Buch lesen: «1415 und die Freiheit»
Inhalt
Vorwort
König Sigismunds Freiheitsbrief von 1415
Mit Anmerkungen von Rolf Kamm
Kirchenspaltung und Reichsfreiheit – Das Konstanzer Konzil und seine Bedeutung für die Schweizer und Glarner Geschichte
Peter Niederhäuser
1352, 1388, 1415, Glarner Schicksalsjahre?
Rolf Kamm
Glarus, die Eidgenossenschaft und das Reich bei Aegidius Tschudi
Christian Sieber
Wann wurde Glarus souverän? – Der reichs- und völkerrechtliche Rahmen in Spätmittelalter und Früher Neuzeit
Thomas Maissen
Glarus in der alten Eidgenossenschaft – Betrachtungen und Einsichten aus Sicht der Verflechtungsgeschichte
André Holenstein
Souveränität, Landesrecht, Völkerrecht
Daniel Thürer
Autoren
Literaturverzeichnis
Vorwort
Rolf Kamm
1415?
Viele meinen, im Schweizer Jubiläumsjahr 2015 hätte man weniger über Morgarten (1315) oder Marignano (1515) und mehr über die Eroberung des Aargaus (1415) oder den Wiener Kongress (1815) reden sollen. Je nachdem, ob einen die «Befreiung», die «Neutralität», der Aargau oder die Grenzen der heutigen Schweiz mehr interessieren, fallen die Präferenzen für die eine oder andere Jahreszahl ganz unterschiedlich aus. Unterschiedlich sind auch der Bekanntheitsgrad und die Tradition dieser wichtigen Ereignisse: Die beiden Schlachten kennt heute noch fast jeder, «1415» ist dagegen ausserhalb des Aargaus kaum ein Begriff, und der Wiener Kongress wird nicht primär mit der Schweizer Geschichte in Verbindung gebracht.
Dieses Buch hat «1415» zum Thema, das meistunterschätzte der genannten Jahre. Die Eidgenossen eroberten den Aargau im Auftrag oder mit Erlaubnis des damaligen Oberhauptes des Heiligen Römischen Reichs: König Sigismund belohnte die eidgenössischen Orte dafür mit einer Vielzahl von Privilegien und Rechten. Das wichtigste davon ist die Reichsfreiheit, die er allen Orten erneut oder in einigen Fällen auch erstmals verlieh, so zum Beispiel dem Land Glarus. Nicht nur eidgenössische Orte, auch zahlreiche Kleinstädte oder adlige Herrschaften kamen 1415 in den Genuss der Reichsfreiheit, darunter Schaffhausen, Rheinfelden, Diessenhofen, Stein am Rhein, Rapperswil oder Winterthur. Von den genannten Städten blieb bekanntlich nur Schaffhausen dauerhaft reichsfrei und wurde 1501 einer der 13 eidgenössischen Orte.1
Freiheit?
Das Wort «Reichsfreiheit» enthält den Begriff der «Freiheit». Mit Freiheit ist im spätmittelalterlichen Kontext «die Freiheit, etwas zu tun», gemeint und weniger «die Freiheit von etwas». Wer reichsfrei wird, ist 1415 nicht frei vom Reich, sondern erhält vom Reich das Recht, etwas zu tun; zum Beispiel selbst Todesurteile zu fällen. Wenn einem diese Freiheit etwas bedeutet, wird man sich also nicht vom Reich distanzieren, sondern wird sich im Gegenteil, wenn immer nötig, auf das Reich berufen, das einem ja diese Freiheit verliehen hat. Reich und Kaiser werden so zu Garanten der eigenen Freiheiten.
Die Reichsfreiheit hat mit den Freiheiten des Einzelnen nichts zu tun: Reichsfrei sind im Falle von Glarus oder der anderen genannten Orte und Städte nicht die Individuen innerhalb dieser Gebiete, sondern das Kollektiv: in unserem Beispiel das Land Glarus. Glarus wird 1415 reichsfrei, nicht seine Einwohner. Da ein «Land», eine «Stadt» oder ein «Ort» etwas Abstraktes ist, werden die Freiheiten dieser Gebilde von Personen wahrgenommen, die dazu auf irgendeine Art und Weise berufen sind: die Obrigkeit. Die Kriterien, wer warum zu dieser Obrigkeit gehörte, und die Art, wie sich diese legitimierte, änderten sich im Laufe der Zeit: An die Spitze des Gemeinwesens konnte man zum Beispiel wegen seiner Herkunft, eines Losentscheides, einer Wahl oder auch dank ökonomischer Macht gelangen.
Auch die Reichsfreiheit selbst war einem Wandel unterworfen: Sie hatte im 15. Jahrhundert eine andere Bedeutung als im 16. oder 17. Jahrhundert. In den Köpfen überstand sie den Westfälischen Frieden von 1648, und in gewissen Traditionen rettete sich die «Reichsidee» über das Ende des Heiligen Römischen Reichs 1806 hinaus sogar ins 19. Jahrhundert.
In gewissem Masse bedeutet die Reichsfreiheit von 1415 dennoch eine «Freiheit von etwas», nämlich die «Befreiung» von den Institutionen des Reichs, den Hofgerichten zum Beispiel. Deshalb spricht man anstatt von der Reichsfreiheit mitunter auch von der Reichsunmittelbarkeit oder Reichsunabhängigkeit. Beides betont, dass sich zwischen dem reichsfreien Kollektiv und dem König oder Kaiser keine Hierarchiestufe mehr befindet, kein Reichsvogt und kein Reichstag: Das Land Glarus untersteht einzig und direkt dem Reichsoberhaupt. So ist die Reichsfreiheit ein Teil dessen, was wir ganz allgemein als staatliche Unabhängigkeit, Selbstbestimmung oder – vor allem in der Schweiz – als Souveränität bezeichnen. Während aber die Reichsfreiheit nach 1415 langsam an Bedeutung verlor, blieb die Frage der staatlichen Unabhängigkeit oder der Souveränität bestehen oder gewann sogar an Bedeutung.
Glarus?
Die Auswirkungen von «1415» auf die verschiedenen Orte, Städte und Herrschaften sind unterschiedlich: Der Aargau wurde wegen der Eroberung durch die Eidgenossen ein Teil der heutigen Schweiz, während die «Freie Reichsstadt Winterthur» eine Episode blieb. Die Entwicklung in Glarus verlief dagegen in vielen Bereichen, wie in der Gesamteidgenossenschaft, typisch schweizerisch: Das Glarnerland liegt geografisch peripher, doch die Walenseeroute und Zürich sind nicht weit. Es war zuerst eine habsburgisch dominierte Reichsvogtei, wurde 1415 erstmals reichsfrei und blieb es auch. Glarus war eine eher unbedeutende Macht in der heutigen Ostschweiz, wurde aber einer der acht alten Orte. Nach der Reformation behielt Glarus eine zuerst starke, dann schwindende katholische Minderheit, zerbrach deswegen aber nicht und wurde stattdessen ab dem 17. Jahrhundert nach Konfessionen paritätisch regiert. Nach dem Ende des alten Landes Glarus 1798 entwickelte sich der Bergkanton zur meistindustrialisierten Region der Schweiz und gab sich 1836 eine liberale Verfassung. Die Gründung des Bundesstaates 1848 fand in Glarus breite Unterstützung.
Das tönt nach einer 600-jährigen Erfolgsgeschichte. Markiert «1415» den Anfang staatlicher Unabhängigkeit? Welche Bedeutung hatte die Reichsfreiheit in späteren Jahrhunderten? Und wie frei, unabhängig und souverän konnte und wollte ein eidgenössischer Ort vom 15. bis ins 19. Jahrhundert wirklich sein? Am Beispiel Glarus soll diesen Fragen nachgegangen werden.
Am Anfang dieses Bandes steht die Urkunde, mit der die glarnerische Reichsfreiheit am 22. April 1415 begann. Peter Niederhäuser richtet den Fokus dann auf das Konstanzer Konzil, an dem die Glarner Reichsfreiheit ausgestellt wurde und die Interessen des Königs, der Habsburger und der Eidgenossen aufeinandertrafen. Der Schreibende stellt «1415» in den glarnergeschichtlichen Zusammenhang und nimmt Bezug auf die traditionellen Glarner «Schicksalsjahre» 1352 und 1388. Ausgehend vom Glarner Chronisten und Staatsmann Aegidius Tschudi betrachtet Christian Sieber anschliessend die Beziehungen zwischen Glarus und dem Reich im 16. Jahrhundert. Thomas Maissen spürt den Ursprüngen glarnerischer Souveränität vom Spätmittelalter bis in die Neuzeit nach, und André Holenstein erzählt die Geschichte der Glarner Unabhängigkeit als Verflechtungsgeschichte. Daniel Thürer schliesslich geht dem oft gebrauchten Begriff der Souveränität landes- und völkerrechtlich auf den Grund.
Dank
Die Tatsache, dass sich so ausgewiesene Kenner der Schweizer Geschichte dieser Thematik annehmen, verdanken wir einer öffentlichen Tagung, die der Historische Verein des Kantons Glarus im Herbst 2015 organisierte. Unter dem Titel «Glarus – souverän!? Unabhängigkeit und Freiheit in der Glarner und Schweizer Geschichte» trafen sich die Autoren dieses Bandes zum öffentlichen Austausch zu diesem bewusst weit gefassten Thema im Glarner Landratssaal.
Im Namen des Historischen Vereins des Kantons Glarus bedanke ich mich ganz herzlich: bei den Autoren für ihre Aufsätze und bei Susanne Peter-Kubli für die Redaktion. Dem Verlag Hier und Jetzt danke ich für die sehr angenehme Zusammenarbeit und dem Regierungsrat des Kantons Glarus für die finanzielle Unterstützung aus dem kantonalen Kulturfonds.
Rolf Kamm, Präsident des Historischen Vereins des Kantons Glarus Glarus, 22. April 2016
König Sigismunds Freiheitsbrief von 1415
Mit Anmerkungen von Rolf Kamm
Der Römische König Sigismund stellte im Rahmen des Konstanzer Konzils 1415 eine ganze Reihe von Urkunden aus. Eine davon richtet sich an «ammann und landlüte» von Glarus. Der Glarner Gelehrte Aegidius Tschudi versah die Rückseite des Dokuments im 16. Jahrhundert mit der Notiz «küng Sigmunds fryheit».1
Die Urkunde gliedert sich in sechs Teile. Ganz am Anfang wird der Aussteller, König Sigmund oder Sigismund von Luxemburg, genannt. Das Oberhaupt des Heiligen Römischen Reichs verweist anschliessend auf die Unterstützung der reichstreuen Glarner, insbesondere gegen den «ungehorsamen» Habsburger Herzog Friedrich von Österreich. Dafür gewährt Sigismund «denen von Glarus» das privilegium de non evocando: die Befreiung von allen auswärtigen Gerichten, auch von den Hof- und Landgerichten, ausser für den Fall, dass der Glarner Ammann einem auswärtigen Kläger das Recht verweigern würde. Weiter überträgt der König «Ammann und Landleuten» den Blutbann, also das Recht, über Leben und Tod zu richten. Und schliesslich befreit Sigismund die Glarner von allen Steuern und Abgaben. Die Habsburger verlieren damit und für alle Zeiten alle Rechte und Ansprüche im Glarnerland. Namentliche Erwähnung findet aber einzig der sogenannte Lämmerzehnt. Die Urkunde schliesst mit Ort und Datum ihrer Ausstellung.2
Abb.1 Mit der Urkunde vom 22. April 1415 befreit König Sigismund Ammann und Landleute von Glarus – in Anbetracht ihrer treuen Dienste für das Reich und insbesondere gegen Herzog Friedrich von Österreich – von den Reichsgerichten und verleiht ihnen den Blutbann. (LAGL AG III Kl. 51.14).
«Wir Sigmund von Gotes genaden Römischer künig, tzuo allen tzyten merer des richs und tze Ungern, Dalmacien, Croacien etc. künig,3 bekennen und tuon kund uffenbar mit disem brieve allen den, die in sehen oder hören lesen,4 das wir angesehen und gütlich betrachtet haben die getrüe, willige und nütze dienste, die unser und des richs lieben getrüen ammann5 und landlüte gemeinlich des lands und tales tzuo Clarus, vordern,6 unsern vorfarn an dem riche, Römischen keisern und künigen getan haben, sy uns und dem riche tegelichen tun und fürbass7 tun sollen und mögen in künftigen tzyten, sunderlich die hilffe, dienst und bystand, di si uns gegenwertigleich wider hertzog Friedrichen von Österreich, unsern und des richs ungehorsamen und widerwertigen tzu tun und tzu volleisten8 willig sin, und uns die tzu tun und tzu volleisten tzugesagt haben. Und haben in dorumb mit wolbedachtem muote, gutem rate unser und des richs fürsten, edeln und getrüen, und rechter wissen dise genade getan, das nymant derselben von Clarus und die tzu in9 in dem tal doselbs gehören, einen oder menigern10 für unser und des richs hofgerichte oder ander lantgerichte oder gerichte laden oder fürtreiben oder sy doran beklagen solle oder möge, sunder wer tzu solhen einem oder mer landlüten tzu Clarus ichts11 tzu klagen oder tzu sprechen hab oder gewinne, der sol recht suchen und nemen für dem amman tzu Clarus und sich daselbs an recht benügen lassen, es wer dann das dem klager oder klagerynn daselbs tzu Clarus von dem amman das recht geverlich vertzogen oder versagt oder verseumt wurde, so mögen sy recht vor unserm und des richs hofgerichte suchen und vordern, als oft in des not ist, und gebieten ouch dorumb unserm und des richs hofrichter und allen und jeglichen lantrichtern und richtern, die ytzund12 sin oder hernach werden, ernstlich und vestiglich mit disem brieff, das sy die vorgenanten von Clarus an den vorgeschriben iren genaden und friheiten fürbassmere nit hindern oder irren, oder sy doruber laden, fürtriben oder urteil uber sy sprechen oder sprechen lassen in dhein wis. Ouch haben wir den vorgenanten von Clarus verlihen und leihen in von Römischer kunigklicher macht mit diesem brieff den ban uber das blut tzu richten, noch dem rechten, uber sich und uber die tzu in gehören in dem tal Clarus, also das sy denselben ban von uns oder unsern nachkomen an dem rich fürbassme tzu lehen emphahen sollen also oft sich das geboret13. Und wann wir die vorgenanten von Clarus ytzund tzu uns und dem heiligen Römischen rich empfangen und uffgenomen haben, empfahen und nemen sy ouch uff in kraft diss briefs bi uns und dem riche ewiglich tzu beliben und dovon nit tzu komen, als das in andern unsern küniglichen maiestatbrieven, allen landlüten und steten in Switz14 vormals gegeben, clerlicher15 beschriben ist. Dorumb setzen und sprechen wir von Römischer küniglicher macht, das sy dem vorgenanten hertzog Friderichen von Österreich noch sinen erben oder nachkomen fürbasme ewiglich von keinerley rechten, tzinsen, gülten16, renten, pfendern, lehen, tzehenden, stewren, beden17 und mit namen den lemertzehend, den Rüeden Schultheiss und Swartzritter sin bruder genant die Kilchmatter von dem von Österreich tzu lehen empfahen hatten,18 oder anderley sache oder vorderunge wegen, die sy uff denselben von Clarus gehabt haben oder meinen tzu haben, damit nit gehorsam noch gewertig sin noch in die geben oder raichen sollen, in dheinerley wis, wann wir si dovon erledigt und quitt19 gesagt haben, erledigen und quitten sy ouch dovon mit diesem brief und meinen und wollen,20 das sy daby gerulich21 und on irrung beliben sollen, von allermeniglich ungehindert. Mit urkund diss briefs, versiglt mit unser kuniglichen maiestat anhangenden insigel, geben tzu Costentz nach Cristi geburd viertzenhundert jar und dornoch in dem fünftzehenden jaren, des nächsten montages vor sant Georgen tag,22 unser riche des Ungerischen etc. in dem neundtzeintzigsten und des Römischen in dem fünften jaren. Per Wigelis Schenk de Geyrn Jodocus Rot Canonicus Basiliensis»23
Kirchenspaltung und Reichsfreiheit – Das Konstanzer Konzil und seine Bedeutung für die Schweizer und Glarner Geschichte
Peter Niederhäuser
Der Verstocktheit des Pharaos folgend, habe Herzog Friedrich von Österreich seine Ohren wie die Schlange verstopft und die heilige Synode, ebenso die Bitte und Warnung seiner Freunde und die Vorladung des Königs übersehen. Deshalb komme die Synode zum Schluss, diesem Übel entgegenzutreten.
In blumiger Sprache und fantasievollem Inhalt schilderte der Chronist Aegidius Tschudi ausführlich die Vorgänge am Konstanzer Konzil, die dazu geführt hätten, dass der Habsburger in Bann getan und als ein abtrünniger Christ geächtet worden sei.1 Glarus kommt in diesen Ausführungen nur am Rand vor, immerhin notierte Tschudi den Freiheitsbrief von 1415. Weit wichtiger war dem Chronisten der grosse schweizergeschichtliche Rahmen mit der Eroberung des Aargaus, die auf Bitte des Königs erfolgt sei.
Warum diese Gewichtung? Wie bereits andere Chronisten vor ihm legte Tschudi mit seinem Blick auf eine «Freiheitsgeschichte» der Schweiz eine ausgesprochen politische Lesart des Konstanzer Konzils vor. Die Eroberung des habsburgischen Aargaus bedeutete für die Landesgeschichte eine Zäsur. Die Folge davon, nämlich die Entstehung eines gemeinsamen Untertanengebietes, blieb allerdings ein Kapitel, das in der Historiografie aus naheliegenden Gründen eher übergangen wurde. Für den Aargau waren die Eidgenossen alles andere als Vorkämpfer der Freiheit. Gehörte das Jahr 1415 mit der Verdrängung Habsburgs fortan zum traditionellen schweizergeschichtlichen Schlachtenkanon, so erhielten die langfristigen gemeinschaftsbildenden Auswirkungen dieses Krieges erst in jüngster Zeit stärkere Aufmerksamkeit. Das Aneinanderrücken der einzelnen Orte und die gemeinsame Verwaltung eines Untertanengebietes waren als «verbindende Elemente» (Thomas Maissen) wichtige Faktoren bei der «Suche nach einem gemeinsamen Nenner» (Bernhard Stettler).2
Innerhalb der nationalen Leitplanken gingen – und gehen – die grösseren Zusammenhänge weitgehend unter. Und doch war das Konstanzer Konzil zuerst einmal eine kirchenpolitische Grossveranstaltung. Der (Reichs-) Krieg von 1415, der den eidgenössischen Orten ein gemeinsames Untertanengebiet, gemeinschaftliche Aufgaben sowie zahlreiche Freiheitsbriefe brachte, gehört in ein reichspolitisches Umfeld, das vom Spannungsfeld zwischen König und Fürsten bestimmt wurde. Diese Verbindung von Kirchen- und Reichspolitik macht die Eigenheit des Konstanzer Konzils und die Bedeutung des Jahres 1415 aus – mit Folgen gerade auch für Glarus. Warum also versammelten sich im Herbst/Winter 1414 führende Leute aus ganz Europa ausgerechnet in Konstanz? Und was hat die Glarner Reichsfreiheit mit diesem Konzil zu tun?
Kirchliche Missstände
Drei Päpste, zwei Ketzer und ein geächteter Herzog – so lassen sich die Ereignisse des Konstanzer Konzils stark verkürzt und zugespitzt zusammenfassen. Tatsächlich steht die grosse Kirchenversammlung für eine der schwierigsten Perioden der Kirchengeschichte. Kein Wunder, erinnerten 2014 Konstanz und das Bundesland Baden-Württemberg an ein Krisentreffen und an ein Weltereignis. Der Wunsch nach kirchlicher Einheit und nach Reformen bestimmte die Traktanden des ungewöhnlichen Konzils mit den Leitthemen der Causa Unionis (Überwindung des Schismas), der Causa Fidei (Kampf gegen Häresie) und der Causa Reformationis (Kampf gegen Missstände innerhalb der Kirche).3
Abb.1 Die Konzilssitzung im Münster. Der Papst trägt die Tiara. Links und rechts von ihm sitzen zwei Kardinäle und sechs Bischöfe (Ulrich Richentals Chronik des Konstanzer Konzils, fol 016).
Abb.2 Die Verbrennung von Johannes Hus als Ketzer. Hus wird am 6. Juli 1415 vor der Stadtmauer von Konstanz verbrannt, seine Asche streut man in den Rhein (Ulrich Richentals Chronik des Konstanzer Konzils, fol 058).
Die Vorgeschichte des Konzils reicht ins 14. Jahrhundert zurück: Der Aufenthalt der Päpste in Avignon, oft als «Avignonesisches Exil» bezeichnet, hing mit der Situation in Rom sowie mit Machtverschiebungen und Spannungen wie Verflechtungen innerhalb des Kardinalskollegiums zusammen. Als Gregor XI. 1377 nach Rom zurückkehrte und wenig später verstarb, brachen die latenten Konflikte innerhalb der Kirche offen aus und mündeten schliesslich in die Wahl von zwei Päpsten. Urban VI. und seine Nachfolger lebten in Rom und Bologna, Clemens VII. und sein Nachfolger Benedikt XIII. zogen sich wieder nach Avignon zurück. 1409 versuchte ein Konzil in Pisa, das Schisma zu überwinden, setzte beide Päpste ab und bestimmte mit Alexander V. ein neues Oberhaupt, das die kirchliche Einheit gewährleisten sollte; sein Nachfolger wurde 1410 Johannes XXIII. Die Bemühungen von Pisa schlugen jedoch fehl. Aus der «ruchlosen Zweiheit» wurde eine «von allen verfluchte Dreiheit», denn die abgesetzten Päpste Benedikt XIII. und Gregor XII. dachten nicht daran, den Entscheid zu akzeptieren.4 Vielmehr vertiefte die Spaltung die Unsicherheit und förderte die Glaubenskrise. Die Erschütterung der römisch-päpstlichen Autorität ging Hand in Hand mit der Suche nach neuen, bald als ketzerisch verdammten Wegen, die mit den Namen von John Wyclif und Jan Hus verknüpft sind. Das Klagen über den Zustand der Kirche mit Worten wie Weinen, Trümmer oder Sumpf festigte den Wunsch nach Reformen – die mittelalterliche Kirche war dringend auf Erneuerung und Wandel angewiesen.5 Dafür brauchte es aber einen Anstoss von aussen.