Leben unter fremder Flagge

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Erstere, reine Grenzkontrollen, spielten sich hauptsächlich in den Pirogen und somit auf den Flüssen ab. Die Mission Profonde (MP) hingegen führte uns zu Fuß quer durch den Dschungel. Es ging darum, auch im tiefsten Hinterland und im Urwald Präsenz zu zeigen. Wir sollten nach Spuren von sich im Land aufhaltenden illegalen Goldgräbern suchen, jegliche menschliche Aktivität aufspüren und hinzugekommene Geländestriche, Flüsse, Criques oder Sümpfe (die in Guyana vielerorts quasi über Nacht neu entstehen) auf den Karten einfügen, sprich das Kartenmaterial updaten. Das war die Arbeit der Unteroffiziere. Wir Caporäle und Legionäre konzentrierten uns auf das zügige Vorankommen und übernahmen die Absicherung und das ganze Drumherum. Der Zugführer schrieb jeden Abend bis weit nach Mitternacht an einer Art Monografie, einer detailfreudigen Abhandlung der jeweiligen Expedition. Zurück im Camp wurde alles archiviert. Von beiden, der MP und der Mission Fluviale, berichte ich noch ausgiebig, wenn es so weit ist. Jede Kompanie musste natürlich auch dann und wann zum Dienst innerhalb des Regimentes antreten. Aus der Kampfeinheit wurde eine Diensteinheit, die Compagnie de service. Sie stellte die Wache, den Interventionszug (DO), die Köche, die Küchenhilfen und die Krankenpfleger. Für alle möglichen Aufträge wurden Bereitschaftsfahrer auf Abruf verbannt, Soldaten in die Kleiderkammer geschickt. Natürlich stellte diese Kompanie auch den Offizier vom Wachdienst und seinen Stellvertreter. Die Compangie de service war eine Woche lang zu hundert Prozent aus dem Verkehr gezogen. Eine Ausbildung in dieser Zeit war unmöglich, denn die Züge waren meist alle um zwei Drittel ihrer Stärke reduziert. Von vereinzelten Ausnahmen abgesehen hatte die Legion damals keine Zivilisten in ihren Camps. Die Gebäude der einzelnen Kompanien waren um den zentralen Exerzierplatz angelegt. Und das Regiment hatte sein eigenes Freudenhaus, ordinär: einen Puff! Dieses glich durchaus einem Bordell militaire contrôlé (BMC). Es lag außerhalb des Quartiers. Ja, wir hatten ein Bordell. Und das war nicht zu unserem Nachteil, wie man sich denken kann. Auch darüber später noch! In einem Käfig, der zwischen der Unteroffiziersmesse, la Caravelle‘ und dem Schwimmbad stand, lief ein Jaguarpärchen unruhig auf und ab. Es waren schöne, kräftige Tiere, wie ich sie später auch in freier Wildbahn beobachten durfte. Die beiden bekamen übrigens Nachwuchs. In Kourou, einer Stadt mittlerer Größe knapp einen Kilometer vom Camp entfernt, tummelten sich Menschen aller Rassen und Herkunft: Amérindiens (Emerillons, Arawaks und Galibis), Kreolen, Europäer (hauptsächlich Franzosen, Ingenieure und Techniker des Centre national d'études spatiales (CNES), französische Weltraumagentur), Huren aus Brasilien und aus der Dominikanischen Republik, Goldgräber, Libanesen, Abkömmlinge der Bagnards der um die Jahrhundertwende in Cayenne und auf den Inseln internierten Sträflinge (Guyana war bis kurz nach dem Zweiten Weltkrieg eine Sträflingskolonie), Holländer aus Surinam – und mittendrin wir, Legionäre aus aller Herren Länder. Alle Zutaten waren gegeben, dass mein Aufenthalt in dem Regiment, das als der Experte im Dschungelkampf weltweit galt, eine hinreißende und abenteuerliche Geschichte sein würde.


Mission Fluviale – Grenzüberwachung

» Dans la brume la rocaille. Légionnaire, tu combats. Malgré l‘ennemi, la mitraille.

Légionnaire, tu vaincras.« Lied der dritten Kompanie des 3. REI.

Ein Flair alter Kolonialzeiten haftete diesem Regiment an. Europa war weit entfernt, und mir war es, als hätte ich hier brutal eine Tür in die Vergangenheit aufgestoßen und hinter mir sanft wieder geschlossen. Die erste kalte Dusche kam bereits mit Riesenschritten näher. Vom Flughafen kommend fuhren wir durch das Tor des Quartiers, wo der Marmon (kleiner Lastwagen) vor einem weiß gestrichenen Gebäude zum Stehen kam. Kaum abgestiegen, hörten wir hinter uns eine Stimme.

»Wer von euch ist in die dritte Kompanie versetzt worden?«

Der Légionnaire de première classe (Gefreiter), der mit dem gelben Foulard, dem Schultertuch der dritten Kompanie, vor uns stand, hatte den Elsass-Lothringer Akzent. Wir alle hoben die Hand. Es war es, Oliver, der die fatale Frage stellte.

»Und du? Bist du auch in der Dritten?«

Wie zum Teufel konnten wir auch wissen, dass die Schikane in den Regimentern übergangslos weiterging? Niemand hatte uns darauf vorbereitet, dass wir hier, am Anfang zumindest, sogar die Gefreiten siezen mussten. Kaum hatte Oliver das letzte Wort gesprochen, lagen wir schon wieder in der Horizontalen und absolvierten fünfzig Liegestütze. Wir, da war zunächst Lucev, ein bärbeißiger Jugoslawe. Lucev war ausgebildeter Krankenpfleger und eine Kapazität auf seinem Gebiet. Er verkörperte Verlässlichkeit und Humor. War er in der Nähe, wenn wir im Dschungel unterwegs waren, dann fühlten wir uns geborgen. Schon nach kurzer Zeit im Regiment gab es keinen von uns, der nicht durch seine wissenden‘ Hände gegangen, nicht von ihm wieder aufgepäppelt worden wäre. Wie kaum ein Zweiter konnte er Spritzen verabreichen (wir benötigten hauptsächlich die Injektionen, die dazu gedacht waren, den Tripper zu kurieren), Verbände wechseln, Blutungen stoppen oder auseinanderklaffende Wundränder nähen. Vom Sumpffieber bis hin zum harmlosen Tripper kannte er, so schien es uns, die Symptome sämtlicher Krankheiten. Bailey, ein Caporal, der im Alter von zwölf Jahren schon besser mit dem MG umgehen konnte als andere Jungen in seinem Alter mit Matchbox-Autos, war Ire. Ihn nannten wir Pappy. Pappy war am ganzen Körper tätowiert. Ohne dass er darauf gedrängt hätte, hatten wir ihn von Beginn an zu unserem (inoffiziellen) Führer erkoren. Seine Autorität war angeboren und der positive Einfluss, den er auf uns ausübte, wurde von allen wohlwollend akzeptiert. Gab es unlösbare Probleme, war er der Mann, an den man sich wendete. Außerdem war Pappy ein Organisationstalent. Es schien nichts zu geben, was er nicht in kürzester Zeit besorgen konnte. Eine Originalflasche Gewürztraminer, eine Hure aus Saigon, echte russische Rubel? Kein Problem für ihn! Dann war da natürlich Oliver, ein Deutscher aus Schleswig-Holstein. Jeder nannte ihn die Wildgans. Olli war ein durchgeknallter, aber äußerst sympathischer Typ. Selbst in Momenten der Gefahr oder in verfahrenen Situationen wartete er immer mit Späßchen auf, die unsere Moral wieder hoben. Keksz, ein Ungar mit der stämmig kurzen Statur eines Boxers, war, so wie sich herausstellen sollte, un fou, ein Verrückter! Verrückt deswegen, weil er alles, was kreuchte und fleuchte, anfasste, in die Hände nahm und nach einer eingehenden Betrachtung tötete und aß! Manchmal roh, meist aber über einem Feuer gebraten. Dabei war es ihm egal, ob es eine doch ziemlich harmlose Vogelspinne war, eine gefährliche Fer-de-Lance Schlange oder gar eine Grage carreaux (Buschmeister). Wir, das war auch Chagnaud, der Gaulois. Der dem ersten Anschein nach schmächtige Franzose sollte uns alle durch seine Robustheit und seine exzellente Ausdauer verblüffen. Certa, ebenfalls Franzose und Chagnauds bester Freund, stammte aus dem Elsass. Beide hatten bereits im 2. REP gedient. Sie waren drahtig, zäh wie Leder und hatten diese Abgeklärtheit und Besonnenheit, die uns anderen, die wir direkt aus Castelnaudary kamen, noch fehlte. Certa war besonnen und zurückhaltend. Doch so alle drei, vier Monate kam er, durch welche Einflüsse auch immer, aus seiner Reserve. Dann sollte man ihm lieber aus dem Weg gehen, Freund oder nicht! Ich hatte einmal erlebt, wie er im wilden Rausch in einer Bar gewütet hatte. Da blieb kein Auge trocken. Vielleicht war es seine Art, den Cafard zum Ausdruck zu bringen. Wir wussten und respektierten das. Und dann war da natürlich auch mein Namensvetter Thomas Linder. Ebenfalls aus Franken stammend, und zwar gar nicht so weit weg von meinem Geburtsort, sollten wir lange Jahre Freunde bleiben und ein schier unendliches Stück Weges in der Legion zusammen gehen. So lange, bis sein tragischer Tod ihn aus unserer Mitte riss. Thomas war nur aus einem einzigen Grund hier: Er wollte kämpfen! Dabei war es ihm egal, auf welcher Seite und gegen wen. Er schien nur glücklich mit der Waffe in der Hand. Das wurde ihm zum Verhängnis, doch davon später.

Der Gefreite machte sich einige Notizen und verschwand wieder. Kurz darauf wurden wir vom Chef de détachement (Verantwortlicher der Abteilung) in einem kleinen Saal, einer Transitunterkunft untergebracht. Hier waren alle Legionäre einquartiert, die sich in einer Übergangsphase befanden. Tags darauf ging es los mit dem Stage brousse, dem Einweisungslehrgang. In diesem Schnellkurs, den ich rasch überfliege, wurde uns das kleine Einmaleins des Dschungels beigebracht. So einfache Dinge, wie: Wie packe ich meinen Rucksack, was gehört hinein und was nicht? Wie spanne ich mein Hamac (brasilianische Haushängematte) und das Bâche, den Regenschutz? Welche Gefahren birgt der Dschungel? Was tun, wenn ich mich verirre, verletzt bin oder plötzlich illegalen Goldgräbern gegenüberstehe, die ein Interesse haben, nicht erwischt zu werden, und alles tun, damit es auch so bleibt? Welche Tiere können mir gefährlich werden, was tun bei einem Schlangenbiss? etc. Nach diesem Lehrgang gehörten wir offiziell der dritten Kompanie an und endeten, wie durch ein Wunder, fast alle im selben Zug, dem „332“, drittes Regiment, dritte Kompanie, zweiter Zug. Thomas Linder war im ersten Zug und Ange, der Korse, der erst später seine Aufwartung im Regiment machen sollte, wurde in den dritten Zug versetzt. Mein Zugführer, ein frischgebackener Leutnant namens Chavancy, war ebenfalls ein Neuling im Regiment. Er kam gerade von der Offiziersschule. Ungefähr zwölf Jahre später sollte ich ihn als S-3 Offizier des 2. REI, Jahre darauf als Regimentskommandeur der 13. DBLE und wieder etwas später als Militärgouverneur der Stadt Lyon antreffen. Dieser brillante Offizier war etwas kleiner als ich, kompakt, körperlich topfit, Brillenträger, und er machte nicht den Fehler, den schon so manch ein Leutnant begangen hatte, nämlich von oben auf uns herabzusehen und die Stimme seines Stellvertreters geflissentlich zu überhören. Dazu war er einfach zu intelligent. Sein Stellvertreter, Sass, der Sous-officier adjoint, ein Ungar mit dem Dienstgrad eines Sergent-chef, war ein alter Haudegen. Als solcher war es unter anderem seine Aufgabe, den Leutnant unter seine Fittiche zu nehmen, ihn „einzunorden“. In der Legion ist das ein unerlässlicher Prozess, denn ein Offizier weiß nichts von diesen Männern ohne Namen. Er kann alles richtig oder auch alles falsch machen. Die meisten Offiziere erleiden immer dann eine Bruchlandung, wenn sie nicht ab und zu auf ihre Stellvertreter, auf die alten Legionäre hören. Widersinniger Offiziersstolz ist total fehl am Platz. Groß und drahtig, hatte Sass die Silhouette eines Buschläufers. Allzu oft hatte ich in den kommenden zwei Jahren das Vergnügen, im Dschungel hinter ihm zu marschieren, und ich behaupte mal frech: Dieser Mann läuft alles und jeden, der Beine hat, in Grund und Boden. Er war ein Phänomen! Doch Sergent-chef Sass war nicht nur ein hervorragender Läufer. Er war, so wie alle Sergent-chefs der Legion, die Erfahrung und das Gedächtnis des Zuges. Er und kein anderer vermittelte uns die Traditionen der alten Legion. Er war es, der vergangene Zeiten in Erinnerung rief. Sass bildete das Verbindungsstück zwischen einem einsamen Kreuz irgendwo in Indochina, in Algerien oder in einem Talweg am Fuße der Festung Krim und uns jungen Soldaten der Legion. Er war Hüter der Tradition!

 

und der Disziplin!

Der Chef war es, der von Anfang an die Disziplin im Zug etablierte und sie über die ganzen zwei Jahre lang mit eiserner Faust aufrechterhielt. Das verdient eine ganz besondere Hochachtung, denn in unserem Zug waren damals, um mich bescheiden auszudrücken, sehr starke Charaktere vertreten. Keine Jungs von gestern, sondern Abenteurer, Männer, die wussten, was sie wollten, und vor allem Männer, die wussten, was sie nicht wollten. Und Sturköpfe waren die meisten obendrein. Hier ein fast alltägliches Beispiel dafür, was Aufrechterhalten der Disziplin bedeutete: Im Nachbarzug gab es einen Iren und einen Engländer. Beide waren dicke Freunde. Der Größere von beiden, der Engländer, war Boxer, schnell, wuchtig und gefürchtet. Baumlang, brachte er gut und gerne hundertzehn Kilo auf die Waage. Der Kleinere, der Ire, war ein hagerer Rotschopf. Nicht gerade ein frommes Lamm. Die Hinterlist sah man ihm auch auf große Entfernung noch an. Eines Tages kamen beide etwas angeheitert aus der Stadt zurück und hatten einen Disput mit dem Caporal de semaine. Ein Wort gab das andere und keiner sah, wie Sergent-chef Sass sich näherte und zuhörte. Als er schließlich in Erscheinung trat, sagte er nur einen Satz: »Ihr beide geht schlafen, sofort!«

Als der Ire protestieren wollte und sich auf den Sergent-chef stürzte, ließ der den schweren Axtstiel spielen, der plötzlich wie hingezaubert in seiner Hand lag. Es hagelte Schläge in allen Variationen. Das Resultat war ein zertrümmertes Nasenbein für den Boxer und eine klaffende Kopfwunde für den Iren, der sich verdattert am Boden wiederfand. Das Ganze hatte nur einige Sekunden gedauert. Die Disziplin war hergestellt, die Notwendigkeit, dies zu tun, absolut gegeben.

Unser Zug bestand aus dem Zugtrupp und drei Gruppen. Jede Gruppe wurde von einem Sergent angeführt, der zu seiner Unterstützung zwei Caporaux, zwei Obergefreite, hatte. Die Obergefreiten lebten mit uns zusammen, und man kann sagen, dass sie es waren, die das reibungslose Funktionieren des Zuges gewährleisteten. Obergefreiter in der Legion zu sein, vor allem in einem Überseeregiment, ist verbunden mit Verantwortung, aber auch mit Anerkennung und Respekt. Unsere Unterkunft in der dritten Kompanie war ein altes Zivilgebäude. Das Appartement im zweiten Stock hatte einen Salon, eine Küche, eine Dusche, eine Toilette und zwei kleinere Schlafzimmer mit Bett und Spind. Wir waren zu sechst in der Wohnung, in der man angenehm lebte. Der Salon war gut ausgestattet: Fernseher, Couch, Sessel, Regale, nichts fehlte. Und in der Küche gab es einen Herd sowie einen Kühlschrank.

Wenn’s Regiment früh ausmarschiert, der Tambour seine Trommel rührt, tausch ich mit keiner Fürstin nicht, sie lebt nicht glücklicher als ich. Aus: ANNE MARIE DU 3. REI


Der Autor im Tenue de Parade, 1986. Gut zu erkennen das Blue Badge und die „Triple“ Fourragère

Die Bekleidung war dem Klima angepasst. Ausgehuniformen besaßen wir zwei. Den Tenue de sortie für die Stadt, und den Anzug für den Bordellbesuch, den Tenue puff! Die Uniform für die Stadt bestand aus einer langen kakifarbenen Hose und einem kakifarbenen Hemd, dessen Ärmel hochgekrempelt wurden. Der Sturz war genau drei Finger breit und endete am Ellbogen. Dazu wurde das Képi Blanc getragen. Auf dem Ärmel fand sich das Divisionsabzeichen aus Stoff. Auf der Brust stach das „Blue Badge“, die Distinguished unit citation, ins Auge. Es war eine Auszeichnung aus dem Zweiten Weltkrieg, die dem RMLE im Mai 1946 direkt aus der Hand des amerikanischen Präsidenten Truman überreicht wurde. Darunter schimmerte glitzernd unsere Pucelle. Auf goldenem Hintergrund standen die Worte Legio Patria Nostra, und etwas tiefer auf dem grün-roten Feld (die Farben der Legion) konnte man die Legionsflamme erkennen. Etwas tiefer las man 3. REI. Das 3. REI ist Erbe des Régiment de marche de la Légion étrangère (RMLE) und somit die höchstdekorierte Einheit der Legion. Unablässig und allen Verbündeten voraus, stürmte das RMLE ab dem 02. September 1918 die Hindenburglinie (dt. Siegfriedstellung), die am 14. September fiel. Das Gleiche hatten amerikanische Truppen mehrmals versucht: Vergeblich!


Links unter der Schulterklappe hatten wir unsere Fourragère befestigt, die nur Angehörige des Regimentes tragen durften. Es waren drei, mit den Farben rot, gelb und grün: die Farben der Médaille Militaire und die doppelte Fourragère, Croix de Guerre 1914-1918 und die Légion d’honneur. Die Fourragère ist eine Auszeichnung. Es handelt sich dabei um eine geflochtene Kordel, die sich auf der linken Schulter der Uniform trägt. Das obere Ende hat die Form eines Kleeblatts, während das andere Ende mit einen konisch, spitz zulaufenden Eisen bestückt ist. Über dem Eisen befindet sich ein Knoten mit vier Windungen. Zwischen Knoten und Eisen kann eine sogenannte Olive sitzen, die aussagt, für welchen Akt und in welcher Epoche die Fourragère der Einheit überreicht wurde. Die Fourragère gibt es in verschiedenen Farben. Hier die Beispiele, wie sie auch das 3. REI betreffen: Rot – Farbe der Legion d’Honneur / Ehrenlegion. Gelb – Farbe der Médaille Militaire / Militärmedaille. Grün und Rot – Farben des Croix de Guerre / Kriegskreuz, für den Ersten Weltkrieg (1914-1918) oder den Zweiten Weltkrieg (1939-1945).

Der Tenue puff bestand aus einer kurzen, kakifarbenen Hose, einem kurzärmligen Hemd und aus kakifarbenen Strümpfen, die bis knapp unter die Knie reichten. Dazu passten die schwarzen Ausgehschuhe. Das Képi Blanc wurde zum Tenue puff nicht getragen, ebenso wenig wie die Fourragère oder der ganze Rest. Die Kampfanzüge waren ebenfalls lang oder in der Short Version. Hinzu kamen das Foulard und natürlich das grüne Beret. Kakifarbene Hemden für die Ausbildung im Busch und der sogenannte Chapeau de brousse, die Kopfbedeckung für den Dschungel, rundeten das Ganze ab. Zur Zusatzausrüstung gehörten: Der Sac bulle (ein wasserfester Sack, in den man alles packte, was nicht nass werden durfte. Im Schnitt regnete es dreihundert Tage im Jahr); das Hamac (eine brasilianische Hängematte mit Schutzdach und Moskitonetz); das Bâche (eine Regenplane vier auf vier Meter); das Coupe-coupe (die Machete); ein Camulus (ein Kampfmesser, das wichtigste Instrument überhaupt! Es gehörte offiziell nicht zur Standardausrüstung, jeder hatte aber eines. Wenn es kein Camulus war, dann eben ein Jungle-Aitor, das aber öfter abbrach); ein Kompass; jede Menge Seilzeug etc. Dann gab es Dinge, die jeder von uns auf eigene Faust in den Dschungel mitnahm, Utensilien, die sich bewährt hatten: Kerzen zum Beispiel. Diese waren hervorragend zum Feuermachen geeignet. Was wir nie vergaßen, war Taffia, weißer Rum aus Martinique. Dieses Teufelsgebräu eignete sich nicht nur zum Trinken, sondern auch zur vorläufigen Wundbehandlung. Eine Flasche hatte jeder von uns immer im Rucksack, ebenso wie ein Sturmfeuerzeug und Rasierschaum (nicht nur zum Rasieren. Wir schmierten damit das Seilzeug ein, damit Fleisch fressende Ameisen, Spinnen und Skorpione etc. nicht ans Hamac oder an die aufgehängte Wäsche unter der Plane gelangen konnten). Weiterhin war es angebracht, jede Menge Rasierzeug mitzunehmen. Man war nämlich gut beraten, sich den Schädel glatt zu rasieren. Es folgten Dinge wie Tabak für die Raucher (unsere Missions Profondes dauerten damals noch dreißig Tage – meist regnete es dann auch die ganze Zeit und das Zigarettendrehen wurde zur Kunst: Papierchen nass, Tabak feucht, schlechte Laune garantiert!) und auch Nadel und Faden, ein gutes Buch und ein Bild der Liebsten. Ganz wichtig war Autan. Wir benutzten es gegen Stechfliegen und wenn wir Sackratten hatten. Damit war die Filz- oder Schamlaus gemeint. Sie konnte einen gestandenen Mann in den Wahnsinn treiben.

Vieux Bourg


Ihr Vater war Holländer, ihre Mutter eine ehrenwerte Dame aus Surinam. Sie hatte dieses exotische Flair und diesen südländischen Charme, dem kein Mann lange widerstehen konnte. Der Name dieser kaffeebraunen Schönheit war Martine und er klang wie eine Verheißung in meinen Ohren: Martine! Es war Mitte August. In der Stadt war es merkwürdig still. Zu ruhig für einen Abend, an dem fast alle Kompanien des Regiments in der Garnison waren. Ich nutzte jede Gelegenheit, mich mit Martine zu treffen, dieser Tag bildete keine Ausnahme. Sie besaß einen Massagesalon mitten in der Stadt. Wir tranken Tee, flirteten etwas und unterhielten uns über Gott und die Welt. Das entspannte Gespräch gab mir Gelegenheit, in aller Ruhe an den Legionär zu denken, der seit ein paar Tagen wie vom Erdboden verschluckt war. Man munkelte, die Kreolen hätten ihn getötet und dann einfach verschwinden lassen. Es gab in letzter Zeit immer wieder Reibereien zwischen einigen hitzköpfigen Legionären und Einheimischen, doch bis jetzt war immer alles gut ausgegangen.

»Was meinst du, Tom?«, fragte Martine neckisch und ließ ihre sanfte, warme Hand spielerisch über meinen Rücken gleiten. »Bist du nachher noch in Form, wenn du jetzt noch einen ,Ti-punch‘ trinkst?«

Bevor ich antworten konnte, hörte man von draußen Schüsse. Sie fielen etwa zwanzig Sekunden lang mit einer fast schon beängstigenden Regelmäßigkeit.

»Verdammt!«

Mit einem Satz war ich an der Tür und öffnete sie einen Spalt. Was ich sah, gefiel mir nicht. Überall huschten dunkle Gestalten in kleinen Gruppen durch die Nacht.

Kreolen! Das spärliche gelbe Licht der Straßenlaternen reichte aus, zu erkennen, dass sie Waffen trugen. Martine hatte es ebenfalls gesehen. Sie zog sich ein Baumwollhemd an und schlüpfte an mir vorbei, hinaus auf die Straße.

»Mir werden sie nichts tun. Geh auf keinen Fall raus, Tom. Ich werde herausfinden, was das alles bedeutet.« Bevor ich sie davon abhalten konnte, war sie auch schon in der Nacht verschwunden. Als sie wieder im Türrahmen erschien, war ihr braunes Gesicht blass. »Ich glaube, es ist besser, wenn du heute Abend hierbleibst.«

»Was hast du rausgefunden?«

Sie zuckte zusammen, denn wieder war ein Schuss gefallen!

»Die Legionäre«, hauchte sie. »Viele sind in die Stadt gekommen. Sie haben Waffen dabei, Knüppel, Baseballschläger und Messer. Sie haben alle Bars auseinandergenommen und die Windschutzscheiben sämtlicher Autos eingeschlagen. Und dann sind sie über die Leute hergefallen.«

 

Ich war perplex. »Das gibt Ärger. Ich muss zurück ins Camp.«

Mit einem Satz war sie bei mir und hielt mich am Ärmel fest. »Du kannst nicht da raus. Die Kreolen haben den Spieß umgedreht und machen jetzt Jagd auf alles, was ein weißes Képi trägt.«

Von draußen ertönte ein Trompetensignal. Ich packte Martine bei den Schultern und schüttelte sie sanft. »Es ist dunkel. Sie werden mich schon nicht erwischen. Ich muss jetzt los.«

»Warte …!«

Sie verschwand in der Küche und erschien einige Sekunden später mit einem schwarzen Stoffbeutel. »Steck dein Képi da rein, bitte.«

Widerwillig gehorchte ich ihr, doch das war nur zu meinem Glück. Als ich auf Schleichwegen zum Regiment unterwegs war, liefen mir immer wieder Gruppen von Einheimischen über den Weg. Sie waren mit Macheten bewaffnet. Einige hielten Schrotflinten in den Händen. Es war ein Spießrutenlauf! Jeder, der ein weißes Képi trug, musste in dieser Nacht um sein Leben rennen. Auf der Straße, die zum Camp führte, hatten Gendarmen Straßensperren und Kontrollpunkte errichtet, trotzdem war, zumindest kurzfristig, alles außer Kontrolle geraten. Im Camp herrschte eine düstere Stimmung. Ein Knistern lag in der Luft. Die Situation war brenzlig, denn, verstärkt durch den Alkohol, waren nicht wenige Legionäre immer noch aufgebracht. Der schwer bewaffnete Bereitschaftszug unter dem Befehl des Adjudant-chef Falco war fertig zum Ausrücken. Adjudant-chef Falco, imposant, von massiver Statur und mit einem narbendurchzogenen Gesicht, war ein alter Hase.


Adjudant-chef FALCO an der Spitze seiner Männer. Falco war ein „harter Hund“. Wer ihn jedoch genauer kannte, schätzte seine Besonnenheit, seine Freundlichkeit und seine Kompetenz. Major (e.r.) FALCO verstarb im Sommer 2016.

Jeder im Regiment fürchtete und respektierte ihn, selbst der Regimentskommandeur. Doch dieses Mal ging er zu weit. Der Chef de corps Oberst Piquemal, stellte sich persönlich dem Konvoi des alten Haudegens entgegen, hielt diesen auf, bevor er das Camp verlassen konnte, ehe ein Blutbad angerichtet wurde. Auch die Police militaire patrouillierte nonstop. Mein Zug stand zur Hälfte angetreten vor dem Hauptgebäude. Die Stärke wurde festgestellt und dann wurden wir auf unsere Zimmer geschickt: totale Ausgangssperre! Was an diesem Abend geschehen war, konnte mir niemand genau sagen. All diejenigen, die an dieser vermaledeiten Aktion teilgenommen hatten und geschnappt wurden, landeten sofort hinter schwedischen Gardinen. Intern zunächst. Die Bilanz war erschreckend. Okonkovski, ein ostdeutscher Legionär, war tot. Man hatte ihn aus kürzester Entfernung mit einer Schrotflinte in den Rücken geschossen und dann noch mit der Machete bearbeitet. Mehrere Legionäre waren aufgrund wüster Schlägereien verletzt, einige schwer. Aufseiten der Einheimischen sprach man ebenfalls von mindestens einem Toten und vielen Verletzten. Das Quartier wurde systematisch abgeriegelt. Anstelle des Zaunes, den man leicht überspringen konnte, wurde ein Gitter errichtet. Zwei Meter hoch mit Stacheldrahtkronen obendrauf. Die Ausgangssperre wurde erst Wochen später wieder aufgehoben. Das Quartier, in dem sich alles abgespielt hatte, die „Vieux bourg“, blieb für uns auf Jahre verboten. Es war feindliches Gebiet. Dem Leser mag nun das Ganze so vorkommen, als würden einige verrückte Fremdenlegionäre aus Launen heraus ausziehen und Strafexpeditionen durchführen. Die Tat als solche war schrecklich genug und man kann ihr natürlich beim ersten Hinsehen nichts Nobles abgewinnen. Deckel auf, folgende Zutaten in den Topf: Hitzkopf-Gemüt, etwas Hass, ein wenig Rassismus, eine Prise Alkohol, gähnende Langeweile und eine Portion Mitläufermentalität. Deckel zu. Was rauskommt, sieht man? Das ist unzutreffend. Wenn man alle Aspekte einzeln und nüchtern unter die Lupe nimmt, hält diese einseitige These nicht lange stand, denn die Zutaten stimmen nicht: Langeweile? Gab es kaum bei uns. Mitläufer? Dafür waren wir Legionäre zu stolz. Unser Charakter war gefestigt. Dafür hatte nicht zuletzt die Legion gesorgt. Hass? Ein Fremdwort! Und Rassismus, das hatte ich bereits erwähnt, gab es bei uns nicht. Wie in einer solch „kunterbunt“ zusammengewürfelten Einheit Rassismus entstehen soll, das muss mir auch mal einer vormachen. Eher das Gegenteil war der Fall. Rassismus ist nie ein Thema gewesen und wer Legionäre aus dieser besonderen Epoche kennt, kann das nur bestätigen. Ein Dummkopf und Idiot ist ein Dummkopf und ein Idiot. Ungeachtet seiner Hautfarbe und seiner Herkunft! Ich selbst war aber immer wieder Zeuge gewesen, wie Legionäre, die in die Stadt gingen, um einen schönen ruhigen Abend dort zu verbringen, von Kreolen grundlos angepöbelt wurden. Ich sah Kameraden zu Brei geschlagen ins Camp kommen. Sie hatten den Fehler gemacht, allein unterwegs gewesen zu sein. Oft wurden wir Legionäre frech diskriminiert. Da steckte Neid dahinter. Wir hatten eine relativ hohe Kaufkraft und gaben unser Geld auch aus. Geiz stand nicht in unsrem Lexikon und die Frauen mochten uns. Sei es wegen des Geldes oder weil wir selbstbewusst, durchtrainiert und sportlich waren. Da kommt eben mal Neid auf. Das kann schon Bosheit bei einigen hervorrufen. Wir Legionäre hatten Prinzipien, von denen wir selten abrückten, und unser einmal gegebenes Wort zählte auch dann, wenn es ungemütlich und gefährlich wurde. Ich glaube, man muss nicht unbedingt Legionär sein, um in gewissen Situationen zu entscheiden: Ein Limit ist erreicht! Dann kommt noch dazu, dass bei dieser Aktion eben nicht nur Hitzköpfe dabei waren, nicht nur solche, die zu tief ins Glas geschaut hatten. Es waren auch jene dabei, die sich ganz einfach sagten: Und nun ist Schluss! Sie beriefen sich auf unseren Ehrenkodex: „Tu lui manifestes toujours la solidarité étroite qui doit unir les membres dune même famille!“

Das lässt sich kurz und bündig wie folgt übersetzen: sich uneigennützig gegenseitig Beistand leisten, weil wir wie eine Familie sind. Ja, und wie weiter oben im Text schon angesprochen, war einer von uns spurlos verschwunden. Das Schlimmste war zu befürchten gewesen. Im Nachhinein darf man die Sache nicht grundsätzlich verurteilen, aber sicher auch nicht gutheißen. Allerdings muss man sich Gedanken darüber machen, wie so etwas in Zukunft vermieden werden kann. Sinnlose Gewalt ist keine Lösung.

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