Kobe Bryant

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Zeit mit der Familie

Als Fremde in einem fremden Land lernten die Kinder der Bryants und ihre Eltern, was es hieß, aufeinander angewiesen zu sein. „Wir mussten uns einer anderen Kultur anpassen“, erinnert sich Kobe. „Meine Familie und ich mussten uns zusammenraufen. Es war als besuchte man eine andere Welt. Wir kannten niemanden in Italien und hatten nur einander. Also muss man zusammenhalten.“

Auch Joe Bryants Leben als Basketballer änderte sich aufgrund des kulturellen Unterschieds. Obwohl Fußball in Südeuropa weitaus populärer war, zeigten die Italiener doch ein bemerkenswertes Interesse an ihren lokalen Basketballteams. Italienische Vereine durften nur ein Maximum von zwei Amerikanern in der Mannschaft haben. Die Gehälter, die gezahlt wurden, waren für die Legionäre aus Übersee zufriedenstellend, genauso wie der Spielplan, der viel mehr Zeit für die Familie ließ als der Spielplan der NBA, wo es zwischen drei und fünf Spielen pro Woche gab und man permanent auf Achse war.

In Italien lag der Schwerpunkt auf den Trainingseinheiten, von denen es normalerweise immer zwei pro Tag gab, etwas das im amerikanischen Profibasketball undenkbar wäre. Spiele gab es in der Regel nur einmal pro Woche, meist sonntags, und die Saison dauerte von Oktober bis Mai.

„Ich kann die Kinder zur Schule bringen und sie am Nachmittag wieder abholen“, erklärte Joe der Philadelphia Tribune. Während sich Jellybean in der NBA wie in einem Käfig vorgekommen war, begann er sich in der italienischen Liga recht schnell wohlzufühlen. Langsam avancierte er dort zum Star mit einem Durchschnitt von 30 Punkten pro Spiel (man muss erwähnen, dass er die meisten Spiele gegen Spieler im Alter von 18 oder knapp darüber spielte). Wenn er Lust hatte und seine Show abziehen wollte, war das kein Problem dort. Auf den Rängen stimmten die Fans Gesänge über sein Können an. Einer dieser italienischen Schlachtgesänge, den sich Kobe gemerkt hatte, ging etwa so: „Wer ist besser als Magic oder Jabbar? – Joseph, Joseph Bryant!“.

Über den Winter 1987 erzielte Joe im Schnitt 37,8 Punkte für Rieti. Sein größter Fan blieb jedoch sein Sohn, der ihn zu vielen seiner Trainings begleitete. „Er spielte mit so viel Charisma“, erzählte Kobe später einmal über die Jahre, die sein Vater in Europa gespielt hatte. „Er brachte mir bei, das Spiel zu genießen.“

Der Umzug nach Italien bewirkte nicht nur, dass Joe mehr Zeit mit seinen Kindern verbringen konnte, sondern hatte auch sehr positive Auswirkungen auf seine Ehe mit Pam. „Pam und ich verbringen nun viel mehr Zeit miteinander als zu meiner Zeit in der NBA“, vertraute er einem Reporter 1986 einmal an. „Wir sind nun auch beste Freunde. Freunde und Liebende. Wir gehen gemeinsam laufen und trainieren zusammen im Fitnessstudio. Wir joggen für fünf oder sechs Meilen. Pam läuft ihre acht bis 10 Meilen. Vielleicht melden wir uns nächstes Jahr bei einem Rennen an. Eigentlich wollte Pam nicht weg aus Philadelphia, doch jetzt fühlt sie sich richtig wohl.“

Neben Basketball nahmen Kobe und seine Schwestern Ballettunterricht, und Shaya fand genauso viel Gefallen am Karatetraining wie ihr Bruder. Die Schulen, die sie besuchten, waren katholisch und wurden von strengen Nonnen geleitet, die den Kindern eine erstklassige Erziehung angedeihen ließen.

„Meine Kinder können schon so gut Italienisch, dass sie sogar im landesweiten Fernsehen interviewt wurden“, sagte Joe. „Mein Vater muss sie immer darin erinnern, Englisch zu sprechen. Pam und ich sind gerade dabei, die Sprache zu lernen. Den Sportteil kann ich bereits lesen. Die italienischen Zeitungen gehen nicht gerade zimperlich mit ihren Fußballern um, wenn sie ein schlechtes Spiel hatten.“

Fußball war mit Abstand Sport Numero Uno in Italien. Sogar die wenigen öffentlichen Basketballplätze, die es gab, mussten immer wieder als kleine Fußballfelder herhalten. In seiner Zeit in Übersee wurde Kobes Einzelgängertum, das er mit seiner Mutter teilte, noch ausgeprägter. Er ging auf den Sportplatz und begann allein Werfen zu üben und an seiner Technik zu arbeiten. Wenn ein paar italienische Kinder auftauchten und spielen wollten, teilte er den Platz mit ihnen. Wenn dann noch mehr hinzukamen, dauerte es meist nicht lange, bis sich eine Mehrheit fand, die doch lieber Fußball spielen wollte. Das war dann auch der Punkt, an dem Kobe sein Training beenden musste und sich ihnen anschloss. Mit seinem sehr schlanken, hochgewachsenen Körper war er der ideale Tormann. Einige seiner Freunde von damals erinnern sich, dass er auch ein wirklich guter Stürmer war, was sich an seiner Beinarbeit und seinen Dribbelkünsten zeigte.

Fußball begann ihm richtig Spaß zu machen und so wurde er auch zu einem lebenslangen Fan, doch selbst dieser Sport vermochte den eisernen Griff des Basketball, in dem er gefangen war, nicht zu lösen.

Schlussendlich war es Pam und nicht Joe, die einen Korb zu Hause aufstellen ließ, was seinen Fanatismus für den Sport noch schneller wachsen ließ und seine Tendenz, sich von anderen Kindern zu isolieren.

Seine Großeltern in Philadelphia versuchten die Verbindung der Familie zur amerikanischen Kultur am Leben zu erhalten, indem sie viele Videos von Sportereignissen, meist Basketball, und verschiedene TV-Sendungen, speziell die Cosby Show, schickten. Angeblich war Kobe von dem, was er auf den Videos sah, so beeindruckt, dass er eine Zeit lang Breakdance machte. Was jedoch weitaus wichtiger war, waren die Basketballspiele, von denen er etwa 40 pro Saison zugesandt bekam.

„Sie sandten uns alle möglichen TV-Serien und Filme“, erinnert er sich. „Doch, worauf ich mich immer am meisten freute, waren die Basketballspiele. Ich brauchte die Videos, denn drüben hätte ich bis drei Uhr früh aufbleiben müssen, um sie zu sehen, aber ich hatte am nächsten Tag Schule. Das kam also nicht in Frage. So musste ich eben auf die Videos warten. Ich wartete immer ungeduldig auf den Postboten, dass er die Kassetten in unseren Briefkasten legte.“

Bald schon abonnierte Joe einen Service, der Videos von Spielen lieferte. Joe und Kobe sahen sich die Videos gemeinsam an, und passten besonders auf die Details auf, wie Beinarbeit – eine Einführung in Drop-Steps, Jab-Steps und V-Cuts – sowie die unterschiedlichen Offensiv- und Defensivstrategien der Teams in der NBA und ihrer Stars.

„Ich habe mir alle angesehen, von Magic Johnson über Larry Bird bis hin zu Michael Jordan und Dominique Wilkins“, erinnert sich Bryant. „Ich habe mir ihre Moves angesehen und in mein Spiel übernommen.“

Und so begann er sich anzugewöhnen, Spielmitschnitte zu studieren, normalerweise eine Aufgabe der Assistenztrainer. Als er dann in die NBA kam, verbrachte Kobe jeden Tag Stunden damit, seine eigene Leistung und die seiner Gegner bis ins kleinste Detail zu analysieren. Weit genauer und akribischer als es irgendein anderer NBA-Profi jemals tun würde.

In Italien pausierte der junge Kobe das Video und verlangsamte die Geschwindigkeit, um sich eine Sequenz nach der anderen anzusehen, wobei sein Vater oft daneben saß und ihn auf die wichtigsten Details hinwies. Wenn Joe nicht da war, studierte Kobe die Videos allein und verinnerlichte ganze Abläufe, vor allem jene, die Absichten und Tendenzen von Spielern verrieten. Im Alter von neun Jahren hatte er sein erstes Scouting-Video über einen recht unbekannten Guard der Atlanta Hawks namens John Battle zusammengestellt.

Zu dieser Zeit hatte auch Michael Jordan begonnen der NBA seinen Stempel aufzudrücken, doch der unangefochtene Star im Haushalt der Bryants, während Kobes Kindheit, war Magic Johnson. „Ich wollte damals nur Magic sehen“, erinnert er sich. „Alleine der Enthusiasmus, den er ausstrahlte, wenn er spielte. Er liebte es, auf dem Platz zu stehen, das konnte man sofort erkennen. Seine Pässe waren der reinste Wahnsinn.“

Die Lakers waren damals auf dem Höhepunkt angelangt und hatten dank Johnsons unglaublicher Ballkünste in den 1980ern einen Dauerplatz in der Finalserie der NBA gebucht. Das machte das L.A. Franchise zum Liebling der TV-Stationen. Kobes Zimmer glich einem Schrein für Magic Johnson, dominiert von einem riesigen Poster des Lakers-Point-Guards. Es war kein Zufall, dass Kobes Vater Johnson immer als Beispiel für den kompletten Basketballer zitierte.

Auf dem Fernseher daheim spielte er Magics Highlights rauf und runter, worüber einige seiner Kritiker später recht überrascht waren, da sich so wenig von diesem großen Passgeber in Bryants eigenem Spiel als Profi wiederfand. Obwohl Joe Kobe Videos von sich selbst aus vergangenen Tagen anbot, brauchte Kobe sie nicht.

Joe spielte eins-gegen-eins mit Kobe, wann immer er konnte, doch mit so vielen Trainingseinheiten war es unmöglich für Joe, Kobes unstillbaren Durst nach Basketball zu befriedigen.

Also begann Kobe, allein gegen sich selbst zu spielen. Er nannte es „Schattenbasketball“. „Ich spiele gegen meinen eigenen Schatten.“ Dazu bedurfte es auch unglaublicher Fantasie, die NBA-Stars, deren Bewegungen er von den Videos her auswendig kannte, zu visualisieren. Ähnlich wie Jerry West, der 40 Jahre davor – als dürrer Junge aus den Bergen Virginias – Stunden damit verbracht hatte, alleine am Korb zu trainieren.

Kapitel 9
DAS ROTE FAHRRAD

Jeden Sommer packten die Bryants ihre Sachen und flogen zurück nach Philly, wo Joe in der Baker League spielte und gleichzeitig als Coach in der Sonny Hill Liga aushalf. Nach zwei Saisonen in Rieti, zogen die Bryants für die Saison 1986/87 nach Reggio Calabria, einer Küstenstadt an der Südspitze Italiens mit einem ähnlichen Klima wie San Diego. Nach der nächsten Off-Season in Philadelphia kehrte die Familie nach Italien zurück und wieder einmal in eine neue Stadt. Kobe war nun in ein Alter kommen, in dem er bereits Aufgaben am Court übernehmen konnte.

 

Joes neues Team war in Pistoia, ein kleines aber geschichtsträchtiges Städtchen in der Toskana, das sich gerade auf seine Saison in der zweiten italienischen Liga vorbereitete. Auf Empfehlung seines Sohnes hatte der Präsident von Olimpia Pistoia, Piero Becciani, Joes Vertrag von Reggio Calabria um für Italien sagenhafte 150 Millionen Lire (damals etwa 115.000 Dollar) erworben. Das Team aus Pistoia hatte sich hohe Ziele gesetzt und wollte mit einer Offensivattraktion beim Publikum punkten und das Momentum der Begeisterung zum Bau einer neuen Halle nutzen. Leon Douglas, der zweite Amerikaner, der für die Saison 1987/88 vom Team unter Vertrag genommen wurde, erinnert sich, dass die Verpflichtung von Joe und ihm Pistoias letzter verzweifelter Versuch war, das Team zu retten, welches im ersten Jahr seine Heimspiele nicht einmal zu Hause austragen konnte. Stattdessen musste die Mannschaft für ihre Heimspiele in das mehr als 40 Kilometer weit weg gelegene Florenz reisen.

Bryant war die Offensivunterhaltung, die sie brauchten, um die Fans zu begeistern, sagt Douglas und fügt hinzu, dass er acht Jahre lang gegen Joe in Italien gespielt hatte und dabei war, als Joe einmal 70 Punkte in einem Spiel erzielte.

„Er hatte ein ganzes Arsenal an Waffen“, meint Alessandro Conti, der im Marketing- und Kommunikationsbereich des Vereins tätig war. „Joe Bryant war eine Berühmtheit im italienischen Basketballsport. Pistoia musste viel Geld auf den Tisch legen, um ihn zu bekommen.“

Das Risiko hatte sich gelohnt. Wo auch immer Pistoia spielte, kamen enthusiastische Fans in Scharen und feuerten Joseph Bryant an.

Sie verehrten ihn wie einen Gott, erinnert sich Jacomo Vittori, Kobes Freund aus der Kindheit. „Alles, was er tat oder sagte, war, als käme es aus Gottes Mund. Kobe hatte das gleiche Selbstvertrauen.“

Vittori lernte Kobe im ersten Jahr kennen, als sie beide als Putzkommando für das Team in den Pausen fungierten und Schweiß und Schmutz vom Parkett in der Halle in Florenz wischten. „Er war eines der Kinder, die den Schweiß vom Parkett wischten“, sagt Leon Douglas.

„Als Balljunge war ich immer knapp am Spielgeschehen“, erinnert sich Kobe. „So bekam ich ein Gefühl für die Geschwindigkeit und Körperlichkeit des Spiels.“

Jene, die ihn sahen, erinnern sich an Kobe als einen Jungen, der das Rampenlicht liebte. So sehr, dass er sogar rauslief, um den Boden aufzuwischen, obwohl es gar nicht nötig war, nur weil er das Publikum brauchte. In der Halbzeit ging Kobe auf den leeren Court und übte sein Schattenbasketball sowie seine Dribblings und Würfe. Oft auch unter Applaus und zum Erstaunen der Zuseher, die ihre Fähnchen schwangen, sangen und Vater und Sohn zujubelten.

„Wenn eine Auszeit genommen wurde, warf mir der Referee den Ball zu“, erzählt Bryant. „Dann habe ich ein wenig gedribbelt, bin aufs Parkett, machte einen Korbleger und ein paar Freiwürfe, bis das Spiel wieder weiterging.“ „In der Halbzeit unserer Spiele gab es immer die Kobe-Show“, erinnert sich Douglas. „Er ging raus und begann zu werfen. Als wir nach der Halbzeit aus der Kabine kamen, mussten wir ihn quasi vom Court jagen.“

Jahre später spielte Kobes ehemaliger Teamkollege von den Lakers, Metta World Peace, sein erstes Spiel in der italienischen Liga vor einer jubelnden Menge in Pistoia. Gleich nach dem Spiel rief er Kobe an und sagte zu ihm: „Gut, jetzt weiß ich, warum du so spielst, wie du spielst.“

Die amerikanischen Fans sind nicht annähernd so leidenschaftlich wie die Fans in Italien, sagt Leon Douglas über Pistoia. Alessandro Contis Freundin bestätigt das. Sie reiste in die USA und sah sich ein Spiel im Madison Square Garden an, dem angeblichen Mekka des Basketballs, und war erstaunt, dass ein Großteil der Fans dort das Spiel gar nicht richtig mitverfolgte.

„Diese Leidenschaft der Fans in Italien prägte Kobe in seiner Jugend“, sagt Conti.

„Er wuchs hier in Pistoia auf und sah unsere Fans“, erklärt Jacomo Vittori. „Hier hat er gelernt, alles zu geben und zu kämpfen.“

„Viele Kids kommunizieren oder reden kaum mit anderen, wenn sie jung sind“, meint Leon Douglas. „Sie sind introvertiert. Kobe war überhaupt nicht introvertiert. Er kommunizierte. Er wusste, wie man mit Erwachsenen umging. Er war vielleicht noch ein Kind, doch er konnte sein Verhalten je nach Bedarf im Handumdrehen an Erwachsene sowie an seine Altersgenossen anpassen.“

Kobe hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, im Mannschaftsbus zu den Spielen mitzufahren. Er hatte schon so viele Videos gesehen, dass ihm bewusst war, dass sein Vater für einen zweitklassigen italienischen Verein spielte, weit abseits des Glanzes der NBA.

„Einmal sagte Kobe etwas sehr Tiefsinniges“, erinnert sich Douglas. „Er sagte: ‚Wenn ich einmal älter bin, zeige ich euch, wie man spielt.‘ Er sagte, dass er einmal ein großer Spieler werden würde. Dieser Gedanke war schon damals tief in ihm verankert.“

„Ich erinnere mich an den kleinen Kobe und seine wunderbare Familie“, sagt Eugenio Capone, der damals auch für Pistoia spielte. „Ich werde nie vergessen, wie Joe nach dem Training oder einem Spiel mit ihm eins-gegen-eins spielte oder mit ihm den Umgang mit dem Ball und Werfen übte. Sie hatten viel Spaß dabei, aber gleichzeitig war es ein richtig ernstes Training.“

Während dieser Zeit war Joe stets Freund und Begleiter. Die Enttäuschung über seine eigene Karriere bestärkte ihn darin sicherzustellen, dass seinem Sohn dieses Schicksal nicht wiederfahren würde. Doch so sehr Joe auch einen erfolgreichen Sohn wollte, so war es doch Kobes eigene Motivation, die ihn antrieb.

„Mein Vater kam niemals zu mir und sagte: ‚Komm Junge, du musst jetzt dies oder das machen‘“, erklärt Kobe. „Ich ging zu ihm und suchte seine Hilfe, wenn ich sie benötigte.“

Kobe hatte seine eigenen Vorstellungen, was Basketball anbelangte und diese Träume wurden durch ganz andere Dinge angefacht als den Einfluss seines Vaters.

Ciriglio

Mit dem Umzug nach Pistoia suchten Joe und Pam ein Zuhause, wo sie mehr Ruhe hätten, abseits des hektischen Treibens der Stadt, und fanden es in einer großen Villa in dem kleinen Dorf Ciriglio, am Ende einer sich auf einen Hügel hinaufwindenden Straße. Es war ein idyllisches Fleckchen Erde. Die Einwohner dort sprechen noch immer davon, als Joe Bryant zum ersten Mal ins Dorf kam, eigenartig über das Lenkrad seines Volvo Kombi gebeugt, und einen Zwischenstopp im örtlichen Café einlegte, wo er einen Cappuccino in einer riesigen Tasse bestellte.

„Joe Bryant war wie der Bürgermeister von Ciriglio“, sagt Roberto Maltinti lachend. Sein Lächeln, seine Anwesenheit in den örtlichen Cafés, seine wunderbare Familie und seine schon beinahe legendäre Persönlichkeit halfen ihm, schnell die Herzen der Menschen zu erobern. Noch Jahre später dachten die Dorfbewohner sowie der Teambesitzer gerne an die Bryants zurück.

Maltinti erinnert sich, dass Kobe seinen ersten Werbevertrag im Alter von neun Jahren erhielt. Die Liga hielt gerade ihr All-Star-Spiel in Rom ab und Kobe bot sich als Balljunge an. Maltinti hatte nichts dagegen, verlangte aber, dass Kobe dabei einen Pulli mit dem Logo von Maltintis Firma tragen sollte. Kobe erklärte sich einverstanden, doch er war ein guter Verhandler. Er wollte ein neues Fahrrad. Am Morgen nach dem Spiel rief er bei Maltinti an. „Ich will ein rotes Fahrrad“, sagte er.

Endlich hatte Kobe einen fahrbaren Untersatz. Damit konnte er den kurzen Weg von Ciriglio den Berg hinunter bis zum Basketballplatz vor der Schule zurücklegen, um dort mit den älteren Burschen des Dorfes Basketball zu spielen. An Tagen, an denen niemand anderer dort war, spielte er eben wieder gegen sich selbst. „Er kam heim, machte seine Hausaufgaben und verließ dann das Haus und tat so als wäre er Dr. J“, erzählt Leon Douglas.

Maltinti erinnert sich daran, dass Mutter und Sohn sich sehr ähnlich waren. Der Teambesitzer selbst war ein großer Bewunderer von Pam Bryant. Sogar Jahre später schwärmte er noch immer von ihr.

Pamela war wie ein Feldwebel, sagte Maltinti 2015 in einem Interview. „Sie war das Oberhaupt der Familie, der Boss. Sie war wunderschön, freundlich, aber auch knallhart.“

Die Villa der Bryants war so groß, dass sie nach ihrem Auszug in zwei Häuser aufgeteilt wurde. Pam richtete das Haus ein und schmückte es, speziell zu Weihnachten, wo sie einen Ort der absoluten Ruhe daraus machte, erzählt Maltinti. Jahre später, als er hörte, dass die Familie sich entzweit hatte, bot er ihnen an, über Weihnachten wieder nach Ciriglio zu kommen, um in dieser friedlichen Atmosphäre wieder zueinander zu finden.

Vittori verbrachte viel Zeit mit den Bryants in Ciriglio – so viel, dass Shaya Bryant seine erste Freundin wurde. Er erinnerte sich auch daran, dass Kobe sehr oft bei den Vittoris aß. „Er liebte Pasta“, sagt Vittori. Kobe beeindruckte Vittoris Eltern mit seinen Manieren, die sich allerdings nicht bis auf den Basketballplatz erstreckten.

„Er hat dir nie den Ball zugespielt“, lacht Vittori. „Aber er wollte immer spielen. Immer. Er wollte einen Wurfwettbewerb.“

Diese Wurfwettbewerbe waren für ihn wie ein Traum, der Realität wurde. Dabei waren seine Gedanken weit weg in der NBA und er zählte die letzten Sekunden auf der Uhr hinunter, in denen er gegen Jordan, Magic, Dr. J, seinen eigenen Vater oder wen auch immer den entscheidenden Korb erzielt.

Kobe arbeitete hart daran, die Bewegungsabläufe der NBA-Stars zu studieren und kopieren. Später sagt er dann, dass ihn diese Spieler nicht besonders beeindruckten, da er ihre Moves selbst ausführen konnte. Und ja, das konnte er.

Die Kinder der Bryants verbrachten viele Nachmittage im Haus der Vittoris und manchmal, wenn Joe sie abholen kam, brachte er Vittoris Mutter Blumen mit. Genauso oft verbrachte Vittori Zeit oben in Ciriglio bei den Bryants.

Es lief zwar nicht alles perfekt beim Team in Pistoia, doch Joe Bryant und Leon Douglas schafften es, dem Club dabei zu helfen, seine Ziele zu erreichen. Als sie für ihre zweite Saison bei dem Verein zurückkamen, stand dort bereits eine 5.000 Zuseher fassende Arena. Es war ein niedriges Gebäude ähnlich einer Quonsetbaracke, doch den Leuten im Ort gefiel es. „Die Halle war immer ausverkauft“, erzählt Alessandro Conti.

Joe Bryant hatte wieder eine starke Saison, doch er gab Maltinti keine Chance, ihm einen neuen Vertrag anzubieten. Stattdessen unterschrieb er bei Reggio Emilia und damit waren die Bryants wieder einmal unterwegs zu neuen Ufern.

Auch dort gab es eine Jugendmannschaft und Kobe legte wieder das gleiche Verhalten an den Tag: er trainierte hart, war aber immer noch abgehoben in der Kabine. Auf dem Parkett wollte er alles selbst machen, sodass sich seine Teamkollegen überflüssig vorkamen. Er war so viel besser als die anderen, so entschlossen, dass es fast unmöglich für ihn war, seine Mitspieler zu verstehen. Letztlich begannen sie es ihm übel zu nehmen, dass er so eigensinnig spielte.

Kobe erzählte später einmal, dass sie zu ihm sagten: „Hier in Italien bist du gut, aber wenn du wieder zurück in Amerika bist, wird das anders sein. Das ist ein ganz anderes Spiel da drüben“.

Damit hatten sie nicht unrecht, zumindest am Anfang. Als Kobe im Sommer wieder in Philadelphia war und als Elfjähriger in der Sunny Hill League spielte, erzielte er keinen einzigen Korb in all seinen Spielen. Gut, er spielte in einer höheren Klasse, in der seine Gegner alle älter waren als er, doch er wurde regelrecht in Grund und Boden gespielt.

„Kobe wuchs quasi in dieser Liga auf“, sagte Tee Shields, der schon Joe in der Sonny Hill League trainiert hatte, einmal zu Reportern. In einer seiner ersten Saisonen in Hills Liga sah sich ein Berufsberater die Spieleranträge durch, um zu sehen, wo es Probleme geben könnte und bemerkte, dass Kobe unter Karriereziel „NBA“ eingetragen hatte. Das war genau eine dieser unrealistischen Erwartungen, vor denen die Sonny Hill League die jungen Burschen bewahren wollte. Für Sonny Hill war Basketball nur der Köder, der die Burschen von den Versuchungen und Schwierigkeiten auf Philadelphias Straßen fernhalten sollte. Natürlich war der Sport auch wichtig, doch der Schwerpunkt lag darauf, den Jugendlichen realistische Zukunftsaussichten aufzuzeigen. Der Berater hatte schon sehr oft diese Antwort gelesen. Viele junge Spieler dachten, sie wären auf dem Weg zu NBA-Ruhm und dem großen Geld. „Die Chance, es in die NBA zu schaffen, liegen etwa bei eins zu einer Million“, meinte der Berufsberater zu Kobe, „du solltest dir also etwas anderes für deine Zukunft überlegen“.

 

„Dann werde ich eben der eine aus der Million sein“, soll Kobe darauf geantwortet haben. Magic Johnson hatte es ja auch geschafft, genauso wie Michael Jordan. Warum sollte er es also nicht schaffen?

Das war genau diese Art von Selbstvertrauen, die ihm sein Vater beigebracht hatte. Später gab es einige Stimmen, die diese Einstellung als reine Arroganz bezeichneten. Andere wiederum waren voller Bewunderung für jemanden so jungen, der so zielstrebig war, ganz zu schweigen von seiner Begabung, egal wie viele Punkte er als Elfjähriger erzielt hatte.

Doch für Kobe selbst war diese Antwort nur logisch. Er wurde dazu erzogen, sich nicht als durchschnittlich zu sehen. Er wusste nur allzu gut über seinen Stammbaum Bescheid.

„Mein Vater und Onkel Chubby verbrachten viel Zeit mit mir“, erzählte Bryant einst über seine Jugend. „Sie trainierten mit mir Werfen, Rebounds zu fangen und wie man verteidigt. Darüber hinaus motivierten sie mich, immer alles zu geben.“

Insgesamt verbrachte Joe Bryant acht Saisonen in Europa als Spieler und Trainer in Italien, Spanien und Frankreich. Diese Erfahrung bedeutete auch, dass der junge Kobe viel herumgereist war und viele Orte und Sehenswürdigkeiten kennengelernt hatte: von den Alpen über den Vatikan bis hin zum Forum Romanum und den romantischen Kanälen Venedigs. Erst Jahre später, als sie auf diese Zeit zurückblickten, verstanden die Amerikaner, die in Italien gespielt hatten, wie entspannt dort alles war, egal für wen sie spielten. Joe erinnerte sich, wie er abends mit der Familie durch die örtlichen Straßen bummelte und Eiscreme aß – Erinnerungen, an denen sich die Familie Jahre später festhalten konnte, als sich die Dinge zum Schlechten wendeten.

Im August 1991 fasste Joe den Plan, zumindest noch eine Saison weiterzuspielen. Zu dieser Zeit schien auch Pam sich damit abgefunden zu haben, in Übersee zu leben. Sie konnte bereits exzellent italienisch kochen und hatte viel Europäisches in ihren Lifestyle übernommen. Dazu hatte sie auch noch ein gutes Auge für Design. „Es ist wundervoll in Italien“, sagte sie damals. „Die Menschen hier sind so nett und jeder kennt jeden. Dass Joe dort spielen darf, ist Glück im Unglück.“

„Ich muss sagen, dass meine Frau immer an meiner Seite stand in Italien“, gestand Joe der Tribune. „Ich liebe sie dafür, dass sie sich so gut um mich und unsere Familie kümmert.“

Das Ende ihrer schönen Zeit in Italien erreichte die Bryants in Form eines Anrufs mitten in der Nacht im Herbst 1991. Kobes Großeltern informierten die Familie, dass Magic Johnson öffentlich bekannt gegeben hatte, sich mit HIV infiziert zu haben und er sich deshalb vom Basketball zurückziehen würde. Am nächsten Morgen erzählten Pam und Joe Kobe davon, ohne dabei zu sehr in die Details der Krankheit zu gehen, die den Star der Lakers zum Rücktritt gezwungen hatte. Das war aber egal. Der damals 13-Jährige war am Boden zerstört. Er weinte, wollte kaum etwas essen und trauerte über eine Woche. „Ich versuchte zu verstehen, was da passiert war“, sagt er später einmal. Er wusste nicht, was dieses HIV war. Also versuchte er es herauszufinden. „Ich weinte. Ich wusste nicht, worum es dabei ging. Also las ich einige Bücher und borgte mir einen Film zu dem Thema aus, um mehr herauszufinden. Als Kind weißt du nicht, wie du damit umgehen sollst. Ich hatte die Hoffnung, ihm irgendwie helfen zu können. Es war wirklich eine schwere Zeit für mich.“

Joe hatte die Saison bei einem kleinen Verein in Frankreich begonnen, während seine Kinder eine Schule gleich über der Grenze in der Schweiz besuchten. Er hätte ewig weiterspielen können in Europa – oder zumindest noch für zwei weitere Saisonen – hatte er den Eindruck, als Spezialist für Sprungwürfe bei dem einen oder anderem Team. Doch trotz ihres komfortablen Lebens in Europa hatte Pam langsam genug davon, von Stadt zu Stadt zu ziehen und sie verspürte Heimweh. Außerdem mussten die Kinder zurück in die Staaten und ihre schulische Ausbildung abschließen.

Joe machte sich wieder einmal Sorgen über ein Leben nach seiner Zeit als Profi, hatte er doch keinen Collegeabschluss. Vielleicht könnte er es als Trainer probieren? Nach sechzehn Jahren Profibasketball hängte er seine Schuhe an den Nagel, nur wenige Tage nachdem Johnson seinen Rücktritt erklärt hatte. Jellybeans Basketballreise brachte ihn, soweit es ging. Nun war Kobe an der Reihe und sein Weg begann immer schneller nach oben zu führen.

Im Sommer 2013 besuchte Kobe Ciriglio, mit Rucksack und pastellfarbenem Leibchen. Er posierte für Fotos neben dem Ortsschild und besuchte den kleinen Basketballplatz zwischen den Bäumen, auf dem er immer gespielt hatte, der allerdings schon halb verfallen war, genauso wie das verlassene Fußballfeld darunter. Die Zeit war auch hier nicht stehengeblieben.

In Pistoia besuchte er zusammen mit seinem Bodyguard die alte Basketballhalle, die gebaut worden war, als er zehn war. Er ging schnurstracks nach oben und wusste noch genau, wo die Türe war, durch die er immer ohne Schlüssel in die Halle gelangt war. Er ging die Galerie der Arena ab und blickte hinunter auf das Spielfeld, wo er als Balljunge früher seine Halbzeitshows abgezogen hatte. Dort stand er nun und ließ die Erinnerung an sich vorbeiziehen. Danach verließ er schnell die Halle.

Im Jahr 2015 kam er noch einmal nach Pistoia, wo er eines Morgens zur Überraschung aller ohne Vorwarnung im Stadtzentrum auftauchte. „Ist das wirklich Kobe?“, fragten sie.

Alessandro Conti, der damalige Pressebeauftragte des Vereins, hörte, dass Kobe in der Stadt war und lief von seinem Haus hinüber, um ihn zu begrüßen. Aber der Superstar war bereits wieder verschwunden und hetzte bereits zum nächsten Ort, um die vielen Stationen seiner Kindheit zu besuchen.