Buch lesen: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 291»

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Impressum

© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-688-7

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Erschöpft trafen die Männer an der Felsenbucht im Norden der Insel Mordelles ein. Die Ereignisse der letzten Stunden hatten erheblich an ihren Energien und auch an ihren Nerven gezehrt. Sie hatten eine Niederlage erlitten, von der sie sich so schnell nicht wieder erholen würden.

Easton Terry bedachte Yves Grammont immer wieder mit prüfenden Seitenblicken. Er sah ganz deutlich, daß der Piratenführer kurz vor einem seiner Wutausbrüche stand. Natürlich: Grammont konnte das, was geschehen war, nicht verwinden. Er dachte nur noch an Rache, sein Haß war grenzenlos.

Er hingegen, Terry, sah die Dinge in einem etwas anderen Licht. Es war so gut wie alles schiefgegangen, doch das war für ihn noch lange kein Grund zum Verzweifeln. Man mußte ganz einfach versuchen, aus jeder Situation das Beste herauszuholen.

Terry war ein selbstsüchtiger Mann, seine Ziele waren ausschließlich eigennütziger Art. Grammonts Einstellung war von Beginn an im Grunde dieselbe gewesen, doch jetzt galt es für ihn, seine Ehre zu verteidigen. Er wäre bereit gewesen, jeden Gewinn, jede Beute in den Wind zu schreiben, wenn er nur den verfluchten Seewölfen und ihren so unversehens aufgetauchten Helfern heimzahlen konnte, was sie ihm angetan hatten.

Dieser Philip Hasard Killigrew! Der Teufel sollte ihn holen! Hatte denn auch ausgerechnet er vor der Küste der Bretagne erscheinen müssen? Hätte es nicht jemand anders sein können, jemand, mit dem man etwas leichteres Spiel gehabt hätte?

Aber es waren eben die „Hornet“ und die „Fidelity“ gewesen, die an jenem verhängnisvollen Abend als Köder in der Bucht von Sillon de Talbert vor Anker gelegen hatten. Grammont war in die Falle gegangen, und seitdem gab es für ihn keinen ruhigen Augenblick mehr.

Mit jenem Gefecht bei Sturm und Dunkelheit hatte alles angefangen, und von da an war er seinen hartnäckigen Gegner nicht mehr losgeworden. Da hatte es ihm auch nichts genützt, daß Easton Terry, Halibut und sechs andere Abtrünnige der „Fidelity“ in sein Lager übergewechselt waren. Das Glück, das seine Raids vor der bretonischen Küste früher immer begleitet hatte, schien ihn plötzlich verlassen zu haben.

Jetzt waren zu allem Überdruß die wilden bärtigen Kerle von dem Viermaster auf Mordelles gelandet, nachdem sie erfolgreich in den Kampf eingegriffen hatten. Ein Schiff, so schwarz wie die Nacht, unheimlich und unheilvoll – woher kam es, wer waren seine Männer? Wie ein Wesen aus vergangenen Zeiten wirkte der Kapitän, ein Riese von Kerl mit einem verbeulten Helm. Seine Mannschaft stand ihm an Verwegenheit in nichts nach.

Fünf Schiffe hatte Grammont eingebüßt, seit ihm der Seewolf den Krieg erklärt hatte: die „Petite Fleur“, die „Antoine“ und jetzt gleich zwei Dreimast-Galeonen und eine Zweimast-Karavelle. Und die Einmast-Schaluppe mit den vier Minions an Bord? Die war auch verloren. Was ihm blieb, waren die „Louise“ und die „Coquille“, wobei letztere hart angeschlagen war.

Easton Terry hörte es jetzt deutlich: Grammont knirschte vor Zorn mit den Zähnen. Er hatte die Hände zu Fäusten geballt, daß das Weiße an den Knöcheln hervortrat. Am liebsten hätte er sich wohl auf der Stelle umgedreht und wäre wieder ins Innere der Insel gestürmt, um sich dem Feind entgegenzuwerfen, der da und am anderen Ufer herumspionierte.

Doch das wäre glatter Selbstmord gewesen. Dies wußte auch Grammont in seiner unsagbaren Wut, und er schaffte es, sich doch zusammenzureißen.

Er blieb stehen und ließ seinen Blick über die Felsenbucht wandern.

„Ich bringe sie alle um“, sagte er gepreßt. „Einen nach dem anderen. Das sollen sie mir büßen. Ich lasse das nicht auf mir sitzen.“

„Recht so“, pflichtete Terry ihm sofort bei. Er mußte aber aufpassen, kein zynisches Grinsen zu zeigen. Sein Gesichtsausdruck brachte seine jeweiligen Verbündeten zu leicht in Rage, das wußte er sehr genau. Bei Killigrew war es so gewesen, und jetzt, in den Reihen der bretonischen Piraten, würde das nicht anders sein, wenn er durchblicken ließ, wie wenig er von Loyalität hielt.

Nein, er mußte Grammont gut zureden, nur so konnte er sich dessen Wohlwollen und Vertrauen sichern.

„Du kannst auch weiterhin auf meine Männer und mich zählen“, sagte er. „Wir werden es diesen Hunden schon zeigen. Killigrew ist ein Bastard, seine Crew besteht aus Hurensöhnen und Drecksäcken.“

Grammont war stehengeblieben und drehte sich zu ihm um. „Und deine Männer von der ‚Fidelity‘? Wie schätzt du die ein?“

„Das weißt du doch. Sie fühlen sich nur stark, weil sie hinter Killigrew stehen. Aber ich rechne noch mit Reeves, Baxter und den anderen Burschen ab, verlaß dich drauf.“ Dies meinte er nun sogar wörtlich, denn seine eigene Crew hatte ihn ja zur Genüge gedemütigt. Daß er daran selbst schuld war, verschwieg er.

Der Verrat, den er begangen hatte, indem er seine eigene Mannschaft ans Messer geliefert hatte, existierte für ihn nicht. Er hatte einen Pakt mit dem Teufel unterzeichnet, denn er kämpfte nicht für England, sondern für sich ganz allein. Wenn er erst einmal genug Beute zusammengerafft hatte, wollte er die Alte Welt für immer verlassen. So und nicht anders dachten auch Halibut und die sechs anderen, die mit ihm von der „Fidelity“ geflohen waren, nachdem man sie vor ein Bordgericht gestellt hatte, dessen Vorsitz natürlich der Seewolf gehabt hatte.

„Ich kann dich gut gebrauchen, Terry“, sagte Grammont. „Und es wird nicht zu deinem Schaden sein. Aber vergiß nicht, daß allein mein Wort gilt – hier und anderswo.“

„Du bist der Kommandant“, sagte Terry. „Alles hört auf deinen Befehl. Was hast du jetzt vor?“

Das war eine fast hinterhältige Frage, denn angesichts des erbärmlichen Zustandes, in dem sie sich derzeit befanden, fiel es außerordentlich schwer, überhaupt eine Entscheidung zu treffen.

Die Gruppe hatte die Grotten erreicht und verharrte hier. Es wurden nur wenige Worte gewechselt. Der Kanonendonner war verklungen, das Krachen der Explosionen im Lager war nur noch eine böse Erinnerung. Totenstille hatte sich wieder über Mordelles ausgebreitet.

„Wir warten auf die ‚Louise‘ und die ‚Coquille‘“, erwiderte Grammont. „Sie müssen gleich eintreffen. Wir werden wohl Zeit genug haben, die schlimmsten Schäden zu beheben. Schließlich hat auch der Gegner Treffer hinnehmen müssen und wird erst mal in die Südbucht verholen.“

„Ja, das nehme ich auch an“, stimmte ihm Terry zu. „Laß sie ihre Wunden lecken. Die Hunde rechnen bestimmt nicht damit, daß wir sie wieder angreifen, aber sobald wir die Schiffe gefechtsklar haben, pirschen wir uns an, nicht wahr?“

„Ja.“

Sie dachten aber beide daran, welchen Wahnsinn ein derartiges Unternehmen bedeutete. Der Feind hatte jetzt drei Schiffe: die „Hornet“, die „Fidelity“ und den schwarzen Segler, der uneinnehmbar wie eine Festung zur See war, zumal er aus geradezu unerhört hartem Holz gebaut zu sein schien. Dieser Dreierverband würde die „Louise“ und die „Coquille“ in einem zweiten Anlauf zweifellos versenken.

Verstärkung brauchte Yves Grammont, doch woher sollte er sie nehmen? Die vier Schiffe, die er aus Saint Nazaire zurückerwartete, würden wohl erst auf Mordelles eintreffen, wenn alles vorbei war. Deren Besatzungen würden dann höchstens noch die Leichen zählen können, die im Meer schwammen.

So stand der bärtige Bretone vor einem unlösbaren Problem. Hätte er nach den Geboten der Vernunft gehandelt, wäre er unverzüglich an Bord seiner Schiffe gegangen und hätte Kurs aufs Festland genommen. Dort lag die Rettung, und sein Heil durfte er nur noch in der Flucht suchen.

Doch der Haß war größer. Mordelles, der Hauptschlupfwinkel der Freibeuterbande, war zwar eine schwelende Stätte der Niederlage, aber Grammont konnte und wollte nicht aufgeben.

Und Terry? Nun, der hielt nur nach einer Möglichkeit Ausschau, sich Grammonts Gelder unter den Nagel zu reißen. Hatte er dieses Ziel erreicht, würde er zusehen, sich schleunigst abzusetzen, ohne einen nachhaltigen Schaden davonzutragen. Was dann aus seinen Kumpanen werden würde, war ihm völlig egal.

„Achtung“, sagte Ferret plötzlich. „Da kommen sie.“

Die Piraten lenkten ihre Blicke in die von ihm angegebene Richtung – und da sahen sie alle die „Louise“ und die „Coquille“ in den grauen Schleiern der Morgendämmerung. Wie Gespenster schlichen sie heran und nahmen Kurs auf die Felsenbucht, die Zufluchtsstätte, an der sie wieder ankern konnten.

„Die „Louise“, immer noch von Saint-Jacques geführt, befand sich in einem leidlich guten Zustand. Schlimm hatte es die Zweimast-Karavelle „Coquille“ getroffen. Sie krängte nach Backbord und schien Wasser zu ziehen. Ein Bild des Jammers war das.

Grammont stöhnte leise auf, als er die Karavelle wie ein todwundes Tier in die Bucht einlaufen sah. Er litt fast körperlich unter diesem Anblick.

Narr, dachte Easton Terry und grinste nun doch höhnisch, als er sicher sein konnte, daß ihn niemand beobachtete. Auch deine Stunde hat bald geschlagen, Grammont, vielleicht stirbst du noch heute.

Pierre Servan und Jean Bauduc waren an Bord der „Coquille“ seit sie ihre beiden Dreimast-Galeonen im Gefecht verloren hatten. Bauduc, der Mann mit den drei Pistolen im Waffengurt, hatte eine Blessur davongetragen, die anfangs noch harmlos gewirkt hatte, sich jetzt aber als lebensgefährlich herausstellte.

Er hockte auf der Kuhlgräting der Karavelle und hielt sich den Leib. Der schnauzbärtige Servan bemühte sich um ihn. Er hatte seinen breitkrempigen schwarzen Hut abgenommen und fächelte dem Kampfgefährten damit Luft zu – als ob das etwas nutzte!

„Halt durch, Jean“, sagte er. „Wir sind gleich da. An Land können wir dich besser verarzten als hier auf dem verdammten Kahn. Du kriegst gleich einen Verband, der dir guttun wird.“

„Und die Kugel?“ fragte Bauduc, der nur mit Mühe ein Stöhnen unterdrükken konnte.

„Sie steckt nicht. Sie ist glatt durchgegangen. Rede dir nichts ein.“

Bauduc schloß die Augen und öffnete sie wieder, er blickte an Servan vorbei und sah wieder die Gestalten der Toten auf dem Oberdeck der Karavelle liegen. Gerade wurde eine der Leichen durch die bedrohliche Schräglage des Schiffes in Bewegung gesetzt. Sie rollte gegen das Backbordschanzkleid, ihre Arme schlenkerten wie die Glieder einer Marionette, es war ein grausiger Anblick.

Bauduc nahm die Hand vom Leib, das Blut quoll darunter hervor. Er zwang sich dazu, so ruhig wie möglich zu sprechen.

„Gaukeln wir uns nichts vor, Pierre“, sagte er. „Es ist aus. Die Schmerzen werden immer schlimmer. Gleich werde ich schreien wie verrückt.“

„Hör auf, Mensch, du bist ja nicht ganz richtig im Kopf.“

„Doch, Pierre. Du mußt mir helfen.“

„Ich werde dir die Wunde ausbrennen.“

„Nein. Du verpaßt mir eine Kugel.“

„Niemals!“ stieß Servan entsetzt hervor. „Das kannst du von mir nicht verlangen. Ich bin doch dein bester Freund.“

„Eben deshalb. Du mußt mich erschießen, Pierre.“

„Sei still!“

„Wenn du es nicht tust, bitte ich Grammont darum. Er wird mich verstehen. Er sieht gleich, wie übel ich zugerichtet bin.“

Servan beugte sich über ihn und nahm ihm die Pistolen ab – vorsichtshalber.

„Laß uns erst mal mit Grammont sprechen“, sagte er heiser. „Er wird dir diesen Unsinn schon ausreden. Willst du dich nicht lieber hinlegen?“

„Nein, es ist besser, wenn ich hier sitzen bleibe.“

„Wie du willst.“ Pierre Servan wandte sich ab und trat ans Schanzkleid der Steuerbordseite. Er mußte aufpassen, daß er nicht ausglitt und stürzte. Die „Coquille“ zog Wasser wie verrückt. Ein paar Männer waren unter Deck und suchten nach den Lecks. Zwei hatten sie auch schon gefunden und notdürftig abgedichtet, aber es mußte noch mehr geben. Immer wieder tauchten sie in das Seewasser, das dort unten jetzt schon brusthoch stand, und tasteten die Wegerung ab.

Servan überlegte, ob er Grammont und den anderen, die oben bei den Grotten standen, zuwinken sollte. Aber es bestand kein Grund dazu. Daß die Schiffe die Bucht erreicht hatten, sahen sie ja. Eifriges Gestikulieren war nur angebracht, wenn man einen Sieg davongetragen hatte und triumphierend in den Schlupfwinkel zurückkehrte.

So blieb alles stumm, und kaum ein Mann rührte sich, auf den Schiffen wie an Land. Es war eine spukähnliche Szene. Nach der „Coquille“ lief auch die „Louise“ unter dem Kommando von Saint-Jacques in die Bucht ein. Beide Schiffe drehten bei, dann fielen die Anker an ihren Trossen, klatschten ins Wasser und senkten sich dem Grund entgegen.

Erst jetzt gab Servan seinem Anführer Grammont ein Zeichen, daß es um Bauduc schlecht bestellt war. Ein Boot wurde abgefiert und an Land gepullt. Grammont stieg ein und ließ sich an Bord der „Coquille“ bringen.

Servan stand nach wie vor am Schanzkleid, und auch die meisten anderen Männer an Bord der Schiffe blickten jetzt zu Grammont, der sich in der Jolle näherte.

Jean Bauduc erhob sich vorsichtig von der Kuhlgräting. Er biß die Zähne zusammen, um einen Schmerzenslaut zu unterdrücken. Seine Lippen waren zu einem dünnen Strich zusammengepreßt, sein Gesicht hatte die Farbe alten Talges.

Es brannte in seinem Leib, ein Feuer schien sich in seinem Inneren auszubreiten. Er wußte, daß es zu Ende ging, und es war nur richtig, das Drama zu verkürzen.

Er konnte sich nicht mehr genau erinnern, ob es eine Kugel oder ein Eisensplitter gewesen war, der ihn im Gefecht getroffen hatte. Aber welche Rolle spielte das schon? Ausschlaggebend war nur das eine: Das Ding, wie immer es auch beschaffen sein mochte, steckte in seinem Unterleib. Kein Feldscher der Welt, nicht einmal ein Arzt würde es da herausholen. Er, Bauduc, war dazu verdammt, elendig zu verbluten.

Er ließ sich auf den Planken nieder und rutschte zu dem Toten, der gegen das Backbordschanzkleid gerollt war. Er langte bei ihm an, sah die Pistole, die aus dem Gurt des Mannes hervorragte, und betete fast darum, daß sie noch geladen sein möge.

Sie war geladen. Er stellte dies fest, als er sie ihm abnahm. Er brauchte jetzt nur noch den Hahn des Steinschlosses zu spannen – und abzudrücken.

Die Jolle glitt längsseits der „Coquille“. Servan hatte eine Jakobsleiter ausbringen und abfieren lassen. Grammont enterte auf, kletterte über das Schanzkleid der Steuerbordseite und sah Bauduc, der sich gerade die Mündung der Pistole in den Mund schob.

„Verdammt, Jean!“ rief er noch.

Doch Bauduc hörte nicht auf ihn. Er hatte die Augen geschlossen, sich die linke Hand hinter den Hinterkopf geschoben und hielt mit der Rechten die Pistole, wobei er das Handgelenk sehr verbiegen mußte, um sie in die richtige Zielposition zu bringen. So saß er mit dem Rücken gegen das Schanzkleid gelehnt und hielt beide Beine weit von sich gestreckt.

Servan fuhr auch herum, und gemeinsam mit Grammont stürzte er auf den Kumpan zu. Sie rutschten beide aus und schlitterten auf geradezu groteske Weise auf Bauduc zu.

Bauduc drückte ab. Das Krachen der Pistole war nicht sonderlich laut. Grammont und Servan trafen bei ihm ein, Grammont riß ihm noch die Pistole aus der Hand, doch es war bereits geschehen: Jean Bauduc bäumte sich noch einmal auf, dann brach er zusammen und blieb schlaff und regungslos am Schanzkleid liegen.

„Du Narr!“ stieß Servan zu Bauduc gewandt hervor. „Warum hast du das getan?“

Yves Grammont untersuchte den Toten kurz, dann richtete er sich wieder auf und sagte: „Es war das einzig Richtige. Er wäre sonst auf wirklich scheußliche Weise krepiert.“

„Ja“, bestätigte Servan, der es auch endlich einsah. „Aber die Engländer werden für seinen Tod büßen. Und für das da, für dieses Massaker, werden sie auch bezahlen.“ Er deutete auf die Leichen, die auf dem Oberdeck der „Coquille“ lagen.

„Rache“, flüsterte Grammont.

„Rache!“ rief auch Saint-Jacques von Bord der „Louise“, der alles verfolgt hatte.

Die Piraten waren außer sich vor Wut und Haß über das, was geschehen war, und diese Gemütsverfassung war die ideale Voraussetzung für einen Gegenschlag, bei dem sie aus purer Vergeltungssucht bereitwillig ihr Leben in die Waagschale werfen würden.

Easton Terry bereute es fast schon, Grammont seine weitere Unterstützung zugesichert zu haben. War es nicht Wahnsinn, einen neuen Kampf zu beginnen?

Halibut dachte ähnlich, er sagte leise: „Es wäre besser gewesen, mit einem Kahn abzuhauen, Mister Terry. Wir hätten die Schaluppe nehmen können – die ist doch jetzt herrenlos und dümpelt irgendwo in der Südbucht.“

Terry löste den Blick nicht von den Schiffen, als er antwortete. „Von was sollen wir unsere Zukunft finanzieren, wenn ich mal fragen darf?“

„Das wird sich finden.“

Terry grinste. „Besser wäre, wir würden Grammonts Gelder finden.“

Halibut setzte ebenfalls ein gemeines Lächeln auf. „Das schon, aber wir müssen zusehen, daß wir mit heiler Haut davonkommen. Sonst haben wir von dem ganzen Reichtum nichts – Kapitän Terry.“

„Laß das ruhig meine Sorge sein“, murmelte Terry. Er vergewisserte sich, daß außer den Männern der „Fidelity“ niemand mitgehört hatte, was sie gesprochen hatten. Aber die Gefahr bestand nicht, zumal sie sich in ihrer Muttersprache unterhalten hatten. Keiner der Franzosen verstand Englisch.

Ja, Easton Terry würde sein eigenes Süppchen kochen. Deshalb empfahl es sich doch, weiterhin in einer Art Bündnis mit den Piraten zu leben. Er mußte herauskriegen, wo Grammont das Geld versteckt hatte, das er von Lucio do Velho, Bonano, de Fambrin und Quintaval erhalten hatte.

Diesen Schatz mußte er in seinen Besitz bringen, erst dann würde er von der Bildfläche verschwinden. Er hatte einen Mann namens Lord Henry gekannt. Dieser Lord Henry hatte es mit der Vaterlandsliebe, der Loyalität und dem Eigennutz genauso gehalten wie er: An erster Stelle stand das Ich, erst dann folgte der Rest. Das war das alte Prinzip aller Schnapphähne und Beutewölfe, und daran hielt sich auch Easton Terry.

Lord Henry war tot. Philip Hasard Killigrew war als der Stärkere aus ihrem Ringen hervorgegangen. Doch er, Terry, hatte sich geschworen, daß in seinem Fall die Dinge anders verlaufen würden. Nicht er, sondern der Seewolf würde diesmal den kürzeren ziehen.

Der Seewolf hatte sich von Anfang an nicht getäuscht, als er Easton Terry genauso eingeschätzt hatte wie seinen damaligen Feind Lord Henry – die beiden hätten Brüder sein können. Terry war zu jeder Teufelei fähig, das hatte er bewiesen, und er empfand dabei nicht die geringsten Skrupel.

Einer der beiden, Hasard oder er, mußte früher oder später auf der Strecke bleiben. Die entscheidende Auseinandersetzung zwischen ihnen hatte noch nicht stattgefunden, aber sie war unabwendbar.

2.

An der Südbucht von Mordelles fand das große Sammeln statt. Thorfin Njal, Eike, Arne, Olig, der Stör und alle anderen Männer des Schwarzen Seglers, die an Land gegangen waren, um bis in das Lager im Inselinneren vorzudringen, kehrten zurück. Sie wurden durch die Zurufe der Männer von Bord der „Hornet“, der „Fidelity“ und des „Eiligen Drachen“ empfangen.

Der Wikinger blieb auf dem Strand der Bucht stehen und steckte sein „Messerchen“, wie er sein Schwert liebevoll nannte, weg. Als er die Gestalt des Seewolfes auf dem Achterdeck der „Hornet“ entdeckte, begann er breit zu grinsen.

„Odin scheint es ja gut mit dir zu meinen!“ schrie er. „Nicht mal einen Kratzer hast du abgekriegt, oder?“

„Keinen einzigen!“ antwortete Hasard. „Und du?“

„Ich habe eine Haut, die so hart ist wie die Bordwand des schwarzen Seglers“, erklärte der Wikinger. „Vielleicht bin ich unvergänglich, wer weiß.“

„Vielleicht bin ich unvergänglich, wer weiß“, wiederholte der Stör, der gerade neben ihn getreten war.

Thorfin Njal gab einen grunzenden Laut des Unwillens von sich, dann trat er verblüffend schnell nach der Kehrseite des Störs. Der Stör flog gleich ein paar Yards weit, stolperte und landete bäuchlings auf dem Sand.

„So geht es dir von jetzt an immer, wenn du mich nachäffst!“ brüllte Thorfin Njal. „Ich dulde nicht, daß du meine Worte nachplapperst wie ein Papagei! Denk dir selber was aus, zur Hölle!“

Der Stör rappelte sich wieder auf und war bemüht, eine würdevolle Miene aufzusetzen.

„Jawohl, das werde ich auch tun“, sagte er. „Ich meinerseits bin’s leid, mir dauernd in den Arsch treten zu lassen.“

„Ich bin’s leid, ich bin’s leid“, äffte Arne ihn nach. „Das sagst du schon die ganze Zeit über, seit wir die Schlangen-Insel verlassen haben. Weißt du, daß wir das nicht mehr hören können?“

„Wenn das so ist, dann haltet euch doch die Ohren zu“, erwiderte der Stör giftig.

Auch Eike und Olig waren hinzugetreten. Sie bauten sich breitbeinig und mit vor der Brust verschränkten Armen neben Arne auf. „Weißt du eigentlich, wie es ist, wenn man wie ein Fisch im Wasser zappelt – mit einem Klotz aus Eisen an den Beinen?“ fragte Olig drohend.

Der Stör blieb ihm die Antwort darauf schuldig, er ging vorsichtshalber gleich ein paar Schritte rückwärts – auf das Wasser der Bucht zu.

„Hört auf, euch zu streiten!“ rief jetzt der Seewolf. „Kommt an Bord der ‚Hornet‘, damit wir miteinander beraten können!“

„Sehr gut“, sagte Thorfin grinsend. „Dieses Beraten wird ja wohl keine allzu trockene Angelegenheit sein. Die Zunge klebt und sticht mir im Gaumen wie ein alter Seeigel.“

Sie gingen zu ihren Booten, schoben sie ins Wasser, setzten sich hinein und pullten mit kräftigem Schlag zu den Schiffen. Keine halbe Stunde später – es war eben zum vierzehnten Male an diesem Morgen geglast worden – befanden sich alle Männer auf der „Hornet“, bis auf ein paar Wachen auch die Crew der „Fidelity“ und die Restbesatzung des Schwarzen Seglers.

Erst jetzt konnte das Wiedersehen mit den Wikingern, mit Jean Ribault, Jan Ranse, Piet Straaten und Nils Larsen richtig gefeiert werden. Hasard ließ Wein, Dünnbier und Branntwein bringen, und die Männer prosteten sich auf dem Deck der Galeone unter dem von grauen Wolken durchwirkten Morgenhimmel zu.

Thorfin Njal lenzte sein Glas Bier gleich bis auf den letzten Tropfen. Dann stieß er einen ächzenden Laut der Genugtuung aus und hieb seinen alten Freunden auf die Schultern: Hasard, Ben Brighton, Ferris Tucker, Shane, den O’Flynns, dem Profos und allen anderen.

„Ho!“ brüllte er. „Das nenn’ ich einen Zufall! Ich hätte nie gedacht, daß wir uns auf diese Weise mal wiedersehen!“

„Ich auch nicht“, sagte der Seewolf lachend.

„Und was sagst du dazu, daß wir Ben und die Kerle in der Schaluppe um ein Haar untergebuddelt hätten und dann aufgefischt haben?“

„Auch das war eine große Tat, Thorfin“, entgegnete Hasard. „Aus Gründen der Sauberkeit wäre es vielleicht sogar ganz gut gewesen, wenn du sie kurz untergetaucht hättest. Geschadet hätte es ihnen nicht.“

Er erntete dafür eine Lachsalve, und selbst die Männer der „Fidelity“ stießen sich untereinander an und grinsten. Einen wilderen, bunteren Haufen hatten sie noch nicht gesehen, und sie hörten nicht auf, die Wikinger mit ihrer Fellkleidung und den Helmen gebührend zu bestaunen.

„Woher kommt ihr überhaupt?“ fragte Jerry Reeves Arne.

„Aus der Karibik.“

„Was?“ Baxter war verblüfft. „Aber ihr seht doch eher wie Nordmänner aus.“

„Das sind wir auch“, sagte Eike lächelnd. „Du hättest fragen müssen, wo unsere Wiege gestanden hat. In unserer Heimat sind wir schon als Wickelkinder an Bord der Knarrs und Langboote gefahren, und jede Art von Angst ist uns fremd.“

„Und in der Karibik ist es so kalt, daß ihr Felle tragen müßt?“

„Quatsch“, brummte Olig und musterte den Profos der „Fidelity“ fast mißbilligend. „Aber auch bei Wärme ist das das richtige Zeug für uns, dann ist es nämlich schön kühl darin. Oder sollen wir vielleicht nackt rumlaufen?“

„Um Himmels willen, nein“, sagte Baxter.

Reeves grinste amüsiert dazu, er fand, daß es ein einzigartiger Dialog war.

„Warum fragst du dann so blöd?“ zischte der Stör, der sich jetzt dazwischengeschoben hatte.

Baxter erwiderte nichts darauf, er kratzte sich nur am Kinn. Irgendwie mußte man sich auf diese wüsten Kerle einstellen, sie hatten eine seltsame Art der Logik an sich.

„He, Hasard!“ brüllte Thorfin Njal nachdem er sein zweites Glas Bier geleert hatte. „Und wie findest du es daß wir dieses Mal Jean Ribault und drei seiner Himmelhunde dabeihaben?“

„Umwerfend“, antwortete Hasard und drehte sich zu Jean, Jan, Piet und Nils um. „Aber wie das alles zusammenhängt und was auf der Schlangen-Insel vorgefallen ist, müßt ihr mir noch erzählen.“

„Gut“, sagte Jean und entblößte seine weißen Zähne. „Es ist eine recht lange Geschichte, aber selbstverständlich können wir alles erklären.“

„Hölle, Jean, du alter Galgenstrick!“ stieß Carberry aus. „Bin ich froh, dir mal wieder die Hand schütteln zu können! Und gut gebrauchen können wir dich auch, das schwöre ich dir, du triefäugige Kanalratte!“

„Weil ihr mit dieser Bande von Schnapphähnen nicht allein fertig werdet?“ erkundigte sich Ribault lächelnd.

„Ach wo, die sind doch nur Nebensache.“ Carberry winkte ab. „Was mir viel wichtiger ist: Wir müssen Französisch lernen. Zum Henker, ich stolpere immer wieder über diese verdammte Sprache.“

„O Gott, ja“, stöhnte der Kutscher. „Es ist grauenvoll, was er da von sich gibt.“

„Was sagst du da, Kutscher?“ Der Profos fuhr zornig zu ihm herum.

„Mister Carberry“, entgegnete der Kutscher und räusperte sich. „Ich bemerkte nur, daß du die Sprüche, die dir Lucille an den Kopf geworfen hat, gern in der Übersetzung kennenlernen würdest.“

„Wie? Was? Ach so, ja – richtig.“ Carberry blickte wieder zu Jean Ribault und grinste. „Das wäre mir wirklich was wert, Jean. Die Lady hat nämlich Flüche auf Lager, von denen ich noch was lernen kann, schätze ich.“

Jean nickte, wurde jetzt aber abgelenkt, denn er blickte an Carberrys mächtiger Schulter vorbei und entdeckte Mac Pellew.

„Träume ich?“ rief er. „Oder ist das wirklich Mac Pellew, der alte Kesselschwenker?“

„Ich bin’s“, erwiderte Mac Pellew stolz. „Ich bin jetzt wieder dabei. Hasard hat mich in Plymouth aus dem Schuldturm geholt, und das werde ich ihm nie vergessen.“ Ausnahmsweise zeigte er mal keine sauertöpfische Miene, sondern kicherte wie ein Kind und rieb sich die Hände.

„Ich glaube, ihr habt uns auch so allerlei zu erzählen“, sagte Thorfin Njal.

So ging es weiter. Es wurde gelacht und gefrotzelt, Berichte über die Ereignisse der jüngsten Vergangenheit wurden ausgetauscht, und Thorfin und seine Leute „begutachteten“ entsprechend die „Neuen“, die wie Mac Pellew zur Crew der Seewölfe gestoßen waren: Jack Finnegan, Paddy Rogers und Roger Brighton.

Der Wikinger zerquetschte ein paar Tränen, als er die Zwillinge plötzlich vor sich sah. Er fuhr sich mit der Hand über die Augen und schnaufte so heftig, daß es einem angst und bange werden konnte.

„Seid ihr Burschen aber groß geworden“, sagte er. „Das ist ja kaum zu fassen.

„Wir sind immer gut begossen worden“, sagte Philip junior.

„Und schließlich eifern wir ja Dad nach“, fügte Hasard junior hinzu.

Der Wikinger brummelte etwas Unverständliches und blickte zum Seewolf. Ja, der war weit über sechs Fuß groß und hatte immer noch so gewaltig breite Schultern wie früher, und auch in seinen eisblauen Augen tanzten die tausend Teufel, die von Kühnheit und Wagemut sprachen. So kannte der Wikinger Hasard, so sollte er bleiben, und so sollten auch die Zwillinge geraten – Aussichten wie diese waren so recht nach Thorfins Geschmack.

Gustave Le Testu, der zusammen mit Montbars, dem Korsen, von der „Fidelity“ auf die „Hornet“ herübergekommen war, hatte jetzt Gelegenheit, mit Jean Ribault zu sprechen. Er hatte durch Hasard bereits viel über Jean vernommen, aber niemals damit gerechnet, daß sie sich so bald kennenlernen würden.

Hugenotten unter sich – die Verständigung war perfekt, und das nicht nur, weil sie sich derselben Sprache bedienten. Jean vernahm mit großem Interesse, was derzeit in Frankreich geschah, wie hart beispielsweise die Bourbonen, die von Spanien unterstützt wurden, gegen die Hugenotten kämpften.

Le Testu war sehr aufgeregt, denn Jean Ribault war in seiner Heimat so etwas wie eine legendäre Gestalt geworden. Es war eine Ehre, ihm gegenüberzustehen. Selbst Montbars war auffallend gesprächig, was sonst gar nicht seiner Art entsprach.

Le Testu versäumte nicht, zu erzählen, was in Quimper vorgefallen war. Die Ereignisse im Hafen und dann in dem Kellergewölbe der Burgruine stellten sozusagen den Schlüssel zum Einstieg in die ganze Geschichte dar. Jetzt begriff Jean, was gespielt wurde, und er stieß unwillkürlich einen leisen Pfiff aus.

Der kostenlose Auszug ist beendet.

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Umfang:
110 S. 1 Illustration
ISBN:
9783954396887
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Bookwire
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