Seewölfe - Piraten der Weltmeere 132

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 132
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Impressum

© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-456-2

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Die Frau mit dem schulterlangen, dunkelbraunen Haar stand auf einem kleinen Balkon des Hauptgebäudes im Kastell, als das Schiff mit den vier Masten unter Vollzeug vor dem Westwind an der Hafenfeste vorbeisegelte.

Die Nacht hing schwer wie düsteres Blei über der Siedlung, die denselben Namen wie die Insel trug, auf der sie gegründet worden war: Sao Tomé. Aber das Licht des blassen Mondes reichte aus, um die Frau von ihrem erhöhten Standort aus erkennen zu lassen, wie die Galeone nun den Kurs änderte und in den Wind drehte. Ja, es war sogar zu sehen, wie die Segelfläche schrumpfte, wie die Besatzung Zeug wegnahm und schließlich das Schiff auf der Reede verharrte.

Es lag jetzt nicht mehr sehr weit von den Hafenanlagen entfernt. Die Segel hingen im Gei, und die Frau auf dem Balkon glaubte das Ausrauschen der Anker zu vernehmen. Die Anwesenheit der anderen Segelschiffe an den Piers und auf der Reede verblaßte neben der Erscheinung dieses imposanten Viermasters. Es mutete wie ein Wunder an, daß dieses Schiff den Weg hierher, in die parasitenverseuchte Hölle der Äquatorinsel, gefunden hatte.

„Endlich“, murmelte die Frau. „Endlich sind sie da. Allmächtiger Gott im Himmel, wie lange haben wir auf euch gewartet, Männer aus Cadiz …“

Lichtsignale wurden jetzt von Bord der Viermast-Galeone aus gegeben. Sie galten den Männern, die vor den Häusern an der Kaimauer zusammengelaufen waren, und sollten die Obrigkeit von Sao Tomé jeglichen Zweifels über den Namen, die Herkunft und die Bestimmung des großen Seglers entheben. Aber auch die Frau wußte die Zeichen zu deuten.

Sie atmete auf. „Wirklich, es ist die ‚Santa Catalina‘, sagte sie erleichtert. „Capitán Algaba, du bist unser Retter in der Not, aber du weißt ja nicht, was wir in den letzten Wochen durchgestanden haben.“ Ihre Züge verhärteten sich ein wenig. „Nun, das ist letztlich auch gut so. Vielleicht hättest du Sao Tomé unter irgendeinem Vorwand nicht angesteuert, wenn du auch nur geahnt hättest, was hier vorgefallen ist.“

Sie wandte sich um und trat durch die halboffene Tür in den dahinterliegenden Raum. Hier war die Luft noch einen Deut stickiger als im Freien, hier gab es nichts, was die drückende Schwüle aufrühren konnte. Selbst das Atmen fiel schwer. Der Mensch schien diesem grausamen Klima nicht gewachsen zu sein, und doch, er trotzte ihm auf unerklärliche Weise.

Aber dafür muß er Opfer bringen, dachte die Frau bitter, große Opfer. Afrika fordert seinen Tribut, und die Insel ist ein Gefängnis inmitten der Hölle.

Träge waren ihre Bewegungen. Die Hitze, die auch in der Nacht nie wich, ließ keine schnellen, entschlossenen Regungen zu. Die Frau trug nur ein leichtes, bodenlanges Hausgewand aus blaßroter Seide, das einzige, das sie in den letzten furchtbaren Tagen erduldete. Durch das Gewand konnte man gut ihre ausgeprägten Formen erkennen, es stellte mehr zur Schau, als es verbarg.

Und doch, dieser Fetzen Stoff schien an ihren Schultern zu zerren. Sie verspürte plötzlich einen unbändigen Drang, das Gewand abzustreifen, das Kastell zu verlassen und nackt durch die Gassen der Stadt zu laufen – zum Schiff, nur fort von hier, zum Schiff, schwimmend durch das halbwegs kühle Wasser zur „Santa Catalina“ und dann auf und davon durch die Nacht, menschenwürdigeren Gefilden entgegen.

Sie blieb stehen und dachte: Beherrsche dich. Du bist doch kein billiges Flittchen, kein Luder aus der Hafenkaschemme, das schreien und gestikulieren und sich Luft verschaffen darf, wo und wann es will. Oder willst du das wirklich?

Nein – ihr Stolz und ihre Erziehung verboten es ihr. Sie hielt ihren Kopf aufrecht und blickte durch das Dunkel des großen Zimmers zu den Bleiglasfenstern – matten hohen Rechtecken, die in die Schwärze der Nacht gestochen waren. Warum jetzt in Panik verfallen, dachte sie, jetzt, da doch alles vorbei zu sein scheint?

Sie rang sich ein Lächeln ab. Ja – trotz allem Erlebten waren ihr Lebenswille und ihr Mut ungebrochen. Sie war jung und hatte noch Forderungen an das Dasein, Erwartungen, die durch die bittersten Erkenntnisse und die größten Entbehrungen nicht zerstört werden konnten.

Sechsundzwanzig Jahre alt war sie, eine Frau in den blühendsten Jahren, wie man in Spanien sagte. Und die Natur hatte sie alles andere als benachteiligt, als es um die Verteilung der Schönheit und der ausgewogenen Proportionen gegangen war.

Ihre Haare flossen an den Schläfen und Wangen ihres schlanken Gesichtsovals vorbei und lagen weich auf ihren Schultern. Dunkle Augen blickten wach unter einer glatten Stirn und exakt gezeichneten Brauen hervor. Ihr Mund war von sinnlichem, beinahe zu empfindsamem Schwung, und hohe Jochbeine verliehen ihrer Physiognomie den Hauch des Exotischen.

Sie hob ihre Hände bis zur Taille und ließ sie langsam wieder über die Hüften abwärts gleiten. Ihr Körper – das Begehren der gesamten Hafengarnison war auf diese vollendeten Formen ausgerichtet. Traum und Wirklichkeit war sie für die Männer dort unten in der Stadt. Als Frau des Kommandanten von Sao Tomé war sie für das gemeine Fußvolk etwas Unerreichbares, und doch hatten sie sie ständig vor Augen, sahen sie hinter den Zinnen der Festung stehen und im Pferdewagen durch die Straßen fahren.

Jemand klopfte behutsam an die Tür des Zimmers.

„Bist du es, Sandra?“ fragte die Frau.

„Ja“, ertönte es vom Flur. „Schlafen Sie denn nicht, Dona Adriana?“

„Nein“, erwiderte Adriana Valiente etwas ungehalten. „Wie hätte ich dir sonst wohl antworten können? Nun komm schon herein und sag mir, was du auf dem Herzen hast.“

Sandra, die Zofe, öffnete die Tür und schlüpfte in den Raum. Sie hatte Mühe, ihre Aufregung zu verbergen. Sie war ein ausgesprochen schlankes, ja, fast hageres Wesen, von Natur aus ein bißchen schlaksig, gelegentlich sogar tolpatschig. Leicht verlegen blieb sie vor Adriana Valiente stehen, faltete umständlich die Hände und verdrehte sie.

„Senora – haben Sie das Schiff auch gesehen?“

„Natürlich habe ich es gesehen. Und ich kann dich jeden Zweifels entheben. Es ist die ‚Santa Catalina‘. Ich habe die Signale gelesen, die die Besatzung zum Hafen hin gegeben hat.“

„O Himmel, das ist also die Rettung, ehe wir alle zum Sterben verdammt werden …“

„Falls das Schiff die nötigen Arzneien und auch einen Mann an Bord hat, der unsere Kranken behandeln kann, ja.“

Sandra befeuchtete die Lippen mit der Zungenspitze und legte den Kopf ein wenig schief. „Falls? Aber Dona Adriana, Ihr Gatte und der Hafenkapitän Alvaro Broviras – der Herr sei seiner armen Seele gnädig – haben doch vor zwei Monaten einem portugiesischen Handelssegler, der hier Station einlegte, die geheime Nachricht an Cadiz mit auf den Weg gegeben, daß …“

„… daß auf Sao Tomé dringend Hilfe benötigt wird“, vervollständigte Adriana den gehaspelten Satz ihrer Zofe. „Daß nur Cadiz uns mit Heilmitteln, mit einem kundigen Arzt, mit unverseuchtem Trinkwasser versorgen kann. Und daß Alvaro Broviras und Joaquin Barba Valiente vorschlügen, die ‚Santa Catalina‘ solchermaßen auszurüsten, von der wir wußten, daß sie seinerzeit zum Auslaufen bereit im Hafen von Cadiz lag. Der Kapitän des Schiffes, Enrique José Algaba, ist ein Freund von Broviras gewesen, und gerade dieser Umstand verpflichtet ihn letztlich auch moralisch, etwas für uns zu tun. Nun, der portugiesische Handelssegler, dessen Kurs weiter nach Irland führte, scheint Cadiz tatsächlich erreicht und sein Kapitän die streng vertrauliche Botschaft an die Autoritäten überbracht zu haben. Doch wer garantiert uns, daß Algaba auch wirklich alles Erforderliche hat mitnehmen können?“

„Aber Senora“, hauchte Sandra entsetzt.

Adriana Valiente lächelte. „Schon gut, schon gut, laß dich von meiner Skepsis nur nicht anstecken. Hast du auch nach Don Joaquin gesehen?“

„Selbstverständlich.“

„Wie geht es ihm?“

„Er schläft nach wie vor.“

„Ohne Unterbrechung?“

„Ohne auch nur einmal aufzuwachen …“

„Und das Fieber dauert an“, sagte Adriana. „Der Schlaf trägt nicht zu seiner Genesung bei – im Gegenteil. Was ist das für eine tückische Krankheit, Sandra, die meinen Mann in einen so tiefen, ohnmachtsähnlichen Schlaf geworfen hat, aus dem er seit Wochen nicht mehr aufwacht?“

„Ich weiß es nicht.“

„Er schläft und zuckt manchmal wie unter Peitschenhieben, ohne jedoch die Augen aufzuschlagen. Das Fieber treibt ihm den Schweiß aus den Poren, läßt ihn zittern, schwächt ihn. Er kann keine Nahrung zu sich nehmen.“

„Es ist schrecklich, Dona Adriana.“

„Wenn Capitán Algaba und die anderen Männer der ‚Santa Catalina‘ die Festung betreten, führst du sie sofort in das Zimmer meines Mannes, Sandra.“

 

„Si, Senora. Kennen Sie Capitán Algaba persönlich?“

„Nein. Und was soll die Frage?“

„Gar nichts …“

„Dann behalte die nächste Frage dieser Art, die dir auf der Zunge liegt, gefälligst für dich. Und lege mir eines meiner Kleider bereit, damit ich die Männer der Galeone in angemessener Form begrüßen kann. So, wie ich jetzt angezogen bin, kann ich ihnen unmöglich gegenübertreten.“

„Ja, Senora.“

Adriana blickte der Zofe nach, als diese den Raum verließ und die Tür hinter sich schloß. Sandra hatte sich nur erkundigt, ob ihre Herrin den Kapitän der „Santa Catalina“ kannte, aber damit hatte sie schon an eine Wunde gerührt – sie war nun schon lange genug auf Sao Tomé und wußte natürlich, daß die Ehe der Valientes nicht die beste war und die schöne Adriana gegen eine interessante Bekanntschaft außer Haus nichts einzuwenden gehabt hätte.

Don Joaquin, dachte Adriana, ich wünsche dir nichts Böses, aber ich kann dich auch nicht bedauern, denn du hast mich zu schlecht behandelt. Vielleicht wirst du ewig schlafen und ins Jenseits hinüberdämmern, ohne mich noch einmal an dein Lager rufen zu können. Ich finde, das wäre so am besten für uns beide, und ich verspreche dir, daß ich nachholen werde, was ich versäumt habe, falls du das Zeitliche segnen solltest.

„Santa Catalina“ – der Name der schweren Viermast-Galeone grüßte in geschwungenen Lettern von ihrem Steuerbordbug zu den Besuchern herüber und schien in der Dunkelheit fast übergangslos in den Verzierungen der Bordwand und dann nach achtern zur Galerie auszulaufen.

Die Galerie umspannte massiv und gewichtig die gesamte Heckpartie des Schiffes. Sie wurde von schnörkeligen Löwenfiguren gestützt, die aus Holz geschnitzt und mit einem goldenen Anstrich versehen waren. Über der Balustrade ragten die erleuchteten Fenster des Achterkastells auf, und noch weiter darüber erhoben sich die Aufbauten bis zum stolz nach achtern aufstrebenden Oberdeck der Hütte.

Der Segundo Noberto Llamas, ein zweiter Offizier ohne Furcht und Tadel, ließ seinen Blick über den Rumpf des mächtigen Schiffes wandern, bevor er ganz nach vorn in den Bug der einmastigen Schaluppe stieg und sich anschickte, an der Jakobsleiter des Seglers aufzuentern.

Längst war die Jakobsleiter an Steuerbord der „Santa Catalina“ ausgebracht worden. Oben vom Schanzkleid winkten die Soldaten und Seeleute dem Begrüßungskomitee freundlich zu.

Die Schaluppe, deren Großsegel und Fock nun ins Gei gehängt wurden, gehörte dem Hafenkapitän von Sao Tomé. Llamas trat als sein Stellvertreter auf – aus zwingenden Gründen sozusagen.

Llamas spürte, wie sein Herz schneller klopfte. Da war sie, die langersehnte „Santa Catalina“, noch erschien ihm ihre Ankunft wie ein Traum. Wichtiges mußte sie an Bord haben, Proviant und Trinkwasser, die die zweifellos infizierte Nahrung der Inselbewohner ersetzen sollten. Einen Arzt hoffte Llamas zu sehen, einen auf Tropenkrankheiten spezialisierten und mit modernsten Arzneien ausgerüsteten studierten Mann, der die. Garnison heilen sollte.

„Warum“, so würde der Capitán Algaba zweifellos fragen, „warum haben Sie die Insel nicht evakuieren lassen, Segundo?“

Nun, darauf gab es eine sehr plausible Antwort. Ein Teil der Zivilbevölkerung war zu den Kolonien des schwarzen Kontinents hinübertransportiert worden, aber wer Besitz auf Sao Tomé hatte, war geblieben. Und die Offiziere und Soldaten konnten diesen verfluchten Flecken Erde nicht verlassen, denn sie hatten den ausdrücklichen Befehl, hier, auf diesem vorgeschobenen und strategisch so wichtigen Posten mitten im Atlantik, die Stellung um jeden Preis zu halten.

Aber ohne Hilfe konnte Sao Tomé nicht mehr lange existieren. Ein erbarmungslos heißer Sommer und Myriaden von Dschungel-Ungeziefer, die über die Siedlung und den Hafen hergefallen waren, hatten die spanischen Besatzer in die Knie gezwungen.

Die Kapitäne der Schiffe, die an den Piers oder auf der Reede lagen, waren samt dem Großteil ihrer Offiziere und Mannschaften nicht mehr imstande, einen Segler vorschriftsmäßig zu manövrieren. Sie waren also zum Hierbleiben verdammt.

Aber auch das war streng geheimgehalten worden.

Sao Tomé galt als eine uneinnehmbare Bastion. Ihr Hafen konnte durch eine riesige Eisenkette zur offenen See hin abgeriegelt werden, und die Festung mit ihren Kanonen hatte bisher noch jedem Angriff getrotzt.

Aber nur ein elender Pirat brauchte von dem Mißgeschick zu erfahren; das Sao Tomé getroffen hatte, dann war es um diese Kolonie geschehen. Mit einer Handvoll von wild entschlossenen Kerlen konnte ein Freibeuter-Kapitän hier sehr schnell aufräumen und das Kommando an sich reißen. Damit hatte er dann eine Insel unter der Fuchtel, von der aus er so manchen spanischen Schiffsverband aufbringen und kapern konnte.

Falls er nicht an den Krankheiten zugrunde geht, dachte der Segundo Noberto Llamas, als er aufenterte. Die Schaluppe war längsseits der Galeone gegangen. Llamas war als erster Mann der fünfköpfigen Schaluppenbesatzung in die Querhölzer der Leiter gestiegen.

Llamas legte sich schon sämtliche Worte zurecht, mit denen er die Landsleute begrüßen und den Kapitän José Algaba über die prekäre Situation unterrichten würde. Broviras, der Hafenkapitän, hatte diesen Mann persönlich gekannt und ihn aus diesem Grund ja auch von Cadiz bis hier herüber gelotst. Llamas jedoch, der nicht aus Cadiz stammte wie Broviras und Algaba, sondern aus Valencia, mußte dieser Schiffsführer erst noch vorgestellt werden.

So kletterte Llamas auf die Berghölzer der „Santa Catalina“, richtete sich zu seiner vollen Körpergröße auf, schob sich mit dem Leib über die Oberkante des Schanzkleides und zog zuletzt die Beine nach.

Die Soldaten der Galeone griffen ihm hilfreich unter die Arme und stellten ihn auf die Planken der Kuhl.

Llamas atmete tief durch und sagte: „Danke. Ich will sofort zu eurem Kapitän geführt werden.“

„Si, Senor“, antwortete der eine Soldat. „Sofort, Senor.“ Irgendwie kam es dem Segundo so vor, als schwänge ein ironischer Unterton in dieser Stimme mit, aber er dachte nicht weiter darüber nach, weil die Soldaten ihn ausgesprochen ehrerbietig zum Steuerbordniedergang des Achterkastells geleiteten.

Llamas hatte den Niedergang halb bewältigt, da trat ihm oben der Mann entgegen, den er aufgrund der Kleidung als den Kapitän identifizierte. Die Perücke schien ihm etwas zu groß geraten zu sein, sie hing ihm lockig in die Stirn und reichte ihm fast bis auf die Schultern. Auch der Rest seiner Montur saß schlecht und wirkte zu weit – doch Noberto Llamas stieß sich auch daran nicht, denn er räumte ein, daß ein Kapitän während einer einmonatigen Überfahrt erheblich an Körpergewicht verlieren konnte.

„Buenas tardes“, sagte Noberto Llamas. Er war bemüht, den erforderlichen Schneid in seine Stimme zu legen. „Guten Abend, Capitán, und herzlich willkommen auf der Insel Sao Tomé. Sicher wundern Sie sich, daß nicht Capitán Alvaro Broviras persönlich hier an Bord Ihres Schiffes erscheint – Capitán Algaba.“

„Ich bin auch mit seinem Stellvertreter zufrieden.“

„Llamas ist mein Name – Noberto Llamas.“

„Hocherfreut, Senor Llamas. Ich muß sagen, ich bin froh, Sao Tomé endlich erreicht zu haben.“

„Lassen Sie mich erklären, was mit dem Capitán de Puerto, Alvaro Broviras …“

„Später“, unterbrach der Kapitän. „Halten wir uns nicht mit Förmlichkeiten und Floskeln auf, Senor Llamas. Ich sagte doch, auch der Stellvertreter des Hafenkapitäns ist mir ein angenehmer Gast auf meinem Schiff. Rufen Sie jetzt Ihre vier Bootsgasten herauf, Senor.“

„Alle vier?“ fragte der Segundo verwundert.

„Ich habe ihnen etwas zu übergeben.“

„Etwas Schweres?“

„Das kann man sagen“, erwiderte Enrique José Algaba mit sparsamem Lächeln.

Llamas glaubte zu verstehen, denn er rechnete damit, daß der Kapitän der Galeone den Männern der Schaluppe eine Last aushändigen würde, die man nicht einfach in den Einmaster abfieren konnte – beispielsweise Arzneimittel in zerbrechlicher Verpackung, die behutsam in die Schaluppe hinuntergemannt werden mußten.

Die vier Männer hatten kaum die Kuhl der Galeone betreten, da begriff Noberto Llamas seinen furchtbaren Irrtum. Das Lächeln in den Gesichtern der Algaba-Leute verwandelte sich in ein höhnisches Grinsen, sie traten plötzlich von allen Seiten auf den Segundo und seine Begleiter zu. Ehe die fünf es sich versahen, hatten die Soldaten und Seeleute der „Santa Catalina“ zugepackt. Sie hielten die Männer der Schaluppe fest, rangen sie nieder und wollten sie fesseln.

Llamas stöhnte auf. Er versuchte, seinen Degen oder seine Pistole zu zücken, wollte schreien und Alarm zum Ufer hin geben.

Aber der Kapitän des Viermasters trat dicht vor ihn hin und hob einen Belegnagel. Zwei Kerle klammerten sich an Noberto Llamas fest, ein dritter stürzte hinzu, schlang ihm einen Arm um den Hals und preßte ihm mit der Hand den Mund zu.

Llamas brachte nur noch einen erstickten Würgelaut zustande.

Der Kapitän, der nie und nimmer der echte Enrique José Algaba sein konnte, sagte: „Ja, Senor Llamas, wir haben Ihnen wirklich etwas Schweres zu übergeben. Etwas Gewichtiges, meine ich.“

Mit diesen Worten hieb er zu.

Noberto Llamas glaubte das Kastell von Sao Tomé bersten zu sehen. Rotwabernde Glut zuckte aus den auseinanderklaffenden Trümmern hervor, und monströse Wesenheiten des Dschungels sprangen ihn aus dem Feuer an. Gesprungene Bronzeglocken läuteten mit dissonantem Klang zu seinem Untergang. Dann, endlich, versank alles in erlösender Finsternis.

2.

Unbeobachtet und völlig unbehelligt glitt zur selben Zeit ein Schiff aus Richtung Südwesten an die große Südbucht der Insel Sao Tomé heran, das zwar einen Mast weniger als die „Santa Catalina“ führte, sich sonst jedoch in jeder Weise mit der spanischen Galeone messen konnte.

Von der Konstruktionsweise her war auch dieser Segler eine Galeone, aber seine Kastelle waren flacher, als man es normalerweise bei Schiffen dieser Klasse sah. Auffallend waren weiterhin die drei überhohen Masten mit der großen Segelfläche sowie das Ruderhaus; das der Hersteller auf dem Quarterdeck errichtet hatte. In diesem Ruderhaus gab es ein richtiges Ruderrad, der Kolderstock gehörte hier schon längst der Vergangenheit an.

Auch die Kanonen des Dreimasters waren nicht von der herkömmlichen Art. Dem Kaliber nach 17-Pfünder-Culverinen, waren diese Geschütze mit übermäßig langen Rohren versehen, die ein genaues Zielen auf die Distanz von über einer Seemeile ermöglichten. Acht solcher Kanonen waren auf jeder Seite der Kuhl mit Brooktauen festgezurrt, und auf der Back und auf dem Achterdeck verfügte das Schiff zusätzlich über je zwei Drehbassen, also Hinterlader.

Auch mit dem Namen dieses Seglers hatte es etwas ganz Besonderes auf sich. „Isabella VIII.“, das klang spanisch, und spanisch war das Wort seiner Herkunft nach auch. Aber eben nur das Wort. Die Galeone selbst unterstand dem Kommando eines Mannes, dessen Name dem Englischen entstammte – Philip Hasard Killigrew. Ein reinblütiger Engländer war aber auch er nicht, vielmehr der Sohn eines Malteserritters deutscher Herkunft und einer spanischen Adligen.

Und so war auch Englands Sache zur See nicht uneingeschränkt seine Angelegenheit, wenn auch der Großteil der Crew aus „echten“ Engländern bestand. Als Freibeuter empfanden sie sich in erster Linie, als Gegner der Weltmacht Spanien-Portugal – und als Rebellen.

Was war das für eine seltsame Mannschaft, die sich einbildete, Spanien und der Armada mit zwanzig Kanonen trotzen zu können? Ein Haufen Verrückter? Eine Handvoll verzweifelter Galgenstricke, die nichts zu verlieren, aber alles zu gewinnen hatten?

Keineswegs. Sie hingen an ihrem Leben wie jeder Mensch, sie sehnten sich nach ihrem England, das sie nun schon einige Jahre nicht mehr gesehen hatten, und sie hatten ein verdammtes Verlangen, nach einem vernünftigen Landgang in der „Bloody Mary“ des Nathaniel Plymson in Plymouth mal wieder eine Runde auszuraufen.

Und außer ihrem Leben und ihren Sehnsüchten hatten sie noch einiges zu verlieren – die „Isabella“ beispielsweise, die sie gemeinsam mit Hasard von ihren Beutegeldern gekauft hatten. Oder die immensen Schätze, die in den drei Frachträumen des Schiffes ruhten und an denen jeder der zweiundzwanzig Männer seinen Anteil hatte.

Also waren sie nicht blindlings darauf aus, sich mit jedem Spanier anzulegen, der ihren Kurs kreuzte. Sie wußten sorgsam abzuwägen und hatten die nötige Umsicht, die eine Crew zu einer guten Crew stempelte und sie davon abhielt, unbedachte Handlungen zu begehen.

 

So hatte der Seewolf sich in der Nähe der Walfisch-Bucht zwar von Lucio do Velho, seinem Gefangenen, hereinlegen lassen, aber die Crew war beherrscht genug gewesen, keinen hitzigen Ausfall gegen den bornierten portugiesischen Kommandanten zu unternehmen. Dies hatte letztlich zu einem Sieg der Seewölfe auf der ganzen Linie geführt.

Sie konnten do Velho und dessen Bootsmann Ignazio jetzt vergessen. Eigentlich hätten sie zu dieser Stunde schon wieder von England träumen können, denn der Seewolf setzte alles daran, die „Isabella VIII.“ so rasch wie möglich nach Hause zu steuern. Westafrika war fast erreicht – und doch, da waren ein paar Kleinigkeiten, die zu einer erneuten Verzögerung führten.

„Eine Zwangspause“, sagte Ben Brighton. Er trat an die Schmuckbalustrade und ließ die Hände auf die obere Querleiste sinken. „Himmel, und das ausgerechnet jetzt, da wir den Äquator noch nicht richtig überquert haben. Der Teufel soll diese elenden Tropen holen.“ Er wischte sich mit einer Hand durchs Gesicht. Seine Finger wurden naß. Obwohl er wie die anderen Männer der Crew mit nacktem Oberkörper auf Deck stand und obwohl es Abend geworden war, drang ihm der Schweiß aus allen Poren.

Hasard trat neben seinen Bootsmann und ersten Offizier. „Wir sind über den Äquator weg, Ben. Und gerade seinetwegen sind wir ja dazu verdonnert, in diese Bucht hier zu verholen.“

„Und wegen des Windes“, gab Ben zu bedenken.

„Schön, der beständige Westwind hat uns daran gehindert, weiter nach Nordwesten abzulaufen und den Golf von Guinea nur zu streifen“, entgegnete der Seewolf. „Wir segeln zu nahe an der Küste entlang und beschreiben einen Umweg statt einer Abkürzung. Aber das Salz wäre trotzdem zerlaufen, und auch die übrigen Vorräte wären uns verschimmelt. Das letzte Trinkwasser mußte in den Fässern faulen, es war unabwendbar und praktisch vorauszusehen. Erinnerst du dich nicht mehr an den Amazonas, Ben?“

„Und ob.“

„Na also. In der Äquatorzone herrscht gerade um diese Jahreszeit eine unerträgliche Hitze — auch weiter im Westen.“

„Und der Kutscher hat nicht übertrieben?“

Hasard schüttelte den Kopf. „Ich habe die Vorräte selbst kontrolliert, um hundertprozentig sicherzugehen. Wir können es dem Kutscher nicht anlasten, daß Proviant und Wasser verdorben sind.“

„Das hatte ich auch gar nicht vor, Sir!“

„Andererseits war seine Warnung, wir würden vor dem Erreichen des afrikanischen Festlandes entweder verdursten oder verhungern, auch keine bloße Unkerei“, sagte der Seewolf ernst. „Es braucht nur eine Widrigkeit einzutreten, ein Sturm oder eine unliebsame Begegnung mit den Dons zum Beispiel, und wir sind verraten und verkauft.“

Ben blickte nach vorn. Al Conroy hatte sich auf der Galionsplattform niedergelassen. Er arbeitete mit dem Lot und sang fortwährend die Wassertiefe in der Bucht aus. Carberry gab seine barschen Kommandos. Es wurde immer mehr Segelfläche weggenommen, bis die „Isabella“ in einem Abstand von weniger als einer Kabellänge vor dem Ufer im Wind lag und der Bug- und der Heckanker fünf Faden tief ausrauschten, bevor sie auf Grund trafen.

„Aber ausgerechnet die Insel“, sagte Ben Brighton. „Ich kann das Mangrovendickicht mit bloßem Auge erkennen, es wuchert ja weit genug ins Wasser. Das eigentliche Land hingegen kann man nicht sehen. Mann, es dauert eine halbe Ewigkeit, bis wir in diesen Urwald einen Pfad getrieben haben. Und …“

„Wir haben gerade keine andere Insel greifbar, Mister Brighton“, unterbrach ihn Hasard jetzt ziemlich rauh. „Da müssen wir also in den sauren Apfel beißen, ausgerechnet hier nach einer Trinkwasserquelle Ausschau zu halten und so viel Wild zu jagen, daß uns eine problemlose Überfahrt bis zur westafrikanischen Küste gesichert ist. Ben, mir stinkt das genauso wie dir und den anderen, aber wir haben keine andere Wahl.“

„Natürlich nicht. Ich will mich ja auch nicht bei dir beschweren.“

„Sondern?“

„Mir bloß ein wenig Luft verschaffen.“

„Dann geh gefälligst auf die Galionsplattform und blase dort deinen Unmut ab“, entgegnete Hasard, wobei er auf das stille Örtchen der Seeleute anspielte.

Ben schluckte die Bemerkung, ohne mit der Wimper zu zucken. Wieder wischte er sich den Schweiß aus dem Gesicht. „Soll ich dir verraten, nach was mir zumute ist?“

„Wetten, daß ich es weiß? Klirrender Frost und eisiger Wind, wie er im Dezember durch Cornwall fegt – und Schnee, so hoch, daß man bis zu den Schultern darin eintauchen kann.“

„Donnerwetter“, sagte der wackere Ben mit echtem Erstaunen. „Kannst du neuerdings Gedanken lesen?“

Hasard grinste schief. „Mann, dazu gehört doch nun wirklich kein Scharfsinn.“

Sie gingen zur Back, stiegen den Niedergang hinauf und trafen sich mit Smoky, Al Conroy, Ferris Tukker, Shane, den beiden O’Flynns und den anderen, die von hier aus zu dem überwucherten Ufer hinüberblickten.

„Verdammt“, murmelte der alte O’Flynn. „Wenn ich da an Kalimantan denke …“

„Du sollst aber nicht an Kalimantan denken“, erwiderte Hasard sehr ruhig und in fast gedämpftem Tonfall. „Wir grübeln am besten über gar nichts nach und fieren ein Boot ab, mit dem wir uns auf die erste Inspektionsreise begeben. Wird schon in’s Auge gehen, die Sache, was, Donegal? Also, wer von euch Helden hat die Hosen noch nicht so voll, daß er sich freiwillig melden kann? Oder wollt ihr, daß ich allein lospulle?“

Das saß. Außer Arwenack, dem Schimpansen, und Sir, John, dem karmesinroten Aracanga, rissen alle die Arme hoch.

Carberry blickte sich zu dem Kutscher um, der erst vor kurzem die Kombüsenfeuer gelöscht und sich zu den Männern auf Oberdeck gesellt hatte. Im Narbengesicht des Profos’ arbeitete es, er hatte was vor, und das wirkte ungefähr so, als wolle er den bedauernswerten Kutscher mitsamt dessen Mütze und dessen ausgefransten Segeltuchhosen verschlingen.

„Nun mal ’raus mit der Sprache, du Knochenflicker und Leichengeier“, sagte Carberry. „Was erwartet uns noch alles auf dieser Scheißinsel – außer wilden Tieren, menschenfressenden Pflanzen, Schlinglianen, Fallen, Kannibalen und Kopfjägern?“

„Da habe ich nicht die geringste Ahnung.“

„Du weißt doch sonst immer alles, du Kombüsenfurz. Beispielsweise, wie dieses Stück Dschungel mitten im Atlantik heißt.“

„Sao Tomé“, erklärte der Kutscher. „So wurde die Insel von ihren Entdekkern, den Portugiesen, getauft. An der Ostseite befindet sich in der Tat ein Hafen mit demselben Namen. Dort soll auch eine Festung der Spanier sein.“

„Aber die laufen wir nicht an, weil es dort zu heiß für uns werden könnte“, sagte der Profos. „Wir wissen nicht, wie stark die Dons dort sind, wie viele Schiffe sie im Hafen liegen haben, wie viele Kanonen das Kastell hat. Das leuchtet mir ein. Aber hier – was passiert uns hier?“

„Ich frage mich, ob es für uns überhaupt noch heißer werden kann“, warf Matt Davies ein. „Ich komme mir vor wie einer, der im türkischen Dampfbad sitzt und nicht mehr ’raus kann.“

„Lieber ein Pfund abschwitzen, als von den Dons nach Strich und Faden zusammengeschossen zu werden“, sagte Bob Grey.

„Davies und Grey“, fuhr der Profos sie an. „Wer hat euch nach eurer unmaßgeblichen Meinung gefragt?“

„Keiner“, murrte Matt Davies. „Aber du weckst mit deinem Gebrüll noch den ganzen Dschungel auf, trommelst die nackten Wilden zusammen, machst die Raubtiere mobil und lockst uns ein Heer von Dons auf den Pelz, Profos.“

Wider Erwarten ging Ed Carberry nicht in die Luft. Er legte dem Kutscher nur seine rechte Pranke auf die Schulter und lächelte so freundlich wie ein hungriger Hai. „Aber, aber, wer wird denn gleich den Teufel an die Wand malen, Leute! Es brauchen ja nicht überall dort, wo ein paar lächerliche Mangroven wachsen, auch gleich mordende Heckenschützen und gierige Bestien zu lauern. Es könnte zur Abwechslung ja auch mal friedlich zugehen. Was meinst du, Kutscher? O, ich glaube einfach nicht, daß sie uns mit Giftpfeilen spicken und uns die Köpfe abhacken, daß wir in Fallgruben versinken oder von Ungeheuern gefressen werden.“

„Um festzustellen, was auf uns wartet, müssen wir die Insel erst einmal erkunden“, entgegnete der Kutscher. Er grinste plötzlich verwegen. „Sir, ich melde mich nicht nur freiwillig – ich bitte auch darum, mitgenommen zu werden. Ich als Koch und Feldscher der ‚Isabella‘ will nur das Beste für die Crew und habe es satt, dauernd mißverstanden zu werden. Ich halte gern für jeden meinen Kopf hin, wenn es darauf ankommt, Sir.“

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