Buch lesen: «Gezähmt»

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Sira Rabe

Gezähmt

– Erotik –

1. Auflage September 2010

Titelbild: Roman Kasperski

www.romankasperski.com

©opyright 2009/2010 by Sira Rabe

Lektorat: MetaLexis

Satz: nimatypografik

ISBN: 978-3-86608-623-4

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Eros Undercover

Eigentlich liebte Leyla ihren Beruf, und im Grunde genommen kam sie mit ihrem Chef, Hauptkommissar Frank Berndorf, gut aus. Aber seit sie in diesem neuen Mordfall recherchierten, hatte sie zum ersten Mal eine Scheißwut auf ihn.

Alles fing damit an, dass Leylas Telefon zu einem Zeitpunkt klingelte, als sie dachte, endlich mal den Feierabend bei einem Fertiggericht und einem entspannenden Spielfilm genießen zu können. Aber was bedeutete in diesem Job schon das Wort Feierabend? Nichts. Verbrecher machten niemals Feierabend.

Manchmal fragte sich Leyla, ob sie sich für den richtigen Beruf entschieden hatte. Ihr Privatleben bestand aus dem Füttern und Streicheln der ihr zugelaufenen Katze, gelegentlichen E-Mailkontakten und Besuchen bei ihren Eltern. Abgesehen von allein verbrachten Nächten, in denen eine Sammlung bunter Vibratoren ihre besten Freunde waren und ihre sexuellen Bedürfnisse eher notdürftig befriedigten, fühlte sie sich mit ihrem Leben durchaus im Reinen und – ja, sie liebte ihren Job sogar. Zumindest manchmal. Denn er war spannend, erforderte psychologischen Spürsinn und Kombinationsgabe, und es war ein gutes Gefühl, wenn sie einen Fall lösten und den Täter aus dem Verkehr zogen.

Alles war, wie gesagt, in Ordnung, sie arbeitete gerne mit Frank zusammen, weil sie ein eingespieltes Team waren und sich hervorragend ergänzten. Bis das Schicksal an jenem verhängnisvollen Abend seinen Lauf nahm und ihr Leben auf nicht vorhersehbare Weise vollkommen durcheinanderwirbelte …

Leyla war gerade vom Einkaufen knapp vor Ladenschluss nach Hause gekommen, hatte ihre Umhängetasche aus wasserdichter, weiß gefärbter LKW-Plane und die vollen Tüten auf dem Küchentresen abgestellt, als ihr Handy in der Jackentasche läutete. Für einen Augenblick überlegte sie, ob sie so tun sollte, als hätte sie es nicht gehört. Aber als sie Franks Namen auf dem Display las, nahm sie doch ab.

«Hallo Frank. Soll ich dir verraten, was im Abendprogramm läuft, weil deine Frau vergessen hat, die aktuelle Fernsehzeitung zu kaufen?»

Im Gegensatz zu ihr war Frank glücklich verheiratet. Noch, wie er mitunter betonte, wenn sein schlechtes Gewissen zuschlug. Zwei Kinder, Reihenhaus, Golden Retriever. Eine meistens verständnisvolle Ehefrau. Sein Engel in der Welt der Düsternis, wie Frank immer wieder betonte.

«Todesopfer, Beethovenstraße 43, 5. Stock. Markus Erdmann. Kannste kommen?»

Das wars dann also mit dem freien Abend und der verdienten Entspannung in der warmen Badewanne. Leylas Magen knurrte protestierend.

«Ja klar, bin schon unterwegs.»

Die Adresse befand sich in einem altgewachsenen Stadtviertel mit wenigen Parkmöglichkeiten. Schulterzuckend blieb Leyla in zweiter Reihe stehen, hinter Franks Auto und einem Polizeiwagen, die dort ebenfalls standen und die Fahrbahn blockierten, und legte ihren Sonderausweis gut sichtbar vorne in den Wagen. Ihr Blick schweifte über den Wohnblock. Altbau. Hohe schlanke Fenster, alte brüchige Rolläden aus Holz, eine Eingangstür so hoch und breit wie ein Scheunentor. Hinter einem der Fenster ein neugieriger Nachbar, der ins Dunkel des Zimmers zurückwich, als Leyla zu ihm aufsah.

Sie nickte dem Polizeibeamten zu, der vor der Tür stand. «N’Abend. Asam, Mordkommission.»

«Guten Abend. Ihr Kollege wartet schon oben auf Sie.»

Leyla rannte die abgetretene Holztreppe immer zwei Stufen auf einmal nehmend hinauf. Tägliches Joggen, dreimal die Woche Fitness- und Krafttraining hatten ihren Körper in eine leistungsfähige Kraftmaschine verwandelt. Das alles sah man ihr allerdings kaum an. Eine nicht zu eng sitzende Lederhose und eine Lederjacke, beides ihre Lieblingskleidung, kaschierten ihre schlanken Formen ein wenig. Wenn Leyla Zeit zum Essen fand, versuchte sie, sich gesund zu ernähren. Obst, Milchprodukte, Gemüse.

Als sie im 5. Stock ankam, war sie nicht einmal außer Atem. Die Wohnungstür war nur angelehnt und sie trat, ohne anzuklopfen, ein.

Frank sah den beiden Männern der Spurensicherung zu, die bereits ihrer Arbeit nachgingen.

«Hi. Hab ich was verpasst?»

Frank zuckte die Schultern. «Hab mir Zeit gelassen, dich anzurufen. Wollte dir noch ein bisschen Freizeit gönnen. Ich hoffe, du hast sie genutzt und deinen Kühlschrank wieder aufgefüllt?»

Leyla nickte.

«Gut. Kann sein, dass du die nächsten Tage keine Zeit dafür hast.»

Dann informierte er sie über das, was er bereits wusste.

Erdmanns Nachbarin hatte diesen seit mehreren Tagen nicht mehr gesehen und sich Sorgen gemacht, weil er auf ihr Klingeln hin nicht öffnete. Der Mann war zweiunddreißig Jahre alt, Versicherungskaufmann, unverheiratet. Normalerweise holte er morgens die Tageszeitung herauf, die halb aus dem zu kleinen Briefkasten heraushing, las sie beim Frühstücken und steckte sie in einen Beutel an Frau Niedermeiers Wohnungstür, wenn er zur Arbeit ging. Er gab ihr auch stets Bescheid, wenn er verreiste, damit sie seine Post aus dem Briefkasten nahm. Dafür half er ihr, nach dem Waschen die Gardinen aufzuhängen oder nahm ihren Müll mit nach unten. Frau Niedermeier beschrieb ihn als höflich, gut situiert und unauffällig. Der ideale Nachbar.

Nachdem Erdmann sich bereits zweimal aus seiner Wohnung ausgeschlossen hatte, hinterlegte er schließlich bei seiner Nachbarin einen Ersatzschlüssel. So hatte sie es an diesem Abend gewagt, die Wohnung zu betreten, weil er morgens die Zeitung nicht heraufgeholt und weder auf Klingeln noch Klopfen reagiert hatte. Sie hatte zunächst angenommen, er hätte vielleicht ausnahmsweise verschlafen, und darauf geachtet, ob abends seine Wohnungstür zu hören war. Dann hatte sie es nicht mehr ausgehalten und ihn tot in seiner Wohnung vorgefunden.

«Wo ist sie jetzt?»

«In ihrer Wohnung. Sie ist verständlicherweise ziemlich fertig mit den Nerven.»

Ermordete boten häufig einen erschreckenden Anblick. Obwohl Leyla ganz gut damit umgehen konnte, musste sie an diesem Abend schlucken und hoffte, sich nicht zu übergeben. Denn Vergleichbares war ihr in ihrer noch jungen Laufbahn bisher nicht untergekommen.

Der Tote lag bäuchlings auf seinem Bett ausgestreckt, Arme und Beine gespreizt und mit Ledermanschetten an das Bettgestell gefesselt. Das viele Blut am Körper und auf dem Bett und die schmalen Wunden ließen auf unzählige Messerstiche schließen. Hilfeschreie waren durch ein breites Klebeband über dem Mund erstickt worden. Das zur Seite gedrehte Gesicht drückte blankes Entsetzen, Hilflosigkeit und Schmerz aus, vielleicht auch Überraschung. Die Augen waren noch nicht geschlossen worden und blickten Leyla weit aufgerissen beinahe vorwurfsvoll an.

Um einen Raubmord handelte es sich nach Franks erster Einschätzung vermutlich nicht, denn die Wohnung war aufgeräumt und sauber. Gegenstände und Möbel wirkten unverrückt. Der Tote hatte offensichtlich ein stinknormales, unaufregendes Singleleben geführt. Durchschnittliche Möblierung ohne besonderen Stil oder Geschmack, die Wände weiß gestrichen, ein paar gerahmte Posterdrucke, die Sonnenaufgänge und afrikanische Landschaften zeigten.

«Hier, das dürfte Sie interessieren.»

Der Kollege von der Spurensicherung reichte Frank einen Kalender, in dem der Tote sorgfältig Termine und Verabredungen eingetragen hatte, in einer klaren gut leserlichen Handschrift. Frank nahm den Kalender vorsichtig entgegen und blätterte mit Leyla die letzten Tage und Wochen durch. Es schien alles belanglos. Bis auf einen Eintrag, der sich wöchentlich einmal wiederholte: «Sklavendom». Es wirkte beinahe feierlich, wie das Wort eingetragen war, geschwungen und gut lesbar geschrieben. Als wäre es Erdmann persönlich sehr wichtig gewesen.

«Was könnte das bedeuten?», fragte Leyla, mehr zu sich selbst sprechend.

«Hm, weißt du das wirklich nicht?» Frank grinste.

«Nein, sollte ich?» Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hatte sie sich gerade als extrem unwissend geoutet. Aber dieses Wort hatte sie wirklich noch nie gehört. Sklavendom. Die beiden Begriffe passten überhaupt nicht zusammen.

«Ich dachte, du hältst deine Augen und Ohren offen? Immer und überall?» Er zwinkerte sie an.

«Klar. Aber bin ich Gott und allwissend? Nun sag schon.»

«Das ist so ’ne Mischung aus Swingerclub und Bordell. Hat vor etwa fünf Jahren aufgemacht und scheint ganz gut zu laufen. Das Kürzel steht für «Slave and Dom». Du weißt schon, Dominus, Herr. Die Leute haben daraus einfach Sklavendom gemacht.»

Leyla zog die Augenbrauen hoch. «Moment mal, das sind doch Begriffe aus der BDSM-Szene? Sind das nicht die Perversen, die sich freiwillig Schmerzen zufügen lassen, weil sie sonst ihren Schwanz nicht hochkriegen?» In ihrer Stimme lag all die Verachtung und das Unverständnis, das sie solchen Leuten entgegenbrachte. Sie hatte davon gehört, sich aber nicht weiter damit beschäftigt.

«Ganz so einfach ist es, glaube ich, nicht. Es sind halt einfach andere Sexpraktiken, als sie der Durchschnittsbürger pflegt. Ich wusste gar nicht, dass du Vorurteile hast.»

Leyla zuckte gleichgültig mit den Schultern. Zum Thema Sex hatte sie eine ganz eigene Meinung, die sie aber keinesfalls mit Frank diskutieren würde. «Hm. Ich denke nicht, aber das ist ja auch egal. Was passiert in diesem Laden konkret?»

«Keine Ahnung, ich war noch nie drin. Du hast die ehrenvolle Aufgabe, das herauszufinden und festzustellen, was unser Toter dort getrieben hat!»

«Na super», knurrte Leyla. Nicht genug damit, dass dieser Tote sie ihrer Nachtruhe beraubte, nun musste sie sich auch noch ausgerechnet eine Auffangstelle für Perverse anschauen.

«Schockiert?» Frank grinste amüsiert.

Offensichtlich stand ihr ihre Meinung sogar ins Gesicht geschrieben. «Nee, ist ’ne echt geile Aufgabe, auf die ich schon lange gewartet habe!»

Andererseits brauchte sie sich wirklich nicht über die sexuellen Praktiken anderer Menschen empören. Sie verstand im Prinzip doch gar nichts davon. Wie die Leute fühlten, die Geld für ihre sexuelle Befriedigung ausgaben, welchen Nöten sie ausgesetzt waren. Es war bestimmt besser für die Allgemeinheit, die Typen tobten sich in einem solchen Etablissement aus, als andere zu belästigen.

Allerdings konnte es sein, dass auch der Mörder von Markus Erdmann in diesen Kreisen verkehrte und sein Opfer vielleicht sogar im Sklavendom kennengelernt hatte. Und überhaupt, war es so viel besser, keinen Sex zu haben, als Sex mit einem gewissen, in der Regel geringen Risiko? Schließlich unterlagen Häuser des horizontalen Gewerbes jeglicher Couleur strengen Bestimmungen.

Leylas Beruf erschwerte es, eine lang andauernde, gut funktionierende Beziehung aufzubauen. Welcher Mann akzeptierte unregelmäßige Arbeitszeiten, häufig auch in der Nacht, dazu Überstunden, wie Leyla sie oftmals leistete. Selbst wenn er, wie ihr letzter Freund, dieses Recht für sich selbst herausnahm, galt das noch lange nicht in gleichem Maße für sie.

Abgesehen davon, so richtig befriedigt hatte sie sich nur selten gefühlt. Wo waren sie denn, die aufregenden fantasievollen und einfühlsamen Liebhaber? Wahrscheinlich gab es sie nur in Spielfilmen. Ganz zu schweigen von Familiengründung. Kinder passten in dieses Leben überhaupt nicht hinein.

Trotzdem war Leyla nicht scharf auf diese Aufgabe, im Sklavendom zu recherchieren. Sex war für sie so etwas wie ein Tabuthema, und was andere Leute trieben, wollte sie lieber gar nicht wissen. Für einen Augenblick wollte sie Frank sagen, er solle das selbst erledigen. Schließlich sei er ein Mann und würde mehr davon verstehen, in einer Männerdomäne zu recherchieren. Allerdings wusste sie aus Erfahrung, dass Diskussionen über die Arbeitsaufteilung nichts brachten. Dies war einer der wenigen Punkte in ihrer Zusammenarbeit, bei denen Frank auf seinem Vorrecht als Chef bestand. Und letztlich sprach auch ihr Stolz noch ein Wort mit und ließ nicht zu, dass sie sich eine Blöße gab und vor einer unangenehmen Aufgabe kapitulierte.

«Wo?», fragte sie knapp.

«Konstantinstraße. Gegenüber der Kneipe zum Engel.»

*

Die Konstantinstraße lag mitten im Amüsierviertel, umgeben von Nachtcafés, Bars, Restaurants, Discos, Videotheken und anderem. Wer hier wohnte, musste Lärm und Trubel bis in die Nacht mögen. Die sogenannte Kneipe zum Engel war eigentlich eher eine große Bar in einem Eckhaus und durch ihr auffälliges Fassadendesign allgemein bekannt. Von dort zweigte die Konstantinstraße als Einbahnstraße von der dreispurigen Hauptstraße ab. Der Sklavendom lag zwei Häuser von der Einmündung entfernt. Die hohen Fenster waren von innen mit schwarzen Tüchern verhängt, vor denen ein rotes Herz und viele kleine Sterne leuchteten. Über dem Eingang prangte als Leuchtschrift Slave & Dom.

Leyla parkte einige Seitenstraßen entfernt in einer Tiefgarage und schlenderte absichtlich gemütlich die Straße entlang. Vergeblich hoffte sie, jemanden beim Betreten oder Verlassen des SM-Clubs zu beobachten. Die Konstantinstraße war im Augenblick völlig unbelebt, obwohl das Leben nur wenige Schritte weiter in vollen Zügen pulsierte.

Fünf von einem schmiedeeisernen Geländer gesäumte Stufen führten nach unten zum Eingang, einer schwarz lackierten Tür mit vergittertem Sichtfenster und Klingel. Leyla läutete und es dauerte nicht lange, da erschienen ein paar dunkelbraune Augen im Fenster.

«Was wünschst du, Sklavin?», fragte eine männliche Stimme, tief und eindringlich.

Leyla hielt ihren Ausweis vor das Fenster. «Die Sklavin können Sie sich schenken. Ich habe ein paar Fragen an Sie. Mordkommission.»

Das Fenster wurde zugeschlagen und die Tür geöffnet. Leyla taxierte den Mann in Sekundenschnelle von oben nach unten. Männlich herbes Gesicht, offener Blick, selbstbewusste Miene. Dunkelbraune kurz geschnittene Haare. Schwarzes glänzendes Hemd, tief geöffnet, unbehaarte Brust. Schwarze Lederhose, elegante schwarze Schuhe, modisch. An der linken Hand drei breite silberne Ringe mit unterschiedlichen Ornamenten. Ob er eine Armbanduhr trug, konnte sie nicht sehen, da die Ärmel zu lang waren.

«Steve Martin», stellte sich der Unbekannte vor und reichte ihr die Hand.

«Leyla Asam.»

Er machte eine Handbewegung, ihm zu folgen und ging den Flur hinunter, bis zu einem Büro. «Bitte, hier können wir uns ungestört unterhalten.»

Das Büro war klein und aufgeräumt. Eine schwarze Schrank-Regal-Kombination mit indirekter Beleuchtung. Ein paar Bücher, ein paar vermutlich afrikanische Figuren, geschliffene Gläser. Davor ein Schreibtisch mit Glasplatte, hinter dem Steve Martin Platz nahm. Auf dem Schreibtisch ein aufgeschlagener Laptop. An der Wand ein rotes Sofa. Drei großformatige erotische Schwarzweißfotos in silbernen Rahmen an den Wänden. Ein einziger Blick genügte, um festzustellen, dass es sich um BDSM-Motive handelte. Obwohl Leyla der Sache als solcher ablehnend gegenüberstand, musste sie im Stillen zugeben, dass diese Fotos ein Könner gemacht hatte. Sinnliche, heiße Motive.

«Wie ich schon andeutete, handelt es sich um einen Mordfall», begann Leyla und nahm auf einem Stuhl Platz, der vor dem Schreibtisch stand. «Was sagt Ihnen der Name Markus Erdmann?»

Ihr Gegenüber zog überrascht die Augenbrauen hoch. «Das ist einer unserer Stammkunden. Sie wollen mir doch nicht etwa erzählen, dass er tot ist?»

Leyla nickte. «Doch. Wir haben ihn in seiner Wohnung gefunden. Ans Bett gefesselt. Tot.»

Steve Martins Kehlkopf bewegte sich sichtbar. Er schluckte schwer an dieser Nachricht. «Und wie ist er gestorben?»

«Das kann ich Ihnen nicht sagen, um die Ermittlungen nicht zu gefährden. Erzählen Sie mir bitte, was Sie über Ihren Kunden wissen.»

Martin zog die Schultern hoch. Er wirkte eine Spur blasser als zuvor, ansonsten jedoch recht gefasst. «Nicht allzu viel. Die meisten Kunden legen viel Wert auf den Schutz ihres Privatlebens. Markus kam regelmäßig einmal pro Woche, um seinem Bedürfnis nach sexueller Unterwerfung nachzugeben. Er war unkompliziert, blieb ein bis zwei Stunden, bezahlte in bar.»

«Hm. Wer hat sich um ihn gekümmert? Sie?»

Martin schüttelte den Kopf. «Nein, meine Schwester. Aber die können Sie nicht befragen. Sie ist für ein paar Tage verreist und kommt erst übermorgen wieder.»

«Okay. Erzählen Sie mir ein bisschen, wie so eine Sitzung abläuft, damit ich mir ein ungefähres Bild davon machen kann.»

«Bei neuen Kunden wird zuerst ein Gespräch geführt, welche Art von Züchtigungen und Spielen gewünscht werden, und der Preis abgeklärt. Bei Stammkunden ist das nicht nötig. Die wollen nur selten eine Änderung im Ablauf und es gehört zu unserer professionellen Arbeit, dass wir uns in die aktuelle Tagesverfassung hineindenken und sie zufriedenstellen. Ähm, was noch? Ach ja, wir haben mehrere Räume, die in der Regel vorab gebucht sind, teilweise auf Wochen im Voraus, wenn es um bestimmte Uhrzeiten geht. Wir arbeiten fast ausschließlich mit Reservierungen, damit es nicht zu Engpässen kommt. Außer meiner Schwester und mir arbeiten noch fünf weitere Dominas für uns, in wechselnder Besetzung.»

Leyla trug ein paar Notizen in ihr Büchlein ein, das sie immer dabeihatte. «Sie sind also, abgesehen von den Kunden, der einzige Mann?»

Martin bestätigte.

«Kann ich die Räume sehen?»

«Nicht jetzt», erwiderte Martin. «Um diese Zeit sind alle belegt, da können wir nicht stören. Das verstehen Sie hoffentlich. Wenn Sie morgen Vormittag kommen, kann ich Ihnen gerne alles zeigen.»

«Okay, um elf?»

*

Als Leyla am nächsten Morgen ins Büro kam, saß Frank bereits mit einer Tasse dampfenden Kaffees an seinem Schreibtisch.

«Morgen Frank, bist du aus dem Bett gefallen?» Normalerweise war Leyla die erste, weil Frank behauptete, sein Motor laufe erst nach neun Uhr an.

Frank verzog den Mund. «Bei uns ist an Schlaf im Augenblick nicht zu denken. Die Kinder haben die ganze Nacht um die Wette gehustet.» Er schlürfte vorsichtig einen Schluck Kaffee. «Was hast du gestern rausgefunden?»

Leyla gab ihm einen kurzen Bericht von ihrem Besuch im Sklavendom. Frank sah nachdenklich aus.

«Ich hab mit der Pathologie telefoniert. Den Bericht bekommen wir frühestens heute Nachmittag. Aber auch flüchtig betrachtet glaube ich, dass unser Opfer ermordet wurde und es keine unfallbedingte Todesfolge aufgrund eines gefährlichen Sexspiels war. Du solltest dich mal genauer im Sklavendom umsehen und versuchen, noch mehr herauszufinden.»

Leyla nickte. «Ich bin mit dem Inhaber um elf Uhr verabredet, um mir die Räume anzusehen.»

Eine Weile sagte Frank nichts. Dann traf sein Vorschlag Leyla völlig unverhofft. «Sprich mit ihm darüber, ob du undercover in seinem Laden recherchieren kannst.»

Leyla zog alarmiert die Augenbrauen hoch. «Wie meinst du das?»

«Überlass es ihm, ob als Kundin oder Domina oder was weiß ich. Er wird selbst am besten wissen, wie es am Unauffälligsten ist.»

«Sag mal spinnst du?» Leyla schnappte nach Luft.

Frank grinste. «Wieso? Ich kann mir dich ganz gut in einem hautengen Latexkleid vorstellen, Peitsche schwingend und so. Wenn der Täter ebenso wie unser Opfer Kunde im Sklavendom ist, wirst du ihm früher oder später dort begegnen.»

Das war die absurdeste Idee, die Leyla je von Frank gehört hatte. «Und wenn der Täter nicht dort verkehrt, sondern Erdmann woanders kennengelernt hat? Wenn er im Sklavendom war, müsste er ja selbst Kunde gewesen sein, aber dann hätte Erdmann sich ihm doch nicht anvertraut, oder?»

Frank zuckte mit den Schultern. «Vielleicht ist eine der Dominas oder sogar Steve Martin der Täter. Finde heraus, ob Erdmann eine Nervensäge war und jemand Grund hatte, ihn zu hassen.»

Sie besprachen noch einige andere Aspekte, Frank blieb jedoch bei seiner Entscheidung, dass Leyla sich um eine Undercover-Recherche bemühen sollte.

*

Mit gemischten Gefühlen drückte Leyla kurz nach elf die Klingel. Sie musste nicht lange warten. Martin begrüßte sie freundlich und bat sie mit einer Handbewegung hinein.

Alle Räume und Flure waren hell erleuchtet, die Türen standen offen. Leyla erfasste beim Anblick von Strafböcken, Streckbank und Andreaskreuz ein Schaudern. Wie es sich wohl anfühlte, dort drangefesselt und auf diese Weise völlig ausgeliefert zu sein? Sie vermochte sich nicht vorzustellen, dass jemand dabei Lust empfand.

Wände und Schränke waren voll von Züchtigungsinstrumenten. Einer der Räume war für Klinikspiele eingerichtet und sie schüttelte sich innerlich bei dem Gedanken, was hier allabendlich abging.

Martin erklärte ihr alles, gab ihr einen Einblick in das Verhalten und die Wünsche seiner Kunden, zu denen auch Frauen zählten, worauf er besonders stolz war. Nichts davon verhalf Leyla jedoch zu neuer Erkenntnis, was ihren Mordfall betraf.

«Noch eine Tasse Kaffee?», fragte er, als sie ihren Rundgang beendet hatten.

«Gerne.» Während Leyla darauf wartete, dass Martin aus der Küche mit dem Kaffee zurückkehrte, klingelte ihr Handy. «Hallo Frank.»

«Hey. Hast du ihn schon gefragt?»

«Noch nicht», brummte Leyla unwillig. «Du meinst das wirklich ernst, hm?»

«Tu es. Der Pathologe hat angerufen. Es ist besteht kein Zweifel mehr, dass es sich um Mord handelt. Unser Toter ist nicht nur an den Messerstichen gestorben, sondern auch erstickt worden.»

Frank schilderte ihr noch einige Details, dann verabschiedete er sich und Leyla legte seufzend auf.

«Schlechte Nachrichten?», fragte Martin und stellte die Tasse vor Leyla auf den Schreibtisch.

«Wie man es nimmt. Ein paar gesicherte Indizien auf den Täter, nun gilt es nur noch, ihn zu fassen.» Sie grinste schief. «Und ein ganz exquisiter Sonderwunsch meines Chefs, was die weitere Recherche angeht.»

Martin lächelte. «Den Sie mir aber nicht verraten werden.»

«Oh doch. Der Sonderwunsch betrifft uns nämlich beide.»

«Ah. Wie das?»

«Er möchte, dass ich hier bei Ihnen undercover recherchiere. Er bittet Sie zu überlegen, wie wir das machen könnten. Denn wenn ich mit jedem Ihrer Kunden spreche, finden wir wahrscheinlich nicht viel heraus. Die werden sich sehr bedeckt halten.»

Steve Martin zog die Stirn in Falten. «Darüber wäre ich auch nicht begeistert. Das wäre extrem geschäftsschädigend.»

Leyla musterte ihn aufmerksam. Wenn sie darüber hinwegsah, wo sie sich befand und was er arbeitete, wirkte er durchaus sympathisch und attraktiv. Sein Auftreten war sicher, überaus souverän. Wie ein Mörder sah er selbst nicht aus. Reiß’ dich zusammen!, ermahnte sich Leyla. Den wenigsten Mördern sieht man gleich an, dass sie zu einer solchen Tat fähig wären! Halt gefälligst die Augen offen.

«Es ist auch in Ihrem Interesse, dass wir den Mörder möglichst bald fassen. Vielleicht plant er ja noch einen weiteren Mord.»

Martin atmete tief ein und überlegte. Leyla nippte an ihrem Kaffee und gab ihm die Zeit, sich mit Franks Idee anzufreunden. Nach einer Weile stützte er sich mit beiden Armen auf der Tischplatte auf und sah sie ernst an. «Also, mal gesetzt den Fall, dass ich zustimme, dann käme nur eines in Frage, nämlich dass wir Sie als Domina einkleiden und so tun, als würden Sie diesen Job gerade erlernen.»

Leylas Gesicht drückte offenbar ihre ganze Abneigung gegen diesen Vorschlag aus, denn Martin fing laut an zu lachen. «Haben Sie Angst davor?», fragte er augenzwinkernd.

*

Mit gemischten Gefühlen stand Leyla abends ihrem Spiegelbild gegenüber, drehte und musterte sich. Sie war nicht wiederzuerkennen. Es war ihr schleierhaft, woher Steve auf die Schnelle die passenden Klamotten aufgetrieben hatte. Steve – von einer Sekunde zur nächsten waren sie per Du. Sie hatte ihm ihre Kleidergröße verraten müssen und nun stand sie hier, in voller Montur als Domina verkleidet und erkannte sich selbst nicht wieder. Ihre kurzen Haare waren unter einer schwarzen Perücke mit Pagenschnitt verborgen und ihr Gesicht war mit einem hellen Make-up grundiert, Augen und Augenbrauen dunkel geschminkt, die Fingernägel violett lackiert. Sie trug ein schwarzes Minikleid aus dünnem Leder, das ihren Körper hauteng umhüllte und ihre Brüste betonte. Ihre Brustwarzen zeichneten sich deutlich ab. Es war ungewohnt, ebenso wie die schwarzen Netzstrümpfe und die violetten Highheels. Leyla erinnerte sich nicht, wann sie zuletzt ein Kleid getragen hatte, geschweige denn auf hochhackigen Schuhen balanciert war. Eines musste sie sich selbst allerdings eingestehen: Sie sah gut aus, sexy und begehrenswert. Diese Erkenntnis brachte ihren Pulsschlag gehörig auf Trab.

Dann war es so weit und sie präsentierte sich Steve. Zuerst hatte sie Angst, auf diesen Schuhen umzuknicken, als er sie bat, einige Schritte im Flur auf und ab zu gehen. Er gab ihr ein paar Tipps, wie sie die Beine voreinander setzen sollte, mit engen kleinen Schritten, und bald darauf hatte sie den Dreh heraus und fühlte sich ein wenig sicherer.

Er komplettierte ihr Outfit mit einer kurzen Peitsche und runzelte die Stirn, als sie verkündete, diese auf keinen Fall zu gebrauchen. «Du darfst nicht zimperlich sein! Deine Rolle muss schon echt wirken, wenn du nicht willst, dass Bello dich sofort entlarvt!»

«Bello?»

Er grinste breit. «Den habe ich wohl vergessen zu erwähnen. Bello ist zwei- bis dreimal pro Woche bei uns, zum Sonderrabatt. Zuerst bekommt er eine anständige Abreibung und dann läuft er auf allen vieren meiner Schwester hinterher. Er himmelt sie an. Es gibt ein paar Kundinnen, zu denen sie ihn mit hineinnimmt. Er darf ihr dann assistieren. Du wirst ihn morgen kennenlernen, wenn Helen wieder da ist.»

Er machte sie mit den anderen Dominas bekannt. Mary und Yvonne hatten einen offenen Blick und schüttelten Leyla lächelnd die Hand. Auf die Frage, was sie denn im normalen Leben arbeite, antwortete Steve an Leylas Stelle, sie wäre Bürokauffrau und das sei doch ein wenig eintönig.

Alle hatten dasselbe Alibi für den Tatzeitraum. Das Opfer war kurz nach Mitternacht ermordet worden, also während Steve und die anderen ihrem Job nachgingen. Die einzige Möglichkeit, diese Alibis zu verifizieren, bestand darin, letztlich doch diejenigen zu befragen, die zum besagten Zeitpunkt im Sklavendom anwesend waren. Leyla behielt diesen Gedanken aber für sich. Sie wollte sich erstmal einen Gesamteindruck verschaffen und Steve nicht beunruhigen.

Kurz darauf traf Marys erster Kunde ein und Leyla folgte den beiden.

Atemlos sah Leyla zu, wie der Mann sich auszog, seine Kleidung sorgfältig zusammenlegte, auf einem Hocker stapelte, und dann demütig vor Mary niederkniete, um voller Inbrunst die Spitzen ihrer Stiefel zu küssen, deren Schaft bis zu den Oberschenkeln reichte. Mary trug ein knappes Bustier und hautenge Hotpants aus schwarzem Latex, und Leyla musste anerkennend zugeben, dass sie teuflisch sexy war. Dabei ließ sie keine Zweifel aufkommen, wer hier das Sagen hatte. Vom Eingangsbereich bis in das Zimmer hatte sie den Mann regelrecht abgeführt, ihre langen, rot lackierten Fingernägel in seinen Nacken gebohrt und ihn vor sich hergeschoben. Dabei reichte sie ihm kaum bis zu den Schultern und Leyla konnte sich bei diesem komischen Anblick nur mit Mühe ein Grinsen verkneifen.

Mit einer Handbewegung scheuchte Mary den Mann auf den Folterstuhl, der einem Gynäkologenstuhl ähnelte, und er legte sich artig hin und seine Beine in die Schalen. Ein entzückter Ausdruck machte sich auf seinem Gesicht breit, als Mary ohne Umschweife zur Sache kam und der schwarze, vom Gleitmittel glänzende Plug in seinem Anus verschwand. Leyla kniff automatisch ihren eigenen Po zusammen. Sie mochte sich nicht vorstellen, wie es sich wohl anfühlte, wenn der Schließmuskel gedehnt wurde, noch dazu von einem solchen Monstrum. Doch das Glied des Mannes zuckte lustvoll und begann sich langsam aufzurichten.

Mit geübten Händen fixierte die Domina Arme und Beine am Stuhl, legte dem Opfer ein breites Lederhalsband um, das mit der hohen Rückenlehne verbunden jegliche Kopfbewegungen unterband.

Dann nahm sie eine kleine Peitsche und schlug ihm damit auf sein Geschlecht.

«Habe ich dir etwa erlaubt, geil zu sein?»

Leyla zuckte innerlich bei den Schlägen zusammen. Aua. Als schlüge man ihr auf die Klitoris. Aber der Mann schien mit Genuss zu leiden. Er lächelte, stöhnte leise, während sich die geschlagenen Stellen allmählich röteten.

«Du bist ungehorsam.»

Die Domina holte ein kleines Drahtgestell aus der Schublade eines schwarzen Regals und stülpte es ihm über seine Erektion. Sie war nicht gerade zimperlich dabei, sein Glied in das nach unten gebogene Drahtgeflecht zu zwängen und mit einem Riemen um die Hoden zu befestigen. Mary kannte keine Gnade. Sie kümmerte sich nicht um sein Stöhnen, sondern holte ein paar schwarze Klammern, klippte sie rund um seine Brustwarzen fest, so dass die Haut straff spannte. Die letzten beiden klemmte sie ihm an die Zungenspitze und Leyla war fassungslos, wie artig der Gepeinigte seine Zunge dazu hervorstreckte. Dann begann die Domina damit, ihn mit einer mehrschwänzigen Peitsche an den Schenkeln auszupeitschen und der Mann bäumte sich stöhnend, aber mit einem lüsternen Gesichtsausdruck in den Fesseln auf.

Leyla war wie erstarrt. Sie hatte dergleichen noch nie gesehen und schalt sich eine Idiotin, dass sie sich am Nachmittag nicht darauf vorbereitet hatte, was sie hier erwarten würde. Irgendwie hatte sie gedacht, wenn sie vor Ort sowieso in alles eingeführt wurde, was sie eigentlich gar nicht so genau wissen wollte, dann bräuchte sie nicht vorab recherchieren, was SM im Detail bedeutete. Leise schlich sie aus dem Zimmer, als der Mann unter Marys härter werdender Züchtigung zu schreien begann und an den Fesseln zerrte.

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