Sphärenwechsel – Tagebuch eines inkarnierten Engels

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Teil 2: Aufträge und Schlüssel

Im 2. Teil berichte ich von Personen oder Situationen, die für mich nicht nur reine „Aufträge“ waren, sondern gleichzeitig für mich wichtige Schlüssel darstellten und mich auf meiner Suche unterstützten, auf der Suche nach mir selbst und der für mich wichtigsten Erkenntnis.

Alles, was bis zum zusammenkommen mit Konrad geschehen war, waren reine Aufträge für mich gewesen. Danach wendete sich das Blatt, weil ich nach und nach erwachte und meine bewusste Suche zunahm.

Bewusstes Suchen

Liebes Tagebuch,

Nach fünf Monaten in M. lernte ich Konrad näher kennen, dadurch dass wir beide zusammen öfters am Wochenende nach Thüringen fuhren, um jeweils unsere Verwandten zu besuchen. Zu zweit fuhr es sich entspannter, weil wir uns beim Fahren auf der langen Strecke abwechseln konnten. Ich hatte Konrad schon in W. beim Studentenfasching getroffen; wir hatten zusammen getanzt, gelacht und an der Bar gesessen, da sich Thoralf bei dieser Veranstaltung die ganze Zeit über von mir ferngehalten hatte. Und jetzt im Auto lachten wir wieder über den Fasching und ich lachte über den arteigenen Humor von Konrad und darüber, wie gut er Helge Schneider nach ahmen konnte. Mir gefielen solche Männer, die gesprächig und lustig auf mich wirkten. Und die etwas mit mir unternehmen wollten.

Konrad wohnte zwischen M. und R.; bis in die Berge zum Wandern war es nur ein Katzensprung. So verbrachte ich die nächsten Monate alle Wochenenden mit Konrad. Das Leben schillerte plötzlich bunt und glitzerte in allen Farben, weil wir uns beide ineinander verliebten. Dabei rückten die Fragen, die ich mir über mich selbst gestellt hatte, wieder in den Hintergrund. Beide genossen wir unser Zusammensein in jeder freien Minute, die möglich war. Mit Konrad fanden sich immer wieder neue Gesprächsthemen, die nie endeten. Die gemeinsame Zeit verging so schnell wie nie zuvor. Und wir freuten uns immer sehr auf das nächste Wiedersehen.

In der Apotheke jedoch fühlte ich mich immer unwohler, mit jeder Woche die verging. Ich konnte es noch nicht richtig einordnen, warum ich das so fühlte. Durch ein Ereignis Mitte November wurde es mir dann auf einmal ganz klar, woran das lag. Eines Abends (der Chef war gerade auswärts unterwegs und niemand wusste, wann er zurückkommen würde), als ich vorn an der Kasse jemanden bediente, kam eine ältere Frau mit einem Rezept in der Hand in die Apotheke und wartete darauf, dass sie ihr Rezept einlösen konnte. Plötzlich fasste sie sich an ihren Hals, begann zu röcheln, lief blau an, erbrach sich und fiel der Länge nach hin zu Boden. Der Apotheker, der noch mit da war, kümmerte sich sofort um sie und rief den Rettungsdienst. Ich bediente die anderen Kunden weiter und die Apothekenhelferin säuberte den Fußboden von dem Erbrochenen. Der Chef kam genau in dem Augenblick zurück, als die Sanitäter die Frau abholten. Diese sammelten noch ihre Sachen ein und nahmen auch das verordnete Medikament mit. Mein Chef sah der Frau und den Sanitätern hinterher wie ein Geier und murmelte etwas wie:

„Erst zuviel Alkohol sau... und dann den Notdienst holen.“ Kaum waren die Sanitäter verschwunden, merkte der Chef, dass die Frau ihre Rezeptgebühr nicht bezahlt hatte. So nahm er sich den anderen Apotheker zur Brust, der ja der Frau das Medikament ausgehändigt hatte, wieso dieser die Rezeptgebühr nicht kassiert hätte. Der Apotheker sagte, dass sie gar nicht in der Lage gewesen wäre, zu reagieren, dass es doch ein Notfall sei. Doch mein Chef ging gar nicht darauf ein und so brach ein Streit zwischen den beiden aus. Ich konnte es überhaupt nicht fassen, was da gerade ablief. Die Frau war gerade noch mal mit ihrem Leben davongekommen und meinen Chef interessierte nur das Geld, was diese nicht bezahlt hatte? Mir zog sich vorn am Bauch alles zusammen vor Entsetzen. Jetzt wurde es mir plötzlich klar, warum ich mich hier zunehmend nicht mehr wohl fühlte: es war die Unmenschlichkeit meines Chefs, die sich nun so offensichtlich gezeigt hatte und ich fand ihn so was von abstoßend in diesem Moment. Das war es also, was die ganze Zeit wie ein Schwelbrand das Klima schleichend vergiftet hatte. Ich konnte ihn ungestört beobachten, da er mir während des Streits den Rücken zudrehte, und sah, dass ihn eine schwarze Wolke umgab und ich erschrak innerlich. Da wusste ich, dass ich hier nicht mehr bleiben konnte. Als zwei Tage später wieder die Apothekerin, die manchmal als Aushilfe hier arbeitete, in die Apotheke kam, erzählte ich ihr, was sich zugetragen hatte und was mich bedrückte. Diese hörte sich das an und meinte:

„Ich verstehe das nicht, er hat immer noch nichts dazu gelernt.“

„Wie meinen Sie das?“, fragte ich sie etwas verwirrt.

„Na ja, es ist so, dass ihm ständig das Personal wegläuft wegen solcher Dinge. Und Sie haben es bis jetzt am längsten von allen ausgehalten, fast 11 Monate.“

„Und ich werde auch kündigen, denn in so einem Klima kann ich nicht arbeiten, das kann ich mit meiner inneren Wahrheit nicht vereinbaren.“

Die Apothekerin sagte zu mir: „Dann sollten Sie das morgen schon tun, da die Kündigungsfrist zum Jahresende morgen endet.“ Uhh ... das ging aber sehr schnell für mich, doch innerlich hatte ich mich schon entschieden. Ich wusste, dass in M. genügend Stellen frei waren, das war nicht das Problem. Und so legte ich am nächsten Tag meine Kündigung auf den Schreibtisch meines Chefs. Bald war er ja nicht mehr mein Chef. Dieser reagierte ähnlich wie an dem Abend, als das mit der Frau passiert war. Irgendetwas Fieses brummelte er in sich hinein und verzog sich in sein Büro.

Die Frau kam übrigens nach drei Tagen in die Apotheke (sie hatte einen heftigen Asthmaanfall erlitten), bezahlte die noch offene Gebühr und bedankte sich bei uns allen mit einem riesigen Blumenstrauß und einem Pralinenkasten für unsere rührselige Hilfe. Sie sagte noch, dass der Pralinenkasten aber nur für die Mitarbeiter sei und nicht für den Chef. Also musste sie doch noch etwas von seinen Worten mitbekommen haben. Der Chef, der hinter mir stand, hatte alles mit angehört und verschwand erst wütend in seinem Büro und dann aus der Apotheke.

Vier Tage nach meiner Kündigung bekam ich einen Anruf in der Apotheke, von einer Apothekerin, die gerade eine PTA suche ...

Als es Winter in den bayrischen Bergen wurde (in M. bekam man davon nicht soviel mit) brachte Konrad mir Skilanglauf bei. Er war begeisterter Langläufer; in Thüringen nahm er sogar bei einigen Wettkämpfen teil. Mir wurde klar, dass eine Entscheidung anstand. Wenn ich das Langlaufen nicht ausprobieren würde, würden wir uns im Winter nur wenig sehen können, da Konrad so oft wie möglich laufen würde. Und so wagte ich mich das erste Mal auf Langlaufski in den Schnee. Gleich bei den ersten Schritten rutschten die Skier weg und ich fiel mehrmals hin. Es war eine ziemlich anspruchsvolle Runde für den Anfang, mit Anstiegen und Abfahrten. Bei jeder Abfahrt landete ich auf meinem Hinterteil. Der Höhepunkt war jedoch, als auf einer geraden Strecke der rechte Teil der Loipe unter mir wegrutschte und ich bis zum Bauch im Schnee versank. Da steckte ich nun fest und rüttelte und ruckte, doch nichts tat sich: Ich kam aus dem hohen Schnee allein nicht mehr heraus. Und kein Konrad in Sicht, und auch sonst niemand; das fing ja gleich super an beim ersten Mal. Endlich kam ein Mann vorbei und auch in diesem Moment Konrad. „Was machst du denn da unten im Schnee?“ fragte dieser.

„Ach weißt du, ich trinke hier ‘ne heiße Schokolade, ist so gemütlich hier“, antwortete ich ironisch. Ich wusste nicht, was ich fühlen sollte: ob ich fror oder nicht oder ob ich wütend sein sollte oder nicht. Konrad und der Mann hievten mich beide aus dem hohen Schnee heraus. Für diesmal hatte ich erstmal genug vom Skilanglauf. Dabei fiel mir wieder etwas aus meiner Kindheit ein. Als ich mit meiner Mutter im Thüringer Wald im Winterurlaub gewesen war, fand ich das ewig lange Gestapfe durch den verschneiten Winterwald zu langwierig und mühselig. Ich erinnerte mich deutlich, dass ich mit den Schuhen im Schnee eine Gleitbewegung gemacht und dabei die Arme ausgebreitet hatte, so als ob ich Anlauf zum Fliegen nehmen und schneller vorwärts kommen wollte. Diese Erinnerung gab mir die Motivation es mit dem Langlaufen weiter zu probieren. Beim zweiten Mal übte ich auf einer geraden Strecke. Ich verlagerte mein Gewicht mehr nach vorn und so fiel ich schon viel weniger hin. Und dann passierte etwas Entscheidendes: Ich fing Feuer für diese Art der Fortbewegung, der Funke sprang über. Schon beim dritten Mal verspürte ich richtig Spaß und Freude dabei; ich begann den Schnee und den Winter zu lieben. Meine Seele erkannte, dass das Langlaufen ein riesiger Zugewinn war und den Winter in einem neuen Licht erscheinen ließ. Ich erfreute mich von nun an jedes Jahr an dieser Jahreszeit, im Gegensatz zu vielen anderen Menschen, die im Winter nur wenig aus der Wohnung gingen. Diese Freude übertrug sich auch auf meinen Körper und ich fühlte mich viel wohler und vitaler als vorher.

Da Konrad (er war ein super guter Abfahrer) und ich mit einigen Studienfreunden von ihm über Silvester nach Italien zum Ski-Abfahrtsurlaub fahren wollten, hieß es nun für mich auch noch: Abfahrt üben. Doch das funktionierte nicht so ohne weiteres bzw. es funktionierte gar nicht. Schon die Liftauffahrten endeten fast alle in einer Katastrophe. Einmal wurde ich fast von nachfolgenden Fahrern überrollt, weil ich gestürzt war und ich mich alleine nicht wieder aufrappeln konnte, da jedes Mal beim aufstehen die Skier in beide Richtungen wegrutschten. Ein anderes Mal verhedderte sich meine Stockschlaufen im Bügel des Sitzes und ich kam zu spät vom Sitz herunter und fiel natürlich gleich hin, weil der Sitz schon zu hoch gewesen war. Beim Abfahren stellte sich jedes Mal Angst ein, weil es mir zu schnell ging und so verkrampfte ich zu sehr, was meine Kräfte zu schnell verbrauchte. Das hatte ich beim Langlaufen nicht gehabt: Angst. Aber hier war es so. Ja, und so fuhr ich mit Konrad für eine Woche in einen Urlaub, wo ich schon vorher wusste, dass jeder Tagesbeginn eine Tortur werden würde. Doch es kam noch schlimmer. Ich kam wieder einmal mit dem Wirrwarr und den Widersprüchen menschlicher Gefühle in Berührung.

 

Ungefähr vierzehn Leute kamen drei Tage vor Silvester in Italien in einem abgelegenen Tal mit ihren Autos an. Die Unterkunft befand sich in einer größeren gemütlichen Hütte mit Ofenheizung für alle Zimmer einschließlich der Küche. Konrad und ich bezogen ein Mehrbettzimmer zusammen mit vier Bekannten von ihm. Nach dem wir unsere Sachen ausgepackt hatten, wollten wir uns mit den anderen sogleich unten in der Küche treffen. Wir traten beide auf den Flur. Da begegneten uns einige Leute von der Gruppe, darunter ein Kumpel von Konrad, der in Thüringen wohnte und seine Cousine Katja, die in München als Krankenschwester arbeitete. Katja fiel mit ihrer exotisch wirkenden Erscheinung sofort auf. Schwarze kurze, sehr modisch geschnittene Haare, umrahmten ein gebräuntes markantes Gesicht mit dunkelbraunen lebendigen Augen. Das auffälligste war aber ihr langer Hals, den sie durch ihre Kleidung noch betonte. Mehrere Leute standen im Flur beieinander, doch Katja suchte den Blick von Konrad und schaute ihn lange an. Und er schaute zurück. Mich durchfuhr es dabei glühendheiß, da ich sofort fühlte, was zwischen den beiden lief. Auch waren da wieder diese Energiefäden, wie ich sie bei meiner Mutter und diesen Männern im Urlaub gesehen hatte. Diese Energiefäden flimmerten ständig zwischen Konrad und dieser Katja hin und her. Wann immer sich die beiden über den Weg liefen, flirteten sie miteinander, sei es, dass sie sich länger in die Augen schauten oder sich scherzhaft neckten. Zudem bekam ich dann auch noch meine Tage; da fühlte ich mich sowieso eher zu dick und hässlich und reagierte noch überempfindlicher als sonst auf manchen Scherz. Ich bemerkte zudem, dass Konrad mir in dieser Zeit nicht die volle Aufmerksamkeit schenkte wie sonst. Auf mich wirkte es plötzlich so automatisiert, wie er mit mir seitdem umging.

Auf der Skipiste erlebte ich dann auch noch eine Katastrophe nach der anderen. Die erste blaue Piste schaffte ich gerade noch so einigermaßen hinunter. Da ich aber meistens im Schneepflug hinunter fuhr, verbrauchte sich meine Muskelkraft zu schnell. Nach dem dritten Mal auf der blauen Piste ließ ich mich von Konrad überreden, mit ihm eine rote Piste zu fahren. Schon durch die lange Liftfahrt nach oben wurde mir mulmig zumute. Vor mir türmte sich ein riesiger Berg auf, der nicht enden wollte. Oben angekommen nahm Konrad kurz Anlauf und war schwups verschwunden. So stand ich plötzlich alleine da, mir war total schlecht, die Beine zitterten schon jetzt. „Wie soll ich denn da jemals wieder hinunter kommen?“ fragte ich mich. Zögernd fuhr ich los. Doch nach dreihundert Metern tat sich vor mir ein steiles Stück auf, welches zudem bucklig war und ganz weit unten im Dunst verschwand. Ich wusste nun, dass es vorbei war. Körperlich konnte ich einfach nicht mehr und ich hatte von der Probiererei die Nase voll. Vom Skilift aus sah Alex (er war der Lauteste und Frechste von unserer Truppe), wie ich mir die Skier abschnallte und versuchte, zu Fuß nach unten zu kommen. Er gab mir ein Zeichen, dass ich warten solle, bis er da wäre. Dann gab er Konrad ein Zeichen, der weiter unten im Lift saß.

Beide luden sich jeweils einen Ski auf die Schulter und fuhren nach unten. Ich stapfte nun langsam an der Seite Schritt für Schritt hinunter zur Mittelstation.

Völlig erschöpft von der Angst ließ ich mich für den Rest des Skitages in einen Liegestuhl fallen. Meine Tage waren mir in dieser Situation auch nicht förderlich.

Ich wollte mich lieber zurückziehen, als mich hier mit Ski fahren abzumühen. Wie ich so in dem Liegestuhl lag, freute ich mich schon auf den Abend in der Hütte. Es kam aber alles ganz anders.

Schon währen des gemeinsamen Essenkochens flackerte wieder die Eifersucht in mir auf, da Konrad und Katja weiter miteinander flirteten. Auch diese ständigen Plänkeleien zwischen den anderen nervten mich zunehmend. Nicht ein einziges normales Gespräch kam zustande. Wie Pfeile flogen die Scherze hin und her; ich konnte sie wie Nadelstiche an meinem Körper spüren. Grundsätzlich hatte ich ja nichts gegen Späße und Lachen, aber die ganze Zeit über? Oh je, wie sollte ich das nur eine Woche lang aushalten?

Nach dem Essen beschlossen einige aus der Gruppe Doppelkopf zu spielen. Konrad und Katja wollten mitspielen. Das gab mir noch den Rest, da ich das Spiel nicht kannte. So zog ich mich auf das Zimmer zurück und legte mich auf das Bett. Ich durchlitt Höllenqualen, schwere Gedanken rumorten in meinem Kopf, meine Gefühle waren in Aufruhr. Konrad und Katja saßen da unten zusammen in einem Raum und ich lag hier oben und war nur noch Luft für ihn! Wie konnte denn das sein? Wir waren doch erst ein halbes Jahr zusammen und noch frisch verliebt. Jede freie Minute hatten wir zusammen verbracht, wir hatten Sehnsucht nacheinander verspürt oder ...? Moment mal, hatte nur ich diese Sehnsucht gefühlt? Ich verstand die Welt nicht mehr.

So ging es nun jeden Tag eine ganze lange Woche; tagsüber quälte ich mich auf der Skipiste ab und abends beobachtete ich die beiden wie ein Wachhund.

Ein Mädchen war noch dabei, die nach fünf Tagen eine Skipause einlegen wollte. Mir kam das sehr gelegen. So schloss ich mich Heike an und wir fuhren an einem Tag in einen Nachbarort und erholten uns in einem Erlebnisbad. Mir war es jetzt egal, dass ich nicht sehen konnte, was Konrad und Katja miteinander trieben. Ich fühlte mich nach fünf Höllentagen das erste mal wieder entspannt und ich genoss jede Minute in dem warmen Wasser. Als ich mich so auf dem Wasser treiben ließ, empfand ich das Wasser mit einem Mal noch wärmer als vorher.

Himmlische Sphäre der Goldenen Tempel, außerhalb der Zeit

Auch die Umgebung veränderte sich allmählich, Stück für Stück. Von unten leuchtete etwas, das immer heller wurde. Ich hatte das Gefühl im goldenen Licht zu schweben. Ahh, das fühlte sich so vertraut an, das kannte ich irgendwo her. Ich öffnete langsam meine Augen; über mir sah ich einen hell leuchtenden Himmel und ich selbst schwamm in einem goldenen runden Becken. Um mich herum sah ich goldene Tempelbauten aus goldenem Licht und ich wusste, hier war ich wirklich zu Hause. Ein liebevoller sanfter warmer Wind strich über mein Gesicht und Stimmen raunten mir zu: „Du bist hier, wir sind hier bei dir. Lass es gehen, es hat keine Bedeutung“, sangen die Stimmen mir weiter zu. Ich wusste, was die Stimmen mit es meinten und so gab ich mich diesem Gesang völlig hin. Ich badete in diesem goldenen Licht, ich fühlte mich bedingungslos geliebt, hier gab es nur reine Liebe, reines Licht ohne Zweifel und Eifersucht; ich reinigte mich von den Gefühlen, die mich so sehr erschüttert hatten. Mein Herz hatte sehr darunter gelitten, doch jetzt tauchte ich ein in das goldene Licht, es floss in meinen lichten Energiekörper, bis er wieder hell strahlte und alle grauen Flecken verschwunden waren. Ich atmete es auch in jede Zelle und die Erschöpfung verschwand.

Ich schloss noch einmal meine Augen und als ich sie wieder öffnete, fand ich mich im warmen Wasser des Bades wieder. All meine wirren Emotionen hatten sich aufgelöst und ich fühlte mich gestärkt und gelassen den Dingen gegenüber, die auf mich warteten.

Nach diesem Skiurlaub begann ich in einer anderen Apotheke in M. zu arbeiten. Die Chefin war schon zur Wende aus Sachsen nach M. gekommen und hatte dort eine Apotheke eröffnet. So hatten ich und sie einige gemeinsame Gesprächsthemen. Auch mit den anderen Mitarbeitern waren nun Privatgespräche möglich und es wurde öfter gelacht. Dennoch musste ich mich erstmal mehr auf die Arbeit konzentrieren, da ja alles für mich neu war: das Sortiment, die Standorte, die Kasse, das Bestellsystem. So rückte die Geschichte mit Konrad und dieser Katja in den Hintergrund. Doch nach einigen Tagen wurde es mir wieder bewusst und ich fragte mich, ob sich Konrad mit Katja heimlich in München traf. Gelegenheit war ja genügend vorhanden. Schließlich sahen Konrad und ich uns ja nur am Wochenende. Einige Male rief ich bei ihm unter der Woche an, mit irgendeinem Vorwand, um zu prüfen, ob er zu Hause war. Manchmal war er nicht zu erreichen und dann rumorten in mir die schrecklichsten Bilder von ihm und dieser Katja. Ich kam einfach nicht mit der menschlichen Gefühlswelt klar. Doch Konrad war jedes Mal nur beim Sport gewesen, wenn er mal nicht zu Hause war. Nach einigen Wochen bekam ich dann mit, dass er überhaupt nicht der Typ fürs Fremdgehen war. Mir wurde bewusst, dass die Eifersucht nur in meinem Inneren stattfand, ausgelöst durch die damalige Geschichte mit Matthias.

Nach fast vier Monaten bat die Chefin mich in ihr Büro: „Ich muss Ihnen leider kündigen, es geht nicht anders.“

Ich schaute sie mit großen Augen an:

„Ich verstehe nicht ...“

„Sie haben noch anteiligen Urlaub für die vier Monate, die Sie hier gearbeitet haben. Den habe ich schon berücksichtigt, so dass Sie nur noch bis zum Monatsende beschäftigt sind.“ Ich konnte nicht glauben, was ich da hörte, mir verschlug es die Sprache. Ich fuhr sogleich mit der U-Bahn nach Hause und ließ mich erst einmal vom Arzt krankschreiben. Meine Motivation war komplett auf Null gesunken.

Schon wieder nach Stellen schauen, Bewerbungen schreiben, Telefonate führen deswegen; ich hatte darauf überhaupt keine Lust. Außerdem verstand ich nicht, wieso mir gekündigt worden war.

Als ich nach vierzehn Tagen meine Sachen aus der Apotheke abholte, steckte mir ein Mitarbeiter zu, dass die Nichte der Chefin ihre PTA-Ausbildung beendet hatte und bald anfing zu arbeiten, und zwar in dieser Apotheke.

‚So lief das also‘, dachte ich bei mir. ‚Menschlichkeit zählte anscheinend nicht mehr, auch bei den Menschen aus der ehemaligen DDR nicht, obwohl diese zu DDR Zeiten ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl gehabt hatten.‘ Mich stimmten solche Erkenntnisse sehr traurig.

In mir tauchte die Frage auf, was ich hier in München noch zu schaffen hatte? Erst die Sache mit Richard, dann das schockierende Erlebnis mit meinem ersten Chef, den nur das Geld interessiert hatte und jetzt noch die plötzliche Kündigung, nur wegen einer Verwandten der Chefapothekerin. Groll und Frust meldeten sich in mir und rumorten in mir. Als ich das Konrad erzählte, meinte dieser dazu:

„Du könntest dir doch auch hier auf dem Land eine Stelle suchen und zu mir ziehen.“ Hmm, diese Möglichkeit hatte ich noch gar nicht erwogen. Und sie kam so aus heiterem Himmel auf mich zu. Wollte ich das überhaupt, so schnell mit Konrad zusammen ziehen? In diesem Moment lösten sich endgültig die Zweifel in Bezug mit dieser Katja auf, weil er mir sonst das Zusammenziehen nicht angeboten hätte. Ich antwortete darauf: „Also gut, wenn ich gleich eine Stelle in der Nähe deiner Wohnung finde, dann ziehe ich zu dir. Gleich morgen rufe ich alle Apotheken hier im Ort und in den umliegenden Ortschaften an.“

Als ich am nächsten Tag in der ersten Apotheke den Chef fragte, ob sie dort eine PTA gebrauchen könnten, rief dieser aus: „Ach, Sie schickt der Himmel, bei uns hat heute gerade eine Mitarbeiterin gekündigt und wir kommen ins rudern, wann können Sie vorbei kommen?“ Ich hielt den Telefonhörer von mir weg, ich war wie vom Donner gerührt. ‚Das ist aber jetzt nicht wahr, oder‘, dachte ich bei mir. Es sollte wohl so sein, dass ich zu Konrad zog?

Mein Vorstellungsgespräch verlief sehr erfolgreich und ich unterschrieb gleich den Arbeitsvertrag. Dann kündigte ich sofort den Mietvertrag und forderte die Mietkaution an, die ich für meine Miniwohnung hinterlegt hatte. Dabei stellte sich heraus, dass die Verwalterin meines Vermieters Gelder veruntreut hatte. Doch ich spürte kein Mitleid mit dem Vermieter, da er etliche Wohnung überteuert vermietet und viele Menschen dadurch betrogen hatte. Ich wollte nur die Kaution wieder zurück haben. Ich war nun froh, aus dieser Wohnung herauszukommen, die ja durch die Veruntreuung mit einer negativen Energie verbunden war. Konrads Wohnung war zudem größer und ansprechender vom Wohngefühl her.

In den nächsten Monaten stabilisierte sich unsere Beziehung und die Geschichte mit dieser Katja verschwand völlig aus der Sicht. Beide arbeiteten wir die Woche über, ich in dieser Apotheke und Konrad in einem geologischen Institut als Bauingenieur. An den Wochenenden wanderten wir oft gemeinsam oder wir fuhren an den Feiertagen nach Hause und besuchten entweder meine oder seine Eltern.

 

Konrad spielte manchmal bei Fußballturnieren mit, da er in einem Fußball Verein integriert war. Bei diesen Turnieren schaute ich meistens mit zu, so wie auch die anderen Freundinnen der Fußballspieler. Und wieder geschah das gleiche, wie in der Lehrklasse und in der PTA-Ausbildung: Ich fühlte nichts Gemeinsames mit diesen Frauen oder Mädchen, im Gegenteil, ich fühlte mich total anders. Diese trugen allesamt teuren Schmuck und blitzende Sonnenbrillen und taten meistens so affektiert. Sie unterhielten sich über Partys, Drinks, Markenmode und Autos. Ich konnte da nicht mitreden und es interessierte mich auch gar nicht. Umgedreht verhielt es sich genauso. Das was ich zu erzählen begann, stieß auf völlig taube Ohren, ja ich wurde von den anderen regelrecht unterbrochen. So war mal wieder bei diesen Treffen Langeweile angesagt. Ich kam nur noch Konrad zuliebe mit zu den Fußballturnieren. Doch ich kapselte mich jedes Mal ab und verkroch mich in meine eigene Welt. Dabei fühlte ich mich äußerst unwohl und spürte, dass die anderen mich heimlich beobachteten und über mich tuschelten. Ich fühlte mich oft völlig fremd unter solchen Menschen. ‚Was mache ich hier bloß?‘, fragte ich mich öfter, doch ich fand darauf keine Antwort. Dabei sehnte ich mich insgeheim nach einer wirklichen echten Freundin, eine Gleichgesinnte, mit der ich mal so richtig über alles, was mich bewegte, reden konnte. Selbst Konrad verstand meine Wahrnehmungen nicht. Er spielte ja hauptsächlich mit den anderen Männern Fußball und hatte zu den Frauen keinen näheren Kontakt. Kurz gesagt: er bekam es einfach nicht mit. Ich war mit diesem Thema allein auf mich gestellt. Und ich fühlte mich oft einsam dadurch. An dieses Gefühl in den himmlischen Tempeln konnte ich mich nur noch sehr verschwommen erinnern. Jedoch half es mir auf die Dauer auch nicht weiter.

So vergingen die Wochen und Monate, der Sommer zog vorüber und es wurde Herbst.