Buch lesen: «Die Wenderin»

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Sonja Raab

DIE WENDERIN

Eine schamanische Reise

vom Ybbstal nach Kanada

und retour

ENNSTHALER VERLAG STEYR

Autor, Verlag, Berater, Vertreiber, Händler und alle anderen Personen, die mit

diesem Buch in Zusammenhang stehen, übernehmen keine Haftung für eventuelle Folgen, die direkt oder indirekt aus den in diesem Buch gegebenen Informationen resultieren oder resultieren sollten. Es wird darauf hingewiesen, dass alle Angaben trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr erfolgen und eine Haftung des Verlages ausgeschlossen ist.

Für das Kapitel 8 – »Das Wenden aus kulturanthropologischer Sicht« – hat Frau Katrin Roseneder Teile ihrer Diplomarbeit (WenderInnen als »SchamanInnen Österreichs«?, Wien 2010) zur Verfügung gestellt.

www.ennsthaler.at

1. Auflage 2014

ISBN 978-3-7095-0036-1 EPUB

Sonja Raab . Die Wenderin

Alle Rechte vorbehalten

Copyright © 2013 by Ennsthaler Verlag, Steyr

Ennsthaler Gesellschaft m.b.H. & Co KG, 4400 Steyr, Österreich

Satz & Umschlagestaltung: Thomas Traxl, Steyr

Umschlagmotiv & Fotos: Sonja Raab

Vorwort

Du kannst die Natur nicht mögen oder hassen. Du kannst nicht »raus gehen« in die Natur oder »rein kommen« aus der Natur. Du kannst dich nicht mit der Natur verbinden oder von ihr lösen. Du BIST Natur. Durch und durch. Du bist innen drin Natur, außen umgeben von Natur, Teil davon, Bestandteil aus dem selben Material wie alles um dich herum. Wenn du das begriffen hast, dann wirst du auch wissen, dass du dich nicht entfernen kannst von der Natur. Du kannst dich in einen kahlen betonierten Raum setzen und bist trotzdem Natur und du bist auch umgeben von Natur, denn alles um dich herum, egal ob aus Metall, Plastik, Erde oder Papier, kommt aus der Natur, wurde aus Natur gemacht, wurde aus der Natur geboren. Und alles was aus der Natur geboren wurde trägt Liebe in sich denn ohne Liebe wäre NICHTS. Wenn die Liebe nicht da gewesen wäre, die nötig ist um etwas Großartiges zu schöpfen, dann gäbe es keine Natur. Dann gäbe es auch dich nicht. Und es gäbe keine Wolken, keine Tiere, keine Steine und Pflanzen, kein Zusammenwirken von verschiedenen Elementen innerhalb dieser Konstruktion, kein Ergänzen und Vereinen. Ohne Liebe entsteht nichts. Und da muss Begeisterung sein. Denn Begeisterung, das heißt, dass etwas voller Geist ist. Voller Seele. Und ohne Begeisterung kann nichts Wundervolles entstehen. Nichts, das voller Wunder ist. Be-geistern, das bedeutet, dass man etwas mit Geist füllt. Wenn also alles was ist, gefüllt ist mit Liebe, voller Geist und voller Wunder, dann verbindet das die Dinge. Die Bäume mit den Menschen, die Tiere mit den Pflanzen, die Steine mit den Sternen und so weiter. Alles ist dann aus den selben Grundmaterialien entstanden, geschaffen, hervorgebracht worden. Alles ist verbunden und ist durch und durch Natur. Wenn wir aber nun alle verbunden sind und durch und durch Natur sind, voller Liebe und voller Wunder und voller Begeisterung … Dann braucht der Berg das Tal, um Berg sein zu können und das Tal braucht den Berg, um Tal sein zu können. Wir bedingen einander, das Eine wäre ohne das Andere nicht möglich. Und es gäbe kein DU und ICH mehr, sondern es wäre ein WIR aus ganzem Herzen. Nicht weil wir MÜSSEN, sondern weil es ganz einfach so IST. Weil das WIR der Grundstein ist für das HEILIGE. Es gäbe dann nicht einen Gott der im Himmel sitzt und lenkt und bestimmt, und wir wären nicht die kleinen Menschen, die tun was er sagt und sonst in der Hölle landen. Sondern wir selbst wären heilig. Göttlich. Wir wären die Wahrheit und wir wären das heilige Kind zwischen Vater Himmel und Mutter Erde. Wenn das nun so ist, wie kann es dann Kriege geben und Hass, Falschheit und Verbohrtheit, Verlogenheit und Neid und Machtgier und Entsetzen? Es kommt daher, weil der Mensch seine Natur vergessen hat. Der Mensch hat sich plötzlich für die Krone der Schöpfung gehalten und hat gemeint, er könne seiner Natur entkommen und etwas noch viel Großartigeres werden, als all das, was ihn umgibt. Und da hat sich der Mensch geirrt. Denn es gibt nichts Großartigeres als Liebe und Begeisterung, Natur und Wunder. Es gibt nichts Großartigeres, als selbst die Mitte zu sein, umgeben von der Mutter die wiederum vom Vater umgeben ist. Beschützt und Geborgen in einer Vielfalt, die voller Herz und Geist und Heiligkeit und Leben und Wunder ist.

Der Mensch darf also lernen, seine Natur wieder zu sehen, zu spüren, wahrzunehmen. Er IST Natur. Durch und durch. Der Mensch hat seine Natur verdrängt und vergessen, ausgeschaltet, er will es nicht sehen, weil er selbst mächtig sein, lenken und steuern will und sein Schicksal bestimmen will. Er will sich nicht vorschreiben lassen von Ebbe und Flut, Mondstand oder Tag-Nacht-Rhythmus, Pflanzen oder Steinen, Sternen oder Wasser. Darum hat er die Natur zu seinem Feind gemacht, den er besiegen muss. Berge werden nicht mehr erwandert, sondern bezwungen. Gegen den Regen gibt es Schirme, gegen die Sonne eine Brille. Der Mensch meint, die Natur würde ihn mit Naturkatastrophen bekämpfen. Sogar Hurrikans bekommen einen menschlichen Namen. Sie heißen Sandy oder Katharina. Das gibt der bösen Natur einen menschlichen Namen und fortan wird jede Erdbewegung als feindlicher Angriff gewertet, der bekämpft werden muss. Flüsse müssen begradigt werden, Muren werden durch den Bau von Mauern aufgehalten, Lawinenschutz gegen den Schnee usw. Wir wollen unabhängig sein von der Natur und dabei stolpern wir über unsere eigenen Beine. Weil wir ja selbst ein Teil davon sind. Da wird der Mensch dann natürlich wütend und er beginnt um sich zu schlagen. Er sägt dann die Bäume ab die seine Geschwister sind. Er würde auch die Sterne vom Himmel holen, wenn er könnte. Er sprengt die größten Felsen, macht Berge platt und zwängt den Fluss in Bahnen. Aber das genügt ihm nicht und darum zeigt er autoaggressives Verhalten und vernichtet sich selbst. Und dieses Verhalten zeigt sich in vielerlei Formen. Es zeigt sich in Allergien, die der Mensch gegen die Natur (gegen sich selbst) entwickelt hat. Es zeigt sich in Selbsthass, zu wenig Selbstvertrauen, zu wenig Selbstliebe, in Depressionen oder Krankheiten, seelischem Ungleichgewicht und vielen anderen Symptomen.

Die einfachste Methode, einen Menschen von solchem selbstzerstörenden Verhalten abzubringen oder die Symptome und die Ursache gleichzeitig zu heilen ist, ihn wieder seine Natur spüren zu lassen. Ihn zurück zu führen in seine Natur, die er zwar immer war, die er aber nicht mehr angenommen/ wahr-genommen hat. Als Heiler hat man also nicht die Aufgabe, den Menschen möglichst viel Geld abzuknöpfen, Macht zu erlangen und dann wie ein Gott oder ein Guru die Menschen von oben herab zu »heilen«, um ihnen zu zeigen wie toll man ist. Sondern man hat die Aufgabe, den Menschen ihre wahre Natur zu zeigen. Und dieser Weg der Heilung ist im Grunde so einfach, dass es beinahe schon lächerlich ist, es zu erklären. Wenn man erst einmal versteht, wie einfach Heilung funktioniert, dann fragt man sich, wieso man jemals Unmengen Geld dafür ausgegeben hat, wieso man lange Leidenswege auf sich genommen hat, wieso so viel Schmerz und Leid notwendig sind, um gesund zu werden. Und ganz besonders verwirrend erscheint dann die Tatsache, dass alles, was zur Heilung notwendig ist, da ist. Jeder Mensch hat alles, was er braucht um heil und gesund zu sein. Der Mensch hat die Erde unter sich und den Himmel über sich und das Herz in sich. Und jeder Mensch trägt selbst die Verantwortung für seine Gesundheit, für sein Heil-Sein, für sein Leben. Das ist eine Chance. Manche empfinden das dann als »Schuld« – sie sagen: »Heißt das also, ich bin selber schuld daran, dass ich krank bin?« Aber es ist keine Schuld. Es ist eine Chance, die Dinge selber in die Hand zu nehmen und vom Opfer zum Jäger zu werden. Wenn man sein eigener Chef ist, dann ist man nicht mehr abhängig von Ärzten, Gurus, Heilern oder anderen. Natürlich sollte man trotzdem nicht zu stolz sein, Hilfe anzunehmen, wenn man Hilfe braucht. Aber man trägt die Verantwortung für seine Handlungen selbst.

In da Perchtnocht

soi koa Wäsch am Lein’l hänga

weil do d’Percht und ihre G’sön ummagengan.

Koa Gluat im Ofn und koa offns Liacht

und friah schlof’n geh damit sie s’Kind net fiacht.

A Schissal Perchtmüch am Kuchltisch steh lossn

und wer in meistn Rahm am Löffi hot ,

kann si aufs Glick im neichn Johr valossn!

Oan Tog vor Dreikini ois sche zaummenrama,

de Jack’n auf de Sessln san da Percht a Graus!

Dann san de Percht und ihre Zottawaschln z’friedn,

und gengan wieda z’Haus.

(In der Perchtnacht soll keine Wäsche auf der Leine hängen, weil da die Percht und ihre Gesellen rumgehn. / Keine Glut im Ofen und kein offenes Licht und früh schlafen gehen, damit sich das Kind nicht fürchtet. / Eine Schüssel Perchtmilch am Küchentisch stehen lassen und wer den meisten Rahm auf seinem Löffel hat, kann sich auf das Glück im neuen Jahr verlassen! / Einen Tag vor Dreikönig alles schön aufräumen, die Jacken auf den Sessellehnen sind der Percht ein Graus! / Dann sind die Percht und ihre zotteligen Gesellen zufrieden und gehen wieder nach Hause.)

Kapitel 1
DER URSPRUNG

Erst als ich aufhörte zu suchen und gleichzeitig damit aufhörte zu finden, begann ich wirklich zu leben. Was gestern noch die höchste Weisheit und die höchste Wahrheit war, ist heute völlig bedeutungslos. Es gibt keine Wahrheit und keine Weisheit. Es gibt auch keine Weisen oder Meister und keine Lehren. Die Menschen sind gehetzt. Sie suchen ununterbrochen. Sie suchen und suchen und suchen und dann meinen sie gefunden zu haben, eine Weile genügt ihnen das und dann suchen sie erneut, bis sie wieder finden, worauf wieder ein Suchen folgt. Es nimmt kein Ende und in der ganzen Zeit die sie suchen und finden und wieder suchen, vergessen sie, wer sie sind, was sie eigentlich wollen oder wozu sie da sind, wo ihre Kraft ist und wie sie dazu gekommen sind. Sie leben nicht! Die Dinge SIND einfach nur. Sie sind weder gut noch schlecht, weder weise noch dumm. Ist ein Stein dumm? Oder ein Berg weise? Oder ein Blatt gut? Und ein Fluss schlecht? Nein, sie sind weder das Eine noch das Andere. Sie SIND einfach nur. Wieso sollte es beim Menschen anders sein? Aber kaum hat ein Mensch das verstanden, ermächtigt er sich selbst und wird WEISE. Und damit beginnt das Unglück, denn dann kommen die Dummen zum Weisen und wollen seine Lehren wissen, wollen erfahren, was diesen Menschen so glücklich macht und blöderweise kommen dann auch noch die Neider dazu! Und so hängen an diesem erwachten Menschen, der gesucht und gefunden hat, plötzlich unheimlich viele Menschen dran. Wie unsichtbare Fäden, die sich dahin spinnen und dorthin spinnen und über diese unsichtbaren Fäden wird Energie abgezogen bis dieser Meister, dieser Guru, der Erwachte, ein Nichts ist. Oder umgekehrt, der Weise, Erwachte Guru ist auch noch egoistisch und ENTZIEHT mit diesen unsichtbaren Fäden den Dummen die Kraft. Er benutzt die Kraft um sein Ego zu stärken oder um Macht zu erlangen oder um Geld damit zu verdienen. So läuft es doch meistens. Nicht nur mit Gurus und Weisen und Erwachten, sondern auch mit Heilern und Schamanen, Buddhisten und Christen, Islamisten und anderen Religionen, Weisheiten, Lehren, Politik oder auch einfach nur im kleinen Dorfgefüge zwischen den Autoritäten und den Untergebenen.

Trotz allem war mein Leben vor dieser Erkenntnis nicht vergeudet. Es war ein Weg. Ein Weg, der noch nicht zu Ende ist und der vielleicht auch nirgendwo begonnen hat und niemals enden wird, sondern immer war und ewig IST. In irgendeiner Form, in irgendeinem Raum, in irgendeiner Zeit. Ein Weg, der auch auf diese Weise weiter bestehen wird. Irgendwie. Irgendwo. »Irgendwo ist nirgendwo« sagte einmal ein Freund. Es gibt eben Dinge, die nicht greifbar, nicht fassbar sind, die man weder mit Worten beschreiben noch mit dem Verstand erfassen kann.

Es hat lange vor meinem Leben begonnen. Da war eine Stadt und Menschen mit langen Kleidern. Es war voller Liebe und voller Hingabe an das Göttliche. Es war nicht körperlich. Nicht greifbar. Irgendwo da draußen. Nicht hier auf der Erde. Als es zu Ende ging, zog mich ein Strudel nach unten. Weit nach unten. Es war nicht schön. Es war wie Geburtswehen. Ein Drang, in eine bestimmte Richtung zu gehen. Es wurde fester und körperlicher. Drückend. Heiß. Unangenehm. Und das Nächste an das ich mich erinnern kann war, dass ich als Kolkrabe über das Land flog und die Sonne auf meinem Rücken trug. Ich schaute nach unten und sah Wälder soweit meine Augen blicken konnten. Keine Straßen oder Häuser, keine Autos, keine menschengemachte Dinge. Nur Wildnis. Und mitten in dieser Wildnis entdeckte ich einen Flusslauf. Ich folgte ihm und plötzlich sah ich einen Wasserfall an dem Kinder spielten. Menschenkinder mit brauner Haut und strahlendem Lächeln, glücklich und vollkommen. Ich hörte das Kinderlachen und sah das aufspritzende Wasser, wenn sie von Felsen in den Fluss sprangen. Und ich trug die Sonne auf meinem Rücken und flog über diese vollkommene, glückliche Welt mit ihren Menschenkindern. Danach folgte wieder ein Schnitt. Ich sah Glasbauten und Kristallwelten. Menschen, die Höheres anstrebten, die sich technisch entwickelten und mehr wollten vom Leben als bloß Wildnis und Glück. Sie wollten Erkenntnis und Wissen. Sie wollten den perfekten Menschen schaffen. Mit höchsten Technologien und Genmanipulation, mit Laboren in denen sie experimentierten. Doch ihre Glasbauten und Kristalle zersplitterten und versanken. Wieder änderte sich das Bild, ich stand am höchsten Punkt eines Maya-Tempels. Neben mir ein Priester und wir opferten den Göttern Kinder. Blutopfer. Wir baten die Götter um gute Ernten, um Gesundheit und Wohlstand und waren bereit, dafür Menschenleben zu geben. Es folgte ein mittelalterliches Szenario. Ein Mädchen sammelte Kräuter am Waldrand. Ich war ein junger Mann und verliebt in dieses Mädchen. Als sie mir die kalte Schulter zeigte, verpetzte ich sie und sie wurde gefoltert und schließlich getötet als Hexe. Und ich saß daneben und schrieb die Abläufe der Folter und die genaue Auswirkung mit Tinte auf Papier. Das Mädchen sollte mir auch in meinem jetzigen Menschenleben wiederbegegnen. Ich verliebte mich auf der Stelle in sie, schrieb ihr ein Gedicht, sie wusste sofort wieder wer ich bin, ihre Wangen röteten sich, sie schrieb von tiefen Gefühlen für mich. Eine gemeinsame Freundin erzählte, sie hätte geweint und wäre durcheinander … Danach hörte ich nie wieder von ihr, es war wohl Angst vor der Erinnerung.

waldelfe

dein elfenhaar glänzt im mondlicht

dein blick, verträumt

am liebsten würde ich dir die feder aus der hand nehmen

und damit vorsichtig deine wangen streifen

waldelfe ...

ist es liebe, was ich fühle?

oder ist es nur die erinnerung an ferne tage,

in einem anderen leben?

der knorrige alte baum kann sich vielleicht erinnern.

er weiss es ganz sicher.

der wind hat es ihm geflüstert,

als du deinen rücken an ihn gelehnt hast.

dein gesicht ist fast durchscheinend.

so, wie das bei elfen eben ist.

so zerbrechlich,

als dürfte man einen kuss nur hauchen,

um es nicht zu zerstören.

lichtwesen.

so feinstofflich.

wie ein schmetterling.

meine gefühle sind so unbeschreiblich,

seit ich dich gesehen habe.

ich glaube, waldelfe,

wir kennen uns schon sehr, sehr lange.

damals gab es noch einhörner und zwerge,

gnome, trolle und feen.

ich kann mich ein wenig erinnern.

fetzen wie aus einem vergessenen märchen.

nebel und krähen-gekrächze, kälte und eiszauber.

und du, waldelfe.

zerbrechlich und mit langem elfenhaar.

so weit weg, so lange verschollen, und nun wieder so nahe.

als ob du noch etwas zu sagen hättest,

und nochmal zurückgekommen wärst.

ich höre, waldelfe!!

erzähl mir von dir

vielleicht muss ich etwas lernen.

schön, dass du wieder da bist.

Und weiter flog ich durch Welten und Ebenen, ich goss schwarze Tinte in eine Schüssel gefüllt mit Wasser und schuf mir damit einen Spiegel, der mir mehr erzählen sollte aus den anderen Welten, anderen Ebenen, anderen Leben. Ich starrte in den schwarzen Spiegel als wolle ich ein 3-D-Bild erkennen, mein Blick war verschwommen und dann tauchten weitere Bilder auf: Ich sah Feuerschein und Maskentänze, nackte schwitzende Leiber im Trancetanz. Holzmasken mit langen Schnäbeln, ekstatische Tänze. Eine Weile verharrte ich in meiner Reise vor einem Bild von türkisgrünem Meerwasser. Ich sah mich als rundliche dunkelhäutige Frau mit langen schwarzen Locken. Ich stand bis zur Hüfte im Wasser, links und rechts neben mir zwei Holzpflöcke, an denen ich mich festhielt, während ich auf diese Weise stehend und im Wasser mein Kind zur Welt brachte. Ein Kind, das aus der Liebe zwischen einer Frau und einem Mann entstand, die sich nicht hätten lieben dürfen, weil sie verfeindeten Stämmen angehörten. Es war eine heimliche Liebe und das Kind wäre sofort getötet worden, hätte man davon gewusst. Und so blieb mir nichts anderes übrig, als es an einem einsamen Strand in wunderschöner Umgebung zur Welt zu bringen, die in dem Moment aber nicht wahrgenommen wurde. Ohne die Unterstützung des Stammes, ohne Rückhalt, aber mit einer kleinen Chance darauf, zu leben.

Langsam begann ich zu begreifen, dass das alles ich war und bin. Dass ich es nicht nur war, in anderen Leben, sondern auch jetzt noch bin, denn ich habe es ja erlebt. Ich habe es gesehen! Das alles ist gespeichert in meiner unsterblichen Seele, es ist abrufbar. In Träumen, in schamanischen Reisen. Es ist gleichzeitig Vergangenheit und Gegenwart. Und genau genommen ist es sogar Zukunft, denn ich nehme es mit auf meinem Weg und gebe es weiter, es wird immer sein. Und so lerne ich, dass Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nicht hintereinander verlaufen, sondern parallel nebeneinander. Gleichzeitig hier und in anderen Welten und anderen Ebenen, Gestern, Heute und Morgen zugleich.

Kapitel 2
DAS WÜNSCHELHOLZ

Eines Tages ging ich durch den Wald spazieren, als neben dem Weg plötzlich lauter Baumstämme lagen und überall Rindenstücke und Fetzen von gewaltsam entfernten Wurzeln und Ästen verstreut lagen. Als ich mich umblickte sah ich, dass im Wald jeder zweite Baum umgeschnitten worden war. Nur noch nackte Stümpfe ragten aus dem Waldboden und auf jedem dieser Stümpfe saß ein trauriger Baumgeist, der nicht mehr so recht wusste, was er mit seinem Baumgeistleben anfangen sollte. Bestürzt ging ich weiter, und je weiter ich in das Tal ging, desto mehr traurige Baumgeister saßen neben dem Weg. Ich hörte in der Ferne das Kreischen von Kettensägen und das Scheppern, Brummen und Krachen von Baggerschaufeln, Traktormotoren und Lastwagen. Ich blieb stehen und rief alle Baumgeister zu mir. Sie kletterten von ihren Stümpfen und umringten mich, neugierig, was ich wohl zu sagen hätte. Als ich mich ihnen vorstellen wollte, sagten einige der älteren Baumgeister: »Dich kennen wir doch, du bist die Enkelin des alten Holzknechtes, der auch immer hierhergekommen ist. Du warst als Kind schon da und hast unter unserem Schatten gespielt, bist hier Rad gefahren und hast Staudämme im Bachbett gebaut!« Ich wunderte mich darüber, wie lange sich Bäume so eine Kleinigkeit merken konnten und es berührte mich, denn sie empfingen mich wie eine Verwandte. Lachend nickte ich und sagte: »Ja, ich bin die Enkelin des alten Holzknechtes. Er ist gegangen und ich bin gekommen, um in seinen Fußstapfen zu gehen«. Da freuten sich die Baumgeister, denn sie wussten, ich würde ihnen helfen. Ich entschuldigte mich bei ihnen. Ich sagte ihnen, dass es mir Leid tut, was ihnen angetan wurde. Und ich erzählte ihnen, dass auch ich mit Holz heizen muss, um im Winter nicht zu frieren. Jedes Jahr brauche ich 18 Festmeter Holz von ihnen, damit ich meine Öfen im Haus heizen kann. Ich bat sie um Verzeihung. Ich bot ihnen an, sie könnten alle mit mir kommen und ich würde sie mitnehmen, eine ganze Wanderung lang, und jedes Mal wenn einer der Baumgeister einen Baum sah der Hilfe gebrauchen konnte, dann solle er zu dem Baum gehen und dem Baumgeist helfen, diesen Baum gesund und stark und groß wachsen zu lassen. So trug ich an diesem Tag hunderte Baumgeister mit mir den Berg hinauf und jeder Baumgeist suchte sich einen neuen Baum und ich wurde mit jedem Schritt leichter. Als ich am Berg ganz oben angekommen war, fühlte ich mich leicht und beschwingt und ich ging lächelnd und mit einem freien Herzen weiter, als vor mir ein kleines, seltsam geformtes Hölzchen auf dem Weg lag. Ich hob es auf und fragte in Gedanken, was es mit diesem Hölzchen auf sich habe? Da schallte es aus den Wäldern: »Nimm es mit! Es ist ein Wünschelholz! Weil du uns geholfen hast, wollen wir dir helfen, deine Wünsche zu erfüllen!«

Von diesem Tag an fand ich immer wieder Wünschelhölzer im Wald und auf den Wegen, die ich ging. Und jedes Mal wenn ich einen traurigen Baumgeist sah, nahm ich ihn mit und half ihm, einen neuen Baum zu finden.

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€8,99
Altersbeschränkung:
0+
Veröffentlichungsdatum auf Litres:
23 Dezember 2023
Umfang:
121 S. 20 Illustrationen
ISBN:
9783709500361
Verleger:
Rechteinhaber:
Автор
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