Seewölfe - Piraten der Weltmeere 131

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 131
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Impressum

© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-455-5

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

„Ein Hinterhalt!“

Einer der sieben Rudergasten hinter Ignazio hatte diesen erstickten Ruf ausgestoßen. Der Mann aus Porto fuhr mit einem Fluch herum. Was die geistigen Höhenflüge betraf, die sein Kommandant bisweilen zu unternehmen pflegte, so war Ignazio gänzlich unbedarft, nicht aber, was die kämpferische Praxis anging. Als Bootsmann auf einem Kriegsschiff Seiner Allerkatholischsten Majestät war er – was er ja unter Lucio do Velhos Führung immer wieder unter Beweis gestellt hatte – vor allen Dingen ein Mann der Tat.

So mangelte es ihm nicht an der nötigen Geistesgegenwart. Er erfaßte die Situation mit einem Blick, und in einer Reflexbewegung senkte er die Hand mit der Lunte auf die Glut in dem kleinen Kupferbecken. Das Becken mit dem Holzkohlenfeuer hatte er im Bootsbug placiert, als sie die Serpentine von der Galeone „Santa Monica“ in die Jolle abgefiert und auf deren vorderem Dollbord montiert hatten.

Ignazio sah die Gestalten aus der Dunkelheit auf das Boot zuschwingen. Sie schienen vom Ufer herüberzuschweben wie gigantische Nachtvögel – ein gespenstischer Anblick! Ignazio wußte, daß er handeln mußte, blitzartig handeln, wenn er das Unabwendbare noch verhindern wollte.

Einer der Angreifer hatte bereits den Kommandanten Lucio do Velho erreicht. So viel Schwung lag in seiner Bewegung, daß er do Velho glatt mit sich von der Achterducht riß. Der Comandante versuchte, sich an der Ruderpinne festzuklammern, aber seine Finger glitten ab, er war verloren und stürzte mit diesem großen, breitschultrigen Teufel in das Wasser des Flusses, den die Spanier und Portugiesen gerade erst entdeckt hatten.

El Lobo del Mar, durchzuckte es den Mann aus Porto. Der Seewolf – das ist er!

Die anderen Kerle, die sich aus dem nahen Ufergebüsch auf das Boot gestürzt hatten, fielen über Ignazios Kameraden her.

Ignazio fluchte noch einmal und schwenkte die Serpentine herum. Er war bereit, mitten in dieses Knäuel kämpfender Männer zu feuern, jawohl, Senor, auch auf die Gefahr hin, die eigenen Leute dabei aus der Jolle zu fegen. Ohne Rücksicht auf Verluste mußte er vorgehen, es war die einzige Möglichkeit, die ihm blieb.

Sein Vorhaben wurde im Ansatz gestoppt.

Jemand hechtete auch auf ihn zu, und zwar genau von der Stelle aus, an der die Bootsbesatzung kurz vorher ein verdächtiges Rascheln vernommen hatte.

Ignazio wollte das kleine Geschütz mit aller Gewalt zünden. Er brauchte nur noch das jetzt glimmende Luntenende auf das Bodenstück der Serpentine zu senken. Ein ohrenbetäubendes Brüllen würde vom Fluß zur Tafelbucht eilen, ein Feuerblitz den Vorhang der Nacht zerschneiden.

Aber da war der Gegner – auch einer dieser elenden Bastarde von der „Isabella“, ein Mann des Seewolfes. Wieder waren die Kontrahenten aneinandergeprallt, aber so ganz anders, als Lucio do Velho, Ignazio und die anderen sieben Männer des Bootes sich das vorgestellt hatten.

Dan O’Flynns Gedanken waren in den wirbelnden Ablauf der Ereignisse verkettet. Er sprang wie eine große, geschmeidige Raubkatze aus dem struppigen, dichten Gebüsch des Ufers auf das nur noch etwa einen Yard entfernt liegende Boot der Feinde zu, schwang eine Handspake und dachte dabei: Hölle, wenn das bloß gutgeht!

Dan landete im Bug der Jolle, war hinter dem Mann an der Serpentine und hieb mit der Spake zu.

So eine Handspake aus solidem englischen Eichenholz war eine gefährliche Waffe in der Faust eines Mannes, der sie zu führen verstand. Und darauf verstanden sich die Seewölfe. Es war nicht der erste Nahkampf, den sie mit solchen Mitteln ausführten. Spaken und Belegnägel prasselten auf die Spanier und Portugiesen nieder. Hasard hatte ausdrücklich angeordnet, nur zu Säbeln, Degen und Messern zu greifen, wenn es unvermeidlich war.

Dan sah die glühende Lunte in Ignazios Hand und riß instinktiv seinen Fuß hoch. Die Stiefelspitze traf, Ignazio stieß einen keuchenden Laut aus, und die Zündschnur entglitt seinen schmerzenden Fingern. Fast hätte sie das Bodenstück der Serpentine berührt. Dan fühlte, wie sich ihm die Nackenhaare sträubten. Er konnte nichts mehr unternehmen, um die Lunte zu löschen und sie beispielsweise ins Wasser zu tunken – er mußte sich ganz auf Ignazio konzentrieren, der den ersten Hieb eingesteckt und verdaut hatte und nun zum Gegenangriff ansetzte.

Die Zündschnur glitt knapp an dem Zündkanal der Serpentine vorbei und legte sich in das Kupferbekken mit der nach wie vor glühenden Holzkohle.

Dan blockte Ignazios Fausthieb ab und schlug wieder mit der Spake zu, aber auch diesmal fiel der Mann aus Porto nicht. Ignazio drosch mit beiden Fäusten auf Donegal Daniel O’Flynn ein, das Boot schwankte gewaltig. Hinter den beiden Männern war das erbitterte Schlagen und Ringen der übrigen Kämpfer. Do Velhos Bootsmann und rechte Hand stieß plötzlich die lästerlichsten Verwünschungen aus, denn seine Fäuste waren haarscharf an der Gestalt des jungen Mannes vorbeigewischt. Dan O’Flynn schien aus einem flexiblen Material gearbeitet zu sein. Er tänzelte hin und her, vor und zurück, bog sich und brachte Ignazio in höchste Verwirrung.

Simpler, so schoß es Dan noch einmal durch den Kopf, hätte dieser Hinterhalt weiß Gott nicht geplant sein können. „Aber gerade darin liegt die Würze des Ganzen“, hatte der Seewolf auf dem Achterdeck der „Isabella VIII.“ gesagt, bevor sie aufgebrochen waren, um do Velho und seinen Mannen in der einsetzenden Dunkelheit am Fluß aufzulauern. Der Seewolf hatte Dan angegrinst, und es hatte dreist und verwegen in seinen eisblauen Augen gefunkelt.

Schon am Nachmittag, als die Korsaren die „Isabella“ in die Flußmündung verholt hatten und stromaufwärts gesegelt waren, hatte Hasard einen Platz im Dickicht als „das richtige Versteck“, auserkoren. Dann, im Dunkeln, hatten Ferris Tucker, Shane, Carberry, Smoky und er sich hier ins Gestrüp gekauert. Dan hatte sich rund fünf Yards weiter oberhalb perfekt getarnt hingehockt und wie seine Kameraden pausenlos Ausschau nach den Gegnern gehalten. Schätzungsweise eine halbe Stunde hatten sie gewartet, dann war alles so gekommen, wie der Seewolf es sich ausgerechnet hatte – do Velhos Boot hatte sich genähert. Die beiden anderen Boote, die mit je acht Männern besetzt waren, verharrten vor der versteckten Flußmündung.

Am späten Nachmittag hatten die Seewölfe von ihrem Schlupfwinkel aus beobachten können, wie die drei Boote von der „Santa Monica“, der „San Julio“ und der „Libertad“ abgefiert worden waren und Lucio do Velho zu einer neuerlichen, genaueren Inspektion der Tafelbucht aufgebrochen war.

Baredi und zwei Späher des Hottentotten-Stammes hatten wenig später gemeldet, daß do Velho und Ignazio in den Pinienwald eingedrungen wären und die Spuren des hastigen Aufbruchs entdeckt hätten.

Hasard hatte den eingeborenen Nomaden des Kaplandes dazu geraten, ihren Kral abzubrechen und sich tiefer in den ausgedehnten Pinienwald zurückzuziehen. Er wollte ein zweites Zusammentreffen der Hottentotten mit den Spaniern und Portugiesen vermeiden, es durfte kein neues Blutvergießen geben. Nmogo, der Häuptling der Hottentotten, hatte eingewilligt. Auch Baredi, Neffe von Nmogo und Unterhäuptling des Stammes, hatte sich an Hasards Ratschläge gehalten. Er hätte do Velho und Ignazio im Pinienwald überfallen können, hatte es aber nicht getan, weil der Seewolf ihn darum gebeten hatte, den eitlen Portugiesen ihm zu überlassen.

Das Boot schaukelte immer bedrohlicher und drohte umzuschlagen. Dan verlor fast das Gleichgewicht. Er sah Ignazios Faust wie einen Hammer auf seinen Kopf zuschießen. Im letzten Augenblick zog er den Kopf ein, fing sich, riß die Handspake hoch und knallte sie dem Mann aus Porto gegen den Arm, ehe dieser die Pistole aus dem Gurt ziehen konnte.

Von der Mündung des Flusses her wurden Rufe laut. De Hernandez und Santillan, die Bootsführer, hatten die Flüche und entsetzten Schreie ihrer Kameraden vernommen und verlangten nach einer Erklärung. Da sie keinerlei Erwiderung erhielten, war damit zu rechnen, daß sie gleichfalls anrückten – und das hätte das Kräfteverhältnis zwischen Seewölfen und Spaniern auf drastische Weise für Hasard und seine Männer verschlechtert.

Ferris Tucker hatte einen Gegner nach Steuerbord aus dem Boot geräumt, Shane hatte einen Spanier niedergeknüppelt und wandte sich gerade dem nächsten zu. Carberry und Smoky kämpften gleichfalls wie die Berserker und hatten keine Mühe, sich gegen die geringe Übermacht zu behaupten.

Nur der Kerl, den Hasards rothaariger Schiffszimmermann in die Fluten befördert hatte, kroch an Land, rappelte sich auf und zückte sein Messer. Er wollte es voll Haß auf Ferris zu schleudern – und dies war der Moment, in dem Baredi nicht länger an sich halten konnte. Bisher hatte er mit seinen Spähern im Gebüsch gestanden und sich auf die Betrachtung dieser unvergleichlichen Szene beschränkt. Jetzt handelte auch er.

 

Batuti, der schwarze Herkules aus Gambia, hatte Baredi auf Hasards Geheiß hin auseinandergesetzt, daß in dieser Nacht keine Feuerrohre, keine Stichwaffen, keine Speere, Pfeile, Messer benutzt werden durften. Der Seewolf wollte kein Massaker, und daran hielt sich selbstverständlich auch der Hottentotte. Obwohl er allen Grund hatte, sich an den Spaniern zu rächen, hob er jetzt nur eine Keule – aus dem Holz eines Affenbrotbaumes geschnitzt – und zog sie dem wurfbereiten spanischen Soldaten über den Schädel. Der Soldado hatte ausgesprochenes Pech, weil er seinen Helm im Fluß verloren hatte. Zweifellos hätte ihn die Kopfbedeckung vor der Wucht des Keulenhiebes bewahrt – so aber dröhnte es in seinem Kopf, als habe ihn ein Elefant getreten. Er sank mit einem matten Laut in das Dickicht.

Fast im selben Augenblick kenterte das Boot.

Dan brachte sich mit einem Satz vor dem umkippenden Feuerbecken in Sicherheit, federte aus der Jolle und landete im Wasser. Ignazio tauchte neben ihm ein und versuchte sofort, Dans Schultern zu packen und ihn unter Wasser zu drücken.

Dan O’Flynn parierte jedoch. Er brachte seine rechte Hand noch früh genug hoch, zielte mit der Eichenholzspake und ließ sie niedersausen.

Diesmal hielt Ignazio trotz seiner robusten körperlichen Konstitution nicht stand. Er verlor das Bewußtsein, sank und drohte, jämmerlich zu ertrinken. Dan klemmte sich die Spake einfach unter den Arm, griff nach den Haaren des Mannes und schleppte ihn zum Ufer.

Ferris Tucker hatte die Böschung schon erreicht. Er hievte einen besinnungslosen spanischen Seemann zu Baredi und den anderen zwei Hottentotten hinauf und blickte grinsend auf den Kerl, der von Baredi niedergeschlagen worden war.

Shane, Smoky und Carberry tauchten neben Dan O’Flynn auf. Auch sie zerrten ein paar Ohnmächtige durch das Wasser aufs Ufer zu. Zwei der Bootsinsassen waren noch bei Bewußtsein, sie schwammen zum Festland und klommen schwer atmend aus dem Wasser. Sofort hoben sie die Hände und unternahmen keinen Versuch mehr, sich zur Wehr zu setzen. Sie hatten die Nase voll.

„He!“ rief Dan den Kameraden zu. „Wo steckt denn eigentlich der Seewolf?“

Ferris hatte sich auf dem Ufer umgedreht und spähte von den Kameraden zu dem gekenterten Boot und vom Rumpf des Bootes zum gegenüberliegenden Ufer. „Ja, Dan hat recht – Hasard und do Velho, dieser Hurensohn, sind verschwunden …“

„Tauchen“, stieß Carberry hervor. „Wir müssen sofort nach ihnen tauchen.“

Big Old Shane hatte in Rückenlage gleich zwei Spanier abgeschleppt, um sie vor dem Absaufen zu bewahren. Jetzt wuchtete er sie an Land, stemmte sich ein Stück am Ufer hoch und erwiderte: „Ach Quatsch, ihr glaubt doch wohl nicht, daß Hasard mit dem Portugiesen zusammen immer noch unter Wasser … Unsinn, das wäre ja …“

„Hör auf zu stottern“, grollte der Profos. „Unternehmen wir lieber was.“ Er schob den bewußtlosen Spanier, für den er gnädigerweise den Lebensretter spielte, wie ein Stück Treibholz auf das Ufer zu. Der Spanier rauschte mit Bugwelle auf die Hottentotten zu, die sich bückten und die Hände ausstreckten, um ihn in Empfang zu nehmen.

Carberry drehte sich im Wasser um und schwamm mit mächtigen Zügen. Ferris Tucker ließ sich vornübersinken und stach mit vorgestreckten Armen in den Fluß zurück. Dan lieferte Ignazio bei Baredi und dessen zwei Begleitern ab, entledigte sich rasch seiner Stiefel und kehrte dann um, um ebenfalls nach dem Seewolf zu suchen.

Was war geschehen?

Vor sich selbst hatte Lucio do Velho eingestanden, daß er eine Reihe von Fehlern begangen hatte. Niemals hätte er nur mit dem einen Boot in die Flußmündung eindringen und seine Jolle auch nicht so nah an das rechte Ufer heranlenken dürfen. Aber da war das Geräusch im Dikkicht gewesen – und er war darauf hereingefallen. Die Männer hatten auf sein Zeichen hin die Riemen binnenbords geholt und zu den Musketen gegriffen.

Ignazio hatte sich hinter die Serpentine gekauert, aber das alles hatte viel zu lange gedauert, sie hatten weder die Musketenhähne spannen noch das kleine Geschütz zünden können. Zu überraschend war dieser Angriff aus dem Dunkel erfolgt.

Ihre volle Konzentration hatte sich auf das gerichtet, was schräg vor ihnen gewesen war. Ein weiterer Fehler – so hatten sie die Gestalten übersehen, die hinter ihnen aus dem Dikkicht aufgetaucht waren.

Do Velho hatte sich umgewandt, den Mund aufgerissen und die Pistole gezückt, als der Seewolf auf ihn zugesprungen war. Philip Hasard Killigrew hatte ihm die Pistole aus der Hand gefetzt und ihm, do Velho, den Schrei in der Kehle erstickt, indem er ihn von der Achterducht gerissen hatte.

Do Velho hatte sich bei dem Bestreben, sich an der Ruderpinne festzuhalten, fast die Hand verrenkt. In die tiefsten Schlünde der Hölle hatte er den verhaßten Seewolf verwünscht, dann waren die Fluten über ihm zusammengeschlagen.

War nun alles verloren?

Do Velho hatte unter Wasser versucht, sich von dem Seewolf zu lösen, aber der hatte ihn wie mit Eisenklammern festgehalten. Wenigstens das Messer oder den Degen hatte der portugiesische Kommandant zücken wollen, aber Killigrew hatte ihm die Faust unters Kinn gerammt. Do Velho hatte es fast die Sinne geraubt. Er hatte Wasser geschluckt und wäre elend ertrunken, wenn der Seewolf ihn nicht zum gegenüberliegenden Ufer befördert hätte.

Hasard hatte sich für das westliche Ufer als Landeplatz entschieden, weil er sich mit seinem Erzfeind ohnehin schon in der Mitte des Gewässers befunden hatte. So weit hatte sie der Satz von der Bootsducht hinausbefördert. Und nun schwamm Hasard kurz entschlossen auf die andere Seite – nicht zuletzt auch, weil er befürchtete, auf dem entgegengesetzten Weg mit der Jolle der Spanier und Portugiesen ins Gehege zu geraten oder von einem der Dons einen Hieb mit dem Riemen über den Schädel zu empfangen.

Hasard gelangte an das Ufer und zerrte den augenscheinlich besinnungslosen Lucio do Velho auf den schlammigen Untergrund zwischen den Sträuchern. Er wollte damit beginnen, dem Mann das Wasser aus dem Körper zu pumpen und ihn wiederzubeleben, da geschah es.

Do Velho schoß hoch.

Mit allem hatte der Seewolf gerechnet, nur damit nicht. Wieder einmal erwies sich der karrierebewußte, von einem gleichsam fanatischen Jagdtrieb besessene Capitan weitaus zäher, als Hasard angenommen hatte. Ja, do Velho hatte Wasser geschluckt, aber er hatte es wieder ausgespien, als der Seewolf ihn abgeschleppt hatte. Früher als erwartet war er zu sich gekommen, hatte Luft geschöpft und sich auf seinen Gegenschlag vorbereitet.

Jetzt riß er beide Fäuste hoch und knallte sie dem Seewolf unters Kinn.

Hasard stand halb aufgerichtet. Er zuckte zurück und taumelte im hüfthohen Wasser. Wild flutete der Schmerz durch seinen Kopf, dann durch den Oberkörper. Er hatte Mühe, sich zu halten. Es kostete ihn seine ganze Kraft, gegen dieses Dröhnen in seinem Schädel anzukämpfen und die Hände nach do Velho auszustrecken, um ihn niederzuringen.

Der Portugiese robbte rückwärts. Die Schnelligkeit war in diesem Augenblick sein Trumpf. Er entging den Händen des Seewolfes, erhob sich und zog den Degen.

Hasard sah die Degenklinge durch milchige Schleier, die vor seinen Augen wogten. Er reagierte und zog seine Arme zurück, bevor die Spitze der Waffe seine Hände ritzen konnte. Der Kratzer, den der jetzt tote erste Offizier Ernesto Malcores ihm durch einen Pistolenschuß am linken Arm verpaßt hatte, machte sich kaum noch bemerkbar, aber Hasard verspürte nicht das geringste Verlangen, wieder verletzt zu werden. Er drehte sich nach rechts, ließ sich fallen und überschlug sich im Wasser.

Do Velho stach ins Leere.

Hasard tauchte an einer Stelle, an der er noch stehen konnte, wieder auf. Er war sehr leicht bekleidet und trug nur eine kurze Hose und einen Gurt mit einem Messer darin – wie auch seine fünf Männer ohne lästigen Ballast in diesen Kampf gezogen waren. Nur Dan und Ferris hatten nicht auf lange Hosen und Stiefel verzichten wollen, inzwischen aber einsehen müssen, daß ein Bad im Fluß unvermeidlich war. Dort wurden die Stiefel zu Gewichten an ihren Füßen. Sie mußten sie abstreifen.

Do Velho tänzelte am Ufer auf Hasard zu und ließ den Degen in der kühlen Nachtluft sirren.

„Lobo del Mar“, keuchte er. „Zieh blank. Du mußt früher, viel früher aufstehen, wenn du mich vernichten willst.“

„Ich habe keine Lust, mich mit dir zu duellieren, do Velho“, sagte Hasard verächtlich.

„Du willst kneifen? Ist das dein ganzer Mut, diese Tapferkeit, über die die tollsten Gerüchte verbreitet werden?“ Der Portugiese lachte auf. „Legenden! Ammenmärchen! Nur im Zweikampf wird die Wahrheit aufgedeckt …“

Hasard hatte do Velho nähertreten lassen. Jetzt zog er mit einem Ruck die rechte Hand hoch, die er bislang unter Wasser verborgen hatten. Er hielt die Handspake, die auch er von Bord seiner Galeone mitgenommen hatte – für alle Fälle. Eigentlich hatte er sie nicht einsetzen wollen, daher hatte er sie im Gurt stecken lassen. Aber jetzt war es unumgänglich, diesem arroganten, eitlen Portugiesen eine Lektion zu erteilen.

Hasard hatte sich weitgehend gefangen, er war wieder Herr seiner Sinne. Ehe do Velho zurückweichen konnte, hieb er ihm die Spake auf die Finger. Hasard mißachtete die Degenklinge, die dicht vor seinem Unterleib pendelte, und es war ihm klar, daß er hoch setzte. Wenn er do Velhos Armnerven nicht lähmen konnte, stach dieser zu, und dieses Mal blieb keine Zeit, dem Degen durch eine Drehung oder durch einen Sprung zu entgehen.

Aber es glückte. Do Velho stieß einen Wehlaut aus, seine Finger öffneten sich und verharrten dann in starrer, verkrampfter Haltung. Der Degen löste sich aus der Hand und fiel ins Wasser. Hasard watete los und hob wieder die Spake, um sie do Velho über den Hinterkopf zu schmettern.

Aber noch einmal handelte der Portugiese verblüffend schnell. Er fuhr herum und lief durch das Dikkicht in die tiefe Finsternis des Pinenwaldes, der auch dieses Ufer bewuchs.

Hasard verlor keine Zeit damit, sich nach dem Degen des Kommandanten zu bücken und ihn aus dem Wasser zu fischen. Er stürmte an Land und eilte dem Flüchtigen nach.

Nur ein wenig Distanz wollte Lucio do Velho zwischen sich und den Erzfeind legen. Er hatte immer noch das Messer, brauchte aber etwas Abstand, um sich umdrehen und damit auf den schwarzhaarigen Korsaren zielen zu können.

Dies alles geschah, während sich Dan, Ferris, Shane, Carberry und Smoky mit den Spaniern und Portugiesen im Boot balgten und keine Sekunde Zeit dazu hatten, einen Blick auf das gegenüberliegende Ufer zu werfen.

Als das Beiboot der „Santa Monica“ kenterte und seine Insassen in den Fluß kippten, blieb do Velho unter haushohen Schirmpinien stehen, fuhr herum und wartete in leicht geduckter Haltung das Nahen des Seewolfes ab.

Zu verstecken brauchte der Portugiese sich nicht, die Finsternis schluckte ohnehin die Konturen seiner Gestalt. Langsam hob er das Messer, dessen Klingenspitze er zwischen Daumen und Zeigefinger hielt. Er führte die Waffe leicht über die rechte Schulter zurück und nahm die Position ein, die er brauchte, um das Messer kraftvoll und sicher ins Ziel zu befördern.

Plötzlich sah er den Seewolf.

Die Figur des heranhetzenden Mannes nahm sich für do Velho ausgesprochen klar aus. Im Hintergrund des Seewolfes lag die unter dem Mondlicht silbrig glitzernde Fläche des Flusses.

Do Velho zählte in Gedanken bis fünf, dann warf er sein Messer.

Hasard erkannte eine schwache, nicht genauer zu erklärende Bewegung zwischen den wuchtigen Baumstämmen. In derselben Sekunde konstatierte er auch ein Aufblinken. Es verriet ihm alles, die tödliche Gefahr, die auf ihn zuraste – er knickte in den Knien ein, stürzte auf den weichen Untergrund und spürte das Messer des Feindes über seine Schulter zischen.

Keinen Yard hinter dem Seewolf blieb das Messer in dem Stamm einer uralten Pinie stecken. Das Heft bebte ein wenig. Hasard hätte sich der Waffe bemächtigen können und sie gegen Lucio do Velho verwenden können, und er hatte mittlerweile auch genügend Wut in sich aufgestaut, um einer solchen Tat fähig zu sein.

Und doch, er kümmerte sich nicht weiter um das Messer. Nur mit der Spake in der Faust, nahm er erneut die Verfolgung des Kommandanten auf. Do Velho verfügte nach seinem heimtückischen Angriff über keine Waffe mehr. Er war Hasard ausgeliefert.

 

Trotzdem gab er sich nicht geschlagen. Wenn er vor dem Seewolf ausriß, so bedeutete das bei einem Mann seiner Art, daß er sich etwas davon versprach.

Was es war, lag für Hasard auf der Hand. Selbstverständlich konnte sich auch do Velho ausrechnen, daß es vom Fluß bis zum Ufer der Tafelbucht nicht weit war. Der Fluß, der sich von Westen her auf die Bucht zuwand, knickte keine halbe Meile vor seinem Ende scharf nach Südwesten ab, grub noch gut eine Meile weiter sein Bett und floß dann endgültig in die See. An dem Knick jedoch gab es noch einen zweiten Mündungsarm, der ebenfalls gut verborgen zwischen Pinien und Gebüsch nach Nord-Nord-West verlief.

Dieser sehr viel kürzere Arm fiel breiter aus und war in sich ein sonderbares Werk der Natur, eine Laune, denn die See drückte mit ihrem Gezeitenstrom gegen die Strömung des Flusses an, stärker als an der südwestlichen Mündung. So war das Wasser dieser für die „Isabella“ durchaus benutzbaren Passage halb mit Salz- und halb mit Süßwasser gefüllt. Hasard war nach einer kurzen Besichtigung des Laufes überzeugt gewesen, daß bei Flut sämtliches Süßwasser ganz in den eigentlichen Fluß zurückgepreßt wurde und auf diese Weise tückische Strudel entstanden.

Wie auch immer, die beiden Mündungsarme schnitten einen schmalen Streifen Land von der Küste ab – und über diese Insel hetzte jetzt Lucio do Velho in dem Bestreben, das Ufer der Tafelbucht zu erreichen, sich ins Wasser zu retten und zu seinen Schiffen hinüberzuschwimmen.

Niemals, dachte der Seewolf, ich will verrecken, wenn du das schaffst, elender Hund!

Etwas heller wurde es vor Hasard, und kurz darauf öffnete sich der Pinienwald zur Bucht hin. Auf der spanischen Kriegsgaleone und auf den beiden Karavellen mit der Lateinertakelung waren keine Laternen angezündet worden. Man wollte den Feind nicht unnötig auf sich aufmerksam machen. Hasard konnte die Umrisse der drei Schiffe aber dennoch sehen. Behäbig ankerten sie unter dem fahlen Mondlicht, keine drei Kabellängen vom Ufer entfernt.

Do Velho war drauf und dran, von dem schmalen Strand in die Brandung zu laufen. Hasard rechnete sich aus, daß er ihn im flachen Wasser kaum noch packen konnte, und anschließend war es dann eben die Frage, ob er den Portugiesen durch Schwimmen einholen konnte. Zumindest theoretisch mußte er einräumen, daß do Velho sich in den Fluten wahrscheinlich mindestens genauso schnell voranzubewegen wußte wie er.

Hasard riß die Handspake hoch, stoppte ab, visierte die Gestalt des Flüchtenden grob an und schleuderte die hölzerne Waffe. Do Velho hatte die Brandung fast erreicht, aber die Spake segelte flach über den grauen Sand des Strandes auf seine Waden zu und verfing sich zwischen seinen Knöcheln. Do Velho konnte nun mit den Armen rudern und soviel fluchen, wie er wollte, er gewann die Balance nicht mehr wieder. Er strauchelte, fiel ins Wasser, richtete sich prustend wieder auf und wollte sich die Spake angeln.

Aber jetzt war der Seewolf heran. Er verpaßte dem Portugiesen einen Hieb zwischen die Schulterblätter und noch einen in die rechte Körperseite. Daraufhin streckte der Kerl Arme und Beine von sich. Sein Stöhnen ging in ein Gurgeln über, weil er wieder Wasser schluckte.

Hasard packte ihn und zerrte ihn zu sich hoch.

„Do Velho“, sagte er nicht besonders laut, aber mit Eisekälte. „Zwing mich nicht, dich wie einen räudigen Hund zu behandeln. Bewahre deine Würde, zum Teufel noch mal. Gib endlich auf.“

„Ich fordere dich zum Duell“, zischte der Portugiese, nachdem er eine beträchtliche Ladung Wasser ausgespuckt hatte.

„Tut mir leid, aber ich habe keinen Degen.“

„Ich auch nicht mehr, nehmen wir die Messer. Meins steckt in dem Baumstamm.“ Do Velho wies schwer atmend auf den Wald in Hasards Rücken.

„Was du nichts sagst! Aber einen Kampf mit Messern finde ich nicht stilgerecht“, entgegnete Hasard spöttisch. „Benutzen wir doch lieber die Fäuste.“ Er ließ seinen Erzfeind mit der einen Hand los, ballte sie zur Faust, hob sie vor seine Nasenspitze.

„Ich bin geschwächt“, murmelte der Kommandant. „Darauf kann ich mich nicht einlassen. Würdest du mich zusammenschlagen – wie einen Lumpenhund, Lobo del Mar?“

„Ja. Denn mehr als das bist du nicht.“

Lasch hob der Portugiese die Hand. „Spare deine Energien. Ich kapituliere. Nein, es ist kein Trick, um dich zu überlisten. Du kannst mich abführen. Ich werde keinen Widerstand leisten. Die Partie ist entschieden. Ich betrachte mich als Kriegsgefangener in den Händen des Feindes Spaniens. Der König wird diese unausgesetzten Repressalien Englands gegenüber seinen Kolonien jedoch nicht unbeantwortet lassen.“

„Ich bin keineswegs ein offizieller Vertreter der englischen Krone, do Velho“, widersprach der Seewolf.

„Nicht? Was dann?“

„In erster Linie ein Korsar, der nur sich selbst verantwortlich ist und keinem Rechenschaft abzulegen hat.“

„Der aber darauf spekuliert, früher oder später von seiner Königin zum Ritter geschlagen zu werden, und sich Sir Philip Hasard Killigrew nennen zu dürfen – sofern er die Königin an seiner Raubbeute beteiligt?“

„Do Velho“, sagte Hasard. „Noch so eine Unterstellung, und ich verpasse dir einen Jagdhieb, der dich für die nächsten Stunden verstummen läßt.“

„Nicht nötig, Senor. Führen Sie mich ab, und werfen Sie mich in das Verlies Ihres Schiffes. Legen Sie mich in Ketten. Setzen Sie mich einem peinlichen Verhör aus.“ Do Velho hob den Kopf und fixierte sein Gegenüber. „Ich bin auf alles gefaßt. Sie werden echte Schwierigkeiten haben, mich zum Jammern oder gar zum Schreien zu bringen, Lobo del Mar.“

„Du bist ein Narr, do Velho, trotz deiner Intelligenz.“

„Danke für das Kompliment.“

„Warum mußt du alles so dramatisieren?“

„Das liegt in meiner Natur“, erwiderte Lucio do Velho.

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