Stressbewältigung

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Mit Stress leben lernen

Stress umgibt uns, wir können uns ihm nicht entziehen. Umso wichtiger ist es daher, im Sinne der Stressbewältigung den richtigen Umgang mit Stress zu lernen und eine gewisse Stressresistenz, einen „Stress-Puffer“ aufzubauen. Möglich machen dies verschiedenartige Stressmanagement-Techniken, deren Fokus auf gesunden bzw. positiven Verhaltensweisen und Denkprozessen liegt. Dabei ist Stressbewältigung nicht das Gleiche wie Entspannungstraining – sie umfasst sehr viel mehr. Durch unterschiedliche Komponenten lässt sich der Umgang mit Stress beeinflussen (multimodales Verständnis):

Bei Stressbewältigung geht es zuerst einmal darum, seine eigene individuelle Situation zu analysieren.

Die beim Stress frei werdende Energie wird positiv genutzt mit dem Ziel, Anspannung und Entspannung wieder ins Gleichgewicht zu bringen.

Stressbewältigung ist immer mit einem Aktivwerden im Sinne von Reflexion bisheriger Verhaltens- und Denkmuster sowie Aneignung neuer Verhaltensweisen in Bereichen wie Ernährung oder Bewegung verbunden.

Individuelle gesundheitsfördernde oder -schützende Faktoren und Fähigkeiten, sogenannte salutogene Ressourcen, werden weiterhin unterstützt.

Nicht zuletzt will Stressbewältigung dazu beitragen, Folgeschäden aus anhaltendem Stress präventiv vorzubeugen bzw. abzubauen.

Übung 1.1: Erwartungen an das Manual

Bitte stellen Sie sich die Frage, welche Erwartungen Sie an den Kurs haben bzw. welche Beweggründe Sie veranlasst haben, dieses Buch in die Hand zu nehmen und das Manual zu lesen. Benennen Sie bitte ein bis zwei Erwartungen an das Manual.

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Übung 1.2: Ziel

Bitte definieren Sie, welche persönlichen Ziele Sie sich für dieses Manual gesetzt haben. Benennen Sie, wenn möglich, drei konkrete Ziele.

1. _______________

2. _______________

3. _______________

Übung 1.3: „Kraftquelle“

Bitte überlegen Sie, wer oder was Ihnen Kraft gibt, um Ihr Leben zu meistern. Dies können Vorbilder mit einer bestimmten Funktion, noch lebende oder verstorbene Menschen, Orte, Tiere, Situationen oder Ideen und Visionen sein. Halten Sie einen kurzen Moment inne und schreiben Sie hier Ihre „Kraftquellen“ auf. Es ist gut, sich gleich zu Beginn dieser Stärken zu vergewissern!

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Übung 1.4: Stresswarnsignale

Bitte schauen Sie sich die Tabelle 1 mit den Stresswarnsignalen an. Welche der dort genannten Symptome treten aktuell bei Ihnen auf den unterschiedlichen Ebenen auf? (Bitte beachten Sie: Es müssen nicht auf allen Ebenen Symptome ausgeprägt sein.)

a) Körperliche Ebene

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b) Emotionale Ebene (Gefühle)

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c) Kognitive Ebene (Gedanken)

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d) Verhaltensebene (inkl. sozialem Verhalten)

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e) Sonstiges

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Übung 1.5: Stresswarnsignale prä und post

Bitte übertragen Sie die Stresswarnsignale auf den verschiedenen Ebenen aus Übung 1.4 in die folgende Tabelle und bewerten die Ausprägung der Symptome für den gegenwärtigen Zeitpunkt, in dem Sie in die Spalte „prä“ (= zu Beginn des Manuals) einen Punktwert zwischen 1 (= sehr gering ausgeprägt) und 10 (= maximal ausgeprägt) an das jeweilige Stresswarnsignal vergeben.

Die Spalte „post“ (= am Ende des Manuals) dient als Vergleich, inwieweit die Symptome am Ende der Module vorhanden sind (0 = nicht mehr vorhanden). Die letzte Spalte dient dazu, etwaige Begründungen oder Kommentare einzutragen.


prä post Kommentare?
Symptome 1–10 0–10 Andere Symptome?
körperliche Ebene:
______________________ ____ ____ _________________________________
______________________ ____ ____ _________________________________
emotionale Ebene (Gefühle):
______________________ ____ ____ _________________________________
______________________ ____ ____ _________________________________
kognitive Ebene (Gedanken):
______________________ ____ ____ _________________________________
______________________ ____ ____ _________________________________
Verhaltensebene:
______________________ ____ ____ _________________________________
______________________ ____ ____ _________________________________
Sonstiges:
______________________ ____ ____ _________________________________
______________________ ____ ____ _________________________________
______________________ ____ ____ _________________________________

Zu guter Letzt …

Nehmen Sie drei tiefe Atemzüge zur Entspannung. Atmen Sie dabei zum Beispiel über die Nase in den Bauch hinein und über den Mund wieder hinaus. Spüren Sie das Heben und Senken der Bauchdecke?


Take home messages

 

Stress ist ein sinnvoller biologischer Mechanismus, der unsere Leistungsbereitschaft bzw. -fähigkeit bei Beanspruchung erhöht. Auslöser des Stresses sind sogenannte Stressoren, die in unserem Körper die Stressantwort auslösen. Begleitet wird diese durch Stresswarnsignale unseres Organismus.

Stress an sich ist sinnvoll und weder krank noch gesund. Dennoch kann Stress, wenn er inadäquat hoch ist und/oder zu lang anhält, die Entstehung von Krankheiten begünstigen. Stressmanagement beinhaltet verschiedenartige Selbsthilfe-Strategien, die den Umgang mit Stress und sein individuelles Erleben positiv beeinflussen sowie präventiv auf die Entstehung stressbedingter Krankheiten wirken.

Reservieren Sie sich nun, wie bereits erwähnt, in den kommenden Tagen Zeitfenster, um die folgenden beiden Vertiefungsübungen zu erledigen. Ab dem zweiten Modul sind Sie angehalten, Entspannungsübungen in dieser Zeit einzubauen. Mehr dazu erfahren Sie im kommenden Kapitel.

Vertiefungsübung 1.1: StressLog

In der folgenden Tabelle sind einige stressauslösende Situationen und Faktoren (Stressoren) dargestellt. Bitte geben Sie durch Ankreuzen die Häufigkeit des Auftretens (nie, manchmal, häufig, sehr oft) sowie die Bewertung des Stressors (nicht störend, kaum störend, ziemlich störend, stark störend) an. Indem Sie die jeweiligen Punktwerte für Häufigkeit und Bewertung multiplizieren, erhalten Sie das Ausmaß der Belastung.

Die Stressoren verändern sich naturgemäß immer wieder. Daher eignet sich diese Aufgabe besonders gut, um zu verschiedenen Zeitpunkten persönliche Belastungssituationen zu identifizieren. Wiederholen Sie die Übung nach Durcharbeiten dieses Manuals noch einmal.



Vertiefungsübung 1.2: Neues und Gutes

Die Übung „Neues und Gutes“ möchte Sie dazu anregen, im Alltag der zukünftigen Woche wacher zu sein. Bitte beobachten Sie in der kommenden Woche, was sich „neu und gut“ anfühlt. Dies können kleine Momente des Glücks sein oder auch ein Augenblick, wo Sie etwas Positives gefühlt, gehört, gesehen oder erlebt haben. Was ist in dieser Woche „Neues und Gutes“ in Ihrem Leben passiert?

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Modul 2 Entspannung

Das erste Kapitel war ganz der Stressthematik gewidmet. Sie haben gelernt, dass Stress zur rechten Zeit am rechten Ort ein sinnvoller Mechanismus ist. Nach einem Einblick in die „Biologie des Stresses“ folgte die Einführung in die Stressbewältigung. Sie haben sich Ziele gesetzt oder Übungen wie die Kraftquelle kennen gelernt.

In diesem zweiten Kapitel nun beginnen wir, unseren „Bauchladen“ der Stressbewältigung substanziell zu füllen. Das heißt: Nach und nach werden in den folgenden Kapiteln Instrumente und Tools vorgestellt, also konkrete Methoden, um besser mit Stress umzugehen. Dabei geht es zwar auch um theoretische Inhalte – viel wichtiger ist es uns jedoch, dass Sie durch aktive Übungen erfahren, wie es sich „innen drin“ anfühlt.

Hauptthema in diesem Modul ist die Säule „R“ des BERN-Modells. Sie steht für „Relaxation“ oder deutsch für „Entspannung“. Gemeint damit ist jedoch nicht rein passives Entspannen – wie es z.B. an einem gemütlichen Fernsehabend oder beim Vollbad nach einem anstrengenden Tag stattfindet. Die meisten von uns verbinden ja genau das mit dem Wort „Entspannung“: möglichst nichts tun! Es geht aber auch anders.

Erfahren Sie in diesem Kapitel, was es mit Entspannung tatsächlich auf sich hat und wie man sie im aktiven Sinne erreichen kann.

Bevor Sie nun tiefer einsteigen, noch ein etwas grundsätzlicherer Gedanke, der jedoch sehr viel Einfluss auf Ihr Stressempfinden, Ihre Stressbewältigung und Ihren Zeitplan haben kann. Er hört sich banal an, ist aber doch bei vielen von uns in Vergessenheit geraten, wird zur Seite geschoben oder sich selbst nicht zugestanden. Die Botschaft lautet: Es darf Ihnen gut gehen! Noch einmal: Sie haben das „Recht“, dass es Ihnen gut geht. Man kann diesen Satz immer wieder bedenken oder aussprechen, mit unterschiedlichen Betonungen: Ich habe das Recht, dass es mir gut geht. Ich habe das Recht, dass es mir gut geht. Lassen Sie ihn ruhig einmal auf sich wirken. Wie viele von uns würden diesen Satz unterstreichen, scheuen sich aber doch, die daraus resultierenden Konsequenzen zu ziehen. Man möchte schließlich nicht egoistisch sein, hat Angst, dass andere es als Selbstsucht auslegen könnten, wenn man sich Zeit für sich nimmt, Geld oder Energie für das eigene Wohlbefinden investiert.

Mit Egoismus hat die Botschaft „Es darf mir gut gehen!“ jedoch nichts zu tun. Im Gegenteil: Sie ist Voraussetzung für Ihre individuelle Gesundheit. Sie ist, im wahrsten Sinne des Wortes, eine Notwendigkeit, ja gewissermaßen eine „Selbst“-Verständlichkeit für Ihr Wohlbefinden. Davon profitiert dann auch ihr Umfeld. Werden Sie sich dessen bewusst – und genießen Sie es, sich Zeit für sich zu nehmen!

Aktiv entspannen

Anspannung und Entspannung sind zwei sinnvolle Mechanismen, die sich abwechseln. Nach einer Phase der Anspannung folgt in einem gesunden Organismus auch eine Phase der Entspannung. Diese Phase beendet den vorherigen Stress, auch physiologisch und psychologisch – d.h. im Körper und im Geist – und leitet eine notwendige Regenration ein. Demnach folgt bei einem gesunden Menschen auf die bereits beschriebene Stressantwort auch eine Entspannungsantwort. Anhand des Bildes einer Wippe (s. Abb. 3) lässt sich das Wechselspiel anschaulich erläutern: Ist der Stress sehr stark, dann ist die eine Seite der Wippe voll beladen. Eine Entspannung ist nun kaum mehr möglich – genau so, wie wenn ein Schwergewicht auf einer Seite der Wippe am Boden sitzt und ein Hänfling oben auf der anderen Seite in der Luft hängt, der nun mit aller Macht, aber doch vergeblich, versucht, wieder auf den Boden zu kommen. Bei so extremen „Gewichtsunterschieden“ kann ein Ausgleich nicht funktionieren.

Abb. 3 „Wippe“ der Entspannungsantwort

Sind die Unterschiede nicht ganz so drastisch, ist ein Auf und Ab von Anspannung und Entspannung, ein dynamischer Prozess, ein Schaukeln der beiden Pole, sehr gut möglich. Auch kann, innerhalb gewisser Grenzen, „Gewicht“ aktiv auf einer Seite zugepackt werden oder „Ballast“ auf der anderen Seite abgeworfen. Die resultierende Dynamik, also der Wechsel von An- und Entspannung, schafft den Wippenausgleich, sodass sich unser Organismus im Gleichgewicht befindet.

Entscheidend dafür, ob wir ein Ungleichgewicht – beispielsweise durch viel Stress – ausgleichen können, sind jedoch nicht nur die „Gewichte“ auf beiden Seiten, sondern auch unsere Anpassungsfähigkeit und unsere Flexibilität – im Körperlichen, aber auch im Denken. Das heißt: Durch einfache Maßnahmen, aber auch durch unser Denken, können wir Stress abbauen, oder besser: Gelassenheit aufbauen. So kann sich die Wippe auf die andere Seite bewegen, in Richtung Entspannung.

Übung 2.1: Zwerchfellatmung und Faustübung

a) Zwerchfellatmung

An dieser Stelle möchten wir Sie bitten, die folgenden kurzen Übungen durchzuführen: Werden Sie sich Ihrer Atmung bewusst. Legen Sie zuerst Ihre Hände unterhalb des Bauchnabels ab. Nehmen Sie einen tiefen Atemzug und atmen Sie in den Bauch hinein. Spüren Sie das Heben und Senken der Hand auf Ihrem Bauch mit der Ein- und Ausatmung?

b) Faustübung

Stellen Sie sich auf, strecken Sie einen Arm gerade aus und ballen die Faust zusammen, mit aller Kraft. Sie können dazu auch noch die andere Hand in die Hosentasche stecken und dort ebenfalls zusammenballen. Dabei führen Sie sich eine bedrohliche oder ärgerliche Situation vor Augen. Was stellen Sie fest? Was passiert mit Ihrer Atmung, Ihren Bauchmuskeln?

Die beschriebene Zwerchfellatmung (siehe Übung 2.1a) ist eine gute Kurzentspannungsübung, durch die Sie – um im Bild zu bleiben – dem Stress auf der anderen Seite der Wippe etwas entgegensetzen können.

Wie kommt es dazu? Und was passiert bei dieser Übung? Ganz einfach: Mit der Einatmung zieht sich das Zwerchfell zusammen und senkt sich nach unten, wodurch die Lunge ausgedehnt wird und folglich Luft in größeren Mengen in die Lunge einströmen kann. Dabei wird der Bauch entspannt und wölbt sich nach außen. Umgekehrt entspannt sich das Zwerchfell bei der Ausatmung, die Lunge zieht sich zusammen und die Luft wird ausgestoßen, der Bauch wird wieder eingezogen. Bedenken Sie jetzt, dass unsere Atmung unter Stress eher flach wird – wir uns einen „Bauchpanzer“ zulegen und dann verstärkt in die Brust (genauer: mit der Brust) atmen. Oder in akuten Stresssituationen die Luft sogar anhalten. Vielleicht haben Sie das bei der Faustübung ja selbst bemerkt. Was bedeutet dieser Zusammenhang nun für die Entspannung? Wenn Sie gerade in solchen Anspannungssituationen die Atmung bewusst in den Bauch lenken, also ihre Zwerchfellatmung einsetzen, lösen Sie ganz automatisch eine Entspannungsreaktion aus. Das Praktische dabei ist: Der Entspannungseffekt tritt ziemlich schnell ein, er ist nicht nur rein körperlich, sondern auch mental festzustellen – und ganz nebenbei „massiert“ bzw. reguliert das auf- und abwandernde Zwerchfell unsere inneren Organe und Nervengeflechte. So ist die Zwerchfell- oder Bauchatmung eine einfache Atemtechnik, um Stress und Anspannung entgegenzuwirken – eine „Mini-Entspannung“.

Viele Menschen sind es gar nicht mehr gewohnt, in den Bauch zu atmen. Die beschriebene Übung ist für sie eine ganz neue Erfahrung. Genauer: eine „alte“ Erfahrung, die erneut ins Bewusstsein gerät. Machen Sie sich, gerade wenn Sie normalerweise eher flach atmen, ab und an Ihrer Atmung bewusst und setzen Sie hier, mit dieser ganz einfachen Maßnahme, den „Hebel“ an, auch um Einfluss darauf zu nehmen, wie gestresst oder entspannt Sie gerade sind. Mit dem Wahrnehmen des Atmens und der bewussten Zwerchfellatmung verfügen Sie nicht nur über ein einfaches und effektives Instrument der Stressbewältigung, das zum Spannungsabbau beitragen kann – Sie tragen genau dieses Instrument, diese Möglichkeit, tagtäglich und in jeder Situation bei sich, können jederzeit darüber verfügen. Und: Die Zwerchfellatmung ist der erste Baustein der nächsten Maßnahme, der sogenannten formalen „Entspannungsantwort“, die nun beschrieben wird.

Die Entspannungsantwort

In den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts befasste sich Herbert Benson, ein amerikanischer Kardiologe an der Harvard Universität, mit den Ursachen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Er wollte nicht ganz glauben, dass allein eine familiäre Veranlagung oder der „Zufall“ bzw. Fehlernährung und Bewegungsmangel als Risikofaktoren und Auslöser für Bluthochdruck, koronare Herzerkrankungen und schließlich für Herzinfarkt verantwortlich sein sollten. Vielmehr glaubte Benson, dass das moderne, technisierte Leben mit einer hohen Anzahl Stress auslösender Situationen einhergeht, in denen wir, wie in Modul 1 beschrieben, mit der Stressantwort reagieren. Und dazu gehört eben auch ein erhöhter Blutdruck. Bei meditierenden Mönchen, deren Blutdruck Benson untersuchte, wurde ihm bewusst, dass wir unserer Umgebung weit weniger ausgeliefert sind, als dies auf den ersten Blick scheint. Denn die Meditierenden waren in der Lage, ihren Blutdruck allein durch die Meditation zu senken. So entdeckte Benson den physiologischen, d.h. den natürlichen, Gegenspieler des Stresses: die Entspannungsantwort. Er kam in seiner Forschung zu dem Ergebnis, dass mit der Meditation mithilfe des Geistes zahlreiche physiologische Veränderungen bewirkt werden können – so z.B. das Sinken von Sauerstoffverbrauch, Herzschlag und Blutdruck – und demnach die Möglichkeit zur Stressminderung tatsächlich funktioniert. Das heißt: Dem Menschen ist es möglich, auf den eigenen Stress Einfluss zu nehmen. Er hat sein „Anti-Stress-Programm“ seit jeher (und ohne sich das wirklich bewusst zu machen) stets dabei und verfügbar: Atmet man beispielsweise in einer angespannten Situation automatisch schneller, kann man in gleicher Weise durch eine bewusste verlangsamte Atmung wieder ruhiger und entspannter werden. Die Entspannungsantwort ist damit in der Lage, die gegenteiligen physiologischen Veränderungen der Stressreaktion hervorzurufen: Die Gefäße werden weit gestellt, wodurch der Blutdruck sinkt; der Puls, der Muskeltonus sowie die Atemfrequenz verlangsamen sich und die Hirnaktivität wird insgesamt herunterreguliert (dagegen wird sie in einigen Regionen, zuständig z.B. für die Kontrolle von Aufmerksamkeit, Emotionen sowie für das innere „Gleichgewicht“ und die Körperwahrnehmung, eher hochgefahren). Obwohl wir alle von Natur aus diese Fähigkeit zur Entspannung haben, verlernen die meisten von uns sie durch „Nichtgebrauch“ im Verlauf ihres Lebens, wie es scheint. Hier muss dann erst wieder ein aktives Training – vergleichbar dem muskulären Training im Sport – einsetzen und den „Muskel“ (d.h. die zuständigen Hirnareale) wieder aufbauen.

 

Benson untersuchte nicht nur meditierende Mönche, sondern auch zahlreiche andere Gebets- und Meditationspraktiken. Er kam zu dem Schluss: Die Effekte sind im Grundsatz weder davon abhängig, welcher Glaubensrichtung man anhängt, noch welche konkrete Meditationstechnik man praktiziert etc. – und sie sind, besonders erfreulich, sowohl bei Anfängern als auch bei jahrelang geübten Yogis im Prinzip gleichermaßen zu beobachten. Dies deckt sich mit den Erkenntnissen der weiteren Forschung: Aktiviert wird die Entspannungsantwort, dieser biologisch vorgesehene Gegenspieler der Stressantwort, durch die verschiedensten Entspannungsverfahren. Wissenschaftlich nachgewiesen ist, dass Techniken wie Yoga, Tai Chi, Qi Gong, Meditation, Autogenes Training oder Progressive Muskelentspannung, aber auch ein wiederholtes Gebet eine Entspannungsreaktion auslösen können. Diese Entspannungsmethoden lassen sich meist leicht erlernen und sind gut geeignet, im Sinne der Selbstfürsorge im Alltag zum Einsatz zu kommen. Sie helfen uns, zur Ruhe zu finden. Auch können sie bei regelmäßigem Üben dazu beitragen, Herausforderungen gelassener zu begegnen und uns resistenter gegen Stress werden zu lassen.

Bildlich gesprochen wird durch die Entspannungsantwort eine Schutzkappe über die Stresshormone bzw. deren Andockstellen im Körper (d.h. die entsprechenden Rezeptoren) gelegt. So sind, interessanterweise, in der Entspannung die Stresshormone auch nicht mehr so wirksam. Der Stress ist ja nicht plötzlich aus dem Leben verschwunden, er macht uns jetzt nur nicht mehr so viel aus.

Erinnern Sie sich bitte: Wir sprachen am Anfang darüber, dass aktive Entspannung nicht mit passiver Entspannung verwechselt werden sollte. Und so ist die hier beschriebene aktive Entspannung auch etwas anderes als das Nickerchen zwischendurch. Wenn Sie beispielsweise denken sollten: Ich tue doch viel für die Entspannung, ich mache schließlich jeden Tag ein kleines Mittagsschläfchen, so wird diese „Siesta“ Ihnen sicherlich genauso gut tun wie das eingangs beschriebene Vollbad. Eine Studie zum Mittagsschlaf konnte kürzlich in der Tat bestätigen, dass eine gelegentliche Siesta von max. 20– 30 Minuten (nicht täglich durchgeführt) für die Gesundheit günstig sein kann. Dagegen ist also nichts zu sagen, so kann Selbstfürsorge auch aussehen! Auch wissen wir heute, dass das generelle „Abschalten“ durchaus eine wichtige Funktion hat, z.B. für das Lernen und die Gedächtnisbildung. Mit aktiver Entspannung jedoch hat sie nicht so viel zu tun – es sei denn, Sie betreiben hier aktiv eine „innere Einkehr“ im beschriebenen Sinn und nicht ein „Wegdösen“ oder gar ein „Gedankenkreisen“.

Bei der aktiven Entspannung durch Entspannungstechniken nimmt der Erregungsgrad und die „Alarmiertheit“ zwar ab, aber man ist während der Entspannung geistig präsent – d.h. wach, bewusst, konzentriert oder fokussiert und entspannt.

Ablenkende Geräusche oder Einflüsse, die von außen kommen, gilt es loszulassen (oder aktiv in die Übung zu „integrieren“) und sich nur auf die Übung selbst zu konzentrieren. Manchmal können solche Ablenkungen in Form von Gedanken und „Abschweifungen“ auch von innen kommen. Davon wird noch die Rede sein. Auch ist es nicht unüblich, besonders in der Lernphase, beim Durchführen eines Entspannungsverfahrens einzuschlafen. Das kann ein Hinweis darauf sein, dass der Übende einen gewissen Nachholbedarf an Ruhe und Schlaf hat. Und dass es eine gemeinsame „Anfangsstrecke“ zwischen dem aktiven Entspannen und dem Einschlafen gibt, wo es gilt, mit der Zeit (und mit der Erfahrung) immer häufiger die „richtige“ – bzw. die jeweils gewünschte – Abzweigung zu nehmen. Mit zunehmender Übung nimmt dann auch die natürliche Einschlafneigung ab.

Wir wollen uns nun noch etwas genauer mit den oben beschriebenen Verfahren zur Auslösung der Entspannungsantwort beschäftigen: Generell lassen sich, stark vereinfacht, zwei Prototypen der ritualisierten Entspannungsantwort unterscheiden: Verfahren mit einem gleichbleibenden Fokus (wie beispielsweise bei der von Herbert Benson beschriebenen Meditation oder „Relaxation Response“, siehe Übung 2.2) und Verfahren mit einem wandernden Fokus (wie etwa der von Jon Kabat-Zinn in seinem achtsamkeitsbasierten Stressreduktions-Programm MBSR verwendete „Body Scan“). Die Techniken mit einem gleichbleibenden Fokus fußen auf der wiederkehrenden Wiederholung eines Gedankenganges, eines Wortes, Tones oder Satzes oder der Beobachtung von bestimmten Körperwahrnehmungen an einem Ort. In der Atemmeditation zum Beispiel ist der Bezugspunkt die Ausatmung. Bei jeder Ausatmung denkt man sich zum Beispiel „Om“. Oder man beobachtet das Heben und Senken des Bauches. Ferner singt man bei bestimmten Yoga-Formen immer wieder ein Mantra oder wiederholt beim Gebet den Rosenkranz. Anders dagegen ist es bei den Verfahren mit einem wandernden Fokus wie dem „Body-Scan“ – auch Autogenes Training (AT), Progressive Muskelentspannung (PMR) oder geführte Phantasiereisen können der zweiten Kategorie zugerechnet werden. Bei diesen Methoden verändert sich der Gegenstand, auf dem die Aufmerksamkeit bzw. Konzentration liegt. So beginnt eine PMR beispielsweise mit dem Fokus „rechte Hand“ und endet nach dem Anspannen verschiedener Muskelgruppen mit dem Fokus „linkes Bein“. Daneben haben auch Qi Gong oder Tai Chi einen wandernden Fokus, der durch Bewegungen unterstützt wird. Es gibt also Übergänge oder Kombinationen der einzelnen Typen. „Profis“ können sogar selbst bewegt sein (z.B. beim Joggen) und dennoch den immer gleichen Fokus haben (z.B. die Atmung oder die Schrittfolge – „rechts“, links“ usw.). Erfahrene können auch auf die Wahrnehmung an sich fokussieren, d.h. Fokus ist hier das Wahrnehmungsfenster selbst und was immer dort hinein gerät – wir sprechen dann auch von offenem Gewahrsein.

Allen Verfahren ist jedoch gemein, dass ablenkende Gedanken, „Träumereien“ oder Abschweifungen wahrgenommen und nicht weiter verfolgt werden und man dann wieder sanft zum Fokus zurückkehrt.

Die Aufmerksamkeit liegt ganz im gegenwärtigen Moment, auf dem, was im Hier und Jetzt gerade wahrnehmbar und erlebbar ist. Man ist „achtsam anwesend“. Über Dinge, die noch zu erledigen sind, wird jetzt nicht nachgedacht, bzw. wenn die Gedanken abschweifen und mit anderen Dingen beschäftigt sind, was sie immer wieder tun werden, lässt man sie weiterziehen, ohne inhaltlich weiter auf sie einzugehen, und kehrt bewusst mit der Aufmerksamkeit ins Hier und Jetzt zurück. Ziel ist es, dem was jetzt gerade ist, Raum zu geben, „herunterzukommen“ und einfach nur da zu sein. Die Gefahr, dass einem gerade in diesem Augenblick, in dem persönlichen geschützten Raum, etwas passiert, ist sehr gering. Es muss also im Augenblick nichts gedacht, bedacht oder erledigt werden.

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