Seewölfe - Piraten der Weltmeere 205

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 205
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Impressum

© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-541-5

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1.

Kapitel 2.

Kapitel 3.

Kapitel 4.

Kapitel 5.

Kapitel 6.

Kapitel 7.

Kapitel 8.

Kapitel 9.

Kapitel 10.

1.

Wie vom Donner gerührt stand Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, auf dem großen freien Platz, der sich zwischen den Holzhütten und der geräumigen Hafenbucht des spanischen Gefangenenlagers erstreckte.

Nur wenige Zoll neben seinem rechten Stiefel lag der Degen, den er soeben auf Don Felix Maria Samaniegos Befehl hin hatte fallen lassen müssen.

Es war aus.

Der Kampf, den Hasard an der Spitze seiner Männer so kühn begonnen und durchgefochten hatte, war verloren. Die Spanier waren als Sieger daraus hervorgegangen, und dabei hatte doch alles so ganz anders kommen sollen.

Hasard hatte Sumatra-Jonny und die anderen in Ketten liegenden Engländer, aber auch einige Franzosen und Holländer aus dem Palisadenlager und dem zum Teil fertiggestellten Festungsneubau von Airdikit auf Sumatra befreien wollen, aber das hatten der Kommandant und seine Soldaten gründlich zu vereiteln verstanden – und auch Ben Brighton und die anderen Männer der Crew, die draußen auf See an Bord der „Isabella VIII.“ warteten, konnten dagegen nichts mehr unternehmen.

Jetzt würden auch Hasard und seine Männer in Ketten gelegt werden, und man würde sie mit Peitschenhieben dazu zwingen, das Kastell zu errichten, von dem aus die Spanier eines Tages den Süden der großen Insel und die gesamte Mentawaistraße kontrollieren und beherrschen wollten.

Aber das war noch lange nicht das Schlimmste. Zwei von Hasards sieben Männern, die an diesem verwegenen Raid teilgenommen hatten, hatten die Niederlage mit ihrem Blut bezahlt.

Blacky lag reglos auf der dunklen Erde, die Soldaten hatten ihn hergeschleppt und soeben zu Boden sinken lassen. Ein Musketenschuß hatte ihn getroffen. Die Wunde schien sich unterhalb seiner rechten Schulter zu befinden, soweit der Seewolf erkennen konnte. Blacky verlor viel Blut, und es würde immer mehr werden, was im weichen, warmen Untergrund versickerte.

Ferris Tucker konnte sich kaum noch auf den Beinen halten, er kniete mehr, als daß er stand, obwohl zwei Soldaten ihn fest im Griff ihrer Hände hielten. In seiner Brust war ein häßliches, düsteres Loch. Er hatte die Augen weit aufgerissen und öffnete in diesem Augenblick den Mund, als wollte er seinem Kapitän etwas zurufen.

Er brachte jedoch nur ein unterdrücktes Röcheln hervor.

Don Felix trat mit zwei Schritten zwischen den Seewolf und die breite Front seiner Soldaten und hob den Kopf. Sein schmales Gesicht mit den scharfgeschnittenen Asketenzügen nahm den Ausdruck des Triumphes und der Genugtuung an.

Heiß blies der Sturmwind über die Lichtung und griff nach Hasards schwarzen Haaren. Er zerrte daran und schien ihm höhnisch in die Ohren zu heulen: Du hast verloren, bist ein Versager, ein Versager auf der ganzen Linie!

Erst jetzt wurde dem Seewolf bewußt, daß er sich grenzenlos leichtsinnig benommen hatte. Während Don Felix seinen Männern Worte der Anerkennung zurief, überschüttete er sich in seinen Gedanken mit Selbstvorwürfen.

Dabei hatte alles vielversprechend und mit den besten Aussichten auf einen vollen Erfolg begonnen.

Am frühen Morgen hatte die „Isabella VIII.“ die südliche Küste von Sumatra erreicht. Unter dem Einfluß des stürmischen Windes und dem drohenden Ausbruch eines schweren Wetters hatte der Seewolf dicht unter Land manövrieren lassen, um nötigenfalls in eine geschützte Ankerbucht verholen zu können.

So hatten die Männer der „Isabella“ aus reinem Zufall Morgan Young, den entflohenen Kettensträfling, entdeckt und ihn aus dem Wasser gezogen, ehe seine Verfolger oder die gefährlichen Salzwasserkrokodile über ihn herfallen konnten. Young war nur leicht am Bein verletzt worden.

Er hatte alles erzählt: wie sie in der Nacht zu zweit aus dem Palisadenlager geschlüpft waren, nachdem sie sich von ihren Ketten hatten befreien können, wie sie aber die Verfolger dicht im Nacken gehabt hatten. Romero, der junge Spanier, war von den Soldaten erschossen worden, bevor er sich wie Young im Dschungel hatte verstecken können.

Dann hatten die Seewölfe zu ihrer Überraschung erfahren, daß auch Sumatra-Jonny und zehn Männer seiner neuen Crew im Lager der Spanier festsaßen und zur Fronarbeit gezwungen wurden. Wie Jonny mit der „San Rosario“ hierhergeraten war, obwohl er doch die beiden seinerzeit von den Spaniern entführten Maori-Mädchen zurück nach Neuseeland hatte bringen sollen, war Hasard und seinen Männern unbegreiflich, aber das stand auf einem anderen Blatt.

Es galt weiterhin, Youngs Gefährten Trench, Josh Bonart, Sullivan und Christians sowie alle Holländer, Franzosen, Spanier und auch Portugiesen aus der Gewalt der Soldaten zu befreien, die willens waren, an diesem waghalsigen Ausbruchsversuch teilzunehmen.

Hasard hatte eine Pinasse kapern können, deren Besatzung auf der Suche nach dem im Busch verschwundenen Morgan Young die Küste abgeforscht hatte. Die komplette Mannschaft – acht Spanier – saß jetzt gefesselt im Kabelgatt der „Isabella“. Hasard, Carberry, Shane, Blacky, Dan O’Flynn, Luke Morgan, Ferris Tucker und Smoky hatten ihre Plätze eingenommen und waren als Spanier verkleidet mit der Pinasse in die Hafenbucht von Airdikit gesegelt. Hier hatten sie schließlich auch die „San Rosario“, Jonnys Schiff, vor Anker liegen sehen.

Sie hatten an einer Pier vertäut und gehofft, unerkannt bis zur Hütte des Kommandanten Samaniego zu gelangen, die ihnen von Morgan Young genau beschrieben worden war, aber dann, urplötzlich, waren sie von den Soldaten auf der Pier entlarvt worden. Daher hatte Hasard einen Sturm auf das Lager unternehmen müssen – mit Musketen, Tromblons, Pistolen, Flaschenbomben und Blankwaffen.

Don Felix Maria Samaniego mußte es geahnt haben, daß die Männer der Galeone, die seine Landtrupps von der Küste aus beobachtet hatten, mit einem Trick in das Lager zu gelangen trachteten.

Hasard erhielt jetzt die Bestätigung dafür, daß er sich dies nicht nur einbildete.

Don Felix wandte ihm das Gesicht zu und sagte: „Killigrew, meine Leute sind nach der erfolglosen Jagd auf Morgan Young rechtzeitig genug hierher zurückgekehrt, um mir alles melden zu können. Und aus ihrer Beschreibung des Schiffes, das da draußen vor der Küste liegt, habe ich folgern können, daß es sich um die berüchtigte ‚Isabella‘ handelt. Woher ich sie kenne? Ich war eine Zeitlang in Manila stationiert, und dort hat man mir ausführlich von ‚El Lobo del Mar‘ und seinem Schiff erzählt. Ich konnte es mir an den zehn Fingern abzählen, daß Sie durch eine List die Sträflinge herauszuhauen versuchen würden. Darauf habe ich mich eingerichtet und habe meinen Leuten entsprechende Anweisungen gegeben.“

Hasard hörte nur mit halbem Ohr hin. Sein Blick war unablässig auf die Gestalten seiner Männer gerichtet.

Smoky und Luke Morgan standen mit hängenden Köpfen da. Er konnte sich gut vorstellen, was jetzt in ihrem Inneren vorging. Sie schrieben sich die Schuld an der verhängnisvollen Wende zu, die die Dinge genommen hatten. Aber sie hatten selbst ihr Bestes gegeben und keinen einzigen Fehler begangen. Sie waren ganz einfach überrumpelt worden.

Ehe Ferris, Blacky, Smoky und Luke der Durchbruch zum Palisadenlager gelungen war, hatten die Spanier Verstärkung und Nachschub an frisch geladenen Waffen erhalten, und nur so hatten sie die vier Männer zur Aufgabe zwingen können.

Dann hatten die spanischen Soldaten ihre vier Gefangenen als Geiseln benutzt und somit das Duell zwischen dem Seewolf und Don Felix abrupt unterbrochen.

Nur Ed Carberry, Big Old Shane und Dan O’Flynn hatten das Palisadenlager erreicht und waren darin verschwunden. Soviel hatte der Seewolf während seines erbitterten Degenkampfes mit Samaniego verfolgen können. Aber was nutzte dieser Teilerfolg jetzt noch? Auch der Profos, Shane und Dan würden die Waffen strecken müssen.

Heftig fegte der Wind über Airdikit und trug alle Hoffnungen des Seewolfs davon, tief in den Dschungel hinein, wo sie sich zwischen Mangroven und Lianen verloren.

Hasards Blick richtete sich wieder auf Blacky.

„Blacky“, sagte er, und seine eigene Stimme klang ihm fremd und brüchig. „Mein Gott, Blacky.“

Blackys Gesicht hatte die Farbe alten Talges. Er schien nicht mehr zu atmen. Diese Feststellung traf Hasard wie ein Hieb. Er fühlte sein Herz heftig pumpen, bis in den Hals hinauf, und seine Knie wurden jetzt so weich, als müßten sie jeden Augenblick nachgeben.

War Blacky schon tot?

Der Profos hatte Sumatra-Jonny von den Eisenfesseln befreit, jetzt arbeitete er wie ein Besessener an den Ketten von Trench, einem von Morgan Youngs Kameraden. Big Old Shane und Dan O’Flynn waren dabei, mit dem von der „Isabella“ mitgebrachten Werkzeug Josh Bonarts Handschellen und Beinschäkel zu öffnen. Jonny kümmerte sich um einen halbnackten, hageren Eingeborenen – offenbar einen Batak oder Atjeh von Sumatra –, der zu seiner „glorreichen Zehn“ zu gehören schien.

 

Was draußen, vor den Palisaden, vorgefallen war, hatten sie nicht verfolgen können, und es war jetzt auch keine Zeit dafür, das Tor zu öffnen und ins Freie zu spähen.

„Verdammt“, sagte Carberry nur. „Das Schießen hat aufgehört. Das ist kein gutes Zeichen, Leute.“

„Unsinn“, meinte Shane und versuchte dabei zu lachen, was ihm allerdings mißlang. „Gleich geht das Tor auf, und Hasard, Blacky, Luke, Ferris und Smoky erscheinen. Ich schätze, Hasard hat Don Felix, den Oberhurensohn, besiegt und benutzt ihn jetzt als Geisel.“

„Genau das denke ich auch“, sagte Dan, aber seiner Miene war anzusehen, daß er davon genausowenig überzeugt war wie der graubärtige Schmied von Arwenack.

Carberry verzog das Narbengesicht zu einer wüsten Grimasse. „Ihr palavert euch selbst was vor. Da draußen ist eine Mordssauerei passiert, das schwöre ich euch. Los, beeilen wir uns, ehe die Dons auch uns zu packen kriegen.“

Er hatte Trenchs Ketten gelöst und wandte sich jetzt Sullivan zu. Trench gab er einen Schlegel, und dieser Mann eilte nun seinerseits zu Christians hinüber, der wie alle anderen Sträflinge nicht nur schwer mit Eisen behängt, sondern zusätzlich an einem in den Boden gerammten Pfahl festgekettet war.

Jonny hatte den hageren Eingeborenen befreit, und beide Männer arbeiteten nun an den Ketten ihrer gleich in der Nachbarschaft hockenden Kameraden.

Auch Josh Bonart konnte jetzt aus seinen Handschellen und Beinschäkeln schlüpfen.

Etwas später waren insgesamt neun Mann befreit, und Jonny nickte dem Profos zu. „Vier meiner Leute stehen hier neben mir, Profos, die anderen sitzen oben in der verfluchten Festung im Kerker, wie ich vorhin wohl schon gesagt habe.“

Der Narbenmann nickte ihm nur knapp zu, dann wandte er sich an Shane und Dan. „Und wir müssen die Burg im Sturm erobern, Freunde, sonst haben wir hier gleich verspielt. Wir müssen Ben mit einem der schweren Geschütze, die ich auf dem Söller gesehen habe, ein Zeichen geben, und er wird mit unserer alten Lady in die Hafenbucht rauschen, um den Dons Zunder zu geben.“

„Los, verlieren wir keine Zeit mehr“, drängte Big Old Shane. „Auf was warten wir noch?“

Sie drehten sich um und wollten zur Nordseite des Palisadenlagers laufen, aber einige Sträflinge streckten flehend die Hände nach ihnen aus und begannen, laut durcheinanderzurufen.

„Helft auch uns!“

„Laßt uns hier nicht zurück!“

„Habt Erbarmen mit uns!“

Carberry warf ihnen einige seiner Werkzeuge zu, so daß sie sie vom Boden aufnehmen und damit selbst an ihren Ketten arbeiten konnten. Shane und Dan folgten seinem Beispiel.

Jonny verfolgte dies nicht ohne Argwohn. „Es sind einige echte Galgenstrikke und Schlagetots unter diesen Kerlen“, gab er zu bedenken. „Das sind nicht alles Leute, die zu Unrecht hier eingesperrt wurden.“

„Egal“, sagte Shane. „Auch die größten Himmelhunde und Satansbraten sind uns jetzt eine Hilfe.“ Er blickte einen der Männer an, der gerade mit Carberrys Schlegel und Scharfeisen an seinen Handschellen herumwerkte. „He, du! Wißt ihr, wo die Spanier ihre Waffen aufbewahren?“ Er sprach ihn auf spanisch an.

Der Mann schaute kurz zu ihm auf und antwortete in einer Mischung aus Englisch und Holländisch: „Natürlich. In der zweiten Hütte gleich vor dem Tor der Palisaden.“

Shane sah zu Jonny hinüber. „Jonny, kann man sich auf diesen Mann verlassen?“

„Auf den schon“, erwiderte der dickbäuchige, krummbeinige Engländer. „Der ist ein brauchbarer Bursche, abgesehen davon, daß er eine schauderhafte Art zu sprechen am Leibe hat. Er heißt Leusen und stammt aus Holland.“

„Vorwärts“, sagte Carberry. „Ab zum Zaun und her mit dem Tau, das du am Gürtel trägst, Mister O’Flynn!“

Er lief als erster los. Dan folgte ihm und knotete hastig das Tau mit dem kleinen Enterhaken von seinem Gurt los, das er vorsichtshalber mitgenommen hatte, als sie von der „Isabella“ in die Pinasse der Spanier abgeentert waren.

„Leusen“, sagte Big Old Shane noch zu dem Holländer, diesmal auf englisch. „Übernimm du die Führung aller, die sich hier jetzt noch befreien können. Versucht, die Waffenhütte zu erreichen und das Arsenal soweit wie möglich auszuräumen. Dann kämpft ihr euch bis zu den Piers vor, nehmt eins der Boote und ergreift die Flucht.“

„In Ordnung!“ stieß Leusen gepreßt hervor.

Dann drehte auch Big Old Shane sich um und folgte seinen Kameraden.

Der Profos, Dan O’Flynn, Jonny und die acht anderen Männer hatten die Umzäunung derweil erreicht, und Dan schwenkte bereits das Tau und ließ den Enterhaken wirbeln. Der Haken flog an der Palisadenwand hoch und über die oben zugespitzten Pfähle weg. Das Tau straffte sich. Dan zog daran, und der Haken krallte sich hinter den Zaunspitzen fest.

Dan hangelte als erster an dem Tau hoch. Sekundenlang balancierte er auf den spitzen Pfählen, dann verschwand seine Gestalt. Die Palisadenwand war nicht höher als zehn Fuß, daher konnte man den Sprung hinunter riskieren, ohne dabei Gefahr zu laufen, sich die Knochen zu brechen.

Carberry kletterte als nächster an der hölzernen Wand hinauf und sprang Dan nach, dann folgten Shane, Jonny und die vier ehemaligen Decksleute der „Balcutha“ und schließlich die vier Männer, die zu Jonnys neuer Crew zählten. Drei von ihnen waren Eingeborene, einer ein Weißer.

Einer nach dem anderen landete sicher auf dem weichen, morastigen Boden jenseits der Palisadenwand. Dan, der Profos und Big Old Shane sicherten jetzt mit ihren Waffen nach allen Seiten, aber vorläufig tauchte keiner der Gegner auf.

Die Nordseite der Palisadenwand war vom Lagerplatz aus nicht zu überblicken. Die Spanier mußten erst ganz um das Lager herumlaufen, um sehen zu können, was sich an dieser Stelle abspielte, aber im Moment schien sich alles auf die Vorgänge bei den Hütten zu konzentrieren. Deshalb blieb der zwölfköpfige Trupp unbehelligt.

„Wir können uns ins Dickicht schlagen und ein Stück durch den Busch bis zu der Anhöhe laufen, auf der das Kastell steht“, schlug Jonny vor. „Ich kenne den Weg und weiß auch, wie wir am günstigsten in den Bau geraten, um ihn zu vereinnahmen.“

„Dann übernimm du jetzt die Führung“, zischte der Profos ihm zu. „Los, Mann, jeder Augenblick ist kostbar.“

Sie verschwanden in dem dichten, verfilzt und undurchdringlich wirkenden Gesträuch, das Feuchtigkeit und Hitze ausatmete.

Dichter ballten sich jetzt die Gewitterwolken über Airdikit zusammen, und es wurde immer dunkler, obwohl es auf die Mittagsstunde zuging. Die Schwüle war unerträglich und ließ jede Bewegung zur Last werden. Auch der Wind brachte keine Abkühlung. Nahe der Küste zuckte ein weit verästelter Blitz auf die See nieder, kurz darauf war ein drohendes Grollen zu vernehmen, das wie Kanonendonner heranrollte und verkündete, daß das schwere Wetter im Begriff war, sich direkt über Airdikit auszutoben.

2.

Der Sturmwind blies aus Richtung Südsüdwest gegen die Südküste von Sumatra und peitschte die Wasser der gesamten Mentawaistraße auf. In ihrem nördlichen Bereich, unweit der Insel Nias und keine fünfzig Seemeilen mehr vom Äquator entfernt, segelte zu dieser Stunde ein dreimastiges Schiff, nach dem die urwüchsigen Kräfte der Natur jetzt wie mit Teufelsklauen zu greifen schienen.

Das Schiff trug den Namen „Malipur“, aber der Schriftzug war weder an den beiden Seiten des Bugs noch am Heck klar zu erkennen. Längst hatten ihn die Fluten der See so weit verwaschen, daß die Galeone jedem fremden Beobachter gegenüber namenlos war.

Die Schäden an Rumpf, Schanzkleid und Aufbauten, die das Schiff bei früheren Überfahrten davongetragen hatte, waren nur flüchtig und unzureichend ausgebessert worden. Kaum besser war es um die Segel bestellt, die an vielen Stellen mit groben Flicken versehen waren. Hier und da hätte es einiger größerer Stücke Segeltuch bedurft, um die Löcher zu verdecken, die im Groß-, Großmars- und Vormarssegel, in der Fock, in der Blinde und im Besan klafften, aber der Kapitän unterließ dies absichtlich, weil er jetzt alle Decksleute brauchte, um die Galeone am Wind zu halten.

Die „Malipur“ war völlig unterbemannt.

Sie hatte nur eine vierzehnköpfige Besatzung, hätte aber mindestens die doppelte Zahl an Seeleuten gebraucht, zumal es bei der heillosen Unordnung, die im laufenden und stehenden Gut herrschte, vieler Hände und einer Menge guten Willens bedurft hätte, um alles wieder einigermaßen aufzuklaren.

Nun wäre es allerdings keine Schwierigkeit gewesen, in der Gegend, aus der die „Malipur“ gerade kam, noch mehr Männer für den harten Decksdienst anzuheuern. Der Grund, warum es der Galeone an Besatzung mangelte, lag woanders. Wer immer auch mit dem Anliegen an Kapitän René Joslin herangetreten wäre, die Mannschaft zu vergrößern, der wäre auf energischen Widerstand gestoßen.

Mit Händen und Füßen sträubte sich Joslin dagegen, mehr für dieses Schiff und seine Besatzung auszugeben, als eben notwendig war. Mehr Leute, das hätte selbstverständlich mehr Kosten bedeutet. Joslin war ein hartnäckiger, engstirniger Pfennigfuchser, der auch die kleinste Kupfer- oder Messingmünze noch zweimal umdrehte, bevor er sie ausgab.

Ihm war nur eins wichtig: die Ladung sicher und pünktlich im Bestimmungshafen abzuliefern.

Die Ladung bestand aus Seide und anderem Tuchwerk, aus kunstvoll genähten und bestickten Gewändern und einigen Gewürzsorten, wie es sie nur in der Region des unteren Ganges und seiner weitverzweigten Mündung zu kaufen gab. Lange hatte Joslin mit den indischen Händlern in den Dörfern am Golf von Bengalen herumgefeilscht, ehe er seine Fracht zusammengestellt hatte. Er hatte die Preise soweit wie möglich heruntergedrückt. In dieser besonderen Kunst verstand er, der geborene Franzose, sich als ausgesprochener Meister. Er war mindestens genauso redegewandt und wußte so gut zu gestikulieren und zu klagen wie die Eingeborenen selbst.

In Manila, der Hauptstadt der Philippinen, würde er alle diese Ware mit erheblichem Gewinn an den Mann bringen, das wußte er. Aber er durfte für die Reise nicht mehr Zeit als einen Monat verwenden. Zwar hatte er sämtliche Waren mit Persenning wasserdicht verpackt – und in diesem Punkt hatte er nicht mit Material gespart –, aber ihm war von Beginn an klar, daß das mörderisch feuchte Tropenklima Tücher, Kleider und Gewürze innerhalb einer Zeitspanne, die über dreißig Tage hinausging, erbarmungslos zersetzen würde. Die alles andere als erstklassigen Stoffe würden schimmlig werden und ihre Farbe verlieren, die Gewürze würden ungenießbar und zur Brutstätte winzigen Getiers, wenn er nicht aufpaßte.

Ehe dieser Verfallprozeß begann, mußte er Manila erreicht und sämtliches Frachtgut auf dem Markt veräußert haben – selbstverständlich als Handelsware erster Güteklasse, wobei es ihm nicht das geringste ausmachte, die spanischen und portugiesischen Senores und ihre schmuckbehängten Frauen nach Strich und Faden übers Ohr zu hauen.

Als Reiseroute hatte er die Mentawaistraße ausgewählt, obwohl es eigentlich günstiger für ihn gewesen wäre, durch die nördlich von Sumatra liegende Malakkastraße zu segeln. Joslin kannte zwischen Indien und den Gewürzinseln alle Schleichwege und verkündete gern mit Stolz, daß er bislang noch nie irgendwelchen Piraten oder Strandräubern in die Hände gefallen war. Er mied diese „zweibeinigen Haie“ – so nannte er sie –, wo er konnte, und da es zur Zeit in der Straße von Malakka von malaiischen und auch weißen Freibeutern geradezu wimmelte, nahm er lieber den kleinen Umweg in Kauf, statt Ladung und Leben zu riskieren.

Die „Malipur“ segelte mit Steuerbordhalsen und über Backbordbug liegend hart am Wind. Joslin, der selbst am Kolderstock stand, hatte sich an der Nagelbank des Achterdecks festgeleint und vollbrachte eine nahezu akrobatische Leistung, indem er eisern den Kurs seines Schiffes hielt und immer wieder dem Druck der überkommenden Seen standhielt, die ihn von seinem Platz wegfegen und gegen das Schanzkleid schmettern wollten.

Weit krängte die Galeone nach Backbord, so tief, daß ihr Kuhlschanzkleid immer wieder unterschnitt. Sie rollte so heftig und aufsässig in den Fluten, daß sie Joslin und seinen Leuten wie ein bockendes Roß erschien. Es knackte und knirschte in den Verbänden, der Wind heulte in den Wanten und Pardunen, als wollte er die Masten knikken, und das Brausen des Wassers war so stark, daß es jeden über Deck schallenden Ruf übertönte.

 

Schiff und Mannschaft lagen schon jetzt, vor dem eigentlichen Ausbruch des Wetters, im Kampf mit den Naturgewalten. Joslin blickte durch Wolken von Gischt zu seinen fluchenden Männern hinüber, die sich an den quer über die Decks gespannten Manntauen festgebunden hatten. Er wußte, was sie dachten. Sie schickten ihn und die Ladung zum Teufel und sehnten eine geschützte Bucht herbei, in die sie verholen konnten.

Aber Joslin war unerbittlich. Er wollte keine Zeit verlieren. Der Sturm konnte Tage andauern, man konnte gerade in diesen Breiten kaum berechnen, wann er wieder aufhörte. Lag er, Joslin, mit seiner Galeone aber erst einmal in einer Bucht fest, so kam er nicht wieder hinaus, ehe Wind und Seegang es zuließen.

Nein, lieber wetterte er diesen Sturm ab.

Er war wieder einmal froh, keine Offiziere zu haben. Die Schiffsführung identifizierte sich einzig und allein mit seiner Person. Außer ihm gab es nur das gemeine Schiffsvolk von vierzehn Mann, das jeden Befehl widerspruchslos auszuführen hatte, weil er sonst hart durchgriff.

Joslin hatte schon auf hoher See aufmuckende Männer erschossen, um ein Exempel zu statuieren. Wenn es nach Meuterei roch, kannte er keine Rücksicht. Nur zu genau wußte er, was es bedeutete, wenn man sich freundlich und nachgiebig verhielt. Das brachte nichts ein. Auf dem Schiff, mit dem Joslin dereinst nach Indien gelangt war, hatte es auch eine Meuterei gegeben – und René Joslin hatte mit zu der Bande der Anstifter gehört.

Sie hatten den Kapitän und die Offiziere umgebracht, sich später über den Zeitraum von etwas mehr als einem Jahr der Piraterie verschrieben und in den indischen Küstengewässern und rund um Ceylon herum fremde Schiffe überfallen. Sie hatten geplündert und gebrandschatzt, aber viel eingebracht hatte es ihnen nicht. So hatte Joslin sich schließlich von den alten Kumpanen getrennt – in gütigem Einvernehmen, wie das seine Art war, wenn es die eigene Haut ungeschoren zu lassen galt.

Joslin hatte sich monatelang an den Küsten herumgetrieben, bis er im Mündungsdelta des Ganges schließlich auf die gestrandete Galeone gestoßen war. Ein Sturm hatte sie auf eine Sandbank geworfen, die Besatzung war ertrunken oder von herabstürzenden Rahen erschlagen worden.

Es hatte sich um ein spanisches Schiff gehandelt, aber Joslin hatte den alten Namen rasch von den Bordwänden geschabt und eine Neutaufe auf den Namen „Malipur“ vorgenommen.

Es war ihm gelungen, ein paar Inder, Bengalen und weiße Männer um sich zu sammeln, die ihm dabei geholfen hatten, die dreimastige Galeone wieder flottzukriegen und notdürftig instand zu setzen. Die meisten dieser Männer hatte er als Besatzung zu sich an Bord genommen. Dann hatte er mit seinem einzigartigen Handel begonnen und als erstes das gesamte Ganges-Delta und die Sunderbunds befahren.

Joslins Wesen war eine seltsame Mischung aus geiziger Krämerseele und genialem Geschäftsgeist. Aus diesem Gemüt und dem Gespür für „todsichere Sachen“ wußte er Kapital zu schlagen. Er reiste auf eigene Rechnung und Gefahr, kaufte seine Frachtpartien immer selbst ein und verkaufte sie dort, wo er es für richtig hielt. Verluste hatte er bei dieser Art von Kauffahrtei bislang nicht erlitten. Immerhin betrieb er das selbsterdachte Metier nun schon seit drei Jahren.

Schiffsoffiziere hätten ihm gewiß den Rang abgelaufen und getrachtet, ihn früher oder später zu übervorteilen. Deswegen verzichtete er auf sie. In einem Fall wie diesem hätten sie auch versucht, ihn davon zu überzeugen, daß es besser sei, eine Bucht anzusteuern. Sie hätten darauf bestanden, daß er es tat, weil die „Malipur“ in ihrem jammervollen Zustand einen Sturm nicht überdauern konnte.

René Joslin haßte Männer, die ihm in den Kram hineinzureden versuchten.

Er hätte auch jeden Kerl seiner Mannschaft schwer bestraft, der es gewagt hätte, die „Malipur“ einen „vergammelten Kahn“ oder gar „Seelenverkäufer“ zu nennen.

Wenn man ihm vorwerfen wollte, er setze das Leben seiner Männer leichtfertig aufs Spiel, so gab es dem doch immer eins entgegenzuhalten: Er selbst ging seiner Besatzung mit gutem Beispiel voran und riskierte Kopf und Kragen, um die Fracht ohne Aufenthalt an ihren Bestimmungsort zu bringen.

In der Pause, die zwischen dem Rauschen zweier anrollender Brecher entstand, konnte Joslin einen seiner Männer rufen hören: „Der Sturm wirft uns noch auf Legerwall!“

„Oder wir laufen auf ein Riff!“ schrie ein zweiter.

Beide standen nicht weit von ihm entfernt auf dem nassen, glitschigen Deck und hantierten an der Besanschot, mit der sie die Stellung des achteren Segels erneut korrigiert hatten.

„Ihr Narren!“ brüllte Joslin ihnen zu. „Ihr Dreckskerle, ihr dämlichen Hornochsen, ihr Angsthasen! Nichts von dem, was ihr euch ausmalt, wird geschehen!“

„Ihr Wort in Gottes Ohr, Monsieur!“ rief der erste Sprecher.

„Die Straße ist durch die Mentawai-Inseln gegen das schlimmste Sturmwüten abgesichert!“ brüllte der Franzose. „Uns kann gar nichts passieren!“

Die beiden schwiegen und versuchten, das Ende der Schot um einen Koffeynagel zu belegen. Der nächste Brecher donnerte von Steuerbord heran, sprang an der Bordwand der Galeone hoch und übergoß die Decks mit seinen Wassermassen. Joslin sah die Gestalten der beiden in dem Schwall untergehen, und unwillkürlich dachte er daran, was geschehen würde, wenn sich ihre Laufleinen von den Manntauen lösten.

Er duckte sich unter der Gewalt der orgelnden Sturmsee, preßte die Lippen zusammen, biß die Zähne fest aufeinander und hielt sich mit beiden Händen am Kolderstock fest. Als das Wasser durch die Speigatten der Backbordseite ablief, richtete er sich wieder auf.

Er atmete auf, als er die beiden Decksleute nach wie vor auf ihrem Platz an der Nagelbank des Achterdecks stehen sah.

Der Sturm nahm zu.

Immer gewaltiger kochte und toste die See, ihre schwärzlichen Wogen bäumten sich höher auf.

Joslin erkannte eine Gestalt, die unter erheblichen Schwierigkeiten den Backbordniedergang zum Achterdeck enterte und auf ihn zusteuerte. Es war Ranon, der Inder, einer seiner besten Männer, der zu der Stammbesatzung der „Malipur“ zählte und Joslins größtes Vertrauen genoß.

Mit ihm waren von dieser ursprünglichen Besatzung nur noch zwei Männer übriggeblieben, alle anderen hatten Joslin schon in den ersten Wochen nach dem Fund der Galeone wieder verlassen. Immer wieder hatte er neue Leute anheuern müssen, und bei jeder Fahrt hatte die „Malipur“ eine andere Mannschaft. Zum Teil waren es zwielichtige Gestalten, die unter seinem Kommando mitsegelten. Er hatte auf diese Kerle stets ein waches Auge.

Ranon sprach erst, als er dicht vor seinem Kapitän stand.

„Monsieur!“ rief er. „Ich war gerade in den Frachträumen!“

„Und? Ist die Ladung noch ordnungsgemäß gestaut und festgezurrt?“

„Das ja, Monsieur, aber …“

„Warum, zum Teufel, machst du dann so ein entsetztes Gesicht?“

„Mon capitaine, das Wasser steht schon knöcheltief in den Laderäumen!“

„Herrgott, ich weiß auch, daß der Kahn Wasser zieht!“ brüllte Rene Joslin, während sich ein neuer Brecher auf die Galeone zuwälzte. „Nimm dir zwei Männer, mehr können wir hier oben nicht entbehren! Stellt euch an die Lenzpumpen und pumpt, so fix ihr könnt!“

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