Buch lesen: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 323»

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© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-720-4

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Mit finsterem Blick musterte Erich von Saxingen von seinem Eckplatz in der Schenke aus die fünf anderen Gäste, die sich an diesem Nachmittag an den klobigen Eichenholztischen niedergelassen hatten.

Man schrieb den 4. April 1593, und es schien ein völlig ereignisloser Tag zu bleiben, der seinen Abschluß in grenzenloser Langeweile fand, hier, im Hafen Rügenwaldermünde, wie drüben in der Stadt Rügenwalde, die auf der anderen Seite der Wipper lag. Die Männer wechselten nur wenige Worte, keiner lachte. Der Wirt sah ihnen mit unbewegter Miene zu, er stand hinter seiner Theke und hatte die Ellenbogen auf der Kante der blankgewetzten Platte aufgestützt. Die einsilbig geführte Unterhaltung schlief ein und wich wieder einem anhaltenden Schweigen, das nur durch das Gluckern unterbrochen wurde, mit dem die Bierkrüge gefüllt wurden.

Auch von Saxingen stellte fest, daß sein Humpen leer war. So griff er nach der Kruke und schenkte nach, trank und wischte sich den Schaum mit dem Handrücken vom Mund. Er war schon leicht angetrunken, seine Augen waren gerötet. Doch die Zecherei bereitete ihm weitaus weniger Spaß als daheim auf dem Gut der von Saxingens in Estland. Es mangelte an der nötigen Stimmung, daran vermochte auch Bruno von Kreye nichts zu ändern, der soeben wieder die Gaststube betrat.

Erich von Saxingen leerte seinen Humpen, setzte ihn hart auf dem Tisch ab und füllte für Bruno von Kreye und für sich nach. Von Kreye ließ sich bei ihm nieder, ergriff den Humpen und trank mit konzentrierter Miene.

Dann sagte er: „Mit den Pferden ist alles in Ordnung. Ich habe ihnen eben nochmal zu saufen gegeben und ihre Futtersäcke neu gefüllt.“

„Gut“, sagte von Saxingen, aber seine Miene blieb mürrisch. „Zum Teufel, wir sind wohl dazu verdammt, noch Tage in diesem elenden Nest auszuhalten. So ein Mist. Hier ist nichts los, es scheint nicht einmal ein paar hübsche Weiber zu geben.“

Bruno von Kreye warf rasch einen Blick zu den anderen Anwesenden. Die hatten sich behäbig zu ihnen umgewandt und musterten sie scheinbar gleichgültig und ohne erkennbare Gemütsbewegungen. Doch von Kreye wußte, daß man sich vor ihnen in acht nehmen mußte.

„Sprich nicht so laut“, sagte er deshalb gedämpft zu seinem Freund. „Vergiß nicht, daß wir nicht auffallen wollen.“

„Diesen blöden Ochsen würde ich am liebsten was in die Fresse hauen“, murmelte von Saxingen und gab dadurch wieder einmal zu verstehen, daß er weder über die Ausdrucksweise noch über die Erziehung noch über die Haltung verfügte, die man von einem Adligen eigentlich erwartete. Er leistete sich die Allüren eines Junkers, wie es im übrigen auch sein Bruder Hugo tat, der seit einiger Zeit verschollen war und nach dem er suchte.

Auch von Kreye war da nicht anders. Und die anderen Großgrundbesitzer, die hoch oben zwischen Estland und Ingermanland nicht weit von der Narwa-Bucht entfernt ansässig waren und zu den Freunden der von Saxingens gehörten – die von Rammsteins, die von Berlepschs, Wolfraths und wie sie alle hießen! Keiner von ihnen erwies sich als rühmliche Ausnahme. Sie waren fast alle mies und verdorben und hatten nichts anderes zu tun, als der Jagd zu frönen, sich Saufgelagen und der Völlerei hinzugeben, ihr Gesinde zu kujonieren und den Frauen nachzusteigen.

Die beiden Männer hatten ihre Güter für einige Zeit im Stich gelassen, weil sie einen selbstgesetzten Auftrag durchzuführen hatten. Oder anders ausgedrückt: Es war eine Schandtat, die sie planten. Von Saxingen wußte mit Sicherheit, daß sein älterer Bruder verschwunden war, weil Arne von Manteuffel ihn verschleppt hatte.

In Reval hatten Arne und die Männer der „Wappen von Kolberg“ am Pranger gestanden, doch es war ihnen geglückt, sich zu befreien, und zwar genau zu dem Zeitpunkt, als auch Hugo von Saxingen und der polnische Generalkapitän Witold Woyda anwesend gewesen waren. Erich von Saxingen und Bruno von Kreye hatten ebenfalls in Reval geweilt, waren aber zu spät erschienen, um für den Junker Hugo noch irgend etwas tun zu können. Er war bereits verschwunden gewesen.

Erich von Saxingen und Bruno von Kreye waren auf der Reise nach Reval Hugo von Saxingens Begleiter gewesen. Gleich am Morgen nach der Entführung der Freiin Gisela von Lankwitz durch die Männer der „Isabella IX.“ – sie hatten sie während eines Gelages einfach von dem Gut der von Saxingens weggeholt, und zwar nach einer harten Schlägerei – waren sie aufgebrochen, um bei dem polnischen Generalkapitän Woyda, der sich ihres Wissens in Reval aufhielt, Alarm zu schlagen.

Da Hugo nicht wieder aufgetaucht war, hatten sich die beiden Junker nach Rügenwalde gewandt. Sie wußten, daß die Freiin von Lankwitz aus dieser Stadt stammte, und sie waren sicher, daß Arne von Manteuffel den Hafen so schnell wie möglich anlaufen würde, um seiner Verlobten die Möglichkeit zu geben, ihre besorgten Eltern wiederzusehen.

Daß die Seewölfe und Arne von Manteuffels Mannschaft unterdessen auch Witold Woyda in Hapsal gefangengenommen hatten, war Erich und Bruno allerdings nicht bekannt. Sie waren nach Hugos Entführung sogleich aufgebrochen und nach Pommern geritten. Tage hatten sie gebraucht, doch jetzt waren sie hier und wollten nicht mehr von der Stelle weichen, bis Philip Hasard Killigrew und Arne von Manteuffel auftauchten. Zumindest aber wollten sie versuchen, etwas über das Schicksal Hugos zu erfahren.

„Übrigens“, sagte Bruno von Kreye, nachdem er seinen Humpen geleert und einen genüßlichen Laut von sich gegeben hatte. „Wenn wir schon dazu verdammt sind, ein paar Nächte hier zu verbringen, sollten wir uns wenigstens um ein ordentliches Quartier ohne Wanzen und Läuse kümmern. Ich meine, ich halte es nicht für richtig, daß wir uns aufs Geratewohl irgendeine Herberge aussuchen. Wir sollten wählerisch sein.“

„Genau das.“ Erich von Saxingen trank noch den letzten Rest Bier aus, der in der Kruke war, dann knallte er ein paar Münzen auf den Tisch und erhob sich mit einem Ruck. Grußlos verließ er die Schenke. Bruno von Kreye folgte ihm. Die anderen Gäste sahen sich untereinander an, und als die Tür hinter den beiden Junkern ins Schloß gefallen war, schüttelten sie die Köpfe.

Der Wirt sah rasch nach, ob die Bezahlung auch stimmte, doch in diesem Punkt hatten sich die beiden nicht lumpen lassen. Von Saxingen hatte reichlich Silberlinge auf den Tisch gezählt, es sprang sogar noch ein tüchtiges Trinkgeld dabei heraus. Das genügte dem Wirt, er räumte die Kruke und die Humpen ab, unterzog den Tisch einer symbolischen Reinigung und begab sich hinter die Theke zurück.

Die beiden Junker hatten inzwischen noch einmal nach ihren Pferden gesehen und schlenderten zu der nächsten Herberge, die sie einer gründlichen Inspektion unterziehen wollten. Hierbei fiel ihr Blick jedoch auf die Wipper, und sie gewahrten zu ihrem Erstaunen einen Mann mit vier Pferden, der von dem Fährmann ans diesseitige Ufer übergesetzt wurde. Sie blieben stehen und beobachteten ihn.

„Was will ein einzelner Kerl mit vier Gäulen?“ fragte von Kreye. „Das ist doch wohl mehr als merkwürdig.“

„Vielleicht führt er sie zur Tränke“, sagte von Saxingen.

„Nein. Er hätte sie nur am Fluß zu tränken brauchen, dazu braucht er doch keine Fähre.“

Von Saxingen grinste. „Dann führt er sie wohl zum Schlachthof. Oder sie sollen auf irgendein Schiff.“

„Es liegt kein größeres Schiff im Hafen“, sagte von Kreye mit einem neuerlichen, diesmal argwöhnischen Blick zu der Fähre.

Die Fähre legte an, der Mann schwang sich in den Sattel eines Pferdes, ritt von Bord und führte die drei anderen Tiere mit sich fort. Er erreichte die Hafenpier, hielt an und begann, auf die See hinauszusehen, als erwarte er ein Schiff.

Von Saxingen lachte hämisch. „Der Bursche gefällt mir, der hat Humor. Wenn er glaubt, da kommt ein Schiff, hat er sich wohl getäuscht. Es wird ja gleich dunkel, da tut sich nichts mehr. Und wir haben uns ja auch schon die Augen nach einer Galeone aus dem Kopf geglotzt, nicht wahr?“

„Vielleicht weiß er mehr als wir“, gab von Kreye zu bedenken. „Vielleicht gehört er sogar zu ihnen.“

„Zu wem?“ Das viele Bier zeigte nun doch einige Wirkung, mit von Saxingens Begriffsvermögen war es nicht mehr weit her.

„Zu den englischen Hurensöhnen und ihrem Teufelskapitän“, erwiderte Bruno von Kreye. „Oder aber zu der von Manteuffel-Bande.“

„Warum ist er dann hier und nicht auf seinem Schiff?“ fragte von Saxingen. Ungeniert gab er einen heftigen Rülpser von sich.

„Ihn selbst können wir das nicht fragen“, erwiderte Bruno von Kreye. „Laß uns zu dem Fährmann gehen, vielleicht weiß der uns was zu erzählen.“

„Meinetwegen“, brummte von Saxingen. „Aber so kommen wir doch nicht weiter, das sag ich dir gleich.“

Ohne von dem Mann mit den vier Pferden bemerkt zu werden, gingen sie zur Wipper hinunter und traten zu dem Fährmann, der sich gerade anschickte, sich am Heck seines Fahrzeugs niederzulassen und ein Schläfchen zu halten.

„Auf ein Wort, Mann“, sagte Bruno von Kreye. „Ich hätte gern eine Auskunft von dir.“

„Das Übersetzen kostet einen halben Pfennig“, sagte der Fährmann. Ohne Hast schritt er auf die beiden Männer zu und musterte sie. Von weitem betrachtet, erweckten sie wegen ihrer teuren Kleidung den Eindruck hochwohlgeborener Persönlichkeiten, vor denen man sich zu verneigen hatte. Doch aus der Nähe stellte sich die Lage anders dar. Der Fährmann sah einen ferkelgesichtigen jungen Kerl und einen etwas älteren Mann mit vierschrötigem, unfreundlichem Gesicht vor sich. Seine Menschenkenntnis und Erfahrung sagten ihm, daß sie nichts Gutes im Schilde führen konnten. Vorsicht war geboten.

„Wir wollen nicht rüber“, sagte Erich von Saxingen unwirsch. „Wir wollen was anderes. Wer ist der Kerl mit den Pferden?“

„Der seltsame Mann, der eben den Fluß überquert hat“, fügte Bruno von Kreye hinzu, als müsse er noch etwas präzisieren. „Wer mag das sein?“

„Tja“, sagte der Fährmann. „Wer mag das wohl sein?“

Von Kreye zeigte ihm eine Silbermünze. Der Mann betrachtete sie interessiert, wurde aber erst richtig auskunftsbereit, als sie in seiner Hand verschwand.

„Ich habe seine Sprache nicht verstanden“, sagte er. „Aber eins habe ich doch mitgekriegt – er ist ein Engländer. Er scheint, wenn ich seine Gesten richtig deute, auf der Pier auf zwei Schiffe zu warten.“

Die beiden Junker tauschten einen Blick. Was von Kreye bereits vermutet hatte, schien sich zu bestätigen – der Mann mit den vier Pferden gehörte zur Crew der Seewölfe. Sie kannten ihn nicht, denn er war in der Bucht von Narwa nicht mit an Land gegangen und hatte das Gut der von Saxingens nicht aufgesucht.

Sie wußten also nicht, daß er Gary Andrews hieß, daß er mitten in der Nacht von Bord der „Isabella“ gestürzt und in der See verschwunden war. Nach einem haarsträubenden Abenteuer, das ihn um ein Haar das Leben gekostet hätte, und nach einem beschwerlichen Ritt hatte er es nun endlich geschafft, Rügenwalde zu erreichen.

All dies war den beiden unbekannt. Sie wußten nur das eine – daß sie sich von jetzt an noch vorsichtiger verhalten mußten.

Sie schärften dem Fährmann ein, daß er kein Wort von dem, was sie gesprochen hatten, verlauten lassen dürfe, dann verschwanden sie in dem fahlen Dämmerlicht, das sich über Rügenwalde und seinen Hafen gesenkt hatte.

Nicht weit von der Pier entfernt, auf der Gary Andrews stand und wartete, wählten sie ihren Beobachtungsposten hinter einer Jolle aus, die kieloben neben einem Geräteschuppen lag und offensichtlich frisch gepönt und kalfatert werden sollte. Hier gingen sie in Deckung. Erich von Saxingen war inzwischen wieder stocknüchtern.

Im letzten verblassenden Büchsenlicht erspähten sie wenig später die beiden Schiffe, die sich dem Hafen näherten.

„Mich laust der Affe“, sagte Bruno von Kreye. „Der eine Kahn ist doch tatsächlich die Galeone dieses Killigrew.“

„Ich hole die Waffen“, zischte Erich von Saxingen. Mit diesen Worten war er auch schon in der Dunkelheit verschwunden.

Mit gemischten Gefühlen verfolgte Bruno von Kreye, wie die beiden Segler in den Hafen einliefen. Deutlich genug waren immer noch die hohen Masten, die langen Rahruten und die flachen Aufbauten der „Isabella“ zu erkennen, aber auch die Umrisse des zweiten Schiffes. Es handelte sich um eine etwas kleinere Dreimast-Galeone. Von Kreye glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als er auf dem Achterdeck die Gestalten zweier Menschen entdeckte, die ihm sehr wohl bekannt waren. Unwillkürlich hielt er den Atem an.

Erich von Saxingen kehrte zu ihm zurück und kauerte sich neben ihn. Er hatte die Musketen mitgebracht, die sie an den Sätteln ihrer Pferde befestigt hatten.

„Die Pferde habe ich auch vom Hof der Schenke geholt“, raunte er seinem Begleiter zu. „Ich habe sie drüben, in der Nähe der Hafenmeisterei, angebunden.“

„Gut“, sagte von Kreye gedämpft. „Sieh mal, wer da auf dem Achterdeck der kleineren Galeone steht.“

Von Saxingen spähte aus schmalen Augen über den Bootsrumpf.

„Hol's der Henker“, murmelte er entgeistert. „Das sind ja – Arne von Manteuffel und die Freiin von Lankwitz. Hölle, jetzt wird mir einiges klar. Und auch der Kerl bei den vier Pferden ist mir nicht ganz fremd, wenn ich's mir recht überlege. Haben wir den nicht doch bei der Crew von dem Bastard Killigrew gesehen, als wir ihnen in der Bucht von Narwa begegneten?“

„Mag sein“, flüsterte von Kreye. „Aber das ist jetzt doch egal, oder?“

„Allerdings. Wichtiger ist, wo Hugo steckt.“

„Das kriegen wir heraus“, zischte von Kreye. „Warte nur ab.“

An Bord der „Isabella“ brach der Jubel los.

„Gary – Gary!“ schrie jemand, und die anderen Männer stimmten mit ein. Auch an Bord der zweiten Galeone – der „Wappen von Kolberg“ – wurde gejohlt und gebrüllt, und aus den Häusern am Hafen stürzten die Menschen, weil sie glaubten, irgendein völlig verrückt gewordener Gegner habe sich in den Kopf gesetzt, Rügenwaldermünde anzugreifen.

Sehr schnell legten die Schiffe an, und die Männer bildeten Spalier, als der hagere, übernächtigte, schmutzstarrende Mann aus dem Sattel seines Pferdes glitt, über die Stelling der „Isabella“ marschierte und sich bei seinem Kapitän zurück an Bord meldete.

Hasard nahm Gary in die Arme. Er mußte es tun, denn Gary wurde jetzt von der Erschöpfung übermannt und sank zusammen. Was er erlebt hatte, war doch ein bißchen zu viel für ihn gewesen. Aber der Jubel wollte kein Ende nehmen. Hasard trug Gary zum Vorschiff, um ihn im Krankenraum unterzubringen. Keiner zweifelte daran, daß es nicht lange dauern würde, bis er sich erholt hatte und wieder auf den Beinen war. Sie hatten ihn schon für tot gehalten, und aus diesem Grund war die Überraschung, ihn in Rügenwalde anzutreffen, doppelt groß.

Die beiden Junker vermochten all das in jeder Einzelheit zu verfolgen, denn auf beiden Schiffen waren inzwischen die Deckslaternen entfacht worden. Es entging ihnen auch nicht, wie Arne von Manteuffel galant nach der Hand seiner Verlobten griff und sie vom Achterdeck auf das Hauptdeck der „Wappen von Kolberg“ hinunterführte. Dann geleitete er sie zur Stelling, und sie verließen das Schiff, um sich zur „Isabella“ zu begeben.

„Drecksgesindel“, zischte Erich von Saxingen außer sich vor Wut. „Galgenstricke, Blutsäufer, Hurenbande! Vielleicht haben sie Hugo bereits umgebracht und in die See geworfen. Oh, das sollen sie mir büßen!“

Genau das war der Moment, in dem der Zorn, der Haß und die Rachegelüste wie eine lodernde Flamme in ihm hochstiegen. Er konnte sich nicht mehr beherrschen und war außerstande, sich auch nur etwas zu bezwingen. Sein Blick war auf Gisela von Lankwitz gerichtet, seine Augen weiteten sich. Wie in Trance griff er nach seiner Muskete, zog sie zu sich heran, schob den Lauf auf den Bootsrumpf und spannte den Hahn des Schlosses, während er auf die junge Frau anlegte.

„Du verdammte pommersche Kuh“, sagte er mit bebender Stimme. „Mit dir hat alles angefangen. Wenn du nicht gewesen wärest, hätte es keinen Kampf auf unserem Gut gegeben, und Hugo und ich hätten nicht nach Reval zu reiten brauchen. Du Miststück, warte, das zahle ich dir heim.“

„Erich“, raunte von Kreye. „Nun warte doch mal. So einfach geht das nicht. Wir sind zu zweit gegen diese Übermacht von Hundesöhnen. Wir müssen uns in acht nehmen. Außerdem wissen wir nicht, ob sie Hugo wirklich …“

„Sei still!“ zischte von Saxingen und schob den Waffenlauf noch etwas weiter vor.

Gisela von Lankwitz und Arne von Manteuffel hatten inzwischen das Ende der Stelling und die Pier fast erreicht. Unbeherrscht und hemmungslos, wie von Saxingen war, zielte er, ohne lange zu überlegen. Er war überzeugt, daß sich ihm keine größere Chance bieten würde, Rache zu nehmen.

Und deshalb drückte er ab.

Der Hahn schlug auf die Pfanne des Steinschlosses, Funken sprühten, die Pulverladung detonierte mit einem scharfen Knall. Der Rückstoß rammte den Kolben der Muskete gegen seine rechte Schulter, er lachte auf. Der Mündungsblitz raste aus dem Lauf, für einen Lidschlag stand ein grellgelber Blitz in der Dunkelheit.

Eine Frau, die unweit der Hafenmeisterei stand, schrie im Krachen des Schusses entsetzt auf. Gisela von Lankwitz aber, die eben ihren Fuß auf die Pier gesetzt hatte, fuhr nicht einmal erschrocken zusammen. Sie schaute nur überrascht auf und drehte sich zu Arne um.

Arne versuchte noch, sich über sie zu werfen, um sie gegen die Kugel abzuschirmen, doch seine Reaktion erfolgte zu spät. Der Schuß erreichte die junge Frau, sie taumelte, prallte gegen ihren Verlobten, gab nur einen schwachen Laut des Schmerzes und der grenzenlosen Verwunderung von sich und brach vor der Stelling zusammen. Die Kugel hatte ihren Rücken getroffen.

„Alarm!“ schrie Carberry an Bord der „Isabella“. „Ein Überfall! Alle Mann an die Waffen!“

Doch es fiel kein weiterer Schuß, es fand kein Kampf statt. Wo der Mündungsblitz aufgezuckt war, hatten fast alle gesehen, doch noch hatte niemand die Gestalten der beiden Junker entdeckt, die in diesem Moment bereits zu ihren Pferden flüchteten.

Sie erreichten die Hafenmeisterei, schwangen sich in die Sättel ihrer Pferde und jagten davon, ehe sie jemand daran zu hindern vermochte.

Schockiert blickten die Bürger von Rügenwalde ihnen nach. Alle hatten die junge Frau zusammenbrechen sehen – Gisela von Lankwitz, die hier alle kannten. Doch keiner hatte die Geistesgegenwart, sofort zu handeln und die Verfolgung der Attentäter aufzunehmen.

Wie gelähmt sahen die Menschen zu Gisela von Lankwitz. Sie lag in Arnes Armen, langsam ließ er sie auf die Pier sinken.

„Gisela!“ stieß er immer wieder hervor. „Gisela, mein Gott – so sag doch etwas!“

Doch sie antwortete ihm nicht.

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€2,49

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Altersbeschränkung:
0+
Umfang:
100 S. 1 Illustration
ISBN:
9783954397204
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Rechteinhaber:
Bookwire
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