Eine Alte Dame Ging Hering

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Anton II

»Vielleicht ein wenig platt, aber sehr effektiv. Er macht es, Anton. Ich wusste doch, dass ich mich auf meine Prinzessin verlassen kann. Mein Araberhengst und deine Idee mit dem Grundstück im Bergischen haben natürlich auch geholfen.« Eimermachers Stimme klang, als seien alle Probleme schon gelöst. Merck wischte sich eine Schweißperle vom Nasenflügel. »Jetzt bist du dran, Anton.« Ja, jetzt war er dran, daran gab es nichts zu rütteln.

»Ja, isch muss dat noch orjanisieren, Isaak, so schnell schießen die Preußen nit.« Eimermacher wieherte sein Lachen.

»Du kommst aus Worringen, Anton, du bist so preußisch wie unser Rabbi. Und dass geschossen wird, ist doch wohl in unserem Fall auch nicht nötig – hoffe ich.«

»Nänä«, beschwichtigte Merck, »is’ doch nur so ’ne Redensart. Isch will damit nur sagen, dat jeht alles nit so Hals über Kopf, dat muss vernünftisch vorbereitet sein.«

»Sollst du, Anton, sollst du. Ich kann ja auf mein Päckchen noch ein Weilchen warten, aber wenn ich das richtig verstehe, musst du doch deinen Einkauf in diesem Sommer noch unter Dach und Fach gebracht haben?«

»Isch bin am Ball, Isaak, isch bin am Ball.«

»Schön. Brauchst du Geld? Vorher schon?«

»Ach wat, Jeld! Nein, et jeht nur noch drum, dat jeschickt einzufädeln. So jeschickt, datt kein Schwanz uns jemals damit in – eh – Verbindung – eh …« Wieder das Wiehern.

»Aber du bist doch der Einfädler vor dem Herrn! Bist du das nicht? Du wirst das schon schön mooj maaken, Anton!«

Sie führten noch ein wenig plätschernde Konversation – die Geschäftstüchtigkeit des Spaniers, die Lage im Nahen Osten, der Ölpreis, eine neu entdeckte Zigarrenmarke – dann verabschiedeten sie sich voneinander, Eimermacher herzlich, fast gönnerhaft, Merck nervös. Er wanderte eine Viertelstunde um seinen Schreibtisch herum und schaute mehrmals auf seine Armbanduhr, ein sehr teuer aussehendes stahlgraues Monstrum so groß wie eine Untertasse; das einzige, was sie nicht anzeigte, waren die Lottozahlen. Dann griff er wieder zum Telefon.

»Isch bin et«, bellte er, als sich jemand meldete, »hol misch um halb sieben im Büro ab – wir jehn ’ne Runde um den See. Isch muss wat mit dir bespreschen. Wat …? Jaja, dann sagste dat eben ab. Ja, halb sieben!«

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Kinder der Liebe

Leider hatten wir uns das falsche Repertoire ausgesucht – zumindest für diesen Auftrittsort, St.Tropez, abends um halb sieben.

Der Franzmann hat’s ja wohl anscheinend nicht so mit dem Blues. Wir stellen uns zum Beispiel vor die gut gefüllte Terrasse des Le Clemenceau. Kurzes Gitarrenvorspiel, ’noh bellt einmal I Got Ramblin’ – hier klirrt eine Espressotasse, dort ein Champagnerkelch. Unter den Tischen kläffen ein paar Pudel hervor, ein Kind plärrt los, ein Afghane, mit einem hellblauen Seidenschal an einem der Tischchen festgebunden, rennt heiser hustend auf uns los, Tisch hinterdrein, und ein Wienerwald-Hähnchen in rosa Satin stößt spitze Schreie aus, weniger wegen I Got Ramblin’ als wegen der heißen Crêpe in seinem Ausschnitt. Zwei schnöselige Kellner stürmen mit nasalen Röö-röö-röös auf uns ein, und als ich das als Aufforderung nehme, die zweite Stimme zu singen, kommt auch noch Silberschläfe im schwarzen Anzug, dick »Geschäftsführer« auf die schwitzende Stirn geschrieben. Unser Französisch ist nicht so doll, aber ihrem Tonfall und den bedrohlichen Gesten ist unschwer zu entnehmen, dass wir an der falschen Adresse sind. Also eine Bar weiter. Oder zwei.

Oder sechs. Aber nicht mal vor einem Schuppen, der sich Le Gorille Électrique nennt, weiß man unsere Blues-Interpretationen zu würdigen.

»Is’ vielleicht nich’ unser Tag, Büb?«

»Is’ ja auch erst der erste. Vielleicht sollten wir uns erst mal ’n bisschen akklimatisieren.« Also setzten wir uns auf die nächste Terrasse, bestellten ein Bier und drehten uns eine. Eine entzückende kleine Mulattin in einem roten Kleidchen brachte uns zwei entzückende kleine Tulpen, halb voll Schaum, mit denen man in Köln gerade mal ein Stößjen vollgekriegt hätte, und legte uns ein Zettelchen unter den Aschenbecher. ’noh warf einen Blick darauf und starrte die Kellnerin mit offenem Mund an. Sie zeigte ihm ein entzückendes kleines Krausnasenlächeln. Er gab ihr ein paar Francscheine. »Schon die nächsten zwölf mit bezahlt?« Er schüttelte langsam den Kopf und leckte vorsichtig ein Flöckchen von seinem Schaum ab. »Was kost’ denn eins?«, fragte ich und kippte mir meins in den Hals.

»Zwölf-fuffzisch.« Ich verschluckte mich fast an meinem letzten Tropfen.

»Wieviel?!« Er verzog bloß resignierend die Mundwinkel und nickte. »Hammer denn noch jenuch Sprit für die Rückfahrt?« Er war unser Kassenwart. Mit Geld konnte ich noch nie umgehen.

»Nix Rückfahrt. Erstens ha’m wir noch mindestens sechshundert Mark in der Tasche –«

»Die anscheinend schon weg sin’, wenn wir uns hier nur ein einziges Mal halbwegs ordentlich besaufen …«

»Un’ zweitens ändern wir morjen unsere Stratejie. Wär’ doch jelacht, wenn wir hier nich’ wat Schotter machen. Luur dich doch ens öm!«*

Ich luurte mich öm. Überall waren mittlerweile Neonreklamen und Gaslichtkopien angegangen. Vom Wasser her blinkten die bunten Lampen von fast hundert Yachten zu uns herüber. Über die Berge hinter uns schwallte die Nacht wie verschüttete Tinte über die rot-weiß-goldene Torte des Sonnenuntergangs und drückte sie in ein Mittelmeer, das violett glitzerte wie zerknittertes Geschenkpapier. Mit einem kleinen Taschengeld von vielleicht drei, vier Mille würde man glatt den einen oder anderen Abend wieder herkommen wollen. Wie die alten Kreolen schon sangen: Geld ist schon gut, aber zu teuer.

Alle Terrassen um uns herum waren vollbesetzt mit Menschen. Keiner von ihnen schien sich groß Gedanken um Bierpreise zu machen – auf den meisten Tischen standen sowieso Sektkübel und Weinkühler. Zwischen den Cafés und der Hafenmole schob sich ein summender Strom von Designerjeans, Hundertdreißig-Marks-T-Shirts und ’n-Fuffi-der-Nadelstich-Fummeln unablässig hin und her. Entlang der Mole saßen Straßenverkäufer mit Schmuck, Leder, Batiktüchern und Gemälden, auf denen der Hafen von St.Tropez zu sehen war. In Pastellfarben, ohne all das Volk hier. Und alle verkauften ihr Zeugs, als sei’s der letzte Tag vor Weihnachten.

Dazwischen hockte Arlo Guthrie’s Double auf einem Seesack und spielte Querflöte – immer abwechselnd den Sommer aus Vivaldis Vier Jahreszeiten und Bourrée. Er unterbrach sich nur – etwa alle fünfzehn Minuten –, um die Scheine und Münzen aus dem Flötenkoffer auf dem Boden vor ihm in den Seesack zu stopfen. Ein paar Schritte weiter hinten spielte ein kupferfarbenes Mädel in einem schneeweißen Wollschlauch Tante Ediths Milord auf einem schneeweißen Akkordeon. Dazu passend tanzten zwei, natürlich schneeweiße, Pudel auf den Hinterbeinen um sie herum. Die rosa Erektion des einen schien ihren Umsatz nicht zu schmälern – sie würde nach Feierabend ’ne Schubkarre brauchen. Aber wahrscheinlicher war wohl, dass ein sechs Meter langer Cadillac sie abholen würde.

***

Vor unserer Terrasse baute sich gerade ein engelsblondes Hippiepärchen auf; er mit einer muschel- und korallenverzierten Klampfe, sie mit einem großen, fellbespannten Tamburin, an dem lange bunte Bänder flatterten. Gegen ihre Version von Blowin’ in the Wind war die von Joan Baez der reine Punk. Eine Weile fragte ich mich, warum er ’noh und mich mit so finsteren Blicken bedachte, ohne sein Grübchenlächeln für den Rest des Publikums einzustellen, bis mir einfiel, dass die beiden uns im Laufe des Nachmittags schon zwei- oder dreimal über den Weg gelaufen waren. Sie waren nach unseren diversen Rausschmissen vor den gleichen Läden aufgetaucht und genau wie wir verscheucht worden, weil der Ärger über uns sich noch nicht gelegt hatte. Mit anderen Worten, wir waren heute schlecht für ihr Geschäft gewesen.

Aber sie holten schwer auf. Während er You Are The Sunshine Of My Life säuselte, schwebte sie zwischen den Tischreihen hindurch und sammelte mit ihrem Tamburin, die zweite Stimme summend, einen Haufen Asche ein, der uns für die nächsten zehn Bier gereicht hätte. Sie kam auch an unseren Tisch.

»Hi! Isch bin der ’noh. Jibste einen aus?«, strahlte mein Partner sie mit einem Blick auf ihre Kasse an.

»Pardon? I don’t understand you«*, kam es in breitem Südstaatensingsang zurück.

»Na jut – dann jeben wir einen aus.’ellja, viere Biere!«, schrie er in Richtung Krausnase. Sonnenscheinchen wartete, weil er in seiner Hosentasche nach Geld wühlte, und stand dicht vor mir in einer zarten Wolke aus Grasöl und Kaugummi. Ihr Lächeln mit den Partner-Look-Grübchen wirkte ein wenig angestrengt, als stände hinter ihr jemand, der ihr fortwährend Cheese! Cheese! ins Ohr brüllte. Sie hatte eine Mannequinfigur, mit kleinen Brüstchen und spitz vorstehenden Beckenknochen unter einem knöchellangen Hippiekleid aus dünnem, geblümtem Leinenstoff. Als ’noh das Bier bezahlte und das Wechselgeld wieder einsteckte, schien ihr Lächeln das Cheese! nicht mehr zu verstehen.

 

»Komm, Hellja, trinken wir auf den jeilen, jeilen Sommer!«, charmierte ’noh und wollte ihr ein Glas in die Hand drücken. Sie zuckte pikiert einen Schritt zurück.

»Oh no! We never drink alcohol!«, säuselte sie und zeigte mir noch mal ihre Grübchen. »We are children of nature! And love!«*

»Womit wir gleich beim Thema wären: I like the way you smell«, sagte ich, »all over«*, und bewunderte ihren Venushügel, bis sie rot wurde. Hilfesuchend blickte sie sich zu ihrem Partner um, der jedoch am Nebentisch gerade Mühe hatte, seine Hand aus den Klauen seiner Verehrerin zu lösen, einem krebsroten Glücksschweinchen in einem silbernen Overall, mit Klunkern behängt wie die Madonna von Lourdes. Aber seine Grübchen hielten sich. Ein Profi eben. Dafür steckte sie ihm noch einen Schein extra in den bestickten Ausschnitt seines indischen Hemdchens.

»Ja marvellous, mein Lieber! Please, bitte, spiel Summertime für unsere kleine Entourage, ja?« Und schon förderte sie ein paar weitere Scheinchen aus ihrem Overall, in den wir gut unseren Taunus hätten einwickeln können. Und nach ein paar hingetupften Gitarrenakkorden gab’s Summertime – zweistimmig und reif für die Aufnahmeprüfung der Habbelrather Domspatzen. Glücksschweinchen kriegte feuchte Augen und legte einem ihrer Begleiter, der aussah wie eine panzerlose Schildkröte, ein Pfötchen mit neunzig Karat auf den Oberschenkel. »Oh George, ist das nicht beauuutiful?« George rutschte dem Pfötchen noch ein Stück entgegen, während seine Linke den behaarten Schenkel eines Bürschchens aus Frank’n’Furter’s Rocky-Katalog massierte.

’noh legte den Kopf auf meine Schulter und schluchzte los wie ein asthmatischer Esel. Ein paar empörte Shshshshts! und erleichtertes Gekicher ringsum hielten sich die Waage. Ich tätschelte ihm den Kopf, dass es nur so knallte.

»Nimm et nit eso schwer, Jung – der nächste Winter kommt bestimmt!«, tröstete ich ihn. Glücksschweinchen zischte empört was von Barbarians! und Rocky stand auf und wedelte wichtig mit den Armen, um sich seinen Schampus zu verdienen.

»Fernand! S’il vous plait!«* Schon kam die hiesige Silberlocke angedackelt, zwei sportliche junge garçons im Schlepptau, und komplimentierte uns hinaus.

»Assholes!«*, zischte Blondie, als ich an ihm vorbeikam.

»Anjenehm – Büb!«, erwiderte ich freundlich, »dat is Veedelnoh. We’re children of love, too.«

***

Auf die Art waren dann innerhalb von vier Wochen unsere paar hundert Märker fast alle. Bei sämtlichen Cafés hatten wir mittlerweile ausgeschissen, und unseren Job machten wir meistens spätnachmittags am äußeren Ende der Mole, neben einem vertrockneten Spanier, der am Tag fünf, sechs Möwen in Öl malte – und verkaufte – und sich nicht weiter von uns stören ließ. Er war so alt, dass er wahrscheinlich Kolumbus noch gekannt hatte – und halb taub.

Wir machten vielleicht fünfzehn, zwanzig Mark am Tag, wenn’s hoch kam, hatten viel Spaß, ständig Kohldampf, aber immer eine Pulle Rotwein. Wenn’s ganz eng wurde, setzte ’noh sich mittwochs und samstags, den Markttagen, neben das Kinderkarussell auf der Place des Lices und spielte ein paar Instrumentals wie Bourrée oder einen Flamenco oder den Säbeltanz, während ich meinerseits meine Fähigkeit verfeinerte, in den beiden Supermärkten drumherum nur die Hälfte meiner Einkäufe zu bezahlen. So hielten wir uns halbwegs über Wasser und wurden zwei-, dreimal die Woche sogar satt. Alles in allem dann doch gar kein so schlechter Urlaub.

Dann gerieten wir in Françoise und ihren VW-Bus, was uns nach drei Wochen Askese ein paar Nächte viel Freude bereitete, mir aber bald zu anstrengend wurde. In den Tagen darauf zog ich mich daher öfters in die Bucht hinter dem Friedhof zurück, und während ’noh und Françoise Sprachkenntnisse, Kultur und Körpersäfte austauschten, übte ich Gitarre spielen und fing an, ein paar eigene Textideen aufzuschreiben – irgendwann würde schließlich auch dieser Sommer zu Ende gehen …

9


Rudi

Jeder Sommer geht einmal zu Ende …! Was bildete das Jüngelchen sich eigentlich ein, so von oben herab mit ihm zu reden?! Und das Schlimme daran war auch noch, dass es ihn im Innersten tatsächlich verletzte …

»Und das letzte Nacht?« Der Jüngere lachte und strich sich geziert die Haare aus dem Gesicht, dann tätschelte er dem Älteren spöttisch den Arm. »Ich weiß ja nicht, wie ihr das bei euch am Rhein so handhabt, und eigentlich bist du doch hier der Mann mit der Erfahrung – aber meine Erfahrung ist, dass ich jemanden, mit dem ich geschäftlich zu tun habe – und noch dazu solch ein Geschäft – besser einschätzen kann, wenn ich mit ihm in der Kiste war.« Der Ältere schnaubte.

»Erfahrung! Woher nimmt ein Bürschchen wie du die?«

»Oh, hier in Südfrankreich wächst einfach alles schneller. Das Klima, weißt du?«

Ja, dachte der Ältere, und verwöhnten Gören wie dir wächst ein viel zu großes Maul. Und ich hätte nicht übel Lust, dir eine dicke Lippe zu verpassen, du gerissener kleiner Wichser. Aber er nickte nur mürrisch und nahm eine Gabel voll von seinem Shrimp-Omelett.

»Natürlich funktioniert das manchmal auch umgekehrt.« Über der Gabel ein fragendes Stirnrunzeln. »Na ja – kann auch sein, dass ein guter Geschäftsverlauf einen erst in Stimmung für ein Nümmerchen bringt.« Wieder lachte der Junge. Und dachte Wenn überhaupt, dann war es bei dir das erstere, du unappetitlicher scheißdeutscher Schwanzlutscher. Ich wusste nur sofort, dass ich dich mit ein bisschen Schweinkram weicher kriegen würde. Oder früher weich. Er nahm ein Glas Pastis und prostete seinem Gegenüber charmant zu. »Hauptsache, wir sind uns einig geworden, oder nicht?«

Ja, kleines Arschloch, glaub du nur, dass wir uns einig sind – wir werden sehen, wessen Hose als letzte in den Kniekehlen hängt! Mit einem breiten Grinsen griff der Deutsche zu seinem Bier und tippte den Pastis kurz damit an. »Na dann – auf das nächste Nümmerchen, Junge. Vielleicht morgen auf dem Boot? Danke für die Eintrittskarte.« Sie tranken und blinzelten in die Sonne. »Und du bist sicher, dass du das – eh – Organisieren selbst geregelt kriegst?« Der Jüngere erwiderte das Grinsen und wischte seinem Tischnachbarn einen Streifen Bierschaum von der Oberlippe.

»Du glaubst gar nicht, was ich alles selbst geregelt kriege, Alter.« Aber du wirst es schon noch früh genug merken, boche. Wenn ich das ganze Paketchen … »Noch etwas von diesem köstlichen Salade Niçoise

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Musikunterricht

»Da hammer den Salat!«, stöhnte ’noh, »Bin ich nich’ zu alt für so’n Quatsch, Büb? Sind wir hier am Eigelstein oder wat?« Er hasste Prügeleien. Gitarristenfinger

»Schön wär’s – da könnten wir jetzt in den Kölsche Boor gehn und erst mal ein anständijes Bier trinken.«

»Un’ wat machen wir jetzt mit den Arschgeigen? Ich hab’ keine Lust, meine Klampfe kaputt zu kloppen.«

»Vielleicht könntest du ihnen deine Knoblauchfahne um die Ohren hauen?«

»Shit – die sehn doch aus, als seien sie mit Knoblauchmilch gestillt worden!« Das stimmte allerdings. Blondie hatte seine Eskorte in der Gosse von St.Trop’ rekrutiert – drei Jungs, denen »Straßenratte« groß auf der niedrigen Stirn stand. War er wohl doch nachtragend. Children of nature and love – wat hammer jelaach.*

Saßen wir also hier auf unserer Mole, passten auf die Ölschinken unseres Spaniers auf, der sich »auf ein Viertelstündchen« zu einem kleinen Dämmerschoppen zurückgezogen hatte, tranken ab und zu ein Schlückchen aus der Tequilaflasche, die ich am Vormittag im Hypermarché gefunden hatte, und sahen uns einem unerwarteten Zwei-gegen-Vier-Match gegenüber. Dabei war ich gerade mal froh, dass meine Hinterkopf-Beule abgeschwollen war und meine Schläfenwunde verheilte, ohne genäht werden zu müssen.

»Ich hab’s euch gesagt: Haut ab aus dem Kaff hier!« grinste Blondie.

»Diese Amis«, sagte ich zu ’noh, »völlig versaut von Hollywood un’ Fernsehen. ’Diese Stadt ist nicht groß genug für uns beide, Fremder’, wie?« wandte ich mich an unseren Hippie-Helden. Die drei Ratten zogen sich zu einem Halbkreis auseinander und kamen näher, waren jetzt vielleicht sechs oder sieben Meter von uns weg. Blieben stehen. Grinsten, mitleidig. Kamen näher. Vier Meter.

»Urlaub… «, seufzte mein Partner, nahm unsere beiden Gitarren, ging ein paar Schritte am Wasser entlang und bat Arlo, der auf seinem Seesack saß und seine Querflöte polierte, ein paar Takte drauf aufzupassen. Womit wir dann auch schon unseren ersten Punkt gemacht hatten – zwei Schritte, und ’noh stand halb hinter ihnen, und sie sahen sich gezwungen, sich zu teilen und eine zweite Front zu bilden.

»Warum macht ihr euch nich’ vom Acker und geht ein bisschen Boule spielen?«, fragte er den ihm Nächsten. Der spuckte ihm erst ein paar französische Vokabeln, dann einen Klumpen Rotz vor die Füße, während der zweite versuchte, um ihn herum zu schleichen. Gleichzeitig kriegte ich mit, wie mein Franzmann sich einen dicken Ledergürtel aus den Jeansschlaufen zog. Eine protzige Messingschnalle in Form eines Indianerkopfes mit vollem Häuptlingsschmuck baumelte nun neben seinem Knie. Noch drei Meter. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie ’noh, der ein bisschen gelenkiger war als ich, eine halbherzige einleitende Gerade abwehrte, in seinen Mann hineinglitt, ihn am Kehlkopf packte und aus dieser Drehung heraus dem anderen in den Magen trat.

»Also doch alles wie am Eigelstein«, konstatierte ich. »Na dann –«, schnippte Blondie mein Plektrum ins Gesicht und peste auf den Indianerhäuptling los. Als er endlich ausholte mit seinem halben Meter Gürtel, war ich schon viel zu nah dran. Ich hieb ihm mit der Rechten einen kurzen Haken auf’s Herz, schlängelte mich unter seinem erhobenen Arm hindurch, knallte ihm mit der Linken drei durchgedrückte Finger in die Achselhöhle, und als er seinen Gürtel fallen ließ, weil ihm der Arm plötzlich lahm geworden war, fing ich das Ding auf und wickelte es ihm von hinten um den Hals. Damit hatte ich ihn zwischen mir und Blondie stehen, der gerade heranstürmte, und brauchte seinem Hinterkopf bloß einen Stups zu geben, damit er Blondie eine dicke Lippe köpfte.

»Das is’ besser als am Eigelstein«, grinste ich den an, »so’n Franzmännchen is’ klein und wiegt nix. Kein Vergleich zu einem Nippeser Schiffsschaukelbremser.«

Ich sollte nicht immer so vorlaut sein. Meine Ratte nutzte die Ablenkung und rammte mir beide Ellbogen in die Rippen, dass mir die Luft wegblieb. Aber ich bin ja nicht nur vorlaut, sondern auch noch ein Trotzköpfchen – während ich in die Knie ging, zog mein Gewicht das Leder um seinen Hals empfindlich enger. Er quiekte wie ein Hund vor einem Kaninchenloch. Ich ließ den Gürtel los, und wo ich schon mal so tief gesunken war, packte ich von hinten seine Schienbeine und stieß ihm meinen Kopf gegen den Hintern. Weil seine erste Reaktion natürlich der Griff an den Gürtel war, knallte er erst mit den Ellbogenknochen, dann mit dem Gesicht auf den Asphalt. Ich versuchte mühselig, Luft in meine Lungen zu kriegen, rote Pünktchen vor meinen Augen.

Dann kriegte ich erst mal eine erfrischende Dusche – ’noh war es gelungen, aus einer seiner beiden eine Wasserratte zu machen; die kletterte gerade prustend, spuckend und fluchend die Mole wieder hoch. Nicht, dass wir es damit hinter uns hätten. ’nohs zweiter Mann warf auf einmal ein gemein aussehendes Messer von einer Hand in die andere, und als ich versuchte aufzustehen, trat mir Blondie gegen den Hals. Im Winter am Eigelstein wär’s das gewesen für mich, aber er trug zum Glück nur diese weichen Riemchensandalen für Großstadtindianer. Ich mag aber auch keine Riemchensandalen. Trotzdem musste ich noch mal kurz zur Seite in den Staub kippen. Langsam wurde ich sauer.

***

»Ihr geht besser wieder dahin, wo ihr hingehört, Scheiß-Krauts«, geiferte Blondie, seine Gitarre wieder unter dem Arm, »wenn ihr nicht auf euren Arsch aufpasst, könntet ihr ziemlich bald als Fischfutter enden!« Aber Rotwein ist ja nun kein Getränk, das einen völlig kleinmütig macht.

 

»Fischfutter, hä?«, amüsierte ich mich, stand auf und nahm ihm seine Gitarre weg. Er wollte sich auf sie stürzen, aber ich ließ ihn einen halben Schritt an mir vorbei stolpern und trat ihm kurz in die Kniekehlen. Er knickte ein, und ich haute ihm von der Seite die flache Hand vor die Stirn. Schon lag er auf dem Rücken, wo ich ihn haben wollte. Ich stellte ihm einen Fuß unters Kinn und legte ein bisschen Gewicht drauf, damit er aufhörte, sich darunter loszuwinden. »Du häls’ jetz’ besser still, Blendaxmännchen, jetz’ is’ Musikunterricht«, ermahnte ich ihn. Seine drei Figuren wollten sich einmischen, aber plötzlich stand links von ihnen ein kahlköpfiger, braungebrannter kleiner Kerl, vielleicht an die sechzig, in einem hellblauen italienischen Leinenanzug, darunter ein T-Shirt mit einem Siebdruck des Buckingham Palace, an einer kurzen Leine eine Dänische und eine Deutsche Dogge – ein echter Europäer –, und schüttelte den Kopf.

»Ça suffit!«*, knurrte er, aber das Knurren der Doggen war doch noch ein Stückchen beeindruckender. Auf dem rechten Flügel hielt ein ähnlich aussehender Typ in einem rosa Tropenanzug mühsam einen gemütlich grinsenden Mastiff an der kurzen Leine. Eins von diesen Viechern, die die ganze Felge mitfressen, wenn sie mit einem Autoreifen spielen.

»Guck zu, Sonnyboy, damit du was lernst«, sagte ich zu Blondie und begann die Saiten seiner Gitarre abzuschrauben. Er bäumte sich auf und krallte beide Hände in meine nackte Wade. Zum Glück hatte er ordentlich gestutzte Gitarristenfingernägel. Trotzdem lehnte ich mich noch ein bisschen nachdrücklicher auf seinen Kehlkopf, bis es ihm die Zunge aus dem Mäulchen drückte. »Guck!«, sagte ich und ließ die sich wieder zusammenkringelnden Saiten hübsch nacheinander auf sein Gesicht fallen, »Eine – Alte – Dame – Ging – Hering – … ’noh, wie heißt noch mal die verdammte sechste? Ich kann mir dat einfach nich’ merken – Angeln? Fischen? Fangen? Kaufen?«

»Essen!«, rief ’noh vergnügt. Er hatte seine Klampfe schon wieder im Arm und ließ seinen Slide-Ring über die hohe E-Saite singen.

»Essen«, wiederholte ich zufrieden, bückte mich und drückte sie Blondie zwischen die Werbefernsehbeißerchen. »Listen, Goldilocks«*, sprach ich ihn auf Englisch an, damit er mich auch ganz sicher verstand, »wenn du mir noch mal anders als freundlich über die Füße läufst, nehm’ ich die dickste Bass-Saite, die ich kriegen kann, und schieb’ sie dir hinten rein, bis sie dir zur Nase wieder rauskommt. Und dann stimm’ ich dich ordentlich durch und zeig’ dir mal den wahren Rock ’n’ Roll. Got me?«* Er röchelte zweimal. Ich nahm’s für Zustimmung.

Ich bin nicht Pete Townshend, also legte ich ihm sein nacktes Instrument unbeschädigt und sanft auf den Bauch, drehte mich um, setzte mich auf die Kaimauer, nahm meine eigene Klampfe und gab eine etwas eigenwillige Kurzversion von If You’re Lookin’ For Trouble zum Besten – das hatten wir noch nie geprobt. Ein paar der Umstehenden applaudierten trotzdem.

Blondie rappelte sich auf, klemmte seine saitenlose Gitarre unter den Arm, zischte mir noch ein »See you! You bet!«* entgegen und schlich sich ins Le Charmeur. Wo er ja auch hingehörte. Unsere drei Ratten hatten sich schon in drei verschiedenen Richtungen verpisst. Sie mochten wohl keine Hunde..

»Morgen kaufen wir uns aber ein Peace-Amulett und stecken uns ein paar Blumen ins Haar, Büb. Dat is’ doch kein Urlaub!« Ich nickte nur und suchte unsere Flasche. Sie war noch heil geblieben. Der Tag doch nicht völlig hinüber. Wir nahmen jeder einen großzügigen Schluck.

»Ich glaube, wir sollten heut’ Abend mal unsere Karre umparken«, sagte ich zu Veedelnoh.

»So viel Sprit ha’m wir garnich’, um die weit genug wegzufahren,« knurrte er trocken.

»Willste sie anzünden?«

»Damit wir hier nie mehr wegkommen, du Hirn?«

Dann ging er rüber zu dem Doggenmann, um sich charmant und weltmännisch zu bedanken. »Vielen Dank, Monsieur, eh, merci beaucoup«, stotterte er. Der lachte freundlich und reichte uns eine ledrige Hand.

»Gérard Bérat, meine ’erren. Es ist mir eine Vergnügong.« Er ließ ’nohs Hand erst los, als der hustete und nach seinem Tabak fummelte. »Versseihen Sie das unmöglische Benehmen meinör Landsleute – sie sind jung und wild – petits sauvages. Aber wir sind nischt alle comme ça. Écoutez, isch ’abe Sie schon ein paar Tage beobachtet – mir gefällt Ihre musique. Um Ihnen beides zu beweisön, möschte ich Sie gerne bitten, mir die Ehrö zu erweisen, ’eute Abend mein Gast zu sein auf der Bératta«, er deutete hinter sich auf einen babyblau schimmernden Kahn mit zwei Masten, der aussah, als könne er auch gut und bequem sechs Kegelvereine von Köln nach Rüdesheim den Rhein hoch schippern, »und vielleischt auch für ein kleinös Stündschen meine Gäste ssu unter’alten, oui? Natürlisch isch werde Ihnen bessahlen ein angemessön ’onorar.«

’noh und ich guckten uns an. Wenn man so lange zusammen ist wie wir beide, in Probekellern und Tourbussen, Autobahnraststätten und Hotelbars, in engen, aber zugigen Garderoben, auf Stadthallenbühnen und Schützenzeltpodesten, in Doppelbetten und WG-Küchen und an, über den Daumen, zwölf– bis fünfzehnhundert Theken, dann muss man nicht mehr so viel reden (richtig, Manni: Wat sommer spreche?).*

Ich hatte wahrhaftig nicht die geringste Lust, die halbe Nacht damit zu verbringen, irgendwelchen mehr oder weniger alten Jungs auf die Finger zu klopfen, weil sie an meinen knackigen Arsch wollten. Aber allein Bérats geflochtene Slipper waren ganz klar mehr wert als alles, was wir in den letzten sieben Wochen an Kohle verbraten hatten, inklusive Spritgeld, und der Gedanke an was Anständiges zu Fressen und zu Saufen ließ all meine Bedenken in einem bösartigen Magenknurren verklingen. Und dass es Veedelnoh nicht anders ging, war ihm leicht anzusehen.