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Kapitel 8

Die neue Frau an Runes Seite

Sinas Tochter kam drei Tage später mit Familie aus dem Urlaub zurück. Die Zeit bis zum Wiedersehen überbrückten wir mit Telefonaten, in denen wir uns unsere Ungeduld und Vorfreude gestanden.

Am 26. unterbrach Sina ihre Rückreise für einen Tag. Um 13.29 h lief der Zug ein. Sina kam strahlend auf mich zu. Als wir uns begrüßten nahmen wir von der Umwelt keine Notiz. Bei Kaffee und Kuchen im ›Alten Gymnasium‹ realisierten wir nachdrücklich: wir haben uns wieder.

Danach tauchte Sina in meine Welt ein, Grüner Weg 11, Mildstedt. Sie lernte jetzt das kennen, was ich ihr beschrieben hatte, und sie konnte ihre Bilder davon mit der Realität abgleichen: Wo hatte Rune über- oder untertrieben, was nicht erwähnt oder vielleicht sogar unterschlagen.

Es stellte sich heraus, dass meine Beschreibung eine brauchbare Orientierungshilfe war. Sina bewegte sich schnell wie selbstverständlich, dabei unaufdringlich, durch die Räume, als wollte sie ausdrücken – ich gehöre zu Dir, also auch hierher. Sie machte uns einen Cappuccino, deckte den Tisch, stellte eine Kerze darauf und forderte wortlos auf, mich zu setzen. Sie erzeugte eine Atmosphäre wie dieses Haus sie seit dem Tode meiner Frau nicht mehr erlebte hatte.

Für Sinas Frische, Natürlichkeit, ihr unaufdringliches für sich einnehmendes Wesen war ich über die Maßen empfänglich und dankbar. Das Haus war urplötzlich wieder von Leben erfüllt. Ich war glücklich, dass Sina da war und unserem Herrgott dankbar dafür, dass es sie gibt.

Zum Abendessen fuhren wir in die Stadt. Am Buffet eines von unserer Gruppe regelmäßig besuchten Lokals stellten wir uns etwas zusammen, dazu tranken wir einen Schoppen Wein. Eigentlich hatte ich keinen großen Appetit; ich sah mich an Sina satt, die mir lebensfroh, angeregt plaudernd, heiter gegenüber saß, und ich spürte wie ihre Lebensfreude auch mich ergriff.

Zu Hause saßen wir nur noch wenige Minuten im Wohnzimmer, bevor Sina als erste ins Bad ging. Die beiden Tage auf Sylt hatten die Vorstellungen, die wir durch unsere langen Telefonate voneinander gewonnen hatten, bestätigt. Das war auch der Grund für unsere Vertrautheit. Obgleich wir uns erst die zwei Tage gesehen hatten, kannten wir uns schon viel länger.

Wir erleben eine wunderschöne, einmalige Zeit. Es ist unsere Geschichte, unser so kostbares Geschenk, das reicher macht, als jede andere Beziehung. Für diese unglaubliche Geschichte hatte der Herrgott uns ausgewählt. Sie verdient alle unsere Aufmerksamkeit und Sorgfalt. Wir konnten uns jetzt auch persönlich alles sagen, und die Leichtigkeit und Natürlichkeit unseres Miteinanders erstaunten uns nicht. Wir wussten, wir waren füreinander bestimmt. Das schloss nichts aus. Der Abend endete noch nicht, er fand seine Fortsetzung, inszeniert durch den Gleichklang zweier Herzen.

Als ich ins Bad ging, stand Sina im Wohnzimmer unbekleidet und griff nach ihrem Nachthemd. Kurze Zeit später betrat ich das Schlafzimmer; sie saß im Bett und lachte. Das Muster ihres Nachthemdes ähnelte dem des Bettbezugs.

Endlich konnten wir uns in die Arme nehmen. Wir halfen uns aus Nachthemd und Pyjama und spürten zum ersten Mal unsere Körper, erlebten das wohltuende, elektrisierende Streicheln. Wir hatten uns gefunden und fühlten, dass es uns unbeschreiblich gut tat und sich einfach richtig anfühlte.

Kapitel 9

Rune

Für mich ist körperliche Nähe mit einer Frau, sich gehören, Ausdruck aufrichtiger Liebe in seelischer Verbundenheit und Treue. Liebe so empfunden ist das Schönste, Reinste und Natürlichste zugleich, was Menschen sich schenken können. Sie schützt vor Abwegen und gegenseitiger Verletzung, weil sie unteilbar ist. Ich kann sie nur zulassen, wenn ich sie ausschließlich für einen Menschen empfinde. Intimität ohne Liebe, nur Sex, lehnt mein Herz ab.

Liebe so empfunden und gelebt, begleitete mich fast fünfzig Jahre. Sie war der Motor und Anker zugleich in meinem Leben. Als meine Frau starb war der Schmerz unmessbar.

Meine Pensionierung lag knapp anderthalb Jahre zurück. Ohne meine Frau und ohne Beruf war ich in ein tiefes, schwarzes Loch gefallen. Ich hatte nichts mehr, was mich ausfüllte.

Wir wollten unser Leben jetzt noch intensiver planen, gestalten und erleben. Mir wurde in aller Klarheit und Nüchternheit bewusst, dass alles, was mein Leben bislang ausgemacht hatte, nicht mehr existierte.

Verantwortung und Sorge für das Wohlergehen anderer hatte mein Leben in über vierzig Jahren bestimmt und ausgefüllt. Meine Aufgabe war es, für meine Frau und Kinder, für die Schüler und Kollegen Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen sie sich wohlfühlen, entfalten und erfolgreich sein konnten.

Alles das hatte meine Frau durchgängig engagiert, unterstützend begleitet. Mit ihr stumpfte unsere Ehe nicht ab und dämmerte nicht in ausgetretenen, gewohnheitsbestimmten Pfaden dahin. Alles das gab es nicht mehr.

Hinzu kam ein Schlüsselerlebnis, das dazu führte, dass ich die Freundschaften mit Ehepaaren, die fast vierzig Jahre bestanden, so nicht weiter pflegen konnte.

Als ich eines Tages ein Ehepaar, Freunde, seit meinem ersten aktiven Tag als Lehrer, besuchte, erschreckte mich meine veränderte Situation so folgenschwer, dass ein weiterer Pfeiler meines Lebens wegbrach. Wo früher vier Personen um den Tisch saßen, waren es jetzt nur noch drei. Es unterhielten sich nicht mehr die beiden Frauen, die beiden Männer und dann auch alle vier, jetzt unterhielt sich ein Ehepaar mit einem Alleinstehenden. Beide waren durchgängig allein auf mich fixiert. Es drängte sich mir der Eindruck auf, dass das sehr, nein, unzumutbar anstrengend für beide sein musste, was ich ihnen zukünftig nicht so oft abverlangen wollte.

Was blieb waren die täglichen Fahrten zum Friedhof, Haus- und Gartenarbeit – eine Haushaltshilfe nahm ich nicht –, das Golfen und gelegentliche Besuche bei den Kindern.

Um mich nicht zu sehr zu isolieren, nahm das Golfen den breitesten Raum ein. Vier- bis fünf Mal in der Woche ging ich über den Platz, meistens mit Christoph. Ihn lernte ich ein dreiviertel Jahr nach dem Tod meiner Frau kennen. Er war wie ich alleine auf dem Platz unterwegs. Auf Bahn 7 lief ich zu ihm auf, weil er warten musste; vor ihm puttete noch ein Viererflight. Ich erfuhr, dass auch seine Frau vor drei Jahren gestorben war und er jetzt ebenfalls im Golfen eine willkommene Ablenkung gefunden hatte.

Mein Leben war unausgefüllt, einfach nur leer. Da half es auch nicht, dass ich jetzt endlich lernte, den Geschirrspüler zu bestücken und bedienen, dass ich feudelte, saugte, Fenster putzte, bügelte, einkaufte und einiges mehr. Bei allem, was ich alleine erledigte, ließen meine Gedanken nicht los, den Kopf konnte ich nicht abschalten.

Wenn ich ein Buch in die Hand nahm, waren meine Gedanken spätestens nach fünf Zeilen wieder abgeschweift. Wie dankbar wäre ich nach einer Gartenarbeit über eine Reaktion gewesen wie: »Hinten in der Ecke hast du wohl keine Lust mehr gehabt«. Das wäre eine enorm große Bereicherung gewesen. Und wenn ich einmal unter Menschen war, dann schlug die Realität spätestens dann wieder gnadenlos zu, wenn ich das leere Haus betrat.

Die Tatsache, dass der geliebte Mensch nicht mehr da war, mit dem ich alles teilen, um den ich mich sorgen durfte, hatte mich in einen nicht endenden Schmerz versetzt. Drei Jahre lang besuchte ich das Grab täglich, das erste halbe Jahr nicht ohne feuchte Augen.

In dieser Zeit hielten mir vor allem einige Kolleginnen die Treue, die auch schon zu meiner aktiven Zeit, als meine Frau wiederholt gesundheitliche Probleme hatte, auch außerschulisch den Kontakt pflegten Ich traf mich häufiger, vor allem mit zweien von ihnen, mit den anderen telefonierte ich unregelmäßig. Und im Golfclub gab es fünf Paare, zu denen sich ein engerer Kontakt aufbaute. Wir tranken Kaffee auf der Clubhaus-Terrasse, besuchten uns zu Geburtstagen und unternahmen ein- bis dreitägige Ausflüge.

Ansonsten beschränkte ich meine Kontakte auf das Notwendigste. In der Stadt hielt ich mich nicht länger als unbedingt erforderlich auf, ein Café betrat ich nicht alleine, und ich hatte kein Auge für Frauen, früher nicht und jetzt ganz bewusst schon gar nicht. Ich wollte mich auf keinen Fall auch nur dem leisesten Verdacht aussetzen, dass ich Ausschau hielte. Ich konnte es mir nicht anders vorstellen und war demzufolge auch davon überzeugt, dass mir bestimmt war, alleine zu bleiben.

In meinem Alter noch einmal jemanden kennen zu lernen, war für mich utopisch, und wenn es doch geschehen sollte, dann stand das nicht in meiner Macht. Eine zweite Partnerschaft ließen meine Gefühle und die weiterhin empfundene Verbundenheit zu meiner Frau nicht zu.

War es überhaupt denkbar und auch möglich für eine andere Frau Liebe zu empfinden? Wäre es nicht Verrat an unserer Liebe, würde ich meine Frau nicht im Nachhinein betrügen? Das Herz meldete sich gerade bei diesen Fragen unüberhörbar. Im Zweifel hat es ohnehin immer die richtige und verlässliche Antwort.

Eingeleitet durch die Bekanntschaft mit Erika und durch meine Telefonate mit Sina hatte ich wieder Kontakt zu einer Frau. Das tat mir gut. Es war nicht mehr und mehr erwartete ich davon auch nicht. Jetzt aber war alles anders, ich empfand für Sina zunehmend mehr als ich für möglich gehalten hatte; das unvorstellbare war eingetreten. Ich musste mir die alles entscheidende Frage beantworten, denn das Herz hatte sich längst entschieden.

 

Den Abschied von meiner Frau für immer war ich vor über drei Jahren angetreten; er war schmerzhaft, weil das Herz nicht losließ.

Mit Sina begann eine neue Lebensphase. Sie eroberte mein Herz und ich konnte und durfte es zulassen. Jetzt war ich so weit. Der Treueschwur ›Bis dass der Tod euch scheidet‹ sagte mir, dass ich nichts Unrechtes empfand, keinen Verrat beging und mein Herz einen neuen, richtigen Weg eingeschlagen hatte, den ich jetzt bejahend und zuversichtlich gehen durfte. Voraussetzung und Bedingung war, dass ich bereit und mich in der Lage fühlte, ihn ehrlich, nicht zurückblickend und oder vergleichend zurücklegen will. Ich war mit mir im Reinen und mir dessen bewusst, dass etwas ganz Neues vor mir lag und war mir ganz sicher, dass ich nichts zurückholen wollte oder etwas Vergleichbares aus meiner Ehe mit Jutta anstrebte. Das wäre Sina gegenüber unehrlich und verletzend gewesen. Ja, ich war frei für einen neuen, vollkommen unbelasteten Anfang.

Dieses Neuland wollten wir erobern und waren zweifelsfrei davon überzeugt, dass sich dieses Wagnis lohnte. Ja, ich konnte und durfte ehrlichen Herzens gestehen, Sina ist heute meine große Liebe, mit ihr möchte ich den Weg gemeinsam weitergehen.

Kapitel 10

Angsteinflößende Verunsicherung

Wir hatten uns gerade unsere Liebe gestanden, und Sina war erst zwei Tage wieder zu Hause, da drohte mir ein weiterer Schicksalsschlag. Mein Urologe musste mir mitteilen, dass mein PSA-Wert erhöht war. Das war zunächst nicht dramatisch, weil ich einen ähnlichen Befund schon einmal vor Jahren hatte. Es beunruhigte mich dennoch.

Sina ließ sich als Medizinisch-technische Assistentin nicht so schnell verunsichern und verwies darauf, dass der Befund mehrere Ursachen haben könnte. Ich sollte nicht zu besorgt abwarten.

Die Fortsetzung nahm jedoch einen anderen Verlauf. Ein weiterer PSA-Wert gab keine Entwarnung, so dass Gewebeproben aus der Prostata untersucht werden mussten. Die Entnahme sollte am 16. November erfolgen.

Zunächst aber, besuchte ich Sina. Diese Tage waren, auch im Rückblick von jetzt zwei Jahren, so einzigartig und nachhaltig schön, dass kein noch so positives Wort eine Übertreibung darstellen würde.

Kapitel 11

Rune in Nürnberg

Gegen 5.30 h fuhr ich am 6. November vom Grundstück. Ich saß in einem fabrikneuen Golf, den ich vor sieben Tagen gegen meinen knapp siebzehn Jahre alten Vektra mit einem Kilometerstand von 270.000 km eingetauscht hatte.

Auf Drängen meines Sohnes hatte ich den Kauf im April getätigt. Sicherheitsgründe wie Materialermüdung und dazu das Urteil einer Karosseriebauerin hatten mich überzeugt. Die Abwrackprämie tat ihr übriges. Da ich an einem anderen Wagen grundsätzlich gar nicht interessiert war, entschied ich mich (Länge 190 cm) für das kleinstmögliche Modell.

Ich war alleine, weite Urlaubsreisen standen nicht mehr an, ich brauchte das Auto für Kurzfahrten; und das Golfgepäck konnte ich notfalls auf den Rücksitz legen. Ein Golf reichte vollkommen und 80 PS ebenso. Ich hatte es nicht eilig, ein später Liefertermin entsprach meinen Vorstellungen, November war mir also recht.

Vor dem Elbtunnel hatte sich noch kein Stau aufgebaut, ich hatte Glück. Jetzt stand einer zügigen Fahrt nichts mehr im Wege, zumal Sina mich mit einem detaillierten Routenplan ausgestattet hatte. Die Strecke über Nürnberg hinaus in Richtung Süden war mir natürlich bekannt. Sina schlug mir jedoch vor, die A 7 bereits bei Schweinfurt zu verlassen. Ein Navigationsgerät hätte mich nicht besser dirigieren können. An der Autobahnraststätte Feucht hielt ich ein letztes Mal. Noch einen Cappuccino, ein letztes Telefonat mit Sina und schon saß ich wieder im Auto auf der A 73.

Dank der exakten Beschreibung stand ich problemlos gegen 15 Uhr auf dem Parkplatz einer Pension in unmittelbarer Nähe ihrer Wohnung. Die Sonne sorgte noch für eine angenehme Temperatur.

Sina näherte sich ohne Jacke in Hausschuhen und wies mich auf den Stellplatz vor ihrer Garage ein. Ich war angekommen und nahm mein Ziel in die Arme.

Jetzt ging es mir wie Sina vor knapp zwei Wochen. Die Wohnung entsprach im Wesentlichen meiner durch Beschreibung gewonnenen Vorstellung. Das aber, was ihr Besonderes ausmachte, Bauernschränke in Flur und Küche, ebenso handgeschnitzte Anrichte, Truhe und Eckvitrine im Wohnzimmer, hatte sie mir verschwiegen. Sina hatte der Wohnung ihren Stempel aufgedrückt, sie strahlte Persönlichkeit und Behaglichkeit aus, sie war unverkennbar Sinas Geschöpf. Ich fühlte mich sofort wohl.

Es folgten unbeschwerte, wunderschöne Tage, die wir in vollen Zügen genossen und uns nichts versagten. Alles war wieder neu und aufregend, selbst das Banalste wie Abwaschen, Tischdecken oder U-Bahn-Fahren. Und wenn wir zum vierten Mal die Königstraße hinuntergingen, war es immer wieder etwas Besonderes, aufregend und aufwühlend zugleich, ein Lebensgefühl, geboren aus der Zweisamkeit, das mir so sehr gefehlt hatte. Ich durfte alles, jeden Schritt, jeden Atemzug mit Sina erleben, alles mit ihr teilen. Und wenn wir kurzzeitig Hände haltend durch die Straßen bummelten, erfüllte mich ein beglückendes Gefühl. Nach endlos langer Zeit lebte ich wieder.

In den letzten Jahren war alles Geschehen um mich herum keine Bereicherung. Ich nahm an Golfausflügen und -turnieren, Radtouren, Feiern und Veranstaltungen teil, ich war dabei, aber das war auch schon alles. Wenn das jeweilige Ereignis beendet war, ging ich damit ins leere Haus, verstaute es in der großen Kiste, verschloss diese mit dem schweren Deckel und niemand öffnete sie wieder.

Für mich wird Erlebtes erst zum Erlebnis, wenn ich es mit einem geliebten Menschen teilen kann. Darüber reden, sich gemeinsam freuen und emotional begleiten macht ein Ereignis bedeutsam und erhebt es zum Erlebnis. Das hatte ich die ganze Zeit entbehren müssen, schmerzlich vermisst.

Dieses beglückende Lebensgefühl gab Sina mir zurück. Ich war überaus dankbar, dass es sie gab und ich bei ihr sein durfte. Ich entdeckte Selbstverständliches neu, erfreute mich an Kleinigkeiten, die Sina mich mit ihren Augen und ihrem Herzen sehen ließ. Die Welt gewann wieder an Vielfalt und Schönheit.

Nichts konnte unser Glück trüben, auch ein ärgerlicher Zwischenfall nicht, der sich bereits am zweiten Tag ereignete, als wir auf der Heimfahrt gegen 18.30 Uhr, es war bereits dunkel, aus einem kleinen Ort hinausfuhren.

Ein dumpfer Stoß erschütterte den Wagen und fuhr uns in die Glieder. Ich hielt sofort auf dem Seitenstreifen. Wir atmeten tief durch, bevor ich vermutete: der Reifen ist platt. Sina wollte das nicht glauben, was mehr Wunschdenken als Überzeugung war.

Ein Abschleppwagen brachte das Auto in die VW-Werkstatt nach Feucht; zwei Tage später konnte ich den Wagen abholen. Das war ärgerlich, aber nicht zu ändern. Ärger hätte es mich getroffen, wenn Sina sich den Fuß verstaucht oder an der Hand verletzt hätte.

Ich kannte Nürnberg nicht, gewann in diesen Tagen nur einen ersten flüchtigen Eindruck von der Innenstadt mit seinem ausgedehnten Fußgängerbereich. Von Sinas Wohnung fuhren wir mit dem Auto nach Langwasser- Süd und von dort mit der U-Bahn bis St.-Lorenzkirche oder Hauptbahnhof.

Während meines Besuchs musste Sina zweimal ins Labor in unmittelbarer Nähe des Hauptbahnhofes. An diesen Tagen verließ sie die Wohnung gegen 8 h und kam gegen 12.30 h zurück. Dann aßen wir eine Kleinigkeit und fuhren anschließend in die Stadt. Während Sina die Proben auswertete, was eine gute Stunde dauerte, eroberte ich Nürnberg allein. Über Handy vereinbarten wir dann Zeit- und Treffpunkt.

Ein wortloses Übereinkommen: diese Woche gehörte nur uns. Ich tauchte in Sinas Welt ein. Fixpunkte wie Lidl, Rewe, Pension Roosen, Langwasser-Süd, Franken-Center und ein kleines gemütliches Restaurant in der Nähe gaben mir erste örtliche Orientierungshilfen. Sinas Bekanntenkreis blieb außen vor. Selbst ihrer Freundin Bärbel aus dem Nebeneingang begegneten wir nur zufällig auf dem Stellplatz vor den Garagen.

Einzig mit unserer ›Kupplerin‹ Erika verabredeten wir uns zu Kaffee, Kuchen und Prosecco im Karstadt-Restaurant in Nürnberg. Das Wiedersehen war freundschaftlich herzlich. Wir hatten uns viel zu erzählen; besonders die Entwicklung in den letzten zweieinhalb Monaten interessierte Erika. Wir berichteten darüber bereitwillig und unübersehbar glücklich.

Nürnbergs Innenstadt bekam für mich dadurch erste Konturen, weil Sina sich als kompetente Stadtführerin erwies. Hauptmarkt mit „Schönem Brunnen“ und Frauenkirche, Heilig-Geist-Spital, Burg, Dürerhaus und anderes mehr bekamen durch Sina für mich historische Aussagekraft. Bar Celona und ein Restaurant am Hauptmarkt wurden feste Anlaufpunkte für einen Cappuccino oder kleinen Imbiss.

Zwei Kirchen rückte Sina in meinen Focus: die St. Lorenz-Kirche und eine kleine, in der Königstraße gelegene, die Klara-Kirche. Die St. Lorenz-Kirche besichtigen wir gleich an unserem ersten Tag in Nürnberg; Sinas Ausführungen ließen sie mir noch bedeutsamer erscheinen. Die Klara-Kirche dagegen wurde für uns ein Ort der Besinnung, des dankerfüllten gemeinsamen Innehaltens.

Nur einmal aßen wir abends außer Haus, in dem kleinen Restaurant. Sonst blieben wir zu Hause und genossen unsere Zweisamkeit bei Musik und einem Glas Wein.

Es verging kein Abend an dem wir nicht auch tanzten. Wir hielten uns umschlungen, unsere Körper berührten sich. Dann wieder, blieben wir stehen und küssten uns lang anhaltend, mal zärtlich, dann leidenschaftlich fordernd. Meine Erregung war nicht zu verbergen.

Sina spürte sie und presste sich noch fester an mich. Wir hatten uns.

Unsere Liebe und Vertrautheit erlaubten uns, alles neu zu entdecken. Jede Berührung, jeder Kuss, jedes Streicheln waren Ausdruck und Sehnsucht zugleich, uns zu gehören. Dieses Geschenk, Liebe noch einmal so zu erleben und genießen zu dürfen, nahmen wir dankbar und ganz bewusst an. Wir gaben und nahmen in einfühlsamem Einverständnis, was uns um so glücklicher machte.

Wir erlebten unsere ›Flitterwochen‹ wie sie schöner nicht sein konnten. Wir waren dankbar für jede Zärtlichkeit, die wir uns schenkten und erlaubten.

Gedanken an meine Untersuchung legten sich nur selten wie ein leichter Grauschleier über dieses Glück; aber, sie waren da, nicht immer konnte ich sie beiseite schieben.

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