Das FSI Führungsstilinventar und das Integrative Führungsmodell

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THEORETISCHER TEIL

1. Einleitung

1.1 Hintergrund

Die empirische Persönlichkeitsforschung hat eine etwa 100-jährige Geschichte. Durch das Big Five Modell (Norman, 1963, McCrae & Costa, 1985) wurde ein Erfolg im Aufbau einer breit akzeptierten Beschreibungs-Taxonomie der größeren Persönlichkeitsdimensionen erzielt. Es fehlt zwar nicht an konkurrierenden Modellen wie z.B. Cattells 16 dimensionales Modell (Cattell, 1946), Eysencks dreidimensionales Modell (Eysenck, 1985) oder Andresens sechsdimensionales Modell (Andresen, 1995), aber viele Forscher haben das Big Five Modell akzeptiert, es benutzt und damit ihre Forschungsergebnisse besser vergleichbar und akkumulierbar gemacht.

In bescheidenerem Ausmaß gibt es eine entsprechende Entwicklung innerhalb der Führungsstilforschung. Ähnlich wie bei dem lexikalen Ansatz im Persönlichkeitsbereich (Cattell, 1946) haben Forscher im Rahmen der sogenannten Ohio-Untersuchungen (Fleishman, 1953, Stodgill & Coons, 1957, Halpin & Winer, 1957) sehr viele Beschreibungen von Führungsverhalten gesammelt und empirisch unter anderem mit Faktorenanalysen gearbeitet, um eine verbindliche Taxonomie für die Beschreibung von Führungsverhalten aufstellen zu können. Es gibt interessante Weiterentwicklungen dieser Taxonomiearbeit, vor allem von Ekvall & Arvonen (1991) und Yukl, Gordon & Taber (2002). Ekvall & Arvonen (1991) haben empirisch mit großen Untersuchungsgruppen gearbeitet. Yukl & Lepsinger (2004) haben die empirisch gewonnene Taxonomie in ihr Führungsmodell ”Flexible Leadership” integriert und so die Beschreibungsdimensionen besser praktisch brauchbar gemacht.

Die vorliegende Arbeit baut vor allem auf der Forschung von Ekvall & Arvonen (1991) und Yukl & Lepsinger (2004) auf. Die Arbeit bedeutet eine Weiterentwicklung einiger Aspekte dieser Modelle und hofft einen nützlichen Beitrag, sowohl für die Messung und das allgemeine Verständnis der Wirkung von Führungsstilen, als auch für die Beratungspraxis zu leisten.

1.2 Zielsetzungen

Es gibt zwei Hauptziele der Arbeit. Diese sind zum einen die Beschreibung der Konstruktion und Überprüfung einer neuen Messmethode für Führungsstilmessung, dem FSI Führungsstilinventar, und zum anderen die Entwicklung und Überprüfung eines neuen, umfassenden Führungsmodells, das Integrative Führungsmodell.

1.3 Aufbau der Arbeit

Die zwei Hauptziele der Arbeit sind der Grund einer gewissen ”Doppelspurigkeit” des Inhalts. Zur Konstruktion der Testmethode FSI Führungsstilinventar, gehört eine Präsentation von theoretischen Grundlagen der Testkonstruktion, zumindest derjenigen, denen eine besondere Wichtigkeit bei der Konstruktion von FSI zugemessen wurde. Dazu gehört auch eine Darstellung der Ergebnisse der psychometrischen Analysen bezüglich Reliabilität und Validität des Instruments, sowie eine Beschreibung der Testskalen und deren Interpretation.

Zur Entwicklung des Integrativen Führungsmodells wird zuerst eine Einführung in die Führungsstilforschung gegeben, insbesondere in die Modelle, die direkte Vorgänger des Integrativen Führungsmodells sind. Das Integrative Führungsmodell wird dann ausführlich beschrieben und mit Hilfe des Tests FSI Führungsstilinventar überprüft. Die Ergebnisse werden zusammengefasst und kritisch diskutiert und zuletzt wird ein Blick in die Zukunft geworfen.

2 Theoretische Grundlagen: Führungsstile

In Kapitel 2.1 werden die Forschungsergebnisse und die Modelle vorgestellt, die für die Entwicklung des Integrativen Führungsmodells besonders bedeutungsvoll sind. Bekannte ältere Forschung und Theorien wie Lewin‘s (1939) anfängliche Untersuchungen über autoritäre, demokratische und laissez-faire Führung, Tannenbaum & Schmidts (1958) Entscheidungsmodell und Fiedlers (1967) Kontingenz-Modell werden hier nicht weiter vorgestellt. Es wird stattdessen auf Lehrbücher verwiesen (z.B. Rosenstiel, 1993, Northouse, 2004).

Bass (1990) Modell von transformativer vs. transaktionaler Führung wird hier vorgestellt, obwohl die Berührungspunkte mit dem Integrativen Führungsmodell begrenzt sind. Dies weil das Modell in der Forschung immer noch viel benutzt und diskutiert wird und weil die beiden Führungskonstrukte auch in späteren Kapiteln erwähnt werden.

2.1 Forschung und Modelle mit besonderer Relevanz

2.1.1 Die Ohio-Studien: Consideration und Initiating Structure

Die sehr umfassenden Studien wurden von der Ohio State Universität durchgeführt (Fleishman, 1953, Stodgill & Coons, 1957, Halpin & Winer, 1957). Sie beinhalteten eine Untersuchung, welche übergreifenden Dimensionen sich am besten dazu eignen, Führungsverhalten zu beschreiben. Man ging von etwa 1800 spezifischen Beispielen des Führungsverhaltens aus, die auf 150 Fragen in einem Fragebogen reduziert wurden. Dieser Fragebogen wurde an Mitarbeiter ausgeteilt, die ihren direkten Vorgesetzten beschrieben, indem sie die Fragen beantworteten. Die Vorgesetzten beschrieben auch sich selbst (dies entspricht dem heutigen Vorgehen bei 360 Grad Feedback Untersuchungen). Verschiedene Ohio-Studien identifizierten zwei varianzstarke Dimensionen, die etwa 85% der Variation der Fragen erklärten. Sie wurden als ”Consideration” und ”Initiating Structure” bezeichnet. Die Consideration-Dimension (von anderen häufig auch Mitarbeiterorientierung genannt) beinhaltet Fragen, die darauf abzielen, inwieweit der Vorgesetzte eine Umgebung der empfundenen Unterstützung, Wärme, Freundlichkeit und des Vertrauens schafft. Bei Initiating Structure (von anderen häufig auch Aufgabenorientierung genannt) geht es darum, ob die Führungskraft durch Delegation spezifischer Aufgaben, spezifizierter Arbeitsmethoden, aufgestellter Arbeitsschema und klarer Erwartungen an die Mitarbeiter führt. Ein wichtiger Unterschied gegenüber einigen anderen Führungsbeschreibungen ist, dass diese Dimensionen voneinander unabhängig sind, d.h. man kann auf beiden hoch oder niedrig liegen oder hoch in der einen und niedrig in der anderen. Das ermöglicht folgende Kreuztabelle:

Tabelle 1. Kreuztabelle mit den Führungsdimensionen ”Consideration” und ”Initiating Structure”


Hohe ConsiderationNiedrige Initiating StructureHohe ConsiderationHohe Initiating Structure
Niedrige ConsiderationNiedrige Initiating StructureNiedrige ConsiderationHohe Initiating Structure

Dieses Grundmodell ist sehr beliebt geworden. Es wurde und wird im Rahmen verschiedener Führungsentwicklungsprogramme verwendet (s. Kapitel 2.1.2 und 2.1.3).

In den Ohio-Studien wurden verschiedene Versuche gemacht, die Position der Führungskraft auf den Dimensionen mit deren Effektivität in ihrer Führungsrolle zu verbinden. Frühere Untersuchungen zeigten, dass die Mitarbeiter oft hohe Consideration bevorzugten und die Vorgesetzten hohe Initiating Structure schätzten. Doch stellte sich frühzeitig heraus, dass effektive Führungskräfte dazu tendierten, auf beiden hoch zu liegen (Halpin, 1957). Die früheren Studien ergaben jedoch nicht immer eindeutige Ergebnisse. So konnten z.B. Vorgesetzte der Luftwaffe von ihren Mitarbeitern als effektiver angesehen werden, wenn sie höher auf Initiating Structure lagen als wenn sie hoch auf Consideration lagen (Dubrin, 2001). Es gab frühe Indikatoren, dass die Situation des Führenden eine Bedeutung haben könnte, welcher Führungsstil als effektivster erlebt wurde.

2.1.2 Blake & Mouton‘s Managerial Grid

Blake & Mouton (1964) haben ein Modell eingeführt, das in hohem Maße auf den Ohio Studien aufbaut. Ihr ”Managerial Grid” beinhaltet eine Beurteilung der Führungskraft auf den Dimensionen ”Produktionsorientierung” (vergleichbar mit Initiating Structure) und ”Mitarbeiterorientierung“, (vergleichbar mit Consideration). Die Skalen für jede Dimension reichen von 1 – 9, in der Regel werden jedoch nur Kombinationen der Extremwerte, also 1 – 1, 1 – 9, 9 – 1, 9 – 9 und die Mitte 5 – 5 die behandelt.


Abbildung 1: Managerial Grid nach Blake & Mouton

1 – 1 (Impoverished Management) bedeutet, dass die Führungskraft weder die Aufgaben noch die Mitarbeiter in der Organisation betont, 1 – 9 (Country Club Management) die Führungskraft betont die Mitarbeiter aber nicht die Produktion, 9 – 1 (Authority-Compliance Management) die Produktion wird betont, nicht aber die Mitarbeiter, 9 – 9 (Team Management) beide – Mitarbeiter und Produktion – werden betont. Blake & Mouton empfehlen den 9 – 9 Stil für alle Führungskräfte unabhängig der Führungssituation. Damit nehmen sie keine Rücksicht auf die Situation, in der sich die Führungskraft befindet. Das hingegen wird im nächsten Modell berücksichtigt.

2.1.3 Hersey & Blanchard‘s Situational Leadership Model

Hersey & Blanchards (1977) ”Situational Leadership Model“ gibt Empfehlungen, wie die Führungskraft ausgehend von ihrer Situation den Führungsstil anpassen soll. Sie betrachten keinen bestimmten Führungsstil, als den anderen generell überlegen. Sie meinen, dass man nur mit Ausgangspunkt der Situation der Führungskraft, eine Aussage treffen kann, ob ein gewisser Stil besser ist als ein anderer. Hersey & Blanchard betrachten die ”Reife” des Mitarbeiters als die wichtigste situative Variable. Reife Mitarbeiter haben sowohl die Fähigkeit, die Arbeit auszuführen als auch die Motivation hierzu. Fähig – unfähig und motiviert – unmotiviert ergeben vier Kombinationsmöglichkeiten und damit vier verschiedene Situationen für die Führungskraft. Bezüglich der Führungsstile gehen auch Hersey & Blanchard von den Ohio Untersuchungen aus, auch wenn sie ihre zwei Dimensionen ”Relationship Behavior” (Consideration) und ”Task Behavior” (Initiating Structure) nennen. Ihre Empfehlung ist, dass bei sehr reifen Mitarbeitern, die sowohl fähig als auch motiviert sind, ein delegierender Führungsstil zu bevorzugen ist. Einen delegierenden Führungsstil zeigen Führungskräfte, die in ”Relationship Behavior” und ”Task Behavior” niedrig liegen. Wenn die Mitarbeiter unmotiviert aber fähig sind (mäßige bis hohe Reife in Abb. 2), sollte die Führungskraft einen teilnehmenden Führungsstil (Participating: hohes Relationship Behavior, niedriges Task Behavior) zeigen. Sind die Mitarbeiter unmotiviert und unfähig (geringe Reife in Abb. 2) benötigt die Führungskraft einen instruierenden Führungsstil (Telling; hohes Task Behavior, niedriges Relationship Behavior) und wenn die Mitarbeiter motiviert aber unfähig sind (geringe bis mäßige Reife in Abb. 2) benötigt sie einen verkaufenden Führungsstil (Selling; hohes Relationship Behavior, hohes Task Behavior).

 

Abbildung 2: Situational Leadership Model nach Hersey & Blanchard (aus Rosenstiel, 1993, S. 345)

Hersey & Blanchards Modell ist im Kontext der Führungsentwicklung sehr beliebt geworden, auch wenn fehlende empirische Belege für die Gültigkeit des Modells beklagt werden (Neuberger, 1980). Man kann auch anmerken, dass die Definition der Situation der Führungskraft begrenzt ist. Es sollten auch andere situative Faktoren als die “Reife“ der Mitarbeiter berücksichtigt werden.

2.1.4 Bass: Transformative vs. Transactional Leadership

Bass (1990) stellt ein Modell vor, das nicht direkt auf den Ohio Studien aufbaut, auch wenn beide gewisse Ähnlichkeiten haben. Bass lehnt sich an Burns (1978) an, indem er zwischen ”Transformative Leadership” und ”Transactional Leadership” unterscheidet.

Transformative Führungskräfte motivieren die Mitarbeiter dadurch, dass sie an höhere Werte appellieren, so dass die Mitarbeiter sich über das hinaus einsetzen, was normalerweise von ihnen erwartet wird. Das wird dadurch erreicht, dass die Führungskraft Charisma besitzt (eine Vision hat und ein Gefühl gibt, eine gemeinsamen Aufgabe zu haben), inspirierend ist (hohe Erwartungen kommuniziert), individuelle Aufmerksamkeit und intellektuelle Stimulation (neue Ideen hat, die die Mitarbeiter herausfordern) gibt.

Führungskräfte mit „Transactional“ Führungsstil dagegen, passen sich an die Anforderungen der Organisation an und fördern Zielerreichung durch materielle Belohnungen (Contingent Reward). Sie machen deutlich, welches Verhalten für die Zielerreichung wünschenswert ist. Damit ähnelt diese Dimension zum Teil ”Initiating Structure“. Sie verlassen sich auch auf Management by Exception, d.h. dass mit Eingriffen gewartet wird, bis etwas falsch läuft. Bass & Avolio (1990) behandeln zwei Varianten von Management by Exception: Einer aktiven, bei der nach Fehler/Abweichungen gesucht wird und (wie früher) einer inaktiven, bei der das Eintreffen von Fehler/Abweichungen abgewartet wird.

Man kann nicht sagen, dass transformative Führung das Gleiche ist wie ”Consideration”. Es beinhaltet Teile, wie Visionen zu schaffen, Ideen zu generieren und Anforderungen zu stellen sind, die nicht direkt von ”Consideration” abgedeckt werden (vielmehr aber von dem Change-Konstrukt in den Kapiteln 2.1.5 und 2.1.6). Den Mitarbeitern Aufmerksamkeit zu widmen, stimmt mit ”Consideration” überein.

Das Modell will alte und neue Führungsstile unterscheiden. Die Aufteilung hat Parallelen zu der Diskussion um Leadership contra Management, die u.a. von Kotter (1990) geführt wurde. Bass hat gezeigt, dass Transformative Führungskräfte von ihrer Umwelt oft positiv beurteilt werden. Das gilt auch für Führungskräfte mit dem Transactionalen Führungsstil, wenn auch nicht in gleich hohem Ausmaß. Bass erwähnt auch eine dritte Kategorie, die er ”Laissez-Faire” Führungsstil (oder Non-Führungsstil) nennt, d.h. die Abwesenheit des Transformativen oder Transactionalen Führungsstil, die allgemein negative Konsequenzen mit sich zieht.

Effiziente Führung entspricht sehr hohen Werten auf den vier transformativen Verhaltensweisen, hohe Werte auf Contingent Reward, etwas von Management by Exception - aktiv, wenig von Management by Exception - passiv und minimal von laissez-faire Verhalten. Bei ineffizienter Führung ist das Verhältnis zwischen den Verhaltensweisen gerade umgekehrt.

Während transaktionale Führung zur erwarteten Leistung der Mitarbeiter führen soll, soll transformative Führung Leistungen über die Erwartungen hinaus (performance beyond expectations) erzielen. Diese postulierte additive Wirkung transformativer Führung wird Augumentationseffekt genannt (Bass, 1985). Statistisch bedeutet dies, dass Messungen von transformativer Führung unique Varianz in Erfolgskriterien erklären soll, d.h. über das hinaus was durch Messungen von transaktionaler Führung erklärt wird. Der Augumentationseffekt ist mehrmals bestätigt worden (Heinitz, Liepman & Felfe, 2005)

Bass Theorie ist auch kritisiert worden. MLQ (Multifactor Leadership Questionnaire, verschiedene Versionen) ist die von Bass entwickelte Methode zur Messung seiner Führungstaxonomie. Forscher haben Probleme, die Faktorenstruktur des MLQ‘s zu bestätigen. Die 4 transformativen Skalen korrelieren manchmal so hoch miteinander, dass in Frage gestellt wird, ob sie als getrennte Konstrukte betrachtet werden können (Northouse, 2004, S. 185). Contingent Reward gehört laut dem Modell zu transaktionaler Führung, korreliert aber normalerweise höher mit den ”Transformative” Skalen (Yukl, 2006, S. 264). Eine andere Kritik gilt der Behauptung von Avolio, Bass & Jung (1999), dass das Modell ein ”Full Range Model” der Führung sei. Michel, Lyons & Cho (2011) zeigen, dass Yukl‘s Fragebogen MPS (Managerial Practices Survey, Yukl, Wall & Lepsinger, 1990, zur Operationalisierung seines Flexible Leadership Model‘s, s. Kapitel 2.1.6), generell mehr und zu MLQ zusätzliche Varianz in Führungskriterien aufklärt.

2.1.5 Ekvall & Arvonen‘s CPE Modell

Unter den Modellen, die an die Ohio Studien anknüpfen, findet man einen Beitrag von Ekvall & Arvonen (1991); das CPE-Modell (Change, Production, Employee - Modell). Ekvall, Arvonen & Nyström (1987) diskutierten bereits früher ausführlich die zunehmende Wichtigkeit der Aufgabe von Führungskräften, Veränderungen zu managen. Ekvall (1988) nennt 1984 das Jahr, in dem in einem Datenmaterial ein Veränderungsfaktor hervortrat (als ein Nebenprodukt eines größeren Forschungsprojekts). Ekvall & Arvonen (1991) haben verschiedene Untersuchungen mit 360 Grad Feedback Formularen, vergleichbar den in den Ohio Studien durchgeführt. Sie haben dabei gezielt neue Items aus dem ”Veränderungsbereich” hinzugefügt. Als sie ihre Ergebnisse faktorenanalysierten fanden sie, dass außer den klassischen Ohio Dimensionen auch ein neuer Faktor hervortrat, der Fragen beinhaltete, wie sich Führungskräfte gegenüber Veränderungen in Organisationen verhalten. Sie bezeichneten diesen Faktor ”Change” und die klassischen Faktoren ”Employee” (manchmal auch ”Relation”) und ”Production” (manchmal auch “Structure“).


Abbildung 3: Ekvall & Arvonens CPE Modell (nach Ekvall & Arvonen, 1991, S. 25)

Ihre Untersuchungsergebnisse konnten repliziert werden, sowohl von ihnen selbst wie auch von Skogstad & Einarsen (1999) und Yukl, Gordon & Taber (2002, s. unten). Ekvall & Arvonen haben verschiedene Untersuchungen mit ihrem Modell durchgeführt, u.a. inwieweit situative Faktoren es beeinflussen, ob ein gewisser Führungsstil vorteilhaft ist (Ekvall & Arvonen, 1994, Arvonen & Ekvall, 1996) und wie verschiedene Führungsstile das Stresserleben der Mitarbeiter beeinflussen (Arvonen, 1995). Arvonen hat ein 360 Grad Instrument entwickelt, das Farax genannt wird und auf diesem Modell aufbaut.

2.1.6 Yukl & Lepsinger‘s Flexible Leadership Model

Yukl, Gordon & Taber (2002) und Yukl (2006) betrachten die drei Führungs-Dimensionen (Change, Task, Relation) als die besten Metakategorien, um Führung zu beschreiben. Yukl (2006) schreibt, dass in den 1990er Jahren diese drei Dimensionen in voneinander unabhängigen Untersuchungen in Schweden (Ekvall & Arvonen, 1991) und in den USA (Yukl, 1997) gefunden wurden. Yukl, Gordon & Taber (2002) zeigen in einer konfirmatorischen Faktorenanalyse, dass das dreidimensionale Modell den besten ”fit” bringt.

In Betracht der gemessenen Führungs-Dimensionen, sind sich das CPE-Modell von Ekvall & Arvonen (1991) und das Flexible Leadership Model von Yukl & Lepsinger (2004) sehr ähnlich. Es sind im Grunde die gleichen drei Führungs-Dimensionen, die gemessen und in verschiedenen Untersuchungen benutzt werden. Yukl & Lepsinger (2004) bauen aber viel mehr Führungstheorie in ihrem Modell ein. Ihr in dieser Hinsicht viel umfassenderes Modell wird unten dargestellt.

Die theoretische Basis des Modells sieht Yukl primär in den Zielen des Führens. So ist das Ziel von Task Behavior Effektivität und Reliabilität der Arbeitsprozesse, das Ziel von Relation Behavior Einsatzwille, Vertrauen und Kooperation und die Ziele von Change Behavior innovative Verbesserungen und Anpassung an externe Veränderungen. Diese Idee wird in Yukl & Lepsinger‘s (2004) Flexible Leadership Model weiter entwickelt. Das Modell baut ganz auf den drei Führungs-Dimensionen auf. Das Flexible Leadership Model sei eine ”comprehensive explanation of the challenges facing leaders and the requirements for effective leadership” (S. 11). Der von Yukl entwickelte Fragebogen zur Messung der drei Führungs-Dimensionen heißt MPS (Mangerial Practices Survey, Yukl, Wall & Lepsinger, 1990).


Abbildung 4: Model of Flexible Leadership, nach Yukl & Lepsinger (2004)

Das Modell besteht aus vier Komponenten: Organisatorische Effektivität (Organizational Effectiveness/Performance), leistungsbestimmende Faktoren (Performance Determinants), Situationsfaktoren/Variablen (Situational Factors) und direkte und indirekte Formen der Führung (direct and indirect Forms of Leadership). Mit organisatorischer Effektivität meint Yukl das langfristige Wohlergehen und Überleben der Organisation. Die organisatorische Effektivität hängt von drei leistungsbestimmenden Faktoren (LBF) ab: 1. Effektivität & Prozessreliabilität, 2. Human Resources & Relationen und 3. Innovation & Anpassung.

Die Integrierung des dreidimensionalen Führungsmodells folgt, indem postuliert wird, dass die drei Führungsstile sich dazu eignen, unterschiedliche leistungsbestimmende Faktoren zu fördern. So ist Aufgabenorientierung (Task Behavior) geeignet um Effektivität & Prozessreliabilität zu stärken, Relationsorientierung (Relation Behavior) um Human Resources & Relationen zu stärken und Veränderungsorientierung (Change Behavior) um Innovation & Anpassung zu stärken. Das Flexible Leadership Model trennt dabei zwischen direkter Führung (konkretes Verhalten in Führungssituationen) und indirekter Führung. Die letztere beschreibt Programme, Managementsysteme und formelle Strukturen, die von (vor allem höheren) Führungskräften implementiert werden können, um leistungsbestimmende Faktoren zu beeinflussen. Solche Programme/Strukturen/Systeme können teilweise konkretes Führungsverhalten ersetzen (oder verstärken) in Bezug auf dessen Einfluss auf die leistungsbestimmenden Faktoren. Die Situation wird berücksichtigt, indem sie den Einfluss der leistungsbestimmenden Faktoren auf die organisatorische Effektivität moderiert. Durch eine auf die Situation angepasste Stärkung (oder Schwächung) der leistungsbestimmenden Faktoren wird die organisatorische Effektivität erhöht. Im Folgenden werden die Beziehungen der Konstrukte des Flexible Leadership Models (Yukl & Lepsinger, 2004) mit Beispielen erläutert.

Situation A: Die Strategie der Organisation ist es, Produkte und/oder Dienste zu niedrigeren Preisen als die Konkurrenten anzubieten. Hintergrund dieser Strategie ist z.B., dass die Organisation auf einem reifen Massenmarkt mit harter Konkurrenz tätig ist, oder es kann sein, dass der Markt fragmentiert ist und das obere Management zu der Entscheidung kommt, dass ein Anbieter fehlt, der auf niedrige Preis setzt (die niedrige Preisnische ist noch nicht besetzt).

Leistungsbestimmende Faktor: Effektivität & Prozessreliabilität, d.h. das Einsetzen von Personal und Ressourcen auf eine kostenminimierende Weise (Produktivität steigern). Bei Prozessreliabilitiät geht es um eine Produktion von Produkten oder Diensten, die Verzögerungen, Fehler, Qualitätsprobleme und Unfälle minimiert. Diese beiden Ziele können potentiell einander entgegenwirken, aber durch z.B. weitgetriebene Standardisierung können auch beide erreicht werden.

 

Passendes direktes Führungsverhalten (Führungsstil): Aufgabenorientierung (Task Behavior/ Initiating Structure), d.h. ein Führungsstil bei dem folgendes betont wird: Planung mit eher kurzem Zeithorizont; Klärung von Rollen und Zielen; Überwachung von Prozessen und Leistung; Lösung von operativen Problemen.

Passende indirekte Führung (formale Programme, Management Systeme und formale Strukturen): Zielsetzungsprogramme (z.B. MBO, Null Fehler); Qualität- und Prozess-verbesserungsprogramme (z.B. Reeingineering, TQM, Six Sigma); Kostenreduktions-programme (z.B. Downsizing, Outsourcing, Just-in-time); Performance Management Systeme (Zielsetzung, Feedback, Leistungsbeurteilung); Organisatorische Strukturveränderungen (z.B. funktionelle Spezialisierung, Formalisierung, Standardisierung); Anerkennungs- und Anreizsysteme (fokussiert auf die Belohnung von Effektivität und Reliabilität).

Situation B: Die Strategie der Organisation ist es, qualifizierte Dienste zu liefern, die von Experten ausgeführt werden. Diese Situation setzt einen hohen Grad an Fähigkeit und Motivation der Mitarbeiter voraus. Weil die Mitarbeiter hoch qualifizierte Experten sind, können sie einfach zu einem Konkurrenten wechseln und/oder sich selbständig machen.

Leistungsbestimmende Faktor: Human Resources & Relationen, d.h. Rekrutierung, Entwicklung und Bindung von fähigen und motivierten Mitarbeitern und das Sichern von gegenseitigem Vertrauen und guter Zusammenarbeit in den Arbeitsgruppen.

Passendes direktes Führungsverhalten (Führungsstil): Relationsorientierung (Relation Behavior/Consideration), d.h. ein Führungsstil bei dem folgendes betont wird: Unterstützung und Förderung; Leistungen und Beiträge beachten; Fähigkeiten und Selbstvertrauen der Mitarbeiter entwickeln; bei Entscheidungen relevante Personen konsultieren; Mitarbeiter ermächtigen, ihre Arbeitsaufgaben mehr selbständig/autonom zu lösen; Vertrauen, Zusammenarbeit und Identifikation mit der Organisation fördern.

Passende indirekte Führung (formale Programme, Management Systeme und formale Strukturen): HR Planung (Talent Management, Nachfolgeplanung, Rekrutierung und Auswahlprogramme); Mitarbeiter Entwicklungsprogramme (Schulungen, Mentorprogramme, 360 Grad Feedback, Assessment Centers); Empowerment Programme (Mitarbeiter Teilhabe- Programm, selbstregulierende Arbeitsgruppen, Mitarbeiterräte); Anerkennungs- und Anteilsysteme (Fokus auf der Verstärkung von Loyalität, Service, Fähigkeitserwerb); Qualität des Berufslebens (flexible Arbeitszeiten, Job-sharing, Kinderbetreuung, Sportmöglichkeiten); Karriereberatung und Teambuilding Programme (Sozialisations- und Assimilations-programme, Organisationsfeiern, systematische Anwendung von Symbolen, Ritualen und Zeremonien).

Situation C: Die Organisation ist in einer Branche mit sehr kurzen Produktlebenszyklen und hartem Druck, ständig neue Produktmodelle zu entwickeln tätig. Die Strategie der Organisation ist es, an vorderster Reihe mit neuen Produkten auf dem Markt zu stehen und Innovationsleiter zu sein. Eine andere Situation kann sein, dass eine früher vor Konkurrenz geschützte Organisation durch politische Entscheidungen der Konkurrenz ausgesetzt wird. Dies stellt neue und große Anforderungen an einen Kulturwandel (in Richtung Kunden-/Marktorientierung) und damit zusammenhängende Veränderungen der Arbeitsweisen.

Leistungsbestimmende Faktor: Innovation & Anpassung, d.h. passende Reaktionen auf Bedrohungen und Möglichkeiten, neue Wege zu finden um Materialien und Ressourcen zu akquirieren, Maßnahmen um den Absatz zu steigern.

Passendes direktes Führungsverhalten (Führungsstil): Veränderungsorientierung (Change Behavior), d.h. ein Führungsstil bei dem folgendes betont wird: Überwachung der Umwelt; Identifikation einer relevanten Konkurrenzstrategie unter Berücksichtigung von Kernkompetenzen der Organisation und der Umwelt; formulieren und kommunizieren einer attraktiven Vision; interne und externe Unterstützung für die notwendigen Veränderungen aufbauen; das Implementieren notwendiger Veränderungen; kreatives Denken ermuntern; kollektives Lernen fördern.

Passende indirekte Führung (formale Programme, Management Systeme und formale Strukturen): Innovationsprogramme (Intrapreneurprogramme, formelle Ziele für Innovation und Kommerzialisierung, Budget für Forschung und Produktentwicklung); Programme um Konkurrenten zu verstehen (vergleichende Produkttests, Benchmarking von Produkten und Diensten der Konkurrenten); Programme um Kunden und den Markt zu verstehen (Marktuntersuchungen, Fokusgruppen, Kundenpanelen, Kunden-Relationsteams); Kenntnisse erweitern (Consultants beschäftigen, joint ventures, best-practice von anderen Organisationen übernehmen); Programme für kollektives Lernen (kontrollierte Experimente, durchgeführte Maßnahmen überprüfen); Knowledge-Management Systeme (Expertenverzeichnisse und Netzwerke, best-practice Forums, Datenbanken für Knowledge-Sharing; Anerkennungs- und Anreizsysteme (fokussiert auf Belohnung von Innovation und Anpassung); Strukturveränderungen (kleine Produktabteilungen, Produkt Managers, funktionsübergreifende Entwicklungsteams, Gestaltung der Räumlichkeiten für höhere Kreativität, R&D Abteilungen); Wachstums- und Diversifikationsstrategien (Erwerb, strategische Allianzen, Auslandstöchter).

2.1.6.1 Kommentare zum Flexible Leadership Model

Das Modell geht von den gut erforschten drei Führungsdimensionen aus und setzt sie in einen organisatorischen Zusammenhang. Yukl & Lepsinger (2004) betonen, dass das Modell umfassender ist als viele andere. Das Modell gehört eher, wie Mahsud, Yukl, & Prussia (2011) bemerken, zum strategischen Management; es verknüpft Führungsverhalten mit Managementtheorie und erklärt welches Verhalten und welche organisatorischen Strukturen wann und warum erfolgreich seien. Es geht weniger um genaue, praktische Anleitungen wie man gewisses Führungsverhalten richtig ausführt (z.B. wie man ein gutes Mitarbeitergespräch hält, konkrete Techniken um Mitarbeiter erfolgreich zu motivieren etc.).

Kaiser & Overfield (2010) stellen fest, dass es keine explizite Definition von ”Flexible Leadership” im Buch (Yukl & Lepsinger, 2004) gibt. Die Benennung ”Flexible Leadership” hängt aber wohl damit zusammen, dass Yukl & Lepsinger (2004) betonen, wie wichtig es für Führungskräfte sei, verschiedene Ziele laufend gegeneinander zu balancieren und ihr Führungsverhalten und ihre Entscheidungen über Programme und Strukturen, entsprechend anzupassen (”The real art of Leadership is to perform a balancing act”. S. 217). Allerdings ist es m.E. widersprüchlich, dass sie am Ende ihres Buches sechs Führungsprozesse und fünf Führungskompetenzen als generell wünschenswert präsentieren. Diese sollen sämtliche das ”Flexible Leadership” begünstigen. Der Kritikpunkt gilt vor allem den sechs Führungsprozessen: 1. Build commitment to a core ideology, 2. Build capable leadership at all levels, 3. Involve and empower people at all levels, 4. Keep lines of communication open, 5. Use rewardsystems to support multiple objectives, 6. Encourage and exemplify leadership by example. Punkt 1. hat deutlich mit dem LBF Innovation und Anpassung zu tun, Punkte 2. und 3. deutlich mit dem LBF Human Relations and Resources zu tun. Es scheint widersprüchlich, zuerst das Balancieren und Anpassen des Führungsstils an der Situation und den Zielen zu betonen, um danach doch mehrere der besprochenen Verhaltensweisen als generell passend zu empfehlen.

Der Kritikpunkt gilt weniger den fünf Kompetenzen (1. Maintain situational awareness, 2. Embrace system thinking, 3. Focus on what is really important, 4. Maintain self-awareness, 5. Preserve personal integrity). Punkte 1 bis 3 sind hauptsächlich kognitive Leistungen und es gibt starke Belege dafür, dass GMA (General Mental Ability), gerade für komplexe Berufe, ein sehr guter Prädiktor ist (Schmidt & Hunter, 2004). Damit macht es Sinn zu behaupten, dass diese Kompetenzen generell wünschenswert für Führungskräfte sind. Punkte 4. und 5. scheinen wichtig und sind zumindest nicht eindeutig durch die Verhaltensdimensionen im ”Flexible Leadership Model” (Abbildung 4) abgedeckt.