Weltfremd

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Kapitel 4 – Fortpflanzung und Nahrungsaufnahme
Unsere Triebe

Genauso wie beim Neandertaler wird unser Tun und Handeln von den Trieben bestimmt. Zwei Triebe, die sehr viele Gemeinsamkeiten aufweisen, beides Dinge, die uns sowohl Lust als auch Kummer bereiten: der Fortpflanzungstrieb und unsere Nahrungsaufnahme.

An diesen beiden Trieben hat sich in der doch schon recht langen Menschheitsgeschichte nichts Grundlegendes geändert. Nur dass der Neandertaler beide Triebe ausleben konnte und sich dabei niemals schuldig oder gar schmutzig fühlte, da ihm keiner das Märchen vom strafenden Gott und von Himmel und Hölle aufgetürmt hatte. Beide Triebe dienen bekanntlich dem Leben und finden in der Natur oft gleichzeitig statt. Wenn ich »gleichzeitig« schreibe, dann meine ich auch gleichzeitig und nicht knapp hintereinander. Nahrungsaufnahme und Liebesakt in einem Aufwaschen? Liefert Ihnen Ihr innerer Diavortrag gerade pikante Bilder?

Sie im feinen Restaurant am Tisch, er unter dem Tisch mit dem Gesicht zwischen Ihren Beinen. Eine Orgie im alten Rom? Mittagspause am Pornofilmset? Aber denken wir doch einmal in eine ganz andere Richtung. Schließen Sie die Augen und denken Sie gemeinsam mit mir an eine dicke, eine pralle, pelzige …

… aha, Augen zu und dabei lesen ist keine so gute Idee. Gut, dann machen wir es anders. Dann denken Sie jetzt noch einmal an die dicke, pralle, pelzige … dann schließen Sie die Augen und blättern vorsichtig um. Also: dick, prall, pelzig …


Eine dicke, pralle, pelzige Hummel, die in eine riesige Blüte eintaucht, die dabei Blütennektar schmatzt, der ganze Körper bedeckt mit Blütenstaub, vollkommen überladen torkelt sie zur nächsten Blüte, startet brummend, zieht Kreise durch den Garten und steuert neuerlich auf eine tiefrote, verführerisch duftende Vagina zu. Eine Kürbisblüte. In diese taucht die Hummel nun brummend ein, verschwindet in ihr leckend und saugend. Hummel und Pflanze vibrieren im Gleichklang, die Hummel nährt sich, und auch der Pflanze tut es sichtlich gut, denn sie weiß, sie pflanzt sich soeben fort.

»Ja, ja, ja, tiefer, ja … fester, komm, nimm’s dir, ja hol’s dir, oh mein Gott, mach mich leer, saug mich aus, oh ja, du bist ein Hengst!«

»Nein, ich bin eine Hummel, aber danke fürs Mitdenken. Auch mir hat’s gemundet und Liebe geht ja bekanntlich auch durch den Magen. Vielleicht wollen wir uns ja wiedersehen? Lust?«

»Aber immer.«

»Sollen wir uns gleich was ausmachen, oder gibst du mir deine Nummer?«

So schön und einfach könnte das Leben sein. Die Pflanze wird befruchtet, ist befriedigt, und die Hummel schlägt sich mit Wollust den Wams voll. Unsere Kultur hingegen bewertet diese Triebe sehr unterschiedlich. Öffentliche Fressgelage sind von unserer Gesellschaft durchaus anerkannt und bei Mann und Frau gleichermaßen beliebt.


Sex hingegen passiert zumeist hinter verschlossenen Türen.


Also bei allem, was recht ist, eine Swingerparty im Schanigarten, das möchte man ja auch wirklich nicht sehen. »So eine Schweinerei möchte ich mir nicht ansehen müssen. Mitmachen schon, aber ansehen müssen nicht.« Die unterschiedliche Bewertung dieser natürlichen Triebe hat aber auch Folgen für die Gestalt unserer Gesellschaft. Sehen Sie sich doch selbst ein wenig in Ihrer näheren Umgebung um. Auf der Straße, in der Nachbarschaft, im Freundeskreis, in der Familie oder im Spiegel: Sie werden ohne Zweifel feststellen, dass es heutzutage viel mehr »blade Büdlwixer« (übergewichtige, unbefriedigte und frustrierte Menschen, die unter Zuhilfenahme von pornographischen Texten, Bildern oder Filmen masturbieren) gibt, als »dünne Buderanten« (schlanke, lebensfrohe Menschen, die ihre Lust am Sex mit einem oder mehreren Partnern ausleben). Dieses Ungleichgewicht zwischen Übergewicht und Lebensfreude kann letztlich nicht gut für die Volksgesundheit sein und richtet in unserer Gesellschaft mehr Schaden an, als es ihr dient. Wie soll unser Gesundheitssystem diese Flut an ernährungsbedingten Herzkreislauferkrankungen in Zukunft finanzieren? Hier wäre ein allgemeines Umdenken dringendst notwendig, die Süßigkeitenlade sollte nach und nach durch den Sexspielzeugschrank ersetzt werden.

Sie sehen, Sexualität und Nahrungsaufnahme sind nicht so einfach voneinander zu trennen, aber probieren wir es doch trotzdem. Womit wollen wir anfangen? Mit welchem der beiden Triebe soll sich das nächste Kapitel befassen? Nachdem Sie ja bereits nackt, in freudiger Erwartung mit dem Buch in der Hand dasitzen, wäre mein Vorschlag …

SEXualität

Sie begleitet das Leben ab der Geschlechtsreife nun ein Leben lang, selbst im hohen Alter denkt man noch gerne an die wunderbaren Dinge, die man damals, als es noch gegangen wäre, alle nicht gemacht hat, und beißt sich ins Knie, dass man diese Freuden damals ausgelassen hat. Was uns bei der gelebten Sexualität nämlich im Wege steht, ist wieder einmal mehr unser Kopf. Außer beim Oralsex, sprich beim Schlecken und Blasen. Und wie sehr das der Fall ist, dürfen Sie ja gerade selbst an sich beobachten. Hören Sie nochmals aufmerksam die folgenden Worte: »Außer beim Oralsex, beim Schlecken und Blasen«. Sobald mir die Worte »Schlecken« und »Blasen« aus meinem willigen Mund geronnen sind und über meine feuchten, warmen Lippen dieses Buch verlassen, Ihr voll Leidenschaft gespitztes, aufnahmefähiges Ohr gekitzelt haben und durch Ihre wohlgeformte Muschel ganz tief und fest in Ihr Gehirn eingedrungen sind, hat Ihr Gehirn die Worte Schlecken und Blasen bewertet. Mit unterschiedlichen Ergebnissen, wie ich an Ihrem entsetzten Gesicht und Ihrem schwitzenden nackten Körper erkennen kann. Kopf und Bauch beschreiten oft unterschiedliche Wege.

Sex wird in der Natur ohne Einschaltung des Gehirns ausgelebt. Der Rüde riecht die läufige Hündin, und ohne Umweg übers Gehirn einfach der Nase nach. Das war beim Neandertaler möglicherweise ähnlich, vorausgesetzt dass man sich hat »gut riechen« können und die »Chemie gepasst« hat, weil Frau Neandertaler willig und Herr Neandertaler kräftig und potent. Beides Eigenschaften, die uns heute etwas verloren gegangen sind. Natürlich gibt’s nach wie vor Frauen, die so tun, als ob sie willig wären, um den Mann zu pflanzen und ihren Ego-Rucksack mit einem weiteren schwanzgesteuerten Wurschtel aufzufüllen. Was keine besonders schwere Übung darstellt, es wimmelt ja nur so von wohlstandsverwahrlosten Möchtegernmachos, und der kräftige und potente Mann ist selten. Natürlich gibt es nach wie vor kräftige, auftrainierte Männer, schweinern aufgeblasen, eiweißvergiftet und aufgrund der Steroide lustlos und ihrer Manneskraft beraubt. Dann wieder gibt es sehr wohl potente Männer, finanziell potente Männer nämlich, die naturgemäß selten kräftig sind, sondern als sogenannte Schwammerln, Barbapapa-artig ohne Rückgrat dahinvegetieren. Die wenigen verbliebenen potenten und kräftigen Männer, die ihre Kraft und Potenz nicht gelungen zur Schau stellen, kommen dann eher selten zum Schuss, da die Frau von heute diese gar nicht mehr als kräftig und potent wahrnimmt, sondern auch aufgrund von gesellschaftlichen Zwängen eher auf Schwammerln mit sozialem Status konditioniert ist, mit denen man sich in der Öffentlichkeit dann auch sehen lassen kann. Man kann sich ja dann hin und wieder bei Bedarf je nach Lust und Laune mit dem Gärtner vergnügen, während das finanziell potente Schwammerl auf Geschäftsreise ist und sich anderenorts mit Frauen vergnügt, die für Bares so tun, als ob sie willig wären.

Über das Sexualleben und die Sexualpraktiken der Neandertaler weiß man relativ wenig, und ich glaube, das ist gut so. Man muss ja nicht alles wissen. Was man aber schon mit ziemlicher Sicherheit weiß: Die Neandertaler haben regelmäßig die Partner getauscht, um die Sippe genetisch gesund zu erhalten. Das ist heute ja nicht mehr notwendig, da wir schon so viele sind, und da mischen sich die Gene ja sowieso. Am Land vielleicht noch etwas weniger.

Das heißt, man findet heute seinen Partner, seine Partnerin, ist mit ihm oder ihr glücklich und zufrieden und kann mit ihm oder ihr alles erleben, was das Sexualleben so zu bieten hat. Kann so alle sexuellen Tabus brechen, eilt gemeinsam von einem Orgasmus zum anderen und käme niemals auf die Idee, einen anderen Partner zu begehren oder auch nur in seinen kühnsten Fantasien an jemanden anderen zu denken. Geschweige denn im Internet von einer Pornoseite zur anderen zu surfen. Und warum ist das bei uns so? Weil dabei eben viel dranhängt. Am Partner. Selbst wenn wir nicht mehr am Partner hängen, hängt an ihm noch sehr viel dran.

Mein Vorschlag wäre nun folgender: Schließen Sie jetzt einmal das Buch, nehmen Sie es und lassen Sie Ihren Partner, Ihre Partnerin die vorangegangenen Seiten in Ruhe und ohne Kommentar lesen. Schauen Sie danach ihm oder ihr ganz tief in die Augen und sagen Sie:

»Schön, dass wir zwei keine Neandertaler mehr sind und ich ganz einfach nur dich begehre. Schon alleine wegen der gemeinsamen Wohnung, den gemeinsamen Kindern, den gemeinsamen Krediten, den zu erwartenden Scheidungskosten und vor allen Dingen wegen der Schande vor den Nachbarn. Das tust du mir nämlich nicht an, das wird ausgesessen.«

Vielleicht doch keine so gute Idee. Lassen Sie es ganz einfach und lesen Sie lieber allein weiter. Oder machen Sie eine Pause und gönnen Sie sich etwas, denn der Mensch lebt ja nicht nur von Luft und Liebe allein. Der Wunsch nach körperlicher Befriedigung ist ein Segen für einen riesigen Industriezweig. Damit meine ich nicht die »Futheftlproduzenten« (Erotikbranche), sondern die Nahrungsmittelindustrie. Damit kommen wir jetzt zu einem wirklich sehr grauslichen Thema. Fast zum Speiben …

 

Der Tiger im Tank

Lassen Sie mich mit einer Frage beginnen. Was ist für Ihren Organismus wohl gesünder?

a) Eine Tiefkühl-Pizza Siciliana, mit Mais, Speck, Pfefferoni, Sardellen und Kapern, oder …

b) Ein Hildegard-von-Bingen-Bio-Honig-Früchtemüsli?

Dazu einige Hinweise, die Sie auf die richtige Fährte locken sollen: Das Leben, das wir sind, braucht, weil es ja in einem ziemlich komplizierten Vehikel, dem Körper, inkarniert ist, Energie, sprich Treibstoff, sogenannte Lebensmittel. Das ist logisch, weil aus mechanischer Sicht unser Körper eine Maschine ist, die dafür gebaut ist, Betriebsmittel in Bewegung umzusetzen.

Man kennt das ja vom Auto. Wobei man das Auto nur dann mit Betriebsmittel befüllt, wenn es auch bewegt wird. Sie sind also mit Ihrem Auto unterwegs, bemerken, dass der Tank allmählich leer wird und steuern eine Tankstelle an. Aufgrund einer Betriebsanleitung wissen Sie, welche Art von Treibstoff Ihr Fahrzeug benötigt. Diesel – falls es einen Ölofen besitzt, Benzin – falls es von einem richtigen Motor angetrieben wird. Hierbei unterscheidet man noch zwischen Treibstoff mit 91 Oktan oder 95 Oktan. Das, was der Hersteller vorgibt, wird auch getankt, denn man möchte ja seinem Fahrzeug keinen Schaden zufügen. Ab und zu gönnt man seiner Bewegungsprothese auch etwas Besonderes. Ultimate Treibstoff oder 100 Oktan, denn das gibt Kraft, steigert damit die Leistung. Sorgt nebenbei auch noch für eine sauberere Verbrennung, und sauber ist immer besser. Hin und wieder kontrolliert man den Ölstand, was fehlt wird aufgefüllt mit einem Öl in der entsprechenden Viskosität. Vorzugsweise ein Markenöl, dann das erhöht die Lebensdauer des Motors. Die Scheibenwaschanlage wird mit einer Mischung aus frostsicherem Konzentrat voll frischem Apfelduft und Trinkwasser befüllt, der Innenraum mit einem Wunderbaum natürlich erfrischt und im Tankstellen-Shop noch zwei weitere Betriebsmittel erworben: ein Sackerl Zigeunerräder und ein eiskaltes Cola.

Da stellt sich doch eine berechtigte Frage: Warum packen wir bei unserem Auto den Tiger in den Tank und füllen in unserem wichtigsten, zwischen den roten Lippen und dem Popoloch befindlichen Organ, dem Verdauungsapparat, Problemstoffe ein? Dazu gibt es eine neue wissenschaftliche Erkenntnis: Weil wir einen festen Klescher haben, diesen aber nicht als Klescher erkennen, sondern als Normalität betrachten.

Daher bauen wir unsere Städte für Autos und nicht für Menschen.

Sie brauchen sich nur in einer Menschenmenge ein wenig umzuriechen und werden dabei feststellen, dass es eine deutliche Disbalance zwischen Autokomfortwäschen und Körperhygiene gibt.

Der Neandertaler war bekanntlich Jäger und Sammler. Was heißt das in Bezug auf seine Ernährung? Eigentlich nichts. Weil wir ja nicht wissen, was er gejagt und gesammelt hat, wir nicht wissen, ob er beim Jagen auch etwas erwischt hat und ob er das, was er gesammelt hat, nicht unterwegs wieder ausgestreut hat. Aber was auch immer er in sich hineingestopft hat, er ernährte seine 50 bis 70 Billionen Körperzellen (die übrigens auch genauso wie wir kleine Lebewesen sind, mit einem eigenen Bewusstsein, dem Mytochondrium) ausschließlich mit kosmischer Energie. Das heißt: Die Neandertaler lebten damals vom Licht.

Ja, ja, schütteln Sie nur den Kopf. Da wirft der Autor ja ganz schön mit esoterischen Halbweisheiten um sich, stimmts? Aber nachdem der Autor ja auch gelernter Techniker und damit ein wenig Naturwissenschaftler ist, lassen Sie mich Ihnen diese gewagte Hypothese technisch erklären.

In gutem, lebendigem Boden hausen ja bekanntlich eine Unmenge an Kleinstlebewesen. Einige von ihnen, jene, die an der Oberfläche beheimatet sind, ernähren sich von Sonnenlicht. Diese Bakterien haben die Fähigkeit, Licht zu verstoffwechseln. Was so viel heißt, wie: Sie fressen Sonnenlicht und scheißen Vitalstoffe wie Spurenelemente in den Boden hinein. Sie transformieren also Sonnenlicht und bringen es so in eine andere Schwingungsform. Eine Pflanze wächst ja, wie wir alle wissen, im Boden heran, sie holt sich von oben das Sonnenlicht und von unten, mithilfe ihrer Wurzeln aus dem Boden, die nötigen Vitalstoffe. Dünger in Form von Bakterienscheiße, deren Ursprung Sonnenlicht ist. Mit jeder Pflanze steht somit ein materialisiertes Lichtwesen vor uns. Nun kommt der Neandertaler, entdeckt die Pflanze, pflückt sie und verzehrt sie. Er nimmt damit transformierte Lichtenergie auf, und sein Verdauungsapparat liefert diese an seine hungrigen Körperzellen ab. Selbst wenn er Fleisch zu sich nimmt, hat dieses Tier zuvor Pflanzen verzehrt und damit wiederum seinen Körper gebildet. Ganz egal in welcher Form auch immer, der Ursprung seiner Nahrung war immer Licht. Es beginnt immer mit Sonnenlicht, mit kosmischer Energie. Noch Fragen, irgendwelche Zweifel? Nein! Wunderbar. Wobei eine Frage stellt sich natürlich schon. Wie funktioniert denn das heute bei uns?

Im Prinzip genauso. Unsere Körperzellen ernähren sich letztendlich von Stoffwechselprodukten der nicht sichtbaren Kleinstlebewesen. Und damit, genauso wie der Neandertaler, von transformierter Lichtenergie. Nur dass dem über Jahrmillionen bewährten natürlichen Prozess der Lichttransformation heutzutage von der Nahrungsmittelindustrie einige technische Verfahren und Zusatzstoffe zwischengeschaltet werden, die unseren Lebensmitteln, die uns Leben vermitteln sollten, das Leben rauben und sie zu Füllmitteln degradieren. Die Bodenbakterien, die ursprünglich Licht in Nähr- und Vitalstoffe verwandeln sollen, wurden schlauerweise durch Kunstdünger, Herbizide, Fungizide und Pestizide ersetzt. Was ja schon einen schlechten Start für die Nahrungskette bedeutet. Was bleibt, ist eine denaturierte aber buntverpackte Mischung aus Irgendwas, die teilweise wirklich super schmeckt (dafür kann man sorgen, wenn man sich in Chemie gut auskennt), den Bauch füllt, aber unsere Zellen nicht mit Leben versorgt. Im Prinzip verhungern wir, während wir der Dritten Welt im TV beim Verhungern zusehen und dabei Zigeunerräder mit Cola genießen. Bei uns dauert es nur etwas länger und ist bei weitem nicht so qualvoll. Eine Zeit lang fühlt sich das sogar richtig toll an. Während unsere Zellen nach und nach den Hungertod sterben, werden wir zu untoten Biorobotern, zu Junkfoodzombies.

Im Gegensatz zum Neandertaler, der ja essen musste, was er erlegt und gesammelt hat, haben wir aber die freie Wahl. Wir müssen schon lange nicht mehr das essen, was auf den Tisch kommt, sondern dürfen unsere Nahrung schon lange, bevor sie den heimatlichen Tisch erreicht hat, vor den Toren des Supermarktes oder, wenn wir es besonders eilig haben, während des Einkaufs verzehren. In den endlosen Regalen der Supermärkte haben wir die freie Wahl, auf das buntverpackte Junkfood zu verzichten, das überlassen wir gerne unseren Kindern, denn die halten das noch eher aus als unsereins, weil die ja noch wachsen. Werfen Sie doch einmal nur einen Blick auf die Speisekarte eines durchschnittlichen heimischen Gastronomiebetriebs.


Wir selbst, als mündige Konsumenten, die wir ja sind, ernähren uns hingegen bewusst. Weil wir es uns einfach wert sind, der Gesundheit zuliebe, dem Zeitgeist entsprechend. Fettreduziert, cholesterinsenkend, zuckerfrei, koffeinfrei, alkoholfrei und laktosefrei. Das heißt, wir verhungern genauso wie der Zigeunerrädchenfresser, aber qualvoller, weil es ganz einfach scheiße schmeckt, und unsere Körperzellen werden nicht nur ausgehungert, sie werden auch vergiftet.

Zum Beispiel durch L-Aspartyl-L-Phenylalaninmethylester, der in den 70er-Jahren bei der CIA noch als potentielles biologisches Kampfmittel im Gespräch war. Er verursacht Hirnschäden, Multipler Sklerose ähnliche Symptome, Parkinson, Alzheimer, Depressionen, Hörbeschwerden, Persönlichkeitsveränderung, allergische Reaktionen, Gewichtszunahme und hundert weitere Beschwerden.

Na gut, wer nascht schon freiwillig eine biologische Wunderwaffe? Jeder, der es nicht besser weiß und sich der Gesundheit zuliebe zuckerfrei mit Aspartam das Leben versüßt. Aber diesmal haben wir uns nicht für dumm verkaufen lassen und sind dem Aspartam auf die Schliche gekommen. Unter dem Druck der Lebensmittelbehörden musste die Nahrungsmittelindustrie reagieren. Das Aspartam wurde aus unseren Lightprodukten entfernt … indem man es umbenannt hat. In Nutrasweet, Canderel, Sanecta oder einfach E 951, das klingt dann harmlos und vertraut, denn ein E mehr oder weniger macht das Kraut auch nicht mehr fett.

Was ist nun für den Organismus gesünder? Tiefkühl-Pizza oder ein Hildegardmüsli? Da haben unsere konditionierten Gehirne gleich eine Antwort bereit, stimmts? Aber ist nicht letztendlich nicht nur was, sondern auch wie und wie viel wir essen entscheidend für die Ernährung unseres Körpervehikels? Ein kleines Stück Pizza, gut gekaut und in Ruhe gegessen tut uns allemal besser als ein Berg hastig in der Früh hinuntergeschlungenes Bio-Müsli.

Wer von uns beiden kennt Hunger? (Nun gut, ich habe bei einer Entgiftungskur einmal 20 Tage lang nichts gegessen. Klingt wild, ist es aber nicht, denn ich wusste, es bestand für mich jederzeit die Möglichkeit, die Kur abzubrechen und einkaufen zu gehen.) Ich meine Hunger, nicht Appetit oder Gusto auf … ich meine wirklich Hunger. Dabei wäre Hunger ja der beste Koch, sonst hätten dem Neandertaler seine kleinen Menüs, wie Wurzeln und Wildkräuter, sicher nicht sonderlich geschmeckt.

Der Neandertaler hatte um ein maßloses Überfressen zu vermeiden ein natürliches Frühwarnsystem eingebaut.

Das Sättigungsgefühl

Damit signalisiert das für den Erhalt unserer Gesundheit wichtige Organ, der zwischen unseren Lippen und dem Popoloch befindliche Verdauungsapparat, dem Gehirn, dass der Ranzen eigentlich schon voll wäre. Dieses System funktioniert einwandfrei, wenn man isst. Also nur essen tut. Nur essen bedeutet, aus unserer Nahrungsaufnahme eine bewusste Tat, ein Ritual zu machen und das Essen zu zelebrieren. Sich mit seinem Essen an einen ruhigen Ort zurückzuziehen, dankbar zu sein, dass überhaupt etwas zu essen da ist, sich die Mahlzeit anzusehen, daran zu riechen, den ersten Bissen in den Mund zu nehmen, einspeicheln, kauen, zermahlen. Schließlich heißt es ja auch »Mahlzeit« und nicht »Schlingzeit«. Die Geschmacksexplosionen im Mund lange und aus vollen Zügen genießen und nach 30 bis 50 Kauwiederholungen den vorverdauten Nahrungsbrei hinunterschlucken. Das wäre essen.

Im Gegensatz zu primitiven Naturvölkern haben wir eine Esskultur. Das heißt: Essen macht erst dann Sinn, wenn man dabei etwas erledigen kann: Zeitung lesen, fernsehen, Auto fahren, spazieren gehen, shoppen, telefonieren, googeln, Geschäftsanbahnungen machen, die Kosten-Nutzenrechnung eines All inclusive-Urlaubs optimieren oder ganz einfach soziale Kontakte pflegen: sich mit Freunden zum abendlichen Pizzaessen verabreden.

Nun haben wir aber gelernt: »Mit vollem Mund spricht man nicht!« Was verständlich ist, denn es macht ja wirklich keinen schlanken Fuß, wenn man quatschend seinem Gegenüber alle drei Minuten ein Stückchen Capricciosa ins offene Auge spuckt.

»Oh, Verzeihung«, »Macht nichts, ist ja nur ein Käsebröckerl. Gut, dass du dir keine Diavolo bestellt hast, sonst tät’s auch noch brennen.«

Andererseits wäre es auch sehr unhöflich, sich mit Freunden zum Essen zu verabreden und dann nur zu essen. Probieren Sie es einmal aus, aber ich denke, auch das macht keinen schlanken Fuß. Es könnte durchaus passieren, dass Sie auf Ihre Umwelt etwas »weltfremd« wirken:

»Wos is mit dir? Host irgendwos? Wos sogst denn nix? Oder hob i wos Foisches gsogt? Muaßt sogn, waun i irgendwos Foisches gsogt hob. I was jo net, weu du sogst jo nix.«

Daher ist es besser, die am Teller ruhende Pizza Capricciosa in weiser Voraussicht schon vorab in kleine mundgerechte Bissen (in etwa vier bis fünf gleichgroße Pizza-Ecken) zu zerteilen und – während das Gegenüber spricht und man wie immer Interesse an dessen momentan unglücklicher Lebenssituation heuchelt – zusammenzufalten. Sobald im Dialog eine Sprechpause entstanden ist, kann man dieses Pizzaröllchen schlangenartig hinunterwürgen. Das schont die Zähne, die Pizza findet unbeschadet im Magen ihren Platz und kann sich dort wieder entfalten. Das unbeliebte Sättigungsgefühl wird so seines Amtes beraubt, und man schafft dadurch noch zusätzlichen Raum. Nicht zwischen den roten Lippen und dem Popoloch, aber im Gehirn erscheint Raum und genügend Platz für noch ein Bier, ein Tiramisu und zwei Grappa. Schließlich entscheide ICH selbst, wann es genug ist, und nicht so ein dahergelaufenes Sättigungsgefühl.

 
Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?