Orange

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Subjekt Noah

Orange

Eine neomoderne Dichtung

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Inhaltsverzeichnis

Titel

I. Rauschen

II. Melodie

III. Zwischenspiele

IV. Spiegel

V. Sinfonie

VI. Sprung

Impressum neobooks

I. Rauschen

Die Erde ist so blau wie eine Orange.

Paul Eluard

Die Tage schlafen mit dem Wein, im Flackern der Träume eines kürzlich vergangenen Sommers. Gerade mischt der Wind herbe Gerüche in die Luft. Sakrallohes Fallwerk, rostig Herbstwerden. Unscharfe Schatten zeichnen die Umrisslinien geheimer Eingänge in die Winkel, Orte des Rausches und der Verschwendung. Die Nächte beginnen in den Kneipen heimisch zu werden.

Der Rausch erhebt ihn, drückt ihn zugleich nieder. Nach einer Stunde grinsen die weinverätzten Zähne des Wolfs. Sein Gesicht entstellt, aufgebläht und dehydriert, fühlt er sich endlich wie ein Fabelwesen, das eine Mission zu erfüllen hat.

Langeweile entrollt den roten Teppich dieser Nacht, aber schon längst hat der Wahnsinn im Verborgenen den Thron bestiegen. Nur eine flüchtige Erlösung ist der Sonnensaft des Weines. Das wissen alle. Er destilliert die finsteren Triebe heraus und macht sie salonfähig.

Kahle, halbtransparente Wände, verspiegeltes Kerzenlicht, willkürlich kombinierte Epochen von Möbeln, rituelle, elektronische Rhythmen und magische Dekorationen strukturieren die Atmosphäre.

Es finden sich Menschen unterschiedlichster Veranlagung und Geschichte zusammen: wunderbar lässige Begegnungen, Sterne glänzen nur für sich. Es gibt viele Kobolde darunter, die verstecken sich hinter absurd verträumtem Geschwätz und gekünstelt zynischer Gleichgültigkeit. Manche Gesten nicht mehr als ein hysterisches Gekreische aufgeschreckter, unterirdischer Unterteufel. Sogar Hunde entwickeln hier Allüren.

Wer tiefer blicken kann, erkennt schnell die Trugbilder, die die Coolsten mit sich spazieren führen. Von Vorstellungen verformt, kranken alle an demselben: mehr sein zu wollen, als sie sind. Und alle beginnen sich zu gleichen.

Wieviele Fehlschläge werden die Schönheit zum Wahren noch verstärken?

Ein letztes Glas noch, ein Letztes noch konservierter unsterblicher Sonnen. Schluck um Schluck, so sterblich wie wir.

Wir brauchen jetzt einen Trinkspruch, den Originellsten bitte, aus nunmehr 3000 Jahren Schriftstellerei.

Wann wird sich die Generation erheben, die die alten, allzu menschlichen Geschichten nicht länger wiederholen muss?

Was ist der Preis dessen, unbedingt originell zu sein?

Öffnet sich sein Inneres, sieht er nun die ganze Szenerie in Zeitlupe. Gesichter ins Gelächter verschraubt, das Klirren der Gläser lässt die Luftschichten knacken…

Ich habe Angst. Perlen der Poesie. Nichts passiert ohne sie. Angst in ihrer Essenz ist pure Kraft. Wie der Perlentaucher die Luft muss der Poet die Angst in seiner Lunge sammeln, sie wachsen lassen, sie aushalten, um zu einer unentdeckten Schönheit zu gelangen. Genuss ihrer Energie, Strom in Nervenenden, der Körper durchlässig, Blitz, Donner.

Und weiter das Ganze in normalem Tempo. Sein Herz klopft, verdrängt alle Geräusche in den Hintergrund. Orange erhebt sich bevor ihn die Angst erschöpft, geht erst taumelnd dann im Taumel gefasster durch den Raum. Ein Tisch steht im Weg, den er ohne Zögern besteigt. Er schiebt vorsichtig die halbvollen Weingläser mit dem Fuß beiseite. Eins stößt er absichtlich um. Wein fließt wie Blut, mit unnachahmlicher Anmut.

Mit einem Aufstampfen schlägt er auf die Saiten und seine Stimme donnert durch den Raum.

ORANGE: Sehr verehrte Damen und Herren!

Die Arme leicht vom Körper, Hals und Kopf ins Unendliche gestreckt.

ORANGE: Darf ich um einen Moment Ruhe bitten. Bitte, nur einen Moment Ruhe!

Er malt das starre Lächeln des traurigen Clowns weiß in sein Gesicht. Die Leute werden auf ihn aufmerksam. Sein Anblick verspricht Wärme, verspielte Einsamkeit, Melancholie, Edelmut, Lächerlichkeit. Selbstverständlich erwartet man jetzt ein bisschen Unterhaltung. Man hört ein Kichern. Es soll ihn nur ein wonnevolles Wenig verwirren. Die Spannung steigt. Je länger er den Beginn seiner Darbietung hinauszögert, desto wacher sein Körper. Er betrachtet ruhig die Gesichter, es gelingt ihm, das ganze Publikum mit fernem Blick zu durchdringen. Wer ihn ansieht, kann eine telepathische Schwingung vernehmen.

Worte schälen sich aus der Dunkelheit. Sein Geist formt eine Rede, die jedoch nicht über seine Lippen geht:

Baut Türme

Setzt

die Menschen wieder in Kenntnisse des Feuers

selbst

die Meister verstummen

Es will gehen wie Gesang in dieser Stille

ein rasend roter Zorn

Der Raum ist still, die Atmosphäre angespannt, dem Platzen nah. Die Stille setzt sich aufs Publikum herab. Ein Lächeln erleuchtet sein Gesicht.

ORANGE: Danke.

Das Publikum, noch immer gebannt, spürt allmählich, dass seine Darbietung schon vorbei ist. Nichts ist passiert. Damit wäre alles gesagt.

Wieder das Kichern aus einer Ecke; Detonationswelle, die den Raum aufatmen lässt. Plötzlich wird wieder getrunken, gelacht, vergessen… Der Lärm zeichnet Karikaturen seiner selbst in die Gesichter. Keiner sieht ihn mehr. Orange springt vom Tisch, gleichmäßig setzt er einen Fuß vor den anderen und geht geradewegs zur Tür hinaus.

Bald darauf ist jede Spur dieses Ereignisses aus der Atmosphäre gelöscht.

Oranges Silhouette taucht ein ins Sepia der Straßenlaternen. Diese Stimmung ist dafür gemacht, Legenden zu bilden.

Plötzlich fängt sein Herz an, laut zu schlagen. Dann erkennt er die Gestalt, die ihm entgegen kommt. Oft sind sie aneinander vorbeigelaufen. Immer hatte Orange den Drang, sie auf der Stelle zu nehmen. Nie hat er eine Rührung gezeigt. Sie gleichgültig anblickend, hat er sie immer ziehen lassen, stolz sich verboten, ihr auch nur nachzuschauen.

Von dem Nichtereignis in der Kneipe gestärkt geht er jetzt gezielt auf sie zu. Auch sie erkennt ihn.

Ihre Herzen wie auf der Flucht vor der nun eintreffenden, langersehnten Begegnung. Ihr Gang verlangsamt sich, je näher sie sich kommen.

Diese unerträgliche Spannung auszuhalten, ist wohl das einzige Mittel, einer solchen Situation gerecht zu werden. Jetzt bloß keiner Albernheit verfallen. Jede eingeübte Geste ist eine Grimasse, die das Besondere des Augenblicks nur entstellen kann. Alle Maschen sind lächerlich. Man darf sich nicht vorbereiten.

Atemnot und Herzrasen helfen dabei, alles Überflüssige hinwegzufegen.

Sie stehen sich jetzt unmittelbar gegenüber. Ein kaum wahrnehmbares Lächeln huscht über ihre Gesichter. Ihre Augen leuchten. Beide warten darauf, dass der andere etwas macht. Aber nicht irgendwas. Es muss die befremdlich- ehrlichste Tat folgen.

Orange nimmt ihre Hände. Sie nimmt seine. Sie drücken sie sich einen Schritt näher kommend an die Brust. Nur ihre Hände trennen sie noch voneinander. Warmer Hauch von Atem.

Orange streichelt ihr Gesicht. Um nicht ihren Atem zu verlieren, ist er ganz zart. Ihr Atem zieht ihn zu sich. Ihre Wangen berühren sich so leicht, dass es kitzelt. Vertrauter Geruch der Haut. Ihre Lippen suchen und treffen sich. Der Kuss beginnt fast schon zu zart, zu vorsichtig. Ihre Lippen bewegt von leisen Beben der Leidenschaft. Mikrotropfen mischen sich. Die Intensität nimmt zu, zu schnell für Orange. Er bricht den Kuss ab.

ORANGE: Du bist es also.

SURELY: Ja ich bin es.

ORANGE: Wie ist Dein Name?

SURELY: Errate ihn!

ORANGE: Er muss so klingen wie: die, die durch Herbstblätter geht.

SURELY: Nicht schlecht. Ich brauche aber noch ne niedliche Abkürzung.

ORANGE: Mit S oder C?

SURELY: Sicherlich mit beidem.

ORANGE: Sch…Sch…Sch…

SURELY: Bist nah dran. Jetzt mach noch die Bewegung der Hände beim Wasserschöpfen und die Tropfen, die runterfallen, machen einen hohen, vertikalen Ton.

Orange ist verunsichert. Er hasst dieses Gefühl, wenn es ihn überrascht. Er verstummt plötzlich und schaut Surely mit blöden Augen an. Zuerst lächelt sie. Als Orange das Lächeln nicht erwidert, fragt sie sich, ob sie was Falsches gesagt hat. Sie geht voran, er folgt ihr.

 

Sie treten aus dem Sepia heraus und setzen sich, ohne ein Wort zu sagen auf eine Verkehrsinsel. Die Stadt schläft. Im flüssigen Licht der Ampel scheinen ihre Gesichter auf. Gelb, Grün, Rot. Orange beobachtet sie. Das Rot schminkt sie verführerisch. Trügerisches Rotlicht.

Orange schaut zum Himmel hinauf, tief in seine doppelte, schwindelerregende Drehbewegung. Um sich an etwas Bekanntes zu halten, zeigt er auf den roten Planeten.

Eine Sternschnuppe fällt genau auf die Stelle, wo er hindeutet.

Es gibt Momente, in denen mit luzider Klarsicht deutlich wird, dass alles miteinander verbunden ist. So erhält der nichtigste Zufall eine schicksalhafte Bedeutung. Nur ein solcher Moment reicht aus, das ganze Leben auszufüllen, und Wunsch und Willen zu nähren, ihn wieder und wieder zu erleben. Da vereinen sich Leben und Kunst.

ORANGE: Solche Momente sind zum Sterben gemacht.

SURELY: Oder zum Leben.

Orange schließt die Augen. Er ist verwirrt von dieser Selbstverständlichkeit, mit der ihn Surely versteht. Dass sie nicht im Geringsten von seinen Worten erstaunt oder verängstigt ist, ist ihm unheimlich. Plötzlich fühlt er sich nicht mehr allein, umso mehr jedoch in seiner Einsamkeit bedroht.

Er spricht:

„Der blaue Blutfleck in der Schwärze. Der Fremde anheimgefallen. Das Weinglas am Abgrund. Auf Steinen ein Schimmern. Alles so flüchtig, um nicht durch die unsterbliche Liebe selbst tödlich zu verwunden. – Im Luxus der Liebe verkümmert das Genie.“

Während er den letzten Satz ausspricht, erhebt er sich, um Surely allein zurück zu lassen. Er spürt ihren traurigen, aber fordernden Blick im Rücken. Er dreht sich um. In ihrem jetzt grünen Gesicht ist diese Frage deutlich lesbar: Willst Du mich nicht wiedersehen?

ORANGE: Es ist doch viel schöner, wenn das der Zufall bestimmt… Oder?!

Hochmütiges Lachen, Orange geht.

https://soundcloud.com/subjekt-noah/liebhaberdesfeuers

Herz auf der Flucht

huscht enttäuscht

von Zeit zu Zeit

Moment vergeht

den man verdrängt

Moment vergeht

ungesehen

ganz entblößt

sind wir so schön

so wunderschön

so wunder…

Liebhaber des Feuers

So flüchtig wir auch sind

Die doppelte Sonne

macht uns schneeblind

Moment vergeht

unbelebt

Moment vergeht

der niemals lügt

Moment vergeht

ich hab´s gesehen

ganz entblößt

sind wir so schön

so wunderschön

so wunder…

Liebhaber des Feuers

So flüchtig wir auch sind

die doppelte Sonne

macht uns schneeblind

schneeblind

schnee

sch

Schlafen, vergessen, ins dunkle Wasser sinken, wieder unschuldig werden.

Ein Bild braucht er noch, ein schönes Erlebnis, einen beiläufigen Moment, der ihn über die Schwelle begleiten soll.

Es fällt ihm zu wie eine unbedeutende Sache: Er sitzt auf einer Bank am Ufer. Sonniger Winternachmittag. Ein Schwanenpaar im Landeanflug auf den Kanal. Unzertrennliche, immer außerhalb der Zeit.

Irgendwas in ihm lacht über diesen idyllischen Kitsch, den sein Gedächtnis mit so herrischer Willkür in Szene setzt.

Das Lachen verzerrt sich wie heißes Plastik, das reißt. Die Hände verschwimmen im Licht eines Kellerfensters, ertasteter Widerschein eines unendlichen Saals, fern die reizvolle Strenge, Widerstand reicht nicht hinein, nur noch eine expandierende erhabene Gelassenheit…

Einige Gedichte nötigen noch dazu, gesagt zu sein. Er kann nicht mehr sprechen. Glieder und Stimme versinken in Fühllosigkeit. Signalsterne um eine schwarze Sonne sich drehen. Fremde Stimmen zupfen an den Linien des Notenschlüssels:

- Ungetrunkene Milch. Das befruchtete Ei gleicht einem fremden Universum.

- Dreh Dich nicht um, die Python hat Zähne und schnellt aus der Schwärze.

- Dreh Dich um, die Chimären sind zu verstohlen. Man muss ihnen trauen.

- Pik- und Herzdame sind dieselben. Sirenen singen, Glöckchen des Wahnsinns. Die Wildnis trommelt in der Brust.

Das Herz sehnt sich so zart nach der Sonne, nach der Blühenden, Verblutenden… - Königin.

Die Grenzen der Entrückung ausloten. Wie der Schatten sein, Antlitz mit den glühenden Augen, traumverziert. Ein ernst gemeintes Lächeln in den verspiegelten Räumen lässt die Spiegel leer. Leere Spiegel platzen vor Neid.

Der Wahnsinn darf nicht das System der Sprache verlieren, sonst fällt der Geist von der Welt.

Halt!

In Flammen schlägt diese Nacht aus: auf zur nächsten Nacht! Nein, schlafe nicht, solang das Herz noch schlägt. Hier muss leben zu finden sein.

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