Kinder bekommen

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Kinder bekommen
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Tekla Reimers

Kinder bekommen

Über biologische Notwendigkeiten und Freiheit

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Einstimmung

Vorwort aus philosophischer Perspektive

Moderne Kinderwünsche

Biologischer Wechsel zu Unfruchtbarkeit

Schöpferkraft weiblicher Säugetiere und Menschen

Evolution tödlicher Geburtsrisiken

Stillvergnügen – rein weiblich von Natur aus

Naturwüchsiges Muttern

Arbeiten am Säugling

Menschenkinder brauchen Paradiese

Natürliche Brutpflege

Neotenische Entstehung des Menschen

Arbeiten am Homo sapiens

Männer kriegen auch Kinder

Mutternde Tierväter

Evolution monogamer Säugetiere

Fürsorgliche Männer

Keimdrüsenruhe und Alterskultur

Familiäre Konstrukte

Literaturverzeichnis

Stichwortverzeichnis

Impressum neobooks

Einstimmung

„Dasjenige Ding wird frei heißen,

das bloß vermöge der Notwendigkeit seiner eigenen Natur existiert

und bloß durch sich selbst zum Handeln bestimmt wird.“

Spinoza, Ethik I

„Mann und Frau sind zwar vor dem Gesetz gleich. Dass aber ihre Körper höchst verschieden sind, Frauen schwanger werden und Männer nicht, ist eine Tatsache. ... Jedoch haben beide Geschlechter das Recht und auch die Pflicht, sich zu ihrer Natur zu verhalten. Genau dies meint die Pflicht gegen sich selbst: Sich nicht leben lassen, weder durch Normen noch durch die Biologie, sondern das Leben gestalten, sich des eigenen Verstandes bedienen.“

Svenja Flaßpöhler: „Die Nora-Problematik“

(aus: Philosophie Magazin Nr. 4 / 2014)

Vorwort aus philosophischer Perspektive

In der gegenwärtigen kapitalistischen Gesellschaft hat sich die Bedeutung des Begriffs Gleichheit geändert. Man versteht heute darunter die Gleichheit von Automaten, von Menschen, die ihre Individualität verloren haben.

Gleichheit bedeutet heute „Dasselbe-Sein“ und nicht mehr „Eins-Sein“.

aus: Erich Fromm “Die Kunst des Liebens“

Ende der 50er Jahre war der Kampf um die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau noch weit von dem entfernt was man so für gewöhnlich ,Gleichheit‘ nennen würde. Trotzdem verfasste der Psychoanalytiker Erich Fromm diese Zeilen und kritisierte die zeitgenössische Bedeutung von ,Gleichheit‘, nach welcher die Gleichstellung von Mann und Frau voran getrieben wurde. Eine Gleichstellung über eine Gleichheit, die „Dasselbe-Sein“ bedeutet, bringt eine Ausmerzung der Unterschiede zwischen den Geschlechtern mit sich, also eher eine „Angleichung“ als Gleichheit. Dass es bei der Gleichheit von Mann und Frau vielmehr darauf ankommt, beide in ihren Unterschieden gleichermaßen wertzuschätzen, wird bei der heute gängigen Auffassung von Gleichheit schnell vergessen. Sämtliche Unterschiede zu leugnen, erscheint politisch so viel einfacher: Wenn keinerlei Unterschiede vorhanden sind, müssen die jeweiligen Parteien zwangsläufig gleichberechtigt sein, weil sie faktisch dasselbe sind. Werden Unterschiede aber anerkannt, können sie unterschiedlich wertgeschätzt werden und dadurch zu einer Hierarchisierung führen. Die Studie ,Kinder bekommen‘ zeigt jedoch, wieso die natürlichen Unterschiede zwischen Mann und Frau eigentlich nicht hierarchisiert werden können, sondern ganz im Gegenteil erst im lebendigen Zusammenspiel produktiv und vollständig werden. Ganz rudimentär gedacht, können Mann und Frau erst durch ihre unterschiedliche Beschaffenheit ein Kind zeugen und dadurch Eltern werden. In diesem Schritt werden sie von zwei unterschiedlichen Individuen zu einer Instanz - sie werden buchstäblich Eins ohne dadurch ,dasselbe‘ zu sein. Sie bleiben verschieden, haben verschiedene Bedürfnisse während des Kinderbekommens und haben verschiedene Möglichkeiten sich an dem Prozess des Kinderbekommens zu beteiligen.

Die Naturwissenschaftlerin Tekla Reimers versucht nicht, biologische Unterschiede und Möglichkeiten von vornherein zu leugnen, sondern abzuwägen und einzuschätzen. Welche Unterschiede und Bedürfnisse sind natürlicherweise beim Kinderbekommen vorhanden? Zu welchen Resultaten führen sie? Sind diese Resultate zwingend in den biologischen Unterschieden angelegt oder besteht hier ein Handlungsspielraum? Und vor allem: Wie empfindet ein Individuum derlei Vorgänge in, mit und von sich selbst und wie verhält es sich dazu?

Bekommt ein Individuum ein Kind, bewegt es sich von einer ansonsten hauptsächlich gesellschaftlichen Ebene in einen Grenzraum zwischen Natur, Gesellschaft und sich selbst. In diesem Grenzraum wirken all die Normen, Regeln und Vorgaben, welche rund um das Thema ,Kinder bekommen‘ in der Gesellschaft und somit jedem Einzelnen herumgeistern. Gleichzeitig beinhaltet er jedoch auch eine Fülle ungeahnter Möglichkeiten, die das Individuum alternativ zu den gesellschaftlichen Vorgaben ergreifen könnte. Um solche Möglichkeiten geht es in diesem Buch. Es gibt keine neuen Regeln an die Hand, wie ein Kind bekommen, ernährt und großgezogen werden soll. Stattdessen erkundet es empirisch und poetisch gleichermaßen die Notwendigkeiten, die ein Kind mit sich bringt und die Möglichkeiten der Einheit sowie der Individuen ,Eltern‘ darauf zu reagieren, um Kinder entsprechend ihrer biologischen und gesellschaftlichen Bedürfnisse gemeinsam aufzuziehen.

Frankfurt am Main, 2015

Melusine Reimers

M.A. Philosophie

Moderne Kinderwünsche

Die einzige Überwindung körperlicher Vergänglichkeit, derer wir gewiss sind, liegt im Zeugen und Gebären uns ähnlicher Kinder. Der persönliche Tod mag durch Glaubensinhalte gemildert und verschönert werden, auch geistig überwunden – bleibt aber doch absehbar, als sicheres Ende einer Lebenszeit von höchstens 100 Jahren. Kulturelle und psycho-soziale Konstruktionen zur Umdeutung der biologisch gegebenen Endgültigkeit des individuellen Sterbens konnten das nicht wirklich ändern. Und ebenso unausweichlich muss ein Mensch, der in seinen Kindern für die Zukunft weiterleben will, dies über den Körper einer Frau verwirklichen, zumindest deren nährende und tragende Gebärmutter. ‚Mach mich neu’ bedeutet das kniefällige Flehen eines Mannes an seine Herzensdame die Ehe mit ihm einzugehen. In Malerei, Musik und Dichtung sind solche männlichen Kinderwünsche vielfältig ausgedrückt. Um ins Reich des Lebens zu treten, braucht jeder Mensch eine Mutter. „Wir gehen aus dem Grab des Schoßes, in den Schoß des Grabes,“ besagt eine philosophische Erkenntnis dazu.

Alle erlebten wir die ersten Monate unseres Lebens im mütterlichen Uterus ein ozeanisches Paradies, schwebten wohlig im warmen Fruchtwasser. In diese ‘göttliche Höhle der Urmutter’, die uns vor den Übeln und Anstrengungen der Außenwelt birgt, sehnen wir uns immer zurück. Hier wurzelt eine magisch erscheinende Macht der Mütter, insofern Magie im Wesentlichen bedeutet geistigen Kräften materielle Gestalt zu geben – wie der indische Mediziner Deepak Chopra formulierte. Also Ideen und Gedanken gegenständlich zu machen, auf generell undurchschaute Weise. Dazu gehört die irdische Verkörperung von Kinderwünschen in neuen Menschen. Veränderte Kombinationen erblicher Familieneigenschaften zu verwirklichen ebenfalls. Gleichsam aus dem Nichts – wenn eine sexuelle Begegnung, Monate vorher, außer Acht gelassen wird. Dies Mysterium der Weiblichkeit bedeutet eigentlich Menschen vom Nichtsein ins Sein zu bringen. Eine Grenzerfahrung logischen Denkens. Mehr noch: vielleicht einen geliebten und verlorenen Verwandten wiederherstellen zu können. Der machtvolle Mythos menschlicher Wiedergeburt – über Generationen gedacht – war auf diese leibliche Kreativität fruchtbarer Frauenkörper gegründet.

 

Eine persönliche Entfaltung dieser schöpferischen Kräfte und ihrer gefühlsmäßigen Entsprechungen erlebt jede Frau allein mit eigener Schwangerschaft. Im Vollbringen. Und diese Möglichkeiten bleiben unentwickelt für ein weibliches Individuum, welches nie schwanger wird.

Daraus ergibt sich ein Widerspruch zwischen intellektueller und körperlicher Entfaltung, Kopf und Bauch, Vernunft und sinnlicher Lust. Das kann bei hohen beruflichen Ansprüchen zu innerlichen Kämpfen führen, die eine Frau herum hetzen, manchmal förmlich zerreißen. In Auseinandersetzungen mit diesem körperlich-seelischen Komplex strukturiert sich die individuelle Kreativität weiblicher Menschen: die Ausbildung ihrer Fähigkeiten, all ihre Werke und Lebensziele.

Beispiel einer Schwangerschaft nach weiblichem Lustprinzip:

Ich glaube, ich kriege ein Kind, dachte Sophia. Durch die geöffneten Flügel der Balkontür schien die Sonne bis in ihr Bett. Es war ein warmer Sommertag. Im Bewusstsein möglicher Schwangerschaft lehnte sie sich wohlig zurück in die Kissen und erspürte ihren Körper. Ungeahnte Empfindungen drängten sich ihr als Gedanken auf: „In meinen Brüsten lebt ein neues Gefühl herum - wie Weh und Lust“, fand sie, „in meinem Bauch sitzt ein wunder Punkt, ich muss diesen empfindlichen Kern mit der Hand fest halten, streicheln, dann beruhigt er sich.“

Hormonelle Wonnen strahlten vom Busen zurück in ihren Kopf, beschwerten das Denken. Es kamen nur Fetzen zu Stande, die träge herum dümpelten; Zielstrebigkeit wurde ihnen äußerlich. Sie saß nun gerne in einer ruhigen Ecke, fühlte in sich hinein und tagträumte was geschehen würde. Sie hätte Angst haben müssen, wegen ihrer Arbeit in einer männlichen Hierarchie und dem drohenden sozialen Abstieg, auch der offensichtlich schwachen Stellen in ihrem Image. Aber sie hatte einfach keine, sondern dachte, die Welt ist groß, es gibt viele Möglichkeiten - vielleicht gehe ich in eine Landkommune nach Südfrankreich oder Italien. Da wäre alles leichter, weil dauernd die Sonne schiene und alle Menschen Kinder gern hätten. Ein für Sophia gänzlich unbekanntes Gefühl untergründiger Geborgenheit zerstreute all ihre üblichen Bedenken.

Ich kann gar nicht objektiv wissen, ob tatsächlich ein Kind in mir wächst“, sagte sie sich. Nächste Woche erst würde ein Harntest möglich sein. Sie war trotzdem sicher, als Gefühlssubjektivität. Irgendetwas hatte sich verändert, fiel ihr auf, denn normalerweise würde sie auf etwas so Ungreifbares nicht einmal eine Flasche Sekt verwetten. Mein Liebster ist mal wieder nicht da, dachte Sophia und ich hab ihn so gerne in mir. Dieser Gedanke machte sie glücklich, die ganze Zeit, tags und nachts. Obwohl beruflich grad mal wieder alles schief ging, weil Hinz und Kunz ihre Interessen und Psycho-Macken gegen sie durchsetzten. Und auch noch drei Mann auf einmal! Sie sollte etwas dagegen tun. Dafür müsste sie Entscheidungen treffen ... konnte sie aber doch nicht ohne Gewissheit - auf Grund rein subjektiven Empfindens. Sie hatte keine Einsicht in diesen körperlichen Vorgang, von dem sie nur fühlte, dass er angelaufen war – unbemerkt, wenn auch nicht ungewollt. Denn sie hatte sich ein Kind der Liebe gewünscht und seit Monaten unbeschränkte Sexualität gelebt, glückselige Freiheit von den ständigen Disziplinleistungen sicherer Verhütung.

Zehn Tage später brachte ein Hormontest die so dringend benötigte Klarheit: In ihr wuchs tatsächlich ein Kind. Von nun an sprach Sophia in Gedanken mit dem unbekannten Wesen im eigenen Bauch. Manchmal schrieb sie solche inneren Dialoge auch auf:

*

2. Schwangerschaftsmonat:

Ich habe dich nach dem Lustprinzip gemacht. Du stürzt mich aber doch zeitweilig sehr in einen Konflikt, zwischen meinem Selbstbewusstsein als denkender Mensch und der gesellschaftlichen Mutterrolle als selbstlose Mama. Ich kann mich nicht, und dich auch nicht, verwirklichen außerhalb der Normen und Zwänge der heutigen Industriegesellschaft, wie sie nun hier in Westeuropa geworden ist. Manchmal wünsche ich mich mit dir in ein Agrarland, wo wir Wald und Himmel um uns hätten und wo gebären nur eine Form von wachsen und werden ist, wie alles Grünen und Blühen.

Bevor ich dich zu realisieren begonnen habe, war mein Dasein so dürr wie die riesigen Trockensträuße der Physikstudentin von nebenan: Die toten Schilfgräser, Disteln und Fruchtkapseln haben imposante Formen, so wie meine politischen Reden, Essays und Zeitschriftenartikel mir manchmal eindrucksvoll vorkamen. - Aber sie leben nicht und Staub sammelt sich darauf über die Jahre.

Dein Anfang war nicht in meinem Bauch, er war in meinen Gedanken, in meiner Begeisterung für diesen wunderschönen Mann, deinen Vater. Ich habe gewollt, dass meine Liebe zu ihm nicht unbemerkt verschwindet, wie all die Vorhergegangenen. Diese soll greifbar, materiell werden, eben real existieren.

Mir ist gerade eingefallen, was am öffentlichen Mutterbild so nervtötend für mich ist: Es bedeutet eine Moral zu Liebe hochstilisierter Hausarbeit. Ich wollte dich aus der Begeisterung für meinen Liebsten entstehen lassen und aus der Fülle meines Lebens verwirklichen. Wenn mir „Mutter“ gesagt wird, oft auch noch mit hämischem Unterton, dann weiß ich schon was als Nächstes kommt: ein Rattenschwanz von unbezahlten Dienstleistungen und Fürsorgepflichten, die nun unausweichlich aus meinem Verhältnis zu dir entspringen sollen. Mutterschaft als Institution zur Disziplinierung unbotmäßiger Frauen, weiblicher Potenz ohne patriarchalische Zügelung. All die Schäden an Leib und Seele, die dir durch meine üblichen Ausschweifungen in Essen und Trinken, lieben und leben bevorstehen, erscheinen mir enorm übertrieben. Manchmal frage ich mich schon, wie die Affenbabys überleben können, ohne das tägliche Baden?

Vor allem bist du ein Mensch, den ich gewollt habe. Aus unendlich vielen Möglichkeiten wählte ich diese Eine - mit meinem Liebsten. Hoffentlich hast du seine Sonnenblumen-Augen.

Ich freue mich auf dein Werden.

*

3. und 4. Monat:

Hallo ... du jemand, der oder die in meinem Bauch wohnt!

Dies Gefühl mit dir erinnert mich an deine aller erste Zeit in mir, wo ich dauernd gespürt habe, irgendetwas nistet sich ein, in meinem Schoß, mit sachtem Kitzel, ein ständiger leichter Reiz in meinem Inneren, tief drinnen. Du warst mir so fremd und oft wurde mir schwummerig, sogar kotzübel manchmal.

Ich meine du bist männlich, zumal Männer auch so unkalkulierbare Sensationen in meinem Bauch hervorrufen.

Ob du tatsächlich meine sozialen Aktivitäten einschränkst, meine Fähigkeiten die Welt zu begreifen und mich wirksam einzumischen? Das ist bislang nicht entschieden. Ich war anfangs ganz schockiert, dass ich tagelang platt zu Bett lag und gar nichts in Gang halten konnte.

Gedankenarbeit im Lehnstuhl kann ich mit dir gut machen, schreiben auch. Leichtes Essen mit viel Gemüse besorge ich uns aus dem China-Restaurant. Die gibt’s fast überall.

Du bist noch ganz unsichtbar.

Unter dem Wust pompösen Gebarens akademischer Konferenzen hab ich dich in meinem Schoß gefühlt - und mochte lächeln. Das Spektakel männlichen Imponierens der lieben Kollegen traf nicht den Kern.

*

5. und 6. Monat:

Solange wir beide allein sind, geht es mir gut mit dir. Ich kann dich fühlen, wie du gerade wächst oder dich differenzierst, dich regst oder ruhst. Manchmal sendest du hormonelle Wellen aus meinem Schoß, über den Körper ins Gehirn. Dann höre/fühle ich dir zu und überlasse mich diesem sonderbaren Schwangerschaftsrausch - merke, wie er mich überschwemmt und verebbt.

Aber wehe wir kommen in Gesellschaft!

Seit mein Bauch so sichtbar geworden ist für jedermann, verfolgen mich die Leute mit Bemerkungen, Fragen, Anteilnahme. Mir wird mein Innerstes starr darunter, denn selten ist jemand wirklich freundlich. Du tust dann auch nichts mehr da drinnen und mein Bedürfnis etwas von meinem Erleben oder dir mitzuteilen verschwindet schlagartig. Deshalb haben diese Aufzeichnungen so große Lücken.

Manche Zeit täusche ich mir und anderen vor, dass du gar nicht existierst, als gingen meine Werke ihren üblichen Gang, mit dir wie ohne dich.

In besseren Zeiten habe ich sie mit dir getan, mich gefreut, wie du darin auch enthalten bist und nur ich kann das sehen. Ich suche einen Weg meine Initiative und Kreativität aufrecht zu halten und dich nicht zu kurz kommen zu lassen. Das gelingt mir bisher nur manchmal. Doch dann sind diese Gelegenheiten so üppig, dass ich merke: Mir erwächst eine neue, tiefer gegründete Gefühlsbasis zum Denken und Handeln aus meinem mütterlichen Engagement für dich und das Menschenleben auf diesem Planeten. Du verkörperst das ‘Prinzip Hoffnung’ für mich, bist meine persönliche Brücke in die Zukunft und zu den Menschheitsträumen.

Durch deine erste spürbare Bewegung fühlte ich mich wie von einem hauchzarten Flügelschlag gestreift, im Inneren an meiner Bauchdecke entlang. Ach, zu Anfang können wir wohl alle fliegen! Ein wundersamer Moment – und schon vorbei.

Genau genommen fliegst du wohl nicht da drin herum, sondern schwimmst. Schwerelos immerhin.

Wir haben dich mit dem Echolot angeguckt, die Ärztin und ich. Wir haben Schnitte gefahren durch deine verknubbelten Gliedmaßen und deinen Kopfdurchmesser bestimmt. Du bist ein großes Baby, mit einem großen Kopf – zwei Wochen größer als kalkuliert. Ansonsten sind deine Eigenschaften weiterhin unbekannt geblieben. Ich war ganz aufgeregt, weil ich meinte, nun wüsste ich schon etwas wer du bist, dachte du wirst so ein Bär werden, wie dein Vater. Die Kapuze an deiner Wolljacke hab ich gleich um zwei Maschen größer gestrickt.

Mein Liebster macht nun einen fürsorglichen Bogen um meinen Dickbauch und kann dein Dasein nicht begreifen. Das ist so geworden, seit du nicht mehr in mir verborgen ein Teil von mir bist, sondern eher dein Eigenleben mit Wohnsitz in meinem Bauch führst.

Ich selbst habe da auch so meine Schwierigkeiten. Einmal meine ich mit energischem Anspruch und Disziplin müsste meine Arbeit doch zu bewältigen sein wie bisher, davon kriege ich Wehen und es läuft darauf hinaus dich vorzeitig auf die Straße zu setzen. Dann lasse ich alles fallen: Arbeit, Ansprüche, Eigeninteressen und schwappe ins Gegenteil. Ich kriege die einfachsten Abläufe nicht mehr geregelt, vergesse das Geld zum Einkaufen, den Wohnungsschlüssel, alle möglichen Sachen - Marmeladenglas, Buttertopf, Saftflasche - entgleiten meinen Händen. Gelegentlich kriege ich mich wieder ein, erst mit Stricken und Kochen, dann kann ich auch wieder Lesen und Politisieren, schließlich einen Gedanken zu Ende führen, aufschreiben, einbringen. Dabei fühle ich mich hochpotent und lustvoll wie noch nie.

So wollte ich mit dir leben. Aber seit ich dich in einem derart monströsen Bauch herumzeigen muss, sagen die Menschen: „Na, wie geht’s Mütterlein?“ Und ich möchte dich am liebsten auf der Stelle fallen lassen.

*

7. Monat:

Nein, ich möchte dich doch nicht vorzeitig in diese unwirtliche Welt setzen, obwohl es sich zeitweilig anders anfühlen mag. Ich kann die vegetativen Nerven nicht fassen und die Kontraktionen meines Bauches nicht abstellen. Aber ich kann meine Ungeduld und meine Ansprüche auf dies und jenes, was ich alles zu tun hätte, loslassen. Nur das kann ich und will es auch tun. Ich räume dir Zeit und Raum in meinem Körper ein, – was mir nicht leicht fällt!

*

In den nächsten sechs Wochen, blieb Sophia mit wehenhemmenden Mitteln im Bett. Nachdem sie von Nebenwirkungen hörte, ersetzte sie das Medikament durch winzige Schlückchen Whisky. So hielt sie sich und ihrem Kind den beruflichen Stress und persönliche Rollenkonflikte vom Leibe. Das war wirklich nötig, denn vorzeitige Wehentätigkeit und Frühgeburten häuften sich derzeit bei berufstätigen Frauen. Das zeigten die Statistiken eindeutig und Sophia kannte etliche Fälle aus ihrem Bekanntenkreis: eine Studentin im Staatsexamen erlitt eine Fehlgeburt; zwei befreundete Lehrerinnen verbrachten Monate im Bett, um ihr Kind nicht verfrüht zur Welt zu bringen; eine Rechtsanwältin hatte ihr Kind im 7. Monat geboren.

 

*

Sophias Notizen im 8. und 9. Monat:

Vier Wochen sind noch soo lange! Ich werde ungeduldig: Du erinnerst mich an meine Weihnachten als Kind, wo ich noch glaubte, ich könnte alles wünschen und dachte, ich würde vielleicht ein weißes Pony mit rotem Zaumzeug bekommen. Ich wünsche mir, dass du dunkle Augen hast und viele schwarze Haare, dass du ein bisschen bist wie mein Liebster.

Jetzt habe ich einen so ungeheuren Bauch, damit kann ich mich nicht mehr rühren und bewegen wie es mir gefällt. Ich muss mich arrangieren mit dir und - ach! - meine Sprünge werden Hopser nur. Das finde ich sehr anstrengend, sodass ich lieber im Bett oder Sessel bleibe, denken kann ich nämlich so schnell wie eh und je.

*

Letzte Schwangerschaftswoche:

Du wirst nicht an dem Termin geboren, zu dem du ausgerechnet bist. Nach meiner Temperaturkurve und dem Tag des Eisprungs solltest du mit dem Vollmond vor einer Woche gekommen sein.

All diese Tage habe ich nicht mehr fühlen können was mit dir ist, in meinem Bauch. Am Ende willst du lieber da drinnen verrecken, als mit uns in dieser schwierigen Zivilisation zu leben. Das ist mir nur allzu verständlich, ich kann dich nicht ermutigen.

Gestern hat die Ärztin deinen unteren Ei-Pol mit der Hand losgemacht, um deinen Geburtsprozess anzustoßen.

Heute Abend bin ich mit dir zu einem großen Frauenfest in die besetzte Fabrik gegangen – nur für eine kleine Stunde – aber wir haben zusammen getanzt, du und ich. Mir ist wieder nach Lust an dir und ich glaube, auf so einem Wege könnte ich dich zur Welt bringen.

Die Betätigung körperlicher Kräfte von Gebärmutter und Milchdrüsen kann eine Motivation für weibliche Kinderwünsche ergeben, insofern es jeden Menschen glücklich macht sich rundum lebendig zu fühlen. Vermehrte Ausschüttungen der Neurotransmitter Adrenalin, Dopamin und Oxytozin bewirken das bei stillenden Frauen ständig. Auch schon während einer Schwangerschaft, wo die weiblichen Milchkanäle zur Funktionsreife heranwachsen. Vor allem in Busen und Bauch ergeben sich dann hormonell vermittelt sehr intensive körperliche Empfindungen. Das stetige Wachstum der Blutgefäße zwischen Frau und Embryo schafft im Mutterkuchen (Plazenta) weitreichende leiblich-seelische Verbindungen. Die streichelnden Bewegungen eines neu erschaffenen Menschenkindes und einige Monate später sein Trampeln erzeugen einzigartige Sensationen in der betroffenen Mutter. Nicht zuletzt gibt die Möglichkeit, etlichen Eigenschaften des Geliebten familiär eine Zukunft zu eröffnen, jeder fruchtbaren Frau das schöpferische Machtgefühl exklusiv weiblicher Wirksamkeit. Vielleicht werden seine strahlend blauen Augen erhalten für nachfolgende Generationen, möglicherweise blonde Locken oder die schwarze Mähne seines Großvaters sowie – vielleicht wichtiger noch – Stärke und Schönheit der Gestalt, welche diese Frau motivierten sich sexuell mit dem Vater einzulassen. Nicht zuletzt seine möglicherweise weit reichenden Verstandeskräfte.

Kinderwünsche erstgebärender Frauen können kaum von den Wonnen und Erregungen unserer Fortpflanzungsbiologie ausgehen, denn lustvolle Erfahrungen dabei ergeben sich bestenfalls mit dem ersten Kind. Öfter beim Zweiten. Viele Mütter erleben dergleichen jedoch überhaupt nicht, beispielsweise wenn sie von Ängsten beherrscht werden - vor eigenem Versagen, vor möglichen Behinderungen des Kindes, Verlust oder Schmerzen. Eine hoch technisierte Medizin erscheint dann als Rettungsanker und der Geburtsvorgang wie eine Erkrankung. An Stelle ihrer weiblichen Schöpferkraft erfahren ängstliche Frauen unter einer medizinisch durchgeführten Geburt eher ihre Abhängigkeit von Ärzten und Krankenhäusern als das Wunder ihrer leiblichen Kreativität.

Eine biologisch begründete Motivation zur ersten Schwangerschaft könnte von den Spiegelneuronen im Gehirn des Menschen ausgehen, wie sie für nachahmendes Lernen bei höheren Affen entdeckt wurden. Als Verbindungsmöglichkeit zwischen vielfältigen Sinneswahrnehmungen, Gefühlsreaktionen und eigenen Bewegungsabläufen, steuern sie auch den menschlichen Nachahmungstrieb. Auf der neurologischen Ebene bedeutet das, dieselben Nervenzellen, welche zur Ausführung der Gesten beim Stillakt feuern müssten, tun das auch schon beim Anblick einer stillenden Frau oder sogar nur ihrer Abbildung. Die Anschauung selig stillender Mütter mit glückstrahlenden Babys, insbesondere von Freundinnen, Schwestern und Cousinen, die schon Kinder haben, wirken nach den Berichten vieler Frauen als Impulse für eigene Kinderwünsche. Königliche Renaissance-Madonnen mit ihrem göttlichen Kind auf dem Schoß hatten vermutlich ebenfalls diese Wirkung: teils Ersatzbefriedigung, teils Anreiz zur Nachahmung. Auf solchen Bildern gibt Mutter Maria dem Baby manchmal auch ganz unverhüllt ihre Brust, sodass jede Frau sich genau abgucken kann, wie’s gemacht wird. Falls sie das entsprechende Feuern ihrer Spiegelneuronen als lustvoll empfindet, kann daraus der Wunsch entstehen selbst ein Baby zu haben.

Doch sind Erwachsene dem Nachahmungstrieb ihrer Spiegelneuronen nicht zwanghaft unterworfen. Im ausgereiften Gehirn des erwachsenen Menschen wurden besondere neuronale Hemmungen der Imitationsmotorik nachgewiesen, welche bei kleinen Kindern noch nicht ausgebildet sind. Deren reflexartiges: „Ich auch!“ angesichts von Spielkameraden, die irgendetwas lustvoll erleben, ist ein bekannter Ausdruck kindlich hemmungslosen Nachahmungstriebs.

Kinderwünsche sind für Jetztmenschen keineswegs biologisch notwendig. Fortpflanzungsverhalten wird nicht durch einen spezifischen Botenstoff motiviert oder gar direkt ausgelöst, wie etwa trinken oder essen zur Befriedigung von Durst und Hunger, anderer lebenswichtiger Bedürfnisse des Menschen also. Es gibt aber eine hormonell vermittelte Motivation für menschlichen Sexualverkehr, die unruhig macht, Sehnsucht erzeugt und ein ‚Appetenz-Verhalten’ hervorbringt. Ähnlich wie bei Tieren umfasst es Suchbewegungen für Begegnungen mit fruchtbaren Artgenossen vom anderen Geschlecht und körpereigene Drogen, die berauschende Wirkungen sinnlicher Reize vermitteln bei Annäherung sowie im Liebesspiel. Sobald der männliche Samenerguss eine Vagina weiblicher Erwachsener derselben Spezies erreicht, regeln biologische Vorgänge alles Weitere selbsttätig: den Transport der Spermien in die Gebärmutter, die Befruchtung reifer Eier, das Einnisten des Keims und die Schwangerschaft. Bis zur Geburt gibt es bei Säugetieren und Menschen einen lückenlosen körperlichen Zwang, sodass sich Fortpflanzung als Folge sexueller Vereinigungen von Natur aus regelt. Ohne Willen oder auch nur Wissen der beteiligten Eltern und Nachkommen. Allein das Finden, Begehren und Begatten fruchtbarer Sexualpartner ist bei allen Säugetieren zwingend instinktiv oder loser triebhaft abgesichert. Eine ausführliche Darstellung der beteiligten Neurotransmitter, Hormone, Informationsstoffe insgesamt und ihres Einflusses auf menschliches Verhalten findet sich in meinem 2009 erschienenen Sachbuch über Geschlechterbiologie: „Was ist natürlich an Sex, Gewalt und Liebe?“

In allen Zeiten vor entwickelter Verhütungstechnologie musste sich kaum jemand extra fragen, ob er/sie Nachkommen erzeugen wollte, geschweige sie einplanen für den persönlichen Lebensweg. Noch Bundeskanzler Konrad Adenauer meinte: ‚Kinder kommen von selbst’. Den Vorschlag seines Staatssekretärs jedem Kind, im entvölkerten Westdeutschland der Nachkriegszeit, eine Rente zu gewähren lehnte er deshalb ab. Kinder hatten sich in der bekannten Menschheitsgeschichte stets zwangsläufig ergeben, bei der Suche nach Glückserfahrungen in der Sexualität. Solch neu ins Leben geworfene Menschen gerieten für Mutter und/oder Vater ungefähr so wahrscheinlich zum Glücksfall, wie man sechs Richtige im Lotto trifft!

Millionen Menschen spielen Lotterie und die Verfolgung des persönlichen Glücks ist ein so zentraler Wert demokratischer Gesellschaften, dass er in manchem Grundgesetz garantiert wird. Dem der USA beispielsweise. Der griechische Philosoph Aristoteles, dessen Lehren noch das christliche Mittelalter beeinflussten, definierte glückliches Leben folgendermaßen: „Glücklich ist, wer im Sinne vollendeter Tugend tätig und dazu hinreichend mit äußeren Gütern ausgestattet ist – und zwar nicht in einer zufälligen Zeitspanne, sondern so lange, dass das Leben seinen Vollsinn erreicht.“ Im alten China verwendete die ursprünglichste Form der Bilderschrift als Zeichen für das Wort Glück eine skizzierte Frau, die im Haus sitzt. Heutzutage sehen 80% der Deutschen den sichersten Weg zu persönlichem Lebensglück in einer Familie. Jetztmenschen, die grundlegende Gefühlsbindungen mit ihrer Mutter, ihrem Vater und Geschwistern erfahren haben oder auch mit Großeltern, Cousins, einem faszinierenden Onkel, einer liebenswürdigen Tante, erleben den „Vollsinn“ ihrer Existenz meist in Weiterentwicklungen sowie Neuschöpfung familiärer Konstrukte. Somit kann ihre Glückssuche sich tatsächlich auf Kinder ausrichten.

Biologisch betrachtet haben Männer ebenso viel – oder ebenso wenig – Interesse an leiblichen Kindern wie Frauen. Denn jeder einzelne Mensch stirbt und es gibt keine andere Möglichkeit Grundlegendes vom eigenen Wesen am Leben zu erhalten. Zukunft hat langfristig allein die Weitergabe von Genen und Traditionen an verwandte Nachkommen, die ihrerseits genetisch ähnliche Kinder hervorbringen. Das könnte jedem Einzelnen auch egal sein – nach mir die Sintflut! Aber eine Sippe, ein Sozialverband, eine Spezies aus solchermaßen beschränkten Egoisten bliebe stammesgeschichtlich erfolglos, eine Episode der Naturgeschichte.