Deutsche Geschichte

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Es ist im­mer auf­ge­fal­len, dass im frie­sisch-säch­si­schen Recht, in frie­sisch-säch­si­scher Ei­gen­art, im All­ge­mei­nen in der Frei­heits­lie­be und de­mo­kra­tisch-ari­sto­kra­ti­schen Ge­sin­nung Ähn­lich­keit mit den Schwei­zern be­steht, was sich auch dar­aus er­klä­ren lie­ße, dass, wie be­haup­tet wird, so­wohl Frie­sen und Sach­sen wie Ale­man­nen von den Sue­ven ab­stam­men. In­des­sen die Ver­schie­den­heit ist eben­so groß wie die Ähn­lich­keit, wie denn auch das Er­geb­nis der Frei­heits­kämp­fe am Meer und in den Al­pen ein ver­schie­de­nes war. Die Frei­heits­kämp­fe der Meer­frie­sen und Meer­sach­sen ha­ben et­was von der Wild­heit ei­nes Lö­wen, der sich in sei­nem Reich ge­wal­tig ver­tei­digt; wagt sich ei­ner hin­ein, so zer­malmt ihn die kö­nig­li­che Tat­ze, und die Sei­nen müs­sen froh sein, wenn sie den blu­ti­gen Leich­nam heim­tra­gen dür­fen. Da fie­len Kö­nig Wil­helm von Hol­land und vie­le an­de­re hol­län­di­sche Gra­fen, da fie­len Gra­fen von Ol­den­burg, da fiel Her­zog Ger­hard VI. von Schles­wig-Hol­stein und man­cher an­de­re. Sie foch­ten kaum an­de­re als Ver­tei­di­gungs­schlach­ten und die­se mit nai­ver Groß­ar­tig­keit. Sie hat­ten kei­ne ein­zi­ge be­fes­tig­te Stadt; ihre Wäl­le wa­ren die Sümp­fe und Moo­re, die ihr Ge­biet um­ge­ben, die sie etwa durch Ver­schan­zun­gen noch un­durch­dring­li­cher mach­ten. Sie schütz­ten sich auch per­sön­lich nicht durch Har­ni­sche; die Na­tur ih­res Lan­des und ihre furcht­lo­se Tap­fer­keit, ihr Glau­ben an das Recht ih­rer Frei­heit wa­ren die Mit­tel ih­rer Sie­ge. Die von der Na­tur ge­ge­be­ne Grund­la­ge ih­rer Frei­heit aus­zu­bau­en, sich mit Glei­ches er­stre­ben­den Nach­barn zu ver­stän­di­gen, dazu fehl­te es ih­nen an staats­män­ni­scher Ge­sin­nung. Es war ih­nen wich­ti­ger, un­be­hel­ligt zu blei­ben, als sich in ihre Um­welt ein­zu­glie­dern. Sie wa­ren noch im­mer am liebs­ten al­lein auf ih­rem Hof mit dem wie eine Ad­ler­schwin­ge schir­men­den Dach un­ter al­ten Eschen und Er­len. Vi­el­leicht war es ge­ra­de die Ge­schlech­ter­ver­fas­sung, die den ein­zel­nen fest an sein Ge­schlecht band, einen ein­zel­nen ohne Ge­schlecht über­haupt nicht kann­te, die den Ge­mein­sinn, der zur Staa­ten­bil­dung führt, we­ni­ger auf­kom­men ließ. Nie­mals schlos­sen sie Bünd­nis­se mit den großen Han­dels­städ­ten, die an ih­ren Gren­zen la­gen, Ham­burg, Bre­men, ob­wohl sie ge­mein­sa­me In­ter­es­sen im Kamp­fe ge­gen die­sel­ben Fürs­ten nicht sel­ten ge­habt hät­ten. Die Bre­mer sa­hen in den Frie­sen, nicht durch­aus mit Un­recht, See­räu­ber, die Frie­sen ga­ben ih­nen die Ge­ring­schät­zung zu­rück. Zwei frie­si­sche Brü­der, Did­de und Ge­rolt, soll­ten in Bre­men hin­ge­rich­tet wer­den, weil sie eine Burg hat­ten zer­stö­ren wol­len, mit der die Bre­mer frie­si­sche Nach­barn zu be­herr­schen ge­dach­ten. Nach­dem Did­des Haupt ge­fal­len war, er­griff es Ge­rolt und küss­te den to­ten Mund. Als von die­ser Ge­bär­de ge­rührt die Rats­her­ren ihm das Le­ben schen­ken woll­ten, wenn er ein Mäd­chen aus der Stadt hei­ra­te­te, sag­te Ge­rolt: »Ich bin ein ed­ler frei­er Frie­se und will lie­ber ster­ben, als ei­nes Pel­zers oder Schuh­ma­chers Toch­ter zur Frau neh­men«, und ließ sich den Kopf ab­schla­gen. So er­zählt die Über­lie­fe­rung. Die Dith­mar­scher tra­ten zwar vor­über­ge­hend mit Ham­burg, Bre­men und Lü­ne­burg in Ver­bin­dung, än­der­ten auch mit ih­rem Bei­stand im An­fang des 15. Jahr­hun­derts ihre Ver­fas­sung im Sin­ne ei­ner Stär­kung der Zen­tral­ge­walt, aber eine Ei­nung von Dau­er kam nicht zu­stan­de. Der Stadt Ham­burg nah­men es die Dith­mar­scher, de­ren haupt­säch­li­cher Feind ihr Nach­bar, der Graf von Hol­stein war, sehr übel, dass sie es mit Hol­stein ge­gen Dä­ne­mark hielt. Sie zo­gen die Ver­bin­dung mit Dä­ne­mark im­mer ei­ner sol­chen mit dem ge­hass­ten Hol­stein vor, ha­ben ja auch spä­ter zu Dä­ne­mark ge­hört.

Die Frie­sen hat­ten einen Mit­tel­punkt in der Lan­des­ver­samm­lung am Up­stals­boom in der Nähe von Au­rich, wo die Ab­ge­ord­ne­ten von West- und Ost­fries­land zu­sam­men­ka­men; aber schon im drei­zehn­ten Jahr­hun­dert hör­te das auf. We­gen des feh­len­den Sin­nes für Staa­ten­bil­dung und wohl aus geo­gra­fi­schen Grün­den ist im Mit­tel­al­ter eine nor­di­sche Schweiz nicht ent­stan­den. Un­ver­gäng­lich ist den­noch der Ruhm der großen Frei­heits­schlach­ten, wenn sie auch wie Ko­me­ten, au­ßer­halb der Him­mels­ord­nung, mäch­tig leuch­tend vor­über­gin­gen, der Schlacht bei Ol­den­wöhr­den, der Schlacht an der Ham­me, bei Hem­mings­tedt und man­cher an­de­ren, in de­nen bar­fü­ßi­ge Bau­ern ge­har­nisch­te Rit­ter de­mü­tig­ten.

Schlachten

Wie die Ge­schich­te des Mit­tel­al­ters vor­wie­gend eine Ge­schich­te des Adels, so wa­ren sei­ne Schlach­ten sol­che des Adels. Sie gli­chen Tur­nie­ren, bei de­nen es ja auch oft Tote gab, und bei de­nen die For­de­run­gen der Ehre eine große Rol­le spiel­ten. Mit dem Vor­wurf der Feig­heit ließ sich al­les durch­set­zen, kei­ne Grün­de ka­men da­ge­gen auf. In der Schlacht bei Haus­ber­gen war die Über­zahl der Straß­bur­ger so groß, dass die bi­schöf­li­chen Rit­ter den un­glück­li­chen Aus­gang vor­aus­sa­hen; da der Bi­schof sie fei­ge schalt, gin­gen sie ohne Wan­ken in den Tod. Die Zahl der Kämp­fen­den war klein; Ru­dolf von Habs­burg soll ge­sagt ha­ben, mit 4000 aus­er­le­se­nen Rei­tern und 40 000 Mann zu Fuß wür­de er von der gan­zen Welt un­be­sieg­bar sein. In der eben an­ge­führ­ten Schlacht bei Haus­ber­gen zwi­schen dem Bi­schof von Straß­burg, Wal­ter von Ge­rold­seck und der Stadt Straß­burg, mit wel­cher sie sich im Jah­re 1262 die Un­ab­hän­gig­keit er­kämpf­te, fie­len auf sei­ten des Bi­schofs 60 Rit­ter und Edel­leu­te, auf sei­ten der Stadt ein ein­zi­ger Bür­ger. Die Sie­ger tru­gen 76 Ge­fan­ge­ne da­von; des Lö­se­gel­des we­gen sah man es dar­auf ab, viel Ge­fan­ge­ne zu ma­chen. Der Bi­schof war selbst mit­ten im Kamp­fe, zwei Pfer­de wur­den un­ter ihm er­sto­chen. Die Mehr­zahl der Kämp­fer war be­rit­ten, von den Städ­tern foch­ten die Ge­schlech­ter zu Pfer­de. Der alte Rit­ter Lie­ben­zel­ler, der die Straß­bur­ger führ­te, gab in der Schlacht den Rat, alle Ros­se ohne Aus­nah­me nie­der­zu­sto­ßen. Den Be­rit­te­nen war schwer bei­zu­kom­men, der Ge­stürz­te konn­te leicht er­schla­gen wer­den, wenn er nicht von den Hu­fen der Pfer­de zer­tre­ten wur­de. Des­halb war es für den Ge­stürz­ten so un­ge­mein wich­tig, dass ihm so­fort ein Ge­treu­er bei­sprang, ihn deck­te und ihm etwa gar das eig­ne Pferd über­ließ; Ru­dolf von Habs­burg ist in zwei Schlach­ten auf sol­che Art ge­ret­tet wor­den und be­wies sei­nen Hel­fern zeit­le­bens Dank­bar­keit. Die Ros­se zu tö­ten war eine sehr alte Re­gel, de­ren sich schon Her­mann im Kamp­fe ge­gen die Rö­mer be­dient ha­ben soll. In ei­ner ih­rer be­rühm­ten Schlach­ten ga­ben die Dith­mar­scher die Lo­sung aus: Scho­net den Kerl, schla­get das Pferd! Als sie aber des Sie­ges si­cher wa­ren, er­schlu­gen sie um­ge­kehrt den Mann und er­hiel­ten sich sein kost­ba­res Tier.

Eine vor­bild­li­che Rit­ter­schlacht war die Schlacht bei Wor­rin­gen in der Nähe von Köln, die we­gen der vie­len ed­len Na­men, die dar­in glänz­ten, die Zeit­ge­nos­sen zu aus­führ­li­chen Schil­de­run­gen ge­reizt ha­ben mag. Sie ent­stand im Streit um die Nach­fol­ge im Her­zog­tum Lim­burg, auf wel­che ei­ner­seits Graf Adolf von Berg, an­de­rer­seits Graf Rai­nold von Gel­dern An­spruch er­ho­ben. Zu­grun­de lag ei­gent­lich der Wett­be­werb des Erz­bi­schofs von Köln und des Her­zogs von Bra­bant um die Herr­schaft am Nie­der­rhein. Um den Erz­bi­schof, einen Gra­fen von Wes­tern­burg, grup­pier­ten sich Graf Rai­nold von Gel­dern, Graf Hein­rich von Lüt­zel­burg, Graf Adolf von Nassau und die vom Erz­bi­schof ab­hän­gi­ge Stadt Soest; um den Her­zog von Bra­bant der Graf von Berg, Graf Si­mon von Te­klen­burg, die Her­ren von Wal­deck, von Vir­ne­burg, von Rei­fer­stein und die Stadt Köln, die her­kömm­li­cher­wei­se ih­rem Erz­bi­schof den Ge­gen­part hielt. Es war eine au­ßer­or­dent­lich blu­ti­ge Schlacht, in der über tau­send Rit­ter fie­len. Es fiel der Graf von Wes­tern­burg, Bru­der des Erz­bi­schofs, es fiel Graf Hein­rich von Lüt­zel­burg, der Va­ter des spä­te­ren Kai­sers, als er sei­nen per­sön­li­chen Feind, den Her­zog von Bra­bant, an­rann­te und be­reits vom Pfer­de zu rei­ßen im Be­griff war; ein Rit­ter ret­te­te den Fal­len­den, in­dem er dem Lu­xem­bur­ger den Speer un­ter die Rüs­tung stieß. »Un­glück­li­cher!« so rief der Bra­ban­ter sei­nem Ret­ter zu, »was hast du ge­tan! Du hast den tap­fers­ten Rit­ter ge­tö­tet, der ver­dient hät­te, ewig zu le­ben.« Ein Herr von Born sah sei­ne Söh­ne teils fal­len, teils ge­fan­gen wer­den, kämpf­te aber wei­ter, bis ihm der Arm zer­schla­gen wur­de. Der von Fal­ken­burg, der als der schöns­te Mann sei­ner Zeit galt, fiel, und Adolf von Nassau, der spä­te­re Kai­ser, wur­de ge­fan­gen. Als er vor den Her­zog von Bra­bant ge­führt wur­de und die­ser ihn frag­te, wer er sei, ant­wor­te­te er: »Ich bin Adolf von Nassau, zwar nit ein großer Herr, aber der be­gehrt, große Sa­chen zu voll­brin­gen.« Um sei­ne Ach­tung so ho­hen Sin­nes zu be­wei­sen, ließ ihn der Her­zog ohne Lö­se­geld frei. Die Her­ren wett­ei­fer­ten in der Ent­fal­tung ed­ler Rit­ter­lich­keit: sie wa­ren Fein­de, hass­ten sich, tö­te­ten sich, gönn­ten sich nichts, aber sie fühl­ten sich als die Eben­bür­ti­gen, ver­bun­den durch die glei­che Kul­tur und die glei­chen An­schau­un­gen von Ehre und Rit­ter­pflicht. Al­ler­dings wenn die Sage über­lie­fert, der Erz­bi­schof von Köln habe sei­nen Geg­ner, den Gra­fen von Berg, als es ihm nach der Schlacht ge­lun­gen sei, ihn zu fan­gen, mit Ho­nig be­stri­chen in einen Kä­fig ge­sperrt und den Bie­nen preis­ge­ge­ben, so wird man an al­len den aus­schmücken­den Schnör­keln irre. Wech­sel­ten wirk­lich Züge ab­ge­feim­ter Grau­sam­keit mit sol­chen der Groß­mut ab? Oder kam es bei der Schil­de­rung von Be­ge­ben­hei­ten nicht nur auf treue Wie­der­ga­be an, wie man ja auch von den Bil­dern von Per­so­nen nur ver­lang­te, dass sie schön oder ein­drucks­voll, nicht aber, dass sie ähn­lich sei­en. Auf den Cha­rak­ter des Kamp­fes und der Kämp­fen­den im All­ge­mei­nen kann man in­des­sen doch aus den zeit­ge­nös­si­schen Be­rich­ten schlie­ßen. Ob­wohl nun die Schlacht bei Wor­rin­gen, die im Jah­re 1288 ge­schla­gen wur­de, durch­aus eine Tur­nier­schlacht war, so ga­ben doch, das ist be­mer­kens­wert, die nie­der­rhei­ni­schen Bau­ern des Gra­fen von Berg und das Fuß­volk der Stadt Köln, das den Fah­nen­wa­gen des Erz­bi­schofs er­ober­te, den Aus­schlag.

 

In der Ent­schei­dungs­schlacht bei Dürn­krut, durch wel­che Ös­ter­reich an das Haus Habs­burg fiel, hat­te Ot­to­kar von Böh­men die grö­ße­re Zahl ver­deck­ter Ros­se, so nann­te man die ge­har­nisch­ten, und glaub­te des­halb Aus­sicht auf den Sieg zu ha­ben. Dass Ru­dolf ihn da­von­trug, soll er ers­tens den Un­garn und ih­rer leich­ten Rei­te­rei ver­dankt ha­ben, so­dann ei­ner neu­en An­ord­nung, die er sich selbst aus­ge­dacht zu ha­ben scheint. Er son­der­te näm­lich 50 schwer ge­har­nisch­te Rit­ter aus, die an­fäng­lich ab­seits zu blei­ben hat­ten, um erst im spä­te­ren Ver­lauf der Schlacht, wenn sich die Lage etwa ver­schlech­ter­te, ein­zu­grei­fen. Die Zu­mu­tung, sich nicht so­fort zu be­tei­li­gen, kam den Rit­tern so un­er­hört vor, dass sie sich erst auf den stren­gen Be­fehl des Kö­nigs hin her­beilie­ßen, die Füh­rung die­ser Not­schar zu über­neh­men. Doch un­ter­lie­ßen sie es nicht, bei den an­de­ren Her­ren um­her­zu­ge­hen und ihr Ver­hal­ten zu er­klä­ren und zu ent­schul­di­gen.

Die Schlacht bei Göll­heim am Fuße des Don­ners­ber­ges, durch die Adolf von Nassau und Al­brecht von Habs­burg den Streit um das Reich aus­mach­ten, war eine aus­ge­spro­che­ne Rit­ter­schlacht. Das Mit­tel­tref­fen führ­ten auf bei­den Sei­ten die Kö­ni­ge selbst an, Adolf von Nassau im gol­de­nen Har­nisch, vor bei­den weh­te die Reichs­sturm­fah­ne. Wie in der Schlacht bei Wor­rin­gen die per­sön­li­chen Fein­de sich such­ten, so hier die bei­den Kö­ni­ge; Al­brecht wur­de spä­ter be­schul­digt, sei­nen Herrn, denn er hat­te an­fangs den recht­mä­ßig ge­wähl­ten Adolf an­er­kannt, mit ei­ge­ner Hand ge­tö­tet und da­mit eine un­er­hör­te Fre­vel­tat be­gan­gen zu ha­ben. Man­chen moch­te es als ge­rech­te Ver­gel­tung er­schei­nen, dass er selbst zehn Jah­re spä­ter durch Mör­der­hand fiel. Wäh­rend in der Schlacht nur hun­dert Kämp­fer ge­fal­len sein sol­len, wur­den über 20 000 Pfer­de ge­tö­tet. Wenn da­durch der Vor­zug des Be­rit­ten­seins als trü­ge­risch, min­des­tens als zwei­fel­haft er­wie­sen wur­de, so zeig­te sich vollends, dass der Har­nisch, der den Mann schüt­zen soll­te, ihm viel­mehr zum Ver­häng­nis wer­den konn­te. Es war ein hei­ßer Som­mer­tag; auf bei­den Sei­ten kam es vor, dass Rit­ter in ih­rer Rüs­tung er­stick­ten. Lan­ge sah man ein Ross über das Schlacht­feld ja­gen, den to­ten Herrn von Och­sen­stein aus ei­nem den Habs­bur­gern treu er­ge­be­nen el­säs­si­schen Ge­schlecht auf­recht in an­ge­schnall­ter Rüs­tung auf dem Rücken tra­gend. Wie Sau­ri­er mu­ten die­se Rit­ter an, de­nen die Schup­pen und die le­der­ne Haut und das Rie­sen­ge­biss selbst, alle die Waf­fen, mit de­nen die Na­tur sie aus­stat­te­te, zu­letzt an­statt ih­nen zu hel­fen, ihr Ver­der­ben be­schleu­nig­ten, be­son­ders als be­hän­de­re Tie­re den Kampf mit den all­zu schwer ge­rüs­te­ten Un­ge­tü­men wag­ten. Noch wur­den aus der Er­fah­rung kei­ne Schlüs­se ge­zo­gen. Her­zog Leo­pold zwei­fel­te im Jah­re 1315 nicht, dass er mit der Men­ge sei­ner ge­schul­ten und ge­rüs­te­ten Krie­ger die Bau­ern von Schwyz und Uri leicht wür­de er­drücken kön­nen. Am Ende des Jahr­hun­derts zog ein an­de­rer Her­zog Leo­pold mit ei­nem großen Rit­ter­hee­re ge­gen Lu­zern, das mit den Wald­stät­ten ver­bün­det die ös­ter­rei­chi­sche Land­stadt Sem­pach an sich ge­zo­gen hat­te, um das Erbe der Vä­ter zu­rück­zu­ge­win­nen. Bei Sem­pach kam es zu der furcht­ba­ren Schlacht, in der die Blü­te des schwä­bi­schen, ober­rhei­ni­schen und el­säs­si­schen Adels fiel. Wie­der war es ein hei­ßer Ju­li­tag, und man­cher er­stick­te im Har­nisch. Wie­der ent­fal­te­te sich in­mit­ten des Un­ter­gan­ges der stol­ze Sinn der Her­ren, wie der Chro­nist mit sicht­li­cher Vor­lie­be auf­ge­zeich­net hat. »O ret­te Ös­ter­reich, ret­te!« rief der Her­zog, und die Ge­treu­en folg­ten sei­nem Rufe, ohne das Ver­der­ben auf­hal­ten zu kön­nen. Leo­pold focht als ein Leu, so heißt es, und ver­schmäh­te die Flucht, in­dem er sag­te, er wol­le lie­ber ster­ben mit Ehre, als un­ehr­bar­lich le­ben auf Er­den. Sei­nem stol­zen Tode stellt die Sage den Op­fer­tod Ar­nold Win­kel­rieds von Nid­wal­den ge­gen­über, ei­nes Ab­kömm­lings je­nes Struth von Win­kel­ried, der einen Dra­chen tö­te­te und, von des­sen Gift ge­trof­fen, in dem­sel­ben Au­gen­blick starb, wo er sei­ne Hei­mat be­frei­te.

So wa­ren denn die Bau­ern, die in den Krie­gen Hein­richs IV. ent­mannt wor­den wa­ren, weil sie sich an­ge­maßt hat­ten, ge­gen Rit­ter zu kämp­fen, von Bau­ern, die freie Her­ren ge­blie­ben wa­ren, ge­rächt. Aber die spä­te Ra­che der Ge­schich­te, die au­ßer er­kenn­ba­rem Zu­sam­men­hange trifft, ge­nügt dem Be­dürf­nis nach aus­glei­chen­der Ge­rech­tig­keit nicht. Auch kam es kurz nach der Schlacht bei Sem­pach vor, dass Pfalz­graf Ru­precht, nach­dem er rhei­ni­sche Städ­te bei Worms be­siegt hat­te, sech­zig Knech­te, die an der Schlacht teil­ge­nom­men hat­ten, in einen Zie­gel­ofen wer­fen und ver­bren­nen ließ, wäh­rend die rit­ter­li­chen Ge­fan­ge­nen in der üb­li­chen stan­des­ge­mä­ßen Ge­fan­gen­schaft ge­hal­ten wur­den. Die­se düs­te­ren Fra­gen könn­ten nur durch den Glau­ben an eine über­ir­di­sche Klar­heit, in der Men­sche­nirr­sal mün­det, ge­löst wer­den.

Die Eidgenossenschaft

Am Tage der Un­garschlacht im Jah­re 955 er­ho­ben sich die ver­schie­de­nen Ab­tei­lun­gen des kö­nig­li­chen Hee­res bei Mor­gen­grau­en, alle ga­ben sich ge­gen­sei­tig den Frie­dens­kuss, schwu­ren erst ih­rem Füh­rer, dar­auf ei­ner dem an­de­ren treu­en Bei­stand und zo­gen dann aus dem La­ger dem Feind ent­ge­gen. Als die Va­sal­len des Kö­nigs Het­tel von He­ge­lin­gen sich an­schick­ten, übers Meer nach Ir­land zu fah­ren, um die Toch­ter Ha­gens für ih­ren Her­ren zu frei­en, schwu­ren sie ein­an­der mit ge­stab­ten Ei­den treu­en Bei­stand. Im An­ge­sicht ei­ner großen Ge­fahr pfleg­ten ger­ma­ni­sche Män­ner ihr Zu­sam­men­wir­ken durch einen Schwur zu hei­li­gen und nann­ten das eine Schwur­ge­nos­sen­schaft oder Eid­ge­nos­sen­schaft. Das ta­ten auch ei­ni­ge Män­ner aus den klei­nen Län­dern Schwyz, Uri und Un­ter­wal­den an ei­nem durch die Reuß ge­bil­de­ten See im obe­ren Schwa­ben, als sie ihre Frei­heit be­droht glaub­ten. Es war ein alt­ger­ma­ni­scher Brauch, den sie üb­ten, und mit den al­ten Ger­ma­nen hat­te dies Berg­volk mehr Ver­wandt­schaft als mit den kir­chen­treu­en Chris­ten ih­rer Tage. Es ist bei ih­nen nicht viel die Rede von Ge­bet, von Stif­tung und Hei­lig­tü­mern, und wenn sie sich beu­gen, tun sie es mit dem Vor­be­halt trot­zi­gen und un­ge­stü­men Wi­der­stan­des so­wie die Ge­le­gen­heit es er­mög­licht. Dass spä­te­re Ge­schicht­schrei­ber sie von den Schwe­den oder Sach­sen ab­lei­te­ten, mö­gen sie zum Teil im Ge­fühl für das Nor­disch-Heid­nische ge­tan ha­ben, das die­sen bäu­er­li­chen Hero­en ei­gen war. Söh­ne des Gott­hard wa­ren sie, der selbst wie ein al­ter Gott über Ber­gen und Tä­lern la­gert, das Haupt von Wol­ken und Win­den um­kreist, wohl­tä­ti­ge Strö­me den Men­schen, die ihm die­nen, her­ab­las­send. Wie mit ei­nem Gott müs­sen die, die an sei­nem Fuße woh­nen, mit ihm rin­gen, be­vor er sie seg­net; wenn sie sich ver­we­gen und furcht­los er­wei­sen, sind sie sein Volk und ha­ben teil an sei­nem ele­men­ta­ren We­sen. Sie sind ein Ge­schlecht von Rie­sen, die der La­wi­nen und Blö­cke, die ihr wil­der al­ter Gott ins Tal rollt, nicht ach­tend über za­cki­gen Gra­nit schrei­ten und Fein­de, die sich in ih­ren hei­mi­schen Be­zirk wa­gen, mit ge­schleu­der­ten Fel­sen ver­trei­ben. Aber wenn sie Rie­sen wa­ren, so wa­ren sie doch nicht ein­fäl­ti­gen oder plum­pen Geis­tes; sie konn­ten ihre po­li­ti­sche Lage mit je­dem Vor­teil und Nach­teil be­ur­tei­len und die Um­stän­de des Ge­sche­hens in Nähe und Fer­ne be­rech­nen und be­nüt­zen.

Die bei­den Län­der Schwyz und Uri wa­ren über­wie­gend von Ad­li­gen und frei­en Leu­ten be­wohnt, die sich nach alt­ger­ma­ni­scher Auf­fas­sung kaum vom Adel un­ter­schie­den. Das Länd­chen Uri war ein Teil der Aus­stat­tung, mit der im Jah­re 853 Kö­nig Lud­wig der Deut­sche sei­ne Toch­ter Hil­de­gard be­schenkt hat­te, als er in der Nähe der kö­nig­li­chen Pfalz auf dem Lin­den­ho­fe beim Orte Zü­rich ein Klos­ter grün­de­te und sie zur Äb­tis­sin des­sel­ben mach­te. Wie für alle Klös­ter wur­de auch für die Ab­tei Frau­müns­ter ein Vogt be­stellt, der die hohe Ge­richts­bar­keit über das klös­ter­li­che Ge­biet führ­te; mit dem Ende des 11. Jahr­hun­derts kam die Schirm­vog­tei an die Her­zö­ge von Zäh­rin­gen. Der Um­stand, dass die durch die Im­mu­ni­tät aus dem Ge­samt­ver­ban­de ge­lös­ten Län­der un­ter der­sel­ben Ge­richts­bar­keit stan­den, dass die Be­woh­ner Mark­ge­nos­sen an der­sel­ben All­men­de wa­ren, das Zu­sam­men­ge­drängt­sein na­ment­lich im sel­ben Tale, das Um­schlos­sen­sein von den­sel­ben Ber­gen nähr­te in den Leu­ten von Uri das Ge­fühl, ein Gan­zes, eine Ge­mein­de aus­zu­ma­chen: im Be­ginn des 13. Jahr­hun­derts nann­ten sie sich die U­ni­ver­si­tas ho­mi­num val­lis Uro­niae. Das Aus­ster­ben der Zäh­rin­ger im Jah­re 1218 be­frei­te die Ge­mein­de Uri von der Ge­fahr, Un­ter­ta­nen die­ses Hau­ses zu wer­den; aber eine neue er­hob sich, als Fried­rich II. die Vog­tei dem Gra­fen Ru­dolf dem Äl­te­ren von Habs­burg ver­pfän­de­te. Wenn schon die Vög­te fast im­mer da­nach trach­te­ten, das Land, dem sie als Rich­ter vor­stan­den, in ih­ren erb­li­chen Be­sitz zu brin­gen, so gab sich die Ge­le­gen­heit zu sol­cher Ver­ge­wal­ti­gung vollends bei Ver­pfän­dun­gen. Die Ur­ner such­ten so­fort sich der Sch­lin­ge zu ent­zie­hen, die ih­rer Frei­heit ge­legt war, und sie hat­ten Glück: Hein­rich VII., des Kai­sers jun­ger Sohn, den er zu sei­nem Stell­ver­tre­ter in Deutsch­land er­nannt hat­te, er­klär­te ih­ren Bo­ten zu Ha­genau im El­saß, dass er die Vog­tei zu­rück­ge­kauft habe und dass er die Män­ner des Ta­les Uri nie­mals dem Reich ent­frem­den wer­de. Mit die­sem Brief des un­glück­li­chen jun­gen Kö­nigs er­hiel­ten die Ur­ner die Be­glau­bi­gung ih­rer Reichs­frei­heit, die ih­nen nie be­strit­ten wur­de. Die Vog­tei wur­de künf­tig von Amt­män­nern aus ih­rer Mit­te aus­ge­übt, die nach ei­ni­ger Zeit Lan­dammän­ner hie­ßen. Seit dem Jah­re 1243 gab das Land sei­ner Selbst­stän­dig­keit da­durch Aus­druck, dass es ein ei­ge­nes Sie­gel führ­te.

Auch Schwyz, das da­mals aus dem Fle­cken Schwyz und dem Dorf Stei­nen be­stand, wur­de haupt­säch­lich von Frei­en be­wohnt; doch gab es da­zwi­schen auch ei­ge­ne Leu­te ver­schie­de­ner Dy­nas­ten und Klös­ter. Die Ge­richts­ho­heit über Schwyz hat­ten als Land­gra­fen vom Zü­rich­gau die Gra­fen von Lenz­burg und, nach­dem die­se aus­ge­stor­ben wa­ren, die Gra­fen von Habs­burg. Von die­ser Fa­mi­lie, die zu ih­rem Ei­gen­be­sitz an der Aare ver­schie­de­ne Gü­ter des Gra­fen von Lenz­burg hin­zu­ge­erbt hat­te, war vor­aus­zu­set­zen, dass sie ver­su­chen wür­de, das land­gräf­li­che Amt in eine Herr­schaft um­zu­wan­deln, die frei­en Schwy­zer zu Un­ter­ta­nen zu ma­chen. Das Bei­spiel von Uri wies den Schwy­zern den Aus­weg aus der sich bil­den­den Klam­mer: ein­zig die Reichs­frei­heit gab Si­cher­heit vor der Un­ter­wer­fung un­ter eine Dy­nas­tie. Aus der an­schwel­len­den Flut der Feu­da­li­tät rag­te der Kai­ser als ein Fels der al­ten Volks­frei­heit, er hand­hab­te sein Zep­ter wie einen Zau­ber­stab, mit dem er die Über­schwem­mung vor de­nen zum Ste­hen brin­gen konn­te, die sich ihm er­ga­ben, und die er an­nahm. Wür­de er die Män­ner von Schwyz be­gna­den, Fried­rich II., der Rät­sel­haf­te, der Schreck­li­che, der eben sei­ne gan­ze Kraft auf­bot, um den Papst zu ver­nich­ten? In die­sem Kampf, der das Abend­land er­schüt­ter­te, er­späh­ten die auf­merk­sam be­ob­ach­ten­den Män­ner von Schwyz einen An­lass. Graf Ru­dolf von Habs­burg-Lau­fen­burg näm­lich, der die Land­graf­schaft in­ne­hat­te, stell­te sich auf die Sei­te des Paps­tes, wur­de so­mit Feind des Kai­sers, der gern dazu bei­tra­gen wür­de, den Ab­trün­ni­gen zu schwä­chen. Man weiß nicht, wie die Män­ner hie­ßen, die den schick­sal­vol­len Weg über das Ge­bir­ge an­tra­ten, um dem Kai­ser ihr An­lie­gen vor­zu­tra­gen. Es ist an­zu­neh­men, dass sie vor­her sich mit de­nen von Uri be­spra­chen; dann stie­gen sie mit fes­ten lan­gen Schrit­ten die Schöl­le­nen hin­auf, an der to­ben­den Reuß ent­lang, über die stie­ben­de Brücke, die seit ei­ner Rei­he von Jah­ren den Fel­sen um­ging, den jetzt das Ur­ner Loch durch­bohrt, und über den wil­den Gott­hard zum Sü­den hin­un­ter. Vor Faen­za fan­den sie den Kai­ser. Stau­nend be­trach­te­ten sie wohl die Mau­ern, die der Ge­wal­ti­ge hat­te auf­rich­ten las­sen, um die tap­fer sich weh­ren­de Stadt ab­zu­sper­ren, die nie ge­se­he­nen Be­la­ge­rungs­wer­ke und Un­ter­gra­bun­gen, mit de­nen er ihr zu­setz­te. Vi­el­leicht sa­hen sie die sieb­zig Lei­chen der Bür­ger von Faen­za, die er im An­ge­sicht der Stadt zur Dro­hung hat­te auf­hän­gen las­sen. In­mit­ten der Schre­cken hat­ten die von Schwyz Glück: Fried­rich an­er­kann­te ihre Reichs­frei­heit, ver­sprach ih­nen sei­nen Schutz und die Fül­le sei­ner Gna­de, und dass er sie nie­mals dem Reich ent­frem­den wer­de. Leich­teren Her­zens als sie ab­ge­reist wa­ren, kehr­ten sie zu­rück, die Ur­kun­de in der Hand, die ih­nen ver­brief­te, was ih­nen teu­rer als ihr Le­ben war, die Frei­heit. In­des­sen wuss­ten sie wohl, die po­li­tisch sehr ge­wit­zigt wa­ren, dass die Ur­kun­de al­lein ih­nen die Frei­heit nicht si­cher­te. Zum Sie­gel des Kai­sers, der wie eine Schach­fi­gur bald auf die­sem, bald auf je­nem Bret­te stand, muss­te das Sie­gel des Blu­tes kom­men, da­mit sie gül­tig wer­de.

 

Im La­ger des Kai­sers vor Faen­za be­fand sich ei­ner von sei­nen treues­ten Va­sal­len, Graf Ru­dolf von Habs­burg, da­mals, 1240, 22 Jah­re alt, der Fried­richs Pa­ten­kind und ihm fast wie ein Sohn er­ge­ben war. Er war der Nef­fe des Gra­fen Ru­dolf, der Land­graf im Zü­rich­gau war, ge­gen des­sen In­ter­es­se der Frei­heits­brief sich rich­te­te, den die Schwy­zer da­von­tru­gen; wenn er da­von er­fuhr, hielt ihn wohl die Ehr­furcht vor sei­nem kai­ser­li­chen Herrn von ei­ner Äu­ße­rung über die An­ge­le­gen­heit zu­rück, die ihn im Au­gen­blick nicht an­ging. Sein Oheim hin­ge­gen, Graf Ru­dolf der Äl­te­re, er­kann­te das Ge­sche­he­ne nicht an, for­der­te viel­mehr den Papst auf, alle die­je­ni­gen in den Obe­ren Lan­den, die sich dem Kai­ser an­ge­schlos­sen hät­ten, dar­un­ter Schwyz und Un­ter­wal­den, mit dem Ban­ne zu be­le­gen. In die­ser Zeit all­ge­mei­nen Aufruhrs schwu­ren Män­ner von Schwyz und Uri, viel­leicht auch sol­che von Un­ter­wal­den und Lu­zern, in ei­nem et­wai­gen Kamp­fe um ihre Frei­heit ein­an­der bei­zu­ste­hen, ei­ner für alle, alle für einen. Nicht die Ge­schich­te und nicht ein­mal die Sage mel­det von die­sem Schwur, man schließt aus dem, der spä­ter voll­zo­gen wur­de, auf einen, der ihm vor­an­ging. Es kann ihm kein Denk­mal ge­setzt wer­den, er ist an kei­ne Stät­te ge­bannt, er ist der Geist der Frei­heit, der das hoch­ge­türm­te Land wie mit un­durch­dring­li­chen Flam­men um­gür­te­te.

Im Lan­de Un­ter­wal­den gab es we­nig freie Leu­te, die meis­ten wa­ren den Klös­tern Mur­bach und En­gel­berg un­ter­tä­nig, de­ren Vög­te die Habs­bur­ger wa­ren. Sie bil­de­ten in­fol­ge­des­sen kei­ne Mark­ge­nos­sen­schaft; was sie ei­nig­te, war die Ge­richts­ho­heit der Vög­te, de­nen sie ge­mein­sam un­ter­stan­den, und die geo­gra­fi­sche Nach­bar­schaft. Der Ort Lu­zern ge­hör­te dem Klos­ter Mur­bach im El­saß; auch dort gab es eine Par­tei, die An­schluss an den Kai­ser such­te.

Fünf Jah­re nach­dem Fried­rich II. den Schwy­zern den Frei­heits­brief aus­ge­stellt hat­te, starb er; es folg­te der Sturz der Stau­fer, der Sturz des Kai­ser­tums. Jah­re hin­durch gab es kei­nen höchs­ten Rich­ter mehr im Rei­che, der Quell des Rech­tes hör­te auf zu flie­ßen. Als dann im Jah­re 1273 die Kur­fürs­ten wie­der einen Kö­nig wähl­ten, der all­ge­mein an­er­kannt wur­de, war das Er­geb­nis für die Orte im Obe­ren Lan­de Schwa­ben un­heil­voll; Kö­nig wur­de der Graf von Habs­burg, so­dass nun der Dy­nast, des­sen Macht­stre­ben Schwyz und Uri sich ent­zie­hen woll­ten, und der Ober­herr, bei dem sie vor ihm Schutz such­ten, eine Per­son wa­ren. Wür­de Ru­dolf, der­sel­be, der im La­ger vor Faen­za war, als Fried­rich den Schwy­zern die Reich­sun­mit­tel­bar­keit ver­brief­te, ih­nen ge­gen­über der Land­graf und Vogt oder wür­de er der Kö­nig sein? Ru­dolf, der, be­vor er Kö­nig wur­de, im Sol­de Straß­burgs stand und auch als Kö­nig den Städ­ten man­che Gunst er­wies, war kein De­spot und kein Ero­be­rer; es war, ob­wohl es ihm an Zü­gen der Grö­ße nicht fehl­te, et­was Bür­ger­li­ches in sei­ner Na­tur, et­was von der be­däch­tig schar­ren­den Metho­de des Krä­mers in der Art, wie er sei­ne Haus­macht aus­bau­te. Dass er es tat, war rich­tig, ohne einen si­che­ren Punkt un­ter den Fü­ßen konn­te er das kö­nig­li­che Amt nicht aus­üben, und es war selbst­ver­ständ­lich, dass er die Ge­gend zu ei­nem habs­bur­gi­schen Rei­che er­wei­tern woll­te, wo er be­reits Gü­ter und Rech­te be­saß. Dies Land war, schein­bar arm mit sei­nen Fel­sen, die kaum Zie­gen er­nähr­ten, von un­er­mess­li­cher Wich­tig­keit als Zu­gang zur Gott­hard­stra­ße, die seit der Er­rich­tung der stie­ben­den Brücke zu ei­nem der meist­be­gan­ge­nen Päs­se nach Ita­li­en wur­de, wich­tig für den Kö­nig we­gen sei­ner Be­zie­hun­gen zur Lom­bar­dei und zu Rom, aber auch für je­den an­de­ren Fürs­ten, der sich an den Zöl­len des Han­dels­we­ges be­rei­chern konn­te. Als ein eh­ren­haf­ter Mann ging Ru­dolf nicht ge­walt­tä­tig, nicht räu­be­risch vor: den Frei­heits­brief der Ur­ner er­kann­te er förm­lich an. An­ders stell­te er sich zu den Schwy­zern, in­dem er über­haupt im Rei­che den Grund­satz auf­ge­stellt hat­te, nur die Ur­kun­den Kai­ser Fried­richs aus der Zeit, be­vor er im Ban­ne war, gel­ten zu las­sen. Trotz­dem hin­der­te er nicht, dass die Schwy­zer sich wie ein Reichs­land selbst durch Lan­dammän­ner ver­wal­te­ten und ein ei­ge­nes Sie­gel führ­ten. Eben­so­we­nig griff er in die in­ne­ren Ver­hält­nis­se von Un­ter­wal­den ein. Den­noch brei­te­te sich sei­ne Macht all­mäh­lich aus, und er rück­te den ge­ängs­tig­ten Or­ten nä­her und nä­her. Die Be­sit­zun­gen der Habs­burg-Lau­fen­bur­ger Li­nie gin­gen auf ihn über, auch die Ki­bur­ger be­erb­te er, und am Ende des Le­bens glück­te ihm noch ein be­deu­ten­der Fang, in­dem er dem Klos­ter Mur­bach die zwi­schen Zü­rich und dem Gott­hard ge­le­ge­ne Stadt Lu­zern ab­kauf­te, in de­ren Nähe er be­reits Be­sit­zun­gen hat­te. Als Ru­dolf am 12. Juli 1291 starb, at­me­ten die frei­heits­lie­ben­den Leu­te in den Obe­ren Lan­den auf, wie wenn eine La­wi­ne, die sich auf sie her­ab­zu­wäl­zen schi­en, plötz­lich ab­seits in einen Ab­grund ge­stürzt wäre. Alle, die sich be­droht fühl­ten, eil­ten Bünd­nis­se zu schlie­ßen; im Au­gust, nach der Über­lie­fe­rung war es der ers­te, tra­ten Män­ner von Uri, Schwyz, Un­ter­wal­den zu­sam­men, um den Schwur zu er­neu­ern, den sie frü­her in der Not ge­schwo­ren hat­ten, einen Schwur, der ihre Per­so­nen nicht nur, son­dern die Län­der, die sie ver­tra­ten, auf ewi­ge Zeit zu ei­ner Ge­nos­sen­schaft ver­bin­den soll­te. Man kann an­neh­men, dass ein Herr von At­ting­hau­sen von Sei­ten Uris und ein Stauf­fa­cher von sei­ten der Schwy­zer da­bei wa­ren, denn die­se Na­men er­schei­nen im­mer als die­je­ni­gen, die die Ge­schi­cke ih­rer Län­der lei­te­ten. Sie ver­leug­ne­ten nicht den Cha­rak­ter ger­ma­ni­scher frei­er Bau­ern: un­ge­stüm tap­fer, wenn es zum Kämp­fen kam, wa­ren sie vor­sich­tig zu­rück­hal­tend in der Verant­wor­tung des vor­be­rei­ten­den Han­delns, ganz und gar kon­ser­va­tiv in der Ge­sin­nung. Die ehr­wür­di­ge Ur­kun­de, die die Be­din­gun­gen der Schwur­ge­nos­sen­schaft fest­setzt, nennt den Feind nicht ge­ra­de­zu, ge­gen den sie sich rich­tet; es sol­len, heißt es, die Rechts­zu­stän­de wie­der­her­ge­stellt wer­den, wie sie vor Kö­nig Ru­dolfs Zeit wa­ren. Das We­sent­li­che war der enge Zu­sam­menschluss der Schwur­ge­nos­sen: ihre Strei­tig­kei­ten sol­len von ei­nem Schieds­ge­richt ent­schie­den wer­den. Die be­ste­hen­den Herr­schafts­ver­hält­nis­se sol­len nicht an­ge­tas­tet wer­den; die frei­en Män­ner von Schwyz und Uri hat­ten Hö­ri­ge, wer Knecht war, soll­te auch künf­tig Knecht blei­ben. Was für be­wun­derns­wer­te Po­li­ti­ker die­se Berg­be­woh­ner wa­ren, be­wie­sen sie ei­ni­ge Mo­na­te spä­ter, als sie den Kreis ih­rer Be­stre­bun­gen durch einen küh­nen Schritt er­wei­ter­ten und mit der Stadt Zü­rich ein Bünd­nis ab­schlos­sen. Es war eins der vie­len Bünd­nis­se, die im Reich ge­schlos­sen wur­den, bald auf ein Jahr, bald auf meh­re­re Jah­re, die vor­über­ge­hen­den Zwe­cken dienten und ohne Fol­gen blie­ben; aber es war ein­zig als Bünd­nis zwi­schen Bau­ern­schaf­ten und ei­ner Stadt, als der Keim ei­nes Staa­tes, der im Abend­lan­de oh­ne­glei­chen war.