Seewölfe - Piraten der Weltmeere 403

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Seewölfe - Piraten der Weltmeere 403
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Impressum

© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-811-9

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Roy Palmer

Inferno einer Nacht

Sie kämpften, daß die Fetzen flogen …

Karl von Huttens Plan hatte sich als richtig erwiesen. Die Spanier glaubten, daß die Schlangen-Insel verlassen worden sei, und schickten daher die „San Gabriel“ durch den Felsendom in die Bucht vor, um die Insel erkunden zu lassen. Doch Karl von Hutten hatte von der östlichen Innenseite des Doms acht wasserdichte Pulverfässer mit brennenden Lunten auf die Galeone zutreiben lassen – der Mahlstrom nahm sie mit. Und so hatte das Verhängnis seinen Lauf genommen. Die Pulverfässer waren an den Bordwänden der „San Gabriel“ explodiert – eins in Höhe der Pulverkammer, und das war das Ende dieser Kriegsgaleone gewesen. Es gab keine Überlebenden, aber der Kampf ging weiter …

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

Karl von Huttens Gesicht war wie aus Stein gemeißelt. In Momenten wie diesem wurde deutlich, daß indianisches Blut in seinen Adern floß. Verwegenheit, Wildheit und ein Ausdruck grimmiger Genugtuung mischten sich in seinen Zügen. Er empfand kaum Mitleid, höchstens mit den Decksleuten und Seesoldaten der Dreimastgaleone, die eben im Felsendom der Schlangen-Insel explodiert war.

Die Spanier waren die Herausforderer, sie hatten den Kampf gewollt. Seit Tagen befand sich der große Verband von Kriegsschiffen auf dem Marsch. Er hatte – auch wegen der vielen Verzögerungen, die es unterwegs gegeben hatte – über eine Woche gebraucht, um von Kuba aus sein Ziel zu erreichen. Jetzt, am Mittag des 26. Juli 1594, war die große Stunde des Gefechts gekommen. Als erstes Schiff war die „San Gabriel“ in den Felsendom gesegelt, um die große Bucht mit den Stegen zu untersuchen, wo alles menschenleer und verlassen zu sein schien.

Doch die Spanier waren einem Irrtum erlegen: Wohlweislich hatten die Männer und Frauen des Bundes der Korsaren die Insel geräumt, aber die Verteidiger waren in ihren Stellungen zurückgeblieben, um das Eintreffen des Gegners abzuwarten.

Umsicht und gründliche Vorbereitungen hatten zu dem gewünschten Ergebnis geführt: Der Seewolf hatte zwar mit seinem Verband das Geschwader der Spanier verfehlt, denn im Morgennebel war man aneinander vorbeigesegelt. Doch rechtzeitig genug war Old O’Flynn mit der „Empress of Sea II.“ zur Schlangen-Insel zurückgekehrt und hatte das Nahen des Verbandes gemeldet. Daraufhin waren die Frauen und Kinder sofort an Bord der „Wappen von Kolberg“ und der „Empress“ eingeschifft worden.

Alle Nichtkämpfer, darunter Gotlinde, Gunhild, Mary O’Flynn und die Kinder, waren somit evakuiert worden und jetzt unterwegs nach Coral Island. Um zehn Uhr hatten beide Schiffe die Schlangen-Insel verlassen. Die Krieger und Kriegerinnen Arkanas bezogen rings um die Insel ihre Verteidigungsposten.

Hesekiel Ramsgate, Pater David und Karl von Hutten sowie ein paar Männer der Werft-Crew Ramsgates hatten eine Einsatzreserve gebildet und eine Warteposition zwischen den nördlichen, hohen Felsen der Insel bezogen, wo man auf dem höchsten Punkt eine Art Gefechtsstand eingerichtet hatte. Von hier aus hatten sie das Auftauchen des spanischen Verbandes auch rechtzeitig genug bemerkt …

Karl von Hutten spähte noch für wenige Lidschläge vom Felsendom aus in die Tiefe, dann wandte er sich ab und begann den Abstieg zur westlichen Seite, der ihn zunächst auf die schmale Verbindung zwischen Dom und Gebirgsregion und dann zurück zum Gefechtsstand führte. Wider Erwarten war der Dom bei der gewaltigen Explosion nicht in sich zusammengestürzt. Er hatte gehalten. Von seiner Innenseite hatten sich nur ein paar Deckenbrocken gelöst. Ungehindert gelangte von Hutten also auf dem Weg, den er vorher in der umgekehrten Richtung genommen hatte, zurück zum Gefechtsstand. Anderenfalls hätte er die südliche Richtung einschlagen und die gesamte Insel umrunden müssen, was jedoch einen erheblichen Zeitverlust bedeutet hätte.

Das Tor zur Hölle hatte sich im wahrsten Sinne des Wortes geöffnet. Von den Schiffen des Gegners ertönte wildes Geschrei, mit dem die Spanier den Verlust der „San Gabriel“ und ihrer Kameraden quittierten. Würden sie aufgeben? Nein – sie bereiteten sich auf den nächsten Angriff vor. Sie hatten sich in den Kopf gesetzt, die Schlangen-Insel zu erobern und diesen „Schlupfwinkel englischer Piraten“ ein für allemal zu vernichten, damit die Karibik ein einigermaßen sicheres Gewässer für ihre Konvois wurde.

Ob es nun Don Antonio de Quintanilla oder der Verbandsführer Capitán Garcia Cubera war, der als treibende Kraft hinter dem Unternehmen stand, war unerheblich. Für von Hutten, Ramsgate, Pater David, Arkana und die anderen Verteidiger der Insel zählte nur eins: Sie mußten sich in einem zähen Kampf gegen eine Übermacht von Angreifern behaupten. Daran änderte auch die Aussicht nichts, daß die Schiffe des Bundes früher oder später zurückkehren mußten, um sie zu unterstützen.

Von Hutten kletterte die Felsen hinunter, lief, jede Deckung geschickt ausnutzend, über die Landzunge zur Westseite der Insel und begann, so schnell wie möglich wieder in den Felsen aufzusteigen. Jeden Moment erwartete er die ersten Kanonenschüsse des Gegners, die nicht auf sich warten lassen würden.

Die ersten Gefechte mit dem spanischen Kriegsverband, die das Inferno einleiteten, hatte bereits stattgefunden. Die „Isabella IX.“ hatte, als sie den Verband wieder eingeholt hatte, zwei Kriegsgaleonen versenkt. Bei ihr selbst waren Besanrute und Großrah zerschossen worden. Seitdem wurde der Seewolf vermißt. Er war spurlos verschwunden, und seine Männer hatten allen Grund, das Schlimmste zu befürchten. Dieses Ereignis überschattete alles weitere Geschehen und traf die Seewölfe tief im Grund ihrer Herzen, obwohl sie sich Mühe gaben, sich nichts anmerken zu lassen.

Eine weitere Kriegsgaleone war von der „Le Vengeur III.“ versenkt worden, doch Jean Ribaults Triumph war nicht von langer Dauer. Die „Le Vengeur“ wurde selbst ein Opfer der angreifenden Spanier und sank in Gottes tiefen Keller, wie die Seeleute den Grund des Meeres manchmal zu nennen pflegten.

Ribault und zwanzig Überlebende der Crew waren von Don Juan de Alcazars Schebecke und Jerry Reeves’ „Tortuga“ an Bord genommen worden. Auf diese Weise verstärkten sie jetzt die beiden Besatzungen und griffen auch weiterhin in das Kampfgeschehen ein. Ribault befand sich an Bord der Schebecke und stand somit Don Juan, Ramón Vigil und den anderen tapferen Männern zur Seite, die in einem beispielhaften Einsatz den Kriegsverband bereits bei seinem Anmarsch verfolgt und beschossen hatten.

Der Verlust der „San Gabriel“ verminderte den spanischen Verband auf das Flaggschiff „San José“, eine zweite Galeone, drei Kriegskaravellen und sechs armierte Schaluppen gegenüber den vorherigen fünfzehn Schiffen.

Aber zur Zeit waren die Verteidiger der Schlangen-Insel auf sich allein gestellt, weil die Schebecke Don Juans, die „Tortuga“, die „Isabella“ unter Dan O’Flynns Kommando, der Schwarze Segler, die „Caribian Queen“ und die „Pommern“ noch nicht wieder heran waren, nachdem sie im Nebel des 23. Juli frühmorgens an dem spanischen Verband auf der Höhe der Insel Gayo Coco vorbeigesegelt waren, ohne einander zu sehen.

Die „Wappen von Kolberg“ und die „Empress of Sea II.“ indes waren noch unterwegs zur Koralleninsel der Timucuas, so daß auch mit ihrer Rückkehr bis zum Abend nicht zu rechnen war.

Kämpfen, dachte Karl von Hutten, wir müssen kämpfen, kämpfen …

Er wußte, daß sie es – trotz des ersten Erfolges – nicht leicht haben würden.

Alles Unheil der Welt schien wieder einmal über Don Antonio de Quintanilla hereinzubrechen. In seinem grenzenlosen Selbstmitleid glaubte er, der einzige wirklich Betroffene und Leidtragende in diesem Unternehmen zu sein, das Opfer eines hinterhältigen Komplotts und menschlichen Wahnwitzes.

Er wünschte sich, nie geboren worden zu sein, und er barg sein Gesicht verzweifelt in beiden Händen. Sein Puder war verschmiert, die Perücke verrutscht, seiner Kleidung mangelte es längst an der üblichen Pflege.

Seit Gomez Guevara, sein Kammerdiener, tot war und die Lakaien in die Vorpiek gesperrt worden waren, kümmerte sich niemand mehr um sein Wohlergehen. Er bot ein Bild des Jammers, und doch wollte ihn keiner an Bord der „San José“ so recht bedauern.

Aus gutem Grund: Don Antonio hatte seit dem Auslaufen des Verbandes aus dem Hafen von Havanna nur für Unruhe und Aufruhr an Bord des Flaggschiffes gesorgt. Das Badebaljen-Manöver war noch das geringste aller Übel gewesen. Dann aber hatte der dicke Gouverneur durch Guevara versucht, den Kommandanten ins Jenseits zu befördern, und zuletzt, in Remedios, war er seinem Kammerarrest entwichen, hatte mittels einer Pistole den Ersten Offizier der „San José“ als Geisel genommen und gemeinsam mit den Lakaien zu fliehen versucht, was jedoch vereitelt worden war.

 

Harte Konsequenzen ergaben sich aus diesen Taten. Don Garcia Cubera war fest entschlossen, den Dicken in Havanna einem Gericht der spanischen Krone zu überantworten. Es würde einen regulären Prozeß geben, bei dem der Staat als Ankläger und Don Garcia Cubera als Kronzeuge auftreten würden. Dann hatte Don Antonio keine Chance mehr, sich zu retten, dann brach das Gebäude aus Intrigen, Korruption und Vetternwirtschaft, das er in vielen Jahren intensiver Bestrebungen errichtet hatte, wie ein Kartenhaus zusammen.

Doch es war noch die Frage, ob dieser Prozeß jemals stattfinden würde. Eine andere Möglichkeit begann sich abzuzeichnen – die, daß man gar nicht erst nach Havanna zurückkehrte. Die Schlacht um die Schlangen-Insel drohte sich zu einem Kampf ohne Erbarmen, bis zum letzten Blutstropfen, auszuweiten, ganz anders, als er, Don Antonio, sich das anfangs ausgemalt hatte.

Er hatte ursprünglich vorgehabt sich zum „obersten Befehlshaber“ zu ernennen und von seinem „Feldherrnhügel“, der „San José“, aus gelassen die Ereignisse zu verfolgen, die sich natürlich in entsprechender Entfernung abgespielt hätten. Anderenfalls wäre es ihm nie eingefallen, sich persönlich an Bord dieses Schiffes zu begeben.

Doch es war alles ganz anders gekommen. Don Garcia Cubera, dieser Narr, hatte sich in den Kopf gesetzt, seinen Kapitänen als gutes Beispiel voranzugehen. Er kämpfte in der vordersten Linie, und er scheute weder Einsatz noch Verlust.

Don Antonio hatte diese Entwicklung während der Überfahrt geahnt und versucht, den Verband zur Umkehr zu zwingen. Aber da war es schon zu spät gewesen. Cubera ließ sich nicht mehr beeinflussen, weder durch gute Worte noch durch Streit oder Drohungen. Er plante, den englischen Freibeutern den Garaus zu bereiten, und daran hielt er stur fest. Schließlich ging es um die Ehre und das Vaterland.

Don Antonio war den Tränen nahe. Es knallte wieder, und eben hatte es diese dröhnende Explosion gegeben, bei deren Klang er sich unwillkürlich die Ohren zugehalten hatte. Was war geschehen?

Er erfuhr es von dem Posten vor dem Schott der Achterdeckskammer. Eine Galeone die „San Gabriel“, hatte durch eine Felsenöffnung, offensichtlich die einzige Zufahrt zur Insel, ins Innere zur Erkundung vorstoßen sollen. Dabei hatte es sie zerfetzt. Offenbar waren es treibende Pulverfässer gewesen, die dazu geführt hatten, oder aber der Gegner verfügte über andere Geheimwaffen.

Er arbeitete mit allen Tricks, dieser Feind. Don Antonio spürte, wie seine Knie weich wurden. Seine Hände zitterten. Er vermochte es nicht zu verhindern. Die Angst in ihm war übermächtig, sie siegte über seinen Haß auf Cubera und die Engländer, gegen seine Raffsucht und die Aussicht, doch noch den Schatz der Schlangen-Insel zu erbeuten.

Überhaupt, Angst war das schlimmste Gefühl, das es gab. Sie fuhr in die Knochen und ließ einen nicht mehr los, sie saß würgend in der Kehle und trieb den kalten Schweiß aus allen Poren. Don Antonio gab eine Art erschüttertes Schluchzen von sich. Er malte sich aus, wie es gewesen wäre, wenn statt dieser „San Gabriel“ die „San José“ durch das Felsenloch in die Bucht der Teufelsinsel gesegelt wäre. Gräßlich – aber Cubera war zu jedem Wahnsinn fähig. Auch dazu. Würde die „San José“ das nächste Opfer dieser englischen Teufel sein? Ja, es war damit zu rechnen. Oben, auf den Decks, polterten die Schritte durcheinander, die Männer fluchten in allen Tonlagen. Sie schienen sich auf einen Vergeltungsschlag vorzubereiten. Vielleicht hatte sich dieser verrückte Kommandant sogar vorgenommen, auf der Insel zu landen.

Don Antonio stöhnte auf. Er sah schon, wie sich die Piraten mit verzerrten Gesichtern über das Schanzkleid schwangen und die „San José“ enterten. Gräßliche Fratzen tauchten vor seinem geistigen Auge auf, und er glaubte zu sehen, wie sie reihenweise die Seesoldaten niedermetzelten.

Dann rückten sie auch auf ihn zu, und einer von ihnen brüllte: „Du Fettsack, jetzt bist du dran! Wir schneiden dich in Stücke!“

Don Antonio hob den Kopf und blickte aus weit aufgerissenen Augen auf die gegenüberliegende Kammerwand. Der Tod war ein Ungeheuer, das jetzt in allen Ecken und Winkeln des Schiffes zu nisten schien. Der Tod hatte lange, kalte Krallen, die sich durch die Ritzen des Schotts und der Planken zu schieben schienen.

Tod – aber Don Antonio wollte nicht sterben. Nicht für den König, nicht für Cubera und nicht für die Nation. Eine Mannesehre hatte er ohnehin nicht, und das Vaterland konnte ihm gestohlen bleiben. Nur eins zählte für ihn: sein persönlicher Vorteil.

Doch er war seinem Schicksal jetzt ausgeliefert. Er hatte keine Möglichkeit mehr, es in irgendeiner Weise zu beeinflussen. Zweimal hatte er es versucht, einmal durch einen Mordanschlag, einmal durch Geiselnahme und Erpressung. Beide Male war er kläglich gescheitert.

Wieder bereute er, kein Gift mitgenommen zu haben. Mit einer winzigen Dosis eines weißen Pülverchens hatte er schon oft Probleme beseitigt, die sich anders nicht lösen ließen. Zuletzt hatte Don Ruiz de Retortilla, der Stadtkommandant von Havanna, dran glauben müssen, der ihm auf höchst bedenkliche Weise gefährlich geworden war.

Doch er hatte kein Gift, und auch die doppelläufige Pistole, mit der er seinen Fluchtversuch unternommen hatte, war natürlich nicht mehr vorhanden. Er war machtlos und konnte nur noch abwarten, was weiter geschah.

Gerade das stimmte ihn so verzweifelt. Cubera hatte ihn in der Hand: Wenn er wollte, konnte er dafür sorgen, daß Don Antonio de Quintanilla ums Leben kam. Auf diese Weise würde er sich rächen und gleichzeitig einen unbequemen Zeitgenossen aus dem Weg schaffen.

Daß Cubera nicht der Mann war, der so üble Taten vollbrachte, vergaß Don Antonio in seiner panischen Angst. Cubera war es gewesen, der ihm zu dem Kammerarrest verholfen hatte, sonst wäre es längst um ihn geschehen gewesen, weil das Bordgericht, das Gomez Guevara zum Tod verurteilt hatte, mit Leichtigkeit auch ihn hätte hängen lassen können. Doch das vergaß Don Antonio völlig, und er empfand nicht die Spur von Dankbarkeit gegenüber dem Capitán Cubera, sondern nur tiefen Haß.

Don Antonio fluchte und stöhnte. Wenig später, als die Kanonen zu donnern begannen, preßte er wieder die Hände gegen die Ohren und jammerte um sein erbärmliches Leben.

Don Garcia Cubera hatte alles viel zu genau verfolgen können – das Eindringen der „San Gabriel“ in den Felsendom, dann die Explosion, bei der es die Pulverkammer des Schiffes mit einem enormen Getöse zersprengt hatte. In ohnmächtigem Entsetzen schloß Cubera die Augen, als es geschah, und für kurze Zeit wünschte er sich, dem Kapitän der „San Gabriel“ nicht den Befehl zu diesem Himmelfahrtskommando in die Bucht der Schlangen-Insel gegeben zu haben.

Aber es war falsch, sich jetzt etwas vorzuwerfen. Ein Befehl war ein Befehl, und die Seefahrt brachte stets Gefahren mit sich. Ein Soldat der Marine hatte den Tod immer vor Augen und wußte, daß er ihn eines Tages holen würde, unerwartet und brutal. Nur – Cubera hatte nicht angenommen, daß sich noch Menschen auf der Insel befanden und sie verbissen verteidigten.

Die vorherigen Rundumerkundungen der Schaluppen schienen eindeutig ergeben zu haben, daß die Insel geräumt worden war. Cubera hatte sich darauf verlassen und nicht mit Widerstand gerechnet. Somit konnte er sich doch nicht den stillen Vorwurf ersparen, einen Fehler begangen oder zumindest in diesem Punkt voreilig gehandelt zu haben.

Für Augenblicke stand er wie gelähmt auf dem Achterdeck der, „San José“. Die „San Gabriel“ war ein Totalverlust, es gab keinen einzigen Überlebenden, wie die Ausguckposten mühelos durch ihre Spektive erkennen konnten.

„Aus“, murmelte er. „Gott sei ihren armen Seelen gnädig.“

Aber noch im Schock des Erlebten brach die Wut in ihm durch. Er gab sich einen innerlichen Ruck, blickte zu seinen Offizieren und rief dem Ersten zu: „Signalisieren Sie den Kapitänen den Befehl, auszuschwärmen!“

„Ja, Señor!“

„Sie sollen das Feuer ringsum auf die Insel eröffnen, sobald wir unsere Kanonen zünden!“

„Ja. Aber wir haben dort immer noch keinen Gegner gesichtet.“

„Das spielt keine Rolle“, sagte Cubera schroff, dann ließ er seine Order durch Zuruf an die Achterdecks der anderen Galeone und der drei Karavellen weiterleiten.

Die sechs Schaluppenführer erhielten die Anweisung, zurückzubleiben und sich an der Kanonade nicht zu beteiligen. Sie bildeten die Reserve und die Nachhut, gleichzeitig aber auch die Patrouille, die darauf zu achten hatte, ob sich Schiffe der Insel näherten.

Die fünf Kriegsschiffe schwärmten aus und segelten auf eine Schußweite von etwa siebzig Yards von allen Seiten an die Insel heran. Die „San José“ hielt dabei die am weitesten nach Norden versetzte Position, während sich die zweite Galeone von Nordwesten auf das Zielobjekt zubewegte. Die Karavellen griffen die Südwest-, die Nordost- und die Südostseite an. In sternförmiger Formation schoben sie sich auf ein imaginäres Zentrum zu, an dem sich ihre Kurse kreuzten. Dieser Punkt lag – theoretisch – im Mittelpunkt der Bucht.

Cuberas Zorn hatte sich immer noch nicht gelegt. Don Antonio fiel ihm ein, und er sagte sich, daß es durchaus richtig sei, wenn auch der Dicke an dem Geschehen teilhatte, das jetzt seinen Anfang nehmen würde.

„Lassen Sie Don Antonio de Quintanilla holen“, sagte er zu seinem Ersten Offizier. „Ich will, daß er bei mir ist, hier, auf dem Achterdeck.“

„Señor“, sagte der Erste, der ahnte, welche Absicht hinter dem Befehl des Kommandanten steckte. „Ist das nicht zu riskant?“

„Glauben Sie, er springt ins Wasser?“

„Es wäre durchaus möglich.“

Cubera schüttelte den Kopf. „Sie vergessen, daß er ein miserabler Schwimmer ist. Oder vielmehr – er kann überhaupt nicht schwimmen. Also wird er sich hüten, außenbords zu springen, zumal er annehmen muß, daß es dort von Haien wimmelt.“ Er deutete zur Insel. „Selbst wenn er es schaffen sollte, sich in einem unbewachten Moment an Land zu retten, was hätte er damit erreicht? Die würden ihm einen heißen Empfang bereiten.“

„Die, Señor?“ fragte der Erste erstaunt.

„Die Verteidiger der Insel natürlich. Oder zweifeln Sie etwa daran, daß sie existieren?“

„Ich frage mich nur, wo sie sich verkrochen haben“, erwiderte der Erste.

„Zwischen den Felsen“, sagte Cubera. „Es gibt genug Löcher und Spalten und wahrscheinlich auch Höhlen. Dort finden sie ausreichenden Unterschlupf, und natürlich kennen sie sich bestens aus. Aber wir werden sie ausräuchern, das schwöre ich Ihnen.“

Wenig später erschien Don Antonio, von seinem derzeitigen Wachtposten vorwärts dirigiert, über den Backbordniedergang auf dem Achterdeck. Er sah verstört aus. Sein äußerer Zustand war nahezu verwahrlost, er schien sich selbst bereits aufgegeben zu haben.

„Señor“, sagte Cubera, „ich nehme an, die kandierten Früchte und der Portwein schmecken Ihnen nicht mehr. Sie haben inzwischen begriffen, daß wir es mit einem harten Gegner zu tun haben.“

„Ja. Und Sie brauchen mich nicht zu verhöhnen.“

„Das tue ich nicht.“

„Was wollen Sie von mir?“

„Daß Sie am Kampfgeschehen teilnehmen.“

„Ich soll … Aber ich kann mit Kanonen nicht umgehen und hasse Pulverrauch!“ protestierte Don Antonio.

„Mit Pistolen können Sie aber umgehen“, sagte Cubera scharf. „Hiermit ordne ich an, daß Sie auf dem Achterdeck bleiben und dem jetzt erfolgenden Angriff auf die Insel der Engländer beiwohnen.“

„Nein! Das können Sie von mir nicht verlangen!“

„Das ist ein Befehl“, sagte Cubera nur noch schroff. Dann wandte er ihm den Rücken zu.

Die Schiffe hatten die Insel bis auf eine Distanz von siebzig Yards angelaufen und drehten bei, um ihre Batterien in Schußposition zu bringen. Die Kapitäne und Besatzungen warteten auf den ersten Schuß der „San José“ – und dort standen die Geschützführer mit glimmenden Lunten neben ihren Stücken.

Don Antonio stand mit weichen Knien da und verfolgte die Vorbereitungen wie in Trance. Er konnte nicht recht begreifen, was um ihn herum vorging, es schien sich um einen gräßlichen Alptraum zu handeln. Er hatte das Gefühl, in den Knien zusammenbrechen zu müssen, und doch trat es nicht ein. Weiterhin aufrecht stehend, erlebte er nun, wie es war, wenn die Kugeln pfiffen und heulten.

Was folgte, schien an Weltuntergang zu grenzen. Don Garcia hob die Hand zum Zeichen und schrie: „Feuer!“

 

Dann wurden die Backbordgeschütze der „San José“, die auf die Schlangen-Insel gerichtet waren, gezündet, und mit grollendem Donner rasten die Kugeln, von flammenden Zungen gestoßen, aus den Rohren. Sie flogen auf das Ufer zu, und noch ehe sie ihr Ziel erreichten, ertönte auch von Bord der anderen Schiffe das Wummern der Geschütze. Die Geräusche prallten auf die Felsen der Insel und schienen in hundertfachem Echo zurückzukehren. Es zuckte und blitzte, und im explosionsartigen Donnern der Stücke stiegen fette Qualmwolken in den Himmel auf.

Genau dies war der Moment, in dem sich Don Antonio die Hände gegen die Ohren preßte. Er hätte dies lieber unten in der Kammer getan, wo ihn keiner sehen konnte, aber auch hier konnte er sich dem übermächtigen Drang, es zu tun, nicht widersetzen. Er stöhnte und jammerte, und er ertrug die Verachtung in den Mienen der umstehenden Männer, die nicht so schlimm war wie seine nackte, gräßliche Angst.

Die fünf Schiffe hämmerten ihre Breitseiten in die Felsen der Schlangen-Insel, aber nach wie vor rührte sich dort nichts. Don Garcia Cubera selbst ließ sich ein Spektiv reichen und beobachtete unausgesetzt, ob sich drüben etwas tat. Aber er wurde enttäuscht. Kein Lebewesen zeigte sich, und wieder wirkte die Insel verlassen und menschenleer.

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?