Seewölfe - Piraten der Weltmeere 488

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 488
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Impressum

© 1976/2019 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-896-6

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Roy Palmer

Im Klirren der Blankwaffen

Sie wollten den Seewölfen ans Leder – aber die zogen blank

One-Eye-Doolin meinte, in dem prasselnden Regen seine drei Verfolger abgehängt zu haben. Und darum kehrte er mit seiner „Scorpion“ zu jener Stelle auf der Caicos-Bank zurück, wo sie mit Draggen Schätze vom Grund aufgefischt hatten. Seine Kerle waren weniger entzückt: Vielleicht tauchten auch die drei Schiffe wieder auf, die sie hier vertrieben hatten. Sie hatten recht. Fluchend mußte One-Eye-Doolin wieder das Feld räumen, denn gegen drei bestens bestückte Kampfschiffe hatte er nichts zu vermelden. Er entwischte in den Atlantik. Indessen versteckten sich der Seewolf, die Rote Korsarin und Edmond Bayeux mit ihren Schiffen zwischen den Caicos-Inseln. Und als One-Eye-Doolin wiederum zum Fischen auftauchte, kreisten sie ihn ein – das Ende einer Jagd …

Die Hauptpersonen des Romans:

Luiz, Pablo, Felipe und Marco – die vier Überlebenden der „Trinidad“ geraten vom Regen in die Traufe.

Don Diego de Campos – der Generalkapitän leidet an der Ruhmsucht, aber er hat noch mehr Fehler.

Old O’Flynn – läuft mit seiner „Empress of Sea“ den Dons auf und davon.

Dan O’Flynn – rettet Schiffbrüchige und muß sich mit Spaniern herumschlagen.

Philip Hasard Killigrew – hat auch mal den Mut, seinen Gegnern auszuweichen.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

1.

Sie fühlten sich im wahrsten Sinne des Wortes wie neu geboren – Luiz, der Schwarzbart, Pablo, der Häßliche, Felipe, der Andalusier, und Marco, der Mann aus Murcia, den alle nur „alter Knochen“ nannten. Sie hätten tot sein können, und doch lebten sie. Sie, vier Hundesöhne aus der Crew des Diego Machado, hatten das Massaker an der Bucht bei Batabanó überlebt.

Sie glaubten, die einzigen Überlebenden der „Trinidad“ zu sein. Doch sie irrten sich. Acht weitere Kerle aus der Machado-Mannschaft waren gefangengenommen und nach Havanna überführt worden. So war es auch Alonzo de Escobedo, dem sehr ehrenwerten Gouverneur von Kuba, ergangen.

Um das Los, das die Kerle jedoch in Havanna fristeten, waren sie nicht zu beneiden; De Campos, der Generalkapitän, hatte sie ins Stadtgefängnis sperren lassen. Dort schmorten sie jetzt. Ein Prozeß wartete auf sie. De Campos war ein harscher Eisenfresser, der sich auf keinen Kompromiß einließ.

De Escobedo und die „Trinidad“-Kerle hatten versucht, die spanische Krone zu bestehlen und zu betrügen, indem sie versucht hatten, den Schatz des Don Antonio de Quintanilla zu entwenden. Darauf standen drastische Strafen.

Luiz, Pablo, Felipe und Marco hatten es da schon bedeutend besser. Seit vier Tagen hausten sie nun schon in den Schatzhöhlen an der Bucht bei Batabanó, nachdem sie der Seewolf ihrem Geschick überlassen hatte. Sie hatten noch genug zu essen und zu trinken und kratzten hier und da ein paar Schatzüberreste aus den Höhlen und Grotten zusammen, die übersehen worden und zurückgeblieben waren. Was wollten sie mehr? Sie waren frei und gingen bei der ganzen Sache nicht einmal leer aus.

Sie hätten Philip Hasard Killigrew, dem Seewolf, für seine Großzügigkeit ewig dankbar sein müssen. Und doch waren sie’s nicht. Sie verfluchten ihn schon wieder und wünschten ihm die Pest, die Blattern und die Cholera an den Leib. Ähnlich fromme Sprüche hatten sie für Hasards „Anhang“ auf Lager. Die „Piratenhure“ – damit war Siri-Tong gemeint – und die anderen „Dreckfresser und Galgenstricke“ – also die Crew der Roten Korsarin sowie Edmond Bayeux und dessen Männer von der „Le Griffon“ – sollten zur Hölle fahren oder auf der Stelle zerplatzen. Es war die einhellige Meinung der vier Spanier, daß sie nichts Besseres verdient hätten.

Am 30. Mai hatten Luiz, Pablo, Felipe und Marco allerdings noch ganz anders geredet. Richtig geläutert waren sie gewesen und hatten Hasard versprochen, fortan ein redliches und ehrliches Leben zu führen. Das war ihr Dank für die Rettung. Schließlich hätte der Seewolf ja auch anders mit ihnen verfahren können. Er hätte sie erschießen, enthaupten oder totprügeln lassen können. Oder aber er hätte die vier an der Rahnock hochziehen lassen können. Eine weitere Möglichkeit wäre gewesen, sie den Reiz und die Spannung des Kielholens kennenlernen zu lassen.

Nichts von alledem. Obwohl Luiz, Pablo, Felipe und Marco versucht hatten, die „Trinidad“ zu entern, beziehungsweise in die Schatzhöhle einzudringen und die „englischen Hurenböcke“ abzustechen, hatte der Seewolf sie begnadigt. Die vier hatten einfach in ihrem Gefängnis, der Vorpiek der „Trinidad“, bleiben dürfen. Gefesselt zwar, aber das war das geringste Problem. Daß man sie nicht auch noch losschnitt, konnten sie denn doch verstehen.

Die Überraschung hatte sich eingestellt, als die drei Schiffe – „Isabella IX.“, „Caribian Queen“ und „Le Griffon“ – die Bucht bei Batabanó verlassen hatten. Luiz, Pablo, Felipe und Marco hockten eine Weile da, frohlockten und grinsten, lachten und freuten sich, daß sie mit einem blauen Auge davongekommen waren.

Dann verstummten sie. War da nicht etwas – ein Geräusch? Tatsächlich. Im Inneren der „Trinidad“ ertönte ein verhaltenes Gluckern. Bald wurde ein schwaches Rauschen daraus.

„He, was ist denn das?“ fragte Pablo.

„Hörst du das nicht, du Arsch?“ zischte Felipe. „Das ist Wasser!“

„Wie hast du mich genannt?“

„Seid mal still“, sagte Luiz scharf. „Und fangt bloß nicht wieder an zu streiten.“

Sie schwiegen und versuchten, Genaueres zu erlauschen. Das Gluckern und Rauschen nahm zu. Die Kerle blickten sich untereinander an. Verflogen war die Euphorie über das Glück, noch mal mit dem Leben davongekommen zu sein. Ihr Verdacht verdichtete sich zur Gewißheit, und sie kriegten es plötzlich mit der Angst zu tun.

„Schweinerei!“ brüllte Luiz. „Die haben den Kahn angebohrt!“

„Wir ersaufen!“ heulte Pablo.

„Quatsch!“ rief Marco. „Los, beeilt euch! Wir müssen als erstes unsere Fesseln loswerden! Dann brechen wir das Schott auf!“

Natürlich hatte der Seewolf die „Trinidad“ anbohren lassen. Ferris Tucker und Blacky hatten das Werk schnell und diskret durchgeführt, dann waren sie an Bord der „Isabella“ zurückgekehrt. Die drei Schiffe segelten davon – und der Bauch der „Trinidad“ füllte sich mit Seewasser.

Aber Hasard hatte nicht vor, die vier Spanier wie die Ratten ersaufen zu lassen. Er hatte das genau berechnet: bevor die Galeone wirklich zu sinken begann, hatten sie sich von ihren Stricken befreit. Und das Schott zur Vorpiek war nicht zugeriegelt.

Felipe hatte die ausgezeichnete Idee, sich hinzuwerfen und die Fesseln seines Kumpans Marco mit den Zähnen aufzunagen. Marco half mit, indem er die Handballen gegeneinanderpreßte und so Druck erzeugte, der die Stricke immer mehr weiterte. Schließlich sprangen sie auf, und er war frei.

Sofort half Marco dem Andalusier, seine Fesseln loszuwerden. Dann waren Luiz und Pablo an der Reihe. Luiz schwitzte – abwechselnd heiß und kalt. So mutig, wie er immer tat, war er in Wirklichkeit nicht. Zum Beispiel hatte er Angst vor Schlangen. Er hütete sich aber, diese Schwächen vor den anderen zu zeigen. Pablo keuchte und stöhnte. Er hatte die Panik noch im Nacken. Und es knarrte tief im Inneren des Schiffes. Dann neigte sich die „Trinidad“ etwas nach Backbord. Sie begann zu sinken.

„Raus!“ brüllte Luiz.

Er warf sich mit Pablo gegen das Schott. Das Schott flog sofort auf und knallte außen gegen die Längswand. Luiz und Pablo stürzten auf den Gang, gerieten sich gegenseitig ins Gehege und wälzten sich auf den Planken. Sie fluchten und rappelten sich wieder auf.

Felipe und Marco lachten und stürmten an den beiden vorbei. Als erste erreichten sie das Oberdeck. Rasch schauten sie sich nach allen Seiten um. Die drei Schiffe der „englischen Hurensöhne“ waren verschwunden. Die „Trinidad“ krängte bereits beachtlich nach Backbord.

Marco behielt die Ruhe. Es wäre ein Fehler gewesen, das Schiff einfach zu verlassen. Denn sie konnten noch die Vorräte retten, die sich an Bord befanden.

„Alle Mann von Bord!“ brüllte Luiz.

„Nein!“ schrie Marco zurück. Er blickte zu dem Schwarzbärtigen und dem Häßlichen, die soeben im offenen Vordecksschott auftauchten. „Auf keinen Fall! Wir heben den Anker hoch und steuern ans Ufer!“

„Bist du verrückt?“ heulte Pablo.

„Herrgott!“ rief Felipe. „Haut doch ab, ihr Schlappschwänze! Aber laßt euch nicht mehr blicken!“

„Ja, verzieht euch!“ schrie auch Marco wütend.

Luiz ging endlich ein Licht auf. Der Proviant! Wenn Pablo und er ins Wasser sprangen und an Land schwammen, schauten sie in die Röhre. Sie konnten nach Batabanó laufen, würden unterwegs aber mächtigen Hunger und Durst kriegen. Und vielleicht gab es an Bord noch einiges mehr zu holen! Was immer es war, man konnte es nicht einfach Marco und Felipe überlassen.

 

„Pablo“, sagte Luiz keuchend. „Los, hilf mit! Wir müssen den verfluchten Anker hieven!“

„Warum?“ Pablo riß Augen und Mund weit auf. Ein Schnelldenker war er noch nie gewesen.

„Frag jetzt nicht!“ brüllte Luiz.

Pablo zog es vor, keine weiteren Fragen zu stellen. Er packte mit an, und die vier Kerle drehten mit vereinten Kräften das Gangspill. Sie hievten den schweren Stockanker vom Grund der Bucht hoch und ließen die ramponierte Galeone zum Ufer treiben. Es war kein leichtes Manöver, denn das Schiff hatte inzwischen viel Wasser gezogen und krängte immer stärker nach Backbord.

Sie war zu einem schwerfälligen, trägen, sinkenden Klotz geworden, die einst so stolze „Trinidad“. Mit Ach und Krach gelang es Luiz, Pablo, Felipe und Marco, das Großsegel zu setzen. Nur ganz langsam glitt das Schiff auf den hellen Sandstrand der Bucht zu. Die Schräglage war jetzt derart stark, daß sich die vier am Schanzkleid festklammern mußten.

Schließlich lief die „Trinidad“ auf. Im Rauschen und Gurgeln der durch die Bohrlöcher hereinschießenden Wassermassen war ein Knirschen zu vernehmen. Ein Ruck lief durch den Segler. Er neigte sich noch etwas mehr nach Backbord, lag dann aber völlig still. Die Distanz, die es nunmehr noch bis zum Ufer zurückzulegen galt, betrug etwa zwanzig Yards.

Die vier Kerle atmeten auf.

„Na, wie haben wir das gemacht?“ brüllte Luiz.

Ihm fiel ein mächtiger Stein vom Herzen. Er hatte wirklich gräßliche Angst gehabt, vom Wasser in der Vorpiek überrascht zu werden und jämmerlich wie eine Ratte ersaufen zu müssen.

Der Andalusier warf seinem schwarzbärtigen Spießgesellen einen verächtlichen Blick zu. „Wir ist gut. Wenn Marco nicht so schlau gewesen wäre, das Schiff zu retten, läge der Kahn jetzt auf dem Grund. Da, wo er eben noch geankert hat, ist das Wasser ja tief genug. Es hätten höchstens noch die Mastspitzen ’rausgeschaut.“

„Na, das weiß ich doch!“ stieß Luiz hervor. „Glaubst du, ich bin so blöd, daß ich’s nicht gleich kapiert habe?“

„Ich glaube es“, erwiderte Felipe.

Während Luiz noch überlegte, wie er diese Äußerung auslegen sollte, ergriff Marco, der älteste der vier, wieder das Wort. „Hört mal zu, Leute. Wir sollten zusehen, daß wir miteinander auskommen. Wir sind durch dick und dünn gegangen, und es hat sich gezeigt, daß es das beste ist, wenn wir zusammenhalten.“

„Ja, das stimmt“, pflichtete Luiz ihm sofort bei.

„Also“, fuhr Marco fort. „Es hat keinen Sinn, daß wir uns wegen der idiotischsten Kleinigkeiten in die Haare geraten. Seid also friedlich und regt auch nicht auf. Wir leben ja. Haben nicht mal ’n Kratzer abgekriegt.“

„Und diese Bastarde sind endlich weg“, sagte Pablo, als ginge es ihm erst jetzt richtig auf. „Vor allem dieses Narbenungeheuer. Der Faßteufel. Herrgott, er muß mit dem Satan verwandt sein.“

Mit dem „Ungeheuer“ war Edwin Carberry gemeint, der Luiz und Pablo in der Schatzhöhle eine „hübsche, kleine Falle“ gestellt hatte. Als er wie der Leibhaftige aus dem einen Faß gesprungen war, hatte die beiden Spanier im wahrsten Sinne des Wortes der Schlag getroffen. Mit dem Profoshammer – dem Hieb, gegen den kein Kraut gewachsen war – hatte Carberry sie gefällt. So waren sie zu Gefangenen geworden.

Auch Marco und Felipe war es an Bord der „Trinidad“ nicht besser ergangen. Die Arwenacks hatten sie überlistet und eingesperrt. Anschließend hatten die vier Kerle in den Schatzhöhlen beim Abbergen der Truhen, Kisten und Fässer helfen müssen – unter der eisernen Fuchtel des Profos’. Dies war ein Erlebnis, das sie nie vergessen würden. Das Grauen saß ihnen immer noch im Nacken.

„In Ordnung“, sagte der Mann aus Murcia. „Wir sind uns also einig?“

„Einig“, antwortete Luiz.

„Alles klar“, erwiderte auch Pablo.

„Und du bist unser Anführer?“ fragte Felipe lauernd.

„Das hab’ ich nicht gesagt“, entgegnete Marco. „Aber wir können ja einen Anführer wählen.“

„Ich schlage Luiz vor!“ rief Pablo.

Felipe grinste. „Ich bin für Marco.“

Marco war darüber selbst erstaunt. Der Andalusier war hinterhältig und undurchschaubar, unberechenbar und heimtückisch. Aber vielleicht sah er wirklich ein, daß sie einen Anführer brauchten und der Mann aus Murcia für diese Aufgabe am besten geeignet war. Bislang hatte er sich stets als der umsichtigste Kerl gezeigt, und er war ja auch der Älteste und hatte die meiste Erfahrung.

„Hand hoch“, sagte Luiz. „Wer ist für Marco?“

Marco und Felipe hoben die Hände. Der Andalusier grinste wieder. Dann war es Marco, der fragte: „Und wer wählt Luiz?“

Der Schwarzbart und Pablo rissen ihre Hände hoch. „Unentschieden“, sagte Luiz. „Ist nicht so schlimm. Dann müssen wir eben losen. Hat einer ’ne Münze?“

Es stellte sich heraus, daß keine Münze aufzutreiben war, nicht einmal ein winziger Silberling. Die Seewölfe hatten den vier Kerlen ja alles abgenommen, als sie gefangengesetzt worden waren – ihre Waffen und die wenigen Taler und Dukaten, die sie als Beute bei sich trugen. Luiz, Pablo, Marco und Felipe waren mit anderen Worten blank. Sie hatten nur noch das, was sie auf dem Leibe trugen.

Aber Felipe ließ nicht locker. Er begann, das Schiff zu durchsuchen. Seine Kumpane folgten ihm mit halb erwartungsvollen, halb mißtrauischen Mienen. Der Andalusier nahm sich die Kapitänskammer vor. Er rutschte auf den schrägen Planken aus, fiel hin und rappelte sich fluchend wieder auf. Er durchwühlte die Koje des einstigen Kapitäns der „Trinidad“, Diego Machado, riß alles heraus und wurde schließlich wirklich fündig. Unter der Koje ließ sich eine Planke lockern. In dem Hohlraum darunter befand sich ein kleiner Sack mit Goldmünzen.

„Hurra!“ brüllten die Kerle.

„Woher hast du das gewußt?“ fragte Marco.

Der Andalusier lachte, warf den Beutel in die Höhe und fing ihn wieder auf. „Ich habe es nur geahnt. Machado war ein krummer Hund, gerissen, aber nicht zu gerissen. Daß er irgendwo noch ’ne Rücklage hat, habe ich mir einfach gedacht. Na ja, und er fühlte sich wohl am sichersten, wenn er auf den Talerchen schlafen konnte.“

„Teilen wir?“ fragte Pablo.

Felipe warf ihm einen Blick zu, als wolle er ihn erschlagen. „Und wenn ich den Beutel für mich behalte? Was ist dann?“

„Das ist nicht gerecht“, entgegnete Luiz. „Wir halten zusammen, haben wir gesagt.“

„Felipe“, sagte Marco. „Mach keinen Mist.“

Der Andalusier grinste, lachte, schüttelte den Kopf. Dann öffnete er den Beutel. Sie teilten sich den Inhalt – zwanzig Piaster. Jeder erhielt fünf Goldmünzen. Dann ging die Wahl über die Bühne. Sie einigten sich darauf, daß der Kopf der Münze für Marco stand, die Zahl für Luiz. Pablo durfte die Münze hochwerfen. Sie wirbelte durch die Luft. Felipe fing sie geschickt auf und wies sie sofort in der geöffneten Handfläche vor.

„Kopf“, sagte Felipe – und wieder grinste er. Es wirkte gleichsam diabolisch, als wolle er sagen: Ich hab’s ja gewußt.

Marco nickte. „Gut. Fangen wir also an. Wir durchsuchen den Kahn und nehmen alles mit, was wir noch bergen können – Proviant und Waffen.“

„Und Gold“, fügte Pablo hinzu.

„Mehr ist wohl nicht zu finden“, sagte Marco. „Die Engländer haben das Schiff geplündert. Macht euch keine falschen Hoffnungen.“

In der Tat – mehr als die zwanzig Piaster waren an Bord der „Trinidad“ an Münzen nicht mehr aufzutreiben. Weitere Geheimverstecke des Diego Machado existierten nicht, so sehr die vier Kerle auch forschten und alles abtasteten und beklopften.

Luiz war enttäuscht, gab sich aber Mühe, dies nicht zu zeigen. Er hatte der Wortführer sein wollen. Es gefiel ihm, einen kleinen Haufen herumzukommandieren, und es schwebte ihm im übrigen auch vor, sich ganz der Piraterie zu verschreiben, sich ein Schiffchen zu beschaffen und mit einer Meute auf Kaperfahrt zu gehen.

Schon jetzt schien sich aber abzuzeichnen, daß sich dies mit Marco, Felipe und Pablo nicht verwirklichen ließ. Irgendwann würde er sich absetzen und seiner eigenen Wege gehen.

Ihr blöden Hunde, dachte Luiz, als er in die Waffenkammer eindrang, ihr werdet schon noch kapieren, was für ein Verlust es für euch ist, wenn ich euch im Stich lasse. Aber mir ist es dann egal, was aus euch wird. Von mir aus könnt ihr über den Jordan gehen.

Der erste Blick, den Luiz in die Waffenkammer der „Trinidad“ warf, bereitete ihm sogleich eine herbe Enttäuschung. Die Kammer war leer. Der Gegner hatte alles mitgenommen, was er brauchen konnte. Die Waffen hingegen, für die er keine Verwendung hatte, hatte er wohlweislich in der Bucht versenkt.

Luiz fluchte vor Wut, dann nahm er sich das Pulverdepot vor. Das Ergebnis fiel hier ähnlich aus: keine Unze Pulver hatten die Arwenacks und ihre Kameraden vom Bund der Korsaren an Bord der „Trinidad“ zurückgelassen. Nur noch zwei leere Fässer gähnten Luiz höhnisch an.

Der Schwarzbart trat gegen das eine Faß. Es kippte um, aber Luiz stöhnte auf. Er hatte sich bei dem Tritt fast den großen Zeh verstaucht. Zornig kehrte er an Oberdeck zurück. Hier hatten die Kumpane inzwischen andere Aktivitäten entwickelt. Sie hatten die Jolle zu Wasser gebracht und waren dabei, einigen Proviant sowie ein Fäßchen Wein und etliche Flaschen Schnaps in dem Boot zu verstauen.

Dieser Anblick munterte Luiz wieder auf.

„Na, ihr habt ja Glück gehabt“, sagte er.

Marco wandte sich halb zu ihm um. „Und du?“

„Nichts“, erwiderte der Schwarzbart. „Keine Waffen, keine Munition.“

„Dann eben nicht“, sagte Felipe. „Wir haben aber wenigstens die Messer aus der Kombüse. Damit läßt sich auch was anfangen. Und einen Stein zum Messerschleifen finde ich auch wieder.“ Den Stein hatte der Gegner ihnen abgenommen, als sie überrumpelt worden waren.

Wenig später setzten die Kerle mit der Jolle zum Ufer über. Als sie an Land standen, blickten sie sich etwas ratlos an.

„Und?“ fragte Pablo. „Was jetzt? Gehen wir nach Batabanó?“

„Augenblick mal“, entgegnete Marco. „Keiner ist mehr hier, da können wir uns doch in aller Ruhe noch mal in den Höhlen umsehen.“

„Ach, da liegt nichts mehr rum“, sagte Luiz.

„Sag das nicht“, erwiderte Felipe. „Wir haben ja auch in Machados Kammer noch was gefunden. Also, ich meinerseits habe gar nichts dagegen, noch ein bißchen in den Höhlen herumzukriechen. Und wenn wir nur ein paar Silberlinge zusammenkratzen, das ist doch schon was.“

„Der Meinung bin ich auch“, pflichtete Pablo ihm bei. „Nachschauen schadet ja nichts.“

„Schon gut, meinetwegen“, brummte Luiz. Er war überstimmt, und Marco führte ja sowieso das Wort. Also brachen sie zu den Höhlen auf und schleppten ihren Proviant mit.

Als sie die Höhlen aber erreichten, blickten sie sich erst einmal äußerst mißtrauisch um. Durfte man denn sicher sein, daß die Bastard-Engländer nicht wieder für eine üble Überraschung gesorgt hatten? Was war, wenn sie einen Wachtposten zurückgelassen hatten, etwa den Faßteufel, das Monstrum?

Luiz fühlte sich von kalter Angst gepackt, als er über diesen Punkt nachdachte. Unwillkürlich duckte er sich zwischen den Felsen. Sein Kopf ruckte hin und her, er spähte nach links und nach rechts.

„Na, was ist los?“ fragte Felipe mit hämischem Tonfall. „Du hast die Hosen ganz schön voll, was?“

„Sag das nicht noch mal.“

„Keine Bange, von den Hurensöhnen ist keiner mehr da.“ Der Andalusier lachte wieder auf seine aufreizende Art.

Luiz hätte Felipe gewünscht, daß jetzt irgendwo der Riese mit dem Rammkinn aufgetaucht wäre. Doch es blieb alles ruhig. Es stimmte: die Engländer hatten niemanden zurückgelassen. Warum hätten sie das auch tun sollen? Es gab ja nichts mehr zu bewachen.

Doch gelinde Zweifel hatten die vier Spanier immer noch – auch, als sie in die Schatzhöhlen eindrangen. Zu schlimm war das, was sie erlebt hatten, zu frisch noch die Erinnerung daran. Sogar das Faß, in dem der Teufel von einem Profos gelauert hatte, war noch da.

Marco übernahm die Führung. Er war es auch, der einen Kienspan entdeckte und ihn mit einiger Mühe entfachte. Die Flamme stieg auf, blakender Rauch kräuselte sich zur Höhlendecke hoch. Draußen war es dunkel geworden. Man konnte die Nachtvögel schreien hören, doch das unterschwellige Rauschen des nahen Wasserfalles überdeckte alle anderen Laute wie beispielsweise das Quaken der Frösche oder das Zirpen der Zikaden im Dschungel.

 

„So“, sagte Marco. „So weit wären wir schon mal. Jetzt sehen wir uns in aller Ruhe auch in den Nebenhöhlen um.“

„Moment!“ sagte Felipe. „Wie wär’s denn, wenn wir erst mal richtig einen zwitschern würden?“

„Eine gute Idee“, erwiderte Pablo sofort grinsend. „Und Kohldampf habe ich auch.“

„Ja, da habt ihr recht“, meinte Marco. „Ich habe auch Hunger und Durst.“

„Glaubst du etwa, ich nicht?“ fragte Luiz.

„Aber da sind noch ein paar Sachen, die wir vom Boot abholen müssen“, sagte Felipe. „Zum Beispiel die beiden letzten Proviantsäcke und die Kombüsenmesser.“

„Geh du los“, sagte Marco. „Nimm Pablo mit. Bringt das Zeug herauf. Wir schlagen hier vorläufig unser Lager auf. Morgen sehen wir weiter.“

Der Andalusier und der Häßliche rückten ab. Sie kletterten in den Felsen nach unten und liefen zur Jolle zurück, vorbei an den Überresten der Rutsche, die die Bastard-Engländer für den schnelleren Transport der Schätze errichtet hatten. Unterwegs stolperte Pablo über die Luftwurzel einer Mangrove. Er knallte der Länge nach hin und stieß mit dem Kopf gegen einen Baum. Benommen lag er da.

Aber Felipe traf keine Anstalten, dem Kumpan zu helfen. Er lachte nur. „Was ist denn mit dir los?“

Pablo schüttelte fluchend den Kopf, als könne er dadurch den jähen Schmerz abwerfen. „Siehst du das nicht?“

„Ja, du fällst mal wieder über deine eigenen Füße.“

Pablo rappelte sich auf und zischte: „Was heißt hier, mal wieder?“

Der andere sah ihn höhnisch an. „Na, du benimmst dich ja immer wie ein Tolpatsch.“

„Halt deine Schnauze, du Mistfresser.“

„Wie hast du mich genannt?“

„Du bist ein Drecksack“, erwiderte Pablo. „Und ich lasse mich von dir nicht anpöbeln.“

„Weißt du eigentlich, was du riskierst?“ fragte Felipe lauernd.

„Wenn du dich schlagen willst, kannst du dein Fett kriegen“, entgegnete Pablo. „Denk aber dran, daß du jetzt kein Messer hast.“

Das bedachte der Andalusier wirklich. So lenkte er wieder ein, und sie setzten ihren Marsch zum Boot fort. Am Ziel beluden sie sich mit den Proviantsäcken und nahmen die Kombüsenmesser und einige andere Geräte an sich, die von Nutzen sein konnten, zum Beispiel ein paar Töpfe und Pfannen sowie Mucks und Becher für Wein und Schnaps.

Felipe spielte mit dem Gedanken, Pablo ein wenig mit dem Messer zu kitzeln und ihm Angst einzujagen. Aber das führte zu nichts. Es schürte nur den gegenseitigen Haß. Vielleicht brauchte der eine den anderen noch: Man durfte nicht vergessen, daß man sich in einer menschenleeren Gegend, praktisch mitten im Urwald, befand. Die Gefahren konnten mannigfach sein, und nur zu viert war man stark genug, jedem Unheil zu trotzen.

Das leuchtete auch einem Kerl wie Felipe ein. So kehrte er friedlich mit seinem Begleiter Pablo zu den Höhlen zurück. Sie keuchten und schnauften, als sie sich durch den Felsspalt ins Innere zwängten. Dann setzten sie ihre Last ab.

Marco und Luiz hatten indessen bereits das Weinfaß angezapft und nahmen eine Kostprobe zu sich.

„Ja!“ rief Marco. „Der Wein ist gut! Keine Spur verdorben! Also – auf unsere Zukunft!“

„He“, murrte der Andalusier. „Was fällt euch eigentlich ein? Ihr fangt einfach ohne uns an zu saufen? Das war so aber nicht abgesprochen.“

Marco goß jedoch gleich zwei Becher für Felipe und Pablo voll, und so wurden auch diese beiden schnell zufriedengestellt. Kurz darauf fielen die Kerle über die Schiffsvorräte her. Es wurde eine ausgedehnte, üppige und feuchte Mahlzeit daraus.

Am Ende streckten sich die vier auf dem Höhlenboden aus und schliefen ein. Ihr Schnarchen erfüllte die Grotte. Doch sie hatten Glück, es behelligte sie niemand. Sie waren jetzt tatsächlich weit und breit die einzigen menschlichen Lebewesen.

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