Die Poggenpuhls. Roman

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Drittes Kapitel

Der nächste Tag kam. Als es am Nachmittag schon dämmerte, hielt eine Droschke vor dem Hause, und Mutter und Töchter sahen alsbald vom Fenster aus, wie Friederike nach vergnüglicher Begrüßung mit Leo den kleinen Offizierskoffer vom Kutscherbock nahm und an Agnes Nebelung vorbei – die, weil sie den Leutnant gern sehen wollte, dicht neben dem Trottoir Aufstellung genommen – auf die Haustür zuschritt. Leo folgte. Schon auf der von den Schwestern en échelon besetzten Treppe wurden Küsse gewechselt, oben aber stand die Mama. »Tag, meine gute Alte«, und nun wieder ein Kuss. Allerhand konfuse Sätze, die gar nicht passten, flogen hin und her, und nun trat Leo von der guten Stube her in das einfensterige Wohnzimmer, legte Paletot und Säbel ab, zupfte vor dem Spiegel [23]seinen etwas raufgerutschten Waffenrock zurecht und sagte, während er sich mit einem strammen Ruck vom Spiegel her umdrehte: »Na, Kinder, da wär’ ich mal wieder. Wie findet ihr mich?«

»Oh, wundervoll.«

»Danke schön. So was tut immer wohl, wenn’s auch nicht wahr ist, man kann beinahe sagen, es erquickt. Aber apropos, Erquickung. Trotz der frischen Luft, ich bin kolossal durstig; seit sieben Stunden nichts als eine Sardellensemmel; wenn ihr ein Glas Bier hättet.«

»Gewiss, gewiss. Friederike kann ein Seidel echtes holen.«

»Nein, nein; nichts holen. Und wozu? Wasser tut’s auch«, und er stürzte mit einem Zug ein Glas Wasser hinunter, das ihm Manon gereicht hatte. »Brr. Aber gut.«

»Du bist so hastig«, sagte Manon. »Das bekommt dir nicht. Ich denke, du trinkst nun erst eine Tasse Kaffee. Wir haben jetzt halb fünf. Und um sieben dann einen Imbiss.«

»Sehr gut, Manon, sehr gut. Nur die Reihenfolge lässt sich vielleicht ändern. Das Wasser hab ich intus; nehme ich nun auch noch gleich den Kaffee, so gibt das zu viel Flüssigkeit, nutzlose Magenerweiterung, also so gut wie Schwächung. Und man braucht seine Kräfte oder, sagen wir, das Vaterland braucht sie.«

»Du meinst also …«

»Ich möchte mir zu meinen erlauben: Umkehr der Wissenschaft; erst Imbiss, dann Kaffee. Denn wenn mein Durst groß war, mein Hunger kommt gleich danach. In sieben Stunden …«

»Das hast du ja schon gesagt.«

»Ja, Wahrheiten drängen sich immer wieder auf. Nun sagt, was habt ihr?«

[24]»Eine Ente.«

»Kapital.«

»Aber sie hängt noch oben am Bodenfenster und ist auch noch alles dran und drin. Also eine Sache von zwei Stunden …«

»Etwas lange.«

»… Doch ich glaube, ich weiß Rat. Wir nehmen die Leber heraus, und in einer Viertelstunde hast du sie gebraten auf dem Teller. Willst du sie mit Äpfel oder Zwiebel?«

»Mit beiden. Nur nichts ablehnen, wenn es der Anstand nicht absolut erfordert.«

»Du kennst also doch Fälle«, sagte Therese.

»Natürlich kenn ich Fälle, natürlich. Aber nun sage mir, liebe Alte, wie geht es dir eigentlich? Immer noch Schmerzen hier herum?«

»Ja, Leo, jede Nacht.«

»Weiß der Himmel, dass die Doktors auch gar nichts können. Sieh hier meinen Zeigefinger, neulich umgeknickt, das heißt, ’s ist schon ein Vierteljahr, und immer dieselbe Schwäche. Vielleicht muss ich den Abschied nehmen.«

»Ach, rede doch nicht so«, unterbrach Therese. »Die Poggenpuhls nehmen nicht den Abschied.«

»Dann kriegen sie ihn.«

»Sie kriegen ihn auch nicht. Der da« (und sie wies auf den ›Hochkircher‹) »ist unvergessen und der Sohrsche auch und Papa auch. Der Kaiser weiß, was er an uns hat.«

»Ja, Therese, was hat er an uns?«

»Er hat unsre Gesinnung und die Gewissheit der Treue bis auf den letzten Blutstropfen.«

»Nun ja, ja, das hat er … Aber sage, Mutter, hast du denn schon böten lassen?«

[25]»Böten?«

»Ja, böten. Böten ist pusten und besprechen oder so was wie mit Sympathie. Das hilft immer. Wir haben da eine alte Pohlsche, so wie die lospustet, ist es weg … Apropos, ist denn noch Weihnachtsmarkt?«

»Ich glaube, er ist noch oder wenigstens ein bisschen.«

»Ein paar Buden werden ja wohl noch stehen, und da müssen wir hin, Kinder. ›Herr Jraf, einen Dreier‹, so was Klassisches will ich mal wieder hören. Und dann gehen wir zu Helms und trinken Grog oder Schokolade mit Schlagsahne und dann in die Reichshallen.«

»Oh, das ist ein glücklicher Einfall«, sagte Manon. »Nicht wahr, Sophie? Du bist so still; sprich doch auch … Für Therese wird es wohl nicht passen, sie wird die Reichshallen nicht vornehm genug finden. Aber zwei Schwestern ist auch genug, und ich freue mich herzlich. Nur musst du’s so einrichten, dass wir etwa um neun bei Bartensteins sind oder doch nicht viel später. Ja, Leo, bis in die Voßstraße musst du uns dann bringen.«

»Gern. Aber wozu? Was ist denn da los?«

»Polterabendprobe. Seraphine Schweriner, eine Cousine von Flora, verheiratet sich in vierzehn Tagen, und da haben wir seit Weihnachten immer Proben. Ich spiele mit, sogar zweimal, erst Quirlmädchen, dann Slowake mit Mausefallen. Ich soll reizend aussehen.«

»Natürlich.«

»Und Sophie hat ein Transparent gemalt und den Prolog gedichtet. Aber sie will ihn nicht sprechen.«

»Das musst du dann am Ende auch noch.«

»Vielleicht; aber jedenfalls nicht gern. Prolog ist immer zu langweilig. Jeder ist immer froh, wenn es damit vorbei [26]ist. Aber ob ja oder nein, davon sprechen wir unterwegs, vorausgesetzt, dass sich unterwegs überhaupt ein Gespräch führen lässt. Denn man muss jetzt sehr aufpassen; es ist abends immer so neblig. Überhaupt, Berliner Luft …«

»Ach, rede doch nicht so was, Manon. Berlin hat die feinste Luft von der Welt. Ich kann dir sagen, dass ich froh bin, mal wieder ein bisschen drin herumschnuppern zu können. Nebel; Nebel ist ganz egal, Nebel ist was Äußerliches, und alles Äußerliche bedeutet nichts. Innen steckt es, innen lebt die schaffende Gewalt, immer frisch, froh und frei – ›fromm‹ schenk ich mir, verzeih, Therese … Gott, unser Nest da, das hat die reinste Luft, immer Ostwind und dergleichen, und wer nicht fest auf der Bost ist«, und er gab sich einen Schlag auf die Brust, »der hat eine Lungenentzündung weg, er weiß nicht wie. Also wir haben die reinste Luft, keine Frage. Und doch sag ich euch, immer stickig, immer eng, immer klein. Wenn der Oberst niest, hört es der Posten vorm Gewehr und präsentiert. Greulich. Wenn nicht das bisschen Jeu wäre und die paar Judenmädchen …«

»Aber Leo …«

»Oder die paar Christenmädchen; bloß die Jüdinnen sind hübscher.«

»Ihr müsst aber doch geistige Beschäftigung haben?«

»I bewahre. Dazu ist ja gar keine Zeit. Ich überschlage bloß dann und wann meine Schulden und rechne und rechne, wie ich wohl rauskomme. Das ist meine geistige Beschäftigung, ganz ernsthaft, beinahe schon wissenschaftlich.«

»Gott, Leo«, sagte die Mutter und sah ihn ängstlich an. »Gewiss bist du bloß deshalb gekommen. Ist es denn wieder viel?«

[27]»Viel, Mutter? Viel ist es nie. Viel kann es überhaupt nie sein. Denn so dumm ist keiner. Viel, das fehlte auch noch. Aber wenig ist es und bei allem Glück, dass es so wenig ist, ist das doch auch grade wieder das Ärgerliche, ja das Allerärgerlichste. Denn man sagt sich: ›Gott, es ist so wenig, dafür kann man ja gar nichts gehabt haben‹ und hat auch nicht, und dann kommt erst das andre, dass man’s, trotzdem es so wenig ist, doch nicht begleichen kann. Keiner, der einem hilft, keine Seele. Wenn ich mir da die andern ansehe! Jeder hat einen Onkel …«

»Oh, den haben wir auch«, unterbrach Sophie. »Und Onkel Eberhard ist ein Ehrenmann …«

»Zugestanden. Aber Onkel Eberhard, so gut er ist, er legitimiert sich nicht als Onkel oder wenigstens nicht genug. Und dann, Kinder, wer keinen Onkel hat, der hat doch wenigstens einen Großvater oder einen Paten oder eine Stiftsdame. Stiftsdame ist das Beste. Die glauben alles, jede Geschichte, die man ihnen vorerzählt, und wenn sie auch selber nicht viel haben, so geben sie doch alles, ihr Letztes.«

»Ach, Leo, rede doch nicht so. Sie können doch nicht alles geben.«

»Alles, sag ich. Denn was eine richtige Stiftsdame ist, die kann auch alles geben, weil sie gar nichts braucht. Sie hat Wohnung und Fisch und Wild, und die Puthühner laufen im Hof herum, und die Tauben sitzen auf dem Dach, und in dem großen Gemüsegarten, den sie natürlich selber besorgen (denn sie haben ja nichts zu tun), da steht immer irgendwo ein Kohlrabi oder eine Mohrrübe, und in der Küche ist immer Feuer, weil sie frei Holz haben. Und deshalb, ja, ich muss es noch einmal sagen, deshalb können sie alles geben, weil sie alles haben und nichts brauchen.«

[28]»Aber sie müssen sich doch kleiden.«

»Kleiden? I bewahre. Die kleiden sich nicht. Sie haben ein Kleid und das dauert dreißig Jahre. Sie ziehen sich bloß an; natürlich, denn auf Eva im Paradiese sind sie nicht eingerichtet … Aber da kommt ja die Leber; riecht köstlich, delikat. Und nun, Kinder, wollen wir teilen: Mutter Mittelstück, weil das das weichste ist, Therese rechte Spitze, ich linke Spitze, Sophie und Manon …«

»Ach, Leo, mache doch keine Komödie. Du weißt ja doch, dass du das Ganze kriegst. So warst du immer, du willst dich nett machen, wo du nicht beim Worte genommen wirst.«

»Gib hier nicht Aufschlüsse über meinen Charakter, Sophie, gib mir lieber eine Semmel zu der Leber, sie ist sonst zu fett. Und mit der Verwandtschaft hab ich doch recht; keine Stiftsdame, keine Muhme, keine Base, keine Tante, kaum eine Cousine, wenigstens keine richtige – man möchte rasend werden, sagt Mephisto irgendwo. Kennst du Mephisto, Mutter?«

»Natürlich kenn ich ihn. Ihr Poggenpuhls denkt immer, ihr habt die Weisheit allein und alles wie durch Inspiration. Denn von der Schule her habt ihr doch eigentlich gar nichts. Und nun gar du, Leo. Wenn ich an deine Zensuren denke. Mit Wendelin war das was andres. Aber warum? weil er ins Püttersche schlägt.«

 

»Ach, Mutter, du bist schon die Beste; wenn wir dich nicht hätten! Und ich glaube auch beinahe, dass uns die Pütters über sind. Bloß in einem sind sie uns ganz gleich, sie haben auch nichts, und das ist mein Schmerz. Ach, Mama, nirgends Geld, nirgends Rückendeckung, und dazu jung und ein Leutnant – eine ganz verdeubelte Geschichte. [29]Und dabei habe ich euch aufgefordert, mit zu Helms zu kommen und dann in die Reichshallen.«

»Er ist unverbesserlich«, lachte Sophie. »Was soll das nun wieder! Erstens bist du unser Gast, der nichts als die Honneurs zu machen braucht. Und das Ritterliche wirst du doch wohl für uns übrig haben.«

»Gott, Mädels, seid ihr gut. Und so aufgeklärt und begreift, dass es nicht anders sein kann, und ich bleibe in eurer Liebe und Achtung. Das hoffe ich wenigstens, sonst würde ich es nicht annehmen. Und nun, denk ich, gehen wir. Mama, du kommst doch mit?«

»Nein, Leo. Eine Person mehr macht schon immer was aus. Und dann mein Mantel, wenn wir in einem Lokal sitzen, ist auch nicht mehr gut genug.«

»Ach, das ist ja gleich, Mutter.«

»Und dann hab ich so leicht das Reißen hier, und man weiß nie, welchen Platz man kriegt und ob es nicht gerade zieht. Und wenn ich den Zug kriege, dann krieg ich auch meinen Rheumatismus und muss ins Bett. Und wenn ich den Rheumatismus nicht kriege, dann krieg ich meine Kolik, und das ist noch schrecklicher.«

Viertes Kapitel

Leo, der den Weihnachtsmarkt und Helms und die Reichshallen wirklich besucht und sich dann schließlich vor dem Bartensteinschen Hause von den beiden jüngeren Schwestern, die er bis dahin begleitet, verabschiedet hatte, war bald nach neun wieder zu Haus, wo er nun, so ging [30]wenigstens sein Plan, mit der Mutter und Therese weidlich plaudern und über seine Berliner Eindrücke berichten wollte, denn er gehörte zu den Glücklichen, die, sowie sie den Fuß auf die Straße setzen, immer was erleben oder sich wenigstens einbilden, was erlebt zu haben. Er traf es daheim aber anders als erwartet: Therese war in die Stadt gegangen, um noch ein paar Kleinigkeiten für den Geburtstagstisch der Mama zu kaufen, und diese selbst, wie er von Friederike gleich auf dem Korridor erfuhr, war schon zu Bett. »Hm«, brummte er und schickte sich, weil ihm nichts andres übrigblieb, eben zu stillem Meditieren in einer Sofaecke an, als die Mama ihm sagen ließ, er solle nur an ihr Bett kommen und ihr was erzählen. Das war ihm denn allerdings erheblich lieber als, wie er sich ausdrückte, »unter Betrachtung seines Innern« auf Therese zu warten.

»Ist dir schlecht, Mama?«

»Nein, Leo, schlecht eigentlich nicht. Ich habe mich nur hingelegt, weil ich morgen doch ein bisschen bei Kräften sein will. Nimm dir einen Stuhl und rücke ran und dann hole die Lampe, dass ich dich immer vor mir habe. Denn du hast ein gutes Poggenpuhlsches Gesicht, und wenn dann was kommt, was nicht stimmt, so kann ich es dir immer gleich ansehen und mir meinen Vers danach machen.«

»Ach, Mama, du denkst immer, ich mache Flausen; aber es ist nicht so schlimm damit. Ich habe nicht mal Talent dazu; ich übertreibe bloß ein bisschen.«

»Ist schon recht. Und du warst auch immer mein Liebling, und die andern haben es dir auch gegönnt. Aber du bist so leichtsinnig und denkst immer, ›es wird sich schon finden‹. Und sieh, das ängstigt mich. Was finden! Wie soll sich denn was finden, wo soll es denn herkommen? Es ist ja [31]doch eigentlich ein Wunder, dass es noch immer so gegangen ist.«

»Ja, Mutter, das ist es ja gerade; da steckt ja gerade die Hoffnung, und ich muss beinahe sagen die Zuversicht. Wenn das Wunder gestern war, warum soll es nicht auch heute sein oder morgen oder übermorgen.«

»Das klingt ganz gut, aber es ist doch nicht richtig. Sich zu Wunder und Gnade so stellen, als ob alles so sein müsste, das verdrießt den, der all die Gnade gibt, und er versagt sie zuletzt. Was Gott von uns verlangt, das ist nicht bloß so hinnehmen und dafür danken (und oft oberflächlich genug), er will auch, dass wir uns die Gnadenschaft verdienen oder wenigstens uns ihrer würdig zeigen und immer im Auge haben, nicht was so vielleicht durch Wunderwege geschehen kann, sondern was nach Vernunft und Rechnung und Wahrscheinlichkeit geschehen muss. Und auf solchem Rechnen steht dann ein Segen.«

»Ach, Mama, ich rechne ja immerzu.«

»Ja, du rechnest immerzu, freilich, aber du rechnest nachher, statt vorher. Du rechnest, wenn es zu spät ist, wenn du bis über den Kopf drinsteckst, und dann willst du dich herausrechnen und rechnest dich bloß immer tiefer hinein. Was dir nicht passt, das siehst du nicht, willst du nicht sehen, und was dir schmeichelt und gefällt, daraus machst du Wahrscheinlichkeiten. Die Menschen haben so viel für uns getan, auch für dich, und nun, mein ich, heißt es: ›Hilf dir selber.‹ Immer bloß ›wir sind ja die Poggenpuhls‹, damit machen wir uns bloß bedrücklich, und zuletzt sind wir Querulanten, was ich doch nicht erleben möchte.«

»Davon sind wir weitab, Mama.«

[32]»Nicht so weit, wie du denkst. Onkel Eberhard, der ein sehr feiner und sehr gütiger Mann ist, ich muss ihn wirklich einen echten Edelmann nennen, wird allmählich auch reserviert und ungeduldig. Er sagt es nicht geradeheraus, weil er eben gütig ist, aber es steht doch leise zwischen den Zeilen.«

»Ja, der Onkel, der alte Streitpunkt. Ich bitte dich, Mama, er tut aber doch auch wirklich zu wenig und alles so bloß um Gottes willen, und er müsste doch eigentlich denken: ›Ich habe meine Zeit gehabt, nun sind die andern dran.‹ Er gibt wohl dann und wann, gewiss, aber was er so auf dem Familienaltar opfert, steht in keinem rechten Verhältnis, weder zu seinen Einnahmen noch zu seinen Ermahnungen. Er könnte sich kürzer fassen und mehr geben. Hat er doch ein riesiges Glück gehabt und sitzt nun über ein Dutzend Jahre schon in der Wolle, oder wie manche sagen, in einer guten Assiette.«

»Dass du nicht davon abzubringen bist und nicht wissen willst, wie’s mit dem Onkel eigentlich liegt. Er hat die reiche Witwe geheiratet und wohnt in einem Schloss, und wenn seine Frau den Prinzen Albrecht oder einen von den Karolaths einladen will, dann ist das ein großes Wesen, und der halbe niederschlesische Adel sitzt dann mit zu Tisch, und es sieht dann aus, als gäbe Onkel Eberhard das Fest. Aber er gibt es nicht, sie gibt es; er gibt nur den Namen dazu her und auch das kaum, denn viele, wenn sie hinter dem Rücken der Tante sprechen, nennen sie noch immer bei dem Namen ihres ersten Mannes. Der war schlesisch und ein sehr vornehmer Mann, vornehmer als die Poggenpuhls … das müsst ihr euch nun schon gefallen lassen, dass es noch Vornehmere gibt … Ich sage dir, so gut sie ist, sie hält ihn trotzdem knapp, und er hat nicht viel mehr als [33]seine Generalspension, von der er noch alte Schulden bezahlen muss …«

»… Alte Schulden! Siehst du, Mama, da sagst du’s nun selbst. Auch der also. Und ist doch General geworden und hat nun eine reiche Frau …«

»… Wovon er alte Schulden bezahlen muss«, wiederholte die Mama, ohne seiner Zwischenrede weiter zu achten. »Und da bleibt ihm nur ein Taschengeld.«

»Aber ein gutes …«

»Vielleicht, oder sagen wir gewiss. Und wenn er trotzdem damit zu Rate hält, so liegt es wohl auch daran, dass er dir misstraut oder, wenn nicht er, dass die Frau dir misstraut und dass deren Einfluss ihn bestimmt.«

»Das ist es ja eben, was einen ärgert, dieser unwürdige Weibereinfluss. Und dann, Mama, von mir will ich am Ende nicht reden, ich bin vielleicht enfant perdu; meinetwegen. Aber Wendelin, dieser Musterknabe, wenn ich meinen Herrn Bruder so nennen darf, an dem müsste er doch wenigstens seine Freude haben und sogar die Frau Tante. Da liegt doch die Knauserei ganz deutlich zutage.«

»Spricht Wendelin ebenso?«

»Nein. Der nicht, der braucht es auch nicht. Wendelin, der das Talent hat, bei seiner Wasserkaraffe sich Herr von ungezählten Welten zu fühlen, Wendelin macht auch so seinen Weg. Aber auch für ihn ist doch ein Unterschied. Es ist nun mal was andres, ob man seinen Weg spielend macht oder in ewiger Askese. Die mit Askese haben meistens einen Knacks weg – sie werden berühmt oder können es wenigstens werden, aber auch wenn sie berühmt sind, wirken sie meistens wie kleine Schulmeister. Möglich, dass Wendelin eine Ausnahme macht.«

[34]»Glaubst du denn überhaupt und mit einer Art von Zuversicht, dass etwas Höheres aus ihm werden wird?«

»Gewiss, Mutter. Kein halbes Jahr, so kommt er in den Generalstab. Was er über Skobeleff geschrieben, hat Aufsehen gemacht. Und dann noch ein Jahr oder zwei, dann schicken sie ihn nach Petersburg, und da heiratet er, so nehme ich vorläufig an, eine Yussupoff oder eine Dolgorucka; die haben alle wenigstens zehntausend Seelen und Bergwerke mit Diamanten. Was meinst du dazu? Kein übler Blick in die Zukunft. Zugegeben, nicht wahr? Aber wenn der Onkel anders wäre oder meinetwegen auch die Tante – doch von der können wir es nicht verlangen, denn sie ist bloß angeheiratet und war eine ›Bourgeoise‹, was immer schlimm ist; du bist doch wenigstens eine ›Bürgerliche‹ –, ja, dann wäre er schon da, dann wär’ er schon in Petersburg, und ich wäre schon attachiert und ginge mit in den Kaukasus oder nach Merw oder nach Samarkand, und all das unterbleibt oder vertagt sich wenigstens grausamerweise, bloß weil kein Vorspann da ist, weil die Goldfüchse fehlen.«

»Gott, Leo, wenn man dich so hört; so sollte man glauben, du könntest alles haben, wenn sich bloß der Wind ein bisschen drehen wollte. Phantasien, Pläne, so warst du schon als kleiner Junge.«

»Ja, Mutter, so muss man auch sein, wenigstens unsereiner. Wer was hat, nun ja, der kann das Leben so nehmen, wie’s wirklich ist, der kann das sein, was sie jetzt einen Realisten nennen; wer aber nichts hat, wer immer in einer Wüste Sahara lebt, der kann ohne Fata Morgana mit Palmen und Odalisken und all dergleichen gar nicht existieren. Fata Morgana sag ich. Wenn es dann, wenn man näher kommt, auch nichts ist, so hat man doch eine Stunde lang [35]gelebt und gehofft und hat wieder Courage gekriegt und watet gemütlich weiter durch den Sand. Und so sind denn die Bilder, die so trügerisch und unwirklich vor uns gaukeln, doch eigentlich ein Glück.«

»Ja, die Jugend kann das und darf es auch vielleicht. Und ich will dir noch mehr zugeben: wer immer hoffen kann, und die Hoffnung ist oft besser als die Erfüllung, der hat sein Teil Freude weg. Aber trotzdem, du hoffst zu viel und arbeitest zu wenig.«

»Ich arbeite wenig, das ist richtig, und ich will es nicht loben. – Aber ich habe einen heiteren Sinn, und das ist schließlich besser als alles Arbeiten. Heiterkeit zieht an, Heiterkeit ist wie ein Magnet, und da denk ich, ich kriege doch auch noch was.«

»Nun, ich will es dir wünschen. Und jetzt geh in die Küche und sage Friederike, dass sie dir was zum Abendbrot bringt.«

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