Seewölfe - Piraten der Weltmeere 274

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 274
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Impressum

© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-671-9

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Irland erschien an diesem späten Vormittag als blaßgrauer Strich an der Kimm und mutete aus der Ferne wie der Rücken eines auf dem Bauch liegenden Giganten an.

Der Ruf des Ausgucks hatte die Männer an Bord der spanischen Galeone aus ihren recht eintönigen, brütenden Gedanken hochgeschreckt, und jetzt standen sie fast alle am Schanzkleid der Kuhl oder auf der Back und winkten dem Land jubelnd entgegen.

Philip Hasard Killigrew war in den Luvfockwanten aufgeentert und hing etwa einen halben Yard über Dan O’Flynn, der sich ebenfalls an den Webeleinen festhielt.

„Kein Zweifel!“ rief Dan. „Das ist wirklich Irland! Die lieben Dons haben uns also doch nicht hinters Licht geführt!“

Natürlich sprach er vorsichtshalber Englisch, das verstand keiner der Spanier. So hatten sich Hasard und seine Männer während der Zeit der Überfahrt immer dann ihrer Muttersprache bedient, wenn es etwas zu bereden galt, das nicht für die Ohren der regulären Schiffsbesatzung bestimmt war.

Hasard blickte nach unten und streckte die Hand nach dem Spektiv aus, das Dan ihm jetzt zuwarf. Geschickt fing er es auf, hob das Okular ans Auge und spähte hindurch. Ja, auch er erkannte nun einwandfrei, daß das, was sich vor ihnen erstreckte, nur die grüne Insel sein konnte. Zu eindeutig gab die Beschaffenheit dieser sanft geschwungenen Hügel Auskunft darüber, daß man sie nicht belogen hatte und in Wirklichkeit vielleicht woanders hinführte, nach Frankreich etwa oder in die Niederlande.

So wurde Hasard aller Bedenken enthoben, die er über die Person Juan Bernardo Oroscos gehabt haben mochte, über den Kapitän der Galeone „Rosa de los Vientos“.

Hin und wieder hatte sich der Seewolf ausgemalt, daß es für den spanischen Kapitän nicht schwer gewesen wäre, ihm und seinen Männern hinsichtlich der jeweiligen Position, an der sie sich befanden, etwas vorzuschwindeln. Tagsüber wurde strikt nördlicher Kurs gehalten, doch was geschah nachts? Wie nun, wenn die Spanier sie an einen entlegenen Platz gebracht hätten, um sie dort in eine Falle zu locken und auszuplündern oder aber einfach nur, um ein paar verhaßte Engländer über die Klinge springen zu lassen.

Nichts von alledem – Don Juan Bernardo Orosco hatte sich als eine ehrliche Haut entpuppt. Mehr als das Geld, das Hasard ihm schon in Cadiz für die Reise von Spanien nach Irland gegeben hatte, wollte er nicht, und er war auch kein England-Hasser, der nur auf eine Gelegenheit wartete, um einen verdammten Briten aus dem Weg zu räumen.

„He!“ schrie Big Old Shane, der sich gerade auf der Back umgedreht hatte. „Hasard, freust du dich gar nicht? Endlich kriegen wir wieder ein paar ordentliche Gallonen Bier in den Bauch! Wie lange ist es jetzt schon her, daß wir kein Bier mehr getrunken haben!“

„Wenn du das verdammte irische Bier meinst, pfui Teufel, darauf kann ich auch verzichten“, sagte Matt Davies neben ihm. „Da ist mir sogar der ägyptische Wein noch lieber.“

Shane, der ehemalige Schmied von Arwenack, stieß einen saftigen Fluch aus und fuhr zu dem Mann mit der Eisenhakenprothese herum. „Hör mal, Mister Davies, wir hatten doch vereinbart, daß wir Ägypten vorläufig mit keinem Wort mehr erwähnen, oder irre ich mich?“

„Du irrst dich nicht“, erwiderte Matt. „Tut mir leid. Also: Mir ist der Rotwein lieber, den wir an Bord dieses Kahns haben, als das irische Bier.“

„So klingt das schon besser“, sagte Shane. „Aber was hast du eigentlich gegen das Bier der Iren?“

„Es ist mir zu bitter.“

Sie stritten noch eine Weile über das Bier herum, aber weder Hasard und Dan noch Gary Andrews, Batuti und die Zwillinge, die unten am Schanzkleid des Hauptdecks standen, hörten richtig hin.

Ägypten – ja, das war ein Wort, das Stiche in ihren Herzen hervorrief und sie in Wut versetzte. Ägypten war eine Niederlage auf der ganzen Linie für sie gewesen. Dort hatten sie ihr Schiff, die „Isabella VIII.“, für immer eingebüßt, und dort hatte es sie auseinandergerissen und in alle Himmelsrichtungen verstreut.

So konnte der Seewolf nicht froh sein, wenngleich sie nun doch endlich wieder in Englands unmittelbarer Nähe waren und die Heimat in fast greifbare Nähe gerückt war.

Immer wieder mußte er an seine Männer denken, die jetzt nicht mehr bei ihm weilten und über deren Schicksal sie im ungewissen waren – Ben Brighton und all die anderen sechzehn Männer. Wie war es ihnen ergangen? Wo mochten sie stecken? Wenn er darüber nachsann, fühlte er, wie Sorge und Schuldbewußtsein sich auf ihn senkten und ihn unter ihrer Last fast erdrückten.

Lebten die Männer überhaupt noch?

Nach Cadiz war Hasard mit denen gelangt, die sich jetzt auch an Bord der „Rosa de los Vientos“, der „Windrose“, befanden: Shane, die Zwillinge Philip und Hasard, Dan, Batuti, Gary und Matt. Mit dabei war außerdem noch Arwenack, der Schimpanse. Dies war der klägliche Überrest der einst so stolzen „Isabella“-Mannschaft.

Und doch mußte Hasard noch froh sein, daß wenigstens sie es bis nach Spanien geschafft hatten und nach all den durchstandenen Abenteuern und Strapazen an Bord dieses Kauffahrers gelangt waren. Hundertfach hätten sie sterben können, niemand hätte sie gerettet, und bald wären die Erlebnisse des Seewolfs nur noch eine Legende gewesen, die man sich an den Biertischen der Hafenkneipen erzählte.

Dans Stimme holte Hasard in die Realität zurück. Er ließ das Fernrohr sinken und sah nach unten.

„Sir“, sagte Dan. „Der Kapitän wünscht dich zu sprechen.“

Tatsächlich stand auf dem Backbordniedergang, der die Back mit der Kuhl verband, der Aufklarer und gestikulierte zu Hasard und Dan hoch.

„Señor Killigrew!“ rief er. „Don Juan erweist Ihnen die Ehre, Sie in seiner Kammer zu empfangen!“

„Danke“, sagte Hasard. „Ich bin schon unterwegs.“

Er enterte ab und reichte Dan im Vorbeiklettern das Spektiv zurück. Wenn Kapitän Orosco nach ihm verlangte, wollte er ihn nicht warten lassen. So, wie der Aufklarer sie vorgetragen hatte, mochte Don Juans Einladung eher herablassend klingen, aber der Seewolf wußte, daß dies die unerläßliche äußere Form war, ein wenig umständlich, wie es nun mal der Art der. Spanier entsprach, aber im Grunde doch nicht arrogant und herabwürdigend.

Noch einmal blickte Hasard zu seinen. Männern und las in ihren Mienen. Die Stimmung war nach wie vor nicht rosig, wie sollte sie es auch sein? Die Sorgen, die man sich um das ungewisse Schicksal der anderen „Isabella“-Besatzungsmitglieder bereitete, wurden zwar gern durch Gespräche überspielt wie das, das gerade zwischen Shane und Matt Davies stattfand – doch im Grunde wußten sie alle ja nur zu gut, daß sie sich gegenseitig nichts vorzuerzählen brauchten.

Die Zeit der Überfahrt hatten sie dadurch verkürzt, daß sie – obwohl zahlende „Passagiere“ an Bord der etwa zweihundert Tonnen großen Galeone – bei der Decksarbeit kräftig mit zugepackt hatten.

„In die Hände spucken und reinhauen“, hatte Shane das genannt. „Wenn ich nicht ständig was um die Ohren habe, wird mir hundeelend zumute.“

So ging es nicht nur ihm, so empfanden auch Hasard und die anderen Männer und sogar die Zwillinge. Je länger man beschäftigt war und je erschöpfter man nach dem Dienst an Deck in die Koje sank, desto seltener stellten sich die deprimierenden Gedanken über das Schicksal der anderen Kameraden ein.

Und so waren die Seewölfe dem Kapitän Orosco und seinem Ersten Offizier Aurelio Vergara doppelt willkommen, denn die „Rosa de los Vientos“ war unterbemannt.

Diesem desolaten Zustand hatten die Männer der „Isabella“ abgeholfen. Obendrein hatten sie sich bei der Mannschaft der Galeone so manchen guten Freund geschaffen. Die spanischen Decksleute waren heilfroh, Verstärkung erhalten zu haben. Somit war die Reise nach Irland bei weitem nicht so anstrengend geworden, wie es anfangs ausgesehen hatte.

Hasard ging nach achtern und lächelte knapp, als der Aufklarer, ein sechzehnjähriger Junge, ihm sogar das Schott des Achterkastells öffnete.

Mit langen Schritten verschwand der Seewolf im Achterkastell und durchmaß den Mittelgang, der ihn direkt auf die Kapitänskammer zuführte.

Don Juan war nicht allein, Aurelio Vergara leistete ihm Gesellschaft. Während der Kapitän hinter seinem Pult saß, hatte sich der Erste unter den Bleiglasfenstern der Backbordseite auf einem geschnitzten Gestühl aus Edelkastanie niedergelassen.

Mit einer aufmunternden Geste wies Juan Bernardo Orosco auf einen freien Stuhl und sagte: „Señor Killigrew, bitte, nehmen Sie Platz. Ich hatte mir gedacht, daß es wohl angebracht sei, vor unserer Ankunft im Hafen von Galway noch ein letztes Gespräch zu führen.“

 

Hasard setzte sich und blickte von Orosco zu Vergara. Was hatte das zu bedeuten? Gab es jetzt doch noch eine unangenehme Überraschung? Hatte sich Orosco dazu entschlossen, seinen englischen Gast als Gefangenen ins Kabelgatt zu sperren und zurück mit nach Spanien zu nehmen, um das von der Krone ausgesetzte Kopfgeld zu kassieren?

Aber nein – Hasard las Offenheit und Aufrichtigkeit in den Zügen der beiden Spanier. Sie hätten ja auch unterwegs oft genug Gelegenheit gehabt, Hasards Begleiter zu töten und in die See zu werfen und ihn selbst in Ketten zu legen. Sie hätten dies schon in Cadiz tun können, wenn sie es gewollt hätten.

Dieses Mißtrauen, dachte Hasard, warum kannst du es nicht ablegen?

Früher war er anders gewesen, aber seit den Ereignissen in Ägypten traute er kaum noch einem Menschen. Zu dieser Wandlung in seinem Wesen hatten die List und der Betrug des Ali Abdel Rasul nicht nur beigetragen – der Kerl trug die ganze Schuld daran. Es würde seine Zeit brauchen, bis Hasard diesen tiefsitzenden Argwohn wieder loswurde.

Hinter seinem Rücken wurde an die Tür geklopft. Orosco antwortete, und der Aufklarer trat ein. Er brachte einen Krug voll Rioja, den er auf die Anweisung des Kapitäns hin frisch aus einem der Fässer im Laderaum abgefüllt haben mußte.

Die „Rosa de los Vientos“ hatte bis unter die Ladeluken Wein aus dem berühmten spanischen Anbaugebiet Rioja geladen. Wein lieferten die Spanier, wie der Seewolf schon von früher her wußte, nur zu gern nach Irland. Dafür handelten die Iren mit Wolle und Tierhäuten.

Juan Bernardo Orosco war gescheit genug, ein paar Fässer gleich vor Anfang der Reise sowohl für das Achterdeck als auch für die Decksmannschaft zu reservieren. Es wurde in Maßen getrunken, keiner durfte es übertreiben und sich beim Dienst mit starker Schlagseite erwischen lassen, denn das wiederum wurde mit Strafen quittiert.

Da Orosco aber freiwillig die Wein-Rationen verteilen ließ, griff er von vornherein jedem Mißbrauch vor und verhinderte, daß der eine oder andere seiner Männer heimlich ein Faß anstach und sich sinnlos betrank.

Vergara nahm den Krug entgegen, Orosco entließ den Aufklarer mit einer Gebärde. Vergara erhob sich, entnahm einem Schapp drei Kelche und schenkte sie fast bis zum Rand voll. Den einen überreichte er Hasard, den anderen seinem Kapitän. Dann stand auch Orosco auf, und der Seewolf folgte seinem Beispiel.

„Lassen Sie uns anstoßen, Señores“, sagte der Kapitän.

Über das Pult hinweg brachten sie die Kelche einander näher, bis sie sich berührten, hoben sie an die Lippen und tranken.

Dann fuhr Orosco fort: „Ich möchte mich noch einmal für die Hilfe bedanken, für den Einsatz, den Sie und Ihre Männer an Bord dieses Schiffes geleistet haben, Señor Killigrew. Ich werde Ihnen das nie vergessen, glauben Sie mir.“

„Für uns war das eine Selbstverständlichkeit“, sagte Hasard. „Und die Arbeit hat uns über einiges hinweggeholfen. Sie verstehen, was ich meine.“

„Ja. Doch ich möchte Ihnen zumindest das Geld zurückgeben, das Sie uns gezahlt haben.“

„Das nehme ich nicht an“, sagte Hasard. „Verteilen Sie es unter Ihrer Mannschaft. Sie haben gute Leute auf Ihrem Schiff, die diese zusätzliche Heuer bestimmt verdient haben.“

Orosco begriff und drang nicht weiter darauf, die Münzen auszuhändigen. In der Zeit der Überfahrt hatte er herausgefunden, daß es die Engländer in vielen Dingen mit ihrem Ehrgefühl und Moralkodex wie die Spanier hielten – eine Entdekkung, die ihn überrascht hatte. Er wußte, daß es der Seewolf sozusagen als eine Beleidigung angesehen hätte, jetzt das einmal gezahlte Geld zurückzuerhalten.

Sie setzten sich wieder, und Orosco nahm noch einen Schluck Wein, ehe er wieder sprach. „Erlauben Sie mir, noch ein offenes Wort an Sie zu richten. Ich bedaure den Zwist zwischen unserem Mutterland und Ihrer Nation zutiefst, mein lieber Killigrew. Wenn es nach mir ginge, gäbe es keinen Krieg, das dürfen Sie mir glauben.“

„Wir sind keine Fanatiker“, fügte Vergara lächelnd hinzu. „Aber das haben Sie sicher schon selbst bemerkt, Señor.“

„Ja“, sagte der Seewolf. „Wir alle sind in erster Linie Menschen und sollten es auch bleiben. Nach allem, was ich erlebt habe, wäre ich froh, wieder an etwas wie echte Kameradschaft zwischen Männern verschiedener Herkunft glauben zu können.“

„Was uns betrifft, dürfen Sie es ruhigen Gewissens tun“, entgegnete der Kapitän. „Für uns werden Sie nie ein Feind der spanischen Krone sein. Ich möchte das Kompliment erwidern, das Sie eben ausgesprochen haben: Auch Sie haben hervorragende Männer unter sich, Señor Killigrew, und Ihre beiden Söhne sind wahre Prachtkerle.“

„Danke“, sagte Hasard. „Aber Sie hätten den Rest der Crew kennenlernen sollen, Ben Brighton, Ferris Tukker, Edwin Carberry und alle anderen.“

„Eines Tages treffen Sie sie wieder.“

„Ich danke Ihnen für diese Worte und möchte gern daran glauben.“

„Man darf die Hoffnung nie aufgeben, Señor“, sagte Aurelio Vergara. „Bedenken Sie, wie viele Möglichkeiten es auch für den versprengten Rest Ihrer Mannschaft gibt, in die Heimat zurückzukehren.“

Hasard blickte auf die Flüssigkeit in seinem Kelch, dann schaute er wieder auf. „Vielleicht nehmen Sie es mir nicht ab, aber ich bete darum, daß sie es geschafft haben.“

„Und ob ich Ihnen das glaube“, sagte Don Juan. „Der wahre Glaube findet seinen Beweis in der Menschlichkeit, die ein Mann zu zeigen imstande ist. Die See ist rauh und fordert ihre Opfer. Wer in einem Gefecht nicht seinen harten Kern zeigt, der ist verloren. Doch Menschlichkeit scheint trotzdem Ihr oberstes Gebot zu sein, Señor Killigrew.“

„Wie wollen Sie das so genau wissen?“

Der Kapitän lächelte verhalten. „Ich habe davon gehört, wie Sie sich nach der Schlacht gegen die geschlagene Armada verhalten haben, und ich bin sicher, daß die Berichte, die darüber kursieren, kein Seemannsgarn sind.“

„Ich habe nur getan, was ich für meine Pflicht hielt.“

„Viel mehr, als andere an Ihrer Stelle getan hätten.“

„Ich weiß nicht ...“

„Señor!“ sagte Orosco, und wieder stand er auf. „Ihr Selbstvertrauen ist erschüttert, doch Sie müssen es wiedererlangen. Lassen Sie uns an dieser Stelle unsere Freundschaft durch einen Händedruck besiegeln.“ Er streckte Hasard die Hand entgegen.

Hasard ergriff sie und drückte sie, und dann schüttelte er auch dem Ersten Offizier die Hand, der auf ihn zutrat. Er verspürte zum erstenmal seit langer Zeit wieder ein tiefes Gefühl der Ergriffenheit und nannte sich insgeheim einen Narren, daß er den Männern der „Rosa de los Vientos“ im stillen mißtraut hatte.

Don Juan sagte: „Ich empfinde einen gewissen Stolz darüber, daß ich Sie mit meinem Schiff Ihrer Heimat ein beträchtliches Stück nähergebracht habe. Ich würde Ihnen gern weiterhin helfen, aber Sie verstehen, daß ich nicht nach Plymouth segeln kann.“

„Natürlich. So edel Ihre Absicht wäre, man würde es Ihnen dort nicht danken.“ Hasard konnte sich jetzt eines Lächelns nicht erwehren. „Anders ausgedrückt, man würde Ihnen in England einen heißen Empfang bereiten. Nein, Don Juan, wir sehen zu, daß wir von Galway aus auf eigene Faust nach England gelangen. Es dürfte uns nicht schwerfallen.“

„Das will ich hoffen. Falls Sie in Galway aber doch Schwierigkeiten haben sollten, wenden Sie sich bitte an uns.“

„Die Iren sind störrische Dickschädel“, knüpfte Vergara an die Worte seines Kapitäns an. „Wer weiß, was die aushecken, wenn sie einen Trupp waschechter Engländer durch den Hafen marschieren sehen. Seien Sie lieber vorsichtig, Señor Killigrew.“

„Wir passen schon auf“, sagte Hasard. „Aber Galway ist nicht wie das übrige Irland, dort sitzen die Nachfahren von Normannen, die mit den Iren nicht viel im Sinn haben. Vielleicht leisten sie uns die Unterstützung, die wir brauchen, um weiterzukommen.“

„Sie waren schon einmal in Irland?“ fragte Orosco.

„Ja. Zuerst 1576, und dann später noch einmal nach dem Kampf gegen die Armada.“

„1576 – vor sechzehn Jahren“, sagte der Kapitän nachdenklich. „Damals landeten unsere Leute in der Dungarvanbai, um die irischen Rebellen zu unterstützen, wenn mich nicht alles täuscht.“

„Richtig“, sagte der Seewolf. „Francis Drake vereitelte das kombinierte See- und Landunternehmen durch seinen massiven Einsatz. Ich war mit dabei, auch das will ich Ihnen nicht verheimlichen, Señores.“

„Ein Geschehen, das längst der Vergangenheit angehört.“ Don Juan Bernardo Orosco hob noch einmal seinen Kelch, trank daraus und setzte ihn auf seinem Pult ab. „Dungarvan liegt im Süden der Insel, Galway ist anders als das restliche Irland, wie Sie eben schon sagten, Señor Killigrew, und die Zeiten ändern sich.“

„Aber Irland ist nach wie vor mit England verfeindet“, gab der Erste zu bedenken. „Es lehnt sich gegen die Besatzungsmacht auf. Die englische Siedlungspolitik geht nur mit langsamen Schritten voran, wie wir wissen.“

Der Kapitän seufzte. „Was heißt das schon? Das wird auch immer so bleiben, vielleicht noch über Jahrhunderte hinaus. Niemand vermag die hartnäckigen Iren zu beugen. Unsere Aufgabe ist es, Handel mit ihnen zu führen und friedlich mit ihnen zu verkehren. Warum sollen wir uns den Kopf über Rebellion und Haß zerbrechen, wenn wir nichts damit zu tun haben?“

„Ich weiß, es empfiehlt sich nicht“, sagte Vergara. „Ich kann uns bloß wünschen, daß wir nicht in irgendeine Auseinandersetzung mit hineingezogen werden.“

„Das möge Gott verhüten“, sagte Orosco.

Hasard nahm noch einen Schluck Wein zu sich, und in diesem Augenblick ertönte draußen klar und deutlich der Ruf des Ausgucks: „Galway in Sicht, Backbord voraus!“

„Sehr gut“, sagte Don Juan Bernardo Orosco. „Gehen wir also an Deck und sehen wir uns das Städtchen an, Señores.“

2.

Die „Rosa de los Vientos“ hatte angeluvt und lag mit östlichem Kurs an dem aus Südwesten wehenden Wind. Über Backbordbug segelnd glitt sie an Inishmore, der nördlichsten der Aran-Inseln, vorbei und schob sich in die große, langgestreckte Galway Bay.

Hasard war mit Orosco und Vergara auf das Achterdeck der Galeone gestiegen. Sie standen nebeneinander und blickten auf das Bild, das sich ihren Augen bot.

Galway war am nördlichen Ufer der Bucht erbaut worden – eine für diese Zeit relativ große Stadt mit Häusern, die triste Fassaden aus grauem Naturstein hatten. Im Nähersegeln bemerkte der Seewolf ein paar Fischerboote, die mit ihren Dreieckssegeln auf der Reede kreuzten und die Hafenszene belebten.

„Seit unserem letzten Besuch hat sich nichts verändert“, sagte Don Juan. „Soweit ich erkennen kann, finden wir auch am Long Walk einen Platz zum Festmachen.“

Hasard musterte ihn von der Seite. Juan Bernardo Orosco war groß, schlank, blond und blauäugig. Er hatte keinen Bart. Alles in allem wirkte er überhaupt nicht wie ein Südländer, aber sein Äußeres war ein charakteristisches Merkmal vieler Katalanen, die im übrigen Spanien gelegentlich als „Nordmänner“ bezeichnet wurden. Orosco stammte aus der Gegend um Barcelona, wie er Hasard erzählt hatte.

„Sie wollen nicht auf der Reede ankern?“ fragte Hasard.

„Alle spanischen Handelsgaleonen legen am Kai an“, erklärte der Kapitän. „Die Stadtherren haben ihn extra für uns eingerichtet. Hier, werfen Sie doch bitte mal einen Blick durch das Spektiv, Señor Killigrew.“

Hasard nahm das Rohr entgegen und sah hindurch. Er stellte die Schärfe richtig ein und hatte die Hafenanlagen in allen Einzelheiten vor sich.

Die „Rosa de los Vientos“ war mittlerweile auf der Reede angelangt und fuhr wieder eine Halse, die sie erneut auf nördlichen Kurs brachte. So lief sie mit langsamer werdender Fahrt an den ankernden Schiffen vorbei, Galeonen, Karavellen und Karacken, und näherte sich dem Einschnitt, der sich mitten zwischen den dichtgedrängt stehenden Häusern der Stadt öffnete.

Aurelio Vergara hatte den Befehl gegeben, Tuch wegnehmen zu lassen, und die „Rosa“ glitt nur noch mit dem Besansegel und der Blinde dahin.

„Betrachten Sie genau die Einfahrt“, sagte Kapitän Orosco. „Rechts gibt es eine Abzweigung, die sich in der Lough Atalia öffnet, eine Seitenbucht. Links liegt die Mündung des River Corrib, das ist der Fluß, der ganz Galway durchfließt. In der Mündung erstreckt sich gleich rechter Hand der Kai, und daran führt der Long Walk entlang, der durch den sogenannten Spanish Arch auf die Spanish Parade mündet, einen Platz, auf dem sich die spanischen Kaufleute treffen. Dort befinden sich auch die Lagerhäuser und die Läden der Schiffsausrüster.“

 

Interessiert sah Hasard auf den langen Kai und die wuchtige Mauer mit dem Rundbogentor an seinem Ende: Long Walk und Spanish Arch. Hinter dem offenen Tor glaubte er das Auf und Ab von Menschen zu erkennen, die sich auf der Spanish Parade bewegten, aber deutlich war es nicht zu sehen, denn der Bogen war zu klein. Außerdem versperrten die Masten und Takelagen der am Kai liegenden Schiffe zu einem guten Teil die Sicht.

„Der Torbogen befindet sich also genau in der Stadtmauer“, sagte er.

„Richtig“, entgegnete Orosco. „Und Sie glauben gar nicht, wie gut ganz Galway befestigt ist. Eben weil die Bewohner dauernd im Krieg mit den irischen Clans des Umlandes liegen, haben sie entsprechende Sicherheitsmaßnahmen ergriffen. Nachts werden Ketten über die Gassen gespannt, und eine Anzahl von Ortsstatuten bestimmt das tägliche Leben. Die Stadttore werden von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang geschlossen, jedes Tor wird nachts von sechs Männern der Stadtgarde bewacht. Wer nach Einbruch der Dunkelheit erscheint und sich nicht ausweisen kann, der wird festgenommen. Alle Fremden, die in der Stadt logieren, werden vierzehntäglich überprüft.“

Der Seewolf ließ das Spektiv wieder sinken. „Sie kennen sich ja wirklich sehr gut aus, Capitán.“

Vergara lachte. „Genügt Ihnen das als Beschreibung der Situation? Wir laufen regelmäßig Galway an, Señor Killigrew, und ich selbst kenne die Stadt wie meine Westentasche. Ich will Ihnen noch eine Kleinigkeit verraten: Wer hier nicht Englisch sprechen kann und nicht seine Oberlippe rasiert, wer also wie ein Ire wirkt, der gilt nicht als freier Mann und darf auch festgenommen werden. Wir Spanier werden natürlich etwas anders behandelt, sonst würde der Handel mit Galway wohl über kurz oder lang total zusammenbrechen.“ Bedeutungsvoll fuhr er sich mit den Fingern über seinen gepflegten Oberlippenbart. Er war Ende der Zwanzig und fünf Jahre jünger als sein Kapitän, mittelgroß und breitschultrig, aber nicht untersetzt, ein kräftiger schwarzhaariger Mann, gebürtig aus Andalusien.

„Sie brauchen sich also nicht zu rasieren“, sagte Hasard trocken. „Aber was fange ich mit unserem Big Old Shane an? Er würde sich heftig sträuben, wenn ich ihm raten würde, sein Bartgestrüpp abzunehmen.“

„Warten Sie damit“, riet Don Juan Bernardo Orosco. „Señor Vergara, Sie begleiten nach unserem Anlegemanöver Señor Killigrew und seine Kameraden an Land und helfen ihnen somit über die ersten Hürden.“

„Si, Señor“, antwortete Vergara. „Dazu gehört wohl auch, daß ich ihnen ein Quartier für die Nacht besorge.“

„Allerdings, Señor Vergara“, sagte der Kapitän, und dann war er mit seinen Gedanken bereits beim Löschen der Ladung und bei den Geschäften, die er in Galway zu tätigen gedachte. Er wurde in der Stadt von den spanischen Kaufleuten erwartet, in deren Auftrag er segelte. Ihre Handelsinteressen stellte er allen politischen Belangen voran, und Vergara ging mit dieser seiner Einstellung völlig konform. Wie hatten sie doch so richtig gesagt? Sie waren keine Fanatiker, keine blindwütigen, heißblütigen Patrioten, die fürs Vaterland durch glühende Kohlen gegangen wären und sich den Kopf hätten abschlagen lassen, wenn Philipp II. nur mit dem kleinen Finger gewinkt hätte.

Hasard rief sich dies noch einmal ins Gedächtnis zurück.

Er konnte Orosco und seinen Ersten sehr gut verstehen.

Die „Rosa de los Vientos“ hatte die Flußmündung erreicht und näherte sich dem Long Walk. Sie stemmte sich gegen die Strömung des River Corrib, stand plötzlich auf der Stelle und schob sich dann allmählich nach Steuerbord, auf den Kai mit den steinernen Pollern zu, an denen die Leute zum Wahrnehmen der Leinen bereits warteten. Am Ende der langen Reihe liegender Schiffe war, wie Orosco richtig erkannt hatte, noch genug Platz für die Galeone frei.

Befehle schallten über Deck, der Rudergänger legte das Ruder noch ein Stück weiter nach Lee, und das Anlegemanöver begann.

Noch einmal verabschiedete sich Don Juan Bernardo Orosco vom Seewolf, dann trat er auf dem Hauptdeck auch zu Shane, Dan, Batuti, Gary und Matt und schüttelte ihnen die Hände.

Zu den Zwillingen beugte er sich hinunter und sagte: „Prachtjungen, ich wünschte, ich hätte auch solche Söhne.“

„Danke, Señor“, sagte Philip junior.

„Señor, gestatten Sie mir eine Frage?“ sagte Hasard junior, ebenfalls in perfektem Kastilisch.

„Aber sicher doch.“

„Sind Sie eigentlich verheiratet?“

„Ja, mein Junge.“

„Und Sie haben keine Kinder?“

„Noch nicht, aber ...“

„Aber was nicht ist, kann ja noch werden“, vollendete Hasard junior den begonnenen Satz.

Sein Vater sah ihn strafend an, aber Don Juan zog die Zwillinge zu sich heran, drückte sie einmal kräftig gegen seine Schultern und richtete sich dann wieder auf. Er lachte so laut und herzlich, daß sich ein paar Männer auf dem Long Walk zu ihm umdrehten.

„Macht weiter so“, sagte er. „Eifert eurem Vater nach, dann kann nichts mit euch schiefgehen.“

Arwenack, der Schimpanse, hatte inzwischen seinen Platz im Vormars der „Rosa“ verlassen und war in den Wanten auf die Back abgeentert. Er sprang auf die Kuhl hinunter, eilte mit watschelndem Gang zu den Zwillingen und griff nach ihren Händen. Er hüpfte zweimal auf der Stelle, dann gab er einen grunzenden Laut von sich und zeigte dem Kapitän seine großen Zähne.

„Hermoso!“ rief Aurelio Vergara. „Was, in aller Welt, hat denn das zu bedeuten?“

„Er ist eifersüchtig“, erwiderte Dan O’Flynn grinsend. „Er mag es nicht, wenn man die Jungen anfaßt. Sie sind seine besten Freunde.“

„Ja“, sagte Gary Andrews leise. „Und zu dritt haben sie dem Koch ein paar Früchte geklaut. Hoffentlich hat er’s nicht gemerkt.“ Vorsichtshalber sagte er es auf englisch, aber außer Dan und Matt, die dicht bei ihm standen, konnte es ohnehin niemand hören.

Matt Davies trat zu Hasard.

„Sir“, sagte er mit säuerlicher Miene. „Wenn ich etwas vorschlagen darf ...“

„Du darfst, Matt.“

„... dann würde ich dem verdammten Affen einen Sack überstülpen, damit er nicht so auffällt. Sobald das Volk von Galway ihn und obendrein noch Batuti sieht, könnte der Eindruck entstehen, halb Afrika wäre hier.“

Orosco, Vergara und die anderen Spanier, die ihre Schiffsgäste umringten, blickten sich untereinander verständnislos an. Auch Matt hatte Englisch gesprochen.

„Wiederhole das mal auf spanisch“, sagte der Seewolf. „Ich finde es nicht höflich, daß wir jetzt nur noch im breitesten Cornwall-Dialekt miteinander reden.“

Matt tat, wie ihm geheißen, und die Spanier begannen so breit zu grinsen wie Dan O’Flynn, Big Old Shane, Gary Andrews und die Zwillinge.

Nur Batuti, der schwarze Herkules aus Gambia, grinste nicht. Er sah Matt zornig an und sagte: „Soll Batuti sich vielleicht auch einen Sack überstülpen, was? Oder soll er sich die Haut in Streifen abziehen?“

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