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Das Mal der Burgherrin
Sabine Müller, 1973 im saarländischen Homburg geboren, ist Apothekerin und Mutter zweier Kinder. „Das Mal der Burgherrin“, welches in ihrer Heimat spielt, ist ihr erster Roman.
Sabine Müller
DAS MAL DER BURGHERRIN
Engelsdorfer Verlag
Leipzig
2013
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Copyright (2013) Engelsdorfer Verlag Leipzig
Alle Rechte beim Autor
Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)
ISBN 9783954882588
Für Karla.
Inhaltsverzeichnis
Cover
Titelseite
Impressum
Teil 1: Die Homburg 1295 – 1296
Teil 2: Die Pilgerreise 1296
Teil 3: Zurück 1296 –1297
Teil 4: Kirkel 1297 – 1316
Teil 5: Konrad 1317/1318
Nachwort
Personenverzeichnis
Literatur
Dank
Teil 1:
Die Homburg 1295 – 1296
Kapitel 1
Die Tür flog auf. Walther, ein kräftiger junger Mann mit braunen Haaren, humpelte hastig in seine Kammer und schlug die schwere Tür aus Eichenholz hinter sich zu. Er warf den neu geschnitzten Gehstock, den er zum Abstützen benötigte, in eine Ecke. Sein Gesicht war wutverzerrt. Wieso ließ er sich immer von dem jungen Simon reizen?
Simon war sein vierzehnjähriger Vetter, den er, seit sein Bein besser geworden war, tagtäglich bei seinen Waffenübungen begleitete. Der Junge war groß und schlaksig und hatte dunkelblondes, krauses Haar. Das Training mit Armbrust, Langbogen, Lanze und Schwert hatte seinen Körper gestählt und die Sonne seine Haut gebräunt. In seiner kindlichen Arglosigkeit zog er Walther auf, und machte sich bisweilen über dessen Unbeholfenheit lustig. Walther war wegen seines verletzten Beines nicht so schnell wie Simon, ritt nicht so gut, konnte nicht kämpfen, nicht klettern und war zu langsam.
Er fühlte sich völlig unnütz, seit er vor drei Monaten zu seinem Onkel auf die Homburg gebracht worden war. Walther ließ sich auf der Bank in der Fensternische nieder und starrte wütend hinaus. Die Ereignisse, die zu seiner misslichen Lage geführt hatten, gingen ihm durch den Kopf.
Vor wenigen Monaten war alles anders. Sein Vater Dietrich, der Bruder des Grafen Philipp von Homburg, war Herr der Merburg, einer kleinen Burg auf dem Malafelsen im Homburger Wald, die früher die Straße nach Landstuhl bewacht hatte. Es war die Stammburg der Grafen von Homburg, doch nach der Errichtung der Burg auf dem Hohenberg hatte sie an Bedeutung verloren. Walther war vor ein paar Wochen zurück aus den Nordvogesen gekommen, wo er bei dem dortigen Grafen, der weitläufig mit ihnen verwandt war, das Ritterhandwerk erlernt hatte und vom Bischof zum Ritter geschlagen worden war. Sein Vater litt an einem Lungenleiden und er sollte schon bald dessen Stellung übernehmen und über die Ländereien der Merburg regieren. Diese waren zwar durch Erbteilungen mit dem Homburger Zweig der Familie nicht mehr so groß, hätten aber trotzdem ausgereicht, um ihm und seiner Sippe ein gutes Auskommen zu gewähren.
Doch dann kam die Nacht des Feuers, die alles in seinem Leben veränderte.
Walther lag in seinem Bett und träumte, es wäre ein glühend heißer Sommertag. Der Schweiß rann ihm vom Gesicht, bis er von dem beißenden Geruch des Feuers geweckt wurde, welches sich einen Weg durch die Holztür seiner Kammer suchte. Der einzige Ausweg, der ihm blieb, war das kleine Fenster. Er riss das Fell weg, welches die Kammer abgedunkelt hatte, zwängte sich durch die schmale Öffnung und kletterte auf das Fenstersims. Dort blickte er vorsichtig hinunter. Vor dem Wohnhaus war nur ein kleiner Absatz, bis es den steilen Felsen hinunter in den Burggraben ging.
Er zögerte, doch er hatte keine andere Wahl. Er wagte den Sprung in die Tiefe, kam auf dem Absatz nicht zum Stehen und schlitterte ein Stück den Felsen hinunter, bis er sich festhalten konnte. Sein Bein schlug dabei böse auf den harten Felsen auf. Mühsam und unter größten Schmerzen zog er sich den Hang hinauf zu dem Absatz und schleppte sich über die Berme zur Brücke. Irgendwie musste er es geschafft haben, über diese zu gelangen, bis er wenige Meter nach dem Graben bewusstlos zusammenbrach. Die Hörigen der kleinen Siedlung in der Nähe der Burg brachten ihn mit einem Ochsenkarren zum Kloster Wörschweiler, wo er zwei Tage später erwachte.
Sein Bein war gleich mehrfach gebrochen und schmerzte bei jeder Bewegung entsetzlich. Vom Infirmarius, dem Mönch, der für die Pflege der Kranken im Kloster zuständig war, erfuhr er, dass seine Eltern, die ein Stockwerk unter ihm geschlafen hatten, sowie sein kleiner Bruder Rainer und das gesamte Gesinde ums Leben gekommen waren.
Ein alter Knecht war kurz nach Mitternacht im Stall bei brennender Kerze eingenickt und hatte nicht bemerkt, dass diese ins trockene Stroh gekippt war. In Kürze brannte der ganze Stall lichterloh. Das Feuer griff rasch auf das Wohnhaus und den achteckigen Bergfried der Burganlage über. Die Burg brannte bis auf die Grundmauern ab. Walthers Reitknecht Jakob, der die Nacht in der nahe gelegenen Siedlung in den Armen einer Magd verbracht hatte, war der Einzige, der mit ihm überlebte.
Er blieb vier Wochen im Kloster, bis sein Bein es erlaubte, dass er zu seinem Onkel Philipp auf die Homburg gebracht werden konnte. Man hoffte, dass das Bein sich bald wieder erholen würde, doch sein Zustand besserte sich nicht. Das Bein würde für immer steif bleiben.
Leise fluchte er bei dem Gedanken, dass er ewig ein Krüppel bleiben würde, vor sich hin. Graf Philipp hatte zu Walthers Leidwesen beschlossen, ihn ins Kloster Wörschweiler zu schicken, wo er dem Orden der Zisterzienser beitreten sollte. Die Mönche waren für ihre strenge Lebensweise bekannt. Walther liebte das raue Ritterleben, den Kampf, die rauschenden Feste und war auch den Frauen nicht abgeneigt. Ein Leben voller Gebete, Schreib-, Garten- und Handarbeiten im Schutze der Klostermauern konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen, geschweige denn, nachts zum Gebet aufzustehen. Außerdem mochte er den dortigen Abt nicht, der nur darauf wartete, dass der Merburger Landbesitz ans Kloster fiele. Dafür hasste er seinen Onkel und dessen Frau Margareta, die diesen in seinen Bestrebungen bestärkte. Niemals würde er ins Kloster gehen! Wenn er doch nur an Simons Stelle wäre, der schon bald mit seiner Ritterlaufbahn beginnen würde und später als Graf von Homburg nicht nur über die Burg, sondern auch über den stolzen, sich im Aufschwung befindlichen Flecken am Fuße der Burg regieren würde. Da Philipp und Margareta keine weiteren Kinder hatten, hätte Walther sogar gute Chancen, an Simons Stelle zu rücken, falls dieser ein Unglück erleiden würde. Ein Funke Hoffnung regte sich in ihm.
Sein Blick wanderte über das Homburger Land. Dieses könnte alles ihm gehören. Die Wälder, Auen, Bäche, Teiche, Bauernhöfe und Siedlungen. Stattdessen sollte er sein Leben als Krüppel in einem Kloster fristen. Das konnte einfach nicht sein!
Plötzlich klopfte es an die Tür.
„Was ist?“, fragte Walther verärgert.
„Gestattet Ihr mir einzutreten, Herr?“, ertönte die Stimme seines Reitknechts Jakob.
„Komm rein.“
Jakob war nur wenige Jahre älter als Walther, von hagerer Gestalt und hatte einen leicht durchtriebenen Gesichtsausdruck. Er war Walthers einziger Vertrauter. Mit ihm konnte er über alles reden.
„Wollt Ihr nichts essen, Herr? Habt Ihr Euch wieder über Simon geärgert?“
„Der Junge bringt mich zur Weißglut! Wenn ich nur einen Weg finden könnte, um ihn los zu werden!“
„Lasst solche Worte nicht Euren Onkel hören, er würde Euch nicht nur ins Kloster stecken!“
„Willst du mir etwa drohen, Jakob?“
„Nein, nein mein Herr, Ihr versteht mich falsch. Ich meine nur, Ihr solltet Vorsicht walten lassen. Eure Tante Margareta scheint Euch nicht zugetan zu sein. Sie spürt, dass Ihr Simon nicht mögt. Sie hat Ritter Thomas gebeten, Euch im Auge zu behalten.“
„Gut, dass du mir das sagst. Diese Frau ist mir genauso zuwider wie Simon! Sie war es, die Philipp erst auf den Einfall mit dem Kloster gebracht hat. Ich muss mir etwas überlegen! Ich werde nicht ins Kloster gehen! Ich bin Ritter und kein Betbruder!“
„Beruhigt Euch wieder! In drei Tagen findet die große Drückjagd statt. Vielleicht könnte da etwas Unvorhersehbares geschehen.“
„Wie meinst du das?“
„Nun, wenn so viele Ritter mit der Armbrust unterwegs sind, wer weiß, vielleicht ein Pfeil, der versehentlich darneben geht?“
„Ich verstehe – lass uns runter zum Abendmahl gehen. Später treffen wir uns wieder und besprechen alles.“
Walther ging den Flur entlang und stieg die Treppen hinunter zum großen Rittersaal, wo die Gesellschaft immer tafelte. Jakob folgte ihm wenige Schritte hinterher. Im Eingangsbereich gab es ein Becken mit Wasser, wo sich die beiden die Hände wuschen.
Das Essen war schon in vollem Gange. In dem Saal, in dem bis zu fünfzig Personen Platz fanden, standen vier große Tische aus Eichenholz, der hintere an der Kopfseite war festlich gedeckt. Dort saßen der Graf und seine Familie, Bruder Hubertus, der die grauweiße Tunika der Zisterzienser trug und auf der Burg lebte sowie höhere Gäste des Hauses. Heute waren Verwandte aus Zweibrücken zu Besuch. An den drei vorderen Tischen saßen die Ritter, Edelfrauen, Knappen und das Gesinde, soweit es nicht an der Zubereitung und am Auftragen der Speisen beteiligt war. An den Wänden hingen mehrere prächtige Wandteppiche mit Jagdmotiven. Die kleine Empore gegenüber der Tafel des Grafen war leer.
Walther nahm am Tisch seines Onkels Platz zur linken Margaretas. Die Gräfin trug ein prächtiges blaues Gewand mit einer goldenen Schärpe und einem weißen Schal. Ihre blonden Haare glänzten im Schein der Kerzen und mit ihren strahlend blauen Augen sah sie Walther tadelnd an.
„Kannst du nicht einmal pünktlich sein? Simon war genauso lange draußen auf dem Übungsplatz und ist schon längst hier!“
Walther blickte seine Tante nur wütend an. Er nahm sich ein Stück des Bratens und begann nachdenklich zu essen. Mit seinen Gedanken war er immer noch bei dem Gespräch mit Jakob. Er konnte es kaum erwarten, seine Pläne mit ihm zu besprechen.
Graf Philipp von Homburg, ein Ritter von großer Gestalt mit leichtem Bauchansatz, schütterem, graubraunem Haar, der die vierzig bereits um einiges überschritten hatte, hob sein Glas: „Lasst uns auf Simon anstoßen! Er hat sich heute auf dem Übungsplatz wacker geschlagen. Wenn das so weiter geht, kann er bald zum Ritter geschlagen werden!“
„Auf Simon!“
„Auf Simon!“, rief auch Karl aus Zweibrücken.
„Wenn Simon zum Ritter geschlagen wird, gibt es ein Fest auf der Homburg, wie es die ganze Gegend noch nicht gesehen hat!“
Graf Philipp hatte bewirkt, dass Simon seine Pagenzeit auf der Homburg leisten durfte und nun, erst als Knappe in die Obhut eines anderen Adligen musste. Im Frühjahr würde er nach Zweibrücken gehen und dort in die Dienste des Grafen Walram treten, der Karls Lehnsherr war. Nun wurde er hier schon auf die Knappenzeit vorbereitet und durfte mit den Waffen und Pferden üben.
Philipp wandte sich an Walther, der immer noch in seinem Fleisch herumstocherte.
„Warum trinkst du nicht auf Simon? Gönnst ihm wohl seinen Erfolg nicht?“
Walther erhob leicht seinen Becher und murmelte einen Trinkspruch, um einer Auseinandersetzung zu entgehen.
Karl ergriff das Wort: „Ich freue mich schon auf die Zeit, wenn Simon am Hofe meines Herren sein wird. Aber was soll aus Walther werden? Sein Bein scheint nicht mehr richtig zu heilen!“
„Im Frühjahr wird er ins Kloster Wörschweiler gehen und dem Konvent beitreten. Wir haben mit dem Abt schon alles besprochen“, antwortete Margareta.
„Meint ihr, dass das wirklich gut für ihn ist? Er wurde doch schon zum Ritter geschlagen.“
„Aber er wird nie in der Lage sein, als Ritter zu kämpfen. Er hat weder eine Burg, noch sonstige Mittel und könnte mit seinem Bein nie ein Lehen unterhalten. Was soll er sonst machen? Im Kloster kann er wenigstens einer sinnvollen Tätigkeit nachgehen. Außerdem nimmt ihn der Abt des Klosters, der wie die erste Frau meines Vaters von den Grafen von Saarwerden abstammt, sehr gerne und die Merburger Ländereien wären dann auch nicht in fremden Händen. An die Umstellung vom Ritter zum Mönch wird er sich gewöhnen. Das haben andere auch geschafft, so mancher sogar freiwillig.“
Walthers Blick verfinsterte sich bei diesen Worten. Wenn sie doch nur mit diesem Kloster aufhören würden. Wenigstens wusste er nun, dass seine Schonfrist noch bis zum Frühjahr anhalten würde. Bis dahin konnte viel geschehen.
Das Gesinde begann, die Tische abzuräumen. Walther wartete auf einen geeigneten Augenblick, um sich unbemerkt zurückzuziehen.
Er stand schließlich auf und schritt durch den Saal. Am Tisch der Bediensteten sah er Jakob kurz an. Dieser nickte ihm zu. Walther machte sich auf den Weg zu seiner Kammer. Die kleinen Gemächer in dem länglichen Palas waren alle gleich eingeteilt. Gegenüber der Tür befand sich ein Fenster mit Glasscheibe und einer Sitznische mit einem kleinen Tisch. Durch das trübe Glas hatte man einen verschwommenen Blick auf das Gelände südlich der Burg. An der einen Wand stand ein Bett und an der anderen ein hölzerner Waschtisch mit zwei Schemeln, einem Gestell für die Kleider und einer Truhe aus Eichenholz. Die Wände waren weiß gekalkt und im Winter lagen Felle auf dem Boden.
Walther zündete eine Kerze an und wusch sich mit kaltem Wasser aus einem irdenen Krug Gesicht und Hände. Die Erfrischung tat ihm gut, obwohl es mittlerweile winterlich kalt war. Dann setzte er sich auf seinen Lieblingsplatz in der Fensternische und wartete auf Jakob.
Nach wenigen Minuten klopfte es leise an die Tür und der Knecht trat ein. Er hatte einen Krug Wein und zwei Trinkbecher aus Holz dabei.
„Hier lasst uns das Ganze bei einem Becher Wein besprechen, Herr.“
Er stellte die Becher auf den kleinen Tisch, schenkte ein und Walther forderte ihn auf, auf einem der Schemel Platz zu nehmen.
„Nun lass deinen Plan hören, Jakob. Die Gespräche bei Tisch haben mir gereicht. Wieder ging es nur um den geschickten Simon und meine Abschiebung ins Kloster.“
Walther nahm einen Schluck Wein und ließ ihn gierig die Kehle hinunter laufen.
„Wisst Ihr, wie lange Ihr hierbleiben werdet?“
„Sie wollen mich erst nach dem Winter wegschicken.“
„Gut, dann könnte mein Plan gelingen. Nächste Woche ist die große Drückjagd. Da werden einige Adelsmänner mit ihren Rittern aus der Umgebung hier sein. Die Jagd beginnt immer auf einer vorher festgelegten Route. Die Schützen stellen sich an bestimmten Punkten des Fernwechsels der Wildschweine auf und die Jäger treiben die Tiere mit den Hunden aus dem Unterholz. Diese rennen in Richtung Talaue. Ihr Weg ist kurz vor dem Weiher an der Merburg zu Ende. Bis dorthin müssen die Schützen so viele Tiere wie möglich erlegt haben. Ihr müsst Simon dazu überreden, dass er mit Euch noch vor den Jägern loszieht und ihn dann in Schussrichtung der Armbrustschützen positionieren.“
„Ich glaube, ich habe auch schon einen guten Einfall. Es ist seine allererste Jagd, an der er teilnehmen darf. Ich werde ihn dazu überreden, dass er aus der Waffenkammer einen Sauzahn entwendet. Dann soll er sich mit diesem Speer vor dem Weiher im Gebüsch verstecken. Wenn dann der Rest der Rotte angestürmt kommt, muss er probieren, ein Schwein von Hand zu erledigen.“
„Das ist wirklich ein ausgezeichneter Einfall! Er wird genau in der Ziellinie stehen und ich kann ihn von einem der großen Felsen am Weiher aus erwischen! “
„Aber wird Simon da mitspielen?“
„Ich denke schon. Sagt ihm einfach, was das für einen Ruhm für ihn bedeuten würde, wenn er bei seiner ersten Jagd ein Tier mit einem Sauzahn aus nächster Nähe erlegt, während die anderen sich nur mit Pfeil und Bogen trauen!“
„Da hast du recht! Aber was ist mit den Pfeilen? Diese werden doch für alle Teilnehmer mit unterschiedlichen Kerben und Farben gekennzeichnet, damit man den „König der Jagd“ mit den meisten Treffern ermitteln kann. Wird man uns so nicht als Täter entlarven?“
„Ich nehme mir heimlich von einem fremden Ritter drei Pfeile und benutze diese. Dann wird es so aussehen, als hätte dieser Simon getroffen.“
„Ich muss in den nächsten Tagen besonders nett zu ihm sein, damit er mir vertraut und auf mich hört.“
„Und wenn die ganze Sache vorbei ist, müsst Ihr Euch bei Eurer Tante einschmeicheln.“
„Das wird mir nicht leicht fallen, aber lasst uns morgen zuerst einmal die Jagdroute abgehen und zeige mir die Stelle, an der Simon warten soll. Du kannst dich nun zurückziehen, wenn ich erst einmal Graf von Homburg bin, zeige ich mich erkenntlich.“
Jakob verließ das Zimmer. Walther legte seine Gewänder ab und hängte sie über einen Ständer. Er zog sich ein wollenes Nachtgewand über, löschte die Kerze und legte sich nieder.
Obwohl es erst November war, war es schon bitterkalt. Wenn diese Sache endlich geregelt wäre, sollte Jakob ihm eine Magd aus dem Dorf besorgen, die ihm die Nächte versüßen sollte. Er hatte schon lange keine Frau mehr gehabt und eine Frau von der Burg konnte er sich nicht nehmen, weil weder Philipp noch Margareta das dulden würden. Aber die Zeit würde kommen, in der er keine Rücksicht mehr nehmen müsste!
Kapitel 2
Margareta erwachte in den frühen Morgenstunden. Draußen war es noch dunkel, doch sie konnte nicht mehr einschlafen. Vorsichtig schlich sie sich aus dem Bett, um ihren Gatten nicht aufzuwecken. Sie ging in das Ankleidezimmer, wo auf der Anrichte bereits frisches Wasser stand und wusch sich ein wenig ab. Die Gräfin betrachtete sich im Spiegel; trotz ihrer dreiunddreißig Jahre sah sie immer noch jung und frisch aus. Der einzige Makel war ein lindenblattförmiges, braunes Mal unter ihrem linken Schlüsselbein. Philipp sagte immer es wäre wie ein Siegel, an dem er sie jederzeit erkennen könnte. Schon ihre Mutter zierte ein solches Mal, ihr Sohn Simon hingegen hatte es nicht geerbt. Im Sommer trug sie immer einen dünnen Schal, der die Stelle verbarg. Sie rief nach ihrer Zofe. Eine junge Frau mit braunen Haaren, in das schlichte braungraue Gewand der Dienerschaft gekleidet, kam herbeigeeilt.
„Guten Morgen Herrin, habt Ihr gut geschlafen?“
Die Zofe half Margareta in ein dickes blaues Wollkleid.
„Nehmt Platz, ich mache Euch die Haare.“
Margareta setze sich auf einen Schemel und ließ sich die Haare kämmen und flechten.
„Hast du gesehen, Grete, ob die Herrschaften aus Zweibrücken schon aufgestanden sind? Sie wollten zeitig aufbrechen.“
„Der Herr und die Dame haben sich schon angekleidet und packen gerade ihre Sachen zusammen, Herrin.“
„Das ist gut, dann können wir uns bei der Morgenmahlzeit noch verabschieden.“
Die Zofe steckte die Zöpfe der Gräfin hoch und setzte ihr eine weiße Haube auf. Dann legte sie ihr einen weißen gestrickten Schal um den Hals.
„Heute Morgen kommt ein Tuchhändler hoch zur Burg. Er will mir seine Stoffe zeigen. Für den Winter können wir noch einiges gebrauchen, damit wir neue Kleidung stricken und nähen können. Simon hat einen ordentlichen Schuss gemacht, er braucht unbedingt noch ein paar neue Sachen.“
„Das werden sich die Edelfrauen bestimmt auch ansehen wollen.“
Mittlerweile war Philipp ebenfalls erwacht. Sein Kammerdiener half ihm beim Ankleiden, dann trat er auf Margareta zu und küsste sie. Er liebte seine Frau sehr. Margareta war Philipps zweite Gemahlin, seine erste Frau Cornelia war im Kindbett zusammen mit ihrer Tochter gestorben. Lange kam er nicht über diesen Verlust hinweg. Doch dann heiratete er vor fünfzehn Jahren die damals achtzehnjährige Margareta von Ochsenstein. Es dauerte eine Weile, bis er das Vertrauen der jungen Frau gewonnen hatte, doch mit den Jahren wurden sie ein wirklich glückliches Paar. Leider hatte Gott ihnen nur ein Kind geschenkt.
Sie begaben sich gemeinsam auf den Weg zu der kleinen sechseckigen Kapelle, die sich südlich des Palas auf der Unterburg befand. Der Innenraum war weiß gekalkt, das Fenster auf der Ostseite hatte hübsche bunte Glasscheiben und davor befand sich ein kleiner Altar mit einem goldenen Kreuz. An der Westwand stand ein Weihwasserbecken. Beim Eintreten bekreuzigten sie sich. Bruder Hubertus wartete bereits und begann gleich mit der Morgenandacht. Nach deren Beendigung gingen sie in den Rittersaal.
Das Auftragen der Morgenmahlzeit war bereits in vollem Gange. Auch die Zweibrücker kamen gerade herunter.
„Guten Morgen. Ich hoffe, ihr habt gut geschlafen.“
„Ja, danke. Guten Morgen.“
„Es ist schade, dass ihr nicht noch ein paar Tage länger bleiben könnt. Die Jagd und das anschließende Festmahl hätten euch bestimmt gefallen.“
„Das tut uns auch leid, aber Karl muss zurück zu Graf Walram.“
Die Pagen hatten nur zwei Tische gedeckt. Das Gesinde speiste morgens in der Küche und im Gesindehaus und aß dort auch eine Kleinigkeit zu Mittag. Nur abends wurde ein gemeinsames Mahl im großen Rittersaal abgehalten. Sie stellten nun frischgebackenes Brot, Butter, Käse und Äpfel auf den Tisch und reichten dazu Milch und verdünnten Wein.
Nach dem Essen erhoben sich die Gäste und verabschiedeten sich von Margareta und Philipp.
„Richtet Simon noch Grüße von uns aus. Wir freuen uns auf ihn. Hoffentlich sehen wir uns bald wieder.“
„Das hoffen wir auch, kommt gut heim, auf Wiedersehen!“
Die Zweibrücker begaben sich zu ihren Gefolgsleuten und brachen auf.
Margareta nahm sich einen Apfel. Sie hatte gehofft Simon an der Tafel zu treffen, um ein paar Worte mit ihm zu wechseln, doch dieser schlief noch, genauso wie die anderen Ritter. Nachdem sie den Apfel gegessen hatte, wandte sie sich an Philipp: „Ich gebe Johanna noch ein paar Anweisungen, was sie alles im Tal besorgen soll. Gleich kommt der Tuchhändler mit seinen Stoffen.“
„Ich lass dem Fuhrmann sagen, dass er den Zweispänner für die Hauswirtschafterin richtet.“
„Danke, ich gebe ihr Bescheid.“
Sie erhob sich und verließ ebenfalls den Saal. Dann trat sie auf den Hof. Es dämmerte gerade und Margaretas Blick wanderte über die Burganlage, die immer mehr zum Leben erwachte. Sie bestand aus einer Oberburg, die auf einem Felsplateau errichtet worden war, und einer Unterburg, die sich ein Stück tiefer, um den Felsen herum gruppierte. Auf dem Plateau befand sich der schmale, lange Palas mit den Gemächern von Simon, Walther, Bruder Hubertus und den Rittern. Auch Gäste wurden dort untergebracht und es gab einen Baderaum. Knappen und Pagen schliefen im Dachgeschoss. An den Palas schloss sich im Westen ein breiterer Bau an, in dem sich im Erdgeschoss der Rittersaal und im Obergeschoss die Kemenate der Grafenfamilie sowie Margaretas privates Gemach befanden.
Ein weiteres Gemach stand leer. Es gehörte Philipps Halbbruder, Ludwig von Saarwerden. Dieser war der Sohn von Philipps Vater Friedrich II. und seiner ersten Frau, die kurz nach dessen Geburt verstarb. Ludwig kämpfte 1278 für König Rudolf von Habsburg in der Schlacht von Dürnkrut. Er war einer von sechzig Rittern, die in der Schlacht unter Führung von Ulrich von Kapellen auf dem Marchfeld die entscheidende Wendung brachten. Die Mannen Ottokars von Böhmen wurden in die Flucht geschlagen, obwohl diese zahlenmäßig überlegen waren, und König Rudolf konnte seinen Thron behaupten. Wie viele, die sich in der Schlacht besonders hervorgetan hatten, erhielt auch Ludwig eine Lehensburg in Österreich.
Nach der Schlacht zog er mit seiner Gemahlin Biella von Saarbrücken auf seine neue Burg. Er verzichtete auf alle Rechte an der Homburg.
Margareta überquerte den Oberhof, welcher durch eine Mauer mit Zinnen begrenzt wurde, und stieg die Treppe zur Unterburg hinunter. Dort befanden sich gleich an den Felsen angebaut Marstall und Küche. Gegenüber erhoben sich Gesindehaus und Schmiede, die an die nördliche Mauer angrenzten.
Östlich an das Felsplateau schloss der hohe Bergfried an, in dem sich das Turmgemach des Grafen befand und von dem aus man die ganze Gegend sowie die Via Regalis, die große Heerstraße, überblicken konnte. Auf der Turmspitze wehte eine Fahne mit dem Wappen der Grafen von Homburg – ein weißer Löwe auf blauem Grund – im Wind. An den Turm schlossen die Schildmauer und der tiefe Halsgraben an, welche die Bergnase nach Osten sicherten.
Im Süden vor der kleinen Kapelle befanden sich Keller und Waffenkammer. Im Westen lagen die Stallungen für die Hühner, Kühe und Schweine sowie ein Garten, in dem Gemüse und Kräuter angebaut wurden und ein paar Apfelbäume wuchsen. Dort war die Anlage nur von Palisaden begrenzt, da der anschließende Hang so steil war, dass man keine Mauer benötigte.
Auf dem Unterhof trotteten ein paar Jagdhunde. Nebel und Dunst stiegen von der Burg in Richtung Tal ab. Der Gestank nach Tieren, insbesondere Schweine, Mist und Rauch hing über dem Burghof.
Margareta schlang ihren Schal fester um sich und begab sich in die Küche, wo sie die Hauswirtschafterin Johanna antraf.
„Johanna, Fuhrmann Berthold fährt dich gleich hinunter ins Tal, damit du die Bestellungen für die Jagd aufgeben kannst.“
„Wie Ihr wünscht, Herrin.“
Johanna knickste und ging hinaus auf den Hof, wo bereits der Zweispänner wartete, und nahm auf dem kleinen Karren Platz. Die Pferde setzten sich in Bewegung. Sie fuhren durch das Burgtor, den Bergrücken entlang, bis sie zu dem steilen Weg gelangten, der den Berg hinunter Richtung Dorf führte. Berthold musste den Bremshebel ordentlich ziehen und die Pferde sehr langsam traben lassen, damit sie von dem Wagen nicht den Berg hinunter getrieben wurden. Auf dem Berghügel, der früher von einem Buchenmischwald umgeben war, wuchsen nur noch Gräser und Sträucher und ein paar vereinzelte Bäume. Die übrigen Bäume waren zahlreichen Rodungen zum Opfer gefallen.
Die kleine Siedlung erschien in ihrem Blickfeld. Um einen großen Platz, auf dem sich ein Brunnen befand, gruppierten sich mehrere Häuser. Nur das große Wirtshaus und das Haus des Steinmetzes waren aus Steinen gemauert. Schultheiß, Bäcker, Krämer und Wundarzt hatten strohgedeckte Fachwerkhäuser mit Steinsockel. Um diese besseren Häuser siedelten sich die einfachen Hütten der Burgmannen an, die, wenn sie nicht gerade für den Grafen arbeiteten, einfachen Handwerken, wie Drechseln, Weben, Töpfern oder Schuhe flicken nachgingen. Weiter unten, am Erbach, der munter dahin plätscherte, befand sich das Haus des Metzgers.
Drei Mägde standen an einem Brunnen und unterhielten sich. Neugierig blickten sie zu dem Zweispänner. Der Karren hielt schließlich vor dem Haus des Krämers. Berthold sprang herunter und half Johanna beim Absteigen. Diese klopfte sogleich an die Tür des Ladens und trat ein.
„Guten Morgen, Johanna.“
„Guten Morgen. Ich möchte ein paar Dinge für die Drückjagd bestellen. Die Sachen musst du für morgen richten. Berthold holt sie in der Frühe bei dir ab.“
„Dann sag mir, was ihr braucht.“
„Wir brauchen drei Krüge Honig, vier Fässer Wein, sechs Krüge Met und ein Fass Salzheringe.“
„Morgen früh steht alles bereit.“
Johanna verabschiedete sich von dem Krämer und fuhr mit Berthold weiter zu dem Bauernhof östlich des Ortes. Das Gebiet um die Homburg herum bestand hauptsächlich aus unfruchtbarem Bruch mit Schilfgräsern. Nur auf höher gelegenen Flächen war Ackerbau möglich.
Das Gehöft, welches schon von weitem zu sehen war, war ein Lehen der Burg und hieß Naunhof. Dort ließ sie ebenfalls Dinge für die Jagd richten, in erster Linie Gemüse wie Rüben, Karotten, Kohl, und Nüsse aber auch Schinken und ein Schwein zum Braten. Bei so vielen Gästen mussten zu den Lehnabgaben noch Dinge hinzugekauft werden.
Kurz vor Mittag kehrten Johanna und Berthold zurück.
In der Zwischenzeit war der Tuchhändler eingetroffen und Margareta und die Edelfrauen hatten sich die Stoffe angesehen.
Nach einigen Verhandlungen erwarben sie grünen, braunen, hellblauen, weißen und beigen Stoff und dazu noch Wolle und Garn. Nun würden die Frauen an den kalten Wintertagen eine Beschäftigung haben.
Margareta beschloss nach Simon zu sehen und machte sich auf den Weg zum Ritterübungsplatz, der sich östlich vor der Burg befand. Dort angekommen entdeckte sie ihn gleich. Simon war mit ein paar Rittern zu Gange. Auch Walther war dabei und machte eine scherzhafte Bemerkung zu seinem Vetter. Er wirkte nicht so verbittert wie sonst. Vielleicht würden die beiden doch noch Freunde werden. Aber ganz traute sie Walther nicht über den Weg. Er war so übellaunig und verschlossen. Man konnte es ihm nicht verdenken, bei allem, was er durchgemacht hatte. Trotzdem war sie froh, dass er nach dem Winter endlich ins Kloster gehen würde.
Als Simon sie erblickte, lächelte er kurz in ihre Richtung. Die Gräfin sah eine Weile bei den Übungen zu. Sie war sehr stolz, als sie sah, wie Simon so geschickt mit dem Schwert umgehen konnte.
Als sie zurück zur Burg ging, fragte sie in der Küche die Köchin, eine ältere, rundliche und gutmütige Frau namens Berta, wann das Essen fertig sei.
„Der Eintopf ist bald gar, werte Gräfin.“
Margareta stieg hinauf in den Bergfried zu Philipps Turmgemach, um ihn zum Essen abzuholen. Sie klopfte an und trat ein.
„Na, wie war dein Morgen?“
„Ganz gut. Habt ihr Stoffe herausgesucht?“
„Ja, ich kann Simon ganz neu einkleiden. Kommst du mit zum Essen?“