Träume - Spiegel der Seele, Krankheiten - Signale der Seele

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KAPITEL 5

Nackt- und Entblößungsträume

Kleider haben eine Bedeutung. Sie schützen den Menschen, sie verdecken ihn. Menschen, die sich eine Blöße geben, die entblößt werden, schämen sich. Entblößungsträume sind also Träume, die eng mit dem Schamgefühl des Menschen und mit seinen Schuldgefühlen verbunden sind. Menschen, die schnell und gern Dinge auf sich beziehen und Schamgefühle als bedrückend erleben, träumen häufiger von Entblößungen.

Die Freud’sche Psychoanalyse hat uns deutlich zu machen versucht, dass Nacktträume in der Regel mit sexuellen Gefühlen oder mit Schuldgefühlen wegen Sex zu tun haben. In Wirklichkeit geht es um die Frage, in welcher Weise der Ratsuchende sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nackt, enthüllt, verletzt, bloßgestellt oder ungeschützt vorkommt. Die Deutung der Entblößungsträume kann deshalb verschieden sein:

 Die einen fühlen sich nackt und möchten am liebsten im Boden versinken,

 die anderen sind unsicher, fühlen sich nicht richtig angezogen; die Kleidung symbolisiert eine starke Selbstwertstörung,

 wieder andere haben sich nicht recht benommen und kleiden den Traum in eine Entblößung,

 die Entblößung kann ein unmoralisches Verhalten symbolisieren; der Träumer fühlt sich ertappt und bloßgestellt,

 die Unordentlichkeit der Kleider kann einen unordentlichen Lebenswandel widerspiegeln,

 die Entblößung kann das Unpassende ins Bewusstsein heben. Jemand fühlt sich in einer Gesellschaft fehl am Platz.

Ich gehöre da nicht hin

Ein Chemiker, der im Forschungslabor eines großen Werkes beschäftigt ist und von seiner Frau zur Beratung gedrängt wurde, hat folgenden Traum:

»Die Firma hat alle leitenden Mitarbeiter eingeladen. Die anwesenden Männer und Frauen sind überaus festlich gekleidet. Alle Frauen tragen lange Gewänder. Die meisten Männer haben sogar eine Fliege umgebunden. Sie stehen zusammen und unterhalten sich angeregt. Ich sehe mich an einem Fenster stehen, mache mir an einer Pfeife zu schaffen und entdecke plötzlich, dass ich nur eine Unterhose anhabe. Einige Herren schauen mich an und schütteln den Kopf. Ich hätte mich am liebsten in Luft aufgelöst.«

Wir gehen gemeinsam diesen Traum durch.

»Was ist Ihr Eindruck an der dichtesten Stelle des Traumes?«

Der Ratsuchende sagt: »Ich gehöre da nicht hin! Das ist nicht meine Welt.«

Im Traum bringt der Mann sein Lebensproblem zur Sprache. Die Frau leidet unter seiner Sprachlosigkeit. Der Mann flieht zu Hause in den Keller, in dem er sich ein großes Privatlabor eingerichtet hat. Vor der Tür hängt ein nicht zu übersehendes Schild: »Eintritt verboten!«

Der Chemiker ist ein Einzelgänger und Einsiedler. Partys sind ihm zuwider. Er hasst das oberflächliche Geschwätz der Menschen. Er hasst aber auch das »Aufgeputzte« und »Aufgemotzte«. Für ihn bedecken die langen Kleider der Frauen nur ihre Geistlosigkeit.

Er selbst steht im Traum als Einziger abseits. Die anderen können sich gut unterhalten. Sie haben Gesprächsstoff. Er macht sich an seiner Pfeife zu schaffen.

»Wie erleben Sie diese Szene im Traum?«

Der Chemiker lächelt: »Schon als Student habe ich das Pfeiferauchen angefangen. Ich sehe nur einen Grund: Wenn ich an der Pfeife hantiere, muss ich nicht reden. Ich bin beschäftigt. Ich falle nicht auf.«

»Plötzlich sehen Sie sich in der Unterhose. Was geht in Ihnen vor?«

Der Mann sagt: »Du bist anders als die anderen. Hier hast du nichts zu suchen. Elegante Anzüge und Unterhosen vertragen sich nicht.«

»Und die Herren, die den Kopf schütteln?«

»Die kennen mich. Ich bin als Querdenker verschrien. Sie schütteln den Kopf und lassen mich laufen. Keiner wagt es, mich umzustimmen. Keiner redet mir gut zu.«

An dieser Stelle geht die Frau des Chemikers dazwischen. Bis dahin hat sie ruhig zugehört. »Du gibst dir für dein unfreundliches Verhalten die passenden Erklärungen. Du glaubst, die anderen respektieren deine Frechheit. Nein, sie schütteln den Kopf. Und ich schüttele ihn auch. Du bist verheiratet, und wir haben drei Kinder. Wir alle haben ein Anrecht auf deine Gegenwart. Aber du ziehst dich in deine Laborwelt zurück.«

Der Angriff der Frau ist gezielt und überlegt inszeniert. Sie will mich zur Stellungnahme herausfordern. Ich soll für sie gegen ihren Mann Position beziehen.

»Und welche Schlüsse ziehen Sie aus diesem Tun? Was will der Traum Ihnen sagen?«, frage ich.

Der Mann reagiert ganz anders, als die Frau es erwartet hat. Er verteidigt sich nicht und geht auch nicht zum Gegenangriff über. Er sagt: »Du hast mich in die Beratung geschickt, weil du unglücklich bist. Bisher wollte ich das nicht einsehen. Aber ich spüre, auch die Kinder ziehen sich von mir zurück. Ich fühle mich in meiner Forschungsarbeit wohl, da besteht kein Zweifel. Aber ich bin auch einsam. Manchmal sogar sehr einsam. Und ich will da raus. Der Traum hat mir klargemacht, ich bin nicht nur ein Querdenker, ich bin auch ein Querschläger.«

Der Traum wird der Einstieg für eine Reihe von Ehegesprächen zu dritt.

Wahrscheinlich ist der geschilderte Traum kein typisches Beispiel für Nacktträume, aber ein Hinweis, wie gründlich wir unsere Blöße oder unsere Schwächen preisgeben. Auch die Schuld wird vom Träumer so gründlich uminterpretiert, dass sein Lebensstil das Handeln rechtfertigt. Der Lebensstil dieses Mannes bedeutet aber eine verzerrte Wahrnehmung; er spiegelt ein unpartnerschaftliches Denken wider und rechtfertigt die »Ich-gehör-da-nicht-hin-Haltung«. Die therapeutische Seelsorge hat die Aufgabe, die Lebenslügen aufzudecken.

Ich schäme mich zu Tode!

Ein Traum, der deutlich Beziehungsprobleme zur Sprache bringt, sieht zum Beispiel so aus:

»Meine Freundin hatte zur Geburtstagsfeier eingeladen. Es kamen viele Freunde, die ich gut kannte. Mein Mann forderte die Gesellschaft auf, sich zu erheben und mit Sekt auf das Geburtstagskind anzustoßen. Und da passierte etwas Unangenehmes. Indem mein Mann das Glas anhob, rutschte ihm die Hose weg. Ich stand etwas im Hintergrund und kriegte das genau mit. Keiner der Anwesenden sah das aber, denn alle starrten auf das Geburtstagskind. Plötzlich drehten sich alle zu mir hin. Ich schaute betroffen an mir herunter und entdeckte, dass ich splitternackt war. Ich wäre am liebsten gestorben.«

Wie verstehen wir diesen Traum? Dazu einige Anmerkungen:

a) Traum und Problem gehören zusammen

Die Frau, die diesen Traum in die dritte Beratungsstunde mitbrachte, war ursprünglich gekommen, um Eheprobleme zu besprechen. Sie war mit ihrem Mann unzufrieden und hatte viele Punkte an ihm auszusetzen. Ich hatte mir an den Rand der Notizen aus der ersten Stunde geschrieben: »Sieht nur die Probleme beim andern!« Von ihren Schwächen und Anteilen war überhaupt nicht die Rede gewesen.

b) Wer kommt zur Party?

Eingeladen hatte die Freundin der Frau. Die Teilnehmer sind also in erster Linie der Familie und der Frau bekannt. Die Frau betont darum auch, dass sie selbst die Gäste gut kennt.

c) Die Unterhose des Mannes bemerkt keiner

»Haben Sie dafür eine Erklärung?«, frage ich die Frau. Sie selbst hat im Traum ihren Mann entblößt – um nicht zu sagen »ausgezogen«. Die Ratsuchende sagt: »Vielleicht kümmert sich darum keiner um die Unvollkommenheit meines Mannes, weil nur ich ihn in- und auswendig kenne.«

»Und woher?«

Die Ratsuchende lächelt und erzählt eingehend, wie oft sie sich im »Damenkränzchen« treffen und eingehend über ihre Männer »herziehen«. Die Frau bekennt, dass sie eine schlimme Kritikerin ist, die häufig vom Leder zieht und den Partner »entblößt«.

d) Plötzlich steht die Frau im Mittelpunkt des Interesses

»Wie verstehen Sie diesen Traumabschnitt? Alle wenden sich Ihnen zu?«

Die Träumerin schüttelt den Kopf, damit könne sie nichts anfangen. Sie sehe auch keinen Sinn in dem Ganzen. »Und warum wären Sie am liebsten gestorben?« Sie sagt: »Weil ich ganz nackt dastand. Das ist doch ein entsetzliches Gefühl.«

»Und warum entwerfen Sie einen Traum, in dem Sie sich selbst splitternackt zeigen? Warum schämen Sie sich? Was ist Ihnen so peinlich?«

Die Ratsuchende nimmt ihren Kopf in die Hände. Offensichtlich schämt sie sich. Nach einer Weile des Nachdenkens sagt sie: »Ich bin ja noch schlimmer dran als mein Mann.«

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Ich habe über ihn geredet und ihn angeschwärzt. Aber Sie wissen ja gar nicht, was ich auf dem Kerbholz habe!«

Ich warte, um sie nicht zu drängen. Und dann kommen eine Reihe ehebrecherischer Begebenheiten ans Licht.

»Ich bin eine Heuchlerin. Ich schäme mich zu Tode. Aber ich bin froh, jetzt ist es raus!«

Die Beichte setzt einen Gesinnungswandel in Gang. Heuchelei und raffinierte Ablenkungsmanöver haben ein Ende. Die Schuldverschiebung, ein beliebtes Versteckspiel seit Adam und Eva im Paradies, hört auf.

Es ist schon so: Im Traum bringen wir unsere geheimsten Wünsche, unsere Schwächen und Blößen zur Sprache. Wir zeigen uns nackt, wie wir sind. Gott reißt uns nicht gewaltsam die Maske vom Gesicht. In einsichtigen Bildern hält er uns einen Spiegel vor. Wir können die Entblößung akzeptieren oder den Spiegel zerschlagen. Wir haben es in der Hand. Verständlich, dass viele Menschen darum nicht an die »nackten Tatsachen« heranwollen. Auch die Ratsuchende ist erschrocken darüber, wie sie im Traum das, was sie mir bisher zielstrebig verschwiegen hat, unverhüllt offenbart.

 

Nackt auf der Kanzel

Ein Pfarrer, seit zwei Jahren im Amt, träumt eines Nachts einen kurzen, aber eindrücklichen Traum:

»Es ist Sonntag, der Gottesdienst läuft, ich stehe auf der Kanzel und verlese den Text. Ich habe mir eine glänzende Predigt zurechtgelegt. Viele Ausleger habe ich zu Hilfe genommen. Ich sehe mich gestikulieren.

Plötzlich lacht die Gemeinde. Es wird unruhig. Keiner hört mir richtig zu. Ich bin verwirrt. Als ich an mir herunterschaue, entdecke ich, dass ich oberhalb der Kanzelbrüstung einwandfrei angezogen bin, aber darunter bin ich nackt. Der Talar geht nur bis zu den Knien. Ich gebe eine komische Figur ab. Und die Kanzel ist aus Glas. Ich rede noch und bin schweißnass und weine.«

Was bringt der Traum zur Sprache?

a) Der rote Faden in Traum und Problem

Pfarrer G. ist seit zwei Jahren als Gemeindepastor im Amt und unglücklich. Er sucht die Beratung auf, um eine Bestandsaufnahme seines Lebens zu machen. Er hat lange Theologie studiert und einige Semester »verschlampt«, wie er sagt. Immer wieder hat ihn die Frage beschäftigt: »Bist du eigentlich von Gott berufen?« Er ist ein gründlicher Mann, der nicht leichtfertig Theologie studiert hat. Was er macht, will er ganz machen. Noch ist er unverheiratet, weil er auch da nicht eine x-beliebige Partnerin wählen will, sondern eine Frau, die Gott für ihn auserwählt hat.

b) Der Anlass für den Traum

Pfarrer G. wollte über einen Text mit dem Thema »Erwählung« predigen. Er sah sein eigenes Lebensthema mit dem Text verwoben. Schon Wochen vor der Predigt sammelte er Auslegungen, besuchte die theologische Bibliothek und schrieb Predigteindrücke auf ein Blatt Papier. In der Nacht von Samstag auf Sonntag hatte er den besagten Traum. Sonntag sollte er die Predigt halten.

c) Haupteindruck des Traumes

»Ich stehe blamiert da. Ich bin ein Versager.« Der Pfarrer stellt die Blamage und das Versagen als Haupteindruck dar. Sein Lebensgefühl, von Gott nicht bestätigt zu sein, scheint der Traum auch deutlich zu machen. Das alles vermittelt mir der Ratsuchende.

d) Die glänzende Predigt

Pfarrer G. ist äußerst gewissenhaft. Seine Predigten werden gründlichst vorbereitet. Tagelange Arbeit investiert er in eine zwanzigminütige Ansprache.

»Lassen Sie Ihre glänzende Predigt sprechen?« ermutige ich ihn. Und er sagt, dass die biblischen Texte exegetisch sauber erarbeitet würden, bevor er sie für die Predigt zurechtschnitte. Es handele sich aber um viel angelesenes Wissen. Er habe schon den Eindruck, dass seine Predigten »äußeren Glanz« verrieten, aber ihm fehle der geistliche Funke.

e) Was bedeutet die Entblößung?

Hier wird das Lebens- und Glaubensproblem des Pfarrers deutlich. Er will überdurchschnittliche Predigten liefern. Sie sollen äußerlich glänzen und vollmächtig den Hörer treffen. Er hadert mit Gott, dass er nicht ein vollkommener Prediger ist. Er hadert mit seinem Leben, dass er diese Vollkommenheit als Gemeindepfarrer nicht aufweisen kann. Er glaubt, ein Seelsorger und Verkündiger müsse ein tadelloses Vorbild für die Gemeinde sein.

f) Er ist oberhalb der Kanzelbrüstung einwandfrei angezogen

Pfarrer G. entdeckt selbst im Traum, dass er oberhalb der Brüstung »einwandfrei angezogen« ist.

»Wie verstehen Sie sich selbst oberhalb der Brüstung?«

Ihm fällt dazu ein, dass er mit dem Intellekt und mit der Vernunft nicht auf Kriegsfuß lebt. Diese Teile seiner Persönlichkeit helfen ihm, eine »glänzende Predigt« zu halten. Aber er will mehr. Er will nicht nur äußerlich beeindrucken. Er will die Herzen anrühren. Seine Vergangenheit in einem frommen christlichen Jugendverband legt ihm nahe, so zu predigen, dass Menschen sich bekehren. Ihm liegt daran, Menschen wachzurütteln und vor die Entscheidung für oder gegen Christus zu stellen.

g) Die Kanzel ist aus Glas

Pfarrer G. fühlt sich durchschaut. Er gibt eine komische Figur ab. Seine christliche Existenz ist nicht makellos. Die Gemeinde sieht, dass nicht alles in seiner Persönlichkeit stimmig ist. Er glaubt, die Gemeinde lache über seine bloßen Stellen. Er möchte hundertprozentig ernst genommen werden. Sein Eindruck ist, er stehe Gott und der Gemeinde im Wege, seine Blößen machten ihn für das Pfarramt untauglich.

h) Hilfreiche Träume

Pfarrer G. weint, als er aus dem Traum erwacht. Ich konfrontiere ihn mit den letzten Aussagen. »Was sagt der Traum?«

Er sei für die Gemeinde untragbar. Seine »komische Figur« sei eine Zumutung für die Gemeinde.

Wir fassen noch einmal seine Gedanken zum Traum zusammen und suchen den roten Faden, der Traum und Problem verbindet.

Da wird dem jungen Pfarrer deutlich:

 Er glaubt, sich der Gemeinde nicht zumuten zu dürfen.

 Er glaubt, Gott suche einen vollkommenen Seelsorger.

 Sein persönliches Vollkommenheitsstreben, sein angestrebter Perfektionismus stehen ihm im Wege.

 Er glaubt, die Gemeinde lache über ihn, weil er seine Blößen für unverzeihlich hält. In Wirklichkeit lieben ihn die Gemeindeglieder, aber er kann und will es nicht glauben.

 Er glaubt, die Gemeinde erwarte einen Prediger, der über alle menschlichen Schwächen und Blößen erhaben ist.

 Er produziert einen Traum, der ihm die Rechtfertigung liefern soll, für das Pfarramt untauglich zu sein. In Wirklichkeit deckt der Traum ein falsches Selbstbild, irrige Glaubensüberzeugungen und eine Erwartungshaltung auf, die völlig überzogen ist. Je mehr er sich zwingt und seine Vollkommenheit beweisen will und muss, desto mehr Blößen kommen ans Licht. Im Lichte des Traumes erkennt er seine Selbstrechtfertigung. Der Traum offenbart einen Lebensstil, der leider vielen ernsthaften Christen zu schaffen macht: Sie wollen selbst und aus eigener Kraft vollkommen sein.

KAPITEL 6

Der Tod im Traum

Ratsuchende sind nicht selten bestürzt, wenn geliebte Personen im Traum sterben. Das Traumgeschehen lässt sie nicht los. Immer wieder entwickeln sie Schuldgefühle und große Ängste. Nicht selten sind die Träume äußerst realistisch und schildern den Tod als unvergessliches Ereignis.

Mutters Beerdigung

Frau B. will unbedingt in der Beratung über einen Traum sprechen, den sie vor Tagen hatte und der ihr den Alltag zur Qual macht. Ihre Mutter, die sie sehr liebt, war zu Besuch. Aber am letzten Tag gerieten beide heftig aneinander. Die Mutter verabschiedete sich von der Tochter mit Tränen in den Augen und fuhr mit dem Zug ab. Frau B. träumt einige Tage später:

»Ich gehe die Hauptstraße entlang, die durch unseren früheren Wohnort führt. Bis zu meinem zehnten Lebensjahr haben wir dort gewohnt. Plötzlich begegnet mir ein Leichenzug. Die Männer, die am Rande stehen, nehmen den Hut ab. Auch ich bleibe stehen. Neben mir ist eine Frau vom Fahrrad abgestiegen und wartet auch, bis der Leichenzug vorbei ist. Ich frage sie, wer gestorben sei, und sie antwortet, indem sie an mir vorbeischaut: ›lrene T.‹ Das ist der Name meiner Mutter. Ich werde wach, eine schreckliche Angst überfällt mich. Ich fliege mit dem ganzen Körper hoch und schreie: ›Mutter, Mutter, Mutter.‹«

Frau B. schaut mich mit großen, weit aufgerissenen Augen an: »Sagen Sie mir ja nicht, dass der Traum wahr wird!«

Was macht der Traumzusammenhang deutlich?

 Frau B. hat mit ihrer Mutter, die sie liebt, eine schwere Auseinandersetzung gehabt. Beide sind mit bedrückenden Gefühlen auseinander gegangen. Die Tochter hat schwere Schuldgefühle empfunden.

 Frau B. hat das Gefühl, die Mutter sei schwer gekränkt und könnte sich von der Tochter zurückziehen.

 Frau B. produziert einen Angst erregenden Traum, der die Spannung zwischen Mutter und Tochter zuspitzt. Ihr kommt es in der Tiefe der Seele vor, als sei die Mutter wirklich gestorben. Mit anderen Worten: Der schmerzvolle Abschied ruft in der Tochter so starke Schuldgefühle hervor, dass sie aus der Trennung den Tod der Beziehung ableitet. Die Tochter lässt die Mutter im Traum sterben.

 Frau B. sagt: »Der Traum hat mir einen Stoß versetzt. Ich habe mein liebloses Verhalten erkannt. Die Todesangst um meine Mutter hat mein Verhalten zu ihr umgekrempelt.«

 Frau B., die vom christlichen Glauben nicht viel hält, ist überzeugt, dass »jenseitige Mächte« ihr diesen Schrecken im Traum eingejagt haben.

Wenn Menschen unserer Umgebung im Traum sterben, sind mehrere Deutungen möglich, die mit den Ratsuchenden genau erörtert werden müssen:

 Der Träumer will diese Person los sein und lässt sie im Traum sterben. Die Zielrichtung des Traumes ist eindeutig.

 Der Träumer weiß um Hass und Wut auf den Partner, Eltern, Kinder oder den Chef. »Ich hasse dich. Ich wollte, du wärst tot!« Da der Traum Gefühle dramatisiert, kann es Träume geben, in denen Menschen sterben.

 Der Träumer kann eine Scheidung, die er herbeisehnt oder befürchtet, im Traumgeschehen in einen Tod umwandeln, sodass der Tod des Gatten das Ende einer Beziehung signalisieren kann.

 Der Träumer ist mit bestimmten Eigenschaften seiner eigenen Person absolut nicht einverstanden. Er lässt sie in einer anderen Figur, die im Traum auftaucht, sterben.

 Der Träumer erlebt eine große Verlustangst, die im Sterben symbolisch zur Sprache kommt.

 Der Träumer, der mit geliebten Personen zusammenlebt, die alt werden oder krank sind, kleidet seine Befürchtungen im Wachen und im Unbewussten in einen Traum vom Sterben.

 Der Träumer ahnt wirklich den Tod eines Menschen voraus.

Darüber gibt es viele Theorien. Eine eindeutige Antwort steht bis heute aus. Aber warum kann Gott nicht bestimmten Menschen im Traum eine Botschaft mitteilen, die den Tod einschließt?

Katharina Luther träumt vom Tod

Martin Luther, der große Reformator und Bibelübersetzer, hatte einen guten Freund, Philipp Melanchthon. Melanchthon war ein sehr ängstlicher Mensch und beschäftigte sich intensiv unter anderem mit Astrologie und Traumdeutung.

Eines Tages hörte er von Luthers Frau Katharina, sie habe einen Traum gehabt, der sie beunruhigte. Zu der Zeit war ihre Tochter Magdalene krank. Im Traum waren Katharina Luther zwei schöne junge Männer erschienen, die festlich gekleidet gewesen seien, um die Tochter Magdalene zur Hochzeit abzuholen. Melanchthon hielt sich zurück, Frau Katharina seine Befürchtungen mitzuteilen. Aber anderen vertraute er seine Traumdeutung an:

»Die jungen Gesellen sind die lieben Engel, die werden kommen und die Jungfrau ins Himmelreich führen zur ewigen Hochzeit.«

Tochter Magdalene starb am selben Tag.1

Der Traum von Luthers Frau muss nicht unbedingt als prophetischer Traum gewertet werden. Tochter Magdalene war schon eine Zeitlang schwer krank. Und die Befürchtungen der Eltern, der Tochter könnte etwas Schreckliches zustoßen, lagen auf der Hand. Wir wissen heute, dass viele Träume, in denen der Tod von lieben Menschen vorweggenommen wird, berechtigte Befürchtungen beinhalten. Aber auch das andere gilt: Gott kann uns im Traum den Tod von geliebten Menschen zeigen.

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