Aroma - Die Kunst des Würzens

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UMAMISIEREN

Zum Abschmecken mit „umami“ gibt es zwei Methoden. Man kann das reine Pulver verwenden – so kann man selbst genau kontrollieren, wie viel man dazugeben möchte – oder Zutaten benutzen, die auf natürliche Weise viel freie Glutaminsäure besitzen. In unserer europäischen Kultur spielt das direkte Würzen mit Glutamatpulver keine Rolle, wird von vielen Verbrauchern sogar als kritisch angesehen – aber die Idee der „Geschmacksverstärkung“, genauer: des Hinzufügens der Geschmackskomponente umami, besteht nichtsdestotrotz: Parmesan über Pastagerichte gestreut wirkt genauso wie gebratene und mitgekochte Zwiebeln, wie mitgeschmorte Morcheln und Steinpilze oder wie getrocknete Tomaten. Diese „Geschmacksverstärker aus der Natur“ fügen Speisen zusätzlich auch viele ihrer eigenen typischen Aromen bei, weswegen sie ausführlicher im Lexikonteil des Buches besprochen werden.

GLUTAMAT, meist Natriumglutamat, kann als Pulver ganz trivial über einen garenden Topf gestreut werden – fertig. Weil sich der Stoff in Wasser löst, ist die Anwendung so einfach wie salzen. Sein Vorteil ist der fast reine umami-Geschmack, ohne „störende“ zusätzliche Aromen: Manchmal macht das den kleinen Unterschied aus, etwa wenn es um geschmorte Früchte im Dessert geht, die einen Hauch umami-Geschmack ohne Sojasauce- oder gar Maggiaromen bekommen sollen. In komplexen Desserttellern kann dies manchmal eine Hilfe sein, um Fruchtsäuren abzuschwächen, ohne gleichzeitig mit zusätzlichem Zucker arbeiten zu müssen. Die Glutamatdosen hierfür sind allerdings extrem gering zu halten. Der bereits bestehende Eindruck darf nicht durch zu viel umami-Geschmack überdeckt werden – das würde den bekannten unangenehmen Geschmack „künstlich“ wirkender Saucen erzeugen.

GUANYLAT oder Guanosinmonophosphat ist chemisch sehr nah mit Inosinat verwandt und hat eine ähnliche Wirkung und Funktion. Beide haben eine etwa zehnmal höhere Wirkung als die Glutaminsäure, wenn sie zusammen mit dieser verwendet werden. Auch wenn die Namen schrecklich klingen: Diese beiden Moleküle sind ebenso verträglich und natürlich wie die freie Glutaminsäure.

INOSINAT oder Inosinmonophosphat ist eine Würzflüssigkeit, die einen sehr angenehm fleischigen, herzhaften Geschmack aufweist. Dieses Molekül war auch Bestandteil des „Fleischextrakts“ von Justus von Liebig, dem Chemiker, dem es schon 1847 gelungen war, Würzmittel mit fleischig-herzhaftem Grundgeschmack aus Lebensmitteln zu extrahieren ( Geschichte des Würzens, Seite 83).

GESCHWÄRZTE ZWIEBELN in Consommés, Fonds und Schmorgerichten liefern nicht nur Bräunungs- und Röststoffe über die Maillard-Reaktion ( Würzpraxis Rösten, Seite 53), sondern auch nicht zu vernachlässigende Mengen freier Glutaminsäure. Wie bei lange gekochten Fonds zerfallen ihre Proteine und setzen dabei Glutamat frei. Bei der Bräunungsreaktion entsteht allerdings auch der Schadstoff Acrylamid. Die Mengen sind zwar zu vernachlässigen, wer aber darauf verzichten möchte, lässt die geschwärzte Zwiebel einfach weg. Man verzichtet damit allerdings gleichzeitig auf deren „umamisierende“ sowie farbgebende Wirkung.

SELBST HERGESTELLTE UMAMI-WÜRZPASTE

Getrocknete Tomaten werden mit Olivenöl püriert. Geröstete Nüsse oder Pinienkerne sorgen für Röstaromen, dazu gibt man noch etwas sehr reifen und sehr harten Ziegenkäse. Sie kann in Saucen eingerührt oder auf Rohkostteller getupft werden, was gerade rohem Gemüse ganz neue Nuancen verleiht.

UMAMI-GEHALT IN VERSCHIEDENEN LEBENSMITTELN


LEBENSMITTEL FREIE GLUTAMINSÄURE (MG/100 G) GEBUNDENE GLUTAMINSÄURE(MG/100 G)
Parmesankäse 1200 9800
Bohnen 200 5600
Tomaten 140 2400
Mais 130 1800
Kartoffeln 100 270
Spinat 40 290
Hühnerfleisch 45 3300
Karotten 35 200
Rindfleisch 35 2800
Makrelen 35 2400
Schweinefleisch 25 2300
Eier 25 1600
Zwiebeln 20 210
Lammfleisch 20 2700
Lachs 20 2200
Kabeljau 10 2100

TOMATENCOULIS stellt man her, indem man frische, sehr reife Tomaten im Mixer, ohne Rücksicht auf Kerne oder Schalen, püriert. Den Brei durch ein Sieb passieren, sodass eine schaumige Tomatenflüssigkeit übrig bleibt, die so lange unter Rühren gekocht wird, bis aller Schaum verschwunden ist und sich im Topf ein intensives Tomatenaroma entwickelt. Den Coulis dann in sterile Gläser füllen und bis zu seiner Verwendung im Keller lagern. Das längere Kochen zerstört die Tomate kaum, im Gegenteil: Der „Radikalenfänger“ Lycopin ist aus gekochten Tomaten weitaus besser verfügbar als aus rohen, kann also leichter vom Körper aufgenommen werden.

FETTSÄUREN


VERWENDUNG VON FETT

Fett wurde von der Ernährungswissenschaft lange – wie man heute weiß: zu Unrecht – verteufelt, denn zum Kochen und Abschmecken ist es unersetzlich. Sogar die gesättigten Fettsäuren sind keinesfalls schädlich. Im Gegenteil, sie erfüllen eine ganze Reihe biologischer Aufgaben, zum Beispiel in den Zellmembranen. Was wäre eine schmackhafte Sauce ohne Butter, ein mediterranes Gericht ohne reichlich Olivenöl oder ein südindisches Curry ohne schmackhaftes Kokosfett ( Fette, Seite 476)? Und wem schmeckt nicht das köstlichste aller Fette: Schokolade – also Kakaobutter ( Kakao)? Nicht zuletzt ist Fett ein gutes Lösungsmittel für eine ganze Reihe von Aromasubstanzen ( Flüchtigkeit und Löslichkeit, Seite 28). Aus molekularer Sicht sind Fettsäuren unterschiedlich lange Kohlenwasserstoffketten, die in unterschiedlicher Sättigung vorliegen. Eine der häufigsten Fettsäuren ist die Stearinsäure.


Stearinsäure (C 18:0, oben), Oleinsäure (C 18:1, unten). Da der„Knick“(die CIS-Doppelbindung) an der neunten Stelle erfolgt, wird der Code der Oleinsäure erweitert auf C 18:1,9.

GESÄTTIGTE UND UNGESÄTTIGTE FETTSÄUREN

Die Nomenklatur der Fettsäuren erklärt ihren Aufbau. Die abgebildete Stearinsäure besteht aus 18 Kohlenstoffatomen (Formelzeichen C), die in dieser Darstellung an der linken Spitze und an jedem „Eck“ sitzen – außer am rechten Ende (OH). In der Chemie wird diese Beschriftung meist weggelassen. Keines der 18 Kohlenstoffatome ist ungesättigt: Das würde durch einen „Knick“ und doppelte Striche zwischen zwei Kohlenstoffatomen (Doppelbindung) in der Kette dargestellt werden. Deswegen wird Stearinsäure mit C 18:0 bezeichnet.

 

Für eine einfach ungesättigte Fettsäure wie die Oleinsäure lautet der Code C 18:1. Nomen est omen: Die ungesättigten Enden einer Fettsäure streben nach Sättigung, sofern die Fette angebrochen und nicht gekühlt sind. Dieser Prozess wird Oxidation genannt: Durch die neuerfolgte Sättigung brechen die Fettsäuren auseinander und bilden Moleküle, die für den ranzigen Geruch verantwortlich sind. Je höher die Temperatur und je mehr ungesättigte Fettsäuren im Spiel sind, desto schneller geht dieser Prozess vonstatten. Im Falle der Brat- oder Frittierfette ist das kulinarisch alles andere als angenehm. Die gleichen Duftstoffe jedoch – zum Beispiel Buttersäure und Propansäure –, die isoliert und vermehrt auftretend schweißig, säuerlich, unangenehm riechen, tragen zu einem positiven Geruchsbild bei reifem Käse bei, da sie hier dezent vorkommen und in ein breites Aromenspektrum eingebettet sind ( Aromen beim Fettabbau, Seite 52).

Fette mit vielen gesättigten Fettsäuren wie Rindertalg, Lamm- oder Kokosfett werden dagegen kaum ranzig. Zum Braten oder gar Frittieren sollte man daher möglichst gesättigte Fette und Öle verwenden. Sind sie zusätzlich gefiltert, also raffiniert, enthalten sie auch weniger Feststoffe, die ihren Rauchpunkt herabsetzen würden: Ideal sind etwa Erdnussöl, Palmkernöl, Sojaöl oder Sonnenblumenkernöl, Butter eignet sich mit ihrem Rauchpunkt von knapp 180 °C ebenfalls zum Braten. Ungefilterte, unraffinierte und kaltgepresste Öle haben wegen der darin enthaltenen Feststoffe einen niedrigen Rauchpunkt, das bedeutet immer „Verbrennung“ – bei kalten Anwendungen aber auch deutlich mehr Aroma.

KULINARISCHE ANWENDUNGEN

Die kulinarischen Anwendungen des Fetts sind grenzenlos, sobald man die „Angst“ davor verliert und die kulinarische Fantasie schweifen lässt.

DER AB- UND UMBAU VON FETTEN UND FETTSÄUREN während des Kochens lässt Aromen entstehen. Das Fleisch verschiedener Tierarten unterscheidet sich in der Fettsäurenzusammensetzung, daher sind auch die Düfte nach dem Fettsäurenumbau verschieden. Für die Küchenpraxis bedeutet dies: Immer die entsprechende Brühe oder den richtigen Fond parat haben, dann hat man zu jedem Gericht die passende Sauce schnell zubereitet. Bei reifenden Käsen werden ebenfalls Aromen umgebaut ( Aromen beim Fettabbau, Seite 52, Abschmecken: umami, Seite 44, Parmesan, Parmigiano).

TIERISCHE FETTE AUS FONDS ODER BRÜHEN bilden sich nach dem Abseihen und Abkühlen im Kühlschrank. Dieses Fett ist zum Wegwerfen viel zu schade, denn damit lassen sich Gemüsegerichte besser betonen, wenn es darin gedünstet oder abgeschmeckt wird – schließlich sind in den Fetten noch einige Aromen ihrer Vorgeschichte gelöst, die sich durchaus nützen lassen.

GARFLÜSSIGKEIT AUS MONTIERTER BUTTER eignet sich für Fische und Meeresfrüchte wie Jakobsmuscheln, aber auch für kleine Zwiebeln oder Gemüse. Dazu werden erwärmte Butter und Wasser – oder der passende Fond – im Verhältnis 1:1 ausgeschlagen und das Gargut darin gekocht beziehungsweise gezogen. Die verbleibende Butter kann für spätere Zubereitungen verwendet werden, sofern die darin gelösten Aromen passen.

MIT ÖL MONTIERTE SAUCEN sind eine Alternative zu Butter. Dazu wird der reduzierte Braten- oder Fischfond von Herd gezogen und Olivenöl in feinem Strahl zugegeben und mit dem Schneebesen oder einem Mixstab eingerührt, bis eine sämige Konsistenz erreicht wird. Olivenöl und Brataroma ergänzen sich hervorragend.

FETTE LASSEN SICH IMMER MISCHEN. So kann man herbe Olivenölschokoladensaucen herstellen, etwa für kurzgebratenes Wild, oder schmelzende Cremes aus weißer Schokolade mit Kürbiskernöl als Beigabe zu Desserts. Olivenöl, Macadamiaöl und Kürbiskernöl können mit geschmolzener reiner Kakaobutter – sie ist weitgehend geschmacksneutral – angerührt werden, dann sind diese Öle „schnittfest“ oder „streichbar“ und können als schmackhafte „Butter“ mit Brot vor einem Menü gereicht werden.

3 (blumig), setzt aber einen vollkommenen Kontrast in der Gruppe 9 (etwa ein Schärfereiz). Der Gesamteindruck einer Speise setzt sich aus einer Reihe von Faktoren zusammen. Der kokumi-Effekt

KOKUMISIEREN OHNE LANGE GARZEITEN

Bohnensaucen helfen, die langen Kochzeiten abzukürzen: Schwarze-Bohnen-Paste, Schwarze-Bohnen-Sauce, Rote-Bohnen-Paste oder Gelbe-Bohnen-Sauce sind bei den kurzen Zubereitungszeiten im Wok die besten Garanten für eine breitere Kokumibasis. Besitzer eines Dampfdruckkochtopfs oder Schnellkochtopfs sind hier klar im Vorteil. Durch den hohen Druck im hermetisch verschlossenen Topf und die dadurch erhöhte Gartemperatur zersetzen sich die Proteine rascher und effektiver. Da das System geschlossen ist, dampfen auch kaum Aromen in die Umgebung ab.

ROQUEFORT-WÜRZSPRAY

100 g Roquefort in ca. 200 ml Sojamilch aufkochen und vollkommen auflösen. Danach abkühlen lassen und die stark aromatisierte Sojamilch abschöpfen. Das zurückbleibende milde Käseprotein im Topf für andere Zwecke aufheben: Es lässt sich kalt würfeln und zum Beispiel unter Salate heben. Die Blauschimmeltrümmer ebenfalls aufbewahren und zerkrümelt zum Würzen von Fisch oder Fleisch verwenden. Die „Roquefortmilch“ durch einen Teefilter oder Haarsieb geben, um auch kleinste Partikel herauszubekommen, damit der Zerstäuber nicht verstopft. Diese Milch dann in einen Zerstäuber füllen und Gerichte der Wahl damit besprühen. Der Hauch eines Blauschimmelkäses wird jedes Schweinefilet, jedes Hühnerbrüstchen, jeden Seeteufel auf eine ganz andere Art würzen, als das mit vielen andern Gewürzen oder Kräutern möglich ist.

ABRUNDEN: KOKUMI

„Kokumi“ stammt aus dem Japanischen und umfasst die Eigenschaften „Mundfülle“ und „Rundheit“ ( Seite 16). Dabei ist der gesamte erste Eindruck einer Speise entscheidend, der sofort nach dem ersten Zungenkontakt entsteht: Welche Geschmacksrichtungen und welche Reize treten in jeweils welcher Intensität auf? Welche Konsistenzen lassen sich sofort erspüren? Wie der kokumi-Effekt wahrgenommen wird, ist noch nicht erforscht, man weiß nur, dass er durch Proteinbruchstücke ausgelöst wird, die aus einem Verbund von zwei oder drei Aminosäuren und einer Glutaminsäure bestehen. Diese Bruchstücke, γ-Glutamylpeptide, entstehen bei längerem Kochen ( Geschmacksmodulation, Seite 16 f.). Sie sind selbst ohne Geschmack, stimulieren aber den Gesamteindruck, kokumi „verbreitert“ gewissermaßen den Geschmack. Da Proteinbruchstücke aber nur während langen Kochens entstehen, lässt sich eine „Mundfülle“ nachträglich nicht mehr „korrigieren“. Die einzelnen Glutaminsäure-Stücke tragen hingegen zum umami-Geschmack bei ( Abschmecken: umami, Seite 43). Auch deswegen wird die Bolognese sehr lang geköchelt, Tomaten und Fleisch ergeben eine hohe Konzentration dieser Peptide. Die Sauce wird rund und süffig. Auch das Chili con carne mit Bohnen und Fleisch hat diese Eigenschaften.

RAUCHPUNKT VON FETTEN


FETT / ÖL RAUCHPUNKT IN °C
Senföl 240
Erdnussöl (raffiniert, gehärtet) 230
Palmkernfett 220
Sojaöl 210
Sonnenblumenöl (raffiniert) 210–220
Raffiniertes Olivenöl 200–210
Butterschmalz (Ghee) 200–205
Kokosfett 185–205
Sesamöl nativ 175
Butter 175
Erdnussöl (kaltgepresst) 170
Walnussöl 160
Distelöl 150
Rapsöl (kaltgepresst) 130–180
Olivenöl (kaltgepresst 130–175
Schweineschmalz (je nach Wasser/Proteingehalt) 130–210
Weizenkeimöl 120
Sonnenblumenöl (kaltgepresst) 110

KOKUMISIEREN

SELBST HERGESTELLTE KOKUMIWÜRZE erhält, wer eingeweichte weiße Bohnen mit Rindfleisch im Verhältnis 1:1 ohne Salz und Gewürze lange zusammen in möglichst kalkarmem Wasser kocht, bis alles sehr weich ist. Nach dem Pürieren wird die Paste durch ein feines Sieb gestrichen. Die dickliche Paste ist Verdickungsmittel, umami-Gewürz und Geschmacksmodulator in einem und hilft, ein Gericht abzurunden. Vegetarier ersetzen das Rindfleisch durch Käse, sofern tierische Produkte gegessen werden. Im Schnellkochtopf funktioniert dieser Prozess rascher und effektiver.

REIZEN DES TRIGEMINUSNERVS

Der Trigeminusnerv übermittelt groben Druck, Schmerz, Temperatur und Jucken – nicht nur im Mund, sondern am ganzen Körper. Wahrgenommen werden diese Reize als „heiß“, „kalt“, „ätzend“, „beißend“, „brennend“, „prickelnd“ und „adstringierend“ ( Trigeminus, Seite 13). Die gezielte Stimulation des Trigeminusnervs will allerdings geübt sein: In einem überchilisierten Curry wird man feine Nuancen nur noch schwer erkennen.


Die Trigeminusempfindung eines Gerichts lässt sich innerhalb eines dreidimensionalen Raumes verorten. Je mittiger der Reiz, desto ausgewogener ist er – je stärker die Tendenz zu einer Ecke hin, desto prägnanter ist diese eine Empfindung.

Den Umfang der Reize des Trigeminusnervs kann man sich als würfelförmigen Raum vorstellen, an dessen Ecken die einzelnen Empfindungen liegen (siehe Abbildung). Wird eine Empfindung zu sehr hervorgehoben, treten die anderen in den Hintergrund. Raffinierter ist es, mit der Würzung die Mitte einer Kantenlänge oder sogar die Mitte des gesamten Raumes anzustreben.

 

HEISS-KALT – SCHARF-KÜHLEND

PFEFFER darf in kaum einem Essen fehlen, deswegen ist die trigeminale Reizung „scharf“ ohnehin omnipräsent. Aber auch Chili, Ingwer oder frischer Knoblauch liefern diese Empfindung. Das CAPSAICIN in Chili ist dabei noch um ein Vielfaches schärfer als das PIPERIN des Pfeffers ( Schärfegrade, Seite 135). Wird der Reiz zu stark, artet der Genuss in Schmerz aus – die Grenze ist allerdings individuell beziehungsweise eine Sache der Gewöhnung.

PFEFFERMINZE, Pfefferminzbonbons oder Spearmint-Kaugummi hinterlassen eine angenehme Kühle auf der Zunge und im gesamten Mundraum. Die Trigeminusrezeptoren reagieren auf das Molekül MENTHOL, als träfen sie auf Eis. Minze ist das „kühlste“ Küchenkraut, bereits das 1,8-CINEOL in Eukalyptus wirkt viel schwächer.

„ECHTE“ UND „FALSCHE“ TEMPERATURKONTRASTE werden von vielen Köchen gerne als interessanter Reiz gezielt eingesetzt. So finden sich auf Tellerarrangements häufig kalte und warme Elemente, etwa ein intensiv schmeckendes Gemüseeis neben einem warmen Fisch- oder Fleischgericht. Aber es muss nicht unbedingt „echte“ Temperatur sein: So wie Minze als kühlend empfunden wird, vermitteln die Schmerzrezeptoren bei Pfeffer und Chili den Eindruck: „heiß“. Daher kann man zum Beispiel kalten Desserts durch etwas Chili Wärme vermitteln. Ein wenig grob zerstoßener Pfeffer im Schokomousse wirkt nicht scharf, sondern unterstreicht den Charakter in Richtung „heißer Schokolade“. Etwas Langer Pfeffer in einem kühlen, fruchtigen Obstsalat gibt diesem einen überraschenden „heißen“ Kick – der sich im übrigen steigern lässt, wenn noch ein Teelöffel Olivenöl untergehoben wird, um einen Hauch „bitter“ hineinzugeben.

BRENNEND, BEISSEND, PRICKELND

DER WÄRMENDE EFFEKT in Ingwer, ausgelöst durch das GINGEROL, unterscheidet sich in der Empfindung deutlich von Pfefferschärfe. Mit einem Teelöffel frischem Ingwer wird ein Obstsalat ordentlich aufgepeppt. Ebenso unterstützt etwas frischer Ingwer die Säure der Vinaigrette und verstärkt den Genuss durch zusätzliche Trigeminusreizung. Auch MYRISTICIN hat einenleicht „brennenden“ Effekt, es findet sich nicht nur in Muskatnuss, sondern auch in Pastinaken und den Blattgewürzen Petersilie und Liebstöckel. Reichlich Petersilie in einem Salat – oder einfach Petersilie mit Öl, Salz und ein paar Tropfen Zitronensaft als Tellerelement – liefert ein kräuteriges Aroma und ein leicht brennendes Gefühl im Mundraum. In verschiedenen Lakritzprodukten erzeugt Salmiak beziehungsweise Ammoniumchlorid ein brennendes Gefühl. Daher kann mit klein geschnittenen Lakritzrollen oder Konfekt entsprechend gewürzt werden. Den Versuch ist es wert, man sollte allerdings immer sparsam dosieren. Hier offenbaren sich ganz neue kulinarische Zusammenhänge – auf molekularer Basis.

ALS BRENNEND UND „BEISSEND“ können hochprozentiger Alkohol und Tabakrauch empfunden werden. Beides ist küchentechnisch nicht relevant, aber mit Tabak kann gewürzt werden: Dazu werden seine Aromen und Inhaltsstoffe über Wasser oder Öl extrahiert und so den Speisen zugefügt. Eine derart aromatisierte dunkle Schokolade hat tatsächlich ihren Reiz. Allerdings ist Vorsicht bei der Dosierung geboten, denn Nikotin ist bekanntermaßen nicht gesund, ein Zuviel wirkt toxisch. Das Gericht „schmeckt“ außerdem schon bei einer leichten Überdosierung nicht mehr. Ärzte werden es nicht empfehlen, aber für manche ist hin und wieder etwas Pfeifentabak im Schokodessert – genossen mit einem Gläschen bestem Rum, Whisky, Cognac oder Calvados – ein wahrhafter Genuss: Hier werden als „beißend“ empfundene Komponenten unterschiedlichster Aromatik zusammengeführt. Auch bringt etwas Tabakextrakt in Begleitung mit Fisch oder hellem Fleisch ganz besondere Noten. Von Sahnesaucen zu Poularden, die leicht mit Tabak und Morcheln geschwängert sind, ganz zu schweigen. Die Effekte lassen sich auch kombinieren: Eiszubereitungen mit geräuchertem Joghurt-Ziegenkäse ergeben sowohl einen gefühlten warm-kalt-Kontrast als auch einen ganz neuen Eindruck von Rauch.


Die kühlende Wirkung des synthetisch für Pharmazwecke hergestellten Icilins, eines schmerzlindernden Wirkstoffs, übersteigt diejenige des Menthols (Minze) um ein Vielfaches, während das eukalyptusartig duftende 1,8-Cineol (unter anderem in Basilikum, Eukalyptus, Kardamom und Lorbeer) weit schwächer ist und erst bei hohen Konzentrationen wirkt.

(Nach Hanns Hatt, www.cphys.ruhr-uni-bochum.de)

EIN DEUTLICHES PRICKELN sowie eine leichte Taubheit der Zunge werden etwa von HYDROXY-α-SANSHOOL in Szechuanpfeffer und Parakresse ausgelöst. Die chinesische Provinz Szechuan, aus der diese Pflanze stammt, hat für ihre besondere Schärfequalität einen speziellen Begriff eingeführt (má), um sie von der Schärfe etwa einer Chili (là) abzugrenzen. Die Kombination der beiden Qualitäten (má là) führt zu ganz besonderen und in Europa wenig bekannten „Geschmacks“-Erlebnissen, die sich durch ihr breites Empfindungsspektrum auszeichnen, das über gewöhnliche Schärfe hinausgeht.

ADSTRINGENZ

Ein Lebensmittel wirkt adstringierend, wenn es Mund und Zunge „zusammenzieht“. Manchmal wird das adstringierende Gefühl irrtümlicherweise als „bitter“ beschrieben, da sich beide Effekte oft überlagern.

GALLUSSÄURE kommt in grünem Tee vor, im Schwarztee aber ist sie weit weniger nachzuweisen. Auch in Rhabarber ist der Stoff enthalten. Mit Sorten, die arm an OXALSÄURE ( Abschmecken: sauer) sind, beispielsweise jungem Erdbeerrhabarber, lassen sich dezent adstringierende Effekte herausarbeiten, indem man etwa einige kleine Würfel süffigen Sahnesaucen oder Saucen auf Innereienbasis zugibt. Selbst einfache Dessertelemente wie Milchreis bekommen dadurch eine ganz besondere Note.

QUERCETIN kommt in sehr vielen Früchten (Äpfel, Brombeeren, Heidelbeeren, Johannisbeeren Kirschen, Zitrusfrüchte) und Gemüse (Brokkoli, Grünkohl, Grüne Bohnen) vor, außerdem in vielen Gewürzen und Kräutern (Kapern, Liebstöckel, Sanddorn, Schnittlauch, Zwiebel) und sogar in Weinen.

GEHACKTE WALNUSS erzielt ebenfalls adstringierende Effekte. Gleichzeitig erhält man einen Textureffekt durch das knackende Mundgefühl. Zum Beispiel lässt sich gekochtes Rotkraut kurz vor dem Servieren mit ein paar Walnüssen veredeln. Der begleitende Gänsebraten kann diese Adstringenz ebenso vertragen.

DÜFTE ERZEUGEN UND KOMBINIEREN

Wenn eine Zutat duftet, liegt das an kleinen Molekülen, die die Pflanzenzellen verlassen und in die Luft schweben. Deswegen riechen zerstoßene oder geschnittene Gewürze intensiver: Bei ihnen sind viele Zellwände zerstört worden. Einige Düfte sind sehr flüchtig und duften sofort sehr stark, verschwinden jedoch bald. Andere, weniger flüchtige Noten riechen dezenter, aber länger anhaltend. Sie kommen zur Geltung, sobald sich die intensiveren Düfte verflüchtigt haben ( Geruchssinn und Aromen, Seite 18). Um Düfte etwas in ihrer Flüchtigkeit zu bremsen, können sie in geeigneten Lösungsmitteln „festgehalten“ werden. Alle Aromen lösen sich in Alkohol, Fett oder Wasser – oder in mehreren dieser drei Stoffe ( Lösungsmittel, Seite 29). Aus diesem Grund lassen sich auch Essige beziehungsweise Butter oder Käse (Fett) aromatisieren.

ENTSTEHUNG VON AROMEN: REIFUNGSPROZESSE

Viele Aromen und Düfte sind nicht von vornherein in Gewürzen oder Lebensmitteln enthalten, sondern entstehen erst durch Lagerprozesse: Das bekannteste Beispiel ist wohl der typisch heuartige Waldmeisterduft, der erst beim Welken der Pflanze freigegeben werden kann. Oft sind an dieser Steigerung des Genusses eine ganze Reihe von Stoffen beteiligt, die im Lebensmittel mit der Zeit zu anderen Molekülen mit anderen Dufteigenschaften „umgebaut“ werden. Dies ist angewandte Biotechnologie in Reinstform.

BEI DER FLEISCHREIFUNG werden die enthaltenen Fettsäuren durch enzymatische Prozesse zu völlig neuen Aromen umgebaut. Jede Fleischsorte weist ein anderes Spektrum an Fetten auf, darauf lässt sich der unterschiedliche und sehr charakteristische Geruch etwa von Rind, Schwein, Schaf oder verschiedenen Geflügelarten zurückführen. In den Gerüchen der jeweiligen Brühen und Fonds sind diese Unterschiede noch immer wahrzunehmen: Hühnerbrühe riecht deutlich verschieden von einer Rinder-, Lamm- oder einer Brühe auf Schweinefleischbasis. Die chemischen Prozesse, bei denen aus den Fettsäuren Aromen gebildet werden, benötigen Zeit, daher müssen zum Beispiel Fleischbrühen und Fonds eine gewisse Zeit garen, bis sie ihr volles und tiefes Aroma entwickelt haben. Solche chemischen Prozesse sind auch der Grund, weshalb nach Tagen im Kühlschrank wieder aufgewärmte Schmorgerichte häufig „besser“ werden. Wegen des fortschreitenden Fettabbaus und der damit verbundenen weiteren Aromenbildung werden Geruch und Geschmack intensiver. Außerdem ziehen die Aromen des Schmorfonds nach und nach in das Fleisch und würzen es zusätzlich ( Verwendung von Fett, Seite 47).

AROMEN BEIM FETTABBAU


AUCH DURCH PILZE lassen sich Aromen „herstellen“ – die Fermentierung durch Hefe ist ein Beispiel. Jeder Käseliebhaber profitiert davon: Edelschimmel wird den Käselaiben zugefügt, woraus köstliche Camemberts oder Edelschimmelkäse entstehen. Durch das Einreiben mit Salzlake lassen sich die besten duftenden Rotschmierkäse herstellen, die Affineure zu bieten haben.

AROMEN AUS DEM FEUER: RÖSTEN UND RÄUCHERN

Rösten und Räuchern sind uralte Verfahren, um Speisen zu würzen. Die Rauch- und Röstaromen wirken als Würzung, die nicht durch herkömmliche Gewürze oder Kräuter nachzuahmen ist.

RÖSTEN

DIE MAILLARD-REAKTION ist beim Grillen und Rösten stets beteiligt. Bei dieser sogenannten nichtenzymatischen Bräunungsreaktion bilden sich unter großer, offener Hitze von mehr als 100 °C aus den Proteinbestandteilen der Aminosäuren und Zucker röstig-karamellig, nussig und brotrindenartig duftende Aromen, die Pyrazine. Das Aroma von Lebensmitteln wie gebratenem Fleisch, Brotkrusten, Kakao, Kaffee und gerösteten Nüssen lässt sich so beeinflussen. Wenn Zucker (Glukose) unter hohen Temperaturen auf die Aminosäure Asparaginsäure trifft, entstehen allerdings auch Schadstoffe wie Acrylamid. Das betrifft vor allem stärkehaltige Produkte wie Brot und Kartoffeln.

Der Vorteil der Pyrazine ist ihre niedrige Wahrnehmungsschwelle. Man muss daher gar nicht immer das ganze Gericht auf den Grill oder in die Pfanne legen: Für einen deutlichen Würzeffekt ohne Dominanz genügen bereits ein paar „Röstpunkte“ auf einem ansonsten pochierten oder bei Niedrigtemperatur gegarten Fleisch, die mit einem Gourmetbrenner aufgetragen werden.

EIN RÖSTIGES WÜRZÖL lässt sich relativ einfach herstellen, weil Pyrazine und andere Röstprodukte fettlöslich sind. Dazu werden zum Beispiel 100 g Sonnenblumenkerne sehr dunkel angeröstet und mit 300 ml Sonnenblumenöl grob püriert. Nach einigen Tagen Marinierzeit (Mazeration) lässt sich das Püree abseihen und das gewonnene Öl filtern. Das Öl hat jetzt einen starken Röstcharakter.

FÜR RÖSTSCHMALZ werden Zwiebeln und Knoblauch mit reichlich Gänse oder Schweineschmalz kräftig angeröstet und danach in der Pfanne abgekühlt. Nach zwei, drei Tagen Marinierzeit wird es leicht erwärmt und abgefiltert. Wenn das Schmalz wieder abgekühlt und fest geworden ist, kann es als Röstfett zum Abschmecken von Saucen verwendet oder schlicht mit Salz auf Brot zum Aperitif genossen werden.