Die Vollstreckung der Absichtslosigkeit

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Die Vollstreckung der Absichtslosigkeit
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Thomas Häring



Die Vollstreckung der Absichtslosigkeit



Agenten, Legenden und Tragödien der Arbeit Teil 2





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Inhaltsverzeichnis





Titel







Der Exkremist







Die Auszeit







Die Einkehr







Impressum neobooks







Der Exkremist



Ich stand in der Sonne, die Menschen um mich herum starrten mich an wie einen Verrückten, als ich damit begann, sowohl meine Blase als auch meinen Darm gleichzeitig zu entleeren und als special effect bot ich noch einen Bonus Dreck in Form von einem Schwall Kotze, der mir aus der Gosche schwappte. Was für ein Auftritt, das Publikum war entgeistert und die ersten Angsthasen riefen bereits nach der Polizei. Das alles wäre nicht weiter schlimm und auch nichts Besonderes sowie erst recht kein politisches Statement gewesen, wenn das Ganze nicht zufällig vor der Hauptzentrale der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg stattgefunden hätte. So lange hatte ich mich mit den Themen Arbeit, Arbeitslosigkeit und Zeitarbeit auseinandergesetzt, daß ich es einfach nicht mehr ausgehalten hatte und mich deshalb dort entleerte, wo der ganze Scheiß hingehörte, weil er von dort ja bekanntlich herkam. Die Polizisten, die mich mitnahmen, fanden meine Aktion eigentlich recht lustig und hatten deswegen kein sonderlich großes Interesse daran, mich bei sich zu behalten, weshalb auch das so genannte Verhör eher einem freundschaftlichen Geplänkel gleichkam. Es wurden zwar keine Zärtlichkeiten unter Freunden ausgetauscht, das heißt, ich bekam keinen Schlagstock meiner neuen Kumpels zu spüren, aber die Männer in Grün waren mir durchaus wohl gesonnen, auch wenn ich schon merkte, daß sie irgendwie befürchteten, ich könnte meine Aktion wiederholen, weshalb sie sich anschickten, mich so schnell wie möglich wieder freizulassen. Aber ich hatte weder ein Interesse daran noch die Fähigkeiten, mich innerhalb der kurzen Zeit ein zweites Mal zu entleeren und ich konnte auch nicht so viel fressen wie ich scheißen wollte, so daß sie sich keine Sorgen zu machen hätten brauchen. Doch auf einmal bekamen sie einen Anruf von Zensursula und jene sorgte dafür, daß ich nicht ungestraft davonkam, weshalb ich in der geschlossenen Anstalt einer Psychiatrie, nämlich der in Ansbach, untergebracht wurde. Dort behandelte man mich interessanterweise ein wenig freundlicher als die anderen Patienten, was dieses Mal meiner Meinung nicht aus Angst vor einem weiteren Piß In meinerseits geschah, sondern aus Sympathie und Solidarität. Doch was hatte ich mit meiner künstlerisch inspirierten Spontanaktion eigentlich ausdrücken wollen? Ich meine, Euch kann ich es ja in aller Offenheit gestehen, Ihr werdet es bestimmt niemandem weitererzählen, ich vertraue Euch da voll und ganz, meine Schwestern und Brüder im Geiste. Also, ich wollte schon in die Agentur, um mich zu beschweren, weil man mich zum zwölften Mal sanktioniert hatte und deswegen nun 20 Prozent meines Hatz IVs, also rund 70 Euro monatlich von mir überwiesen bekommen wollte. Das fand ich schon ziemlich unverschämt, daß ein Leistungsempfänger wie ich einen Staat finanzieren sollte, der mich lediglich mit Lebensmittelgutscheinen versorgte, die beschissen schmeckten und von denen ich auch nicht satt wurde. Dummerweise hatte ich am Abend zuvor mal wieder zuviel getrunken gehabt und weil ich im Rausch noch einen Freßflash bekommen hatte, war das geschehen, was ich eingangs beschrieben hatte. Während ich in der Geschlossenen mein Dasein fristete und inständig hoffte, nicht zum dreizehnten Mal sanktioniert zu werden, was nicht daran lag, daß ich etwa abergläubisch war, sondern nur damit zu tun hatte, daß ich weder Lust noch Geld hatte, um fast 110 Euro im Monat an den Staat zu blechen, ging es in Deutschland voll zur Sache, denn es entbrannte eine heftige Debatte darüber, ob es human war, Leistungsempfänger so heftig zu sanktionieren, daß sie irgendwann zu solchen Maßnahmen greifen mußten, um die Öffentlichkeit auf ihr bedauernswertes Schicksal aufmerksam zu machen. Es kam zu einer Polarisierung: Die Einen vertraten den Standpunkt, solchen Asozialen wie mir gehöre die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen, die Anderen schlugen sich auf meine Seite und ihre Gegner zusammen.




Ich bekam von alledem nicht wirklich etwas mit, denn man hatte mich mit Tabletten vollgestopft, die lustigerweise dafür sorgten, daß ich noch mehr kackte als je zuvor und deshalb vom Scheißhaus fast nicht mehr herunterkam, was auf die Dauer weder meine Mitbewohner noch ich selbst ziemlich lustig fanden. Die Ärzte aber kannten kein Pardon, sie redeten mir ein, ich wäre manisch, denn ansonsten wäre ich zu so einer Aktion niemals in der Lage gewesen, schließlich hätte ich mich vollständig entblößt und der Film von meinem vermeintlichen politischen Statement ginge per Internet bereits um die Welt. Über Nacht war ich also berühmt geworden, doch irgendwie wäre es mir schon lieber gewesen, wenn mir das auf eine andere Art und Weise gelungen wäre. Aber damit nicht genug, denn die Politiker im Land waren der Meinung, sie müßten an mir ein Exempel statuieren, was dazu führte, daß mich Etliche von den Nasen besuchten und mir, während sie bei ihrem Besuch bei mir fotografiert sowie gefilmt wurden, versicherten, sie würden meinen Fall prüfen und sich für eine Stundung meiner Schulden beim Staat oder eine Ratenzahlung einsetzen. Auf die Idee, die Sanktionen zu kürzen oder zu streichen, kam natürlich niemand, denn den gesunden Menschenverstand hatten jene Leute ja an der Garderobe abgegeben, bevor sie die Tür zur Politik durchquert hatten. Doch all ihre Beschwichtigungsversuche halfen nichts, der Geist, der scheißt, war aus der Flasche und die ganze Debatte entwickelte eine Eigendynamik, die sich gewaschen hatte. Ich selbst staunte am allermeisten darüber und ärgerte mich insgeheim, daß ich nie im Leben so bekannt geworden wäre, wenn ich mich ganz normal in der Verwaltung beschwert hätte. Aber so war das halt in dieser verrückten Welt, in der nicht der Inhalt, sondern nur die Form wahrgenommen wurde. Ich war zu einer Person des öffentlichen Lebens geworden und das führte natürlich dazu, daß sich die Medien wie gierige Hunde auf mich stürzten, von denen mich einige nur zu gerne zerfleischt hätten. Man haßte mich dafür, daß ich dafür gesorgt hatte, daß an Deutschlands Stammtischen nicht länger über die Arbeitslosen hergezogen wurde, sondern daß man dort ernsthaft darüber diskutierte, ob es tatsächlich gerecht war, daß man den armen Schweinen nicht nur das letzte Hemd wegnahm, sondern daß jene sogar Kredite aufnehmen mußten, um ihre Schulden beim Staat zurückzahlen zu können. Auf einmal war nicht mehr von Schmarotzern und Parasiten die Rede, welche Vater Staat bis zum bitteren Ende aussaugten, man sprach plötzlich von bemitleidenswerten Lebewesen, denen geholfen werden müsse. Das hörten die da oben nicht so gerne, denn das bedeutete, daß sie auf ein bißchen was von ihrem Überfluß verzichten hätten müssen und daran hatten sie keinerlei Interesse. Deswegen versuchten sie, mich zum Schweigen zu bringen und das taten sie, indem sie mir eine reiche Frau vorbeischickten, die nicht nur gut aussah, sondern auch noch was im Kopf hatte und dabei handelte es sich erstaunlicherweise um kein Handtäschchen von Fucci. Mein Psychologe ließ mich nur ungern mit Irmgard allein, denn er hätte sie lieber selbst besprungen, sie jedoch hatte eine Mission zu erfüllen und zu der gehörte selbstverständlich auch die Missionarsstellung. Ich ließ die Alte, die eigentlich noch relativ jung war, weshalb ich mich noch mehr darüber wunderte, denn wer in dem Alter schon so ein Vermögen angehäuft hatte, der mußte schon so einigen Dreck am Stecken haben, erst an mich ran, nachdem sie einen Aidstest gemacht und mir das notariell beglaubigte Ergebnis vorgelegt hatte, denn in jenen Zeiten mußte man einfach unheimlich vorsichtig sein, schließlich hätte ich es dem Staat ohne Weiteres zugetraut, daß er so eine Aids-Terroristin auf mich angesetzt hätte, welche mit mir schlafen und mich dadurch infizieren sollte. Irmgard aber war sauber, deshalb konnten wir auch geschlechtlich miteinander verkehren, doch irgendwie befriedigte mich das nicht wirklich, denn beim Sex versuchte sie immer, mir einzureden, daß ich mich aus der Öffentlichkeit zurückziehen und mit ihr auf einer einsamen Insel eine Familie gründen sollte und das war ja nun wirklich das Allerletzte was ich wollte. „Wie stellst Du Dir denn das vor? Unsere Kinder wären die Leistungsempfänger von morgen, ich arbeite nicht und Du machst im Grunde auch nicht viel außer rumhuren und blöd daherreden, die armen Kleinen hätten doch keinerlei Zukunftsperspektive“, schärfte ich ihr ein. Sie begann zu heulen, die falsche Schlange und erwiderte: „Aber ich habe doch einen Haufen Geld, deswegen werden unsere Kinder niemals vom Staat abhängig sein.“ „Erstens will ich gar nicht wissen, wie Du Dir Dein Vermögen ergaunert hast und zweitens bist Du überhaupt nicht mein Typ.“ „Aber warum schläfst Du dann mit mir?“ „Weil ich meinen Psychologen, der sich voll in Dich verliebt hat, demütigen möchte.“ Nach diesen Worten wußte sie endgültig, daß sie versagt hatte und so ließ mich der Staat erst einmal in Ruhe, was man von den Pressefritzen oder Pressefritzls, wie ich sie immer scherzhaft zu nennen pflegte, leider wirklich nicht behaupten konnte. Irgendwann hatten meine Leibwächter in der Klapse ein Einsehen und ließen dann doch einen der Irren bei mir vorsprechen. Ich gewährte dem bekannten Dilb-Kommunisten Graph Beinhart Scheißhaus oder so ähnlich eine Audienz in meiner Gummizelle und dort schien er sich sichtlich wohl zu fühlen. „So etwas bräuchte ich auch daheim, denn mein Beruf bringt mich manchmal wirklich zum Schreien“, gestand er gleich zu Beginn. „Von mir aus können Sie gerne hier bleiben, hier ist auch Platz für zwei“, räumte ich freimütig ein, doch irgendwie merkte ich an seiner verschämten Reaktion, daß er sich das nun wirklich nicht vorstellen konnte, wahrscheinlich hatte er Angst davor, daß ich dort drin für meinen nächsten Auftritt proben würde und er dann jämmerlich erstinken müßte. Dabei war es doch sein Arbeitgeber, in dessen halbwegs lesbaren Produkten fast alles erstunken und erlogen war, von daher hätte er sich vor mir nun wirklich nicht fürchten brauchen. Wie auch immer, wir tranken zusammen eine Tasse Glückstee, er hatte ein Porzellanservice von zuhause mitgebracht, denn nur jenes sorgte für das unbeschreibliche Aroma, welches ein Adeliger von seinem Stand erwartete und ich machte mich darauf gefaßt, ein paar völlig hirnlose Fragen gestellt zu bekommen. Jedoch wurde ich angenehm überrascht, denn der Graph erwies sich als charmanter, einfühlsamer und nachdenklicher Gesprächspartner, so daß ein Interview zustande kam, das ich uns Beiden nie im Leben zugetraut hätte. „Wie ist das eigentlich, wenn man das Geld, das man nicht hat, jeden Monat an den Staat überweisen muß?“ lautete seine Eingangsfrage. „Beschissen. Wissen Sie, die Leute, die arbeiten, regen sich darüber auf, daß sie Steuern und Sozialabgaben an den Staat abführen müssen, aber denen bleibt wenigstens die Hälfte von ihrem Bruttoeinkommen. Ich dagegen bekomme vom Staat keinen müden Cent und muß trotzdem noch über 70 Euro monatlich an die Staatskasse überweisen, also irgendwie finde ich das schon ungerecht“, erläuterte ich und er nickte zustimmend. „In der Tat, auch in unserer Redaktion ist man der einhelligen Meinung, daß es nicht sein kann, daß jemand, der ohnehin nichts zum Leben hat, dermaßen extrem sanktioniert wird.“ Ich horchte auf. Waren die in der Dilb plötzlich alle Kommunisten geworden oder was war da los? Na ja, wahrscheinlich wollten die mit mir nur jede Menge Schlagzeilen machen und im Grunde tat man dort ja immer so, als hätte man ein Herz für die kleinen Leute, nur die Arbeitslosen mochte man ja eigentlich nicht, vielleicht, weil die keine 50 Cent übrig hatten, um sich jeden Tag die meistgelesene Zeitung Deutschlands leisten zu können. Die Frage, ob das Lesen der Dilb-Zeitung die Verblödung des deutschen Volkes beschleunigte oder bremste, war noch nicht beantwortet, ich aber konzentrierte mich auf die nächste Frage meines überraschend angenehmen Gesprächspartners, wieder ein Feindbild weniger, verdammter Mist. Er wollte Folgendes von mir wissen: „Wenn Sie sich aussuchen könnten, welches Tier Sie sein wollten, was würden Sie dann wählen?“ Ich glaubte an eine Falle, an eine fiese Fangfrage, deshalb wartete ich mit meiner Antwort ab und ließ mir beim Nachdenken Zeit, denn spontan hätte ich vermutlich Faultier oder Stinktier geantwortet und dann hätte er natürlich genau das gehört, was viele Leute im Land vermutlich über mich dachten. Zecke wollte ich auch nicht sagen, das hätte wieder die Assoziation des Aussaugens mit sich gebracht und so erklärte ich nach einer Weile, in der er beinahe eingenickt wäre, schließlich handelte es sich bei dem guten Mann ja um einen älteren Herrn und in meiner Gummizelle war die Luft auch ein wenig stickig, Folgendes: „Ich wäre gerne ein Lastesel, weil der sich alles aufbürden läßt und sich trotzdem nicht darüber beklagt. Leider findet mein Arbeitsvermittler keine Last für mich, er hat mir lediglich vorgeschlagen, ich solle den Lastwagenführerschein machen und Trucker werden, aber das liegt mir nicht, denn ich möchte die Umwelt schützen und nicht verschmutzen.“ So ein Statement kam natürlich hervorragend an in einer Zeit, in der die Grünen in den Umfragen auf dem Vormarsch waren und so plätscherte die Zeit genauso vor sich hin wie das Gespräch, wir tauschten Höflichkeiten aus, die ich nicht wiedergeben will, schließlich sollt Ihr mich für einen coolen Typen halten und nicht für einen feigen Opportunisten, der einem Dilb-Kommunisten in den Arsch kriecht, welcher früher im Darm von Altkanzler Elmar Zohl daheim war und der sich mittlerweile mit Ingo Füller-Mogg den Platz im Arsch von Bundeskanzlerin Kermel teilte. „Wenn wir Ihnen das Angebot machen, daß Sie, sollten Sie keinen anderen Job finden, in der Redaktion der Dilb-Zeitung arbeiten dürfen, was sagen Sie dann dazu?“ „Ja leck mich doch am Arsch, bin ich etwa schon so wichtig wie der Rüberi?“ entfuhr es mir und als ich sah, daß der Graph meinen Ausruf wörtlich nehmen wollte, schüttelte ich nur den Kopf und er setzte sich bedauernd wieder hin, der alte Arschkriecher. Ich überlegte. Das war mehr als nur ein unmoralisches Angebot, das war, als hätte der Teufel höchstpersönlich seinen Adjutanten, beziehungsweise Advokaten, zu mir geschickt, um mir meine Seele abzukaufen. Ich wollte sie aber nicht auf dem Wühltisch vom Sommerschlußverkauf bei Coolworth verscherbeln, deshalb zierte ich mich ein wenig. „Ich gebe Ihnen drei Wochen Bedenkzeit“, teilte mir der warmherzige Bruder am Ende unseres Gesprächs mit. Dadurch wußte ich wenigstens, wie lange man mich noch in der Klinik zu halten gedachte, doch die Vorstellung, vom einen Irrenhaus ins nächste zu wechseln, behagte mir nicht sonderlich, andererseits handelte es sich dabei womöglich um die Chance meines Lebens und ich würde mir nie verzeihen, wenn ich sie nicht genutzt hätte. Aber erst einmal gab es da ja noch drei Wochen, in denen ich mich in meiner geliebten Gummizelle austoben konnte, was ich mit einer Begeisterung tat, die ihresgleichen suchte und meine Mitbewohner vor Neid erblassen und mich hassen ließ, denn ich genoß in der Anstalt nicht nur diverse Privilegien, sondern war auch der einzige Typ, für den sich die Fotografen interessierten. Ich persönlich war ja immer einer von denen gewesen, die sich nicht gerne fotografieren ließen, aber man gewöhnte sich an alles und so lebte ich glücklich vor mich hin, bis eines Tages mein Arbeitsvermittler im Irrenhaus auftauchte. Zunächst freute ich mich darüber ungeheuer, denn ich glaubte, ich hätte ihn in den Wahnsinn getrieben gehabt, doch als ich merkte, daß er lediglich mit mir und meinem Psychologen reden wollte, war ich ein wenig enttäuscht. Nichtsdestotrotz ließ ich ihn bei mir vorsprechen, auch wenn er natürlich erst einmal 20 Minuten warten mußte, denn wenn ich schon die Möglichkeit hatte, es dem Roland Chill unter den Arbeitsvermittlern ein bißchen heimzuzahlen, dann wollte ich die selbstverständlich nutzen. „Schön, daß Sie da sind“, meinte er zu mir zur Begrüßung und ich schaute ihn leicht irritiert an, weshalb er sogleich ins Stottern und Schwitzen kam, was die dicke Luft nicht eben erträglicher machte. „Ich meinte das natürlich anders, als Sie es jetzt vermutlich verstanden haben“, versuchte er sich herauszureden, aber mein Psychologe und ich warfen uns wissende Blicke zu. „Ich bin hier, um mit Ihnen über Ihre Zukunft zu reden. Also, Sie haben da ja jetzt dieses Jobangebot von der Dilb-Zeitung, von dem ich Ihnen dringend abraten würde“, ließ mein Arbeitsvermittler verlauten und ich stutzte. Was war da denn los? Seit wann ermutigte einen die Agentur dazu, ein Jobangebot abzulehnen, da mußte doch mehr dahinter stecken. „Aber die Dilb-Zeitung ist doch ein höchst renommiertes Blatt“, hielt ich dagegen. „Das mag durchaus so sein, aber als wir damals, Sie erinnern sich vielleicht noch, dieses Profil mit ihren Stärken erstellt haben, da haben Sie eingestanden, daß Sie nicht schreiben können.“ „Was! Sie sind Anal-Phabet?“ hakte mein Psychologe überrascht nach. „Nein, ich bin kein Analphabet, aber mein Arbeitsvermittler hat wie immer Recht, ich kann tatsächlich nicht schreiben, also schon schreiben, aber halt nicht schreiben, wenn Sie verstehen was ich meine“, erwähnte ich. „Na ja, da ich den ganzen Tag nur mit Verrückten zu tun habe, gehe ich mal davon aus, daß ich es begriffen habe. Aber Sie als Arbeitsvermittler müßten doch eigentlich schon ein Interesse daran haben, daß unser prominenter Patient hier wieder arbeitet, oder nicht?“ wandte sich mein Psychologe an meinen Arbeitsvermittler. „So ist es natürlich auch, aber wir möchten gerne, daß der gute Mann für uns tätig wird und zwar als Berufsberater.“ Nun war ich endgültig völlig verwirrt und wußte überhaupt nicht mehr weiter. Da kackte, kotzte und pißte man einmal vor die Zentrale der Bundesagentur für Arbeit und schon war man ein gefragter Mann, dem die Jobangebote nur so ins Irrenhaus flogen. „Sie wissen aber schon, daß das, was Sie hier machen, strategisch höchst unklug ist?“ meldete ich mich zu Wort. Die beiden Männer schauten mich fragend an, ich genoß für einige Sekunden die Ahnungslosigkeit in ihren Gesichtern, dann bemerkte ich: „Na ja, wenn das die Runde macht, dann sitzen in ein paar Tagen Hunderte von Leuten vor der BA und machen ein Kack Hin oder so was in der Art.“ „Ach so, ich verstehe was Sie meinen, Sie sprechen die positive Verstärkung an, die man tatsächlich erkennen könnte, wenn man genauer hinschaut. Aber keine Sorge, das Gelände wurde weiträumig abgeriegelt, dort werden außerdem Selbstschußanlagen installiert, wer zukünftig dort hin scheißt, wird zurückgeschossen“, berichtete mein Arbeitsvermittler. „Immer noch besser als zurückgeschissen“, kalauerte mein Psychologe und wir lachten alle drei herzhaft. „Und, wie sieht es aus? Wollen Sie mir vielleicht auch noch ein Jobangebot unterbreiten?“ fragte ich meinen Psychologen gönnerhaft. Der grinste nur verschmitzt und verschwitzt, bevor er erwiderte: „Wir können Sie hier nur als Patienten brauchen, obwohl wir Ihre Manie nicht wirklich in den Griff bekommen.“ „Wie oft soll ich es Ihnen denn noch sagen, daß ich kein Maniker bin!“ schrie ich wütend und sie schauten sich bestürzt an. „In der Tat, das klingt eher nach einem Choleriker“, stimmte mir mein Arbeitsvermittler zu. Danach war das Gespräch beendet, er hatte mir immerhin dreieinhalb Wochen Bedenkzeit gegeben, was mich darauf schließen ließ, daß mein Klinikaufenthalt hinter meinem breiten Rücken verlängert worden war. Wesentlich lieber wäre es mir gewesen, wenn man mir meinen Penis verlängert hätte, aber dafür war ich wohl am falschen Ort, denn die Putzfrau hatte lediglich damit gedroht, mir die Ohren lang zu ziehen, falls ich auf die geistreiche Idee käme, neben die Kloschüssel zu kacken. Daran hatte ich jedoch kein Interesse, denn meine Ohren waren lang genug und so überlegte ich hin und her, schließlich hatte ich ja die Wahl zwischen Pest und Cholera, von daher mußte man schon ganz genau abwägen, wo und wie man sein eigenes Leben zerstörte. Natürlich hätte ich auch Leistungsempfänger bleiben können, aber irgendwie reizte mich die Gelegenheit.

 




Bei der Dilb-Zeitung wurde ich überraschend freundlich empfangen, es gab ein großes Hallo, alle wollten mir die Hand schütteln und redeten wild auf mich ein, für diese Leute war ich zweifellos ein Star, denn ich war bekannt und sie nicht. Aber ich wußte natürlich auch, daß es sich bei meinen zukünftigen Kolleginnen und Kollegen um Hyänen sowie Koyoten handelte, welche nur darauf warteten, daß ein Stern sank und schon waren sie da und schrieben einen in den Keller. Mir konnte das egal sein, denn ich wollte und sollte Geschichten statt Geschichte schreiben, von daher konnte ich nett zu meinen vermeintlichen Fans sein und als ich anmerkte, ich müsse noch mal schnell aufs Klo, bevor ich beim Chef antanzen würde, da waren sie fast ein wenig enttäuscht, denn sie hatten wohl geglaubt gehabt, ich würde dem zur Begrüßung gleich mal einen großen, stinkenden Haufen ins Büro setzen. Wenig später trat ich ein, nachdem ich hereingebeten worden war und schüttelte dem Chefredakteur der Dilb-Zeitung, dem hoch verehrten und überall beliebten Maik Biegsam, die Flosse. Er musterte mich interessiert, bevor er zu sprechen anhob: „Also, wenn Sie glauben, daß es hier ausreicht, Scheiße zu schreiben, dann haben Sie sich leider schwer getäuscht. Qualität ist das A und O unserer Zeitung, deshalb werden wir keine Leistungsminderung dulden. Wir erwarten von Ihnen einen frischen Wind, eine neue Sichtweise, wir brauchen frisches Blut, denn wenn sich alle nur im Kreis drehen, dann wird den Leuten höchstens schwindlig, aber das brauche ich Ihnen ja wohl nicht zu sagen.“ „Ich freue mich sehr darüber, hier sein zu dürfen und hoffe, daß ich für mich und für Ihr Unternehmen die richtige Entscheidung getroffen habe“, verkündete ich mit fester Stimme. „Aber selbstverständlich, das steht doch völlig außer Frage. Als Berufsberater wären Sie nur einer von Vielen gewesen, hier aber sind Sie eine Lichtgestalt, weil Sie es zu einem hohen Bekanntheitsgrad gebracht haben.“ „Was für mich bei meinen Recherchen hoffentlich kein Nachteil sein wird.“ „Nein, das glaube ich nicht. Keine Sorge, Sie brauchen sich ohnehin nicht mit dem Kleinmist abgeben, der ansonsten normalerweise auf unsere Neulinge wartet. Ich habe da einen viel spannenderen Fall für Sie. Sagt Ihnen der Name Udo Darschel etwas?“ Ich stöhnte auf, denn der Mann nervte mich schon seit geraumer Zeit, weil niemand wirklich sagen konnte, ob er sich selbst das Leben genommen hatte oder umgebracht worden war. „Aber ich muß mich doch wohl hoffentlich nicht mit diesem Medium unterhalten, das seiner Frau eingeredet hat, daß ihr Mann ermordet worden wäre?“ forschte ich. „Warum denn nicht?“ „Ich finde das alles lächerlich, weit hergeholt und völlig überzogen.“ „Darum geht es nicht. Eine tolle Story ist und bleibt eine tolle Story. Aber meinetwegen können Sie sich auch um den Stachelmann-Prozeß kümmern.“ Wieder setzte ich meine Leidensmiene auf, denn ich hatte wirklich keinen Bock darauf, mir mit Dirk Stachelmann ein Duell zu liefern, wer von uns Beiden denn von den Fotografen öfter geblitzt wurde. Schön langsam wurde mein Chef unruhig, doch plötzlich ging die Tür auf und seine Frau, die ehemalige Tatjana Fessler, kam zur Tür herein. „Hallo Schatz, den Kindern geht es prima!“ flötete sie und in mir kam der Brechreiz hoch. „Das ist schön, Liebling“, gab er zurück und betrachtete mich besorgt, denn meine Gesichtsfarbe schien ihm nicht zu gefallen. Ich schaute weg und versuchte, dem Gesülze der Beiden keine Aufmerksamkeit zu schenken, doch immer wenn sie ihren Mund öffnete und Worte daraus hervortraten, kam es mir fast hoch. Zum Glück hatten die Beiden schon bald ein Einsehen, das so aussah, daß ich hinaus gebeten wurde, da er sich über sie hermachen wollte. Zwar hätte mich schon interessiert, ob er eine von den Unterhosen trug, auf denen sein Name stand, so wie man sie im Internet käuflich erwerben konnte, aber die Vorstellung, ihr Gestöhne hören zu müssen, erregte mich kein bißchen und so verdrückte ich mich unauffällig, bevor ich es nicht mehr halten konnte. Was für ein toller erster Arbeitstag, oder?

 




Die Arbeit bei der Dilb machte mehr Spaß als erwartet, ich gewöhnte mich recht schnell an die merkwürdigen Umgangsformen dort und als ich bei der Weihnachtsfeier in einen Kopierer schiß, war ich endgültig vollständig integriert. Meistens bekam ich vom Chef hochinteressante Fälle zugeteilt, ich wurde also gut gefordert und die Tatsache, daß ich eigentlich wirklich nicht schreiben konnte, fiel dort niemandem auf, denn mein Stil unterschied sich von dem der Anderen nur unwesentlich. Eines Tages interviewte ich einen alten Mann, der von sich behauptete, er wäre einer der engsten Vertrauten von Josef Goebbels gewesen, doch als ich dann im Pflegeheim vor seinem Bett stand, ergriff mich das Mitleid und da ich den armen Kerl nicht länger leiden sehen und herumröcheln hören konnte und wollte, beschloß ich, seinem schrecklichen Leiden ein Ende zu setzen und wollte die Maschinen abschalten. Leider kam genau in dem Moment eine Altenpflegerin zur Tür herein und rief: „Was machen Sie denn da?“ „Nach was sieht’s denn aus?“ konterte ich. „Einfach ungeheuerlich! Das werde ich sofort der Polizei melden.“ „Nein, das werden Sie nicht tun“, widersprach ich ihr und ging auf sie los. Ich steckte ihr meine Zunge in den Mund und machte mich über sie her; sie war ziemlich angetan von meiner Leidenschaft, doch plötzlich öffnete sich wieder die Tür und der Heimleiter, welcher unglückseligerweise eine Affäre mit ihr am Laufen hatte, trat herein. Er sah, tobte und sie bekam einen Heulkrampf. Als ich sie am Abend besuchte, teilte sie mir mit, daß man sie entlassen hätte und daß er ihr angedroht habe, seiner Frau alles zu erzählen. „Den machen wir fertig!“ platzte es aus mir heraus und ich hatte die perfekte Story, mit der ich problemlos die folgenden zwei Wochen überbrücken konnte. Mein Chef war begeistert und der Heimleiter wußte nicht mehr wie ihm geschah, denn wir zerlegten ihn nach allen Regeln der Kunst. Das Dumme an der ganzen Sache war leider nur, daß ich auf einmal eine Freundin an der Backe hatte, die ich nicht wollte, denn ich hatte sie ja nur geküßt gehabt, damit sie nicht die Polizei rufen konnte. Tja, so kann es gehen im Leben und da mir die Frau weder äußerlich noch innerlich gefiel, überlegte ich mir angestrengt, wie ich sie wieder loswerden konnte, ohne daß das ganze Drama zu hohe Wellen schlug. Da ich keine Freunde hatte, denen ich mich wirklich anvertrauen konnte, sprach ich mit Maik darüber und er hörte mir sehr interessiert zu. „Weißt Du was, schick die Frau doch einfach mal zu mir, ich fick sie ordentlich durch und dann hast Du keine Probleme mehr“, schlug er mir vor und ich nickte begeistert, bevor ich dann doch noch einwandte: „Aber was wird Tatjana dazu sagen?“ „Der kann das egal sein, die hat mit den Drillingen genug zu tun und außerdem wird nie jemand davon erfahren.“ Nach diesen Worten schaute er mich eindringlich an und ich nickte voller Inbrunst. Mein Chef und ich hatten also ein gemeinsames Geheimnis, das war fast so etwas wie Blutsbrüderschaft und darauf konnte ich in dem Fall gut und gerne verzichten. So bekam er also etwas abgehalftertes Frischfleisch und ich hatte zum Glück endlich wieder meine Ruhe, denn es gab in meinem Job genug zu tun, da konnte ich nicht auch noch andauernd rumvögeln, schließlich arbeitete ich ja nicht als Wetterfrosch beim Fernsehen. Und dann kam der Tag, an dem ich einen Korruptionsfall bei der Bundesagentur für Arbeit recherchieren sollte und da wußte ich endlich, daß meine große Stunde gekommen war, denn nun hatte ich endlich die Möglichkeit, es denen heimzuzahlen, die mich mein halbes Leben lang gegängelt und gedemütigt hatten. Voller Vorfreude machte ich mich ans Werk, doch je mehr ich recherchierte, desto empörter und angewiderter wurde ich, denn das erinnerte alles an einen schlechten Krimi, mafiöse Strukturen wurden sichtbar und ich hatte das Gefühl, die ganze Welt wäre ein einziges Irrenhaus. Wahrscheinlich lag ich damit gar nicht so falsch, doch als ich bei meinem ehemaligen Arbeitsvermittler auftauchte, freute sich der nicht unbedingt darüber, mich zu sehen.




„Heil Vermittler!“ begrüßte ich ihn so wie in alten Tagen, da ich mich mit Freude daran erinnerte, daß er das immer gehaßt hatte. „Was wollen Sie denn hier?“ erkundigte er sich leicht genervt. „Ich möchte für Aufklärung sorgen. Stimmt es, daß Sie sich von Arbeitslosen, die Sie zu vermitteln hatten, Ihr Haus streichen haben lassen?“ „Das ist doch blanker Unsinn, dafür gibt es keine Beweise.“ „Wir haben aber Zeugenaussagen, die das belegen.“ Er schaute mich flehentlich an. „Hören Sie, das ist alles nicht so wie Sie vielleicht denken. Ich hatte da einen Engpaß bei den Handwerkern und ich hatte vorher um Erlaubnis gefragt. Die Arbeitslosen waren auch sehr froh darüber, endlich mal was zu tun zu haben und sich ein paar Euro nebenbei zu verdienen.“ „Schwarzarbeit vergeben ist kein Kavaliersdelikt. Haben Sie vielleicht auch noch Steuern hinterzogen?“ Da flippte der Mann völlig aus und begann zu brüllen: „Sie, was erlauben Sie sich? Sie sind der schlimmste Arbeitslose, den es in diesem Land je gegeben hat, Sie waren stur, uneinsichtig und unnachgiebig! Nicht einmal mit Sanktionen haben wir Sie gefügig machen können, aber wenn Sie jetzt glauben, daß Sie mir ans Bein pinkeln können, dann haben Sie sich aber schwer getäuscht!“ „Das sehe ich anders, denn es ist bereits geschehen“, ließ ich von mir hören und er starrte entsetzt auf seine Hose, an der meine Pisse hinunterlief. „Das ist doch wirklich ungeheuerlich! Ich werde Sie anzeigen!“ schrie er erbost. „Ja, machen Sie das ruhig, aber denken Sie immer daran, daß wir alles über Sie und Ihr Privatleben wissen. Wie war das doch gleich noch mal? Willst Du Dir nicht die Schuhe binden, dann nimm einen Ziegenbock von hinten.“ Er erblaßte und wäre beinahe ohnmächtig geworden. Ich grinste ihm frech ins Gesicht, verabschiedete mich mit dem Vermittlergruß und zog fröhlich pfeifend von dannen. Zwei Tage später wurde bekannt, daß sich mein ehemaliger Arbeitsvermittler das Leben genommen hatte und ich besuchte seine Ehefrau, um ihr mein Beileid und mir bei der Gelegenheit ein paar Pickel auszudrücken. Meine Krokodilstränen waren wesentlich echter als ihre, denn sie hatte ihn gehaßt, da er auf ihr nur herumgehackt hatte, wohingegen er die unglücklichen Hühner im Stall neben der Scheune ordentlich durchgefickt hatte. „Er war ein Schwein“, schluchzte sie. „Na ja,

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