Geschichte in Film und Fernsehen

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Szenische Geschichtsfilme im Kino – Dokumentarische Geschichtsfilme im Fernsehen

Szenische und dokumentarische Geschichtsfilme gibt es seit den Anfängen des Films. Zusammen bestreiten sie seit Mitte der 1900er Jahre das Kinoprogramm: Nach Werbung und ‚Wochenschau‘ folgte der dokumentarische Kulturfilm, der nicht selten ein Geschichtsfilm war. Dann wurde der szenische Hauptfilm gezeigt: „The Birth of a Nation“ (USA 1915), „Die Nibelungen“ (D 1924), „Im Westen nichts Neues“ (USA 1930) u.a. Mit dem Aufkommen des Fernsehens verschwand zu Beginn der 1970er Jahre nicht nur die ‚Wochenschau‘, sondern auch der dokumentarische Geschichtsfilm nach und nach aus den Kinos. Das Dokumentarische wanderte zum Fernsehen und siedelte sich wie die ‚Nachrichten‘ dort an. Dass das dokumentarische Erzählen gut zum Fernsehen passt, leuchtet ein. Denn die Vorherrschaft der erzählenden Stimme über die Bilder bei Dokumentationen ist eine typische Eigenart des Fernsehens, vor allem im Informationssegment Nachrichten, ReportageReportagen, Magazinbeiträge (→ Kap. 2.3). Szenische [39]Geschichtsfilme aber blieben beim Kino, weil sich nur dort die in der Regel hohen Produktionskosten wieder einspielen ließen. In den letzten zwanzig Jahren hat allerdings auch das Fernsehen immer wieder historische Spielfilme (ko-)produziert, die als sogenannte ‚TV-Events‘ im Fernsehen ausgestrahlt wurden. Teilweise liefen sie vorab im Kino, zum Beispiel „Elser“ (D 2015), teilweise fand die Erstausstrahlung im Fernsehen statt.

Probleme des audiovisuellen Erzählens

Erzählungen im Film müssen notwendigerweise Ereignisgeschichte erzählen. Denn da sich die Filme im Kino und die Sendungen des Fernsehens im technischen Sinn als raumzeitliches Kontinuum darstellen (24 bzw. 25 Bildwechsel/Sekunde), müssen auch die in den Filmen präsentierten Ereignisse raum-zeitlich strukturiert sein, d.h. als linearer Ereignisablauf. Dabei kann unter der Ereignisoberfläche durchaus strukturelle Tiefe spürbar werden, und zwar über die Akteure, die in der Regel typische gesellschaftliche Konflikte durchleben. Dennoch dominiert im Spielfilm meist die plakative szenische Oberfläche, verbunden mit einer reduktiven, oft extrem schematisierten Narration. Jedes historische Erzählen, auch jedes filmische, hat das Handicap, dass es immer mit einem begrenzten Personal und einer überschaubaren Menge von Ereignissen auskommen muss. Denn die Erzählzeit ist genauso begrenzt wie die Aufnahmefähigkeit des Publikums. Das führt auf der Erzählerseite, je nach Standpunkt, zu einer ‚Verdichtung‘ oder ‚Ausdünnung‘ der Geschichte. Komplexe Persönlichkeiten werden ‚abgeschliffen‘, verwickelte Ereignisabläufe vereinfacht. Eine solche erzählerische Glättung kann zu ‚Verzerrungen‘ von historischen Ereignissen und Personen führen. So wird beispielsweise im Film „Lincoln“ (USA 2012) der Eindruck erweckt, dass US-Präsident Abraham Lincoln von Anfang an ein Gegner der Sklaverei gewesen sei, wo er doch, wie historisch nachgewiesen ist, lange selbst in den rassistischen Vorurteilen seiner Zeit gefangen war und mit der Frage der Befreiung taktisch umging. Erst in seinen letzten Lebensmonaten wurde er unter dem Eindruck seiner Gespräche mit dem Führer der Anti-Sklaverei-Bewegung Frederick Douglass zum innerlich überzeugten Befürworter der Sklavenbefreiung. Eine ‚Verzerrung‘ findet auch in dem Film „1492 – Die Eroberung des Paradieses“ (USA/E 1992) statt, in dem Kolumbus als Entdecker Amerikas zwar historisch zutreffend dargestellt wird, seine Rolle als Eroberer und Kolonialist bei den letzten zwei Reisen aber unterschlagen wird, offenbar in der Absicht, das Denkmal ‚Kolumbus‘ (zumal bei der 500-Jahrfeier) nicht beschädigen zu wollen (siehe Menninger 2010, 74ff., 146ff.). Auch der Film „JFK“ (USA 1991) über die Ermordung des US-Präsidenten John F. Kennedy enthält drastische Verzerrungen, weil er der historisch sehr umstrittenen Mordtheorie des zwielichtigen Bezirksstaatsanwalts Jim Garrison aus New Orleans folgt, ohne diese kritisch zu hinterfragen. [40]Vereinfachungen, Klischees, Stereotypen und Verzerrungen kommen mehr oder weniger in allen historischen Erzählungen vor. Man muss sie untersuchen und benennen und sie gegebenenfalls korrigieren. Aber man kann sie nicht völlig ausschließen, denn bis zu einem gewissen Grade sind Vereinfachungen ein notwendiger Bestandteil von Erzählungen – selbst von geschichtswissenschaftlichen Erzählungen. Ohne ‚steile‘ Thesen, Zuspitzungen, Pointierungen und Akzentuierungen kommen auch sie nicht aus. Ob man will oder nicht, am Ende muss eben jede Erzählung auf den Punkt gebracht werden.

Weiterführende Literatur

Ebbrecht Ebbrecht 2008: Tobias Ebbrecht, Gefühlte Erinnerung: Überlegungen zum emotionalen Erleben von Geschichte im Spielfilm. In: Thomas Schick (Hg.), Emotion – Empathie – Figur: Spielformen der Filmwahrnehmung. Berlin 2008, 87–106.

Seel 2013: Martin Seel, Die Künste des Kinos. Frankfurt a.M. 2013.

Stahr 2001: Gerhard Stahr, Volksgemeinschaft vor der Leinwand? Der nationalsozialistische Film und sein Publikum. Berlin 2001.

Szenische Historienfilme

Als szenische Historienfilme bezeichnen wir Filme, die durch Textinsert oder Voice-OverVoice-Over kenntlich machen, dass ihre Erzählungen auf tatsächlichen Ereignissen aus der Vergangenheit oder aus alten Überlieferungen beruhen, deren Geschichten aber außerhalb des Erinnerungs- und Erfahrungshorizonts der Zuschauer liegen. Es sind Erzählungen aus fernen Zeiten, die im Verständnis der Zuschauer zur Vorgeschichte oder zur Gründungsgeschichte der eigenen Kultur gehören oder die unbekannte historische Welten zeigen. Dabei kann es um vergangene Lebenswelten und deren Sichtbarmachung im Film gehen (zum Beispiel „Cleopatra“, USA 1963; „Luther“, USA 2003; „Alexander“, F/USA/GB/D/NL 2004). Es kann sich aber auch um Legenden- und Sagenwissen handeln, das Bestandteil einer jahrhundertealten Erzähltradition ist und zum kulturellen Gedächtnis der Gesellschaft gehört. Gezeigt werden dann Personen oder Ereignisse mit magischen und mythischen Bedeutungen, an die zu unterschiedlichen Zeiten erzählerisch immer wieder neu angeknüpft wurde, weil man sie für bedeutsam hielt und durch rituelles Wiedererzählen vor dem Vergessen bewahren wollte. Sie setzen eine Erzähltradition fort, die in der Antike begann und über das Mittelalter bis in die Gegenwart reicht. Als ursprünglich mündliche, dann literarische Überlieferung gibt es sie seit knapp 100 Jahren auch als audiovisuelle Erzählungen („Die Fahrten des Odysseus“, I 1955; „Jason und die Argonauten“, GB/US 1963; etc.).

HistorienfilmeHistorienfilme werden in der Regel sehr aufwendig produziert, weil die vergangene Welt auf für die Zuschauer attraktive Weise wieder sichtbar gemacht werden muss, was viele historische Nachbauten, Requisiten und Kostüme erfordert. Sie werden deshalb oft auch als ‚Kostümfilme‘, ‚Ausstattungsfilme‘, ‚Monumentalfilme‘ [41]bezeichnet. Sie setzen in starkem Maße auf visuelle Effekte und gründen ihren Erfolg auf immer neue Entwicklungen der Film- und Tricktechnik (extreme slow motion, entfesselte Kamera etc.). Dank computergenerierter Bilder, 3D und 7.1 Soundsystem gelingt es heute vielen Historienfilmen, vergangene Lebenswelten in einer audiovisuellen Überzeugungskraft zu präsentieren, wie es keinem anderen erzählenden Medium möglich ist. So sind denn auch unter den weltweit 75 erfolgreichsten Kinoproduktionen vier Historienfilme: „Titanic“ (USA 1997), „Troy“ (USA/M/GB 2004), „Gladiator“ (USA/GB 2000) und „Last Samurai“ (NZ/US 2003).

Geschichte des HistorienfilmsHistorienfilme

HistorienfilmeHistorienfilme gibt es schon seit den Anfängen des Kinos, zum Beispiel „Die Geburt einer Nation“ (USA 1915), „Der Kongress tanzt“ (D 1931) und „Vom Winde verweht“ (USA 1939). In den USA hatte der Historienfilm als populärer Geschichtsfilm für ein Massenpublikum seinen ersten großen Höhepunkt in den 1950er und 1960er Jahren im Hollywood-Kino (Wieber 2007, 25). In Cinemascope und in Stereophonie brachte der Historienfilm bildgewaltig und soundstark alte große Erzählungen (Ereignisse, Legenden, Mythen) auf die Leinwand. Diese technische Aufrüstung des Kinos war in den USA eine Antwort auf das vordringende Fernsehen, das dem Kino immer mehr Zuschauer wegnahm und nun durch die neuen Film- und Soundformate in Schach gehalten werden konnte. Insbesondere der ‚Antikenfilm‘ war in den USA der 1950er und 1960er Jahre erfolgreich: Filme wie „Quo Vadis?“ (USA 1951), „Die Gladiatoren“ (USA 1954), „Sinuhe der Ägypter“ (USA 1954), „Das Land der Pharaonen“ (USA 1955), „Alexander der Große“ (USA 1956), „Ben Hur“ (USA 1959), „Spartacus“ (USA 1960) und „The Fall of the Roman Empire“ (USA 1964) zeugen davon. Wissenschaftlich nicht geklärt ist das große Interesse an der Antike. Martin Lindner nennt als Ursachen den hohen „Schauwert“ des Antikenfilms, den das Fernsehen nicht bieten konnte, und die „Ventilfunktion“, womit gemeint ist, dass in den Antikenfilmen Sex- und Gewaltszenen dargestellt werden konnten, die in der US-Öffentlichkeit ansonsten tabu waren (Lindner 2007, 19). Das im Kino vermittelte Antikenbild ist stark schematisiert und die filmischen Erzählungen auf Stereotypen reduziert: eine zivilisierte Lebenswelt, an deren Oberfläche Ordnung, Klarheit, Sauberkeit herrschen, die aber darunter durch Verfall, Intrigen, Machtmissbrauch und Unmoral gekennzeichnet ist (Meier/Slanička 2007b, 9). Das audiovisuelle Arrangement der römischen Antike folgt meist bekannten Mustern, es besteht „oft aus wenig mehr als der Hauptstadt, Figuren aus den sozialen Extremen der Gesellschaft und einer monoperspektivisch-linearen Handlung.“ (Lindner 2007, 138) Neben der Antike wurde auch die Mythen- und Legendenwelt sowie die tatsächliche Welt des europäischen Mittelalters und der frühen Neuzeit in HistorienfilmeHistorienfilmen sichtbar gemacht: „Die Ritter der Tafelrunde“ (USA/GB 1953), „Prinz Eisenherz“ (USA [42]1954), „Attila der Hunnenkönig“ (USA 1954), „Der Eroberer“ (USA 1956), „Der Name der Rose“ (D/F/I 1986). Auch das im Kino vermittelte Mittelalterbild ist voller Klischees: Dunkel, dreckig, chaotisch, brutal, klerikal, unzivilisiert (Meier/Slanička 2007b, 9; Röckelein 2007). Mittelalter und Antike bilden, was Lebenswelt und Kultur angeht, im Historienfilm drastische Gegenwelten.

 

Nachdem die bekannten ‚alten‘ historischen Geschichten analog auserzählt waren, verschwanden diese Epochen wieder im Dunkel der Filmgeschichte, bis die Digitaltechnik mit ihren ungeahnten Möglichkeiten der computergestützten Animation (CGICGI – Computer Generated Images (CGICGI), engl. ‚durch Rechnerleistung hergestellte Filmbilder‘. Mit spezieller Computersoftware designte Szenen, Effekte oder Hintergründe (z.B. der Sommerpalast des Khans in „Marco Polo“), häufiger Bestandteil aufwendiger HistorienfilmeHistorienfilme.Computer Generated Images) sie in den 1990er Jahren zu einer neuen beispiellosen Blüte führte. Fulminanter Höhepunkt dieser Neubelebung war der Film „Gladiator“ (USA/GB 2000), dem weitere Antikenfilme folgten. Mit dem Mittelalter und der Frühen Neuzeit befassten sich in dieser Zeit unter anderem „Robin Hood“ (USA/GB 1991), „Die Bartholomäusnacht“ (F/I/D 1994) oder „Rob Roy“ (USA/GB 1995), „King Arthur“ (USA/IRL/GB 2004), „Königreich der Himmel“ (GB/E/USA/D 2005). Speziell die Renaissance des Antikenfilms rief nun auch erstmals die Althistoriker auf den Plan, die sich, speziell seit „Gladiator“, stärker mit dem Historienfilm zu beschäftigen begannen. Untersucht wurden vor allem die Legitimationsstrategien der Filme, d.h. die Verwendung von antiken Gegenständen, bildlichen Darstellungen, Gebäuden, Einrichtungen, historischen Personen und Ereignissen, Quellenverweise zur Authentifizierung der filmischen Erzählungen. Der Althistoriker Martin Lindner sieht den Antikenfilm als „Idealtypus der pathetischen Stilisierung“. Trotz erhöhter SchnittSchnittfrequenz habe er bis heute seine offenbar genrebedingte ‚epische Erzählweise‘ beibehalten, die filmischen Einstellungen seien verhältnismäßig lang, die Handlung schreite vergleichsweise gemächlich voran. Neben dem Pathos zeichne sich der Antikenfilm durch eine „ausgeprägte Moralisierung“ aus. Die historische Erforschung des Antikenfilms stehe „allerdings erst ganz am Anfang“ (Lindner 2007, 139, 148, 229).

„Zeigen, wie es eigentlich gewesen“ (Ranke)

Die Inszenierung von Vergangenheit im szenischen Film zielt darauf ab, beim Publikum die Illusion zu erzeugen, dass die audiovisuelle Erzählung eine Abbildung vergangener tatsächlicher Lebenswelten ist. Der naive Glaube, dass Filme historische Welten abbilden könnten, ist zwar von der Wissenschaft längst widerlegt, hat sich beim Publikum aber hartnäckig gehalten. Das zeigen viele Internetkommentare von Kinogängern zu großen Historienblockbustern. Anlässlich des Filmstarts von „1492 – Die Eroberung der Paradieses“ (USA/E 1992), in dem [43]es um die Entdeckung Amerikas durch Kolumbus geht, lautete das Urteil im Laienpublikum „sehr realistisch“, „so muss es gewesen sein“ (Menninger 2010, 269); „sowohl von hohem geschichtlichen, als auch von hohem Unterhaltungswert“2 meint ein Zuschauer zu „Alexander“ (USA 2004); „dies alles wirkt derart echt und glaubhaft inszeniert, dass es an Perfektion grenzt“3, heißt es zu „Gladiator“ (USA 2000). Die Repräsentanten des Filmgeschäfts bemühen die Legende der ‚Objektivität‘ nicht, weil sie es nicht besser wüssten – sie wissen tatsächlich sehr genau, dass sie ein Spiel mit tatsächlichen, möglichen und unwahrscheinlichen Welten treiben – sondern, weil die audiovisuelle Darstellung von vergangenen Welten im Historienfilm eben genau dieses Ziel einer ‚realistischen‘ Darstellung hat. Ein Höchstmaß von AuthentizitätAuthentizität, authentisch, Authentifizierung zu erreichen, dazu dienen heute aufwendige RecherchenRecherche, Rechercheur, quellennahe, wissenschaftlich abgesicherte Drehbücher, detailgenaue Ausstattung, filigrane Computeranimationen etc. Niemals waren die HistorienfilmHistorienfilme enger auf die tatsächlichen historischen Ereignisse ausgerichtet als im geschichtlichen Kinofilm seit den 1990er Jahren. Realitätstreue ist geradezu ein Markenzeichen dieser Filme geworden, wie Werbekampagnen aber auch Kritiken von Spielfilmen wie beispielsweise „Lincoln“ (USA 2012) zeigen. Aber es geht bei all dem natürlich nicht nur um die Vergangenheit, in der die Ereignisse stattgefunden haben, sondern auch um die Gegenwart, in der die Filme laufen. Denn der große produktionstechnische Aufwand rechnet sich nur dann, wenn das Publikum stark daran interessiert ist, sich die HistorienfilmeHistorienfilme anzusehen. Sei es, dass ihnen die vergangenen Lebenswelten im kultur- oder alltagsgeschichtlichem Sinn etwas bedeuten, sei es, dass sie sich an spannenden Abenteuergeschichten und kriegerischen Aktionen oder an Liebesgeschichten im historischen Kostüm erfreuen wollen – in jedem Fall erwarten sie, dass Historienfilme opulente audiovisuelle Welten konstruieren.

Der HistorienfilmHistorienfilme in Deutschland

Bereits in der Stummfilmzeit gab es in Deutschland Historienfilme, wie z.B. den berühmten Fritz Lang-Film „Die Nibelungen“ (D 1924). Mit „Das Flötenkonzert von Sans-souci“ (D 1930) startete der Historienfilm in die Zeit des Tonfilms. Er ist der erste der sehr populären Tonfilme, die sich mit der Geschichte Friedrichs des Großen befassen. In der NS-Zeit entstehen weitere Filme zu Themen der preußischen Geschichte („Der alte und der junge König“, D 1935; „Fridericus“, D 1936), der Napoleonischen Befreiungskriege („Der höhere Befehl“, D 1935; „Kolberg“, D 1945) und der Reichseinigung („Bismarck“, D 1940; „Die Entlassung“, D 1942). Für die NS-Führung waren historische Filme wichtige Instrumente zur Anbindung des Nationalsozialismus an die preußisch-deutsche Geschichte und damit [44]zur Selbstlegitimierung. Die Nationalsozialisten verstaatlichten nach der Machtübernahme die gesamte Filmproduktion, unterwarfen sie der Zensur und richteten sie nach den Bedürfnissen des NS-Staates aus. Propagandaminister Goebbels ernannte sich selbst zum „Schirmherrn des deutschen Films“ und nahm, wie auch Hitler, persönlich Einfluss auf nahezu alle Filmproduktionen. Er legte fest, dass sämtliche Historienfilme eine feste nationalsozialistische ‚Tendenz‘ haben sollten, um das „Volk für die Durchsetzung seiner Lebensansprüche mit zu befähigen und zu erziehen“ (Goebbels 1941).4 In allen szenischen Geschichtsfilmen ging es deshalb stets mehr oder weniger deutlich um den deutschen ‚Selbstbehauptungskampf‘ gegen die äußeren Feinde und damit um die Militarisierung der Gesellschaft als Teil der Kriegsvorbereitung bzw. -führung. Diese Filmbotschaften stießen bei einem Großteil des Publikums auf Zustimmung, wie überhaupt der Film im Nationalsozialismus darauf angelegt war, den Konsens zwischen ‚Volk‘ und ‚Führer‘ zu stärken und die Bevölkerung zur ‚Volksgemeinschaft‘ zusammenzuschweißen. Der NS-Filmintendant Fritz Hippler (Film-Kurier, 5. April 1944) schrieb: „Im Vergleich zu den anderen Künsten ist der Film durch seine Eigenschaft, primär auf das Optische und Gefühlsmäßige, also Nichtintellektuelle einzuwirken, massenpsychologisch und propagandistisch von besonders eindringlicher und nachhaltiger Wirkung. Er beeinflusst nicht nur die Meinung exklusiver Kreise von Kunstkennern, sondern er erfasst die breiten Massen.“ Auch Goebbels und Hitler waren von der Bildmächtigkeit des Mediums ‚Film‘ und der Durchschlagskraft seiner nationalsozialistischen Botschaften überzeugt; das Kino sollte ihrem Verständnis nach zum Ort praktizierter nationalsozialistischer Glaubensgemeinschaft werden. Zur Umsetzung dieses Vorhabens gab es neben den städtischen Kinos Tonfilmwagen, die über Land fuhren und die Technik für die Filmveranstaltungen in Schulen oder Gastwirtschaften bereithielten. Durch diese Wanderkinos erreichte Goebbels auch solche Zuschauer, die bis dahin noch nie ein Kino besucht hatten. 1939 wurden 624 Millionen Kinokarten verkauft, 1944 waren es 1,1 Milliarden. Von den USA abgesehen, hatte kein Land mehr Kinositzplätze als Deutschland.

Die wichtigsten nationalsozialistischen HistorienfilmeHistorienfilme waren für Hitler und Goebbels „Jud Süß“ (D 1940), „Der große König“ (D 1942) und „Kolberg“ (D 1945). „Jud Süß“ war der publikumswirksamste antisemitische Spielfilm der NS-Diktatur. Er entstand in Goebbels’ Auftrag und erzählt die Geschichte des Joseph Süß Oppenheim (1698–1738), der 1733 geheimer Finanzrat des württembergischen Herzogs Karl Alexander war und nach dem Tod des Herzogs 1738 zum Sündenbock für dessen Verfehlungen erklärt und hingerichtet wurde. Goebbels ließ die Ereignisse im Film so erzählen, dass sie eine eindeutige antisemitische Tendenz [45]erhielten. Nach der Fertigstellung des Films schrieb er in sein Tagebuch: „Harlans Film ‚Jud Süß‘. Ein ganz großer genialer Wurf. Ein antisemitischer Film, wie wir ihn uns nur wünschen können.“ (18.8.1940)

„Der große König“ (D 1942) zeigt Friedrich II. als einsamen monumentalen Feldherrn nach der Schlacht bei Kunersdorf (1759), in der seine Armee schwer geschlagen wurde. Friedrichs Umgebung rät zur Kapitulation, doch der setzt in einsamer Entschlossenheit den Kampf fort und siegt. Friedrichs militärische Lage sollte Ähnlichkeiten mit der Lage Hitlers im Winter 1941/42 aufzeigen: Der Überfall auf die Sowjetunion war in Eis und Schnee stecken geblieben. Einige Generäle hatten einen Rückzug vorgeschlagen, doch Hitler befahl standzuhalten. Wie einst Friedrich II. wurde Hitler nun zum Mann der einsamen Entscheidungen stilisiert. Schon seit Beginn des Russlandfeldzuges hatte er sich seinem Kinopublikum entzogen und sich ganz der Kriegsführung gewidmet. Goebbels’ Wochenschaubild eines volkstümlichen ‚Familien-Hitlers‘, der den ‚kleinen Mann‘ verstand, passte nun nicht mehr auf den fernen Kriegsherren und musste umgestellt werden: „Wir leben in einer Zeit, in der wir friderizianischen Geist nötig haben“, schrieb Goebbels in sein Tagebuch (4.3.1942). Der ‚Führer‘, von der Filmpropaganda lange Jahre zum ‚Volkskanzler‘ stilisiert, wurde deshalb nun, wie Friedrich der Große, zur einsamen Majestät. Die Monumentalisierung des Oberbefehlshabers in „Der große König“ sollte erreichen, „Ergriffenheit und Bewunderung auszulösen“ (Kershaw 1999, 149ff.). Tatsächlich sah das Publikum in dem Film ein ‚Spiegelbild unserer eigenen Zeit‘, wie zeitgenössische Beobachter festhielten, „viele hätten den König mit dem Führer verglichen und sich zu der Zeit, als der Film anlief, an einen in der Wochenschau gezeigten Bildstreifen erinnert, auf dem der Führer allein im Hauptquartier zu sehen war“ (Schenk 1994, 81).

„Kolberg“ (D 1945) entstand kurz vor dem militärischen Untergang des ‚Dritten Reichs‘. Der Film erzählt die Geschichte der Belagerung der pommerschen Festung Kolberg durch napoleonische Truppen im Jahr 1806/07 und den erfolgreichen Widerstand der Eingeschlossenen bis zum überraschenden Waffenstillstand. Goebbels beauftragte den Regisseur Veit Harlan mit der Herstellung des Films: „Aufgabe dieses Films soll es sein, am Beispiel der Stadt, die dem Film den Titel gibt, zu zeigen, dass ein in Heimat und Front geeintes Volk jeden Gegner überwindet. Ich ermächtige Sie, alle Dienststellen von Wehrmacht, Staat und Partei, soweit erforderlich, um ihre Hilfe und Unterstützung zu bitten und sich dabei darauf zu berufen, dass der hiermit von mir angeordnete Film im Dienste unserer geistigen Kriegsführung steht.“ (zitiert bei Schalhorn 1994/95, 8) Der Farbfilm wurde mit 8,8 Millionen Reichsmark Produktionskosten der teuerste Film in der Zeit des Nationalsozialismus. Er hatte praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit im Januar 1945 Premiere. Noch kurz vor seinem Tod sah Goebbels den Nationalsozialismus und sich selbst als fulminanten Stoff für einen großen Historienfilm. Die angesichts des unmittelbar bevorstehenden Untergangs [46]verzagten Mitarbeiter ermahnte er: „Meine Herren, in hundert Jahren wird man einen schönen Farbfilm über diese schrecklichen Tage zeigen, die wir durchleben. Möchten Sie nicht in diesem Film eine Rolle spielen? Halten Sie jetzt durch, damit die Zuschauer in hundert Jahren nicht johlen und pfeifen, wenn Sie auf der Leinwand erscheinen“ (Tagebuch 17.4.1945).

Nach dem Ende des Hitler-Regimes war nicht nur der verbrecherische NS-Staat militärisch besiegt, politisch erledigt und moralisch diskreditiert, sondern die gesamte preußisch-deutsche Geschichte, die als ‚Vorgeschichte‘ des ‚Dritten Reichs‘ betrachtet wurde. Nicht von ungefähr lösten die Siegermächte nach dem Krieg nicht nur Preußen als Staat formell auf, sondern bemühten sich auch, alle militaristischen und nationalistischen Traditionen zu kappen. Die Bevölkerung in West- und Ostdeutschland verdrängte zunächst ihre unmittelbaren NS-Vergangenheit und deren Vorgeschichte und blickte nur noch nach vorne. So ist es nicht weiter erstaunlich, dass der preußisch-deutsche Historienfilm 1945 endete.

 
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