Im Auftrag des Himmels

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Im Auftrag des Himmels
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Stephan Wahl hat als „Sekretär“ des kleinen Engels neue Geschichten aufgeschrieben, die auf sympathische Weise vom Leben erzählen und die Handschrift Gottes erkennen lassen. Liebenswürdige Gestalt erhält Aljoscha von der Düsseldorfer Grafikerin Vera Lalyko, deren pfiffige Zeichnungen die Erlebnisse des kleinen Engels begleiten.

Stephan Wahl

Im Auftrag des Himmels

Stephan Wahl

Im Auftrag
des Himmels

Neue Geschichten von Aljoscha, Gottes kleinem Lieblingsengel


Für meine Eltern

EIN WORT ZUVOR

Er ist nicht der bedeutendste in der Schar der Engel, aber vielleicht der heiter-spitzbübischste mit einem weiten Herzen für die Menschen. Zu denen wird er in himmlischem Auftrag immer wieder gesandt. Und neugierig, wie er nun mal ist, interessiert Aljoscha alles, was geschieht. Kein Wunder also, dass sich Gottes kleiner Lieblingsengel oft in Situationen wiederfindet, denen manche seiner himmlischen Kolleginnen und Kollegen lieber aus dem Weg gehen.

Aus der Fülle seiner Erlebnisse habe ich als sein „Sekretär“ wiederum einige ausgewählt, die auf sympathische Weise vom Leben erzählen und die Handschrift Gottes erkennen lassen.

Ich freue mich, hiermit den dritten Band der Aljoscha-Geschichten vorlegen zu können. Eine bunte Mischung zu verschiedensten Themen, von denen die meisten in der Trierer Bistumszeitung „Paulinus“ erschienen sind, die dem munteren kleinen Engel einen monatlichen „Landeplatz“ ermöglicht. Mein besonderer Dank gilt dem Echter Verlag für seine Bereitschaft, die neuen Geschichten als Buch sowie als Hörfassung in sein Programm aufzunehmen. Insbesondere danke ich dem Lektor des Verlages, Herrn Heribert Handwerk, der mich, wie schon in anderen Projekten zuvor, fachkundig und konstruktiv-kritisch begleitet hat. Ebenso bin ich meinem Freundeskreis dankbar, der mich mit manchen Hinweisen und Ideen tatkräftig und mit viel Sympathie in meinem „himmlischen Sekretärsjob“ unterstützt. Liebenswürdige Gestalt erhält Aljoscha wiederum von der Düsseldorfer Illustratorin Vera Lalyko, deren pfiffige Zeichnungen die Erlebnisse des kleinen Engels begleiten. Wenn die eine oder andere Geschichte ins Nachdenken führt, zum Schmunzeln einlädt oder sogar Glaubensthemen verständlicher macht, freut sich der Autor. Und Aljoscha, Gottes Lieblingsengel, erst recht.

Trier-Ruwer, am 6. August 2014

Stephan Wahl

INHALT

Segensbitte zu Neujahr

Klappe halten

Der Rücktritt

Abtei a. D.

Segenswunsch für den neuen Papst

Der Weiße Sonntag

… weht, wo er will

Der Unfall

Olympia

Neil Armstrong

Paralympics

Papa Giovanni

Fußball

Die Schulanfänger

Streiten

… nicht zum Abschalten

Auf der Friedhofsmauer

Advent

Nikolausabend

Der Dombettler

Tobias

Dritter Weihnachtstag

… bei allem, was schön und was schwer sein wird

Segensbitte zu Neujahr

Aljoscha, Gottes kleiner Lieblingsengel, saß nachdenklich vor einer alten Pfarrkirche nahe am Rhein und blickte den Menschen nach, die nach dem Silvestergottesdienst ihrer Pfarrei nach Hause eilten, um die letzten Stunden des alten Jahres zu feiern und das neue Jahr entsprechend zu begrüßen. Manche von ihnen wirkten fröhlich und ausgelassen, manchen aber sah man Sorgenfalten auf die Stirn gezeichnet. Was mag das neue Jahr wohl bringen? Wann wird man tanzen, wann wird man weinen?

Gut, dass sie manches jetzt noch nicht wissen, sagte Aljoscha zu sich, denn als Engel wusste er etwas mehr als die Menschen, auch was das neue Jahr betraf. Er wusste aber auch, dass er und seine himmlischen Kollegen auch in diesem Jahr nicht nachlassen würden, ihnen an der Seite zu bleiben. Und weil der kleine Engel die Menschen – so wie sie nun mal waren – mehr mochte, als sie ahnten, schickte er für sie alle eine kräftige Segensbitte in den Himmel:

„Gott, der Allmächtige,

führe euch sicher in das neue Jahr.

Er lasse euch nie vergessen, wer der Herr

der Welt und des Universums ist,

und schütze euch vor

selbsternannten Götzen und Göttern.

Er gebe euch Rückenwind,

wenn ihr euch selbst überfordert

und außer Puste kommt.

Er schenke euch Geduld mit euch selbst

und die Größe, auch die kleinen Schritte zu achten.

Gott, der Barmherzige, kräftige alle,

die mit Krankheiten kämpfen,

und richte alle auf,

die leiden an Leib oder Seele oder an sich selbst.

Er befreie euch von allem,

was euch vom Leben zurückhält.

Er gebe euch ein empfindliches Gewissen,

dass ihr hellwach bleibt für das,

was neben euch geschieht.

Gott, der Ewig-Treue, schütze alle,

die zu euch gehören, und sei mit allen,

die euch zugemutet werden, wie ihr auch ihnen.

Er gebe euch öfter Humor und Leichtigkeit

und sei mit allen,

die sich in diesem Jahr verlieben werden.

Er verlasse euch nicht in all dem,

was schön und was schwer sein wird.“

Das wünschte und erhoffte der kleine Engel nicht nur für die Besucher des Silvestergottesdienstes, sondern für alle Menschen auf ihren Wegen und Umwegen.



Klappe halten

Auch Engel haben bisweilen schlechte Laune. Nicht alle, aber Aljoscha, Gottes kleiner Lieblingsengel, gehörte dazu. Missmutig hatte er sich hoch oben auf einem Baugerüst niedergelassen, das zurzeit den Turm einer alten Kirche verdeckte. Weder die wunderbare Aussicht noch das fast sommerliche Wetter konnten seine Stimmung heben. Es war wohl ein Fehler, sagte er zu sich, sich zur sehr mit manchen Diskussionen in der Kirche beschäftigt zu haben. Die Gelassenheit der großen Engel, die in Jahrtausenden dachten und die jetzigen Scharmützel wie alles Vorübergehende nur milde belächelten, diese himmlische Gelassenheit hatte der kleine Engel nun mal nicht. Aljoscha war halt Aljoscha.

Was ihm Kopfschütteln bereitete, war, mit welcher Inbrunst manche Positionen als unverrückbar bezeichnet wurden, auch solche, bei denen mit Blick auf die eigene Geschichte eher Zurückhaltung angesagt wäre. Beispiel: Sexualität. Als Engel war er hier naturgegeben kein Experte, aber er wunderte sich oft, wer sich da als solcher verstand und das auch lautstark, bisweilen peinlich, deutlich machte. Ein kecker Kabarettist hatte einmal gesagt: „Man darf zu allem eine Meinung haben, aber man muss nicht“ und empfahl deswegen, öfter einmal einfach die Klappe zu halten.

Daran erinnerte sich Aljoscha und dachte, wie es wohl wäre, wenn die Christen, besonders ihre Würdenträger, zum Thema Sexualität einfach mal für einige Zeit den Mund halten würden. Gab es nicht genug andere, brennendere Themen, um Position zu beziehen? Die größer werdende Armut so vieler und die gnadenlose Raffgier einiger weniger, der oft respektlose und uninteressierte Umgang mit Asylbewerbern, besonders mit den Kindern und Jugendlichen unter ihnen, das Machtgehabe der Putins oder anderer Despoten, die schleichende Renaissance der Euthanasie und so weiter. Warum immer an den Türen der Schlafzimmer pochen? Ehepaare und Nicht-Verheiratete brauchen Unterstützung und nicht Reglementierung und: Respekt vor einer Nähe, die nur sie persönlich angeht. Sex und Zärtlichkeit ist mehr als Kinder kriegen.

 

Der kleine Engel merkte, dass er sich langsam etwas in Rage redete. Außerdem, dachte er, das Abendland wird sicher nicht untergehen, wenn Schwule oder Lesben nicht nur gnädig so sein dürfen, wie sind, sondern das dann auch leben. Sie haben sich ja nicht ausgesucht, dass sie so sind, wie sie sind. Aljoscha konnte gut verstehen, dass sie dies nicht als Defizit sehen wollten oder als Kreuz, sondern als Geschenk, als Gabe Gottes. Wissen die Menschen eigentlich, was sie vielen von ihnen verdanken, zum Beispiel in Musik und Kunst? Die Lücken wären groß, dachte der kleine Engel, erinnerte sich an manche großen bekannten Namen, aber auch an die, die weniger im Rampenlicht standen oder mit viel Kraft diesen wichtigen Teil ihrer Persönlichkeit nach außen verbargen.

Aljoscha ließ seinen Blick über die Häuser der Stadt streifen und schwieg lange. Aber vielleicht ändert sich ja doch noch einiges, sagte er dann zu sich, und sein Blick hellte sich etwas auf, als er an die vorsichtige Bewegung dachte, die bei einem andern Streitthema, dem Problem „Geschieden-Wiederverheiratete“, zu erkennen war. Das immer wiederkehrende Thema Barmherzigkeit war keine Floskel in den Ansprachen des neuen Papstes. Mal sehen, was so alles passiert in der nächsten Zeit, dachte Aljoscha, und unterbrach seine nachdenklichen Gedanken, weil es nun wirklich Zeit war für einen Einsatz, der ja zu seinen eigentlichen Aufgaben gehörte. Aber das Nachdenken über diese und andere empfindliche Themen, und zwar differenzierend und barmherzig, war dem kleinen Engel einfach wichtig. Weniger für sich als mit Blick auf die Menschen.

Aljoscha beschloss, dies einigen Christen besonders ans Herz zu legen, auch und gerade denen, die in der Kirche wichtige Entscheidungen treffen durften. Und weil Engel sofort umsetzen, was sie für nötig halten, verließ er, nun besser gelaunt, seinen Aussichtsplatz hoch über den Dächern und fing sofort damit an.