stimme des Polizisten: »Herr Mayer, ich kann Ihre Besorgnis nachvollziehen. Allerdings lassen wir immer achtundvierzig Stunden verstreichen, bis wir Vermisstenanzeigen nachgehen.«
Mist! Das hatte er befürchtet.
»Also werden Sie erst am Mittwoch bei Frau Peters vorbeischauen, wenn sie sich bis dahin nicht bei uns gemeldet hat, richtig?«, fragte der Schulleiter.
»Genau.«
Mayer wechselte noch zwei drei Worte mit dem Polizisten, dann ließ er den Hörer in die Verankerung zurücksinken. Was war nur in sie gefahren?
Teil 1
August
Kapitel 1
Sie wollte gehen, schon lange heraus sein aus dieser Discothek. Eine Wolke aus Schweiß, verbrauchter Atemluft, triefenden Körpergerüchen, Parfum und von draußen mitgebrachtem Zigarettenqualm waberte über den Köpfen der Menschen. Zudem erfüllte der Geschmack von Testosteron den Raum. Ein Zuviel an Ausdünstungen, die umher oszillierten und die Discothek in ein Klima drückender Schwere tauchten. Alle Sinne überreizt, flogen die Leiber nur noch mechanisch durch den Saal, ohne über den Sinn ihrer Bewegungen nachzudenken. Es waren aufgekratzte Tanzende, angesäuselt vom Alkohol, berauscht von der Atmosphäre, die dumpf auf ihnen lastete.
Und mittendrin Rebecca, die schon vor einer halben Stunde aufbrechen wollte. Doch irgendetwas hielt sie davon ab, den Heimweg anzutreten. Sie versank in der schieren Masse an schönen Körpern, ließ sich mitreißen von den haltlos Zappelnden um sie herum und verwebte sich mit ihnen. Hinzu kam, dass sie ihren Blick nicht von ihm abwenden konnte. Den gesamten Abend über hatte sie den Unbekannten beobachtet, wie er an der Bar stand, an seinem Bier nippte und sich mit seinen Kumpels unterhielt. Ein junger Typ ohne Namen, der zur näheren Betrachtung einlud. Und doch kam Rebecca nie nah genug heran, um ihn genauer zu ergründen. Sie sah bloß, dass der Jugendliche schlank war, dunkle Klamotten trug und kurze, hellere Haare besaß.
Er war seit Langem das Attraktivste, was Rebecca vor die Augen gekommen war. Eine Eroberung – knackig genug, um sich zu lohnen.
Um Mitternacht ging mit einem Schlag die Musik aus und der gut aussehende Kerl wurde vom DJ auf die Bühne geholt. Als würde er jeden Tag von hunderten Schaulustigen gemustert werden, stolzierte dieser Bursche auf die Bühne, die ihm vom ersten Moment an gehörte. Er strahlte eine ungeheure Präsenz aus, die Rebeccas Blut in Wallung brachte. Sie bewunderte, wie selbstbewusst er zum Mischpult schritt, an dem der DJ stand und ihn in Empfang nahm.
»Soeben«, schrie der Discjockey ins Mikrofon, »hat dieser junge Mann hier eine wichtige Grenze in seinem Leben überschritten. Er ist nämlich gerade achtzehn Jahre alt geworden und damit volljährig.«
Jubelschreie durchzogen den Saal. Ein paar Jugendliche erhoben die Gläser und prosteten dem auf der Bühne Stehenden zu, der sich selbstsicher im Beifall der Menge aalte und beide Augenbrauen triumphierend hob. Er genoss es, im Mittelpunkt zu stehen und angestarrt zu werden. Beide Hände hatte er in der Jeans vergraben und mit stolz geschwellter Brust baute er sich neben dem Mischpult auf. Sein durchdringender Blick glitt über die Massen hinweg, die ihn unverhohlen angafften. Rebecca eingeschlossen, die sich an dem Schönling nicht sattsehen konnte.
»Gratuliere dir«, sagte der DJ. »Fang was Ordentliches mit deinem Leben an, sonst landest du hier oben.« Gelächter brandete auf, bevor sich der Discjockey seine Kopfhörer aufsetzte und die Musik wieder lauthals aus den Boxen dringen ließ.
Der Achtzehnjährige verließ das Podest über das ganze Gesicht strahlend und fiel geradewegs in die Arme seiner Kumpels, die ihn mit Alkohol in Empfang nahmen und ihm kameradschaftlich auf die Schulter klopften. Einige Mädchen, die abseits der Gruppe standen, warfen dem hübschen Geburtstagskind schwärmerische Blicke zu.
Wie schön wäre es, noch einmal so jung zu sein, träumte Rebecca. Gute fünfzehn Jahre lagen zwischen ihr und diesem Jugendlichen, der sein ganzes Leben noch vor sich hatte. Der allen Flausen, die er im Kopf ausbrütete, nachjagen und sein Schicksal von nun an selbst in die Hand nehmen konnte.
Sie schaute erneut auf die Uhr. Ja, es war spät und sie war erschöpft. Aber wer wartete schon zu Hause auf sie? Niemand begrüßte sie um drei Uhr morgens. Es gab keine wärmenden Hände, die sie umfangen würden, wenn sie daheim ankam. Kein Mund, der ihr sagte: »Du bist aber spät dran. Hast du jemanden kennengelernt?« Warum sollte sie den Heimweg antreten? Stattdessen bewegte sie sich Richtung Tanzfläche, wo das Geburtstagskind angeheitert zwischen anderen Leuten eine Show abzog. Wild gestikulierte er mit den Armen in der Luft herum, tanzte ausgelassen. Neben ihm seine grauen Freunde mit den durchschnittlichen Gesichtern. Allerweltstypen, wie sie überall herumliefen.
Rebecca betrachtete den Achtzehnjährigen. Zum ersten Mal an diesem Abend, in dieser Nacht, hatte sie es gewagt, sich in seinen Dunstkreis zu begeben, obwohl sie seine interessante Aura schon seit einigen Stunden faszinierte. Er besaß dunkelblonde Haare, die an der Stirn länger waren und ihm ins Gesicht hineinragten. Immer wieder strich er die wilden Strähnen verführerisch mit der ganzen Hand nach hinten ins volle Haar hinein. Er sah gut aus, hatte aber kein ebenmäßiges Gesicht. Vielmehr war es markant, denn die leicht schräge Nase verlieh ihm ein edles Aussehen. Dazu passend trug er einen Dreitagebart, der ihn deutlich älter aussehen ließ.
Aus der Nähe betrachtet, erkannte Rebecca, dass der Achtzehnjährige außerordentlich viel Sport betreiben musste, denn ihr fielen sofort seine gut trainierten Oberarme auf.
Die Weiber, die um ihn herum tanzten, berührten ihn immer wieder wie zufällig am Oberkörper oder strichen über seine Arme. Rebecca fragte sich, ob er die Mädels kannte oder sich zum Spaß von ihnen anbaggern ließ. Er selbst gefiel sich offenbar darin, die Berührungen zurückzugeben. Mal landete seine Hand auf einem Hintern, mal auf einer Brust. Die Mädchen zupften ihre knappen Oberteile zurecht oder fuhren sich mit der Hand durch ihre langen Mähnen. Vor allem zogen sie den Kerl mit ihren Blicken aus.
Rebecca war nicht besser. Auch sie glotzte und provozierte den Blickkontakt. Aber noch hatte er keine Notiz von ihr genommen, sondern sich den Mädels gewidmet, die neben ihm tanzten. Bis jetzt. Denn mit einem Schlag lagen seine Augen auf Rebecca und fuhren an ihrem Körper auf und ab. Hatte sie bis eben die Musterung herbeigesehnt, war sie ihr mit einem Male unangenehm. Stimmte etwas nicht, weil er die Augenbrauen so skeptisch verzog und die Stirn runzelte? Rebecca hatte an diesem schwülwarmen Abend extra ein kurzes schwarzes Kleid mit tiefem Ausschnitt gewählt. Normalerweise zog sie in der Disco lieber Weiß an, um das fluoreszierende Licht auf ihrem Körper zu vereinigen. Aber sie hatte Lust zu flirten. Sie wollte mit ihrem Kleid, das viel nackte Haut zeigte, die Aufmerksamkeit fremder Männer auf sich lenken. Vor allem die der Jüngeren. Aber dieser Kerl, der sie jetzt so kritisch betrachtete, war wohl doch eine Nummer zu jung für sie. Nein, er sah viel zu gut für sie aus. Rebecca war noch nie der Typ Frau, der Männer mit einer derart offensichtlichen Erotik anzog. Das machte ihn gleich noch mal so attraktiv.
Nicht lange und der Unbekannte schaute wieder weg.
Schämen brauchte sich Rebecca wahrlich nicht: Dass sie Mitte dreißig war, verriet ihr Äußeres auf keinen Fall. Ihre langen braunen Haare, die wellenartig über ihre Schultern fielen, verliehen ihr den nötigen Sexappeal und die Rundungen saßen exakt da, wo sie sein sollten. Wieso das nicht zeigen?
Doch der Blick dieses Teenagers sprach eine andere Sprache. Beschämt drehte sich Rebecca weg und war dabei, die Tanzfläche zu verlassen, als sie unerwartet am Arm festgehalten wurde. »Halt!«, rief ihr jemand hinterher. »Wohin so schnell?« Als sie sich umdrehte, erkannte sie einen der Kumpels des Achtzehnjährigen. Der schwarzhaarige Mann konnte nicht viel älter sein, sah aber nicht halb so sexy und fesselnd aus wie das Geburtstagskind. Eben Durchschnitt.
Sein nach Alkohol stinkender Atem stieg Rebecca augenblicklich in die Nase, als er dicht vor sie trat und seine Zähne zeigte. »Mir gefällt dein Look«, schrie der Jugendliche über die Musik hinweg, die inzwischen nur noch nervte. Wollte er mit ihr flirten?
»Bin ich nicht eine Nummer zu groß für dich?«, rief Rebecca, um ihn auf Abstand zu halten. »Und zu alt?« Ohne Erfolg. Ihre Worte schienen ihn nur weiter anzustacheln. Als würde er austesten wollen, ob er sie haben konnte.
»Linus«, überging er geradewegs ihren Einwurf und verkürzte die Distanz, indem er auf sie zutrat, Rebecca abermals am Arm ergriff und wieder auf die Tanzfläche zerrte, wo sie in die Menge eintauchte, die ekstatisch zum Rhythmus der ihr unbekannten Bässe wippte.
Sie wollte gehen. Wie spät es wohl inzwischen war?
»Wie heißt du?«, wollte Linus wissen.
»Rebecca.«
Er streckte selbstbewusst den Kopf in die Höhe und tanzte vor ihr. Seine Bewegungen sahen wenig geschmeidig aus. Ihnen fehlte jegliche Regelmäßigkeit und Anmut. Linus’ dunkles Shirt flatterte um seinen dünnen, schlaksig wirkenden Körper. Peinlich berührt betrachtete Rebecca seine ungelenken Schrittfolgen. Sie drehte ihren Körper nach links und entfernte sich stückweise von Linus, denn neben ihm gesehen werden wollte sie nicht. Der Teenager hatte offenbar schon den ganzen Abend zu tief ins Glas geschaut, weil er sich an eine Frau heranpirschte, die fast doppelt so alt war wie er. Konnte er kein Mädchen in seinem Alter abbekommen, dass er ausgerechnet sie für sich in Anspruch nahm?
Rebecca passte sich zwar seinem Tanzstil an, schaute aber immer wieder in die Richtung des Achtzehnjährigen, der inzwischen von einem Pulk an Mädchen umrahmt wurde, die ihn eisern in den Blick nahmen. Die meisten gackerten aufreizend. Ein Mädchen warf ihre Haare über die Schultern, um ihr Dekolleté freizulegen, aus dem ihre Früchte beinah herauspurzelten. Das Geburtstagskind sprang doch glatt auf dieses billige Gehabe an, indem es sie anlächelte und ihre Schritte nachahmte.
»Das ist Cedric«, rief ihr Linus entgegen. »Er ist heute achtzehn geworden.«
»Ja, ich weiß«, sagte Rebecca beiläufig. »Habt ihr das für ihn organisiert?«
Linus überlegte angestrengt. Offenbar arbeitete sein Gehirn unter Alkoholeinfluss nicht mehr so gut. »Na, dass er um Mitternacht auf die Bühne gezerrt wird«, erklärte Rebecca erschöpft. Sie wollte jetzt heim.
»Ach so, ja. Wir dachten, wir überraschen ihn mit etwas Besonderem.«
Sie nickte in Bezug auf seine nichtssagende Äußerung und schaute wieder zu Cedric hinüber, der ungeniert mit den Mädels flirtete, die ihn einkreisten.
»Bist du müde?«, fragte Linus, nachdem Rebecca zum zweiten Mal in seiner Anwesenheit gähnte.
»Ich will abhauen. Aber wenn du mich jetzt weiterhin aufhältst …«
Linus’ Mundwinkel zuckten nach oben. »Ist doch schön hier«, rief er und streichelte wie zufällig über ihren Unterarm. Es war ganz sicher kein Zufall, dass seine Hand ihre nackte Haut streifte. Die Berührung ließ Rebecca aufzucken. Viel zu lange schon hatte sie keinen Mann mehr in ihren Armen, geschweige denn im Bett gehabt. Seit der Trennung von Paul vor drei Jahren gab es nur Sex ohne Bedeutung. Die Männer, die sie seitdem kennengelernt hatte, waren alle nicht an etwas Festem interessiert gewesen. Im Grunde war es Rebecca egal, denn sie suchte ebenfalls nicht mehr nach der großen Liebe. Nur nach Abenteuern. Nach Männern, die ansehnlich genug aussahen, um einen One Night Stand zu riskieren. Heute würde daraus nichts werden. Linus kam optisch nicht in Frage und Cedric – der mit Abstand interessanteste Typ hier – schien kein Interesse an ihr zu besitzen. Außerdem ertappte sich Rebecca immer wieder dabei, zu gähnen oder abwesend ins Leere zu stieren. Klares Zeichen dafür, dass es an der Zeit war, endlich abzurücken.
»Ich muss jetzt gehen«, rief sie und verließ zügig die Tanzfläche, damit Linus nicht auf die Idee kam, ihr zu folgen. Sie zwängte sich durch die einengende Menschentraube hindurch, die scheinbar nichts anderes im Sinn hatte, als sie am Gehen zu hindern. Mühsam quetschte sich Rebecca an den Tanzenden vorbei und steuerte zielsicher auf die Garderobe zu, wo sie ihr leichtes Sommerjäckchen entgegennahm.
Am Ausgang angekommen, sah sie Linus. Er breitete die Arme aus, getreu dem Motto: »Warum haust du einfach ab?« Rebecca spürte, dass ihm genau dieser Spruch auf den Lippen lag.
»Hör mal, Linus«, kam sie ihm zuvor. »Ich weiß ja nicht, was du vorhast. Aber mit uns wird das nichts.« Er zog verwundert die Stirn in Falten. Aus seinem betrunkenen Gesichtsausdruck konnte sie entnehmen, dass sie genau ins Schwarze getroffen hatte.
Er richtete seine glasigen Augen auf Rebecca. »Was ich vorhabe?«, fragte er und kratzte sich mit einer Hand am Hinterkopf. Erst hier, abseits der dröhnenden Lautstärke, fiel ihr das leichte Lallen in seiner Stimme auf. Wieder erreichte sie sein alkoholisierter Atem, der sie angewidert einen Schritt nach hinten treten ließ.
Rebecca zog sich die Jacke über, denn durch die offen stehende Tür wehte eine kalte Brise in den Eingangsbereich der Discothek hinein und ließ sie frösteln.
»Wie meinst du das denn?«, fragte er. »Ich wollte …« Linus stockte und überlegte bemüht. Rebecca wusste genau, was er wollte, nämlich eine x-beliebige Frau aufgabeln, die er schnell wie einen Schokoriegel vernaschen und dessen Papier er danach wegwerfen konnte. Genauso sollte es ablaufen. So lief es immer ab. Sie wusste es, denn sie war keinen Deut besser. Hatte schon des Öfteren Männer mit nach Hause genommen und sie am nächsten Tag »entsorgt«. So what.
Rebecca verschränkte die Arme vor der Brust und blickte genervt auf ihre Armbanduhr, die inzwischen 3:40 Uhr anzeigte. »War eine lange Nacht, ich will jetzt endlich nach Hause gehen.« Sie tippte mit den Fingerkuppen nervös auf ihre Oberarme und wippte von einem Bein auf das andere. Nachdem Linus nichts mehr sagte, glitt sie, ohne ihn anzusehen, elegant an ihm vorbei und verließ die Discothek. Einige Menschen standen davor und rauchten. Den Geruch von Tabak konnte sie um diese Uhrzeit gar nicht ertragen und entfernte sich daher schleunigst vom Eingangsbereich. Abseits davon erkannte sie ein knutschendes Pärchen. Neidisch wandte Rebecca den Blick ab. Es war schon zu lange her, dass sie so begehrt worden war.
Als sie sich umblickte, sah sie, dass eine dunkle Gestalt ihr schwankend hinterherlief. Linus war etwas größer als sie. Trotz seines unsicheren Gangs hatte er etwas Bedrohliches an sich.
Rebecca blieb stehen, sodass er den Abstand zu ihr verkürzen konnte. »Warum verfolgst du mich?«, fragte sie aufbrausend. In der Dunkelheit, die sie umhüllte, hätte er wer weiß was mit ihr anstellen können. Aber dafür sah er zu brav aus. »Ich sage es dir noch einmal«, setzte Rebecca an, »ich bin zu alt für dich. Da drin sind viele junge Mädchen, die bestimmt auf dich stehen.« Sie nicht, obwohl es ihr schmeichelte, dass er sie so umgarnte und nicht lockerließ, sie abzuschleppen. Er hatte zwar einen sportlichen Körper, aber sein penetranter Schweißgeruch, den er durch ein aufdringlich riechendes Parfum zu überdecken versuchte, widerte sie an. Außerdem war sie zu ausgelaugt, um sich mit ihm zu unterhalten oder Auseinandersetzungen zu führen.
»Geh zurück, Linus.« Rebecca drehte sich um und ließ ihn stehen.
So viel Gegenwehr schien ihn wohl zu überfordern, denn er folgte ihr nicht mehr. Stattdessen hörte sie, wie jemand nach ihm rief. »Komm rein, Alter! Was willst du denn da draußen?« Rebecca schüttelte den Kopf und ließ sich von den Häusern und der Dunkelheit verschlucken.
Ein Hund bellte irgendwo seine schrillen Töne in die Nachtluft, die als bizarres Echo an den Häuserfronten widerhallten. Ansonsten durchschnitt kein Laut die Totenstille der schlafenden Stadt. Die Straßen waren erstarrt und grau. Jegliches Leben war aus ihnen gewichen, als Rebecca über den Asphalt huschte und aufpassen musste, nicht das Gleichgewicht auf ihren Highheels zu verlieren. Ihr schwarzes Kleid flatterte um die Knie, während sie das leichte Jäckchen fest um ihren Körper schloss. Sie konnte gar nicht schnell genug den Wohnblock erreichen, in dem sie die letzten drei Jahre ihres Lebens zugebracht hatte. Es war nicht das schicke Leben, das sie mit Paul geführt hatte. Die wenig geräumige Wohnung, die Rebecca bezahlte, war kein Vergleich zu dem edlen Häuschen, dem großen Garten und dem üppigen Platz, den das Grundstück geboten hatte. Das bequeme Leben, das sie einst besessen hatte, gab es nicht mehr. Nun reichte ihr Auskommen gerade so, um nicht in Selbstmitleid zu zerfließen.
Abgekämpft erreichte Rebecca die Häuserfront, an deren Fassade sie sich mit den Händen abstützte, um nicht ins Taumeln zu geraten. Ihr Atem ging schwer und sie hörte das Blut in ihren Ohren rasant rauschen, als sie sich nach vorn beugte und gegen den Schwindel ankämpfte, der sie überfiel, als sie den Kopf senkte. Der Abend und die Nacht hatten sie in die Schraubzwinge genommen und hinterließen ein Gefühl erdrückender Mattheit. Rebecca spürte, wie ihre Augenlider schwerer wurden und sie nichts sehnlicher wünschte, als endlich in die Federn zu fallen. Ob sie es noch schaffen würde, sich das Kleid über den Kopf zu ziehen?
Die Treppenstufen im finsteren Hausflur kamen ihr ungewöhnlich hoch vor. Immer wieder blieb sie mit den Pumps daran hängen und musste aufpassen, nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Ob die Nachbarn von ihrem lärmenden Gestolper, das den Hausflur erfüllte, aufwachten, war Rebecca egal. Es wäre wohl einfacher gewesen, den Lichtschalter zu betätigen, aber das hätte ihre Netzhaut nicht mehr ertragen. Nicht nach dieser Nacht. Wäre Paul in ihrer Nähe, hätte er wohl gesagt: »Musstest du ausgerechnet noch einen Cocktail trinken? Hat dir der letzte um kurz nach zwei nicht gereicht?« Was für eine bescheuerte Halluzination, ihren Ex vor sich zu sehen. Er hatte sich seit ihrer Trennung nur ein einziges Mal gemeldet und das bloß, weil Rebecca noch einen Karton auf dem Dachboden hatte stehen lassen. Sie wollte nicht an ihn denken …
Es war stockduster, als sie in ihre Wohnung eintrat. Einzig durch die Fenster im Wohnzimmer und Flur drang das schwache orange Licht einer Straßenlaterne. Bloß ab ins Bett! Es musste kurz vor vier Uhr sein. Nicht mehr lange und es würde hell werden.
Rebecca schaffte es nur mühsam, ins Bad zu gehen und das Make-up zu entfernen. Sie machte noch nicht einmal das Licht an, sondern rieb sich in der schwachen Beleuchtung lediglich grob die Spuren der Disconacht aus dem Gesicht, um nicht morgen früh die Augentusche und das Puder auf ihrem Kissen vorzufinden.
Wie erschlagen sank sie mit dem Kopf voran in die Laken und glitt sofort in einen schummrigen Dämmerschlaf hinein, der sie wie ein Wasserstrudel nach unten zog, genau dorthin wieder zurück, wo sie gerade erst hergekommen war …
Hergekommen war … Gerade hergekommen war …
Befremdlich dunkel ist es um sie herum, als sie, einen Fuß langsam vor den anderen setzend, über den Asphalt tippelt. Warum kommt sie nur so mühselig vorwärts? Irgendeine Kraft hält sie auf, sich schneller zu bewegen. Verräterische Schritte hinter ihr nähern sich unaufhaltsam. Sie dreht nur leicht den Kopf in die Richtung und sieht hinter sich zwei Männer. Die Gesichter kann sie nicht sehen. Sie möchte so gern eiliger laufen, doch es funktioniert schlichtweg nicht. Sie scheint auf der Stelle stehen zu bleiben, kann kaum das Bein heben und nach wie vor sind die dunklen Gestalten hinter ihr, die sie beinah erreicht haben. Auch sie ist fast da. Sie sieht bereits den vertrauten Wohnkomplex. Nur noch wenige Meter. Doch schon wird sie am linken Handgelenk festgehalten.
»Sie gehört mir.« Wem soll sie gehören? Sie ist eine freie Frau.
Der andere Mann packt sie am rechten Oberarm an. »Sie gehört mir.« Es ist die Stimme von Linus. Ob der Unbekannte Cedric ist? Die Finsternis ist beklemmend und noch immer erkennt sie nicht, wer neben ihr steht. Beide zerren weiter an ihr. Einer will nach rechts gehen, der andere nach links. Warum ist niemand auf der Straße, der das sieht?
Sie gehört mir.
Nun ist sie sich sicher, dass es die beiden Kerle aus der Disco sein müssen. Woher sie das weiß? Cedric lässt ihre Hand sinken und nähert sich mit seinem Gesicht dem ihrigen. Schon im nächsten Moment gleiten seine Lippen verlangend über ihren Mund und seine Zunge bahnt sich einen Weg nach innen. Linus, der hinter ihr steht, fährt mit seiner Hand unter ihr schwarzes kurzes Kleid, streichelt sinnlich über ihre Pobacken, um anschließend mit seinen Fingern in ihren Slip einzudringen und über ihre Schamlippen zu reiben. Sie stöhnt in den Mund des attraktiven Jugendlichen, der immer ungezügelter seine Zunge mit ihrer verschmilzt.