Traum-Heiler

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AUF DEN KORRIDOREN VON LEBEN UND TOD

Ich teile seit mehr als zwanzig Jahren Träume und Abenteuer mit Carol. Sie ist eine der Schwestern, die ich nie hatte, nach denen ich mich als Junge aber immer gesehnt habe. Als ich sie dann fand - und als Seelenschwester erkannte -, wurde eine Lücke in mir gefüllt. Wir sind die schmalen Grate der Erde miteinander gegangen. Wie so viele begabte schamanische Heiler hat Carol ein Kindheitstrauma überlebt. Wie so viele begabte Berater und Therapeuten gibt sie ihren Klienten den Willen und die Fähigkeit, Heilkräfte aus einer tieferen Quelle zu schöpfen, aus jener Tiefe, die sie »Das Mehr« des Lebens nennt.

Carol, die eine überzeugte Christin ist, war immer bereit, die schwierigsten Fragen zu stellen und sich ihnen zu stellen, wie zum Beispiel: Wo ist Gott, wenn guten Menschen schlimme Dinge zustoßen? Oder: Was passiert mit Tätern, wenn sie sterben und diese Welt unverändert verlassen?

Die folgende Geschichte gibt eine Antwort auf die letztere Frage. Sie kommt aus den Kräften der tieferen Welt, die uns durch Träume zugänglich wird. Die Geschichte erinnert uns daran, dass uns Hilfe und Seelenheilung immer zur Verfügung stehen. Sie ist ein weiteres Beispiel dafür, wie Träume die Tore zu tieferen Welten und einer tiefgreifenderen Lenkung sein können, wenn wir nur bereit sind, wieder durch diese Tore zu gehen.

Am Ende eines Sommers fand Carol eine Nachricht auf ihrem Anrufbeantworter vor, die ihr mitteilte, dass ihr Freund Patrick an AIDS gestorben war. Während sie in dieser Nacht trauernd im Bett lag, hörte sie ein Geräusch im Zimmer und fühlte, dass jemand da war. Sie wusste jedoch, dass sie vor Einbrechern sicher war, und ließ sich schließlich in den Schlaf sinken. Als sie in der Morgendämmerung aufwachte, hörte sie wieder ein Geräusch und achtete darauf. Wie ihr klar wurde, war ihr Freund Patrick bei ihr. Er sagte ihr: »Ich habe ein Vermächtnis für dich. Sieh unter meinen alten Briefen nach.« Sie sagte ihm, dass sie alle alten Briefe weggeworfen hatte und nicht glaubte, noch Briefe von ihm zu haben. »Dann sieh in deinen alten Tagebüchern nach«, wies der freundliche Geist sie an.

Als Carol das tat, fand sie einen alten Brief von Patrick, den er (wie er erwähnte) bei Sonnenaufgang über zehn Jahre zuvor geschrieben hatte. Es war eine lyrische Schilderung seiner Gefühle, während er die Sonne über dem Meer aufgehen sah, ein Gefühl der Weite in ihm, das »dem Atem des Horizonts« begegnete.

Carol überkam ein Gefühl der tiefen Erleichterung und war sicher, dass ihr Freund sich glücklich auf eine Reise begeben hatte, um dem Atem des Horizonts zu begegnen. Es war noch früh am Morgen und sie legte sich wieder ins Bett und bat um einen Traum, der ihr die Reisen der Seele näherbringen würde.

Träumen ist reisen. In ihrem Traum kam Carol in jener Nacht an einem Flughafen an. Sie hatte ein Flugticket und einen Koffer in der Hand und war bereit zum Abflug. Doch sie hatte keine Angst, sie könnte das Flugzeug verpassen. Sie wanderte durch die Abflughalle und beobachtete das Geschehen. Sie sah, wie sich ihre Eltern auf ihren Flug vorbereiteten und fand das seltsam, da beide Eltern schon tot waren. An diesem Punkt erlebte sie eine Erleuchtung. Sie sagte sich: Das hier ist ein Traum - also ist alles möglich, auch das Reisen mit den Toten.

Carol sah sich das Flugzeug, in dem sie abfliegen würden, näher an. Es war silbern und sein Rumpf schien aus altem polierten Silber zu sein - nicht nur aus Silberfarbe, sondern aus dem kostbaren Edelmetall. Warum eigentlich nicht? Träume haben eine andere Physik. Sie machte sich wieder auf und wanderte weiter durch den Terminal. Sie kehrte zu der Nische zurück, in der sie ihren Koffer abgestellt hatte. Dann öffnete sie ihn und fand mehrere sauber zusammengefaltete Flanellnachthemden. Lachend dachte sie: Ich habe mir für diesen Winter wohl vorgenommen, viel zu schlafen und zu träumen. Sie beschloss, den Koffer dort stehen zu lassen. Ihr war, als würde sie ihn da, wo sie hinfliegen würde, nicht brauchen.

Dann ging sie auf das silberne Flugzeug zu. Eine Mitarbeiterin der Fluglinie hatte die anderen Passagiere schon an Bord geschleust und war gerade dabei, die Türen zu verriegeln. »Hey!«, rief Carol. »Ich muss in das Flugzeug! Sagen Sie ihnen, sie sollen auf mich warten!«

»Das geht nicht«, sagte die Angestellte ruhig. »Aber Sie könnten einen Zug woandershin nehmen. Wie wär’s mit Florida? In Florida ist es schön.«

Carol dachte: Diese Frau will mich an einen Ort schicken, der nichts mit dem hier zu tun hat. Um die Situation besser einschätzen zu können, ging Carol auf den Flieger zu. Die Mitarbeiterin der Fluglinie wich lächelnd beiseite. Carol sah sich die Passagiere im Flugzeug an. Darunter waren auch ihre verstorbenen Eltern. Alle winkten zum Abschied, und ihr wurde klar, dass sie alle tot waren. Vielleicht war das der Grund, weshalb sie nicht in diesem Flugzeug saß. Aber sie hatte trotzdem ein Flugticket. Wofür? Carol ging zurück durch den Gang und merkte, dass sie bis an die Decke federn konnte. Je höher sie federte, desto höher wurde die Decke, und so schlug sie sich nicht den Kopf an. Es machte Spaß!

Sie erforschte den Flughafen noch weiter und entdeckte am Ende einer der Hallen eine Gruppe von Leuten, die dort ein Picknick veranstalteten. Ein Mann bückte sich unter den Picknicktisch und fing an, einen kleinen Jungen zu befummeln. Entsetzt rannte Carol hin und zog den Mann von dem Kind weg. Ein zweiter Mann eilte ihr zu Hilfe. Gemeinsam zerrten sie den Pädophilen von dem Jungen weg.

Der Helfer schubste den Täter in Carols Richtung, damit sie mit ihm fertig werden sollte, und nahm den kleinen Jungen in seine Obhut. Sie hatte das Gefühl, genug Kraft zu haben, um den Täter zu überwältigen. Sie packte ihn am Kopf und hielt ihn wie in einem Schraubstock fest, so dass er gezwungen war, ihr in die Augen zu sehen. »Sie brauchen Heilung«, sagte sie mit fester Stimme zu ihm. »Sie müssen da hingehen, wo Sie Heilung bekommen.« Dann schob sie ihn durch die Halle zu den anderen, die darauf warteten, ihn in Empfang zu nehmen.

Carol wachte fasziniert, berauscht und zugleich verwirrt aus diesem Traum auf. Was hatte sie am Flughafen gemacht? War ihr Freund Patrick unter den Passagieren des silbernen Flugzeugs? War das Kind, das beinahe zum Opfer geworden wäre, Patrick als kleiner Junge? Woher hatte sie im Traum gewusst, wohin sie den pädophilen Täter bringen musste, damit er Heilung erfahren könnte, und was dort auf ihn wartete? Und was hatte ihr Flugticket zu bedeuten? Was war ihr eigenes Reiseziel gewesen?

Carol glaubte, um echte Antworten auf diese Fragen zu erhalten, müsste sie zu dem Flughafen mit dem silbernen Flieger zurückkehren. Sie wollte dabei Unterstützung bekommen, und so erzählte sie den Traum in einem meiner Workshops. Nachdem wir über ihn diskutiert hatten, fand sie, dass sie als Allererstes mehr über ihr Flugticket herausfinden müsste. Bedeutete es etwa, dass sie eine Verabredung mit dem Tod hatte?

Während ich trommelte, streckte sich Carol auf dem Teppich aus und machte die Augen zu. Dann ließ sie ihr Bewusstsein zurück in die Flughalle gehen, während unser Kreis aus aktiven Träumern über sie wachte.

Bei diesem zweiten Besuch auf dem Flughafen blieb sie nicht lange im Terminal. Eine spirituelle Lehrmeisterin, die sie die uralte Ur-Mutter nennt, erschien ihr und trug sie »hinaus und hinauf«, damit sie sich den Flughafen von hoch oben ansehen konnte. »Wir passen auf dich auf«, sagte die uralte Ur-Mutter zu ihr. Carol fragte sie nach dem Flugticket. Die Ur-Mutter beruhigte sie: »Jeder hat ein Flugticket. Sieh dir deins mal näher an.«

Carol untersuchte ihr Ticket und ihr fielen mehrere Daten auf. Einige von ihnen waren aus der Vergangenheit. Als sie zurückdachte, merkte sie, dass diese Daten zu lebensbedrohlichen Krisen in ihrer Vergangenheit passten, darunter auch zur Herzoperation, die sie als Kind durchgemacht hatte. Außerdem entdeckte sie auf ihrem Flugticket ein Datum in der nicht allzu fernen Zukunft. »Mach dir deswegen keine Sorgen«, sagte die Ur-Mutter. »Diese Dinge sind nicht so fest vorherbestimmt, wie manche Menschen denken.«

Als Carol sich nach den Leuten erkundigte, die sie auf dem Flughafen gesehen hatte, machte die Ur-Mutter ihr deutlich, dass sie alle - nicht nur die Passagiere im Flugzeug - schon verstorben waren. »Über all das wirst du noch mehr erfahren. Jetzt musst du erst mal das hier erleben.« Die Ur-Mutter nahm Carol an der Hand und flog immer schneller immer höher, bis sie sich auszudehnen und in Licht zu bersten schienen. Carol empfand dabei freudige Verwunderung, Verbundenheit und Mitgefühl. »Ich sah die Verbindungen zwischen allem Leben. Ich begegnete dem Atem des Horizonts.«

Das Abenteuer, das mit dem silbernen Flugzeug angefangen hatte, setzte sich fort und vertiefte sich noch. In einem anderen Traum tauchte der Mann, der ihr geholfen hatte, den Kinderschänder festzunehmen, an Carols Seite auf. Er führte sie in einen Freizeitpark und brachte sie zum Lachen, indem er ein Lagerfeuerlied sang. Als sie ihn nach seinem Namen fragte, sagte er ihr, er sei ein Schutzgeist. Er wollte ihr seinen Namen noch nicht nennen, da sie dann womöglich anfangen würde, an der »Echtheit« ihres Erlebnisses zu zweifeln. Wenn sie mehr erlebt hatte, würde sie mehr erfahren. »Die Ur-Mutter hat mich geschickt, um dir zu helfen«, versicherte er Carol. »Du kannst dich bei ihr nach mir erkundigen.«

Nachdem sie sich verabschiedet hatten, ging Carol in ihrer Traumstadt eine Straße entlang und summte dabei das Lagerlied. Es war mehr als nur ein lustiges Lagerfeuerlied, wie ihr klar wurde; es ging darin um Einweihung und eine ganz besondere Prüfung.

Durch das Lied wurde ein ungewöhnlich großer Mann auf sie aufmerksam. Er ging mit einem kleinen Jungen spazieren, der dem Kind auf dem Picknick ähnelte.

 

Der große Mann blieb stehen und fragte sie nach dem Lied. Er sah aus wie ein riesiger Storch, der sich aus unglaublicher Höhe hinunterbeugte. »Moment mal«, forderte Carol ihn auf. »Würden Sie mir bitte sagen, was hier läuft?«

Die obere Hälfte des hochgewachsenen Mannes beugte sich vornüber und trennte sich vom Rest, so dass er ein normal großer Mann wurde. Jetzt bemerkte Carol, dass er auf den Schultern eines zweiten Mannes gestanden hatte, den sie als denjenigen wiedererkannte, der sich als Schutzgeist ausgegeben hatte. Merkwürdig. Doch wie sie festgestellt hatte, gelten in anderen Welten andere Gesetze. »Mein Name ist Raphael«, sagte der Beschützer.

»Du hast den Kinderschänder in meine Richtung geschubst, damit ich mich um ihn kümmere.«

»Ich wusste, du bist stark genug.«

»Und du hast dich um den kleinen Jungen gekümmert.«

»Ja.«

»Und du bist Raphael?« Langsam dämmerte ihr die Bedeutung seines Namens.

»Ich bin Raphael. Nicht analysieren, Carol. Geh jetzt mit meinem Freund.«

Carol wandte sich dem Mann zu, der auf seinen Schultern gesessen hatte. »Und du bist -?«

»Michael.«

Natürlich. Raphael und Michael. Carol hatte ihre Namen zwar in Gebeten gesprochen, doch sie hätte nie gedacht, ihnen jemals persönlich zu begegnen - und schon gar nicht auf diese ungewöhnliche Weise.

Michael sagte: »Ich weiß, du hast Fragen über dein Flugticket, vor allem über das Datum in der Zukunft. Ich werde dich hinbringen.«

»In die Zukunft?«

»Dir wird nichts geschehen.«

So ließ sich Carol von Michael leiten. Sie kamen so schnell wie Gedanken zu einer Versammlung im Freien. Carol kannte einige der Leute, doch sie sahen älter aus. Es wurden Tüten mit Fast Food herumgereicht. »Iss den Cheeseburger nicht«, sagte Michael zu Carol. Ihr wurde klar, dass sie eine Zukunftsversion von sich selbst sah, die schon graue Haare hatte. Die Carol der Zukunft wollte gerade in einen Cheeseburger beißen. Durch Michaels Aufforderung neugierig geworden, drang Carol in die Gedanken ihres zukünftigen Selbst. Iss diesen Cheeseburger nicht. Sie fühlte, wie es ihrem zweiten Ich widerstrebte zu gehorchen. Es gab hier nur Cheeseburger und sie hatte Hunger. Du willst nicht daran ersticken. Sie beobachtete, wie ihr zweites Ich die Finger vom Fast Food ließ.

Nun sagte Michael: »Sieh dir dein Ticket an.«

Carol betrachtete es und sah ihr Todesdatum in der Zukunft verblassen.

Michael führte sie zurück an die Stelle, an der Raphael auf sie wartete.

»Michael wird sich für eine Weile um dich kümmern«, sagte Raphael.

»Und wo wirst du sein?«

»Wir sehen uns auf den Korridoren zwischen Leben und Tod.«

»Ist das real?«, wunderte sich der Zweifler in Carols Psyche, als sie aus diesem Traum über Engel und Zeitreise zu einem zukünftigen Selbst erwachte. Sie suchte die Bestätigung wie ein aktiver Träumer, indem sie noch einmal durch das Tor ihres erinnerten Traums ging, nur diesmal hellwach und bewusst. Beinahe auf Anhieb erschien Raphael und umarmte sie. »Oh ja, Carol, das hier ist real.« Er wiederholte: »Wir sehen uns auf den Korridoren zwischen Leben und Tod.«

Zwei Wochen später praktizierte Carol Trauminkubation. Sie hatte in ihren bisherigen Traumreisen über den kleinen Jungen nachgedacht. Als sie am Abend zu Bett ging, bat sie darum, mehr über die Situation von Kindern an Übergangsorten im Jenseits zu erfahren - zum Beispiel auf dem Flughafen, an dem das silberne Flugzeug gewartet hatte.

In ihrem Traum war Carol wieder auf dem Flughafen. Dort entdeckte sie ein Kleinkind, das nach seiner Mutter weinte. Während Carol hinrannte, um das kleine Mädchen zu trösten, fragte sie sich, was ein winziger Säugling an diesem Ort tat. Das Kind war noch nicht alt genug, um ein Glaubenssystem zu haben, ganz zu schweigen von einer Ansammlung an Lebenserfahrungen, die es hierher bringen würden. Als sie das Kind auf den Arm nahm, sah sie ein kleines Mädchen. Es war ungefähr fünf Jahre alt und wirkte verängstigt und verwirrt. Als Carol es an die Hand nahm, stammelte das kleine Mädchen schluchzend etwas von »Absturz«. Da wurde Carol klar, dass die Mutter des Kindes tot war.

Sie wunderte sich über das altmodische Baumwollkleid, das das kleine Mädchen anhatte. »Weißt du, welches Jahr wir haben, Schätzchen?« Das Mädchen antwortete: »Daddy hat gesagt, es ist 1958.«

Carol empfand Liebe für die Kinder und das starke Verlangen, sie zu beschützen. Doch sie spürte auch Schock und Wut. Was machten die beiden Kleinen hier allein auf diesem fremden Flughafen? Es sollte jemand da sein, der sich um sie kümmerte. All die vielen Jahre in einer Warteschleife auf einem Flughafen.

»Oh Gott!«, rief Carol laut. »Das ist ja unglaublich!«

Eine innere Stimme - die Art von Stimme, der man vertraut - sagte ihr, sie solle die Kinder in das silberne Flugzeug setzen. Carol beschloss, die Kinder im Flieger zu begleiten und mit ihnen an ihr Ziel zu reisen, wo immer es auch war. Sie betrat mit dem Mädchen auf dem Arm, das sich an sie klammerte, das Flugzeug. Im Flieger erlebte Carol einen plötzlichen Zeitsprung. Sie schienen wieder in den 1950er Jahren zu sein. Die Sitze im Flugzeug waren mit weinrotem Plüsch bezogen. Carol fand Decken und machte es den Kindern bequem.

Sie blieb nicht lange allein mit ihnen.

Hinter ihr tauchte Raphael auf. »Ja, Carol, es ist das Jahr 1958 und du bist wirklich hier, um ihnen zu helfen.« Jetzt werde den Kindern nichts mehr passieren, versicherte er ihr. Carol brauchte sie auf ihrer Reise nicht zu begleiten; am anderen Ende wartete die Mutter der Kinder auf die beiden. Carol küsste die Kinder zum Abschied und wachte verwundert auf.

Der Flughafen tauchte in Carols weiteren Traumodysseen immer wieder auf. Während einer kritischen Phase in ihrer Arbeit als Therapeutin beschloss sie, ihn auf einer schamanischen Traumreise erneut aufzusuchen, um mehr darüber herauszufinden, was aus bestimmten Menschen nach ihrem irdischen Tod wird. Carol hatte schon viele Überlebende von sexuellem Missbrauch und Inzest therapiert; manche von ihnen wurden nach dem Tod ihrer Täter von beunruhigenden Träumen heimgesucht. Carol wollte mehr darüber erfahren, was im Jenseits mit den Tätern geschieht.

Sie erzählte in einem meiner Aktives-Träumen-Kreise, was sie vorhatte. Wir machten es zum Fokus einer schamanischen Reise, die durch Trommeln unterstützt wurde. Carol konnte ohne Schwierigkeiten auf den Flughafen zurückkehren. Dort wurde sie von der Mitarbeiterin der Fluglinie empfangen, die sie fragte: »Warum sind Sie hier?«

Als Carol ihr den Grund erklärte, zeigte die Angestellte auf eine der Flughallen. »Gehen Sie da durch.« Das beunruhigte Carol, da sie den Täter in diese Halle geführt hatte.

Da erschien Raphael neben ihr. »Ich komme mit.«

Selbst in Raphaels Begleitung fühlte sich Carol zutiefst verunsichert, während sie durch die Halle gingen. Sie bemerkte ein Türschild, auf dem Sicherheitspersonal stand. Vor der Tür standen Wachposten. In der Tür befand sich ein einseitiges Fenster, durch das sie in einen großen gesicherten Raum blicken konnte. Sie sah den Kinderschänder, den sie vor einiger Zeit unschädlich gemacht hatte. Warum war er immer noch hier?

»Dies ist eine Verwahrzelle im Flughafen«, erklärte Raphael. »Sie ist für Leute, die in einem destruktiven Muster gefangen sind und daher eine Gefahr für andere darstellen. Hier können sie niemandem schaden. Außerdem ist es eine Begutachtungsstelle, an der der nächste Schritt für sie festgelegt wird. Etwas Heilung kann schon hier erfolgen.«

Raphael forderte Carol auf, ihr inneres Licht zu nutzen. »Lass das Licht aus dir strömen und Liebe verbreiten. Sei Liebe, sei Licht.«

Carol spürte das Licht aus ihr heraus fließen und immer mehr Energie ansammeln. »Du kannst es ihm schicken«, sagte Raphael und zeigte auf den Gefangenen im verschlossenen Raum. »Du kannst das Licht durchs Fenster leiten. Vergiss nicht: Du bist Licht.«

Carol ließ das Licht von sich zu dem Täter strömen. Als es ihn berührte, heulte er vor Schmerzen auf, als hätte es ihn verbrannt. Carol war geschockt und entsetzt darüber, dem Mann wehgetan zu haben, egal, was er verbrochen hatte. Dann spürte sie den sanften Druck von Raphaels Hand auf ihrer Schulter. »Mach dir keine Sorgen. Mittlerweile kann er schon mehr Licht von dir aushalten als beim letzten Mal.«

Als Nächstes zeigte Raphael ihr Bereiche des Flughafens, die sie noch nicht kannte. Darunter war auch ein Ort des Friedens und Trosts - eine Kapelle, die Menschen aller Religionen offen stand.

Carols Reisen mit Raphael gingen weiter. Als sie einen Monat später einschlief und träumte, befand sie sich wieder auf dem Flughafen. Diesmal ging sie direkt zur Verwahrzelle, weil sie sehen wollte, was mit dem Täter geschehen war. Als sie durch das einseitige Fenster sah, stellte sie fest, dass der Kinderschänder verschwunden war.

Raphael gesellte sich zu ihr und erklärte: »Wir haben ihn woanders hingebracht. Jetzt durchläuft er die Pools aus Liebe.«

Ich bat Carol, für dieses Buch zu schildern, was ihre Beziehung zu Raphael und Michael für sie als Heilerin und auf ihrem persönlichen Seelenweg bedeutet hatte. Sie sagte mir:

Seit dieser Zeit rufe ich Michael und Raphael um Hilfe, wenn ich mit Menschen arbeite, die unter Missbrauch gelitten haben. Auch fordere ich andere Leute auf, sich direkt an sie zu wenden für Hilfe. Wenn eine Person dazu bereit ist, kann sie Helfer bei den Namen rufen, an die sie glaubt. Wenn sie einen Vorschlag braucht, wen sie um Hilfe bitten kann, schlage ich ihr Raphael und Michael vor. Sie sind besonders hilfreich, wenn es um verstorbene Täter geht. Ich habe selbst gesehen, wie sie bei der Trennung von Täter und Opfer helfen, indem sie den Toten von der missbrauchten Person trennen, um Raum für neues Leben zu schaffen. Als Ergebnis fühlen sich die Menschen sicherer und ihr kindliches Selbst kommt ihnen näher. Ich habe gesehen, wie sich Leute diese Art von Verständigung vorstellen, sie träumen oder zeichnen. Manche von ihnen sind einfach nur erleichtert über die Trennung und fühlen sich freier. All das öffnet das Tor zur Seelenheilung.

Wenn Raphael und Michael den verstorbenen Täter weggebracht haben, hat das Opfer häufig einen Traum über sein kindliches Selbst oder hat das Gefühl, als wäre sein jüngeres Selbst auf eine neue Weise präsent. Eine Frau erzählte mir, dass sie sich auf dem Heimweg einen Lutscher kaufte und das Verlangen verspürte, die bunten Farben zu tragen, die sie als Kind so geliebt hat. Sie hat sich sogar einen neuen Schal in vielen Farben gekauft! Ein Mann, der als Kind begeisterter Baseballfan war und nach dem Missbrauch jedes Interesse an Baseball verloren hatte, kaufte für sich und seine Familie Karten für ein Baseballspiel. Während des Spiels hatte er das Gefühl, sein Selbst als kleiner Junge, der gern Spaß hatte, zurückzubekommen. Dies gibt den Leuten die Kraft für weitere Heilprozesse, die sie womöglich anstreben müssen.

Raphael und Michael führen auch einen verstorbenen Täter in den Raum und halten ihn dort fest, damit das Opfer an einem sicheren Ort und in Gegenwart eines Zeugen die ungefilterte Wahrheit aussprechen kann. Hier kann das Opfer über erfolgte Verletzungen reden und sich seine Geschichte, sein Leben und seine Würde - also einen Aspekt seines tatsächlichen Lebens - vom Täter zurückholen. Manchmal spricht es auch ein letztes Lebewohl aus und manchmal ein letztes »Auf Nimmerwiedersehen«. Dann führen Raphael und Michael den Täter aus dem Raum hinaus. Dies ist häufig eine starke Heilerfahrung für das überlebende Opfer, das sich so sein Leben zurückholt. Es kann auch Teil eines Heilprozesses für den verstorbenen Täter sein, der nichts tun darf, außer mit Raphael und Michael in den Fesseln, die das Opfer für notwendig hält, den Raum zu betreten. Der Geist des Täters muss stillhalten und zuhören. Ich sehe es als Wiedergutmachung und Heilchance für den Täter an. Über diesen Aspekt spreche ich nicht unbedingt mit dem Opfer.

Was immer uns in Träumen erscheint - selbst wenn die Träume erschreckend sind -, so wissen wir doch, dass es sich um unsere persönlichen Angelegenheiten handelt und dass die Zeit reif ist, damit umzugehen. Wie Carol entdecken wir, dass wir die Kraft und Hilfe, die wir für den Weg brauchen, bekommen, wenn wir bereit sind, uns von unseren Träumen leiten zu lassen, wo immer sie uns auch hinführen. Wie Schamanen sagen, mögen Geister diese Arbeit, und die höhere Macht gibt uns nie mehr, als wir ertragen können.

 
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