Vaterfreuden, Vatersorgen

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Vaterfreuden, Vatersorgen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Vaterfreuden, Vatersorgen

Das zweite Abenteuer von Kater Dionysos

von

Sabine Hoffelner

Kater Dionysos lebte zufrieden gemeinsam mit seinem Professor in einem kleinen Haus am Land. Seitdem seine drei Katzenkinder im „Mäusezimmer“ im Keller zur Welt gekommen waren, konnte er gar nicht mehr aufhören, zu lächeln, so glücklich machten sie ihn. Die Kätzchen lernten allmählich die Welt um sie herum kennen und forderten dabei immer wieder die Geduld ihrer Eltern heraus, die sich liebevoll um ihre kleinen Racker kümmerten.

Doch eines Tages wurde die Familie jäh auseinandergerissen. Von einem Moment zum nächsten war nichts mehr wie zuvor.

Von der Autorin außerdem erschienen:

„Dionysos und die neue Freiheit – ein Wohnungskater zieht aufs Land“, Eigenverlag

ISBN: 978-3-748526-05-6

„Die Ahnen des Silberspiegels“ - der erste Band der Silberspiegel-Reihe; Eigenverlag

ISBN: 978-3-748513-39-1

Den Katzen-Blog der Autorin finden Sie unter:

http://katzenwissen.blogspot.de

Vaterfreuden, Vatersorgen

Das zweite Abenteuer von Kater Dionysos

von

Sabine Hoffelner

Impressum

1. Auflage 2020

Autorin: Sabine Hoffelner

Zeichnungen und Covergestaltung: Sabine Hoffelner

Alle Rechte verbleiben bei der Autorin

Copyright © 2020 Sabine Hoffelner

Selbstverlag: Sabine Hoffelner; Schottenau 29 f; 85072 Eichstätt

Kontakt: autorin-s.hoffelner@freenet.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie

Diese Katzengeschichte ist auch als Taschenbuch erhältlich.

Ein unangenehmer Besucher

Verträumt und mit einem seligen Lächeln auf dem Gesicht schaute der pummelige rote Kater Dio seiner Freundin Alesa zu, die wohlig schnurrend ihre Jungen säugte – seine Jungen. Alesa meinte zwar, dass ihn diese Katzenkinder nichts angingen, aber da war er anderer Meinung. Seitdem er die Kleinen zum ersten Mal gesehen hatte, lief er nur noch mit einem Lächeln im Gesicht herum. Und es war ihm das Wichtigste im Leben, für sie da zu sein.

Als die Kleinen mit ein paar satten, zufriedenen Seufzern eng an ihre Mutter gekuschelt eingeschlafen waren, machte Alesa ihm unmissverständlich klar, dass sie ihre Ruhe haben wollte. Deshalb trottete Dio nun davon. Die Katzendame und ihre drei Kinder lebten momentan in einer alten Umzugskiste mit hohen Rändern im „Mäusezimmer“. Das war ein ruhiger Kellerraum mit vielen Mauselöchern und Verstecken. Hier hatte sich Alesa schon damals sattessen können, als er und sein Mensch noch gar nicht hier lebten.

Der Kater trabte nach oben, um nach seinem Professor zu sehen. Dio, eigentlich hieß er ja Dionysos, liebte seinen Menschen sehr. Sie beide waren vor einigen Monaten aus der großen Stadt hierher aufs Land gezogen. Anfangs hatte es Dio hier gar nicht gefallen. Doch nachdem er Alesa kennengelernt und den arroganten Johnny in die Schranken gewiesen hatte, war es hier ganz in Ordnung.

Vorsichtig lugte Dio durch den Spalt der angelehnten Wohnzimmertüre. Der Besucher war noch da. Oft bekamen sie nicht Besuch, und Dio war das ganz recht. Aber dieser Mann kam immer wieder mal vorbei. Dio wusste nicht viel über ihn. Sein Professor nannte ihn „Franz“ und anscheinend kannten sie sich schon lange.

Der Kater rümpfte die Nase. Gerade steckte sich Franz eine dieser stinkenden und qualmenden Leckerli-Stangen in den Mund. An denen lutschte er immer so lange herum, bis sie ganz kurz waren. Seltsamerweise fraß er sie dann nicht vollständig auf. Er ließ stets einen Rest davon übrig, den er dann auf einen Teller legte oder im Garten wegwarf. Dio hatte schon einmal so einen Rest stibitzt und davon abgebissen. Danach hatte er sich übergeben müssen. Seitdem war ihm dieser Franz noch unheimlicher als zuvor. Wer so scheußliches Zeug futterte, mit dem war doch nicht alles in Ordnung!

Das Unangenehmste an Franz war sein Geruch. Er stank genauso wie diese Stangen, die er dauernd im Mund hatte. Diesen Geruch hinterließ er dann überall dort, wo er sich längere Zeit aufhielt. Und leider zählte zu seinen Lieblingsplätzen das Sofa – Dios Sofa! Dort hockte er stundenlang, trank Kaffee und spielte mit dem Professor Karten. Und die ganze Zeit hatte er dabei diese Stinkestangen im Mund. Wenn er endlich wieder draußen war, stank das Sofa noch tagelang nach ihm.

Ja, es fiel ihm schwer. Trotzdem verzieh Dio seinem Professor, dass er Franz immer wieder hier hereinließ. Aber musste es sich dieser stinkende Kerl denn jedes Mal auf dem Sofa gemütlich machen? Sie hatten doch andere Sitzgelegenheiten, die es für so unangenehme Leute ebenfalls taten: die Kohlenkiste, der große Stein draußen beim Schuppen oder die Regentonne.

Dios Blick fiel auf einen Stapel Holzscheite neben dem Ofen. Ja, der wäre doch ideal. Darauf konnte Franz den ganzen Nachmittag sitzen, wenn es denn sein musste. Wenn der Professor das Holz anschließend verbrannte, müsste sich keiner mehr mit diesem Gestank herumschlagen. Doch wer fragte ihn schon nach seiner Meinung?

„Ach, da ist ja Dionysos!“

Der Besucher hatte ihn erspäht. Jetzt begann er, auf diese alberne Art mit den Lippen zu schmatzen, wie Menschen das oft taten, wenn sie eine Katze anlocken wollten. Dio verdrehte genervt die Augen. Sollte er sich auf dieses Spielchen einlassen oder lieber gleich wieder weggehen?

Er seufzte. Seinem Professor würde es Freude machen, wenn er diesem Franz ein wenig schmeichelte. Außerdem hatte er gerade nichts anderes zu tun. Also tappte er gelangweilt auf den schmatzenden Mann zu, der sich jetzt etwas weiter zu ihm hinab beugte. Knapp über dem Boden rieb der Mensch die Finger der rechten Hand lockend aneinander.

Wie gern hätte Dio jetzt herzhaft in diese Finger hineingebissen! Vielleicht würde der Störenfried dann sogar davonlaufen, und hier wäre wieder Ruhe und Ordnung. Ach, wäre das schön! Aber der Kater widerstand der Versuchung.

„Na, wo ist er denn, der kleine Dionysos?“, flötete der Besucher.

Dio sog die Luft ein. „Ja, wo wird der wohl sein?“, miaute er, während der Mann ihn am Kinn kraulte. Die stinkenden Finger kamen dem Katzenmäulchen immer näher. Wie gern hätte Dio jetzt seine Zähne… Nein! Er musste sich beherrschen.

„So ein hübsches Kerlchen.“

Dio horchte auf. Ganz so unmöglich war dieser Mann anscheinend doch nicht.

Jetzt begann der Professor ebenfalls, Dio zu kraulen. Und zwar genau an dieser wunderbaren Stelle hinter dem linken Ohr! Verzückt fing der Kater zu schnurren an.

„Der Kleine, von dem ich dir erzählt habe, sieht meinem Dionysos recht ähnlich“, sagte der Professor. „Möchtest du ihn kennenlernen?“

Der Besucher überlegte einen Moment, dann nickte er. Ehe es sich Dio versah, standen die beiden Männer auf und ließen ihn links liegen - oder besser: an Ort und Stelle stehen. Sofort sprang er ihnen hinterher. Dieser unangenehme Franz sollte seine Kinder anschauen? Die waren bestimmt gerade erst eingeschlafen. Dieser Rüpel würde sie nur wieder aufwecken!

Noch bevor Dio etwas dagegen unternehmen konnte, hatten die beiden Männer den Kellerraum erreicht, in dem die kleine Familie lebte. Der Professor knipste das grelle Licht an.

Alesa saß schützend vor ihren Kleinen, jederzeit bereit, die Störenfriede mit Krallen und Zähnen zu vertreiben. Sie hatte die Männer kommen gehört.

„Pst, sie schlafen gerade!“, sagte der Professor, doch seinen Freund schien das nicht zu interessieren.

„Ach, wie lieb sie aussehen!“ Franz streckte die Hand in Richtung der Katzenkinder. Sofort fauchte Alesa, und Franz zuckte erschreckt zurück.

„Na, na“, beschwichtigte sie der Professor. „Deinen Kätzchen tut niemand etwas. Das ist ein Freund, der sie bewundern möchte. Dürfen wir sie ansehen?“

Ohne Alesas Antwort abzuwarten, hob Franz eines der Katzenkinder heraus. Es war das moppelige rote Katerchen Harry.

„Darf ich dir Herakles vorstellen, unseren kleinen Abenteurer?“

„Herakles?“

„Ja. Sobald er sich auf seinen Beinchen halten konnte, büchste er schon aus der Wurfkiste aus. Ich weiß nicht, wie er es geschafft hat. Aber er hat die Schublade des Schrankes dort drüben aufgestemmt und ist hineingeschlüpft. Fast hätte ich ihn dort nicht gefunden.“

Dio erinnerte sich an diesen Tag. Alesa war zum Jagen fort und er hatte ihr großspurig versprochen, auf die Kinder aufzupassen. Doch das gestaltete sich schwieriger, als er es sich vorgestellt hatte. Die Kleinen waren so aufgeweckt und quirlig, dass es eine ganze Katzengruppe gebraucht hätte, um sie im Zaum zu halten. Er hatte Harry - damals noch namenlos - aus den Augen verloren. Denn auch Poldi und Mimi waren drauf und dran gewesen, auszubüchsen. Einen Moment zu spät war ihm aufgefallen, dass einer aus dem Trio fehlte. Hektisch hatte er das ganze Mäusezimmer abgesucht, aber den kleinen Roten nirgends gefunden.

Vor Angst war Dionysos völlig aus dem Häuschen gewesen. Auf einmal hatte er ein verzweifeltes leises Fiepen gehört. Es war aus besagter Schublade gekommen. Deshalb war er bis zur Öffnung hinaufgeturnt, und dann hatte er sein Söhnchen dort drinnen sitzen sehen. Verzweifelt hatte er gezogen und geschoben. Doch er bekam Klein-Harry nicht aus der Schublade heraus. Deshalb war er zu seinem Professor in die Stube hinaufgerannt, um ihn zu Hilfe zu holen. Der hatte den Ausreißer schließlich gerettet.

 

Und dann hatte er ihm einen Namen gegeben. Einen Namen, der so seltsam war wie alle Namen, die er seinen Katzen gab. Na ja, er war pensionierter Philosophie-Professor. Solche Leute kannten nur eigenartige Namen. Dumm war es bloß, wenn man die Katze dieses Professors war und mit so einem seltsamen Namen herumlaufen musste. Dio verzog die Schnute. Gut, dass Alesa und er den Katzenkindern bessere Namen gegeben hatten. Herakles hieß in Wahrheit Harry, Poldi wurde vom Professor Apoll genannt, und Mimi, ...

„Das weiße Kätzchen ist Artemis und der schwarze Racker heißt Apoll. In diese beiden hat sich meine Nichte verliebt, aber Herakles ist noch frei. Überleg es dir.“

Der Fremde kratzte sich an seinem fast kahlen Hinterkopf. „Ich werde darüber nachdenken. Mit Katzen hab ich keine Erfahrung, mußt du wissen.“

Dio war verwirrt. Was sollte dieser Mann sich da überlegen? Aber Menschen waren manchmal einfach nur verwirrend, das kannte er. Und Besucher verwirrten ihn sowieso. Gut, dass nur selten jemand vorbeikam. Hilda, die Nichte des Professors, war in letzter Zeit einige Male hiergewesen. Sie war ein nettes Mädchen, das die Kätzchen liebte. Sie sprach leise und freundlich mit ihnen. Und sie zerrte sie nicht einfach aus dem Schlaf, wie dieser Rüpel. Ja, Dio mochte Hilda. Der Professor hatte einmal gesagt, dass sie hier in ihrem Dorf wohnte. Sie durfte gern wiederkommen.

Aber diesen Franz, den mochte Dionysos nicht. Und wenn es nach Dio ging, dann durfte er sich auch für heute allmählich verabschieden. Besuch war nur dann gut, wenn er wusste, wann es Zeit war, wieder zu gehen.

Wie wenn der Fremde die Gedanken des Katers gelesen hätte, setzte er den sich windenden Harry zu seinen Geschwistern zurück. Dann gingen die beiden Männer wieder nach oben.

Als sie allein waren, blickten sich Alesa und Dio an. Sie brauchten keine Worte, um zu wissen, dass sie, was diesen Besucher betraf, derselben Meinung waren.

Die große weite Welt

Der nächste Morgen brachte einen lauen, sonnigen Frühlingstag. Dio genoss seine erste Runde durch den weitläufigen Garten. Wie schön wäre es, heute auch seinen Katzenkindern den Frühling hier draußen zu zeigen. Bis jetzt kannten sie nur die Welt in ihrem Kellerzimmer. Höchste Zeit, dass sich das änderte!

Also trabte er zurück zur Haustür, die sein Professor nur angelehnt hatte, damit er jederzeit kommen und gehen konnte. Mit einer eleganten Bewegung schob der rote Kater seinen Kopf durch den Türspalt, danach die Schultern, um anschließend mit einem entschiedenen Hüftschwung die Tür so weit auf zu schubsen, dass ein ganzes Schwein hindurchgepasst hätte.

Fröhlich tappte er die Treppe in den Keller hinunter zu seiner Rasselbande. Diese hatte soeben ihren Verdauungsschlaf beendet und war nun dabei, die Wände ihrer Schlafkiste zu erklimmen.

„Was hältst du davon, wenn wir die drei heute mit nach draußen nehmen?“, fragte er Alesa. „Es ist ein warmer Tag, und die Kleinen sollen doch auch mal etwas Gras unter ihren Füßen spüren.“

Er dachte an seine eigenen sehr unangenehmen ersten Erfahrungen mit der Wiese rund um das Haus des Professors. Bevor sie hierher gezogen waren, hatte er als Wohnungskater gelebt und nur glatte Böden oder Teppiche gekannt. Es hatte eine ganze Weile gedauert, bis er das weiche Kitzeln unter seinen Pfoten schätzen gelernt hatte. Doch inzwischen liebte er es sehr, durch die hohen Halme zu streifen und dabei immer wieder nach kleinen Insekten zu haschen. Er genoss es ebenfalls, sich im warmen Gras in der Sonne zu räkeln. Sicher, sein weiches Sofa im Wohnzimmer würde er noch immer selbst der weichesten Wiese vorziehen. Aber das stank seit gestern ja leider nach diesem Franz.

„Ich weiß nicht, ob das mit der Wiese schon so eine gute Idee ist“, zögerte Alesa.

Aber Harry schien von der Idee geradezu begeistert. Er hing am oberen Rand der Schlafkiste und versuchte, sich mit einem „Ja, Wiese!“ auf die andere Seite zu schwingen. Dabei verlor er den Halt, rutschte ab und plumpste auf Mimis Rücken. Die schrie auf, fuhr herum und boxte ihn in die Seite. Harry ließ sich das nicht gefallen, und da Poldi Keilereien sowieso liebte, hatte Alesa einen ringenden, maunzenden Haufen um sich herum, den sie mit einem scharfen „Mau“ zur Ordnung rufen musste.

„Also gut“, meinte sie. „Die Bande braucht dringend eine Gelegenheit, sich auszutoben. Sonst zerfleischen sie sich hier drinnen noch.“ Sie ergriff ein Kätzchen nach dem anderen behutsam am Nackenfell und hob es heraus.

Harry spielte sich selbstbewusst auf, denn schließlich kannte er den Keller schon von seinem misslungenen ersten Ausflug. Mimi war sich nicht sicher, ob ihre Füße auf dem harten, kalten Boden laufen konnten. Doch Poldi schubste sie Stück für Stück vorwärts. So blieb ihr nichts anderes übrig, als ihren Füßen zu vertrauen, die sich tatsächlich auch außerhalb der sicheren Schlafkiste vorwärts bewegten, wenn auch nur ganz wackelig und unsicher.

Alesa hob Mimi wieder hoch, und Dio griff sich Poldi. Harry hatte den Kellerraum bereits durchquert und steuerte zielsicher auf die Treppe zu, die nach oben führte. Da überholte seine Mutter ihn. Sie fauchte ihn im Vorbeigehen an, und er verstand sofort, was das zu bedeuten hatte. Schweren Herzens blieb er hinter ihr zurück.

Als sie oben im Flur angekommen waren, sah Dio sich nach seinem Professor um. Aber der schien irgendwo beschäftigt, so dass er nichts von diesem Familienausflug mitbekam.

Mit wachsam gespitzten Ohren schritt Alesa voraus. An der Türschwelle hielt sie an und durchmaß mit den Augen die Umgebung. Alles schien ruhig und sicher. Sie trug Mimi den gepflasterten Weg am Haus entlang, bis sie die Wiese erreicht hatten.

Im Schatten der großen Apfelbäume neben dem Schuppen, in dem Alesa früher gelebt hatte, setzte sie ihre Tochter sanft ins Gras. Dio ließ Poldi hinunter, und Harry jagte bereits einem Schmetterling nach. Alesa fing ihren Sohn ein, packte ihn am Nackenfell und trug ihn zu seinen Geschwistern zurück.

„Hört mir jetzt alle zu!“

Als die drei sie aufmerksam anblickten, erläuterte die Katzenmutter ihren Kindern paar Verhaltensregeln.

„Die Wiese hat ihre schönen Seiten, aber auch ihre gefährlichen. Ihr dürft hier die nähere Umgebung erkunden, aber ihr geht nirgendwohin, wo Dio oder ich euch nicht mehr sehen können. Ihr knabbert nichts an und laßt alle Insekten in Ruhe! Habt ihr mich verstanden?“

Mimi und Poldi nickten. Harry hatte eine kleine Spinne entdeckt, die er vorsichtig mit der Pfote ein wenig herumschubste. Alesa verlor die Geduld. Sie sprang zu ihrem Sohn und fuhr ihn scharf an.

„Ich hab gesagt, ihr laßt die Insekten in Ruhe! Wenn du mir nicht zuhörst, bist du schneller wieder unten im Keller, als du hier heraufgelaufen bist!“

Grummelnd und mit gesenktem Kopf ließ Harry von der Spinne ab – und war sofort von einem Grashüpfer fasziniert, der sich unvorsichtigerweise der Gruppe genähert hatte. Doch ein leises Fauchen seiner Mutter genügte, um Harrys Aufmerksamkeit – für einen Augenblick – ihr wieder zuzuwenden.

„Ihr dürft euch hier jetzt etwas umschauen. Aber ihr bleibt in der Nähe, das heißt: Nicht weiter weg, als bis zu den Büschen dort drüben. Grundsätzlich habt ihr dieses Grundstück nicht zu verlassen, solange ihr noch nicht groß genug seid, um euch selbständig zu ernähren. Das bedeutet: Am Gartenzaun ist in jedem Fall Schluß!“

Mit einem scharfen Blick in Harrys Richtung brannte sie diese Regel in dessen Kopf ein.

„Nun lauft und schaut euch um.“

Sie zwinkerte ihren Kindern zu. Schließlich wusste sie, wie aufregend das alles für sie war.

Dio fläzte sich genüsslich ins Gras und beobachtete, wie die Katzenkinder anfangs etwas unsicher, bald jedoch schon recht mutig durch die Wiese tollten. Sie lachten, rannten und ab und zu balgten sie sich. Während ihm die Augenlider allmählich schwer wurden und er ihnen schließlich nachgab, hockte Alesa wach und aufmerksam neben ihm und verlor keines ihrer Kinder aus dem Blick.

Nach einer Weile trommelte die Katzenmutter ihre Rasselbande wieder zusammen und beendete für heute den Ausflug in den Garten. Als sie alle zusammen wieder im Mäusezimmer angekommen waren, dauerte es nicht lange, bis die Kätzchen sich selig träumend aneinander kuschelten.

Während der folgenden Wochen erkundeten die Katzenkinder den Garten immer genauer. Dabei behielten ihre Eltern sie stets gut im Blick. Harry war und blieb der Wagemutigste der Truppe, und Alesa und Dio mussten ihn immer wieder aus einer misslichen Lage befreien und zur Ordnung rufen. Auch heute war Harry der Grund dafür, dass Poldi dem wachsamen Blick seiner Eltern entschlüpfte.

Während seine Eltern Harry gerade von dem Apfelbaum herunter lotsten, auf dem er sich verstiegen hatte, erkundete Poldi ein Stück entfernt den Wäscheständer, auf dem einige Kleidungsstücke des Professors im Wind flatterten.

Poldi liebte alles, was aus Stoff war. Und er hatte eine ausgeprägte Sammel-Leidenschaft entwickelt. Seitdem sich die Katzenkinder frei im Haus des Professors bewegen durften, hatte er schon einige Socken und Handtücher in die Schlafkiste im Keller geschleppt.

Deshalb konnte er dem einladenden Wäscheständer, nun einfach nicht widerstehen. Er setzte sich unter die frisch gewaschenen, flatternden Kleidungsstücke und beobachtete verzückt wie sie flatternden und tanzten. Hin und wieder zuckte seine rechte Pfote einem Hemdzipfel hinterher, der ihm sofort wieder entwischte. Er sprang hoch, und tatsächlich erhaschte er eine blaue Socke. Von dem Erfolg angespornt versuchte er sein Glück gleich noch an einem Schlüpfer. Wieder und wieder hüpfte und pfotelte er. Und dann schepperte es.

Die ganze Wäsche samt Ständer klappte über ihm zusammen. Vor Schreck schrie er auf. Er war gefangen in all den Kleidungsstücken! Wild trat er mit allen Vieren, um sich wieder zu befreien. Stoff zerriss, und auf einmal sah Poldi wieder den Himmel über sich. Mit Krallen und Zähnen arbeitete er sich aus den Stoffmassen heraus. Und kaum hatte er es geschafft, hörte er auch schon das Schimpfen seiner Mutter.

„Eiferst du jetzt deinem Bruder nach?!“, schalt Alesa ihren Sohn. „Was hast du dir dabei gedacht?“

Nun war auch Dio herangekommen, der versöhnlichere Töne anschlug. „Ist dir etwas passiert?“

Zerknirscht schüttelte Poldi den Kopf. Er rang nach den richtigen Worten, doch noch bevor er etwas sagen konnte, riss ein entsetzter Schrei die Aufmerksamkeit seiner Eltern an sich.

Etwas schwebte über sie hinweg. Es war ein Habicht, und er hatte ein strampelndes weißes Fellknäuel im Schnabel – Mimi!

Alesa sprang hoch, aber sie konnte ihre Tochter nicht erreichen. Mimi schrie und zappelte. Noch einmal setzte die Katzenmutter zu einem Sprung an. Aber es war zu spät.

Verzweifelt suchte Alesa mit den Augen die Wiese ab.

„Harry, Harry, wo steckst du?“

„Hier, Mama!“, fiepte ein verängstigtes Katzenstimmchen. „Hier bin ich!“

Dio fand seinen Sohn als Erster. Er hatte sich in den schmalen Spalt zwischen der Regentonne und dem Schuppen gezwängt. Dort steckte er nun fest. Lediglich sein Po samt Schwanz schaute heraus, während die vordere Hälfte irgendwo im Dunkel zappelte.

„Ich hab ihn!“, rief Dio und hechtete auf das Kater-Hinterteil zu. Alesa sprintete ihm nach. Als sie sie erreichte, hatte Dio den Kleinen schon aus seiner misslichen Lage befreit.

Alesa prüfte den Himmel, dann befahl sie ihren Söhnen: „Mitkommen!“

Mit ein paar Sätzen hatte sie den Pflasterweg erreicht. Sie hielt vor einer kleinen Falltür an der Hauswand und schob sie auf. Als Harry und Poldi nahe genug heran waren, kommandierte sie: „Ich gehe zuerst und ihr schaut mir genau zu, wie ich es mache. Dann folgt ihr mir. Dio, du bildest den Schluß.“

Sie hielt einen Moment inne. „Du kannst auch den anderen Weg über die Treppe nehmen.“

Dio hatte schon einmal versucht, diesen Schleichweg zu benutzen, den Alesa aus der Zeit kannte, bevor Dio und der Professor hier eingezogen waren. Doch damals hatte ihm seine Figur in diesem schmalen Durchgang ein paar unangenehme Probleme beschert, die sie ihm jetzt ersparen wollte.

Dio wartete, bis alle Mitglieder seiner Familie durch die Luke in das Mäusezimmer hinuntergeschlüpft waren. Dann huschte er auf seinem eigenen Weg durch den Flur in den Keller.

 

Dort war Alesa schon damit beschäftigt, ihre beiden Söhne zu beruhigen. Sie leckte und streichelte sie liebevoll. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie erschöpft eingeschlafen waren.

Als Poldi und Harry schlummerten, wandte Alesa sich Dionysos zu. „Bleib du hier unten bei den beiden. Ich werde mich auf die Suche nach Mimi machen.“

„Glaubst du wirklich, du kannst sie finden? Wer weiß, was dieser Vogel inzwischen mit ihr angestellt hat.“ Ihm versagte die Stimme.

„Hör auf!“

Er schluckte schwer. „Dann helfe ich dir beim Suchen. Zu zweit finden wir sie eher, als wenn du allein gehst.“

Alesa schüttelte den Kopf. „Jemand muß auf Poldi und Harry aufpassen.“

„Der Professor ist doch auch da. Er wird bestimmt nach ihnen sehen.“

„Nein, Dio, diskutiere jetzt nicht mit mir! Ich brauche dich hier bei meinen beiden Jungen, bitte!“

Er seufzte. Sein Hals war eng. Dann nickte er. „Paß auf dich auf und komm bald zurück – mit Mimi.“

Alesa rieb ihren Kopf an seine Seite. Dann sprang sie über den Stapel Holzscheite an der Wand zu der kleinen Luke hoch, schlüpfte hindurch und war gleich darauf verschwunden.

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?