Seewölfe - Piraten der Weltmeere 101

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 101
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Impressum

© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-425-8

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Sabreras’ Hütte war nur noch ein schwärzliches Gerippe in den höher und höher leckenden Flammen. Wie heißes Blei schmolzen die letzten Reste des Baus dahin, krümmten sich und stürzten mit Knistern und Knacken in sich zusammen. Der Feuerschein war ein Fanal in der Nacht Er erhellte die steile Wand des Talkessels und zeichnete geisterhafte Muster darauf. Die Urwaldbäume hockten da wie stumme Riesen, die abwartend dem Prasseln der Flammen und dem Rufen der Männer lauschten.

Hasard stand in steifer Haltung vor dem Munitionsdepot der Spanier. Sein Triumphgefühl war empfindlich geschwächt worden. Ihm war zumute, als habe man ihm soeben einen Faustschlag ins Gesicht verpaßt.

Denn – bei allem Erfolg der Befreiungsaktion – Sebreras, der verbrecherische Kommandant und Ausbeuter der Smaragdmine, hatte während des Kampfes das Weite gesucht. Niemand hatte ihn stoppen können. Ja, er war entwischt, ohne daß die Seewölfe und ihre Freunde es auch nur bemerkt hatten.

„Verfluchter Mist“, sagte Hasard leise. „Das hätte uns nicht passieren dürfen.“ Er blickte zu Siri-Tong, die neben ihm stand. „Aber wir fassen den Hund noch, das schwöre ich dir. Und auch die wertvolle Smaragdkrone der Chibchas holen wir uns wieder.“

„Wir müssen sofort aufbrechen, wenn wir ihn noch einholen wollen“, erwiderte die Rote Korsarin. Mut und unbeugsamer Stolz sprachen aus ihrem Blick. Auch Sabreras hatte sie nicht unterwerfen können. Obwohl er sie mit einem Messer bedroht hatte, konnte sie ihn überrumpeln.

Hasard blickte in den verfilzt und undurchdringlich wirkenden Wildwuchs des Busches. Grübelnd zog er die Unterlippe zwischen die Zähne, schüttelte dann den Kopf und sagte: „Zu Land kriegen wir ihn ohnehin nicht mehr. Das ist Tatsache.“

„Und? Meinst du damit etwa, daß er den natürlichen Hafen erreicht, in dem die Smaragdschiffe ankern?“

„Ja.“

„Himmel, Hasard, das hört sich aber entmutigend an“, sagte sie. „Gibst du etwa auf?“

Gewiß, er hatte sich nach dem Ausbruch aus der Höhle und dem Kampf plötzlich unglaublich müde und ausgelaugt gefühlt. Aber das war nur ein Moment gewesen. Aber das war vorbei. Er hob den Kopf, sah sie an und grinste. „Ich gebe mich nur keinen falschen Hoffnungen hin. Auf See haben wir bestimmt mehr Aussichten, Sabreras auch wirklich zu stellen. Das Wasser ist unser Element.“ Er beschrieb eine Gebärde zum Urwald hin. „Nicht der Dschungel, in dem der Spanier garantiert rascher vorankommt als wir.“

„Dann beeilen wir uns doch wenigstens“, forderte Siri-Tong, und ihre dunklen Augen blitzten den Seewolf an.

Hasard ging zu seinen Männern. Sie hatten sich auf dem Platz zwischen den Hütten versammelt und blickten auf die toten und verwundeten spanischen Soldaten zu ihren Füßen. Die Chibcha-Indianer wollten die Männer, die sie so furchtbar geknechtet und gequält hatten; bespucken und mit den Füßen treten. Aber Carberry stellte sich mitten zwischen sie und breitete die Arme aus.

„Laßt das!“ rief er in seinem holprigen Spanisch. „Haltet euch zurück. Hölle und Teufel, es hat doch keinen Sinn, daß ihr eure Wut jetzt noch an ihnen auslaßt!“

Es war ein kurzer und heftiger Kampf gewesen, der an Dramatik wohl kaum zu übertreffen war. Praktisch ohne Waffen hatten sich die Seewölfe von ihren Ketten befreit und auf die Spanier gestürzt – und wenn Ferris Tuckers großartige „Höllenflasche“ nicht unter den heranstürmenden Wachtposten explodiert wäre, hätte die ganze Sache ziemlich übel ausgehen können.

Hasard und seine Männer hatten auch die Siri-Tong-Piraten befreien können. Unterdessen hatten sich auch die Chibchas, diese armen Teufel, von ihren Elendslagern im Freien aufgerafft und den weißen Mitgefangenen angeschlossen.

Das war ein Fehler der Spanier gewesen. Sie hatten die Indianer unterschätzt und sie nicht einmal mehr in Ketten gelegt, weil sie geglaubt hatten, sie seien durch die Fronarbeit zu Tode erschöpft.

Die Chibchas waren zu wandelnden Skeletten abgemagert, aber der Haß in ihnen war ein glimmender Funke, der unversehens zur Flamme aufschießen konnte. So hatten die Spanier sich plötzlich einer Übermacht gegenüber gesehen. Als die Sklaven dann auch noch Schußwaffen an sich gerissen hatten, war die Partie so gut wie entschieden gewesen.

Siri-Tong hatte sich zur selben Zeit aus dem zudringlichen Griff von Sabreras befreit, dessen Hütte fluchtartig verlassen und war zwischen die Fronten geraten. Die Öllampe, die sie in der Hütte umgerissen, und das Talglicht, das sie auf Sabreras geschleudert hatte, hatten das Feuer entfacht.

Der Seewolf hatte eigentlich das Munitionsdepot in die Luft sprengen wollen, inzwischen aber eingesehen, daß er die von den Spaniern gehorteten Waffen, das Pulver und das Blei noch gut gebrauchen konnte.

Dies war der kurze Abriß des Kampfes, der nur Minuten gedauert hatte. Inzwischen schwiegen die Beutewaffen. Ruhe war eingetreten. Carberry schaffte es tatsächlich, die Chibchas dazu zu bringen, daß sie die Feinde nicht weiter mißhandelten.

Er sah sich die am Boden liegenden Soldaten an und dann brüllte er plötzlich: „Schockschwerenot, dieser Sargento ist uns durch die Lappen gegangen! Dieser elende Galgenstrick und Lumpenhund!“

Hasard steuerte auf ihn zu. Die Männer wichen zurück und gaben eine Gasse frei, durch die er hindurch konnte.

„Der Sargento also auch“, sagte Hasard. „Da haben sich die beiden Richtigen gefunden.“

Carberry sah ihn entgeistert an. „Was denn, wie denn? Mann, Hasard, ich meine, Sir – ist etwa noch jemand ausgerissen?“

„Du merkst aber auch alles“, fuhr Ferris Tucker ziemlich bissig dazwischen. Ihm wie den anderen waren die Strapazen der letzten Stunden noch deutlich anzusehen. Und auch der Kampf hatte seine Spuren hinterlassen. Ferris hatte eine Beule auf der Stirn und eine blutige Schramme, die quer über die rechte Wange lief.

Shane, der bereits etwas ahnte, fügte noch hinzu: „Dreimal darfst du raten, wer, Ed.“

Matt Davies wollte auch etwas dazu sagen, aber der Profos schoß einen derart wilden Blick auf ihn ab, daß er es lieber sein ließ.

Carberry wandte sich wieder dem Seewolf zu. „Sabreras, nicht wahr? Dieses Rübenschwein. Kaufen wir uns den Hund. Auf was warten wir noch?“ Er fuhr zu den Kameraden herum. „Ihr Stinkstiefel und Kakerlaken, sucht den Dschungel ab!“

„In welcher Richtung denn?“ fragte Smoky.

„Zum Hohlweg!“ brüllte Carberry. „Das ist doch der einzige Ausgang aus diesem Dreckskessel!“

Hidduk, der Häuptling der Santa-Barbara-Indianer, nickte sofort dazu. Carberry sprach nämlich immer noch spanisch, und das verstand der rothäutige Mann.

Blacky holte tief Luft, dann entgegnete er: „Hör zu, Ed, es ist doch klar wie Suppe, daß wir Sabreras und den Sargento dort nicht mehr abfangen können, zumal wir jetzt erst bemerkt haben, daß sie abgehauen sind. Irre ich mich, Hasard?“

„Nein. Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen.“

„Tja.“ Carberry kratzte sich verdrossen an seinem mächtigen Rammkinn. „Trotzdem. Ich melde mich freiwillig, schon mal vorzulaufen und den Hohlweg abzuriegeln. Möglicherweise versuchen die beiden Schweinehunde ja auch, uns dort wieder eine Falle zu stellen.“

„Gut, einverstanden“, erwiderte Hasard. „Dan O’Flynn, Jeff Bowie und Al Conroy, ihr begleitet den Profos. Nehmt so viele Waffen und Munition mit, wie ihr tragen könnt, verstanden?“

„Aye, Sir!“ rief Carberry.

Hasard wandte sich an Hidduk, seinen auf den Galápagos-Inseln neu gewonnenen Verbündeten und Führer. „Wenn Sabreras und der Sargento den natürlichen Hafen der Smaragdschiffe erreichen – wohin wenden sie sich dann deiner Meinung nach?“

„Nach Panama.“

„Ganz bestimmt? Nicht nach Süden?“

Der Häuptling schüttelte bedächtig den Kopf. Mit der Hand wies er in nördliche Richtung. „Hidduk ist sicher. Sabreras sagte einmal, wenn Gefahr drohe, wenn ihn hier jemand angreife, dann Durchbruch nach Panama. Dort gibt es Hilfe, Verstärkung. Sabreras wird mit vielen Schiffen erscheinen und Krieg gegen uns führen.“

Hasard warf einen Blick auf seine Männer. „Allein aus diesem Grund dürfen wir den Kerl nie und nimmer ungeschoren abziehen lassen. Außerdem hat er bestimmt eine Ladung Smaragde an Bord – und die große Krone der Chibchas. Los, Männer, löschen wir das Feuer, damit es nicht doch noch auf das Depot übergreift. Dann nehmen wir Waffen, Munition und so viele Smaragde mit, wie wir tragen können, und kehren zur ‚Isabella‘ und dem schwarzen Segler zurück.“

 

Die Männer liefen auseinander und führten die Befehle des Seewolfs aus. Carberry, Dan, Jeff und Al waren längst im Urwald untergetaucht. Hasard schritt langsam auf die Minenstollen zu und betrachtete die Leiber der Widersacher, die wie hingesät auf dem Untergrund verstreut lagen. Er zählte mehr als ein Dutzend Tote, drei Schwerverletzte und sechs, sieben Leichtverwundete. Er vergewisserte sich selbst, daß sie ihnen nicht mehr gefährlich werden konnten, dann drehte er sich zu Siri-Tong um.

„Wir können die Verwundeten nicht so einfach ihrem Schicksal überlassen“, sagte er. „Ich habe den Kutscher leider nicht dabei, aber ich lasse sie so gut wie irgend möglich verarzten.“

„Deine unverbesserliche Menschlichkeit“, murmelte sie.

„Hast du einen besseren Vorschlag?“

„Nein. Natürlich hast du recht“, erwiderte sie. „Wir dürfen nicht die Scharfrichter spielen. Daß Soldaten letztlich nur den Befehlen ihrer Vorgesetzten gehorchen, ist mir auch klar. Aber bedenke eins. Was wir nicht tun, führen die Chibcha-Indianer aus, sobald wir fort sind.“

„Wir werden darüber noch mit ihnen sprechen. Wie sieht es bei deiner Crew aus?“

„Keine ernsten Verletzungen. Nur Kratzer.“

„Bei meinen Männern zum Glück auch.“ Hasard streckte den Arm aus und hielt Ferris Tucker fest, der gerade an ihm vorbeilaufen wollte. „Kümmert euch um die verletzten Spanier“, ordnete er an. „Ich spreche inzwischen mit den Indianern.“

Er winkte Hidduk, Atasc und den anderen beiden Serranos zu, und sie begaben sich gemeinsam zu den Chibchas. Die hatten sich inzwischen vor einer der Hütten zusammengeschart und berieten offenbar miteinander.

Sie waren ein Grüppchen jammervoller Gestalten, Männer, Frauen, Kinder, die einem auf den ersten Blick nur Mitleid abverlangen konnten. Und doch wußte der Seewolf, daß er sie auf andere Art nehmen mußte. Sie wollten eher Achtung als Erbarmen und beriefen sich auf ihre Würde.

Zwei von ihnen, Halbwüchsige, hatte Hasard vor der Knute der Aufseher geschützt. Das hatten ihm die Chibchas nicht vergessen. Seine Tat war das auslösende Motiv für ihr Eingreifen während des Kampfes gewesen. In ihren Augen lag ein Ausdruck, der Hoffnung und neuen Lebenswillen verriet.

Als Hasard verharrte, trat einer von ihnen dicht vor ihn hin. Er war bis auf die Knochen abgemagert, seine ledrige Gesichtshaut war voller Falten und erfüllte die Höhlungen mit schlaffen Runzeln. Schlohweißes Haar hing in Strähnen bis auf seine Schultern.

Er sagte etwas in seiner Sprache.

„Verstehst du das?“ wandte sich der Seewolf an Hidduk.

„Nur einige Worte. Er spricht von Dankbarkeit der Chibchas.“

Hasard hob beide Hände, als der alte, weißhaarige Indianer geendet hatte. „Laßt uns spanisch miteinander reden. Ich weiß, daß ihr die Sprache eurer Feinde wie die Pest haßt, aber es ist die einzige Möglichkeit, uns zu verständigen. Ich habe mich übrigens bei euch zu bedanken, denn ohne euch hätten wir leicht scheitern können. So aber haben wir uns gemeinsam die Freiheit erkämpft.“

Der Weißhaarige sah ihm in die Augen. Ihre Blicke schienen sich ineinander zu verfangen.

„Lobo del Mar“, sagte der Alte mit hartem Akzent. „Payán, der Häuptling des Chibcha-Volkes, will sich dir anschließen. Er ist dein gehorsamer Diener.“

„Schlag dir das aus dem Kopf“, erwiderte Hasard. „Ihr seid frei und nur euch selbst verantwortlich.“

„Die Götter haben dich geschickt, Lobo del Mar.“

„Nein, das glaubst du nur.“

„Du hast uns gegen die Viracochas, die weißen Männer mit den schwarzen Bärten, geschützt“, sagte Payán. „Das vergessen wir dir nie.“

„Ihr habt euch bereits revanchiert“, erklärte Hasard. „Reden wir nicht mehr davon. Ihr müßt euch jetzt von hier absetzen und euch so tief wie möglich in den Urwald zurückziehen. Die Spanier dürfen keine Spur mehr von euch finden.“

Payán wollte vor ihm niederknien, aber Hasard hinderte ihn daran, indem er ihn an den Armen festhielt.

Hidduk war neben ihnen und sagte: „Widersprich dem Seewolf nicht, Payán. Sein Wort ist Befehl.“

Der Chibcha nickte. Plötzlich weiteten sich seine Augen, und er schaute Hasard noch einmal so durchdringend wie vorher an. „Sabreras! Gestern hat er die Esmeraldas, die Tränen der Götter, mit Maultieren auf seine Schiffe bringen lassen – viele grüne Steine …“

„So viele, wie Fische im Meer sind“, sagte Hidduk.

„Gut, daß du mir das gesagt hast“, erwiderte Hasard. „Ich will verhindern, daß Sabreras sie in ein Privatversteck schafft – oder aber nach Panama. Die Steine gehören ihm nicht. Auch der spanischen Krone nicht. Sie sind Eigentum der Chibchas.“

Payán wedelte mit der Hand. Er war immer noch sehr erregt. „Nein! Die Chibchas wollen die Tränen der Götter nicht mehr. Sie haben ihnen in der letzten Zeit nur noch Unglück gebracht. Auch die Krone, die den Fluch der Götter von ihnen abwenden sollte – sie gehört Lobo del Mar. Ihm bringt sie Glück!“

„Das kann ich nicht annehmen“, antwortete Hasard.

„Das mußt du annehmen“, erklärte Hidduk lächelnd.

Und Siri-Tong meinte: „Ich glaube, wir können es ruhigen Gewissens tun. Auch wenn wir uns hier die Taschen mit Smaragden vollstopfen, bleiben immer noch genügend für die Indianer zurück. Mehr, als sie tragen können.“

Sie wies auf die funkelnde Pracht, die sich mitten auf dem Lagerplatz häufte. Die schimmernden Zweikaräter waren die Ausbeute eines einzigen Tages – im Tagebau und in den Stollen der Mine gewonnen. Das rotgelbe Licht der ersterbenden Flammen brach sich in dem transparenten Gestein und rief bezaubernde Reflexe hervor. Allein dieses Anblicks wegen hätten sich Menschen zu Gewalttaten hinreißen lassen. Denn der Glanz der Smaragde siegte über die Vernunft und löste ein Fieber aus, dem nur die Stärksten zu trotzen vermochten.

Wenig später erreichten Hasard und seine Männer den Hohlweg, der aus dem Kessel führte. Sie hatten sich schwer mit Waffen, Munition und Diamanten beladen und stiegen heftig atmend und fluchend den mit Geröll übersäten Pfad hinauf.

Carberry trat ihnen entgegen. Er war ein wuchtiger Schatten in der Nacht. Bei seinem Anblick griff Matt Davies unwillkürlich zur Pistole.

„Narr“, zischte der Profos. „Bist du blind, oder was ist los?“

„Die Nerven spielen mir einen Streich“, sagte Matt ärgerlich.

„Paß auf, daß ich dir keinen Streich spiele.“

„Ed“, sagte der Seewolf. „Hör auf. Wir sind alle müde und zerschunden, es hat keinen Sinn, daß wir uns auch noch anblaffen. Was ist, habt ihr etwas entdeckt?“

„Nichts. Aber ich habe Conroy als Posten im Hohlweg aufgestellt und O’Flynn und Bowie als Späher losgeschickt. Sie sollen sofort schießen, wenn sie die beiden Halunken entdecken.“

Carberrys Stimme klang tief und kehlig, ein Fremder hätte es ihm gegenüber mit der Angst zu tun kriegen können.

„Gut.“ Hasard drehte sich um und winkte den anderen zu. „Weiter, wir haben keine Zeit zu verlieren.“

Sie klommen den Hohlweg hoch, der ihnen am Nachmittag zum Verhängnis geworden war. Hier hatten sie der schneidige, karrierebewußte Sargento und die Soldaten gestellt – und Hasard hatte sich die bittersten Selbstvorwürfe gemacht, weil er in die Falle getappt war.

Al Conroy erwartete sie am oberen Drittel des Hohlweges. Er gab ihnen ein Zeichen und sagte: „Alles in Ordnung, die Luft ist rein.“

„Sicher“, brummte Juan, Siri-Tongs Bootsmann. „Sabreras und der Narr von einem Sargento werden doch nicht so blöd sein, uns zu zweit einen Hinterhalt zu legen. Das wäre glatter Selbstmord.“

„Unterschätze Sabreras nicht“, sagte Siri-Tong. „Er ist zu allem fähig. Auch dazu.“

Sie schritten weiter voran, und Al Conroy schloß sich ihnen an.

Kurz darauf trafen sie im Busch auf Dan O’Flynn und Jeff Bowie. Sie waren beide ziemlich außer Atem.

„Nichts“, stieß Dan aus. „Wir sind gelaufen, aber die beiden Schufte sind wie vom Erdboden verschluckt. In dieser Fieberhölle ist das keine Schwierigkeit – ich meine, ungesehen zu verschwinden. Aber ich bin überzeugt, sie sind gerannt, als hätten sie sämtliche Teufel und Dämonen der Finsternis im Nacken. Deshalb haben sie einen Vorsprung, den wir nicht mehr einholen können.“

Hasard fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Sie waren feucht und klebrig, er hatte wieder zu schwitzen begonnen. Auch die Nacht brachte keine nennenswerte Abkühlung. Ein feucht-stickiger Schleier lastete auf dem Höhenzug der Cordillera Occidental und schien die Menschen, die sich bis hierher verirrten, umklammern zu wollen.

„Weiter“, sagte der Seewolf. „Wenn wir zügig marschieren, erreichen wir unsere Schiffe kurz nach Mitternacht. Hidduk führt uns wieder.“ Er schaute zu Bill the Deadhead. „Paßt auf, daß ihr nicht schlappmacht, ausrutscht, einen Fehltritt tut. Ihr wißt, wie leicht man hier krepieren kann.“

„Und ob“, erwiderte Bill. Er wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Oh, er würde nie vergessen, wie der Seewolf ihn unter Einsatz seines Lebens vor dem Sturz in den Abgrund gerettet hatte.

Hasard, Hidduk und Siri-Tong übernahmen die Spitze der Kolonne. Schweigend bahnte sich der Trupp einen Weg durch das dampfende Dickicht – dreißig Männer und eine betörend schöne, hartnäckige Frau.

2.

Sabreras stolperte den Hang hinunter, glitt aus, wälzte sich im Morast und blieb in einem Gesträuch hängen. Seine Hände waren um die wenigen Habseligkeiten verkrampft, die er bei der Flucht aus dem Lager der Mine hatte mitnehmen können: einen Jutesack mit der Smaragdkrone und anderem Schmuck darin, eine Ledermappe mit wichtigen Schriftstücken und eine reich verzierte Radschloßpistole.

Sein Gesicht war verzerrt. Er fluchte, und beinahe verlor er die Ledermappe, aber er mußte sie festhalten, koste es, was es wolle, denn in den sorgfältig beschrifteten Dokumenten war festgehalten, daß die Mine Seiner Allerkatholischsten Majestät, Philipp II. von Spanien, gehörte – und was sie bisher an Produktion abgeworfen hatte. Er mußte sie unbedingt dem Gouverneur von Panama überbringen. Niemals durften sie dem Feind in die Hände fallen.

Denn nur der König, kein Spion, hatte das Recht zu wissen, wie reich er war.

Und nur einer war im Bilde, wie das Verhältnis zwischen den offiziellen Zahlen und der wahren Produktion an Smaragden war: Sabreras. Er hatte es immer überzeugend darzulegen gewußt. Das war seine Lebensversicherung. Erfuhren seine Befehlshaber, daß er in die eigene Tasche gescheffelt hatte, dann war ihm das Todesurteil durch ein Kriegsgericht sicher.

Im Augenblick fühlte er sich dem Tod näher als dem Leben. Er war über und über beschmutzt und stank. Die Flucht durch den Dschungel hatte ihm alles abverlangt. Er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Oben in den Bergen war er zweimal fast abgestürzt. Einmal hatte ihn beinahe eine giftige Schlange gebissen.

Der Sargento hatte ihn vor diesem Ende bewahrt. Er hatte der Schlange mit einem Säbelhieb den Kopf vom Rumpf getrennt.

Sabreras hatte diesen Mann unterwegs eigentlich aus dem Weg räumen wollen. Er gehörte nämlich nicht zu den wenigen „Eingeweihten“, die von Sabreras’ Schatzversteck wußten und an der Ausbeute beteiligt waren.

Aber ohne den Sargento wäre er niemals bis hierher, ins Vorland der Cordilleras, gelangt. Er hätte sich bei ihm bedanken müssen.

Aber das lag ihm nicht. Er fluchte nur, spie Übelkeit und Widerwillen aus und richtete sich halbwegs an dem Gedanken auf, wie er dem Seewolf und seinen Gefährten noch zusetzen würde.

Er kroch aus dem Busch und hastete weiter.

„Comandante“, keuchte der Sargento hinter ihm. „Ich – ich glaube, die Richtung stimmt nicht. Wir müßten uns weiter nördlich halten.“

„Narr. Wie willst du das wissen?“

„Die Sterne …“

„Glaubst du Landratte, dich besser daran orientieren zu können als ein erfahrener Seemann?“ zischte Sabreras. „Schweig jetzt. Ich kann dein Gewäsch nicht mehr hören. Deinetwegen bin ich hingefallen.“

Der Sargento wollte aufbegehren, beschränkte sich aber lieber doch auf ein gemurmeltes „Si, Senor Comandante.“

Auf der Kuppe eines der letzten Hügel zwischen Bergland und Küste verhielt Sabreras unversehens seinen Schritt. Sein Begleiter prallte beinahe gegen ihn. Verstört blieb er dicht hinter ihm stehen. Sabreras würdigte ihn keines Blickes, er blickte nur starr voraus, nach Westen.

„Da ist eine Bucht“, raunte er. „Und es liegen Schiffe darin.“

„Heilige Mutter Gottes, wir haben es geschafft“, sagte der Sargento.

 

„Nein. Das ist nicht unsere Bucht.“

„Nicht – unsere …“

„Du elender Nichtsnutz“, fuhr der Kommandant ihn an. „Wenn du mich nicht irritiert hättest, wären wir nicht in die verkehrte Richtung gelaufen. Aber ich weiß jetzt, wo wir sind. Das da ist die Bucht, die zehn Meilen südlich unseres natürlichen Hafens liegt. Und die Schiffe gehören dem Seewolf. Hidduk hat ihn dorthin geführt, er wußte von der Bucht, dieser rote Bastard.“

„Senor“, sagte der Sargento. „Wir haben Waffen. Wir können die Kerle auf den Schiffen überfallen. Viele können es nicht sein. Der Großteil der Besatzungen befindet sich ja noch in der Mine, bei El Lobo del Mar.“

Sabreras musterte ihn von der Seite, als wäre er vom Aussatz befallen. „Por Dios. Wer hat dich bloß befördert? Es wäre unser Ende, wenn wir uns auch nur in die Nähe der Bucht begeben würden. Sie sind auf der Hut, diese Hunde, und sie würden uns aufgrund der Beschreibungen von Hidduk auch sicherlich identifizieren – zumindest mich.“

„Was tun wir dann?“

„Wir wenden uns nach Norden, gehen an Bord der ‚Esperanza‘ und laufen aus, um die Bastarde zu erledigen. Verdammt, die Boten, die ich von der Mine aus zum Verband geschickt habe, müssen längst dort eingetroffen sein. Warum suchen meine Männer die Schiffe des Seewolfs nicht?“

„Sicher tun sie es“, erwiderte der Sargento. „Aber die Bucht liegt versteckt. Wer nichts von ihrer Existenz weiß, segelt unweigerlich daran vorbei.“

Sabreras fluchte wieder leise vor sich hin, aber insgeheim gab er dem Sargento recht. Er, Sabreras, hatte seine Untergebenen nicht über die versteckte Bucht unterrichtet. Absichtlich nicht. Er hatte sich gesagt, eines Tages könne sie ihm irgendwie von Nutzen sein.

Daß aber genau das Gegenteil der Fall war, brachte ihn noch mehr zur Raserei.

„Gehen wir“, sagte er. „Ich will zu meinen Schiffen – und wenn ich das letzte Stück auf allen vieren kriechend zurücklegen muß.“

Aber er verfügte doch noch über größere Kraftreserven, als er selbst angenommen hatte. Aufrecht gehend, wenn auch leicht wankend, erreichte er nach Mitternacht den Hafen der Smaragdschiffe. Schon aus einiger Entfernung sah er ihr skeletthaftes Mastwerk in der Dunkelheit aufragen. In der geräumigen Bucht ankerten auch die Kriegssegler, die die Küste sicherten und den Frachtgaleonen auf dem Weg nach Panama und zurück Geleitschutz gaben.

„Sargento“, sagte Sabreras.

„Hier bin ich, Comandante.

„Lauf voraus und sorge dafür, daß die Posten an Land ein Boot für mich bereithalten.“

„Si, Senor.“

Der Sargento stolperte voran, seine Gestalt wurde von der Dunkelheit verschluckt. Insgeheim malte Sabreras sich schon aus, wie er von einem der Wachtposten erschossen wurde. Durch die Boten, die Sabreras geschickt hatte, waren sie ja von der Anwesenheit des Seewolfs unterrichtet worden. Und sie waren nervös genug, um einen auf sie zuhetzenden. Mann durch eine Kugel zu stoppen, bevor sie ihn zu identifizieren versuchten.

Es kam dann aber doch anders. Sabreras hörte den Sargento rufen. Irgend jemand antwortete ihm, und der Kommandant schloß aus den Wortfetzen, daß der Sargento erkannt worden war.

Fahr zur Hölle, dachte er.

Selbst konnte er den pflichtbewußten Mann nun nicht mehr töten. Es war zu spät dazu. Es gab zwei Möglichkeiten: entweder stellte der Sargento in der nahen Zukunft keine kompromittierenden Fragen, dann war alles in Ordnung. Oder er erinnerte sich der Bemerkungen, die der Seewolf, die Rote Korsarin und einige ihrer Männer in der Mine hatten fallenlassen. Bohrte er weiter, um die Wahrheit zu erfahren, würde Sabreras ihn zu bestechen versuchen.

Er schritt auf das Ufer der Bucht zu. Der Sargento hatte alles Notwendige veranlaßt. Ein Boot lag im Flachwasser bereit, Soldaten und Seeleute bildeten zwei Reihen und salutierten zur Begrüßung.

Sabreras verharrte und schaute zu den Schiffen.

Da lag die „Esperanza“, seine Galeone, ein ausgesprochen schönes, aufwendig gebautes und reich verziertes Schiff. In den Frachträumen lagerten die Truhen, die er am Vortag hatte hinschaffen lassen. Sie waren bis zum Rand mit Smaragden und Smaragdschmuck gefüllt.

Weiter ankerten da eine unbeladene Transportgaleone, zwei Kriegskaravellen – und was war das?

Ja, ganz am nördlichen Ufer der Bucht schwojte ein Etwas an der Ankerkette, das man als Schiff kaum noch bezeichnen konnte. Die drei Masten waren zu Stummeln reduziert, das Schanzkleid und die Aufbauten arg ramponiert – ein Bild des Jammers.

„Was ist das? Was hat das zu bedeuten?“ stieß Sabreras hervor.

„Senor“, erwiderte einer der Seeleute. „Ich bin einer der Überlebenden des Gefechts, das wir östlich der Isla de Malpelo mit zwei Schiffen gehabt haben. Ich gehöre zur Besatzung der Galeone ‚Santa Margarita‘, die Sie dort liegen sehen.“

„Das ist die ‚Santa Margarita‘?“ sagte Sabreras entsetzt.

„Das war sie“, erwiderte der Seemann erbittert. „Es geschah in der vergangenen Nacht. Wir patrouillierten vor der Küste und trafen mit diesen verdammten beiden fremden Schiffen zusammen. Dann …“

„Genug“, schnitt der Kommandant ihm das Wort ab. „Den Rest höre ich mir auf meinem Schiff an. Signalisiert sofort allen Schiffsführern. Ich halte eine Lagebesprechung auf der ‚Esperanza‘ ab.“

Das Boot brachte ihn zu der Galeone hinüber. Während die Männer auf den Duchten schweigend pullten, hockte Sabreras tief in seine Gedanken verstrickt da. Einiges konnte er sich bereits zusammenreimen.

Ein Seegefecht. Zwei fremde Schiffe, die einen gut armierten spanischen Verband aufgerieben hatten. Das konnten nur der Seewolf und Siri-Tong gewesen sein.

Das werdet ihr mir büßen, dachte Sabreras.

Er ging an Bord seines Flaggschiffes. Wenig später setzte auch der Sargento mit einem anderen Boot über, aber zu diesem Zeitpunkt befand sich Sabreras bereits in seiner Kammer im Achterkastell und hieb mit der Faust aufs Pult. Er hatte sich gesäubert, die Kleidung gewechselt und fühlte sich bereits wieder bedeutend wohler in seiner Haut, wenn der Haß ihn auch aufzuzehren drohte.

„De Vargas und Mangusto“, sagte er mit bebender Stimme. „Ich verlange augenblicklich eine Erklärung für das, was hier vorgeht.“

Aurelio de Vargas war der Kommandant der „Santa Margarita“, diese wiederum fungierte als Flaggschiff des Geleitschutzes. Er sprach ruhig, war ein hochgewachsener, besonnener Mann um die Mitte der Vierzig, aber die Spuren des Erlebten zeichneten als Kerben und Schatten sein Gesicht.

Er schilderte die Schlacht bei der Isla de Malpelo. Er konnte sogar die Personenbeschreibungen der feindlichen Schiffskommandanten geben.

„Also doch! Der Seewolf und die Rote Korsarin“, sagte Sabreras, als der Mann geendet hatte. „Das habe ich mir gedacht. Wo sind die Überlebenden der Karavelle, die von diesem schwarzen Viermaster versenkt worden ist, de Vargas?“

„Sie haben sich mit Beibooten absetzen können und sind gestern abend zu uns gestoßen.“

„Und die Galeone, das dritte Schiff des geschlagenen Verbandes?“

„Ist nicht wieder zurückgekehrt.“

„Ich entnehme Ihrem Bericht, daß der Kapitän sich feige aus dem Kampf zurückgezogen hat“, sagte Sabreras. Seine Augen waren schmal und blickten unsagbar kalt. „Das ist Fahnenflucht. Ich verurteile diesen Mann und seine Besatzung mit sofortiger Wirkung zum Tode und werde meinen Schuldspruch vom Gouverneur in Panama bestätigen lassen. Wer immer diese elenden Lumpen entdeckt, kann sie als Vogelfreie töten.“ Er wandte sich seinem Ersten Offizier zu, der bisher schweigend dagesessen hatte. „Mangusto – ich vermisse drei weitere Schiffe unseres Gesamtverbandes hier in der Bucht.“

Lopez Mangusto erhob sich. Er war mittelgroß, stämmig gebaut, muskulös und fast von athletischer Statur. Ein dichter schwarzer Vollbart rahmte sein Gesicht. „Senor Comandante, es handelt sich um die Galeone und die beiden Karavellen, die ich ausgesandt habe, als die Boten aus der Mine eingetroffen sind und mir Meldung erstattet haben. Sie suchen die Schiffe des Seewolfs. Kurz nach ihrem Auslaufen kehrte die Galeone zurück, die ich auf Patrouillenfahrt nach Süden geschickt hatte. Sie brachte die ‚Santa Margarita‘ im Schlepp mit. Die Schiffe des Seewolfs haben wir bisher noch nicht entdeckt. Comandante – wollen Sie uns nicht endlich sagen, was in der Mine vorgefallen ist?“

Sabreras setzte es ihnen auseinander. Ihre Augen weiteten sich, und besonders de Vargas und Mangusto kriegten immer längere Gesichter. Sie gehörten zu den Eingeweihten, die an dem großen Schatz auf San Cristóbal beteiligt waren. Als sie vernahmen, daß der Seewolf mit den Serranos paktiert hatte, wußten sie natürlich Bescheid.

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