Deutsche Geschichte

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Die Stadt Zü­rich, die im Lau­fe der Jahr­hun­der­te ne­ben der kö­nig­li­chen Pfalz und der Ab­tei Frau­müns­ter her­an­ge­wach­sen war, ge­hör­te mit dem Bi­schof von Kon­stanz, dem Abt von St. Gal­len, Sa­voy­en und Bern zu den Reichs­glie­dern, die sich durch die Bil­dung ei­nes habs­bur­gi­schen Staa­tes in den Obe­ren Lan­den be­droht fühl­ten. Das gab den An­lass zu dem auf drei Jah­re ge­schlos­se­nen Bun­de Zü­richs mit Schwyz und Uri. Die Eid­ge­nos­sen bil­de­ten einen stän­di­gen Rat von sechs Zü­ri­cher Bür­gern und sechs Ver­tre­tern der Län­der: es wa­ren für Uri Wer­ner von At­ting­hau­sen, Bern­hard Schüp­fer und Kon­rad Herr von Erst­fel­den, für Schwyz Kon­rad ab Iberg, Ru­dolf Stauf­fa­cher und Kon­rad Hu­ser. So hö­ren wir end­lich be­stimm­te Na­men, und es sind Na­men dar­un­ter, de­nen Sage und Dich­tung ed­len Erz­klang ver­lie­hen ha­ben. Über zwan­zig Jah­re spä­ter lei­te­te Wer­ner Stauf­fa­cher die Schwy­zer, als sie wie­der ein­mal das Klos­ter Ein­sie­deln über­fie­len, mit dem sie über ein zwi­schen ih­nen lie­gen­des Stück Land strit­ten. Ohne Scheu vor der gott­ge­weih­ten Stät­te führ­ten sie Mön­che und Knech­te des Klos­ters ge­fan­gen fort, nach­dem sie das Klos­ter ver­wüs­tet hat­ten. Vi­el­leicht war er ein Sohn der stol­zen Stauf­fa­che­rin, die ih­rem ver­za­gen­den Man­ne den Rat gab, sich mit den Ur­nern zur Be­frei­ung der Län­der zu ver­schwö­ren.

Der Bund mit Zü­rich ging bald wie­der aus­ein­an­der, weil die Po­li­tik der Reichs­städ­te in die­ser Sa­che mehr­fach wech­sel­te. Die Män­ner am See da­ge­gen hiel­ten an ih­rem Grund­ge­dan­ken fest, dem un­zer­brech­li­chen Zau­ber­ring, den sie um sich ge­schlos­sen hat­ten und wenn es nütz­lich schi­en und mög­lich war, ein we­nig, nicht zu viel er­wei­ter­ten. Dass die Ver­bin­dung ge­gen Habs­burg zu­nächst eine Nie­der­la­ge er­litt, focht sie nicht an. Die Schwy­zer mach­ten da­mals ein wich­ti­ges Ge­setz im Sin­ne der Frei­heit: sie ver­bo­ten jede Über­tra­gung von Grund­be­sitz an Land­frem­de und Klös­ter und be­stimm­ten, dass kirch­li­ches und grund­herr­li­ches Gut im Lan­de steu­er­pflich­tig sei. Üb­ri­gens fuh­ren sie fort, die Kai­ser­kämp­fe aus­zunüt­zen. Adolf von Nas­sau­en, Feind der Habs­bur­ger, be­stä­tig­te wil­lig den Ur­nern und Schwy­zern ihre Frei­heits­brie­fe. Mit Al­brecht, dem Soh­ne Ru­dolfs, er­neu­er­te sich die Ge­fahr, bis ein frü­her, ge­walt­sa­mer Tod sie ver­scheuch­te. Hein­rich VII. be­stä­tig­te nicht nur den Ur­nern und Schwy­zern, die sich ihm vor­stell­ten, als er im Jah­re 1309 sich in Kon­stanz auf­hielt, ihre von den frü­he­ren Kai­sern aus­ge­stell­ten Pri­vi­le­gi­en, son­dern auch den Un­ter­wald­nern, die sol­che gar nicht be­sa­ßen, so­dass nun die drei Wald­stät­te sich über ihre Reich­sun­mit­tel­bar­keit aus­wei­sen konn­ten. Die Söh­ne des er­mor­de­ten Habs­bur­gers be­ru­hig­ten sich da­bei nicht; nach­dem sie sich mit dem Kai­ser ver­söhnt hat­ten, hielt Leo­pold ihm vor, dass die den Wald­stät­ten er­teil­ten Rech­te ge­wis­sen Rech­ten ih­rer Dy­nas­tie wi­der­sprä­chen, und er­lang­te von Hein­rich das Ver­spre­chen, er wer­de die Habs­bur­ger Herr­schafts­an­sprü­che un­ter­su­chen las­sen und dann die Ent­schei­dung tref­fen. Das war im Jah­re 1311, als er vor Bre­s­cia lag. Zwei Jah­re spä­ter räum­te wie­der der Tod die den Wald­stät­ten dro­hen­de Ge­fahr hin­weg: der noch jun­ge Kai­ser starb. Die dar­auf er­fol­gen­de dop­pel­te Kö­nigs­wahl war für die Wald­stät­te ein glück­li­cher Um­stand, denn Lud­wig der Bayer such­te na­tür­lich alle Geg­ner Habs­burgs an sich zu fes­seln und lud sie selbst ein, sich ihm an­zu­schlie­ßen, hob auch die Reichs­acht auf, der die Schwy­zer we­gen ih­rer ge­gen das Klos­ter Ein­sie­deln ver­üb­ten Übel­ta­ten ver­fal­len wa­ren. So wa­ren die klei­nen Län­der in die große Zwie­tracht hin­ein­ge­ris­sen, die das Reich zer­teil­te, die nur mit den Waf­fen aus­ge­foch­ten wer­den konn­te. Her­zog Leo­pold be­schloss, die Wald­stät­te, re­bel­li­sche Bau­ern, end­gül­tig sei­nem Hau­se wie­der zu un­ter­wer­fen. Es war nicht an­zu­neh­men, dass die un­be­deu­ten­den Tä­ler dem ös­ter­rei­chi­schen Her­zog, wenn er ein­mal sei­ne Kräf­te sam­mel­te, wi­der­ste­hen könn­ten. Etwa 20 000 Mann brach­te er zu­sam­men, lau­ter in den Waf­fen ge­üb­te Rit­ter, ös­ter­rei­chi­sche Le­hens- und Dienst­leu­te, haupt­säch­lich aus den schwä­bi­schen Lan­den. Wäh­rend der Her­zog die­se ge­gen Schwyz füh­ren woll­te, lei­te­te Graf Otto von Straß­berg, Leo­polds Stell­ver­tre­ter in den bur­gun­di­schen Ge­gen­den, ein zwei­tes Heer über den Brü­nig ge­gen Un­ter­wal­den. Hil­fe hat­ten die Län­der kei­ne; Zü­rich hielt zu Ös­ter­reich, mit Bern be­stand noch kei­ne Ver­bin­dung, Lu­zern war durch die ös­ter­rei­chi­sche Herr­schaft ge­bun­den. Von den Ur­nern in­des­sen kam Zu­zug nach Schwyz, denn man wuss­te dort, dass der Her­zog beim Eng­paß von Mor­gar­ten, als dem ein­zig un­be­schütz­ten Punkt, ein­zu­fal­len be­ab­sich­tig­te. Dort war­te­ten die Bau­ern und schleu­der­ten auf die An­grei­fer, die mit ei­nem leich­ten Sieg rech­ne­ten, Fels­blö­cke her­un­ter. Die ent­setz­ten Rit­ter, die zu­rück­wei­chen woll­ten, drück­ten auf die noch nichts ah­nen­den nach­rücken­den, und ein furcht­ba­res Ge­drän­ge ent­stand; die nicht vom Fein­de ver­nich­tet wur­den, er­tran­ken in dem See, der die Flucht ver­sperr­te. Der Chro­nist ver­glich sie mit Fi­schen, die in ei­nem Fang­garn ge­fan­gen wer­den. Es war der 15. No­vem­ber des Jah­res 1315, als die­se er­staun­li­che Schlacht statt­fand, mehr eine Ka­ta­stro­phe als eine Schlacht. Die Kun­de da­von ver­brei­te­te sol­chen Schre­cken, dass Graf Otto von Straß­berg für bes­ser fand, mit sei­nem Heer um­zu­keh­ren, und so has­tig flüch­te­te, dass er sich eine Ver­let­zung zu­zog, an der er starb. In den drei Län­dern schlu­gen die Her­zen hoch. In Strö­men war das Blut der Rit­ter ge­flos­sen, das ihre hat­ten sie ge­spart für die Zu­kunft. Am 9. De­zem­ber er­neu­er­ten sie bei Brun­nen ih­ren Ewi­gen Bund. Er war dies­mal in deut­scher Spra­che ver­fasst und nann­te Ös­ter­reich als den Feind, ge­gen den er sich rich­te­te. Auf­recht stan­den sie da als be­währ­te Kämp­fer und Sie­ger, ge­sät­tigt mit Ruhm und Ehren. Lud­wig der Bayer lob­te ihre Treue und be­schenk­te sie mit Gna­den, in­dem er, au­ßer dass er ihre Reich­sun­mit­tel­bar­keit be­stä­tig­te, den Habs­bur­gern die Rech­te ab­er­kann­te, die sie an den Wald­stät­ten zu ha­ben be­haup­te­ten. Zwei Jah­re nach der Schlacht wur­de der Lan­dam­mann von Uri zum Reichs­vogt von Ur­se­ren und Li­vi­nen und da­mit zum Auf­se­her über den Gott­hard­ver­kehr er­nannt. So wa­ren denn die Wald­stät­te dicht an den Berg hin­an­ge­rückt, der ih­res Schick­sals Herr war; sie hat­ten, das fühl­ten sie, an sei­ne Fel­sen an­ge­klam­mert einen fes­ten Stand, den mensch­li­che Kraft nicht er­schüt­tern konn­te. Nun führ­ten sie all­mäh­lich auch die ur­tüm­li­che Ger­ma­nen­frei­heit wie­der ein, die ih­rem Sinn ent­sprach. Es hat­te un­ter ih­nen einen Adel ge­ge­ben, der sich nicht recht­lich über den Frei­en er­hob, dem nur so viel Ehr­er­bie­tung und Ge­hor­sam ge­zollt wur­de, wie per­sön­li­cher Tüch­tig­keit frei­wil­lig ge­währt wur­de. Den Le­hens- oder Dienst-Adel, der jetzt herrsch­te, mach­ten sei­ne An­sprü­che und Über­grif­fe ver­hasst; weil sie kei­ne Ge­schlech­ter auf­kom­men las­sen woll­ten, die den frei­en Bau­ern un­ter­drück­ten, ver­trie­ben sie die ad­li­gen Fa­mi­li­en, die un­ter ih­nen hei­misch wa­ren. Den Herr­schaf­ten, die Rech­te in Uri hat­ten, wur­den die­se ab­ge­kauft. In Un­ter­wal­den wur­den ein­zel­ne Fa­mi­li­en, die Le­hen von Ös­ter­reich hat­ten, un­fä­hig zur Be­klei­dung öf­fent­li­cher Äm­ter er­klärt. We­der soll­ten Knech­te noch soll­ten Edel­leu­te der en­gen Ver­bun­den­heit al­ler zu glei­cher Treue zur Hei­mat und Op­fer­be­reit­schaft für die Frei­heit eine Hem­mung sein.

Dem de­mo­kra­ti­schen Ge­dan­ken fiel in Uri die Fa­mi­lie von At­ting­hau­sen zum Op­fer, der, wie man an­nimmt, vor­züg­lich der groß­ar­ti­ge Auf­schwung der eid­ge­nös­si­schen Po­li­tik zu dan­ken war. Im Jah­re 1358 wur­de Hans von At­ting­hau­sen, nach­dem er jahr­zehn­te­lang die Ge­schi­cke des Lan­des er­folg­reich ge­lei­tet, sein Bünd­nis mit den Städ­ten be­för­dert hat­te, durch einen Auf­stand ver­trie­ben. Sei­ne Burg in der Nähe von Alt­dorf, de­ren Trüm­mer noch vor­han­den sind, wur­de zer­stört. Ruhm und Er­folg hat­ten das Ge­schlecht hö­her ge­tra­gen, als für den de­mo­kra­ti­schen Ge­dan­ken zu­läs­sig war. Es war der füh­ren­de Stern, der, wäh­rend das Volk, dem er in dunk­ler Zeit lan­ge ge­leuch­tet hat, si­che­ren Gan­ges in die Zu­kunft schrei­tet, tra­gi­schem Un­ter­gang ver­fällt. Man weiß nicht, wie und wo der letz­te At­ting­hau­sen ge­stor­ben ist.

Von dem durch die Schlacht am Mor­gar­ten ge­won­ne­nen Stand­punkt aus er­wei­ter­ten die Län­der ih­ren Ring, in­dem sie Bünd­nis­se mit Lu­zern, mit Zü­rich und Bern schlos­sen, das bäu­er­li­che Miss­trau­en ge­gen die Städ­te zu­rück­stel­lend. Sie un­ter­stütz­ten Bern, das sich ge­gen die Bi­schö­fe von Lau­san­ne und Ba­sel, ge­gen die Gra­fen von Ki­burg und an­de­re Dy­nas­ten weh­ren muss­te, und hat­ten An­teil an der Schlacht bei Lau­pen, durch wel­che die rit­ter­li­che Stadt ihre Geg­ner nie­der­warf. Ob­wohl mit Bern und Zü­rich nun ewi­ge Bünd­nis­se ein­ge­gan­gen wur­den, wa­ren die­se doch nicht so zu­ver­läs­si­ge Eid­ge­nos­sen wie die Län­der un­ter­ein­an­der; denn da die bei­den rei­chen und mäch­ti­gen Städ­te dem Hau­se Habs­burg un­ab­hän­gig ge­gen­über­stan­den, schi­en ih­nen das Zu­sam­men­ge­hen mit dem­sel­ben zu­wei­len vor­teil­haft, und sie wa­ren dann un­ter Um­stän­den be­reit, die Freund­schaft mit den Wald­stät­ten ei­nem von Ös­ter­reich er­hoff­ten Ge­winn zu op­fern. Trotz­dem war es ge­ra­de die Ein­be­zie­hung der Städ­te, die die Schwur­ge­nos­sen­schaft zu ei­nem ent­wick­lungs­fä­hi­gen Staat mach­te; ohne sie wä­ren die Hel­den­ta­ten der Leu­te am Gott­hardt zu ei­nem Volks­lied ge­wor­den, dem wir an­teil­voll lausch­ten, hät­ten sie sich nicht als eine neue und große Idee in der Ge­schich­te ver­wirk­licht. Da­rin, dass ihre Bünd­nis­se und Schlach­ten eine Fol­ge hat­ten und eine Fol­ge bezweck­ten, un­ter­schie­den sie sich von den he­ro­i­schen Frie­sen und Sach­sen an der Nord­see; denn die Ent­ste­hung der hol­län­di­schen Re­pu­blik im 16. Jahr­hun­dert steht mit den mit­tel­al­ter­li­chen Un­ter­neh­mun­gen der Dith­mar­scher, Ste­din­ger und Frie­sen nicht in un­mit­tel­ba­rem Zu­sam­men­hange. Ge­wiss wa­ren die schwei­ze­ri­schen Eid­ge­nos­sen be­güns­tigt durch die Lage ih­res Lan­des, des­sen Ber­ge und Strö­me sie zur Ein­heit zu­sam­mendrän­gen, und an dem die mit­tel­al­ter­li­chen Kai­ser so leb­haf­ten An­teil nah­men, wie sie ihn sonst wohl für eine noch so tap­fe­re Bau­ern­schaft nicht ge­habt hät­ten; ka­men sie doch den ent­le­ge­nen Frie­sen bei ih­ren Frei­heits­kämp­fen nicht zu Hil­fe. Man muss aber auch glau­ben, dass die sel­te­ne Ve­rei­ni­gung von ele­men­ta­rer Kraft und be­son­ne­ner Ver­nunft eine be­son­de­re Gabe des schwä­bi­schen Stam­mes ist. Mit ihr er­warb er sich früh und lan­ge dau­ernd eine hohe, so­wohl po­li­ti­sche wie li­te­ra­ri­sche Kul­tur.

 

Der falsche Friedrich

Vor der al­ten Reichs­stadt Wetz­lar im Kai­ser­grun­de, un­fern von ei­nem al­ten Wart­turm, liegt ein Denk­stein mit ei­ner In­schrift, die an­zeigt, dass an die­ser Stel­le Diet­rich Holz­schuh oder Tile Ko­lup, der sich für Fried­rich II. aus­gab, durch Kö­nig Ru­dolf I. ver­brannt wur­de. Es war im Jah­re 1284, vierund­drei­ßig Jah­re nach dem Tode Fried­richs, der mit 56 Jah­ren starb, nun also 90 Jah­re alt ge­we­sen wäre. Es war nicht un­mög­lich, wenn auch un­wahr­schein­lich, dass er noch leb­te. Wie aber hät­te es ge­sche­hen kön­nen, dass ein an­de­rer an Fried­richs Stel­le be­gra­ben wur­de? Und wo war der Kai­ser in­zwi­schen ge­we­sen? Und warum hat­te er sich so lan­ge ver­bor­gen ge­hal­ten? Der deut­sche Bür­ger und Bau­er, der nie­mals in Ita­li­en, ge­schwei­ge denn im süd­li­chen Ita­li­en ge­we­sen war, der aber von den grim­mi­gen Kämp­fen zwi­schen Papst und Kai­ser ge­hört hat­te, von der Rei­se des Kai­sers nach Je­ru­sa­lem, von sei­ner Freund­schaft mit dem Sul­tan, von den lis­ti­gen Sa­ra­ze­nen, mit de­nen er sich zu um­ge­ben pfleg­te, moch­te es für glaub­haft hal­ten, dass Fried­rich, um sich dem nach sei­nem Blu­te dürs­ten­den Papst zu ent­zie­hen, nach dem Ori­ent ge­fah­ren und dort ge­fan­gen oder ver­bor­gen ge­hal­ten war, bis er ei­nes Ta­ges zu­rück­kehr­te, um mit Hil­fe sei­ner Deut­schen das Reich zu­rück­zu­ge­win­nen. Vi­el­leicht be­rech­ne­ten und er­wo­gen sie über­haupt nicht viel, son­dern glaub­ten dem schö­nen al­ten Man­ne, der sich der Treue sei­nes Vol­kes an­ver­trau­te. Er sah zu­wei­len sehr alt und müde aus, aber es war ein ma­je­stä­ti­sches Blit­zen in sei­nen Au­gen, und zu­wei­len hat­te sein Auf­tre­ten und ent­schlos­se­nes Han­deln et­was Ju­gend­li­ches. Hat­te je­mals ein Kai­ser so herz­lich zu sei­nem Vol­ke ge­spro­chen? Man glaub­te, was man wünsch­te.

Das Er­schei­nen des wie­der­keh­ren­den Fried­rich fiel in eine Zeit, wo die Reichs­städ­te sich zu dem spä­ter so be­lieb­ten Ru­dolf feind­lich stell­ten, weil er in dem Be­stre­ben, die Ord­nung im Rei­che wie­der­her­zu­stel­len, ihre Ab­ga­ben, sei­ne ein­zi­ge si­che­re und reich­li­che Ein­nah­me, stark in An­spruch nahm. Dazu kam, dass sei­ne Nach­gie­big­keit ge­gen den Papst ihn zum Pfaf­fen­kö­nig stem­pel­te und die Pfaf­fen, die kei­ne Steu­ern zahl­ten und zum Teil ein nichts­nut­zi­ges Le­ben führ­ten, in den Städ­ten ver­hasst wa­ren. An­ders als Bür­ger und Bau­ern dach­ten die großen Her­ren; Erz­bi­schof Sieg­fried von Köln durch­schau­te mit küh­lem Blick den Be­trug und ver­trieb den falschen Fried­rich aus Köln, wo das Volk ihn mit Ju­bel auf­ge­nom­men hat­te. Er be­gab sich nach der Stadt Neuß, de­ren Dom Zeu­ge ih­rer eins­ti­gen Be­deu­tung ist, und auch dort fiel ihm die Ein­woh­ner­schaft be­geis­tert zu. Es ist wahr­schein­lich, dass er des­halb die Men­schen an sich glau­ben ma­chen konn­te, weil er selbst an sich glaub­te, dass er ein Wahn­sin­ni­ger war, der sich für Fried­rich hielt und ab­ge­se­hen von sei­nem Wahn ver­stän­dig und fol­ge­rich­tig han­del­te. Of­fen­bar hat­te er einst in der Um­ge­bung des Kai­sers ge­lebt, viel­leicht als Knap­pe, denn er wuss­te vie­les, was nur dem Kai­ser Na­he­ste­hen­den be­kannt sein konn­te; man­ches mag auch aus der Tie­fe sei­nes Trau­mes auf­ge­wallt sein und ihn selbst und an­de­re be­zau­bert ha­ben. In Neuß fühl­te er sich so si­cher, dass er Kö­nig Ru­dolf, der in Wetz­lar war, auf­for­der­te, sei­ne Kro­ne nie­der­zu­le­gen und sich ihm, als dem recht­mä­ßi­gen Kö­nig, zu un­ter­wer­fen.

Ru­dolf hat­te bis­her den Lärm um den falschen Fried­rich nicht ernst ge­nom­men; wie soll­te er auch, da ja 34 Jah­re seit dem Tode des Kai­sers ver­flos­sen wa­ren; aber nun, da der Wi­der­stand der süd­west­li­chen Städ­te sich da­mit ver­bün­de­te, fand er es nö­tig, ein­zu­schrei­ten. Er war wohl von vorn­her­ein über­zeugt, dass der Mann ein Be­trü­ger war, und ent­schlos­sen, ihn so zu be­han­deln; aber er fühl­te sich doch ver­pflich­tet, selbst zu se­hen und zu ur­tei­len. Nicht ohne selt­sa­me Rüh­rung mag er sich der Ver­gan­gen­heit er­in­nert ha­ben, wo er als jun­ger Rit­ter dem großen Kö­nig, sei­nem Pa­ten, folg­te, der ihm stets gnä­dig ge­we­sen war. Wie un­denk­bar fern hat­te ihm da­mals der Ge­dan­ke an die Höhe ge­le­gen, die er jetzt er­reicht hat­te. Ihn und die um ihn ver­sam­mel­ten Fürs­ten und Her­ren blen­de­te der selt­sa­me Träu­mer nicht. Er wur­de ge­fan­gen­ge­nom­men und ge­stand, der Fol­ter un­ter­wor­fen, dass er Tile Ko­lup hei­ße und ein Be­trü­ger sei. Die Mar­ter hat­te ihn grau­sam aus sei­nem Trau­me ge­ris­sen. Der Kunst­griff, Fein­de als Ket­zer er­schei­nen zu las­sen, war da­mals ge­bräuch­lich; auch in die­sem Fal­le fol­ter­te man das Ge­ständ­nis, schwar­ze Kunst aus­ge­übt zu ha­ben, aus dem An­ge­klag­ten her­aus und konn­te dem­ge­mäß das Ur­teil spre­chen. So ver­zehr­ten die Flam­men das Ge­s­penst des großen Fried­rich.

Unauf­ge­klärt blie­ben fast alle die nä­he­ren Um­stän­de, die mit die­sem Zwi­schen­spiel ver­bun­den wa­ren. War der Fremd­ling wirk­lich Tile Ko­lup? Was hat­te ihn zu dem ge­fähr­li­chen Aben­teu­er ver­lei­tet? Hat­te ihn ein Wahn er­grif­fen, weil er dem Stau­fer ähn­lich sah? Oder war er von den Fein­den Ru­dolfs ge­dun­gen, die sei­nen Wahn oder sei­nen Ehr­geiz und sei­ne Geld­gier be­nütz­ten? Wo­her hat­te er die Geld­mit­tel, die sein Auf­tre­ten er­mög­lich­ten?

Wäre er nichts als ein Aben­teu­rer ge­we­sen, brauch­te man sei­ner nicht zu ge­den­ken. Aber er war et­was ganz an­de­res: er war eine Vi­si­on, die aus der Zer­ris­sen­heit der kai­ser­li­chen Zeit auf­stieg, der Ad­ler, von des­sen Schwin­gen Kai­ser­blut tropf­te. Der Schei­ter­hau­fen, den Ru­dolf vor Wetz­lar an­zün­de­te, ver­zehr­te mit dem Leib des al­ten Träu­mers das un­wie­der­bring­li­che Hel­den­zeit­al­ter des Rei­ches, er war ein Sym­bol we­nigs­tens die­ses Un­ter­gan­ges.

So war es ge­wiss nicht, als sei Ru­dolf ein un­wür­di­ger Nach­fol­ger der Stau­fer ge­we­sen, als habe er durch­aus an­de­re Bah­nen ein­ge­schla­gen. Ru­dolf von Habs­burg, der per­sön­li­che An­hän­ger Fried­richs II., der auch sei­nem Sohn und En­kel treu­ge­blie­ben war, folg­te in der Art, das Reich zu ver­wal­ten, der Metho­de, die Fried­rich II. in Si­zi­li­en an­ge­wandt hat­te, so­weit das im Reich mög­lich war, das heißt er ver­such­te die kö­nig­li­che Macht zu ver­stär­ken und durch Leu­te in be­am­ten­ähn­li­cher Stel­lung zu ver­wal­ten. Er leis­te­te in die­ser Hin­sicht eine über­aus mü­he­vol­le und ver­dienst­vol­le Ar­beit. Die be­deu­ten­de Mas­se des Kö­nigs­gu­tes, das die Stau­fer be­sa­ßen, war von den Päps­ten, die das ei­gent­lich gar nichts an­ging, der Hab­gier der Fürs­ten preis­ge­ge­ben. Ge­si­chert durch päpst­li­che Au­to­ri­tät, raff­te je­der so viel er konn­te, das meis­te, näm­lich Ös­ter­reich, Stei­er­mark, Kärn­ten, Krain, die Win­di­sche Mark und das Eger­land, nahm Ot­to­kar von Böh­men. Bay­ern nahm die Ober­pfalz, der Bi­schof von Worms Burg und Stadt Wimp­fen, der Bi­schof von Ba­sel Rhein­fel­den und Brei­sach, der Graf von Jü­lich Dü­ren, der Graf von Nassau Wies­ba­den, an­de­re an­de­res. Die Ver­blen­dung Ot­to­kars und der Hass des ös­ter­rei­chi­schen Adels, den er sich durch ein straff zen­tra­li­sier­tes Re­gi­ment zu­ge­zo­gen hat­te, so­wie die Feind­schaft des Erz­bi­schofs von Salz­burg und des Pa­tri­ar­chen von Aqui­le­ja, die sich durch das neu ent­ste­hen­de böh­misch-ös­ter­rei­chi­sche Reich be­ein­träch­tigt fühl­ten, er­mög­lich­ten es Ru­dolf, Ot­to­kar zu be­sie­gen und sich in Be­sitz der ent­frem­de­ten öst­li­chen Län­der zu set­zen. Mit ei­ner Ur­kun­de vom 27. De­zem­ber 1282 be­lehn­te er sei­ne Söh­ne Al­brecht und Ru­dolf mit den Län­dern Ös­ter­reich, Stei­er­mark, Krain und Win­di­sche Mark und er­hob sie zu­gleich in den Fürs­ten­stand; ein höchst denk­wür­di­ges, fol­gen­schwe­res Er­eig­nis. Auch da­mit führ­te er aus, was Fried­rich II. ge­plant hat­te. Sei­ne Ab­sicht, das Her­zog­tum Schwa­ben wie­der­her­zu­stel­len, das den Stau­fern ent­ris­sen war, glück­te nicht; doch ver­grö­ßer­te er sein Ei­gen zwi­schen Aare und Reuß und die Be­sit­zun­gen sei­nes Hau­ses im El­saß und am Ober­rhein. Grün­de­te er sich eine Haus­macht, die dem Kö­nig zu­gu­te ge­kom­men wäre, wenn er die Nach­fol­ge sei­ner Söh­ne und En­kel hät­te durch­set­zen kön­nen, so un­ter­ließ er doch auch nicht, ent­wen­de­te oder ver­pfän­de­te Kö­nigs­gü­ter und Kö­nigs­rech­te wie­der an das Reich zu brin­gen; doch muss­te das zum Teil an den Ver­pflich­tun­gen schei­tern, die er den Fürs­ten und ganz be­son­ders den Wahl­fürs­ten ge­gen­über hat­te; denn die­se fin­gen da­mals an, sich ihre Stim­men aus­gie­big be­zah­len zu las­sen. Zur Ver­wal­tung von Reichs­gut setz­te er Land­vög­te ein, die er zu­gleich als Land­frie­dens­be­am­te ver­wer­te­te. So­weit es die Rück­sicht auf die Fürs­ten er­laub­te, hob er auch die un­ge­rech­ten Zöl­le auf.

Wenn Ru­dolf in der Ver­wal­tung an die Stau­fer an­knüpf­te, wich er ganz von ih­nen ab in sei­nem Ver­hal­ten zum Papst. Die Nie­der­la­ge der Kai­ser in ih­rem Kampf mit dem Papst­tum war so ent­schie­den, dass er nicht an­ders konn­te als sie an­er­ken­nen und sich von ih­rer Po­li­tik förm­lich los­sa­gen, in­dem er auf Si­zi­li­en ver­zich­te­te. Da­mit war die Mög­lich­keit fried­li­chen Zu­sam­men­wir­kens zwi­schen Papst und Kai­ser ge­ge­ben, wie es die mit­tel­al­ter­li­che An­schau­ung ei­gent­lich er­for­der­te und wie es einst Kai­ser Lo­thar durch Zu­ge­ständ­nis­se er­reicht hat­te. Wenn Ru­dolf die Kai­ser­krö­nung in Rom nicht er­lang­te, so lag das nicht dar­an, dass er ih­ren Wert un­ter­schätzt, sie nicht auf­rich­tig an­ge­strebt hät­te. Wäh­rend sei­ner Re­gie­rung wech­sel­te fast re­gel­mä­ßig ein ita­lie­ni­scher Papst mit ei­nem fran­zö­si­schen ab, ent­spre­chend der Par­tei­ung un­ter den Kar­dinälen. Alle die ita­lie­ni­schen Päps­te, wie lei­den­schaft­lich sie auch un­ter Um­stän­den einen deut­schen Kai­ser be­kämpf­ten, gin­gen doch da­von aus, dass ein Kai­ser da sein und dass er deut­scher Na­ti­on sein müss­te; das war ein Stück ih­rer Wel­t­an­schau­ung, ab­ge­se­hen da­von, dass sie mit ei­nem deut­schen Kö­nig am ehe­s­ten fer­tig wer­den zu kön­nen glaub­ten. Die fran­zö­si­schen Päps­te wa­ren im Grun­de gar kei­ne Päps­te, son­dern fran­zö­si­sche Geist­li­che, die die Deut­schen hass­ten und das Kai­ser­tum an Frank­reich brin­gen woll­ten. Hat­te sich Ru­dolf eben mit ei­nem ita­lie­ni­schen Papst ver­stän­digt und war eben der Ter­min der Krö­nung fest­ge­setzt, so mach­te ein fran­zö­si­scher Papst al­les rück­gän­gig und türm­te neue Hin­der­nis­se auf. Vi­el­leicht, wenn Ru­dolf län­ger ge­lebt hät­te, wäre er doch zum Zie­le ge­kom­men und dann, wie so man­cher Kai­ser in frü­he­rer Zeit ge­tan hat­te, ent­schie­de­ner auf­ge­tre­ten, hät­te viel­leicht so­gar den Ver­zicht auf die Ro­ma­gna, die er auf päpst­li­ches Drän­gen ab­ge­tre­ten hat­te, zu­rück­ge­nom­men. Dass er sei­ne Stel­lung da­durch ver­bes­sert hät­te, ist nicht an­zu­neh­men; zu ei­nem erns­ten Auf­schwung der Kai­ser­macht wa­ren kei­ne Kräf­te mehr zu schöp­fen. Am meis­ten be­lei­digt das deut­sche Emp­fin­den, dass Ru­dolf dem Papst zu Ge­fal­len eine sei­ner Töch­ter ei­nem En­kel Karls von An­jou ver­hei­ra­te­te. Als die Kö­ni­gin bald nach Voll­zug die­ser trau­ri­gen Ehe noch nicht fünf­zig­jäh­rig starb, schrie­ben es vie­le dem Gram über eine sol­che Er­nied­ri­gung zu.

 

Die Ver­än­de­rung, die statt­ge­fun­den hat­te, zeig­te sich in der Be­hand­lung der Ju­den. Schon zur­zeit Fried­richs II. war der Aus­druck Kam­mer­knech­te auf sie an­ge­wandt wor­den, was da­mals nur be­sa­gen soll­te, dass ihre Ab­ga­ben, da sie un­mit­tel­bar un­ter dem Kö­nig stan­den, der kö­nig­li­chen Kam­mer ge­hör­ten. Jetzt wur­de er in dem Sin­ne ge­braucht, als wä­ren sie Skla­ven des Kö­nigs, und als mit sol­chen ver­fuhr man mit ih­nen. Als im Jah­re 1286 eine An­zahl von Ju­den aus den rhei­ni­schen Städ­ten, dar­un­ter ihr be­rühm­tes­ter Ge­set­zes­leh­rer, Rab­bi Meir ben Ba­ruch, nach Sy­ri­en aus­wan­dern woll­te, zog Ru­dolf die Gü­ter der­sel­ben ein und setz­te den Rab­bi, der un­ter­wegs er­kannt und fest­ge­hal­ten wor­den war, ge­fan­gen. Ob­wohl sich selbst Papst Ni­ko­laus IV. für ihn ver­wen­de­te, ließ der Kö­nig ihn nicht frei; er ist nach ihm in der Ge­fan­gen­schaft ge­stor­ben.

Es ist an­zu­neh­men, dass das Ver­hal­ten Ru­dolfs ge­gen die Ju­den und ge­gen den Rab­bi fi­nan­zi­el­le Grün­de hat­te; er for­der­te für die Frei­las­sung des­sel­ben ein be­deu­ten­des Lö­se­geld, das die Ju­den nicht zah­len konn­ten, oder das der Rab­bi, wie er­zählt wird, ih­nen zu zah­len ver­bot. War die Ju­den­steu­er von je­her eine wich­ti­ge Ein­nah­me­quel­le für die Kö­ni­ge ge­we­sen, so war sie es umso mehr für Ru­dolf, der zer­rüt­te­te Ver­hält­nis­se ord­nen muss­te und der über­haupt Nach­druck auf die fi­nan­zi­el­le Sei­te sei­nes Am­tes leg­te. Die Um­stän­de wa­ren so, dass er es tun muss­te; aber es scheint auch sei­ne An­la­ge so ge­we­sen zu sein, dass er es tun konn­te. Auch die Art, wie er die Hand sei­ner Kin­der zu po­li­ti­schen Zwe­cken aus­bot und ver­gab, hat­te et­was von der Ge­schäf­tig­keit ei­nes Han­dels­man­nes, selbst wenn man in Be­tracht zieht, dass fürst­li­che Ehen nie­mals zum Ver­gnü­gen ge­schlos­sen wur­den. Er hat­te drei Söh­ne und sechs Töch­ter; man­cher hät­te das viel ge­fun­den, al­lein Ru­dolf hät­te weit mehr ver­wer­ten kön­nen. Den­noch reih­te er sich sei­nen Vor­gän­gern wür­dig an, kö­nig­lich in der Er­schei­nung, kö­nig­lich in der Hal­tung. Er war sehr groß und sehr schlank; das, und der klei­ne Kopf, die schma­len Hän­de und Füße, die Ad­ler­na­se ga­ben ihm et­was Ari­sto­kra­ti­sches. Sein Hu­mor und sei­ne Schlag­fer­tig­keit mach­ten ihn beim Vol­ke be­liebt, aber er fand auch, wenn die Ge­le­gen­heit dazu war, klang­vol­le Kö­nigs­wor­te. Als er in Frank­furt die Hul­di­gung ent­ge­gen­nahm und das Zep­ter fehl­te, er­griff er ein Kru­zi­fix und sag­te: »Seht, das Zei­chen, in wel­chem wir und die gan­ze Welt er­löst wor­den sind, das soll un­ser Zep­ter sein.« Und wenn er bei der Krö­nung ge­lob­te, »ein Schir­mer des Land­frie­dens zu sein, wie ich bis­her ein un­er­sätt­li­cher Kriegs­mann ge­we­sen bin«, so war das kein lee­rer Re­de­zie­rat, son­dern er emp­fing die Wür­de, die ihm zu­ge­fal­len war, als Verant­wor­tung und Ver­tie­fung sei­ner Le­bens­auf­fas­sung. Der Ritt des drei­und­sieb­zig­jäh­ri­gen Kai­sers, dem die Ärz­te ge­sagt hat­ten, dass er nur noch kur­ze Zeit zu le­ben habe, von Ger­mers­heim nach Spey­er, da­mit, wie er sag­te, nie­mand ihn da­hin zu füh­ren brau­che, wo sei­ne Vor­fah­ren ruh­ten, wur­de von den be­wun­dern­den und wis­sen­den Au­gen ei­nes dank­ba­ren Vol­kes be­glei­tet und er­greift uns noch heu­te. Es war der 14. Juli 1291; am fol­gen­den Tage starb er.

Kaum ein Kai­ser hat es sich so sau­er wer­den las­sen wie Ru­dolf von Habs­burg; man glaubt es von den Li­ni­en ab­zu­le­sen, die sein me­lan­cho­li­sches Ge­sicht durch­fur­chen. Was ihm fehl­te, war die um­fas­sen­de Bil­dung, die über­le­ge­ne Geis­tes­frei­heit der Stau­fer und war viel­leicht mehr als al­les die blü­hen­de Zeit, die jene trug. Das Reich, dass er kai­ser­lich ver­tre­ten soll­te, war kei­ne Welt­macht mehr, der Ad­ler war ge­rupft und ein et­was schä­bi­ger Vo­gel ge­wor­den. Der Papst und die Fürs­ten hat­ten ihn her­un­ter­ge­bracht, und bei­de wach­ten dar­über, dass der Kai­ser ihn nicht wie­der schwung­kräf­tig ma­che. Wenn das Volk Fried­rich II. zu­rück­wünsch­te, der als Per­son viel we­ni­ger volks­tüm­lich ge­we­sen war als Ru­dolf von Habs­burg, viel we­ni­ger für Ord­nung und Recht ge­sorgt hat­te, so war es, weil die Kai­ser­macht als sol­che zu Fried­richs Zeit viel an­sehn­li­cher ge­we­sen war und alle dun­kel fühl­ten, dass sie es nicht mehr war und nie mehr wer­den wür­de. Ei­nen mäch­ti­gen Kai­ser aber woll­te das nie­de­re Volk, einen Kai­ser, der die Gren­zen nach au­ßen und im In­ne­ren den Frie­den er­hiel­te, der über den Stän­den ste­hend, ei­nem je­den an Rech­ten und Frei­hei­ten zu­teil­te, was ihm zu­kom­me, der die Ar­men und Schwa­chen vor den Über­grif­fen der Gro­ßen schüt­ze: Das Bild ei­nes sol­chen Kai­sers sah man an den Ra­täu­sern und an den To­ren, mit lan­gem Bart und erns­tem, sor­gen­vol­lem Ant­litz, den Reichs­ap­fel in der Hand, das Reichs­schwert an der Sei­te, da­ne­ben der Ad­ler mit her­ri­schem Kopf und zer­mal­men­der Klaue, töd­lich dem Räu­ber, dem fürst­li­chen und ad­li­gen wie dem nied­rig­ge­bo­re­nen. Ein sol­cher Rich­ter an Got­tes Statt, wie man ihn er­sehn­te, glaub­te man gern, dass Fried­rich ge­we­sen sei. Da man sein fer­nes Grab nicht ge­se­hen hat­te, konn­te man sich ein­bil­den, er lebe noch und wer­de wie­der­kom­men.

Fried­rich II. war über hun­dert Jah­re tot, als das Ge­dicht ei­nes Meis­ter­sän­gers weis­sag­te, wenn Streit und Krieg über­groß ge­wor­den wä­ren, wer­de Kai­ser Fried­rich wie­der­kom­men und sei­nen Schild an einen dür­ren Baum hän­gen, der dann er­blü­hen wer­de. Er wer­de das Hei­li­ge Grab ge­win­nen, wer­de das Recht wie­der­her­stel­len, er wer­de nur den sie­ben­ten Teil der Pfaf­fen be­ste­hen las­sen, die Klös­ter zer­stö­ren und die Non­nen ver­hei­ra­ten, dass sie Wein und Korn bau­ten; dann wür­den gute, glück­li­che Jah­re kom­men. Es wa­ren Wün­sche aus dem Her­zen des nie­de­ren Vol­kes. Aus sol­chen Krei­sen war auch der falsche Fried­rich ge­kom­men, ka­men auch die meis­ten sei­ner An­hän­ger und die­je­ni­gen, die nach sei­nem Tode die­sel­be Rol­le zu spie­len ver­such­ten. Ei­ner von ih­nen, der be­haup­te­te, er sei aus der Asche des vor Wetz­lar Ver­brann­ten er­stan­den, wur­de in Ut­recht er­hängt, ein an­de­rer in Lü­beck er­tränkt. Im Jah­re 1295 wur­de in Ess­lin­gen der letz­te falsche Fried­rich ver­brannt.