Die Schatzkammer des Pharao

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Die Schatzkammer des Pharao
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Robert Kraft

Die Schatzkammer des Pharao

Inhaltsverzeichnis

1.Kapitel.

2. Kapitel

3.Kapitel.

4. Kapitel.

5. Kapitel.

6. Kapitel.

7. Kapitel.

8. Kapitel.

9. Kapitel.

10. Kapitel.

11. Kapitel.

12. Kapitel.

13. Kapitel.

14. Kapitel.

Schluß

Impressum

1.Kapitel.

Erst die zehnte Abendstunde, und schon waren die Straßen der Londoner City, in denen das Leben am Tage so mächtig pulsiert, wie ausgestorben. Nur hin und wieder ein Konstabler, der die Haus- und Ladentüren untersuchte, ob sie geschlossen seien. Noch seltener einmal ein anderer Mensch, der dieses Geschäftsviertel, in dem wohl nur Wächter wohnen, bei Nacht eilig durchkreuzt.

So eilig hatte es auch der Mann, der sich fest in den wolligen Wettermantel wickelte. Es war Mitte Dezember, die trübste Zeit für London, man wußte nicht, ob es schneite oder regnete oder ob das nur Nebel war, der bis auf die Haut drang, der die elektrischen Straßenlaternen nur wenige Schritt weit leuchten ließ, obgleich noch lange nicht mit jenem schwarzen oder gelben Nebel zu vergleichen, der auch die blendende Bogenlampe in ein armseliges Fünkchen verwandelt.

Da in einer noch stilleren Seitenstraße, in der die Beleuchtung gespart wurde, ein gellender Schrei, dem ein fürchterlicher Fluch nachfolgte.

Der Fuß des schnellen Wanderers stockte, er machte die Arme frei, schob den Schlapphut aus den Augen, das blondbärtige Gesicht eines jungen Mannes kam zum Vorschein - und aus seinem Spazierstock ein kurzer Gummiknüppel.

»Hilfe, mir Ist der Knochen zerschlagen!« gellte noch einmal die helle Stimme.

»Noch nicht genug?« rief eine nur ein wenig tiefere Stimme . »Da - und da - und da - und nimm das noch. ...«

Der Mann mit dem Gummiknüppel rannte um die Ecke, in die Seitenstraße hinein. Von drei Gestalten sah er zwei männliche davonflüchten, eine weibliche blieb zurück.

Es war eine mit einfacher Eleganz gekleidete Dame, ihr aufgerissenes Jackett zeigte eine Fütterung mit Zobelpelz. Mit auffallender Gelassenheit ordnete sie ihren dichten Schleier, wobei man sah, daß ihr rechter Glacéhandschuh ganz aufgeplatzt war.

»Die beiden Rowdies überfielen mich«, wendete sie sich ganz ruhig an den im schnellsten Laufschritt Herbeikommenden, »wollten mir das Handtäschchen entreißen. Schade, daß Sie dazwischen gekommen sind.«

Solch einen Empfang hatte der Retter in der Not nun freilich nicht erwartet. Oder er hatte sich verhört.

»Schade?«wiederholte er.

»Nun ja, sonst hätten diese Burschen noch etwas ganz anderes erlebt. Dem einen, dem mit der quäkenden Stimme, habe ich wahrscheinlich das Schlüsselbein durchgeschlagen. Es tut mir leid, aber das ist man der Menschheit direkt schuldig. Der fällt keine einsame Dame mehr an.«

Der Mann starrte auf die schlanke, elegante Gestalt.

»Ihm das Schlüsselbein zerschlagen? Womit denn?«

»Nun hier mit meiner Hand. Ich komme nicht umsonst soeben aus dem Lady-Boxing-Gymnasium, habe nicht umsonst einen Kursus in Dschiudschitau durchgemacht

Es sei gleich verraten, daß der junge deutsche Gelehrte, der er war, jetzt nicht mehr den Schnee oder Regen merkte, sondern es war ihm plötzlich zu Mute, als ob ihm ein ganzer Eimer eiskalten Wassers über den Kopf gegossen worden.

Er liebte nämlich die ganze Boxerei der Engländer nicht, ärgerte sich immer, wenn er so eine Unterrichtsanstalt, wo man lernte, dem Ebenbild Gottes mit der Faust alle Knochen im Leib zu zerschlagen und sein Gesicht in ein rohes Beefsteak zu verwandeln, »Gymnasium« nennen hörte, und am allerwenigsten liebte er boxende Damen, gleichgültig, ob sie englisch oder japanisch boxten.

»Ach soooo! Da waren es also die beiden Banditen, die um Hilfe schrien, weil Sie ihnen so übel mitspielten! Ich bitte um Verzeihung, Miß, ich werde Sie niemals wieder bei Ihren Vergnügen stören!«

Hinter dem dichten Schleier erklang ein silbernes Lachen.

»Nein, nein, Herr Doktor Tannert, ich erkenne Ihren Ritterdienst voll und ganz an, nehme ihn für geschehen. Das Sie meinetwegen nicht etwa Ihren Mut zügeln, wenn Sie einmal ein Weib um Hilfe rufen hören.«

Wieder glaubte der so Angeredete einen Wassersturz zu fühlen. Er war erst seit zwei Tagen in London, in England, war ganz wildfremd, er selbst kannte noch gar keinen Menschen.

»Ja, wie ist es möglich ...«

»Wir sind doch Nachbarn, wir wohnen doch bei Mrs. Haller auf ein und demselben Flur.«

Bei einer Mrs. Haller wohnte er, daß stimmte, nahe beim Britischen Museum, in dem er täglich zu tun hatte. Dort gibt es sehr viele Pensionen, die speziell die Fremden aufnehmen, welche für längere Zeit die größte Bibliothek der Welt benutzen oder die von den Engländern dort zusammengehäuften Schätze zu besichtigen, untersuchen und studieren wollen, ägyptische Sarkophage oder Nürnberger Taschenuhren oder Lappländische Götzen. Und immer mehr nimmt auch die Zahl der weiblichen Pensionäre zu, die aus allen Ländern, aus allen Erdteilen kommen, nicht nur um das Britische Museum flüchtig zu besuchen, wozu freilich, um alles nur einmal gesehen zu haben, auch schon ein Menschenalter gehört - es ist ja ganz fabelhaft, was die Engländer da aus aller Welt zusammengeschleppt und wohlgeordnet haben - sondern vom Wissenshunger getrieben, zum ersten Studium.

»Aber Sie kennen mich nicht?« fuhr es heiter wie zuvor hinter dem Schleier fort. »Glaubt schon. Sie sind doch erst gestern Mittag eingezogen. Ich stand im dunklen Hintergrund. Und ich von Evas Geschlecht mußte die Mrs. Haller dann gleich fragen, wer der neue Pensionär sei. Jetzt habe ich Sie gleich wiedererkannt. Wir wohnen Ihnen gerade gegenüber, mein Bruder und ich. Lavoir heißen wir.«

Das alles wurde so heiter und naiv herausgeplaudert, daß vor seinen geistigen Augen die boxende, knochenzerschlagende Dame immer mehr zurücktrat, bis sie ganz verschwunden war.

»Na, wollen wir denn die ganze Nacht stehen bleiben?« lachte es wieder.

Ja, fast hätte Dr. Tannert Lust dazu gehabt. Ohne das er das Gesicht der offenbar noch jungen Dame zu sehen bekam, ging doch etwas von ihrer ganzen Person aus, das ihn immer mehr fesselte. Hauptsächlich lag es wohl in ihrer sonoren und doch so weichen Stimme, in ihrer heiteren, unbefangenen Ausdrucksweise.

»Ich darf Sie wohl nach Hause…«

»Selbstverständlich dürfen Sie! Das müssen Sie! Was überhaupt für eine Frage! Wir haben doch ein und denselben Weg, ein und dieselbe Wohnung. Geben Sie mir Ihren Arm. Oder ich lege vielmehr den meinen in Ihren. Wir machen deutsch. Unsere Mutter war eine Deutsche. Wir können auch deutsch zusammen sprechen, das ist mir sogar viel lieber.«

Sie hatte sich bei ihm eingehängt.

Und wieder wurde der junge Mann fast mit Bestürzung erfüllt.

Himmel, hatte die einen Arm! Wie Eisen. Auch bei der leisen Berührung, der er sich befleißigte, fühlte er die schwellenden Muskeln hervortreten..

Jedenfalls eine Artistin, die sich mit dem Bruder in solch eine Pension verirrt hatte. Eine Reck- oder Trapezturnerin oder so etwas. Denn vom Boxen allein bekommt man nicht solche stählerne Muskeln.

»Sie turnen wohl viel, mein Fräulein? Nicht wahr, ich darf Sie Fräulein anreden?«

»Ja, Sie dürfen«, wurde wieder gescherzt. »Ja, ich treibe athletische Spiele aller Art. Das ist hier schön in England, daß man dabei Rücksicht auch auf die arbeitenden Klassen nimmt, besonders auf die Angestellten von Geschäften, die bis acht Uhr und noch länger auf sind. Alle die Gymnasien, auch einige Schwimmhallen sind bis Mitternacht geöffnet. Das gibt es in Frankreich nicht. Und es ist doch nur ein pekuniärer Vorteil der Besitzer solcher Institute.«

Also doch wohl keine professionelle Artistin. Sie hatte gerade und wiederum nur des Abends Zeit.

»Wir müssen hier gehen.«

»Nein, hier. Immer quer durch diese schmalen Gassen, da schneiden wir fast die Hälfte des Weges ab.«

»Sie sind schon lange in London, Fräulein, daß Sie den Weg so gut kennen.«

»Kaum zwei Wochen.«

»Und da finden Sie sich in diesem Häusermeer so gut zurecht?«

»Das macht, weil ich immer nur in der Nacht ausgehe. Da trifft man selten einen Menschen, den man nach dem Weg fragen kann, da muß man selbst tüchtig aufpassen. Wenigstens hier in der City ist es so einsam, und viel mehr als diesen Teil von London kenne ich auch nicht.«

 

Immer nur in der Nacht ging sie aus? Merkwürdig?

»Nur um solche ... Turnanstalten zu besuchen?«

»Fast nur. Die liegen ja alle um die City herum. Die anderen benutzen die Untergrundbahn. Das mag ich nicht. Ich gehe lieber zu Fuß.«

»Begleitet Sie denn da nicht Ihr Herr Bruder?«

»Nein. Der ist zu faul Der sitzt jetzt zu Hause und liest. Nur ins Theater oder zu Vorträgen gehen wir zusammen.«

»Darf ich fragen, was Ihr Herr Bruder für eine Beschäftigung hat?« ging Dr. Tannert jetzt direkt auf sein Ziel los.

»Sie dürfen«, wurde wiederum heiter erlaubt. »Beschäftigung? Gar keine. Wir sind bis vor einem Vierteljahr auf einer Stelle festgenagelt gewesen, unten in Südfrankreich. Das sind Verhältnisse, die ich Ihnen nicht so ohne Weiteres schildern kann, sie sind auch durchaus nicht interessant. Wir hatten es niemals nötig, den ernsten Kampf mit dem Leben aufzunehmen - leider nicht - saßen dafür aber in einem Käfig, wenn auch in einem goldenen. Endlich sind wir frei geworden. Da sind wir auf Reisen gegangen. Haben uns Frankreich angesehen, besonders Paris, und nun sind wir in London. Ich fürchte nur, mein Bruder will ganz hier bleiben. Er ist des Reisens schon überdrüssig. Er ist so schrecklich faul. Wenn er auf dem Sofa sitzt und immer wieder andere Bücher haben kann, Unterhaltungslektüre, ganz gleichgültig welche, er liest alles - mehr braucht er nicht. Da ist es ihm ganz gleichgültig, ob er in Avignon oder Taracon oder London oder in Haiderabad sitzt. So, nun kennen Sie uns, so weit das in zehn Minuten möglich ist. Und ich bitte Sie nun nicht erst, fragen zu dürfen, sondern jetzt verlange ich von Ihnen, daß Sie mir nun auch sagen, wer Sie sind und was Sie hier treiben. Mit Ihren Ahnen brauchen Sie aber nicht anzufangen, ich will auch nicht wissen, ob Sie Morgens Kaffe oder Tee trinken und wie viele Stückchen Zucker Sie dazu nehmen. Das wird mir alles schon Mrs. Haller erzählen, sie hat gestern und heute nur keine Zeit dazu gehabt, und das schmerzt die arme Frau sehr.«

Schon zehn Minuten? Tannert hätte nur an eine Minute geglaubt. Wahrhaftig, da waren sie ja schon auf der Oxfordstreet. In dieser Gesellschaft verging die Zeit wie im Fuge.

»Ich bin oder war Custos im Berliner Museum für Völkerkunde. Jetzt hat man mich nach London geschickt, um mich im Britischen Museum für eine Forschungsexpedition nach Syrien vorzubereiten, die ein reicher Privatmann, der Kommerzienrat Kluge, der an so etwas Interesse hat, auf seine Kosten ausrüstet. Es gilt, einmal die Ruinen des alten Petra ganz gründlich zu durchforschen. Haben Sie von dieser Felsenstadt schon gehört?«

»Nein. Kein Wort. Nehmen Sie's mir nicht übel - Geographie und Weltgeschichte waren immer meine schwächsten Seiten.«

»Nein, das nehme ich Ihnen nicht übel«, scherzte jetzt Tannert seinerseits. »Petra war die Hauptstadt der alten Nabatäer, lag oder liegt mitten in der wüstesten Gegend des Peträischen Arabiens, im Tale eines Felsengebirges. Fast die ganze Stadt ist aus dem Felsen herausgehauen, oder doch die prächtigsten Gebäude sind hineingemeiselt.

Das kann gar nicht in Trümmer gehen. Nur die außerhalb aufgeführten Bauten sind Ruinen. Nach der Eroberung durch die Araber wurde sie verlassen. Sie wurde wegen eines religiösen Frevels verflucht. Die Hauptsache aber war wohl das Versiegen der Brunnen. Jahrhunderte lang gehörte Petra mehr der Sage an, man zweifelte überhaupt an der Existenz solch einer Felsenstadt. Bis sie von dem deutschen Orientreisenden Burckhardt, der im Dienst einer englischen Gesellschaft stand, unter unsäglichen Schwierigkeiten wieder aufgefunden wurde. Danach ist sie noch mehrfach besucht und beschrieben worden, meist von Engländern. Nun werde ich hingeschickt als archäologischer Teilnehmer einer größeren deutschen Expedition.«

»Das ist ja sehr interessant. Von dieser Stadt, die so ganz in die Felsen hineingemeiselt ist, müssen Sie mir mehr erzählen.«

»Mit dem größten Vergnügen.«

»Sie waren schon einmal dort?«

»Ich? Das ist überhaupt meine erste Reise hierher nach England. Ich bin noch gar nicht aus Deutschland herausgekommen. Bisher habe ich die orientalische Altertumskunde nur theoretisch betrieben. Und auch darin kann man den letzten Schliff nur hier in London bekommen, im Britischen Museum. Die meisten Spezialwerke sind englisch und im Buchhandel nicht mehr zu haben. Und in den Übersetzungen von Burckhardts Werken fehlen die Karten. Doch daß wird Sie nicht so sonderlich interessieren.«

«Woher wollen Sie denn das wissen?« wurde mit gewöhnlichem Freimut zurückgefragt. »Im Gegenteil, mich interessiert alles sehr, was Sie mir da erzählten, wie ich doch auch schon sagte. Hier sind wir.«

Eine Nebenstrasse, nur eine schmale Gasse, hatte sie auf einen jener freien, kleinen, mit etwas Rasen geschmückten Plätze gebracht, die durch ganz London verstreut sind, Squares genannt, wie stille, grüne Oasen mitten im brandenden Weltgetriebe liegend.

Die Dame verzögerte ihren elastischen Schritt.

»Herr Doktor, erst noch ein offenes Wort. Wir beide, mein Bruder Harris und ich, leben ganz zurückgezogen, ganz einsam, nur für uns, verkehren mit gar niemanden. Aber es ist mir ganz unmöglich, daß wir uns hier vor der Haustür oder oben auf dem Korridore trennen sollen, jeder in sein Zimmer gehend. Ist es denn nicht ganz wunderbar, daß wir, die wir einander gegenüber wohnen, ohne uns noch zu kennen, uns in der City bei nächtlicher Weile treffen mußten, bei einer Gelegenheit, die sehr böse hätte verlaufen können? Daß gerade Sie mir zu Hilfe eilen mußten?«

Ja, es war wirklich ein ganz merkwürdiger Zufall gewesen.

»Aber ich möchte nicht Ihren Herrn Bruder in seiner Einsamkeit stören.«

»Nein, nein, davon ist gar keine Rede! Im Gegenteil, ich wollte Ihnen nur sagen, daß Sie nicht erst auf Ihr Zimmer gehen, um etwas erst abzulegen. Dann ist die Überraschung zur Hälfte schon vorbei. Sie kommen sofort mit zu uns herein, jawohl, mit Ihrem nassen Mantel.

Ich bin doch nicht minder naß. Mein Schutzengel hat mich eben nach Hause gebracht. Sie wohnen doch wo ganz anders, zwei Meter von uns entfernt. Und selbst zwei Millimeter können so viel wie zwei Meilen bedeuten, zum Beispiel, wenn einem eine Kugel am Ohr vorbeipfeift. Vorwärts, Sie kommen sofort mit?«

Die Pensionsmutter hatte doch gesagt, daß es keinen Hausschlüssel gebe, es sei hier nicht üblich, der Hausdiener sei die ganze Nacht zum Öffnen bereit.

Diese junge Französin aber hatte einen Hausschlüssel in der Tasche.

2. Kapitel

»Harris, sieh, wen ich hier mitbringe!«

Ein feiner Duft schlug dem Eintretenden entgegen, er fühlte sich plötzlich an den heimatlichen Weihnachtstisch unter dem Christbaum versetzt, und außerdem verschmolz ein Märchen aus Tausendundeinernacht mit einer feierlichen Zeremonie der katholischen Kirche.

Die Einrichtung dieses Zimmers war nicht daran schuld, daß in ihm augenblicklich solche Bilder hervorgerufen wurden. Die war so wie die seines Wohnzimmers, gut englisch, durch vielen Gebrauch ein wenig abgenützt, durch einige deutsche Möbel behaglicher gemacht. Zum Beispiel stand auch hier ein Schreibsekretär. Statt der Couch, die man zu allem anderen gebrauchen kann nur nicht um sich darauf zu setzen oder gar hinzulegen, ein deutsches Sofa mit Rückenlehne.

Die Art der Beleuchtung machte es. Statt des Gases oder elektrischen Lichtes, was beides den Pensionären zur Verfügung stand, brannten ein Dutzend Wachskerzen, spannendicke, meterlange Kirchenkerzen von allen Farben, im ganzen Zimmer verteilt.

Daher das kirchliche vermischt mit dem Märchenhaften, daher der Weihnachtsgeruch, der durch den feinen Duft von Apfel noch verstärkt wurde.

Auf dem Sofa saß ein junger Mann, vor sich auf dem Tische drei solche brennenden Riesenkerzen, einige Bücher und eine große Schale mit Äpfeln und Nüssen, mit deren Aufknacken er gerade beschäftigt war.

Dr. Tannert staunte über dieses brünette Gesicht. Solch ein edles Profil hatte er noch nicht gesehen. Diese Adlernase, dieser Adlerblick der großen schwarzen Augen, dieser Schwung der Lippen, dieser unnahbare Stolz, der sich in jedem Zuge ausprägte, und dabei dennoch diese freundliche Ruhe - solch eine Vermischung hatte der junge Gelehrte noch nicht gesehen.

Er erhob sich sofort, allerdings in eigentümlich phlegmatischer Weise. Stehend machte die schlanke mittelgroße Gestalt in dem schwarzen Gehrock einen noch viel vornehmeren Eindruck. Ja, schlank war die Figur wohl, sogar schmächtig, aber Tannert sah gleich die Hände, auch wieder die feinsten Männerhände, die er je gesehen, wie aus gelben Elfenbein geschnitzt, und dennoch starrend von Muskeln und Adern und Sehnen, woraus man auf seine Kräfte schließen konnte.

»Herr Doktor Tannert, unser Nachbar hier gegenüber.«

»Es ist mir sehr angenehm, Herr Doktor!« sagte eine tiefe Bruststimme, die man dieser schmächtigen Gestalt wiederum gar nicht zugetraut hätte.

»Denk dir, Harris, was mir passiert ist. Ich bin angefallen worden.«

Sie erzählte ihr Abenteuer, berichtete zwar, daß sie sich tapfer gewehrt hätte, gab aber die Ehre doch dem herbeigeeilten Doktor. Der hätte die Straßenräuber erst in die Flucht geschlagen.

Dr. Tannert kam nicht dazu, sie zu korrigieren, der Wahrheit die Ehre zu geben. Er hörte gar nichts davon, war nur Auge.

Während sie erzählte, hatte sie das einfache Hütchen und den Schleier abgelegt. Und der junge Deutsche wurde noch mehr von der Bewunderung hingerissen.

Ja, die beiden waren Geschwister? Ganz genau das selbe Gesicht, wie das des Bruders, nur in weibliche Abrundung übertragen. Statt der Adlernase, ein Adlernäschen, die geschwungenen Lippen voller, das Kinn weicher.

Das Ideal eines italienischen Bettelbuben!

Der junge Gelehrte lachte dann, als er sich darüber Rechenschaft ablegte, wie er auf diesen merkwürdigen Vergleich gekommen war. Und doch, er war ganz richtig. Das prächtige Gesicht eines jener Lazzaroniknaben unter denen die Maler doch natürlich als Modell immer nur die schönsten Köpfe aussuchten.

Die Ähnlichkeit wurde noch größer, als sie das blauschwarze Haar, das sie zu einer vollen Frisur geordnet trug, mit einem einzigen Griff auflöste, so daß es plötzlich in schwarzen Locken herabfiel, aber nur bis zu den Schultern. Nun war ein solcher römischer Adonis erst rechtfertig.

Und auch sie hatte solch eine merkwürdige Hand, wunderbar fein, aber ungemein kräftig, jedes Muskelchen wie gemeißelt hervortretend, wenn auch nicht geradeso von Sehnen und Adern strotzend wie die des Bruders.

Dr. Tannert wurde sich gar nicht bewußt, wie er in seinem nassen Mantel so unbeholfen in der Mitte des Zimmers stand, immer nur starrend und staunend, und ehe er zur Besinnung kam, daß er endlich doch auch etwas sagen müsse, wandte sich das Mädchen schon wieder an ihn, dabei schnell einige Wallnüsse zwischen den Händen aufknackend.

Dieses schöne Antlitz mußte eigentlich sehr ernst sein, das passte zu den ganzen Zügen, war es auch - aber sofort, wenn sie sprach, wurde es durch ein ungekünsteltes, heiteres Lächeln noch mehr verschönt.

»So, jetzt ist die Vorstellung vorüber, Sie sind eingeführt. Nun dürfen Sie sich in Ihrem Zimmer umziehen, jetzt erlaube ich es Ihnen. Aber wehe, wenn Sie nicht sofort wiederkommen! Ich hole Sie. Und nicht etwa Toilette machen! Ich will Sie in den Filzschuhen sehen, mit denen Sie heute früh über den Korridor gingen! Meine Pantoffeln sind noch viel abgetretener. Vorwärts verschwinden Sie! Der letzte, der wieder in diesem Zimmer ist, muß dem anderen die Nüsse aufknacken und die Äpfel schälen!«

Bei den letzten Worten war sie schon nach der Seitentür gesprungen.

Wie Dr. Tannert eigentlich in sein Zimmer gekommen war, wußte er gar nicht. Wußte nicht, wie er sich umzog. Nur das wußte er, daß er sich eben im Traum befand.

»Nein, so etwas!« seufzte er manchmal. »So etwas habe ich noch gar nicht erlebt, gar nicht für möglich gehalten. Ganz fremd - ich stehe da wie ein Stockfisch - ich ich ich ... ich weiß gar nicht, was mit mir los ist. Das Mädchen muß mich geradezu verzaubert haben. Und diese holdselige Unschuld zerschlägt ab und zu einem Menschen das Schlüsselbein!«

Als er schon hinübergehen wollte, merkte er erst, daß er an einem Fuße einen Filzschuh, am anderen einen Stiefel hatte. Kopfschüttelnd blickte er hinab auf das ungleiche Paar.

 

»Was ist nur mit mir los? Und schon dieser halbe Versuch, dort drüben in Filzschuhen erscheinen zu wollen, ist doch eine beispiellose Ungezogenheit. Aber was hilft's? Sie hat es befohlen, ich muß gehorchen. Und wenn die mir je befiehlt, ich solle aus dem Fenster dieser zweiten Etage einen doppelten Salto mortale schlagen - ich würde ihn schlagen. Obgleich ich nicht einmal einen einfachen Salto kann. Hoffentlich befiehlt sie's nicht.«

Immer noch kopfschüttelnd stellte er die Harmonie an den Füßen durch den zweiten Filzschuh her, ging hinüber, klopfte an.

»Come in!« rief die tiefe Stimme des Bruders.

Als Tannert die Tür öffnete, trat auch sie gerade durch die ihre in das Zimmer, in einem faltigen Morgen - oder Abendkostüm, einfach Schlafrock genannt, auch wieder so elegant und doch ganz einfach, ohne alle Borten und Bändchen und Spitzchen, wie Tannert auch schon bemerkt hatte, daß die beiden keine Ringe und keinen anderen Schmuck trugen.

»Ach, das ist schade! Ich habe mich so beeilt. Von wegen der Aufknackerei. Setzen Sie sich - hierher in die andere Ecke - so. Harris, wo ist der Nußknacker? Natürlich wieder keiner da. Wir haben ein ganzes Dutzend, sonst liegen sie überall herum, aber wenn man einen braucht - natürlich keiner zu finden. Doch, hier ist einer. Und hier unter der Zeitung liegen gleich noch drei. Hier haben Sie einen. Oder warten Sie, ich werde Ihnen aufknacken. Denk dir Harris, der Herr Dr. Tannert geht nach Afrika, nach Arabien.«

»Erlauben Sie, daß ich eine Bemerkung mache?« lächelte der Doktor.

Er war nicht gerade ein schüchterner Mensch, schloß sich nur an, es dauerte immer lange, ehe er in fremder Gesellschaft »auftaute«. Hier aber fühlte er sich gleich ganz wie zu Hause.

»Ja, ich erlaube Ihnen eine Bemerkung«, entgegnete sie mit gravitätischem Ernst, und das hatte jener ja nur hören wollen.

Dann mache ich Sie darauf aufmerksam, daß Arabien nicht zu Afrika, sondern zu Asien gehört. Aber sie nehmen es mir doch nicht übel? Und wenn Sie durchaus darauf bestehen, dann könnte das ja geändert werden.«

Sie schlenkerte in komischer Weise die Finger.

»Au! Da habe ich mich ja nicht schlecht blamiert! Da sehen Sie, wie es mit meinen geographischen Kenntnissen beschaffen ist. Das mir freilich so etwas passieren muß…«

»Das, verehrtes Fräulein, ist schon manchem anderen passiert und wird noch häufig vorkommen«, tröstete sie Dr. Tannert. »Ich habe sogar konstatiert, daß Arabien von geographisch sonst ganz sattelfesten Personen zu Afrika gerechnet wurde, wenigstens so in der Gedankenlosigkeit. Und diese häufige Verwechslung muß doch einen Grund haben. Und der besteht eben auch. Arabien ist in Wirklichkeit vielmehr zu Afrika zu rechnen als zu Asien, dem Charakter der Landschaft, der Fauna, der Flora wie dem seiner Bewohner nach. Die Grenzen der beiden Erdteile sind doch nur in der Phantasie gezogen, aus Bequemlichkeit, möchte man sagen. Weil da so recht bequem die Landenge von Suez ist, die man am leichtesten durchstechen konnte. Die natürliche Grenze wäre viel richtiger vom Persischen Golf aus den Euphrat entlang nach dem Winkel des Mittelmeeres gezogen, wo es den Busen von Jskanderum bildet. Und wer so in der Eile versehentlich Arabien zu Afrika rechnet, der bekennt nur, daß er in seiner Gedankenlosigkeit den Charakter Arabiens ganz richtig beurteilt.«

»Ich bin Ihnen sehr verbunden«, verbeugte sich das Mädchen mit schalkhaften Ernste.

»Nach Arabien gehen Sie?« fragte der Bruder.

»Ja«, glaubte die Schwester für den Gast das Wort nehmen zu müssen, »zur Erforschung der Felsenstadt Pe - Pat ... ja, nun weiß ich wieder diesen Namen nicht mehr.«

»Petra. Das ist griechisch der Fels. Sie brauchen ja nur an Petrus zu denken, als an den Felsen, auf den der Herr seine Kirche erbaut hat.«

»Ach ja richtig.«

»Ich habe auch noch nichts von diesem Petra gehört«, gestand der Bruder.

Der junge Gelehrte ward bei ihrer Schilderung noch etwas ausführlicher als vorhin gegen die Schwester, führte Daten an, auch das sie vom dritten bis zum fünften Jahrhundert ein christlicher Bischofssitz gewesen ist.

»Der Hauptzweck unserer Expedition ist, das Alter der Bauwerke zu bestimmen, was nach ihrem verschiedenen Stilen recht wohl möglich ist. Denn sie sind in den verschiedensten Jahrhunderten entstanden.«

»Sind schöne Bauwerke dort?«

Die interessantesten sind wohl die Felsengräber, die ringsum etagenweise in die Bergwände gemeiselt sind. Das ganze Wadi Musa, Mosestal, in welchem Petra liegt, wimmelt von solchen Felsengräbern, die wenigsten sind untersucht, viele noch nicht einmal gefunden worden. Da werden wir wohl noch manche interessante Entdeckung machen, auch an Sarkophagen und Mumien, an Waffen, Schmucksachen, Hausgerätschaften und Ähnlichem mehr. In der Ruinenstadt selbst ist am wohlerhaltensten und am merkwürdigsten ein Amphitheater. Es kann gar nicht zerstört werden, höchstens durch Sprengung, weil es ebenfalls in den Felsen gemeiselt worden ist. Sehr groß ist es nicht, hat oben nur 36 Meter Durchmesser mit 35 Sitzplatzreihen, hat aber über deren oberste noch eine Unzahl von Felskammern, deren

einstiger Zweck noch zu ergründen ist. Deren Eingänge sollen zum größten Teil verschüttet sein, sicherlich künstlich, und wir haben die Aufgabe, sie freizulegen. Das prächtigste Gebäude aber, ebenfalls nicht aufgebaut sondern auch in die Felswand gemeiselt, ist das sogenannte Chaznet Firaun, das ist die Schatzkammer Pharaos.«

»Hat dort ein ägyptischer Herrscher seine Schatzkammer gehabt?«

»Das ist eben auch so ein Rätsel, welches es zu lösen gilt. Wir wissen von den Eroberungszügen der alten Ägypter herzlich wenig. Aber warum sollen sie nicht auch bis nach Kleinasien vorgedrungen sein? Es wäre sogar merkwürdig, wenn sie es nicht getan hätten. Nur das sie nirgends ihre charakteristischen Bauten mit Hieroglyphen und Keilschriften hinterlassen haben. Das ist außerhalb ihres Mutterlandes vielleicht verboten gewesen. Die arabischen Geschichtsgelehrten, unter denen es ja ganz bedeutende Männer gibt, behaupten, daß ein Pharao hier einmal seine Residenz gehabt hat. Vielleicht im Exil lebend. Und wahrscheinlich es, daß es der Pharao Scheschonk oder Schischak der Erste gewesen ist. Denn dieser ist einmal bis nach Jerusalem gekommen, hat es geplündert, unter Rehabeam, tausend vor Christi. Und die ungeheuren Schätze, die ihm in die Hände fielen, scheint er nicht nach Ägypten gebracht zu haben. Sonst würden Inschriften schon darauf Bezug nehmen.«

»Dann liegen diese Schätze gewiß noch dort in Petra!« sagte die Schwester eifrig und ernst, aber man hörte den Scherz schon durch.

»Ganz sicher. Die wollen wir ja eben abholen.«

»Ach bitte, bringen Sie mir doch die Hälfte mit. Ja?«

»Na, die Hälfte von allem nicht, das können Sie nicht verlangen. Aber die Hälfte von meinem Anteil, die sollen Sie bekommen. Wie soll ich das Gold verpacken? Sind Ihnen Ledersäcke oder Eierkisten angenehmer?«

»Sie scherzen, aber wo sind denn diese Schätze hingekommen?«

»Wenn jemals welche dagewesen sind. Na, Petra ist doch lange die Hauptstadt der Nabatäer gewesen, aber lange nach Rehabeam, dann waren griechische Christen darin ansäßig, schon vorher wurde sie zahllose Male erobert und geplündert, unter anderem von König Amazia, von Atigonus und Trajan, zuletzt von den Sarazenen - da wird von den Schätzen für uns wohl nicht mehr viel übrig geblieben sein. Nein, uns beschäftigt nur die wissenschaftliche Forschung, das Studium der Baustile. Kleinigkeiten mögen wir dabei ja noch finden.«

»Da möchte man gleich mitkommen«, sagte der Bruder.

»So kommen Sie doch mit. Wenn Sie so ganz frei und unabhängig sind, wie mir Ihr Fräulein Schwester erzählte.«

»Hat Ihnen das Leonore gesagt? Nein, so ganz frei und unabhängig sind wir nicht.«

Dr. Tannert hatte nur den Namen gehört.

»Leonore heißen Sie?« wandte er sich mit ausfallender Hast an sie..

Noch anderes als diese Hast war auffallend. Der Frager war dabei vor innerer Erregung ganz rot geworden, mit der größten Spannung hingen seine Augen an dem schönen Mädchen.

»Ja, Leonore«, wollte diese ganz unbefangen bestätigen. Aber es gelang ihr nicht. Jetzt färbte sich auch ihr brünettes Gesicht noch dunkler, sie wurde ganz unsicher, wie nun auch der junge Deutsche. Erst hatten sie sich tief angeblickt, und jetzt wichen sich ihre Augen scheu aus.

Leonore machte der peinlichen Szene, die ja nur wenige Sekunden gewährt hatte und von dem phlegmatischen, immer noch Nüsse knackenden Bruder gar nicht bemerkt worden war, dadurch ein Ende, daß sie schnell aufstand und den Schreibsekretär öffnete, aus dem erst recht ein intensiver Duft von Äpfeln drang.

»Unsere Großmutter väterlicherseits hieß Leonore«, sagte der Bruder, »sie war eine Italienerin, daher auch unser Typus, vermischt mit dem des französischen Vaters. Von unserer deutschen Mutter haben wir nur die Sprache erlernt. Darauf hielt sie.«