Buch lesen: «Die Phoenix Ära»
Ron Palmer
Die Phoenix Ära
als die Erde verbraucht war
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Das Große Sterben
Aufbruch zur neuen Erde
Der Phoenix erwacht
Nachwort
Lesetipps vom Autor
Impressum neobooks
Das Große Sterben
"Welch ein Anker ist die Hoffnung!"Sully Prudhomme (Gedanken)
Vieles von dem, was heute in den Geschichtsdokumenten steht, habe ich vor mehr als hundert Jahren selbst erlebt. Und ich kann mich noch sehr gut daran erinnern. Als Ende der Siebziger Jahre das Große Sterben begann, ahnten nicht nur meine Eltern, sondern fast jeder, dass es diesmal kein Zurück mehr gab. Und auch die überlebenden neuneinhalb Milliarden Menschen im Jahr 2089 waren immer noch zu viel für die Erde. Für diese Erde!
Vor dem Großen Sterben lebten fast elf Milliarden Menschen auf der Erde. In dieser Dekade ging es den Menschen besser, als den überlebenden des Großen Sterbens. 2071 begannen die Salzkriege. So wurden sie genannt, obwohl es in keinem Land der Erde an Nahrungssalzen mangelte. Im Gegenteil - oft waren versalzene Böden die Ursache für Missernten und Hunger. Es war das falsche Salz. Die Kriege entstanden aus den politischen Schwelbränden der Jahre davor und zwar an den Orten, wo die Vorkommen an Seltenen Erden und Lithium am größten waren. Die Krisen begannen in der Mongolei, in China, in Bolivien, in Brasilien, in Zentralafrika und in Russland. Diese Länder drängten in den Dreißiger Jahren immer mehr an die Spitze der Weltwirtschaft und galten bald als die „neuen Emirate des 21. Jahrhunderts“. Ihre Macht sicherten sie durch gnadenlose Ausbeutung ihre eigenen Umwelt und Bevölkerung. Sie wussten das Potenzial einer gesunden und wohlhabenden Bevölkerung nicht zu schätzen und dachten in erster Linie an die Profite ihrer regierenden und reichen Mikro-Minderheit.
Kriege in den Ländern, die sich einst als Erste Welt bezeichneten, konnten die Machthaber der Neuen Emirate sehr erfolgreich eindämmen. Das obere halbe Prozent, das die Welt regierte, ließ Krieg in den Industrienationen nicht zu und exportierte die Kriege stets in die ärmsten Länder der Welt. Die Produkte der Ersten Welt waren für die Neuen Emirate notwendig, um weiterhin wertvolle Rohstoffe zu fördern. Aber der Krieg fiel bald auch in die alten Industrienationen und in die aufstrebenden Länder der neuen Emirate ein. In den Salzkriegen starben fast fünfzehn mal mehr Menschen an den Nebenwirkungen des Krieges, als durch den Krieg selbst. Versorgungsengpässe und Seuchen forderten, gegen Ende der Krieges, mehr als 1,3 Milliarden der insgesamt 1,4 Milliarden Opfer.
Heute weiß ich, dass deutlich weniger als ein Promille der Weltbevölkerug die Entscheidungen für alle übrigen Menschen traf. Diese Erkenntnis erlangte ich nicht durch die Neurolin-Behandlungen, denen mich meine Eltern zweimal ausgesetzt hatten. Neurolin wird heute nicht mehr offiziell gehandelt und war bis in die Sechziger Jahre eine jener medizinischen Wunderwaffen, die den Abstand zwischen „oben“ und „unten“ in der Gesellschaft noch mehr vergrößern sollten. Meine Eltern planten für mich einen Platz in der Elite ein, ganz weit oben im inoffiziellen oberen Promille. Dafür brauchten sie Neurolin, der Stoff, der bald als die teuerste chemische Verbindung auf der Erde galt – besonders nach dem Verbot des Neurolins.
Ich bekam meine erste Injektion mit knapp zwei Jahren, im dritten Jahr der Salzkriege. Sofort bildeten sich mehr als doppelt so viele Verbindungen zwischen den Nervenzellen meines Gehirns aus, als es in diesem Alter üblich war. Der Effekt ist eine weit mehr als doppelt so schnelle Entwicklung des Gehirns. Besonders durch das erleichterte Lernen wird die Entwicklung des Gehirns nochmals beschleunigt. Das Gehirn verfügt über viele ungenutzte Nervenzellen und das Neurolin sorgt zusätzlich dafür, dass es diese Reserven besser nutzt. So entwickeln sich Gehirne, die einer Neurolin-Behandlung unterzogen wurden, in der Praxis vier- bis sechsmal schneller als auf natürliche Weise.
Die zweite Injektion erhielt ich achtzehn Monate später. Im Alter von dreieinhalb Jahren unterhielten sich meine Eltern mit mir wie mit einem Erwachsenen und ich interessierte mich schon seit einiger Zeit für höhere Mathematik. Dann ging meinen Eltern das Geld für die dritte Injektion aus. Da ich bereits eigene Geschäfte machte, konnte ich die dritte Injektion selbst bezahlen. Ich bekam sie zu meinem fünften Geburtstag.
Ich fühlte mich nie als Genie, sondern schon als Kind als ein Leidender, getrieben von den unangenehmen Nebenwirkungen des Neurolins. Mein Gehirn kam kaum noch zur Ruhe, es wollte Tag und Nacht arbeiten, lernen oder kreativ werden. Der kreative Bereich war meine Rettung. Dort konnte ich mehr zur Ruhe kommen, als in den rationalen Fachgebieten. Womöglich wäre ich ohne meine kreative Arbeit ernsthaft psychisch krank geworden, wie es mit einem erheblichen Teil der Neurolin-Kinder auch passierte. Durch meine kreative Arbeit fand ich ungewöhnliche Lösungen für ungewöhnliche Probleme, für alle die sich meine Dienste leisten konnten.
Seit 2083 erhielt ich einige kleinere Aufträge von Seeker, dem größten Unternehmen der Welt, das nur drei Jahre davor das gesamte Internet übernommen hatte. Man munkelte bereits, dass mehr als ein Viertel des Planeten dem Firmeneigner Tian Chen gehörten. Wahrscheinlich gehörte ihm sogar noch mehr. Daher regierte der Firmenchef schon die Welt, Jahre bevor es die meisten ahnten. In den Achziger Jahren tobten die Seuchen des großen Sterbens am stärksten. Tian Chen schien politisch nicht sehr engagiert zu sein, er regierte unbemerkt und unterstützte häufig gemeinnützige Projekte, die Millionen Menschen das Leben retteten. Er war beliebt und galt als Multibillionär, der sehr großzügig Armen und Bedürftigen half. Aber noch konnte er Kriege weder verhindern noch beenden.
Schon seit den Siebziger Jahren litt die Infrastruktur und die Versorgung der ärmeren Länder erheblich mehr als die der reichen und im Jahr 2073 stagnierte die Weltbevölkerung zum ersten Mal seit vielen Jahrhunderten. 10.885.691.473 Menschen, lautete die offizielle Schätzung. Ganz sicher war die Zahl nicht, aber sie wurde als maximaler Peak der Weltbevölkerung in die Geschichtsbücher geschrieben. Danach verhungerten die Menschen oder starben an den Folgen der Kriege, durch Vergiftung, Infektionen, Minen oder Verstrahlung. Noch sechzehn Jahre lang starben auf diese Weise viele Menschen. Es wäre genug für alle da gewesen, denn die verseuchten Areale waren nicht so groß, dass es an Ackerland mangelte. Was die eigentliche Katastrophe auslöste, waren immer neue Spekulationsblasen, die vom oberen Promille gesteuert wurden. Diese Blasen platzten immer dann, wenn zu viele der steinreichen Anleger nervös wurden. Sie trieben Raubbau mit den am stärksten gefragten Rohstoffen der Böden und der Meere. Der Handel mit diesen Gütern wurde zum perversen Spiel der Reichsten des Planeten. Es begann der Ausverkauf des Erde.
Der kostenlose Auszug ist beendet.