Seewölfe - Piraten der Weltmeere 248

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 248
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Impressum

© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-584-2

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Endlich – der große Strom war erreicht, und erfreulicherweise bot er sich den Augen der Männer an Bord der „Isabella VIII.“ doch anders dar, als sie ihn sich so manches Mal vorgestellt hatten.

Keine lehmigen Fluten wälzten sich ihnen da entgegen, keine öde Sandwüste, wie Old Donegal Daniel O’Flynn sie in seinen düstersten „Gesichtern“ zu erkennen geglaubt hatte, dehnte sich an den flachen Ufern aus. Alles war ganz anders, freundlicher und einladender.

Das Nildelta erstreckte sich tiefgrün, saftig, wie hingegossen zwischen den beiden Wasserarmen, die sich nördlich der Stadt Kairo trennten und bei Rosetta und Damietta – oder Rashid und Dumyât, wie die beiden Orte auf arabisch hießen – ins Mittelmeer mündeten. Lehmhütten und Dattelpalmen konnten die Seewölfe in der Nähe der Ufer erkennen, und Reis, Hirse, Mais und Klee wurden in den Niederungen angebaut. Die Landschaft schien eine einzige fruchtbare Oase zu sein.

Bei Damietta, das am östlichen der beiden Nilarme lag, hatte die „Isabella“ an diesem Morgen ihre flußaufwärts führende Reise begonnen. Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, nutzte den frischen, aus nördlichen Richtungen wehende Wind redlich aus, er hatte das Großsegel, die Fock, die Blinde und das Besansegel setzen lassen, um so schnell wie möglich voranzugelangen.

Ben Brighton, der Erste Offizier und Bootsmann, und Edwin Carberry, der Profos, hielten die Crew auf Trab, denn ständig mußten wegen der wechselnden Windrichtung und der Flußbiegungen, deren Verlauf die Galeone folgte, die Segel nachgetrimmt und besser an den Wind gebracht werden. So stemmte sich das Schiff gegen die Strömung des überraschend klaren Wassers und segelte El Mansûra entgegen, einer größeren Stadt, die am Ende des ersten Drittels der Etappe von Damietta nach Kairo lag.

Old O’Flynn, sein Sohn Dan, Big Old Shane, und Ferris Tucker hatten sich auf dem Achterdeck zu Hasard gesellt, während Ben nach wie vor unten auf dem Hauptdeck stand und die Segelmanöver überwachte.

„Das wird kein leichter Törn, trotz des Glücks, das wir mit dem Wind haben“, sagte Shane, der ehemalige Schmied von Arwenack. „Und wir kommen nicht drum herum, ständig die Wassertiefe auszuloten, denn wenn wir erst auf eine verdammte Sandbank brummen, ist guter Rat teuer.“

„Allerdings.“ Hasard blickte nach vorn. Al Conroy, der sich auf der Galionsplattform niedergelassen hatte und als Loggast ständig die Wassertiefe aussang, war von hier aus zwar nicht zu sehen, weil das Vorkastell die Sicht verdeckte, er war aber sehr wohl zu hören. „Das bedeutet eben, daß die Männer sich der Reihe nach den Bauch auf der Galion blankscheuern dürfen. Anders geht es nicht.“

Old O’Flynn wandte sich von der Betrachtung der Fellachen-Siedlungen ab, die zu beiden Seiten des Flusses auf flachen Hügeln erbaut waren, auf Mounds, die aus den Relikten verlassener Häuser errichtet worden waren.

„Die Leute da“, sagte er. „Ob wir mit denen wohl Ärger kriegen?“

„Nein“, erwiderte der Seewolf. „Sie beäugen unsere alte Lady zwar neugierig, aber sie haben nichts Arges im Sinn. Sie sind nicht kriegerisch wie etwa die Beduinen. Sie bestellen nur friedlich ihr Land. Ich glaube, sie haben nicht einmal Waffen.“

„Meiner Meinung nach sind das ganz arme Teufel“, fügte Dan O’Flynn hinzu. „Die haben es schwer genug und denken nicht daran, irgend etwas gegen uns auszuhecken.“

„Kann schon sein“, sagte sein Vater. „Deswegen traue ich ihnen aber trotzdem nicht.“

„Wie üblich“, ließ sich Ferris Tukker vernehmen. „Und was hast du sonst noch zu meckern, Donegal?“

„Zu meckern habe ich gar nichts. Ich melde nur meine Bedenken an. Was ist mit den Türken, Sir. Du hast doch gesagt, daß sie hier in Ägypten die Herrschaft führen, oder?“

Der Seewolf warf wieder einen Blick auf die Männer, Frauen und Kinder, die sich von ihrer Arbeit auf den Feldern aufrichteten und zu ihnen herüberschauten, dann entgegnete er: „Ägypten gehört zum großen Ottomanischen Reich. Die Türken haben hier tatsächlich alles an sich gerissen und die Menschen unterworfen. Wie ich mir vorstellen kann, knechten sie die Bevölkerung tüchtig und treiben ihre Steuern mit aller Härte ein.“

„Das sähe den Brüdern ähnlich“, brummte der Alte. „Die passen auf wie die Luchse, nichts entgeht ihrer Aufmerksamkeit. Spätestens in El Mansûra setzen sie uns einen Schuß vor den Bug und zwingen uns zur Umkehr.“

„Nicht, wenn wir uns als Kauffahrer ausgeben und behaupten, in Kairo jede Menge Waren einkaufen zu wollen“, sagte der Seewolf.

„Richtig, das weckt ihren Geschäftsgeist“, meinte Dan.

Sein Vater warf ihm einen ärgerlichen Blick zu. „Und wenn sie tausendmal Krämerseelen sind, auf diesen Trick fallen sie nicht herein, schon gar nicht, wenn wir uns als Spanier tarnen.“

„Als Spanier will ich mich nicht ausgeben“, widersprach Hasard. „Die Türken haben immer noch eine lebhafte Erinnerung an Lepanto, obwohl die Schlacht zwanzig Jahre zurückliegt. Sie sind den Spaniern, den Portugiesen, den Genuesen und Venezianern spinnefeind, daran gibt es nichts zu rütteln.“

„Und auf die Engländer sind sie gut zu sprechen?“ sagte Old O’Flynn mit grimmiger Miene. „Nein, nein, das kann mir keiner einreden. Mir ist dieser ganze Nil nach wie vor nicht geheuer, so hübsch die Landschaft auch sein mag.“

„Zum Teufel, Donegal“, sagte Big Old Shane. „Deine Ansichten kennen wir ja nun zur Genüge. Verschone uns lieber damit. Wir wollen zu den Pyramiden, und keiner kann uns daran hindern, sie uns wenigstens mal aus der Nähe anzuschauen.“

„Anschauen sollst du sie ja auch“, versetzte der Alte hämisch. „Nur sollst du nicht darin rumstöbern, das werden die Türken zu verhindern wissen.“

„Langsam, langsam“, sagte der Seewolf. „Sie können nicht alle Geheimnisse der Pyramiden kennen. Nach allem, was wir bisher gehört haben, ist es nicht gerade ein Kinderspiel, den Eingang zu den uralten Grabkammern zu finden.“

Fast betrübt sah der Alte jetzt seinem Kapitän ins Gesicht. „Das glaube ich dir gern. Aber was handeln wir uns damit ein, wenn wir die alten Pharaonen in ihrer Ruhe stören? Bestimmt lastet ein Fluch auf den Pyramiden, und wenn wir erst in so einer Gruft eingeschlossen sind und so eine Mumie zum Leben erwacht, um uns zu würgen, ist für uns alles zu spät.“

„Das hab ich mir gedacht!“ stieß Shane aufgebracht hervor. „Darauf mußte es ja hinauslaufen. Jetzt geht’s wieder los mit den verfluchten Unkereien und Gruselgeschichten.“

Hasard lachte. „Nun hört schon auf. Denkt lieber an das Gold, das in den Gräbern der Pharaonen liegen soll.“

„Ja, Sir“, sagte Ferris. „Wir denken daran. Aber es ist noch ein verflixt weiter Weg dorthin, nicht wahr?“

„Wenn wir bis zum ersten Katarakt des Nils segeln, ja. Die Entfernung beträgt über fünfhundert Seemeilen und umgerechnet mehr als sechshundert Landmeilen. Bis zu den Stromschnellen soll der Fluß schiffbar sein, das hat jedenfalls Ibrahim behauptet.“

„Ja, Ibrahim, dieses alte Schlitzohr“, brummte der Alte. „Aber dem traue ich auch nicht so recht über den Weg.“

„Du traust sowieso keinem, Dad“, bemerkte sein Sohn mit dem Anflug eines Grinsens. „Aber berücksichtige bitte, daß sich so manches, was Ibrahim uns erzählt hat, mit dem deckt, was auch aus unseren Karten hervorgeht.“

„So? Dann also auf zu den Pharaonen, ihr seid ja doch nicht zurückzuhalten“, sagte sein Vater mit gallebitterem Gesichtsausdruck.

Hasard legte ihm die Hand auf die Schulter. „Nein, Donegal, keiner will dich übergehen. Ich bin der Kapitän der ‚Isabella‘, und ich lasse mir nicht gern in meine Entscheidungen hineinreden. Aber in diesem Fall bin ich doch für eine Abstimmung über das, was weiter geschehen soll. Selbstverständlich ist die Reise ein Wagnis. Was vor uns liegt, ist unberechenbar. Es ist meine Pflicht, euch alle zu befragen und anzuhören, und genau das will ich jetzt tun. Dan, hol bitte die fünf Karten aus meiner Kammer, damit wir sie noch einmal vergleichen können.“

„Aye, Sir“, sagte Dan O’Flynn, und damit war er schon vom Achterdeck verschwunden.

Der Seewolf schritt zum Backbordniedergang, der das Hauptdeck mit dem Achterdeck verband, und stieg auf die Kuhl hinunter. Er trat zu Ben Brighton und Ed Carberry an die Nagelbank des Großmastes, blickte in die Runde und rief: „Alle mal herhören!“

Die Männer auf der Kuhl und auf der Back – auch die Freiwache befand sich an Deck, um die unbekannte Landschaft ausgiebig zu betrachten – sahen sich untereinander an. Sie konnten sich bereits ausmalen, was jetzt folgte.

 

Das Fellachendorf, an dem die „Isabella VIII.“ zu dieser Stunde vorbeisegelte, bestand aus gut zwei Dutzend Lehmhütten, die mit Durra-Stroh gedeckt waren. Das größte Haus auf der Kuppe des Mounds gehörte Rufael, der in seiner Funktion als Gaffir, als Aufseher, über die Ernteerträge der Fellachen zu wachen hatte. Er war der direkte Beauftragte des türkischen Verwalters in El Mansûra, nur diesem verantwortlich und hatte selbst von dem Umda, dem Bürgermeister des Dorfes, keine Anweisungen entgegenzunehmen. Im Gegenteil, der Umda war ihm, der die Steuerzahlung in Naturalien überwachte, sogar unterstellt.

Rufael saß auf einem geschnitzten Holzgestühl vor der Tür seines Hauses und ließ sich die Mittagssonne aufs Haupt scheinen. Er hatte die Beine weit von sich gestreckt und die Schöße seiner Djelaba, des langen Übergewandes, ein wenig gerafft. Die Hände hatte er auf dem Bauch gefaltet, und nur hin und wieder drehte er die Daumen ein wenig umeinander, doch auch dies schien ihm jetzt, nach dem Essen, unendliche Mühe zu bereiten.

Rufael war ein dicker Mann mit vollem, rosigem Gesicht, bartlos und von der Natur mit kleinen, glitzernden dunklen Augen versehen. Seinem Äußeren nach zu urteilen, mußte er ein gutmütiger Mann sein, doch alle, die ihn kannten, wußten, daß genau das Gegenteil der Fall war.

Er war ein ausgekochtes Schlitzohr und obendrein ein Leuteschinder, der notfalls über Leichen ging, wenn es galt, sich seinen persönlichen Vorteil zu sichern. Er, der gebürtige Ägypter, hatte sich nur allzu bereitwillig der türkischen Oberherrschaft unterworfen, denn seine Devise lautete, daß nur der in dauerhaftem Wohlstand lebte, der es verstand, sein Fähnchen nach dem gerade wehenden Wind zu richten.

Die Februarsonne ließ sich ohne Fächer oder Sonnenschirm ertragen, sie hatte genau die richtige Kraft, um Rufaels Leib und Gemüt ein wenig, aber nicht zu sehr zu erwärmen.

Aus schmalen Augen beobachtete er das große dreimastige Segelschiff, das majestätisch wie ein riesiger Schwan auf dem Fluß entlangglitt, vorbei an den Feldern, auf denen sich die Fellachen mit ihren einfachen Geräten abplagten und so manchen leisen Fluch gegen Rufael ausstießen.

Was wollte der Kapitän der Galeone hier, im Nildelta, was mochte sein Ziel sein? Der Flagge nach, die im Besantopp wehte, schien er ein Engländer zu sein.

Ein Giaur also, dachte Rufael träge, ein verfluchter Ungläubiger. Der Scheitan soll ihn holen, hoffentlich läuft er auf eine Untiefe, aber wenn, dann bitte weiter südlich bei El Mansûra, damit er ja nicht auf die Idee verfällt, mich um Hilfe zu ersuchen.

Vielleicht, so dachte er weiter, will er nach El Qâhira, nach Kairo. Wenn er jemals dorthin gelangt, so wünsche ich ihm, daß er sich die Ruhr und die Cholera wegholt und die Würmer seine Eingeweide fressen.

Rufael verachtete zutiefst alle Andersgläubigen und verfluchte sie in seinen bizarren Gedanken gern bis in die tiefsten Höllenschlünde. Räudige Hunde, dachte er, wenn die Kinder Mohammeds bei Lepanto gesiegt hätten, wäret ihr heute nicht hier, sondern wir würden auf euren Ländereien sitzen und mit der Peitsche die Steuern von euch eintreiben.

Er klatschte in die Hände und sagte: „Kabil, wo steckst du? Kabil, komm heraus!“

Zwei schlanke Hände schoben sich aus dem Dunkel des Hauseingangs hervor und teilten den Perlschnürevorhang. Kabil, Rufaels Diener, erschien und verbeugte sich. Er war ein mittelgroßer, kräftiger junger Mann mit ausdrucksvollen Zügen, die Intelligenz verrieten.

„Hier bin ich, o Herr“, sagte er. „Wie lautet euer Befehl?“

„Bring mir etwas Tamarindensaft, sonst trocknet mir die Zunge am Gaumen fest.“

„Sofort, o Herr.“ Kabil hatte sich aufgerichtet und lenkte seinen Blick unwillkürlich zum Fluß, wo die „Isabella VIII.“ sich anschickte, die nächste Biegung zu nehmen.

Kabils Mund öffnete sich in grenzenlosem Erstaunen. Es war, als sei, er durch den Anblick des fremden Schiffes in einen Bann geraten. Wie gelähmt stand er da.

Rufael wandte sich nicht zu ihm um, weil ihm dies zuviel Mühe bereitet hätte. Doch er schien auch in seinem Hinterkopf Augen zu haben, denn er stieß einen Fluch aus und rief: „Was stehst du noch herum, du Sohn eines blatternarbigen Schakals? Soll ich dir mit der Gerte Beine machen?“

„Nein, Herr, nein.“ Kabil drehte sich um und schlüpfte zwischen den Perlschnüren hindurch zurück ins Haus. Beeil dich, rasch, trieb er sich in Gedanken an, damit er nur keinen Verdacht schöpft.

Er trat an den großen Messingbehälter, in dem sich der kühle Tamarindensaft befand, füllte einen Becher mit dem süßen Naß und trug ihn auf einem Tablett hinaus zu dem dikken Mann.

Rufael griff mit seinen kurzen, stämmigen Fingern nach dem Becher, hob ihn an die Lippen und leerte ihn in einem Zug.

Kabil konnte nicht anders, er mußte wieder zu dem Schiff sehen, das jetzt allmählich um die Biegung des Nils verschwand. Die Masten und die Aufbauten waren aber auch weiterhin zu sehen. Bald schien die „Isabella“ im Grün der Felder zu schwimmen.

Das darf nicht wahr sein, dachte Kabil ergriffen, du täuschst dich, ganz bestimmt gaukelt dein Geist dir etwas Falsches vor.

Doch da waren die hohen Masten und die flachen Aufbauten der „Isabella“, da war der White Ensign mit dem roten Georgskreuz hoch oben am Besanmast. Und alle anderen Einzelheiten, an denen sich Kabils Blick nach und nach festklammerte, bestätigten, daß er sich doch nicht geirrt hatte.

Nur allzugut vermochte er sich dieses Schiffes zu entsinnen, auf dem er selbst von Marokko bis zu den Balearen gereist war, fort aus der Gefangenschaft und hinaus in die Freiheit, die damals so vielversprechend begonnen hatte.

Ihm traten die Tränen in die Augen, heiß und brennend, er konnte sich nicht dagegen wehren. Für einen Moment war er versucht, einfach das Tablett fallen zu lassen oder es dem dicken Rufael auf den Kopf zu schlagen und dann der „Isabella“ nachzurennen.

Doch er wußte, daß es ihm nicht gelungen wäre, an Bord des Schiffes zu gelangen. Zu groß war die Entfernung, und zwischen ihm und dem Fluß dehnten sich die Felder aus, auf denen die Fellachen arbeiteten. Wenn Rufael auch nur einen einzigen Schrei ausstieß, würden die Bauern aufhorchen – und es waren viele unter ihnen, die ihm, Kabil, den Fluchtweg abschneiden würden, denn es konnte ihnen einen immensen Vorteil verschaffen, wenn sie Rufael einen Gefallen taten.

Wer weniger Steuern zahlte, der durfte etwas unbesorgter in die nahe Zukunft blicken. Kabil konnte es den armen Teufeln nicht einmal verübeln, daß sie sich bei Rufael anzuschmeicheln versuchten. Was sollten sie sonst tun, um ihre erbärmliche Existenz ein wenig zu verbessern?

Schon einmal hatte Kabil einen Fluchtversuch unternommen, der ihm auch fast geglückt wäre. Aber Rufael hatte alles darangesetzt, ihn wieder einzufangen. Dann hatte er ihn ausgepeitscht. Seitdem mußte Kabil nachts mit einer Kette am Fuß schlafen, deren anderes Ende an der Hauswand befestigt war.

Kabil war Rufaels Leibeigener. Rufael hatte mit harter Münze für ihn bezahlt, und nichts auf der Welt konnte ihm sein Eigentum wieder wegnehmen.

„Was glotzt du diesem Schiff nach, Bengel?“ fragte der dicke Mann, nachdem er genüßlich geschmatzt und den Becher wieder weggestellt hatte. „Hast du noch nie einen Segler auf dem Nil gesehen?“

„Keinen so schönen, o Herr.“

„Es ist eine Galeone, nicht wahr?“

„Ich glaube schon“, entgegnete Kabil vorsichtig.

„Was heißt hier, ich glaube? Ich denke, du kennst dich mit Schiffen gut aus! Oder hast du mir das nur vorgelogen?“

„So groß sind meine Erfahrungen nun auch wieder nicht, werter Rufael …“

„Du bist auf dem Mittelmeer herumgesegelt, während ich mich nie aus meinem Heimatort weggerührt habe“, sagte Rufael zornig. „Das genügt. Du bist ein halber Seemann.“ Plötzlich ruckte sein. Kopf herum, und er fixierte Kabil mit seinen kleinen Augen. „Ist es nun eine Galeone oder nicht?“

„Eine englische Galeone, o Herr.“

„Na also. Und es könnte dir gerade so passen, mit ihr zu türmen, was?“

„Nein, Herr. Das würde ich niemals wagen. Erstens, weil ich euer treuer Diener bin. Zweitens, weil die Engländer mich sowieso niemals bei sich aufnehmen würden.“

„Drittens, weil ich dich halb totpeitschen würde, wenn du wieder versuchen würdest, abzuhauen.“

„Das weiß ich, o Herr. Deshalb laufe ich nicht wieder weg.“

„Aber deine Augen glänzen so merkwürdig.“

„Das kommt von der Sonne, Herr.“

„Geh zurück ins Haus und hol mir noch etwas von dem Saft“, sagte Rufael barsch. „Beeil dich gefälligst, wenn du keine Schläge haben willst.“

Kabil, der Junge vom Stamme der marokkanischen Shilh, kehrte ins Haus zurück und dachte: Und ob ich es versuche! Ich fliehe, Rufael, du Bastard, spätestens heute nacht, und ich töte dich, wenn du mich daran zu hindern versuchst.

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