Der Gurkensalat der Seele

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Der Gurkensalat der Seele
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Serge Berger

Der Gurkensalat der Seele

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Andere Werke

Impressum neobooks

Kapitel 1

Eines Abends im Jahre 2000 nach Christus lief in einer gut eingerichteten und flexibel beheizbaren Wohnung einer nicht allzu dicht bewohnten Großstadt nördlich des Äquators der Fernseher.

"In München ist heute das bereits vierte Opfer des Weißwurstwahnsinns zu beklagen. Es handelt sich dabei um den 34-jährigen kleinen Gardeoffizier Günther K., der nach einer Brotzeit verdorbener Weißwürste dem Ministerpräsidenten mit einer Aubergine lebensgefährliche Verletzungen zufügte. Günther K. ist bereits in Haft, der Ministerpräsident wird - laut Angaben seiner Ärzte - möglicherweise nie wieder sitzen können. Das waren die Nachrichten für heute, sehr geehrte Zuseher, Moment ich bekomme da gerade eine aktuelle Meldung...die englische Regierung hat in einer Pressekonferenz bekannt gegeben, dass alle Spekulationen, dass der schottische Geheimdienst an einem unbesiegbaren Superhelden namens Supermac arbeitet, völlig aus der Luft gegriffen sind."

Nanook, Besitzer der gut eingerichteten und flexibel beheizbaren Wohnung, saß in seinem Fauteuil, schüttelte ob der Nachrichten den Kopf und schaltete auf einen anderen Kanal.

"Guten Abend bei Der moderne Mensch. Mein Name ist Hieronymus Schleck und mein Gast heute Abend ist der russische Universitätsprofessor Ivan Baranow. Herr Baranow, Michail Gorbatshow ist in einer Zeit an die Macht gekommen, als es in Russland drunter und drüber ging und Gewalt an der Tagesordnung war. Wie hat der Präsident in dieser schwierigen Zeit für Frieden und Versöhnung gesorgt?" fragte der Moderator Hieronymus Schleck.

"Das war nicht schwierig. Für solche Dinge braucht man nur eine einzige Sache!" erklärte Baranow.

"Einen starken Willen?" mutmaßte Schleck.

"Papperlapapp! Einen richtigen Hintern in der Hose!!" erklärte Baranow. Und er tat dies ohne mit der Wimper zu zucken.

"Einen Hintern?"

"Einen Hintern."

"Einen Hintern?"

"Einen Hintern."

"Aber die Redewendung heißt doch Eier in der Hose haben, nicht wahr?" wollte Schleck die Thematik in eine andere Richtung bringen.

"Ein Übersetzungsfehler!" dröhnte Baranow, "nein, es geht nur um zwei prächtige Backen mit einem alles verschlingenden Loch in der Mitte! Damit gelingt einem alles! Ja glauben Sie denn im Ernst, die Perestroika hätte es ohne einen richtigen Hintern geben können?! Wie stellen Sie sich das denn vor?!"

Schleck schüttelte den Kopf.

"Was ist denn mit den anderen Politikern?" fragte er, "haben die keinen - wie sagen Sie - achja, Hintern in der Hose?"

Da aber lachte Baranow spöttisch und sagte: "Fälschungen! Doppelgänger! Plagiate! Dubletten! Reproduktionen! Nicht so bei Gorbatschow. Da war alles echt. Und ich werde es beweisen!!"

Und Baranow holte ein paar Polaroidbilder, die einen nackten Hintern zeigten aus seiner Sakkotasche und hielt sie in die Kamera.

"Das ist Gorbatshows Arsch! Ein Prachtstück, nicht wahr?!"

Nanook schaltete den Fernseher ab, warf sich eine Erdnuss ein und kuschelte sich in seinen fleischigen Fauteuil. Nanook fand dass Baranow ganz recht hatte. Ein richtiger Arsch war die beste Voraussetzung damit die Dinge richtig liefen. Und die Geschäfte von Nanook, dem Gangsterboss der Stadt, dessen Name stets mit einem ehrfurchtsvollen Big vorne dran genannt wurde, liefen ziemlich gut. Heute war er mächtig, aber das war nicht immer so gewesen. In seiner Jugendzeit hatte er mit seinen Eltern so manchen Strauß ausgefochten, was im Übrigen eine ziemlich blöde Formulierung ist.

"Glaubst ihr wirklich, das mich interessiert, was ihr machts?" hatte Nanook des öfteren gerufen, "ihr seid wirklich die ärgsten Spießer! Immer schön den Schein wahren, immer mit der Masse mitgehen, ja nicht auffallen! Ihr kriegts ja überhaupt nicht mit, was in der Welt alles passiert! Ihr stellts euch taub für alles, was wichtig ist, für euch zählt nur euer gut behütetes kleinbürgerliches Leben! Ihr seid so kleinkariert und borniert! Euer Leben besteht nur aus fischen und Robben fangen und Iglo bauen!!"

"Was sollen wir sonst tun?" hatte sein Vater dem pubertierenden Sohn gesagt, "immerhin sind wir Inuit."

Nanook hatte schnell erkannt, dass die Welt im Eis für ihn keine Zukunft bot. Also floh der kleine Nanook in die große Stadt, stieg im organisierten Verbrechen ein und arbeitete sich hinauf zu Big Nanook.

Seine Feinde fürchteten ihn, da er ohne Gnade zuschlug. Als der ehemals berüchtigte Auftragskiller Tony Legs Ribaldi einmal in Nanooks Gegenwart einen Scherz über Pelzkappen machte, fackelte Nanook nicht lange, und Tony konnte man danach nur noch Tony no legs Ribaldi nennen.

Respektlosigkeiten konnte Nanook gar nicht ausstehen. Freilich, in seiner Position kam er mit vielen Dieben, Mördern, Zuhältern und Klempnern zusammen. Aber mit allen Gegnern hatte Nanook das Auskommen gefunden und weiterhin seine Wohnung beheizen können. Bis zu dem Tag, als Fat Veit Birnbaum aufgetaucht war.

*****

Der dicke Veit hatte sich im Süden der Stadt immer mehr breitgemacht und kontrollierte schon drei Bezirke. Es blieben zwar immer noch 15 für Nanook, aber so einen Affront konnte der Eskimo nie und nimmer durchgehen lassen. Also vereinbarte er ein Treffen beim Italiener.

Fat Veit saß bereits im schmalen Hinterzimmer zu Tisch und schaufelte sich die Spaghetti rein, als Nanook den Raum betrat. Veit sah einen einssechzig großen Mann, der einen dicken Parka samt riesiger Pelzkappe, eine Thermohose und dicke Schneestiefel um seinen Leib hatte.

"Ich bin Nanook", erklärte der Gast.

"Sie sind doch nicht etwa Jude?" fragte Veit und rülpste.

"Wie kommen Sie denn darauf?" fragte Nanook verwirrt.

"Na Ihr Anzug. So läuft doch bei uns keiner herum", sagte Veit und Sauce Bolognese tropfte ihm vom Kinn auf die Hose.

"Ich hab noch nie einen Juden in Moonboots gesehen", erklärte Nanook genervt und nahm gegenüber Fat Veit Platz. Dabei stellte er entsetzt fest, dass sein Gegner zum Essen Rotwein aus dem Tetrapak trank.

"Sie haben recht, kein Jude würde sich so beschissen anziehen", erklärte Fat Veit.

"Ich muss mich so anziehen!" erklärte Nanook nicht ohne Stolz, "ich bin nämlich Inuit!"

"Hmmm...", grübelte Veit und erinnerte sich an seine mangelhafte Schulbildung, "ein Eskimo?"

"Eskimo?!" empörte sich Nanook, "das heißt übersetzt Rohfleischesser. Würde es Ihnen gefallen, wenn man Sie Rohfleischesser nennt?"

"Aber ich esse rohes Fleisch!" rechtfertigte sich Fat Veit, "in großen Mengen! Manchmal graust mir eh, aber ich heiße schließlich Fat Veit und nicht Veit, der wo zart wie eine Feder ist!"

"Na eben. Und den Begriff Eskimo will ich nicht mehr hören! Was glauben Sie, was ich mir täglich anhören muss: Die Eskimos kommen alle zu uns, kriegen gleich eine Gemeindewohnung, kassieren Sozialhilfe, fahren alle im Mercedes herum und braten Hammel im Hinterhof! Randgruppen haben eine Recht darauf, dass ihre Anliegen wahr genommen werden. Und bei der Sprache fängt es an!" schloss Nanook.

"Genau", ergänzte Veit und eine Nudel hing ihm aus dem Mund, "man darf zum Beispiel nicht mehr sagen Hängt den verdammten Nigger, sondern Hängt den verdammten Afroamerikaner!"

Und er sog die Nudel in seinen Schlund.

Nanook schüttelte seufzend den Kopf.

"Lassen wir doch diese Streitereien. Kommen wir zum Grund unseres Treffens. Ich bin seriöser Geschäftsmann und ich halte nichts davon die eigene Großmutter für ein Appel und ein Ei zu verkaufen."

"Da geb ich Ihnen völlig recht", sagte Fat Veit und nahm einen langen Schluck aus dem Tetrapak, "als ich meine Oma verkauft habe, musste ich feilschen!! Der Käufer wollte mir nur ein Klapprad für sie geben, ich hab den Preis dann doch auf einen runterfrisierten VW Polo raufgehandelt!"

Nanook war von Fat Veit alles andere als angetan gewesen. Der Mann war ein Prolet. Und zu einer Einigung kamen sie auch nicht. Fat Veit hatte Nanook ins Gesicht gesagt, dass dessen Einschüchterungen nicht fruchteten, er nicht im Traum daran dachte, ihm auch nur eine Gasse abzugeben und es schlimmsten- falls auch auf einen Gangsterkrieg ankommen lassen würde.

Als wäre nicht schon genug Porzellan zerschlagen worden, kam gegen Ende des Treffens Fat Veit nochmal auf Nanooks Herkunft zu sprechen.

"Jetzt bemerke ich das ja erst, Sie haben ja einen sehr dunklen Teint. Sie sind doch nicht etwa Avon-Berater?"

*****

Die brütende Hitze lag wie eine Dunstglocke über dem Wolkenkratzerdschungel der Stadt und kochte den Asphalt in den Straßen weich. Graziella von Barnstorf mit den traurigen bernsteinfarbenen Augen stand vor ihrem raumhohen Spiegel und prüfte ihr mauvefarbenes Ballkleid mit der feinen Brüsseler Spitze.

 

Das Knarren der Türe hatte etwas von einem Grab. Ungeschminkt und ohne Manieren trat Nossiter ein.

"Durchlaucht", begann er, "ich werde mich um Sie kümmern. Es war das letzte, was ich Ihrem Vater auf seinem Todesbett versprochen habe. Auch wenn das Todesbett ein Rumtopf war."

Graziella von Barnstorf musterte den Neuankömmling mit seinen haselnussbraunen Augen.

"Ich danke der heiligen Jungfrau, dass sie einen Mann wie Sie in die Stadt schickte", sagte sie. Sanft spiegelte sich der Schein von tausend Kerzen in ihrem Ankleidespiegel. Wiewohl eine neue Liebe unvorstellbar für Graziella war, erfreute sie der Anblick des verwegenen Revolverschwingers. Glühende Küsse auf seidenen Kissen, danach war der attraktiven Trilliardenerbin. Aber war es rechtens, ihrem sinnlichen Begehren nachzugeben?

"Sie sehen aus wie ein Mann, der keinen Kampf mehr will", sagte sie.

"Ich war lange genug Richter und Vollstrecker", erwiderte Nossiter, "ich weiß, wie es ist, sich eine ganze Stadt in die Tasche zu stecken, ich hab das alles mehr als einmal gesehen."

"Warum sprechen Sie so schwer?" fragte Graziella und verspürte ein sehnsüchtiges Prickeln in ihrem bebendem Busen. Dieses ungewaschenen Desperado Kind würde sie gern unter ihrem Herzen tragen. Sogar zum Schwangerschaftstest würde sie mit diesem verwegenen Revolvermann reiten!

"Von hinten wird niemand mehr auf Sie schießen, den ich vorher umlegen kann", erklärte Nossiter und leckte sich die Lippen.

"Na hoffentlich auch nicht von vorne", meinte jemand.

"Häh?" sagte Nossiter. Etwas aus dem Konzept gebracht sah er sich um.

"Naja, was nutzt der heißblütigen Graziella, wenn sie nicht von hinten erschossen wird, wenn vielleicht vor ihr eine grimmige Rothaut mit dem gierigen Tomahawk wartet? Oder ein Trapezkünstler, gepackt vom Schiesspulverrausch?"

"Häh?" sagte nun auch die Durchlaucht.

"Das ist ein schwerer Dialogfehler", erklärte die Stimme und der dazugehörige Körper gehörte einer stark geschminkten und leicht runzeligen Frau, die vielleicht 70 Jahre alt war, vielleicht aber auch nur 55. Sie hatte es sich im Sofa, das vor der Durchlaucht und dem Revolvermann stand, bequem gemacht und war niemanden aufgefallen, nicht den Kulissenschiebern, nicht dem Aufnahmeleiter und nicht dem Script Girl.

"Cut, cut, verdammt nochmal", schrie ein kleiner rosa angezogener Mann mit einem großen Megaphon und lief hüftschwingend aufs Set.

"Darlings ihr ward großartig", erklärte er den beiden Schauspielern, dann wandte er sich an den ungebetenen Gast namens Mona.

"Was tun Sie hier?" fragte er mit aller Männlichkeit, die er aufbringen konnte, was gar nicht so leicht war, trug er doch in seiner Freizeit ausschließlich Frauenkleider.

"Ich kümmere mich um das, was hier vernachlässigt wird! Anschlüsse! Logik! Davon scheint ihr ja nicht viel Ahnung zu haben!" sagte Mona bestimmt.

"Raus mit der Alten", befahl der Regisseur, "ruft die Polizei!"

"Aber ich bin entmündigt!" sprach Mona Birnbaum.

"Dann ruft halt ihre Verwandten", rief der Regisseur.

*****

Das Problem bei Veit Birnbaum war nicht, dass er sich mit Haut und Haaren dem organisierten Verbrechen verschrieben hatte, sondern dass er amerikanische Filme zu ernst nahm. So war er überzeugt, dass zum Gangstertum in erster Linie ein idiotischer Name notwendig war. Veit, so befand er, hörte sich an wie der Name eines Lehrers in einem ostdeutschen Problemfilm. Veit aber sehnte sich nach einem Namen der seinen Charakter als furchtloser Gangster ohne jegliche Skrupel unterstrich. Also legte er sich eine Kollektion von Tirolerhüten zu und nannte sich fortan Tirolerhut-Veit. Rasch folgte ein Engagement als Heurigensänger und Veit erkannte, dass die Tirolerhüte wohl nicht das geeignete Mittel waren, um in der Unterwelt zu einer respektierten Größe zu werden, an der niemand vorbei konnte. Aus Frust widmete er sich seinen Lieblingsbeschäftigungen Bier, Pizza und Kebab, und ehe er es sich versah, hatte er sich zu Fat Veit hinaufgefressen. Nun stand der Gangsterkarriere nichts mehr im Wege.

Fat Veit begann seine Laufbahn als Kassier des Sparvereines seines Stammcafés Rote Henne. Die Gaststätte beherbergte schon damals zwielichtige Gesellen, Wirt Sedlacek war in der Unterwelt ein nicht unbeschriebenes Blatt. Veit arbeitete sich langsam aber beständig nach oben und zwei Jahre später gelang es ihm, Sedlacek mit einer Falschaussage ins Gefängnis zu bringen. Er übernahm dessen Geschäfte und war fest entschlossen, diese auch zu erweitern. Als solcher brauchte er natürlich eine rechte Hand. Fat Veit prüfte verschiedene Bewerber. Am besten gefiel ihm Fabian, ein Ganove, der sich dadurch auszeichnete, Tattoos im Gesicht zu haben.

"Was würdest du als deine größte Stärke bezeichnen?" fragte Fat Veit den jungen aufstrebenden Kriminellen, der bei ihm im Büro Platz genommen hatte.

"Ich kann einem Typen das Herz rausreißen und es zu Ravioli machen. Aber nicht diese Dosenravioli, sondern diese Italienischen, so mit einer Prise Parmesan."

Fat Veit war begeistert.

"Wunderbar! Es ist immer gut, eine Verbindung zur alten Heimat zu haben! Aber kommen wir zum Geschäft. Ich brauche jemanden, auf den ich mich voll und ganz verlassen kann. Ich bin Geschäftsmann und jeder Geschäftsmann ist nur so gut wie seine Mit-arbeiter. Ich plane auch zu expandieren und hierbei wird es natürlich Konkurrenz geben. Da kann es durchaus sein, dass wir unsere Mitbewerber nachdrücklich überzeugen müssen, du verstehst?"

Fabian grinste.

"Wir machen ihnen ein Angebot, dass sie nicht abschlagen können!"

"Wir verstehen uns!!" freute sich Fat Veit über den Bewerber, "ich glaube wir werden gut miteinander auskommen. Und als Zeichen meines Vertrauens werden wir gleich auf Kosten des Hauses eine Flasche Sekt köpfen. Aber vorher müssen wir noch eine Kleinigkeit regeln."

"Was denn?"

"Es ist diese Geschichte mit den Namen. Ich bin in einer speziellen Position. Ich habe zu repräsentieren!! Wenn ich mich zum Beispiel mit dem Capo von einer anderen Stadt treffe und sage das ist Fabian, meine rechte Hand wird sich der natürlich zerkugeln. Dein Namen ist nicht geeignet für die Branche. Du brauchst einen Künstlernamen. Sowas wie Mr. Death oder Mr. Bojangles oder Mr. Minit. Einen Namen, der deiner Persönlichkeit entspricht. Gibt’s nicht irgendwas Spezielles, das dir besonders gefällt?"

"Ich hab alle Folgen von Raumschiff Enterprise auf Video! Nennen Sie mich doch Mr. Spock!" sagte Fabian.

Das gefiel Fat Veit gar nicht.

"Bist du verrückt?! Der hatte doch nie was mit Frauen! Und ich will nicht, dass meiner Gang der Ruf einer Homosexuellenorganisation anhängt!"

"Verstehe", sagte Fabian.

"Ich weiß was besseres. Fabian. Bist du stark?"

"Klar."

"Bist zu zäh?"

"Klar."

"Du kannst also Einiges vertragen?"

"Klar."

"Okay."

Fat Veit packte Fabians Kopf, knallte ihn einige Male gegen den massiven Eichenschreibtisch und ließ seinen neuen Assistenten dann durchs Zimmer taumeln und seine Zähne ausspucken.

"Besten Dank für deine Mitarbeit", meinte Veit, "und jetzt sag mal: Fischers Fritz fischt frische Fische."

Und Fabian nuschelte etwas, das sich wie Fschschrfrfschfrschh anhörte. Fat Veit war begeistert.

"Wunderbar! Ab heute heißt du Mr. Murmler!"

*****

Und jetzt kommts: 15 Jahre zuvor, also sagen wir mal 1985, geschah im Königspalast des Zwergenstaates Murgi eine Kleinigkeit, die noch große Auswirkungen auf die Welt zu haben gedachte.

Prinz Gustav lag bereits im Bett, neben ihm das Objekt seiner Begierde.

"Na meine Süße? Soll ich dir den Finger reinstecken? Das willst du doch, oder? Du geile Dreckssau!" sabberte er.

Dann steckte der Prinz den Finger in den Mund, machte ihn sozusagen schön schlüpfrig, und dann ganz vorsichtig, führte er ihn ins Loch ein.

"Ja, Baby, das gefällt dir! Gibs zu, du versaute Schlampe!"

"Gustav", sagte Königin Emma, die gerade am Schminktisch saß und ihr Nachtmakeup auftrug, "fummelst du schon wieder an deiner Schrotflinte rum?"

"Fummeln? Ich? Ich bin der Prinz! Und die Flinte hier ist notwendig! Stell dir vor, ein Bingobongo-Kongoneger mit Lust auf weißes Frauenfleisch oder schmierige Itakker im Bologneserausch brechen ein...oder so schlitzäugige gelbe Teufel! Die wollen deine Hunde als Mittagessen!! Und mich als Dessert!" schimpfte der von Fremdenfreundlichkeit verschont gebliebene Prinz.

Die Königin betrachtete ihr Ebenbild im Garderobenspiegel und betastete skeptisch ihr Haupthaar.

"Meinst du nicht auch, ich sollte wieder mal zum Friseur?" fragte sie ihren Mann.

"Aber ich mag die Haare auf deiner Brust", bemerkte der Prinz.

"Ich meine doch mein wallendes Haupthaar", erklärte die Königin.

"Wir haben doch eh einen Hoffriseur, Derek, den Schokostecher", meinte der Prinz.

"Hast du nicht gesehen, was er mit Mum gemacht hat? Warum glaubst du hat sie immer diese schrecklich breiten Hüte auf?"

"Hm....damit sie den Wodka wo abstellen kann?" schlug der Prinz vor.

"Nein", erklärte die Königin, "weil Derek so schlecht Haare schneidet. Aber es gibt jetzt einen Friseur zu dem alle Staatsmänner gehen. Er heißt Baptiste und arbeitet in der Schweiz. Morgen mach ich gleich einen Termin bei ihm aus. Aber meine Haare gefallen mir heute schon nicht mehr." Und darum band sich die Königin kurzerhand ein Kopftuch um. Als Emma zu Bett ging, schrie Prinz Gustav bei ihrem Anblick "Um Himmels Willen! Ein verdammter kamelfickender Ayatollah!"

Er verfehlte seine Frau mit der Schrotflinte nur um zwei Millimeter.

*****

Fat Veit forderte Nanook auf, sein Revier an ihn abzugeben. Ansonsten sehe er sich gezwungen, Nanooks Tochter zu entführen und ihm jede Woche einen ihrer Finger zu schicken. Nanook war nicht beeindruckt. Um zu zeigen, dass es ihm ernst war, erklärte Fat Veit Mr. Murmler, dass er vorhabe, Nanook einen abgehackten Finger zu schicken. Und während Mr. Murmler noch rätselte, wo der Boss denn den Finger hernehmen wollte, zog Fat Veit sein Hackebeil und Mr. Murmler bekam im Spital einen hübschen Verband. Nanook zeigte sich durch den Finger abermals nicht beeindruckt und schickte Fat Veit einen Kürbis, was für einen Gangster die größte vorstellbare Demütigung ist. Zudem erklärte Nanook, dass seine Tochter schon vor Jahren das Geschlecht geändert hatte und nun als Barry-Manilow-Imitator durch die Provinz tingelte. Fat Veit schwor Rache, da läutete das Telefon.

*****

Zwei Gestalten trotteten langsam auf den großen Parkplatz, der vor dem Fernsehstudio lag in dem Monas Lieblingsserie Goldene Jahre produziert wurde.

"Es ist eine Schande, wie hier mit verdienten Fans umgegangen wird", schimpfte Mona. Sie trug ein altes Kostüm und hatte eine lächerliche Boa um den Hals. Ihre Augen und ihr Mund war dick geschminkt. Auch trug sie ein lächerliches Hütchen auf dem Kopf. Fat Veit, der Mona fest am Arm hielt und zu seinem Wagen führte, meinte, durchaus zerknirscht: "Das war jetzt das dritte Mal, dass ich dich da rausholen musste! Hast du das Konzept einer Show immer noch nicht verstanden?! Die Leute hier, in diesem Studio, drehen die Fernsehserie, wir, daheim, schauen sie uns im Fernsehen an. Wir sind die Zuschauer und die haben im TV-Studio nix verloren!"

Er blieb stehen und sah Mona ärgerlich an.

"Was ist denn daran nicht zu verstehen?!"

"Es sind Leute wie ich, die diese Serie zu dem gemacht hat, was sie ist! Ich schaue jede Woche zu und schneide mir alle Artikel aus! Ich bin quasi die Mutter dieser Serie!" erklärte Mona lautstark, öffnete den Wagen ihres Bruders und setzte sich auf den Beifahrersitz.

Veit sagte nichts. Er startete seufzend seinen Wagen und fragte sich, ob es klug war, seine Schwester bei sich und seiner Familie wohnen zu lassen.

"Ich frage mich, ob es klug ist, bei dir und deiner Familie zu wohnen", sagte nun Mona, holte einen Flachmann aus ihrem Kleid und nahm einen kräftigen Schluck.

"Deine Wohnung ist komplett ausgebrannt, da ist doch klar, dass du bei uns wohnen kannst. Daphne hat ja nur eine kleine Stube, bei der wäre kein Platz", sagte Veit und lenkte den Wagen in Richtung seines Hauses. Daphne war Monas Tochter und Veits Nichte und pflegte nur wenig Kontakt zur Familie.

 

Mona rülpste und sagte dann: "Deine Kinder sind übrigens ganz in Ordnung. Der Anatol ist sehr nett, vielleicht ein bisschen langweilig, aber okay."

"Der Anatol ist mein Sohn und studiert Biologie. Sowas kann man in meiner Situation immer brauchen", erklärte Veit, "man weiß ja nie, mit was für wildgewordenen Bären oder Eskimos man zu tun hat."

"Und der Toby ist ja ein wirklich lieber Bub, eine Freude, so jemand als Neffen zu haben."

"Wundert mich nicht, dass du dich so gut mit ihm verstehst", meinte Veit bitter. Sein jüngerer Sohn Toby hatte ihm schon manchmal Grund zur Sorge gegeben, war er doch ein mindestens ebenso großer Traumtänzer wie seine Tante.

"Aber dieser Oskar, der ist mir nicht geheuer", murmelte Mona und schluckte, "der hat was gegen mich. Manchmal fixiert er mich mit seinen kleinen gelben Augen, da läuft es mir kalt den Buckel runter. Ich würde mich viel wohler fühlen, wenn der auszieht."

Veit stutzte.

"Oskar?" fragte er, "Tobys Stoffmaus, die er schon seit Kindertagen hat?"

"Genau!" bestätigte Mona, "wirf ihn doch raus! Er ist ja sowieso kein Blutsverwandter!!"

"Er ist ein verdammtes Spielzeug, verdammt!" rief Veit, "eine Puppe. Nichts Lebendiges!"

"Die Ampel ist rot", bemerkte Mona und Veit trat mit aller Kraft, die seinem Leib zur Verfügung stand, auf die Bremse, sodass der Wagen einen Millimeter vor dem Fußgängerübergang zu stehen kam.

"Wenn du nicht besser aufpasst, wirst du noch in einen Unfall geraten", sagte Mona und warf zwei Tabletten ein.

Veit schnippte mit den Fingern und begann zu grinsen.

"Genau das wird es. Wie ein Unfall!" freute er sich.

*****

Nanook lenkte seinen Wagen gemächlich die Landstraße entlang. Er fuhr gerade Kerzendocht einkaufen oder was weiß ich. Nanook war wiedermal zufrieden. Dieser miese Emporkömmling Fat Veit hatte schon eine Woche nichts mehr von sich hören lassen. Er hatte wohl erkannt, dass sich ein kleiner Vorstadt-ganove niemals mit einem Kaliber eines Big Nanook anlegen durfte. Nanooks Lächeln wurde durch ein leichtes Scheppern gestört. Er schaute aus dem Fenster und sah Fat Veit und Mr. Murmler, die versuchten, Nanook mit ihrem Wagen von der Straße zu drängen und in die ewigen Jagdgründe zu befördern. Dummerweise hatten sich die beiden bei der Wahl des geeigneten Fahrzeugs ausgerechnet für einen Citroen 2CV entschieden, dessen Ramm-Chancen gegen einen Mercedes nun wirklich nicht sonderlich stark ausgeprägt sind. Die Ente rammte den Mercedes und verlor den linken Scheinwerfer. Nanook begann zu lachen. Der 2CV rammte den Mercedes abermals und sein rechter Scheinwerfer machte sich daraufhin selbstständig. Das ist besonders komisch, wenn man sich dazu lustige Stummfilmmusik vorstellt. Der Mercedes blieb weiterhin unbeschadet. Nach drei weiteren Zusammenstößen hatte der 2CV Rückspiegel, Scheibenwischer und Kotflügel verloren. Da wurde es dann auch Nanook zu bunt. Er holte mit dem Mercedes einmal kurz aus, rammte den 2CV sanft, der kam von der Straße ab, raste ins Feld hinein und knallte gegen einen Baum. Fat Veit und Mr. Murmler taumelten aus dem Wrack.

"Ich hab dir gleich gesagt nehmen wir lieber den Mini Cooper!" keppelte Fat Veit.

Obwohl Big Nanook bei dem Attentat nicht verletzt wurde, hatte er nun endgültig genug. Bei einem Mordversuch hört sich der Spaß auf. Nun war es an der Zeit, ein Exempel zu statuieren.

In der Nacht stiegen zwei von Big Nanooks Leuten in den Lagerraum der Roten Henne ein.

*****

"Kommt nach dem Rinderwahnsinn nun die nächste Seuche auf uns zu? Nach vier Fällen des Weißwurstwahnsinns in München gibt es nun auch bei uns das erste Opfer zu beklagen. Ich gebe weiter an meine Kollegin Sybille Humhumhum."

"Danke Julian. Ich melde mich hier direkt vom Ort des Geschehens. Wie Sie hinter mir sehen können, ist das Gasthaus Rote Henne bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Es ist dies ein trauriger Tag für Veit Birnbaum, den Inhaber. War es doch er, der sich am Morgen ein ordentliches Frühstück in Form zweier Weißwürste samt Rettich zubereitete, um kraftvoll und energiegeladen für seine zahlreichen Gäste zu sein. Und es war auch er, der irgendwann, der Weißwurstwahnsinn hatte sein Gehirn schon erreicht, irre kichernd zum Benzinkanister griff und die Grundlage seines Lebens, seine eigene Existenz niederbrannte. Und danach hüpfte er in der Ruine herum und zeigte den Feuerwehrleuten seinen Rettich."

"Gab es Verletzte?"

"Ein Mitarbeiter des Lokals scheint bei dem Unfall alle seine Zähne verloren zu haben und nuschelt unver-ständliches Zeug."

"Wie geht es denn dem Opfer, das ja in diesem Fall auch der Täter ist?"

"Nun, laut Angaben seines Doktors ist Veit Birnbaum außer Lebensgefahr. Der Weißwurstwahnsinn ist zum Glück nicht tödlich. Herr Birnbaum steht zwar noch unter Schock, aber er zeigt schon großes Interesse an Wachsmalstiften."

"Das sind aber gute Nachrichten. Eine letzte Frage: war es ein großer Rettich?"

Big Nanook schaltete den Fernseher ab und nickte zufrieden. Fat Veit war erledigt, Nanook konnte den Süden der Stadt wieder übernehmen. Bald würde das Geld wieder nur so in die Kasse fließen. Und das ungestört.

Das Fensterglas barst, hunderte Splitter regneten in Nanooks Wohnzimmer. Der Gangsterboss fiel vor Schreck vom Sessel und ging hinter dem Schreibtisch in Deckung. Eine dunkle Figur sprang vom Fensterbrett ins Innere des Zimmers.

"Pollweg 13, erster Stock, hier bin ich richtig!" sagte eine dumpf klingende Stimme. Nanook blickte hinter dem Schreibtisch hervor und sah eine große vermummte Gestalt in schwarzem Sonderkommandogewand vor sich.

"Wer bist du?" fragte Nanook, dem Böses schwante, mit matter Stimme.

Die Gestalt riss sich das Hemd auf und entblößte ein schwarzes T-Shirt mit einem leuchtend roten S. Darunter ein rot-weiß-grün karierter Rock. Der Eskimo schluckte.

"Um Himmels Willen! Nicht der!" krächzte Nanook.

Die Gestalt riss sich die Kapuze herunter und enthüllte einen Kopf mit ungehemmt wuchernden roten Bartzotteln sowie wild in die Höhe stehendem Haupthaar. Orangefarben.

"Mein Gott!" rief Nanook, "es ist Supermac!!"

Und Supermac lächelte überlegen.

"Jetzt bist du dran, Haderlump! Denn Personen, die mit Weißwürsten panschen oder gepanschte Weißwürste Konkurrenten unterjubeln, werden mit 100 Jahren schweren Kerker bestraft."

Nanook wußte, dass er keine Chance gegen Supermac hatte und ließ sich von ihm widerstandslos abführen.

So kam Nanook in den Kerker und wieder wurde ein schwerer Fall von Weißwurstkriminalität gerächt. Auch Nanooks Leute begaben sich gleich ohne zu Zögern ins Kittchen. Supermac aber machte sich schon bereit für seinen nächsten Fall: Melanzaniquäler Klaus-Dietrich Wakumba war reif für eine Abreibung.

*****

Fat Veit genas - vermutlich durch seine kräftige Konstitution - relativ schnell. Ein halbes Jahr nach dem Krieg mit Big Nanook war Veit wieder vollkommen geheilt, durfte nach Hause gehen und wurde kurz darauf der größte Gangsterboss der Stadt. Groß nicht nur im Sinne von mächtig, sondern auch im Sinne von - nunja - groß. Während seiner Rekonvaleszenz hatte er soviel gegessen, dass er sich eigentlich schon in Enormer Veit umbenennen hätte können. Seine schiere Masse machte es notwendig, das Familienhaus zu vergrößern, von dem aus er nun seine Geschäfte lenkte. Er okkupierte sieben Räume und wenn ein anderes Familienmitglied ihn besuchen wollte, nahm es immer Wegzehrung mit, denn der Weg von Veits Füßen zu seinem Kopf dauerte 15 Minuten.

Mr. Murmler gab Veits kurzzeitiger Wahnsinn schwer zu denken. Er legte seine kriminelle Vergangenheit ab, startete eine bürgerliche Existenz und fand sogar einen Job: er verdiente sein Geld damit, die Tonbänder der Zugansage zu besprechen.

Kurz, es ging alles seinen gewohnten Weg.

Bis sich eines Tages in einem Zimmer mit der Nummer 105 sechs Gestalten versammelten.

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