Die Stille in mir

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BERUFUNG

»Nur wer seinen eigenen Weg geht,

kann von niemandem überholt werden.«

Marlon Brando

Arbeitssuche nach der Krise

»WAS WILLST DU?« Zunächst hatte ich auf diese Frage keine Antwort, nur ein vages Gefühl. Nach und nach aber meldeten sich Sehnsüchte und Wünsche, deren Erfüllung ich nach und nach anstrebte ...

Nach meiner Krankheit und einem halben Jahr Auszeit musste ich mich mit der Rückkehr ins ganz normale Leben befassen: Geld und Arbeit. Aber ich hatte mich verändert. Ich wollte nun nicht mehr irgendeinen Job annehmen, nur um zu überleben.

Zuvor hatte ich oft bei der Ausübung von Beschäftigungen gelitten, die nicht meinen Talenten und Leidenschaften entsprachen, darunter eine Lehre als Bauzeichner. In der naiven Vorstellung, (technisch) zeichnen und entwerfen zu dürfen, bewarb ich mich um eine solche Stelle, nachdem es mit dem Versuch, mich als Fotograf ausbilden zu lassen, nicht geklappt hatte.

Schon bald hatte ich nur noch mit Bauordnungen, Stücklisten, Gesetzen und Regelwerken zu tun. Gezeichnet wurde natürlich auch, aber es gab feste Vorgaben, Normgrößen, Standardmaße – das Gegenteil von künstlerischem Ausleben.

Nicht mehr wegschauen konnte ich, als ich ein Praktikum auf einer Baustelle zu absolvieren hatte. Fühlte ich mich als Kind in meiner Familie schon nicht verstanden, empfand ich mich unter Bauarbeitern wie ein rosa Kaninchen, das verzweifelt versuchte, unauffällig zu bleiben und zu überleben. Unglücklicherweise stellte sich deswegen schon einige Tage nach Beginn des Pflichteinsatzes ein unerklärlicher Schmerz an der linken Hand ein. Mit allerletzter Kraft schleppte ich mich zu einem mitfühlenden Arzt, der mein Leid sofort erkannte und mich zunächst einmal von dem Baustelleneinsatz krankschrieb. Prompt war ich geheilt.

Am liebsten hätte ich nach meiner Krankheit eine Bewusstseinsschule besucht, so wie sie es in früheren Zeiten gegeben hatte. Begeistert hatte ich noch im Krankenbett Einweihung von Elisabeth Haich gelesen, ein Klassiker der spirituellen Literatur. Das Buch schildert die Lebensgeschichte einer ägyptischen Frau, die zur Hohepriesterin ausgebildet wird. Bevor sie aber in die eigentlichen Mysterien eingeweiht wird, muss sie 13 Jahre lang die grundsätzliche Beherrschung ihres Körpers, ihrer Gedanken, ihrer Emotionen kennenlernen. Das faszinierte mich.

Ich wollte weiter in den Medien arbeiten. Und ich wollte meinen Körper, meine Emotionen, meine Gedanken erforschen und suchte nach einer Verbindung dieser beiden Themen. Plötzlich war die Antwort da: eine Schauspielschule! Dort lernt der Künstler, sich mit Emotionen und Körper auszudrücken. Coole Vorstellung. Natürlich sollte es eine Schule sein, wo es um das innere Erleben ging, wo der Schauspieler lernte, seine Emotionen selbst hervorzuholen, um mit ihnen zu arbeiten.

Spielen und Sein vor der Kamera

Stehend, die Augen geschlossen, erhebe ich mich in die Lüfte. Mir wachsen Flügel, im Nu bin ich über den Wolken und kreise umher. Genau mustere ich aus dieser Perspektive den Erdboden, scanne das Gebiet, suche nach etwas, das sich bewegt. Ich fühle mich frei, über allem und weiß um meine Gefährlichkeit.

Ich krächze.

Ich bin ein Adler.

Ich kreise weit oben, fühle die Freiheit, meinen Stolz.

Langsam, mit erhobenen Armen, öffne ich die Augen, bleibe im Bewusstsein des Adlers – aristokratisch, streng, gefährlich – und blicke hinunter auf die Menschen, die dort unten liegen.

Wieder krächze ich erhaben.

Ich habe einen messerscharfen Blick und beobachte sie genau. Wer würde mein nächstes Opfer sein? Ich schwebe weiterhin in elliptischen Bahnen.

Ich öffne wieder die Augen und bleibe dennoch ganz im Bewusstsein des Adlers. Die Flügel, die eigentlich meine Arme sind, sind weiterhin ausgebreitet. Mein Krächzen wird langsam zu einer menschlichen Stimme, meiner Stimme, aber nun mit einem arroganten, rauen, leicht abgehackten Unterton, überheblich, desinteressiert.

»Hallo, ihr da unten«, sage ich, bleibe in der Klarheit des in anderen Ebenen Weilenden und mustere alle sehr, sehr genau.

Natürlich stehe ich in Wirklichkeit auf meinen Füßen. Wir befinden uns in einer Halle der Schauspielschule, ich und meine Schauspielschulkollegen. Diese blicken mich erstaunt und verwirrt an, dann lachen sie, schließlich lachen wir alle.

Ich hatte mich in eine völlig andere Figur verwandelt. Der vermenschlichte Adler hatte mir eine ganz neue Energie verliehen.

So etwas lernt man beim Method Acting, einer Schauspielmethode. Die Idee dabei ist, dass man so einen ganz eigenartigen, neuen Charakter formen kann, indem man alle Eigenheiten zum Beispiel eines Adlers studiert und nach und nach vermenschlicht. Marlon Brando soll sich für seine brillante Rolle in Der Pate in einen verletzten Tiger versetzt haben. Watte in den Backen tat ihr Übriges.

Diese Methode erinnert ein wenig an Krafttierreisen aus dem Schamanismus, allerdings mit dem Unterschied, dass es hier nicht um Heilung oder Selbsterfahrung geht. Und doch konnte ich hier erfahren, wie wir uns durch die Fokussierung unseres Geistes in ganz andere Bewusstseinszustände bringen können. Denn in der Tat – ich fühlte mich nicht nur körperlich wie ein Adler. Sinn der Übung sollte es sein, auch seelische und psychische Eigenschaften, die man mit einem Adler in seiner Vorstellung verband, zu übernehmen und leben zu lassen. Und dies ließ sich dann auf eine Rolle anwenden – in diesem Falle hätte ich einen hintertriebenen Betrüger spielen können, der als Einzelgänger alles aus der Ferne beobachtet und dann zu einem geeigneten Zeitpunkt zuschlägt.

Schauspiel

»Method Acting« wurde in den 1950er Jahren von Lee Straßberg begründet, der es wiederum von Konstantin Stanislawski, dem Gott unter den Schauspiellehrern, übernommen hatte. Und es gab eine Schule in München, die diese Methode lehrte.

Schauspielschule – eine Welt für sich. Zusammen mit 20 Mitstudenten, von denen die meisten viel jünger waren als ich, arbeitete ich nun mit dem Werkzeug des Schauspielers, seinem Kapital: Körper, Erinnerungen und Gefühle.

Natürlich gab es auch klassische Fächer wie Sprechunterricht (half mir viel), Tanz (ein Schwänzen war nicht möglich) und Theatergeschichte. Faszinierend aber waren die emotionalen Übungen, wie die des Adlers.

Bei einer anderen Methode galt es, sich in einen intensiven Moment der Kindheit zu versetzen, diesen bis ins Detail zu erinnern und das täglich zu wiederholen. Irgendwann reicht ein kurzes Denken an diesen Moment und das starke Gefühl taucht auf, mit dem man dann arbeiten kann.

Ich arbeitete mit der Dusche: Als Kind fürchtete ich mich vor kaltem Wasser, weiß Gott, warum. Wenn ich mir nun intensiv vorstellte, unter einer kalten Dusche zu stehen und zu frieren, schlotterte ich am ganzen Körper und fühlte mich ängstlich. Diese Vorstellung probte und intensivierte ich nun. Galt es, einen vor Angst zitternden Menschen zu spielen, half mir das kurze Fokussieren auf die Dusche – schon sprach ich unterschiedlichste Texte schlotternd vor mich hin.

So funktioniert die Kombination dieser Schauspielmethode, die Monate, ja, Jahre an Training braucht: Text und Sprechtraining, um die Texte in jeder Situation sicher und bühnengerecht laut zu sprechen. Emotionale Arbeit mit mentalen und emotionalen Techniken. Die Entwicklung von körperlichem Feingefühl und Ausdruck mithilfe von Feldenkrais, Tai-Chi, Fechten und Sport. Schließlich das Zusammenführen all dieser Komponenten, um ein subtiles, interessantes Spiel zu ermöglichen.

Schauspiel ist eine hohe Kunst. Jene, die es wirklich zu etwas gebracht haben, vermitteln durch ihr Spiel auch eine Botschaft, die über bloßes Erzählen einer Geschichte hinausgeht, und das gibt ihnen die Kraft, diesen wirklich schweren Beruf zu meistern. Auch ich wollte Inhalte vermitteln – aber nicht als Schauspieler, wie mir allmählich klar wurde.

Denn bald waren meine idealistischen Erwartungen auf anstrengende Realität gestoßen: Natürlich interessierte sich auf einer Schauspielschule kein Mensch für persönliche, bewusstseinserweiternde Erfahrungen. Alle Gefühle und hervorgeholten Erlebnisse waren nur Werkzeug für den Job des Schauspielers. Dass mit dieser Öffnung aber auch alte Erinnerungen, Ängste und unverarbeitete Probleme auftauchten, darüber wurde nicht gesprochen und der Schauspieler damit alleingelassen. Sicher galt dies auch als Test: Wer der Aufgabe nicht gewachsen war und mögliche wieder aufsteigende alte Traumen nicht parallel mit einer Therapie bearbeitete und dennoch seinem Berufsziel treu blieb, hielt es eben nicht lange aus.

Diese seelischen Themen aber interessierten mich bald mehr als das Spiel. Zudem erkannte ich, dass mir die ständige körperliche Arbeit nicht wirklich Spaß machte. So verließ ich die Schule nach einem Jahr und konnte doch im Laufe der Jahre eine kleine Karriere aufbauen. Dabei war ich aber nie sonderlich bekannt – Sie müssen also nicht verzweifelt überlegen, ob Sie mich nicht irgendwo schon einmal gesehen haben.

Echtes künstlerisches Arbeiten erlebte ich beim Film eher selten. Eine Ausnahme war die Arbeit mit dem bekannten Regisseur Michael Verhoeven, der jeden wichtigen Darsteller zunächst in seine Villa einlud (wo mir eine gut gelaunte Senta Berger, mit Wäschekorb bewaffnet, den Platz auf dem Sofa anbot), Tage vorher die Rollen in aller Ruhe probte und dann in einer entspannt-kreativen Atmosphäre drehte. Es war auch meine vielleicht anspruchsvollste Rolle: Im Film Eine unheilige Liebe (1993) spielte ich einen jungen Ministranten mit großer Versagensangst, der sich in den Pastor verliebte und sich nicht so klar war, ob er schwul sein wollte. Angst vor Versagen, Scheu, Identitätssuche – das kannte ich gut. Aus der Zeit vor der Krebserkrankung.

 

Aber es war nicht schön, Traurigkeit und unterdrückte Wut zu spielen, Aspekte, die ich gleichzeitig dabei war, persönlich aufzuarbeiten. So zweifelte ich, noch ehe meine Karriere überhaupt richtig begonnen hatte, ob es das Richtige für mich sei, mich immer wieder mit diesen Gefühlsfeldern zu verbinden. Und ich erinnerte mich an die Aussage von Götz George, er würde eine intensive Figur, die er verkörpert hatte, oftmals erst nach einem halben Jahr wirklich los. Und er spielte unter anderem einen Massenmörder.

Rückblickend würde ich sagen: Ich habe viel über Körper, Emotionen und Bewusstsein gelernt, aber es fehlte der Raum für spirituelle Erfahrungen. Schöne Erinnerungen habe ich an die oft netten, kurzen Freundschaften mit anderen Schauspielern; das waren im Grunde alles mal mehr, mal weniger gut funktionierende Familien auf Zeit, eben so lange, wie ein Dreh dauerte.

Durch die intensive Zeit vergaß ich zeitweise meine spirituellen Interessen völlig, dann ging es mir auch meist nicht so gut. Kleine Ausnahmen leuchteten dafür um so strahlender: Sicher haben Sie schon mal vom ›Flow‹-Zustand gehört, in den auch Sportler kommen oder Menschen, die mit Freude an einem herausfordernden Ziel arbeiten und dabei ganz in ihrer Sache aufgehen.

Als ich eine komplizierte längere Sequenz vorzubereiten hatte, die mit Humor, Improvisation und einem Tänzchen verbunden war, fühlte ich eine eigenartig leichte Stimmung und Freude. Lange probte ich das Ganze in einer der Kabinen des Studios, nachdem ich schon zu Hause tagelang herumgetanzt war. Als es dann soweit war und mein Einsatz kam – es liefen fünf Kameras parallel, da auch andere Schauspieler beteiligt waren –, erfüllte mich eine ungewohnte Sicherheit und Klarheit. Ich legte los – und ließ geschehen. Ich musste nichts mehr tun, es lief wie von selbst, ich war wie ein Dirigent über mir, der wohlwollend dem Ablauf zusah.

Was wollte mir das Leben damit zeigen? Dass wahre Wunder möglich sind, wenn wir in einen angstfreien Flow-Zustand geraten.

Moderation

Mit der Zeit wurden die Rollenangebote weniger – im Comedy-Bereich, beispielsweise einer Serie mit Heinz Schubert, hatte ich noch einige lustige Einsätze – und ich fasste ins Auge, mich als Moderator zu versuchen. Moderation konnte man damals nirgends lernen, es gab keine Akademien und schon gar keine öffentlichen Castings. Hier half mir auch wieder meine Experimentierfreudigkeit.

Schon in der Schule hatte ich verschiedentlich herumexperimentiert mit Sketchen, Super-8-Videos und kleinen Theaterauftritten. Nun fasste ich also den Mut und stellte mich einfach hie und da einfach als Moderator vor, noch bevor ich einer geworden war.

Man buchte mich aufgrund der Kombination Schauspiel/Moderation/komisch. 26 Folgen TV-Kolleg Wirtschaft, ein paar Liveauftritte, Gastmoderationen in Welt der Wunder. Ganz frei und überzeugend sprechen lernte ich erst nach und nach.

2001 dachte ich mal wieder: Yeah, jetzt habe ich es geschafft! Ich bin großer TV-Moderator einer Kindersendung! Das lief ein ganzes Jahr lang, 200 Folgen, aber die Realität forderte mich weiter heraus.

Als Moderator musste ich zwar nicht mehr in fremde Rollen und Charaktere schlüpfen, doch hieß das noch lange nicht, dass ich frei war. Vielmehr wurden mir komplette Moderationstexte geschrieben, die ich Wort für Wort wiederzugeben hatte, natürlich immer gute Laune ausstrahlend und mit dem entsprechenden Kindersendungsgesicht.

Da stand ich nun in einer perfekt vorbereiteten Klugbeißer-Studioküche, in lauten Fabrikhallen, wo Pommes oder Brot hergestellt wurde, auf Äckern, auf denen Raps wuchs, und hatte ein für mich letztlich uninteressantes Wissen über Nahrungsmittel zu vermitteln.

Wieder einmal hatte ich gedacht: Klar, ich will berühmt werden, jetzt muss ich noch diese albernen Texte überstehen, dann mache ich die ganz großen Shows. Wenn es inspirierende Texte gewesen wären, hätte ich es locker überstanden – aber die gesamte Sendung war gesponsert von der CMA – der Centrale Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft mbH i. L. Demzufolge sollten alle Fabriken, alle Nahrungsmittel und alle Rezepte aus Deutschland einfach nur als großartig und gesund beworben werden.

Einmal stand ich mit Gummistiefeln in einer kalten Halle inmitten von 10.000 kreischenden Truthähnen. Ich sollte sagen, wie gut es denen doch geht – und bekam kein Wort heraus. Ich spürte den Schmerz, die Traurigkeit, das Leid der eingepferchten Tiere, die nie das Sonnenlicht sehen würden und durch automatische Trinkhähne und ein immer gleiches Futter gemästet wurden.

Ich hielt es nicht mehr aus, war den Tränen nahe, brach den Dreh ab. Trotzdem war das meiste schon im Kasten, die Folge ging auf Sendung. Immerhin wurde der Text verkürzt und abgeändert, weil ich darauf bestand.

Wenn Improvisation und Humor im Spiel waren, erlebte ich als Moderator mittlerweile öfter als in der Schauspielkarriere kleine oder große Flow-Zustände. Freude, Kreativität und Vertrauen zeigten mir so, welchen Weg ich weiter zu verfolgen hatte.

Für mich ergab sich daraus eine wichtige Lehre: Wenn Sie ein großes Ziel haben, gehen Sie Schritt für Schritt darauf zu. Aber achten Sie darauf, dass auch die einzelnen Schritte zu Ihnen passen, dass Sie auch dabei Freude empfinden, ohne sich verbiegen zu müssen. Es wird sich ein leichterer Weg auftun, wenn Sie im Vertrauen bleiben. Bleiben Sie sich treu!

Regie und Autor

An dieser Stelle gestehe ich: Bei all diesen Tätigkeiten genoss ich es, im Mittelpunkt zu sein. Das war ein gewisser Ausgleich zu früheren Zeiten. Ich wurde gesehen und dafür bezahlt. Auch heute ist es noch ein bisschen so – sonst könnte ich gar nicht moderieren –, nun aber mit Themen, die den Menschen im Leben weiterhelfen sollen.

Allmählich bekam ich Lust, inhaltlicher zu arbeiten. So entwickelte ich Stoffe und Inhalte für Dokumentarfilme, bis ich 2003 die Möglichkeit bekam, einen großen Film über das japanische Nô-Theater für arte und WDR zu drehen. Das war ein tolles Jahr: Zunächst vertiefte ich mich ein Jahr in die japanische Geschichte, Kultur und Spiritualität, dann drehten wir dort mehr als sechs Wochen.

Film ist Teamarbeit: Ohne den leidenschaftlichen Einsatz des damaligen Produzenten und Kameramannes Amadeus Hiller mit seinen guten Verbindungen nach Japan wäre das nie möglich geworden.

Die japanische Kunst hat etwas Sakrales. Der Hauptdarsteller des Nô-Theaters, eine 650 Jahre alte Kunst, die dort einen ähnlichen Stellenwert hat wie bei uns die Oper, tritt vor dem Auftritt in einen sogenannten Spiegelraum, in dem er nach und nach, quasi meditierend, in die Figur eintaucht, die er zu spielen hat. Währenddessen werden ihm in genau definierten Abläufen das schwere Kostüm und die Holzmaske aufgesetzt, die er während des ganzen Stückes aufbehält.

Die Stücke selbst, die früher oft drei Tage lang dauerten, sind heute immer noch um die drei Stunden lang und haben nicht selten einen einschläfernden Charakter. Die Zuschauer dürfen aber gerne mal ein Nickerchen machen – um so gemeinsam mit den Akteuren in einen ›Zwischenraum‹ zu tauchen. Langsamer, monotoner Sprechgesang, eine für uns abstrakte Musik und Momente der Stille, in denen alle zu meditieren scheinen, und alte mythologische Inhalte von Göttern und Hexen waren die Melange des Ganzen. Am Ende gibt es oft Kämpfe zwischen Drachen und alten Männern und natürlich ein dramatisches Finale.

Es ist faszinierend, wie im Land der aufgehenden Sonne Sakrales, Banales und Kulturelles miteinander verbunden sind. Der Künstler wird verehrt und bekommt in Ausnahmefällen den Titel ›Lebender Nationalschatz‹. Im Fernsehen, auf den Straßen und sogar an einem banalen Bankautomaten begegnen einem viele bunte kichernde Comicfiguren und Charaktere, die einem erklären, welche Knöpfe zu bedienen sind. Für den Japaner ist alles belebt. Der Schintoismus, neben dem Buddhismus die Hauptreligion Japans, spricht von Tausenden von Göttern, die in Bäumen, Häusern und Altären leben. Wer sagt, dass sich darin nicht eine tiefgründige Wahrheit verbirgt?

Danach konnte ich keinen weiteren Film mehr verkaufen, unter anderem auch, weil ich nicht mehr bereit war, inhaltlich Kompromisse einzugehen, und mich am liebsten nur noch mit Themen beschäftigen wollte, die mir am Herzen lagen – Spiritualität und Bewusstsein. Wie aber sollte sich das mit meiner Medienarbeit verbinden lassen?

Zum Glück hielt ich an meinem Wunsch fest. Aber glauben Sie mir, wenn man so verbissen idealistisch ist wie ich, hat man es nicht immer leicht, die Miete zu bezahlen ...

Der Job aus der Hölle

Kinder sollten in der Schule lernen, die eigenen Talente und Leidenschaften zu finden und zu fördern, so ungewöhnlich sie auch sein mögen. Selbstredend will jeder zunächst einmal Superstar werden, aber wenn man tiefer blickt, entdeckt jeder ganz eigene Wünsche und Fähigkeiten.

Da ich mich immer wieder neu justierte, habe ich viele Erfahrungen auf diesem Weg gesammelt. Immer mal wieder fragte ich mich (und tue es noch): Wie finde ich meinen Weg? Und wie sieht dieser jetzt aus, was gilt es, neu zu lernen oder loszulassen? Was will ich JETZT?

Wenn auf solche Fragen keine Antwort kommt, probieren Sie doch mal das Gegenteil. Folgende lustige Übung habe ich aus dem Buch Ich könnte alles tun, wenn ich nur wüsste, was ich will von Barbara Sher entlehnt: der Job aus der Hölle.

Fragen Sie sich: Was wäre der fürchterlichste Job, den Sie sich vorstellen können? Bitte übertreiben Sie, stellen Sie sich Details vor, egal, ob Sie diese schon selbst erlebt haben oder befürchten.

Stehen Sie, sitzen Sie?

Wo befinden Sie sich?

Allein oder unter vielen Menschen?

Haben Sie zu viel, zu wenig, zu stupide Arbeit?

Die gefundenen Bilder können zunächst einmal schockieren – und zwar dann, wenn Sie bemerken, dass Sie sich im Grunde in genau solch einer Situation befinden – oder belustigen, wenn Sie ganz neue Erkenntnisse über sich selbst gewinnen.

Mein ›Job aus der Hölle‹ sah zum damaligen Zeitpunkt so aus: Ich sitze da und muss schwierige, langweilige Listen ausfüllen, die mir sinnlos erscheinen, die niemand würdigt, die am Ende für nichts benötigt werden. Hinter mir stehen drei Chefs, die mich anbrüllen. Das Büro ist klein und hat keine Fenster. Es gibt zwei Türen. Ohne Vorankündigung werden diese manchmal aufgerissen und ein Schnellzug rast mit ohrenbetäubendem Lärm durchs Büro. Niemand spricht wirklich mit mir, niemand interessiert sich für meine Meinung oder Arbeit.

Und bei Ihnen?

Mit dieser Schreckensvision ist der erste Teil geschafft. Nun drehen Sie das Ganze um und schreiben einfach das Gegenteil all dieser Bilder und Befindlichkeiten auf.

Dann sehen Sie sich das an. Na, wäre das nicht schön? Was können Sie tun, um sich dem zu nähern?

Ich erkannte dabei vieles, was mir für meine Arbeit wichtig war und ist: Freiheit, Ruhe, Auslauf, große Räume mit vielen Fenstern, inhaltlich spannende Themen, Kreativität, Selbstständigkeit und ein Nutzen für viele Menschen.

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