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Gänsemütterchens Märchen

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Als der Riese erwachte, sagte er zu seinem Weib:

»Gehe hinauf und mache die kleinen Schelme von gestern abend zurecht!«

Die Frau des Riesen war erstaunt über die gute Laune ihres Mannes und glaubte, er schicke sie, die Knaben anzuziehen. Sie ging hinauf und war zu Tode erschrocken, als sie ihre sieben Töchter mit abgeschnittenen Hälsen in ihrem Blute sah. Sie fiel in Ohnmacht, denn das ist das einzige, was Frauen in dieser Lage tun können. Der Riese glaubte, seiner Frau würde die Arbeit zu schwer, die er ihr aufgetragen hatte, und ging hinauf, um ihr zu helfen. Aber er war nicht weniger erschrocken als seine Frau bei diesem gräßlichen Anblick.

»Was habe ich da angerichtet,« schrie er, »aber sie sollen es mir auf der Stelle büßen, die Unglücklichen!«

Er goß seiner Frau einen Topf Wasser über die Nase, und als sie wieder zu sich kam, sagte er zu ihr:

»Gib mir schnell meine Siebenmeilenstiefel, daß ich die Bande einhole!«

Er machte sich auf den Weg, und als er kreuz und quer gelaufen war, kam er endlich auf die Straße, wo die Knaben gingen. Nur noch hundert Schritte waren sie vom Hause ihres Vaters entfernt. Da sahen sie den Riesen, wie er von Berg zu Berg schritt und die größten Ströme überquerte wie den kleinsten Bach. Der kleine Däumling fand in nächster Nähe ein Loch in einem Felsen und versteckte darin seine Brüder; auch er selbst kroch hinein und gab acht, was der Riese tat. Der war von dem großen Umweg, den er vergebens gemacht hatte, sehr erschöpft und wollte sich ausruhen. Zufällig setzte er sich gerade auf denselben Felsen, unter dem sich die Knaben versteckt hatten. Er konnte vor Müdigkeit nicht mehr weiter und schlief bald ein. Dabei fing er so schrecklich an zu schnarchen, daß die Kinder nicht weniger Angst bekamen wie damals, als er zu seinem großen Messer griff, um ihnen den Hals abzuschneiden.

Der kleine Däumling war mutiger. Während der Riese in festem Schlafe lag, sagte er zu seinen Brüdern, sie sollten rasch nach Hause laufen und sich um ihn keine Sorge machen. Sie folgten seinem Rat und erreichten glücklich das Haus. Der kleine Däumling machte sich an den Riesen heran, zog ihm vorsichtig seine Stiefel aus und schlüpfte selbst hinein. Die Stiefel waren zwar groß und weit, aber es waren Zauberstiefel: sie hatten die Eigenschaft, größer oder kleiner zu werden, je nach ihrem Träger, und sie paßten ihm so gut, als seien sie für ihn gemacht.

Schnurstracks lief er zum Hause des Riesen zurück und fand dort sein Weib in Tränen bei ihren toten Töchtern.

»Euer Gatte ist in großer Gefahr,« sagte Däumling zu ihr, »er ist von Räubern gefangen, und diese haben geschworen, ihn zu töten, wenn er ihnen nicht all sein Gold und Silber gäbe. Gerade als sie ihm den Dolch an die Kehle setzten, kam ich zufällig vorbei, und er bat mich, zu Euch zu gehen, um Euch zu benachrichtigen und Euch zu sagen, Ihr solltet mir alles aushändigen, was er an Vermögen besitzt, und sollt nichts zurückbehalten, weil sie ihn sonst ohne Mitleid töten. Da größte Eile nötig ist, gab er mir seine Siebenmeilenstiefel. Es soll zugleich ein Beweis sein, damit Ihr nicht glaubt, ich sei ein Schwindler.«

In ihrem großen Schrecken gab die Frau ihm alles, was sie hatte, denn wenn der Riese auch kleine Kinder fraß, so war er doch immer ein guter Vater und Gatte.

Schwer beladen mit den Schätzen des Riesen kehrte der kleine Däumling in das Haus seines Vaters zurück, wo er mit großer Freude empfangen wurde.

Es gibt viele Leute, die nicht glauben wollen, daß der kleine Däumling den Riesen bestohlen habe. Er habe in Wirklichkeit sich nur deshalb keine Gedanken darüber gemacht, dem Riesen die Siebenmeilenstiefel fortzunehmen, weil dieser sie doch nur dazu benutzte, um die kleinen Kinder zu fangen. Diese Leute behaupten, sie wüßten es aus bester Quelle, denn sie wären selbst im Hause des Holzhackers zu Gast gewesen, und sie erzählen, der kleine Däumling habe sich die Stiefel des Riesen angezogen und sei damit an den Hof des Königs gegangen, wo man in großer Sorge um das Schicksal des Heeres war, das 200 Meilen entfernt in heißem Kampfe lag. Man hatte keine Nachricht über den Ausgang der Schlacht.

Däumling ging nun zum König und erbot sich, ihm noch vor Tagesende Nachricht von der Armee zu bringen. Der König versprach ihm eine große Belohnung, wenn er dies fertig bringe. Noch am selben Abend überbrachte der kleine Däumling die ersehnte Botschaft, und dieser erste Lauf machte ihn so berühmt, daß er alles erreichte, was er wollte. Der König belohnte ihn fürstlich. Däumling brachte seine Befehle zur Armee, und viele Damen gaben ihm alles, was er verlangte, um nur Nachricht von ihren Liebhabern zu erhalten. Das war seine beste Einnahme. Es fanden sich zwar auch einige Ehefrauen, die ihm Briefe für ihre Gatten mitgaben, aber diese zahlten schlecht, und er hielt es für unter seiner Würde, mit dem ihm von dieser Seite zufließenden Verdienste überhaupt zu rechnen.

Auf diese Weise verschaffte er seiner ganzen Familie ein gutes Auskommen. Seinem Vater und seinen Brüdern kaufte er neugeschaffene Amtsstellen, und sich selbst schuf er einen trefflichen Hausstand.

Moral:

 
Wenn einer nette Kinder hat,
Die schön und wohl geraten sind,
Dann zeigt er sie der ganzen Stadt. —
Jedoch verliert er nicht ein Wort,
Wird ihm geschenkt ein schwächlich Kind,
Er quält’s und tut ihm jedem Tort. —
Doch oft ist so ein kleiner Mann
Ein Kerl, der vieles weiß und kann:
Der kleine Däumling, wie gesagt,
Hat der Familie Glück gebracht.
 

Aschenbrödel oder die Geschichte vom gläsernen Pantöffelchen

Es war einmal ein Edelmann, der hatte in seiner zweiten Ehe ein so hochmütiges und stolzes Weib geheiratet, wie man noch niemals eines sah. Diese Frau hatte zwei Töchter, welche ganz nach ihrer Art waren und ihr in jeder Hinsicht glichen. Auch der Mann hatte eine Tochter mit in die Ehe gebracht, ein Mädchen von holder Anmut und unvergleichlicher Güte, das wahre Ebenbild ihrer verstorbenen Mutter, der besten Frau der Welt.

Kaum war die Hochzeit vorbei, da zeigte sich die Stiefmutter auch schon von ihrer schlimmsten Seite. Sie konnte das junge Mädchen nicht leiden, denn neben ihm erschienen ihre eigenen Töchter noch häßlicher.

Deshalb trug sie ihm die schmutzigsten Arbeiten im Hause auf: es mußte das Geschirr reinigen, die Treppen fegen, es mußte das Zimmer der gnädigen Frau scheuern und das der gnädigen Fräuleins, ihrer Töchter. Es mußte auf dem Speicher unter dem Dache auf einem elenden Strohsacke schlafen, während seine Schwestern die herrlichsten Zimmer hatten, mit den allermodernsten Betten und mit Spiegeln, in denen sie sich vom Kopf bis zum Fuß betrachten konnten.

Doch alles ertrug das arme Mädchen mit Geduld, es wagte nicht, sich bei ihrem Vater zu beschweren, denn der hätte ihm doch nicht recht gegeben, weil er ganz unter dem Einflusse seiner Frau stand. Wenn es seine Arbeit gemacht hatte, dann setzte es sich neben dem Küchenherd in die Asche, und deshalb nannte man es im Hause nur noch die Küchenschabe; aber die zweite Tochter, die nicht ganz so böse war wie ihre ältere Schwester, gab ihm den Namen Aschenbrödel. Trotz allem war Aschenbrödel in ihren schlechten Kleidern noch hundertmal schöner als ihre Schwestern, wie sehr sich diese auch putzten.

Eines Tages gab der Sohn des Königs einen Ball und lud dazu alle Personen von Rang ein. Auch die beiden Fräuleins wurden eingeladen, denn sie spielten im Lande eine große Rolle. Darüber freuten sie sich sehr, und sie überlegten den ganzen Tag, wie sie sich am schönsten kleiden und schmücken könnten und was ihnen am besten stände. Da gab es neue Arbeit für Aschenbrödel. Sie mußte die Wäsche ihrer Schwestern waschen und bügeln und die Manschetten ihrer Kleider kräuseln. Man sprach von nichts anderem, als was man anziehen wolle.

»Ich,« sagte die Ältere, »ziehe das rote Velourkleid mit dem englischen Besatze an.«

Und die Zweite meinte: »Ich werde meinen gewöhnlichen roten Rock tragen, aber dazu nehme ich den Umhang mit den Goldblumen und meinen Diamantschmuck, was mir auch nicht schlecht stehen wird.«

Die berühmteste Haarkräuslerin mußte kommen, um die Spitzenhauben zu ordnen und die niedlichen Schönheitspflästerchen zu kleben. Dann riefen sie Aschenbrödel herbei, um ihr Urteil zu hören; denn sie hatte einen guten Geschmack. Aschenbrödel gab ihnen die besten Ratschläge und erbot sich sogar, ihnen das Haar zu machen. Das ließen sie sich gerne gefallen.

Während sie die Schwestern kämmte, sagten diese zu ihr:

»Aschenbrödel, hättest du wohl auch Lust, mit auf den Ball zu gehen?«

»Ach, edle Damen, warum treibt ihr euren Spott mit mir? Die Ehre wäre zu hoch für mich.«

»Da hast du recht, man würde nur lachen, sähe man eine Küchenschabe, wie du, zum Balle gehen.«

Eine andere als Aschenbrödel hätte nun sicher die Frisuren verdorben; aber Aschenbrödel war zu gutmütig dazu und kämmte ihnen die Haare wunderbar schön.

Fast zwei Tage lang aßen die beiden keinen Bissen, so zitterten sie vor freudiger Erwartung. Mehr als ein Dutzend Bänder gingen beim Schnüren entzwei, da sie so schlank als möglich sein wollten. In einem fort standen sie vor dem Spiegel.

Endlich war der ersehnte Tag gekommen, und sie fuhren ab.

Aschenbrödel folgte ihren Schwestern mit den Augen, solange sie konnte. Aber als sie den Wagen nicht mehr sah, da setzte sie sich hin und weinte. Ihre Patin sah ihre Tränen und fragte, was ihr fehle.

»Ich möchte so gern, … ich möchte so gern …«

Vor lauter Schluchzen konnte sie nicht zu Ende sprechen.

»Du möchtest wohl gern auf den Ball gehen?« sagte die Patin, die eine Fee war.

»Ach ja«, antwortete Aschenbrödel und tat einen tiefen Seufzer.

»Wenn du brav bist, dann will ich dich hingehen lassen.«

 

Mit diesen Worten führte sie Aschenbrödel in ihre Kammer und sagte zu ihr:

»Gehe in den Garten und bringe mir einen Kürbis!«

Aschenbrödel ging sofort hinunter, pflückte den schönsten Kürbis, den sie fand, und brachte ihn der Patin, ohne zu ahnen, wie er ihr zum Ballbesuch verhelfen könnte. Die Patin fing an, den Kürbis auszuhöhlen, und als nur noch die Schale übrig war, klopfte sie mit ihrem Zauberstab daran, und auf der Stelle verwandelte sich der Kürbis in einen schönen, goldenen Wagen.

Dann sah sie in der Mäusefalle nach und fand sechs lebendige Mäuse darin. Sie befahl Aschenbrödel, die Klappe ein wenig anzuheben, und gab jeder Maus, die herausschlüpfte, einen leichten Schlag mit ihrem Zauberstab. Darauf verwandelte sich die Maus sofort in ein schönes Roß. Das gab ein prächtiges Sechsgespann, sechs Pferde von herrlichem Apfelgrau, geradeso wie die Mäuse gewesen waren.

Nun fehlte nur noch ein Kutscher, und Aschenbrödel meinte: »Ich werde einmal sehen, ob nicht eine Ratte in der Falle ist! Daraus könnten wir wohl einen Kutscher machen.«

»Du hast recht,« sagte die Patin, »sieh einmal nach!«

Aschenbrödel holte die Rattenfalle; da waren drei fette Ratten darin. Eine von ihnen, die einen stattlichen Bart hatte, packte die Fee, und kaum hatte sie die Ratte mit dem Stabe berührt, da stand auch schon ein dicker Kutscher da, mit einem so mächtigen Schnauzbart, wie man noch keinen gesehen hatte.

Hierauf sagte die Fee zu Aschenbrödel:

»Gehe in den Garten, dort wirst du hinter der Gießkanne sechs Eidechsen finden, die bringe mir her!«

Kaum hatte sie die Eidechsen gebracht, da verwandelte sie die Patin in sechs Lakaien in prächtig verbrämten Röcken. Sofort stiegen die Lakaien auf ihre Sitze und benahmen sich dabei so geschickt, als hätten sie in ihrem ganzen Leben nichts anderes getan. Dann sagte die Fee zu Aschenbrödel:

»Siehst du, jetzt kannst du auf den Ball fahren; freust du dich nun?«

»O ja; aber soll ich denn so, wie ich bin, hingehen, in diesen schlechten Kleidern?«

Da berührte sie die Patin leise mit ihrem Zauberstabe, und sofort hatte sich ihr armseliges Kleid in ein gold- und silberglänzendes, mit Edelsteinen besetztes Gewand verwandelt. Zum Schluß gab sie ihr noch ein Paar niedliche gläserne Pantöffelchen.

So geschmückt stieg Aschenbrödel in den Wagen; aber vorher trug ihr die Patin auf, ja nicht die Mitternacht vorbeizulassen, und drohte ihr, wenn sie auch nur einen Augenblick länger auf dem Ball bliebe, so würde ihr Wagen wieder zum Kürbis werden, ihre Pferde zu Mäusen, ihr Kutscher zur Ratte, und ihre stattlichen Lakaien würden wieder ihre frühere Gestalt annehmen.

Aschenbrödel versprach ihrer Patin, den Ball ganz gewiß vor Mitternacht zu verlassen, und fuhr ab, außer sich vor Freude. Als sie so prächtig dahergefahren kam, benachrichtigte man den Sohn des Königs, eine vornehme Prinzessin, die niemand kenne, sein angekommen, und der Königssohn lief herbei, sie zu empfangen. Wie sie aus dem Wagen stieg, reichte er ihr die Hand und führte sie in den Festsaal. Da war mit einem Male großes Schweigen: alles hörte auf zu tanzen, und die Geigen verstummten. Jeder sah nur noch die wunderschöne Unbekannte. Überall hörte man raunen und wispern:

»Ach, wie schön ist sie!«

Sogar der König, so alt er war, konnte sich nicht von ihrem Anblick losreißen und flüsterte der Königin zu, er hätte lange keine so hübsche und so liebenswerte Person gesehen.

Die Damen musterten Kopfputz und Kleiderschnitt der Fremden mit großer Aufmerksamkeit, um es ihr schon am anderen Tage nachzutun, vorausgesetzt, daß sich so schöne Stoffe finden ließen und so geschickte Schneider.

Der Königssohn führte die Fremde auf den Ehrenplatz und bat sie sofort um einen Tanz, und sie tanzte mit so viel Anmut, daß man nicht aus dem Staunen kam.

Nun wurde ein köstliches Mahl bereitet, aber der junge Prinz konnte keinen Bissen essen: er sah nichts anderes mehr als seine Dame.

Nach dem Mahl stand Aschenbrödel auf und setzte sich zu ihren Schwestern, um ihnen tausenderlei Artigkeiten zu erweisen. Sie teilte Orangen und Zitronen mit ihnen, die ihr der Prinz geschenkt hatte, und setzte sie mit alldem in das größte Erstaunen. Denn sie erkannten Aschenbrödel nicht.

Als sie noch plauderten, hörte Aschenbrödel drei Viertel auf zwölf schlagen. Schleunigst erhob sie sich, machte vor der ganzen Festgesellschaft eine tiefe Verbeugung und verließ den Saal so rasch, wie sie konnte.

Zu Hause angelangt, suchte sie die Patin auf, dankte ihr herzlich und sagte ihr, sie wünsche sich sehnlichst, am nächsten Tage nochmals auf den Ball zu gehen, weil der Königssohn sie darum gebeten habe. Als sie gerade dabei war, ihre Erlebnisse zu erzählen, da klopften die Schwestern an die Türe, und Aschenbrödel machte ihnen auf.

»Ihr kommt aber spät!« sagte sie, rieb sich gähnend die Augen und reckte sich, als sei sie eben aufgestanden.

Die eine der Schwestern sagte: »Wärest du mit auf dem Ball gewesen, du hättest dich sicher nicht gelangweilt. Es war eine so schöne Prinzessin da, wie es auf der ganzen Welt keine zweite gibt. Tausend Artigkeiten hat sie uns erwiesen und hat uns Orangen und Zitronen geschenkt.«

Aschenbrödel war außer sich vor Freude; sie fragte, wie die Prinzessin hieße. Aber ihre Schwestern antworteten, daß kein Mensch sie kenne, und daß der Königssohn sich den Kopf darüber zerbräche und alles in der Welt darum gäbe, wenn er erfahren könne, wer sie sei.

Aschenbrödel lachte: »War sie wirklich so schön? Mein Gott, wie ich euch beneide! Könnte ich sie doch nur einmal sehen! Ach, Fräulein Javotte, leiht mir doch euer gelbes Kleid, welches ihr alltags tragt!«

»Das könnte mir passen,« meinte Fräulein Javotte, »einer alten Küchenschabe wie dir das Kleid leihen! Da müßte ich ja närrisch sein!«

Aschenbrödel hatte diese Antwort erwartet und war froh darüber, denn sie wäre in die größte Verlegenheit geraten, hätte ihr die Schwester wirklich das Kleid geliehen.

Als die beiden Schwestern am nächsten Tage wieder zum Balle fuhren, erschien auch Aschenbrödel dort, aber diesmal noch herrlicher geschmückt wie am ersten Tag.

Der Königssohn ging nicht von ihrer Seite und sagte ihr die schönsten Dinge.

Darüber vergaß das junge Mädchen ganz, was ihr die Patin gesagt. Die Uhr holte schon zum Schlag der zwölften Stunde aus, da glaubte sie noch, es sei erst elf. Schnell sprang sie nun auf und flüchtete so leicht wie eine Hindin.

Der Prinz stürzte ihr nach, aber er konnte sie nicht mehr erreichen. In der Eile verlor Aschenbrödel einen ihrer gläsernen Pantoffel, den der Prinz behutsam aufhob.

Ganz außer Atem kam sie nach Hause, ohne Wagen, ohne Lakai, in ihren schlechten Kleidern. Nichts war ihr von all der Herrlichkeit geblieben als das zweite Pantöffelchen, das genau so war wie das verlorene.

Die Torwächter des Schlosses wurden gefragt, ob sie keine Prinzessin gesehen hätten. Doch diese sagten, sie hätten nur ein junges Ding in Lumpen gesehen, mehr von dem Aussehen einer Bauernmagd als einer Edeldame.

Als nun die beiden Schwestern vom Ball heimkehrten, fragte sie Aschenbrödel, ob sie sich wieder gut unterhalten hätten, und ob auch die schöne Dame wieder da gewesen wäre.

Ja, sagten diese, aber die schöne Dame sei davongelaufen, als die Uhr Mitternacht geschlagen habe. Sie sei so rasch gelaufen, daß sie dabei eines ihrer wunderschönen gläsernen Pantöffelchen verloren habe. Das habe der Königssohn aufgehoben und bis zum Ende des Balles kein Auge davon gelassen. Sicher sei er ganz verliebt in das schöne Mädchen, dem das Pantöffelchen gehöre.

Sie hatten recht, denn wenige Tage darauf ließ der Königssohn mit Trompetenschall bekanntgeben, er würde das junge Mädchen zu seiner Frau machen, an dessen Fuß das Pantöffelchen passe.

Zuerst probierte man bei den Prinzessinnen, dann bei den Herzoginnen und bei der ganzen Hofgesellschaft, aber umsonst. Man brachte das Pantöffelchen zu den beiden Schwestern, die sich anstrengten, den Fuß hineinzuzwängen, aber sie brachten es nicht zuwege. Als Aschenbrödel ihnen dabei zusah und ihren Pantoffel wieder erkannte, sagte sie lachend:

»Laßt mich doch einmal sehen, ob er mir nicht paßt!«

Da fingen die Schwestern an zu lachen und ihre Witze über sie zu machen. Aber der Edelmann, der die Pantoffelprobe veranstaltete, hatte Aschenbrödel aufmerksam betrachtet und fand sie sehr schön. Deshalb sagte er zu ihr, ihr Wunsch sei berechtigt, denn er habe den Auftrag, die Probe bei allen jungen Mädchen zu machen.

Er ließ Aschenbrödel Platz nehmen, und als er den Pantoffel an ihren kleinen Fuß hielt, da schlüpfte sie mühelos hinein, und das Pantöffelchen paßte ihr wie angegossen.

Das Erstaunen der beiden Schwestern war groß, aber es wurde noch größer, als Aschenbrödel aus ihrer Tasche das andere Pantöffelchen hervorzog und hineinschlüpfte.

Darüber kam die Patin hinzu und mit ihrem Zauberstabe berührte sie Aschenbrödels Kleid und verwandelte es in ein Gewand, das noch viel, viel schöner war als alle früheren.

Da erkannten die beiden Schwestern in Aschenbrödel die schöne Fremde, die sie auf dem Ball gesehen hatten. Sie warfen sich ihr zu Füßen und baten sie um Verzeihung für alles Böse, was sie ihr zugefügt hatten.

Aschenbrödel hob sie auf, umarmte sie und beteuerte, daß sie ihnen von ganzem Herzen verzeihe und sie bäte, immer lieb zu ihr zu sein.

Dann geleitete man Aschenbrödel, herrlich geschmückt, wie sie war, zu dem jungen Prinzen, und dieser fand sie noch tausendmal schöner als zuvor. Wenige Tage darauf wurde die Hochzeit gefeiert. Aschenbrödel war ebenso gut wie schön, ließ die beiden Schwestern im Schlosse wohnen und verheiratete sie noch an demselben Tage mit zwei vornehmen Herren vom Hofe.

Moral:

 
Ganz ohne Zweifel es von großem Vorteil ist,
Wenn du nicht mutig nur, wenn du auch witzig bist,
Vornehmen Standes und auch klug dabei,
Und was an Gaben dir noch mehr beschieden sei.
Jedoch vergebens sie zu eigen dir gehören,
Dein Glück und Streben sie um keinen Deut vermehren,
Wenn du nicht eine Patin hast und gute Paten,
Die dich bei deinem Werk betreuen und beraten.