Martin Luthers theologische Grundbegriffe

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Exempel



→ Geschichte



1. Exempel und Historien geben und lehren allzeit mehr, als die Gesetze und das Recht: dort lehrt die gewisse Erfahrung, hier lehren unerfahrene, ungewisse Worte (6, 261, 20–22; vgl. 50, 383, 2–13). Äußere Beispiele bewegen nicht genug, da sie nicht empfunden werden und nicht lebendig sind; das innere Beispiel aber wird innerlich empfunden, lebt und lehrt in wirksamster Weise, nicht durch Buchstaben, Worte, Gedanken, sondern durch den Sinn der Erfahrung (2, 577, 30–33). An Exempel ist die Bibel voll, die nichts anderes als Gottes Werke und Wort lehrt, Menschenwerk und -wort verwirft (7, 594, 27–29). Dass niemand mit Werken zu Gott kommen und selig werden möge, als durch den Glauben, das treibt die Schrift in allen Exempeln und Lehren durch und durch (12, 403, 4–6). Die Schrift gewährt nicht nur Tröstungen der Verheißungen, sondern auch vielerlei Beispiele und Geschichten, durch die der Glaube an Gott genährt und befestigt wird (31II, 643, 28f.).



2. Christus als Exempel: Sein Wort und Werk soll in allem Leben ein kräftiges Exempel und Spiegel aller Tugenden sein (6, 15, 32–34; vgl. 275, 31–34). Aber man soll nicht aus Christus einen Mose machen, so dass er nicht mehr als lehre und Exempel gebe, wie es die anderen Heiligen tun, als sei das Evangelium eine Lehre oder Gesetzbuch. Darum sollst du Christus, sein Wort, Werk und Leiden in zweierlei Weise erfassen. Einmal als ein dir vorgetragenes Exempel, dem du folgen sollst. Das Hauptstück und der Grund des Evangeliums aber ist, dass du Christus zuvor, ehe du ihn zum |72|Exempel fassest, aufnimmst und erkennst als eine Gabe und Geschenk, das dir von Gott gegeben und dein eigen sei (10I.1, 10, 20–11, 15). Wenn du nun Christus so hast zum Grund und Hauptgut deiner Seligkeit, dann folgt das andere Stück, dass du ihn auch zum Exempel fasst, ergibst dich auch also deinem Nächsten zu dienen, wie du siehst, dass er sich dir ergeben hat. Christus als eine Gabe nährt deinen Glauben und macht dich zum Christen. Aber Christus als ein Exempel übt deine Werke, die machen dich nicht zum Christen, sondern sie gehen von dir aus als Christ, der schon zuvor zu einem solchen gemacht wurde (10I.1, 12, 12–20; vgl. 475, 3–16; 10I.2, 15; 22; 37f.; 247f.; 12, 372). Das andere, das dies Vorbild so hoch und unvergleichlich macht, ist, dass er nicht für sich selbst, auch nicht allein zum Exempel, sondern für uns gelitten hat. Das ist nun am allerwenigsten zu erlangen, mit diesem Stück hat Christus kein Exempel hinterlassen und es kann ihm niemand hierin nachfolgen, sondern er ist es allein, der für alle gelitten hat (21, 301, 28–36). Wir leugnen nicht, dass die Frommen Christi Beispiel nachahmen und gut handeln sollten, aber dadurch werden sie nicht gerecht vor Gott (40I, 389, 16f.).



3. Deutung: Darum lassen wir kein Exempel zu, auch von Christus selbst nicht, geschweige von andern Heiligen, es sei denn Gottes Wort dabei, das uns deute, welchen wir folgen oder nicht folgen sollen. Wir wollen am Werk und Exempel nicht genug haben, ja wir wollen keinem Exempel folgen, das Wort wollen wir haben, um welches willen alle Werke, Exempel und Wunder geschehen (18, 114, 25–30).



4. Die Exempel der Apostel sind die höchsten und nächsten vor allen Heiligen, die uns am besten unterweisen und Christus aufs klarste lehren (10I.2, 57, 11–26). Sie haben uns lauter gepredigt den Glauben, ihr Exempel allein dazu geordnet und dienen lassen, dass Christus in uns regiert und der Glaube lauter bliebe, dass wir nicht ihr Wort und Werk aufnehmen, als wäre es ihr Ding, sondern dass wir Christus in beidem, ihren Worten und Werken, lernten (10I.2, 58, 5–9).



5. Es ist gesagt, wie die Heiligen vielmals irren in menschlichen Lehren und Werken. Darum will Gott nicht, dass wir auf ihr Exempel, sondern auf seine Schrift sehen sollen (10I.1, 605, 12–14).



6. Der Beweis des Glaubens geschieht nur durch das Beispiel der ganzen Kirche in der Welt (2, 431, 30f.; vgl. 5, 532, 30–33).



7. Es ist falsch, dass man die Evangelien und Epistel achtet gleich wie Gesetzbücher, darin man lernen soll, was wir tun sollen, und die Werke Christi nicht anders denn als Exempel uns vorgebildet werden (10I.1, 9, 1–3).



📖 Dietrich Rössler, Beispiel und Erfahrung. Zu Luthers Homiletik, in: ders., / Hans Martin Müller, Hg., Reformation und Praktische Theologie, 1983, 202–215.















Figur



→ Allegorie, Bild, Metapher, Zeichen



1. Die heilige Schrift verwendet sehr häufig grammatische Figuren, Synekdoche, Metalepse, Metapher, Hyperbole, ja in keiner anderen Schrift gibt es mehr Figuren. Auch wenn ‚Himmel‘ in der ganzen Schrift ein einfaches und eindeutiges Wort ist, das jenes hohe Firmament bezeichnet, wird er doch im Ps 19 als Metapher für die Apostel |73|verwendet. Was die Erde als einfaches Wort bedeutet, weiß jeder, metaphorisch bedeutet es die durch Laster und Böses niedergetretenen Gottlosen (8, 83, 32–37). Wo eine Figur, Symbol oder Gleichnis sein soll, da eines das andere bedeuten soll, da muss ja etwas gleiches in beiden angezeigt werden, darauf das Gleichnis stehe (26, 391, 29–31).



2. Das Alte Testament ist eine Figur des Neuen Testaments gewesen (6, 302, 21). Die Figuren des Alten Testaments gaben keine Gnade, aber sie heißen nicht Sakramente, denn in den Figuren war kein Wort oder Zusagung Gottes, was sein muss, wo ein Sakrament sein soll, sondern sie waren bloße Figuren oder Zeichen (7, 327, 22–29).



3. Figur und Erfüllung der Figuren verhalten sich gegeneinander wie ein leibliches und geistliches oder äußerliches und innerliches Ding, da man die Erfüllung von allem, was man in der Figur mit leiblichen Augen gesehen hat, allein mit dem Glauben sehen kann (6, 302, 31–34; 303, 12–15). Das alte Gesetz und seine Figuren müssen im neuen erfüllt werden (6, 304, 29f.). Wer die Erfüllung nicht zuvor in der Schrift beweisen kann, der nimmt seinen eigenen Traum für die Figur, denn aller Figuren Erfüllung steht im Neuen Testament (8, 347, 24–29; 386, 17–21). Das alte Testament hat gedeutet auf Christus, das neue aber gibt uns nun das, was vorher im alten verheißen und durch die Figuren bedeutet gewesen ist. Darum sind die Figuren aufgehoben, denn dazu haben sie gedient, dass jetzt vollendet ist und ausgerichtet und erfüllt, was darin verheißen ist (12, 275, 26–30).



4. Deutung: Wenn auch die Figuren fleischlich klingen, werden sie doch jetzt geistlich verstanden (4, 173, 40). Die Figur gehört in die leibliche, die Deutung in die geistliche Welt (8, 388, 19f.). Niemand anderes darf die Figur auslegen als der heilige Geist selbst, der die Figur gesetzt und Erfüllung gebracht hat, auf dass Wort und Werk, Figur und Erfüllung und beider Erklärung Gottes selbst, nicht der Menschen sind, auf dass unser Glaube auf göttliche, nicht menschliche Werke und Worte gegründet sei (6, 304, 11–14). In keiner Schrift, am wenigsten in der göttlichen, darf man mit reiner Willkür Figuren annehmen, sondern muss sie vermeiden und sich auf die einfache, reine und nächstliegende Bedeutung der Wörter stützen, es sei denn, der Zusammenhang selbst oder eine offenbare Absurdität zwingen dazu, eine Figur zu erkennen (8, 63, 27–30). Die Deutung der Figur kann dreierlei Weise geschehen. Zum ersten, wenn die Schrift selbst deutet. Solche Deutungen zwingen und sind Artikel des Glaubens. Die andere ist, wo die Schrift nicht selbst deutet, sondern da jeder gläubiger Verstand die Figur einführt und gründet um ihres Gleichnisses willen auf etliche klare Sprüche. Die dritte Weise ist eine bloße Deutung aus eigenem Gutdünken, wo die Figur allein ist und sonst nichts davon in der Schrift steht. Diese Deutung ist Irrtum (8, 386, 31–387, 15). Das, was dunkel mit Figuren gesprochen ist, sollen wir deuten mit dem, was ohne Figuren und einfach gesprochen ist (13, 638, 17–29).



5. Gebrauch: Augustin sagte: eine Figur beweist nichts (9, 456, 12; vgl. 7, 649, 28; 8, 63, 26; 154, 1f.; 345, 18; 346, 33f.). Aus bloßer Figur etwas zu begründen oder beweisen, ist falsch, da die Figur erst nach der erfolgten Erfüllung als Hinweis auf sie verstanden werden kann (8, 346, 13–22). Deshalb nützt sie nichts in theologischen Auseinandersetzungen oder zur Erbauung des Glaubens. Denn Figuren und Deutungen sind nicht genug, den Glauben zu begründen, er muss zuvor gegründet sein mit klarer Schrift, einfältig verstanden nach Laut und Meinung der Worte. Nach solchen Worten und Grund des Glaubens sind solche Deutungen der Geschichten auf den Glauben zu bauen (10I.1, 417, 12–16).



|74|📖 Anna Vind, Über die theologische Verwendung rhetorischer Figuren bei Luther, in: Oswald Bayer, Hg., Creator est Creatura, 2007, 95–124.















Fleisch/Geist



→ alt/neu, Leib/Seele, Mensch, Sünde



1. Fleisch wird nicht nur als Sinnlichkeit oder Begierde des Fleisches verstanden, sondern als alles das, was ohne die Gnade und den Geist Christi ist (2, 509, 21f.). Die Scholastiker unterscheiden Fleisch und Geist metaphysisch als zwei Substanzen, wo doch der ganze Mensch Geist und Fleisch ist, Geist, insofern er das Gesetz Gottes liebt, Fleisch, insofern er das Gesetz Gottes hasst (2, 415, 7–10). Mit Fleisch wird der ganze Mensch bezeichnet, mit Geist ebenso der ganze, und man muss unterscheiden den inneren und den äußeren Menschen oder den neuen und den alten nicht gemäß der Unterscheidung von Seele und Leib, sondern gemäß dem Affekt. Denn die Frucht und die Werke des Geistes sind Friede, Glaube, Beständigkeit usw. und dies geschieht im Leib (2, 588, 30–33). Mit dem Wort Fleisch wird der alte Mensch bezeichnet, nicht nur, weil er durch sinnliches Begehren getrieben ist, sondern auch, wenn er fromm, weise, gerecht ist, weil er nicht aus Gott durch den Geist wiedergeboren ist (1, 146, 14–16). Unser Fleisch wird in der ersten Sünde durch zwei Wunden schwer geschlagen. Die erste ist die Reizbarkeit zum Bösen, die zweite die Begierde. Diese beiden Wunden werden uns durch die Gebote erkennbar, aber durch die Gnade geheilt (1, 484, 32–34). Die Weisheit des Fleisches, die Sinnlichkeit genannt wird, ist Selbstsucht, d.h. wenn die Vernunft anstrebt, was ihr recht und gut erscheint, obwohl sie das nicht vermag und von Gott erbitten muss, damit sie von seinem Geist belehrt werde, was nicht bloß recht und gut zu sein scheint, sondern ist (1, 34, 1–4). Fleisch heißt die Schrift den ganzen Menschen, wie er von Vater und Mutter geboren ist, leben, wirken, denken, reden und tun kann. Das alles ist nichts anderes als Fleisch, das ist, ohne Geist. Ohne Geist sein heißt nichts anderes als in Gottes Reich nicht kommen können, das ist, in Sünden unter Gottes Zorn, zum ewigen Tod verdammt sein (21, 532, 29–38; vgl. 22, 133, 29–39). Man muss verstehen, dass der Mensch mit Vernunft und Willen, inwendig und auswendig, mit Leib und Seele Fleisch heißt, darum, dass er mit allen Kräften auswendig und inwendig nur sieht, was fleischlich ist und was dem Fleisch wohl tut (12, 373, 18–34). Das Wörtlein Fleisch muss man so verstehen, dass der ganze Mensch Fleisch heiße, wie er lebt, wie er auch ganz Geist heißt, wenn er nach dem trachtet, was geistlich ist (12, 376, 4–6). In der heiligen Schrift wird Geist genannt, was vom heiligen Geist ist, und Fleisch heißt, was vom Fleisch geboren ist. Was nun aus der Vernunft ist, heißt alles Fleisch. Derhalben sind Fleisch die Allerklügsten und Gewaltigsten auf Erden (33, 257, 1–39). Fleisch bedeutet also die ganze Natur des Menschen mit seinem Verstand und allen seinen Kräften. Deshalb bedeutet für Paulus Fleisch die höchste Gerechtigkeit, Weisheit, Kult, Religion, Verstand, Wille, die in der Welt sein können (40I, 244, 14–23).

 



2. Einheit des Menschen aus Fleisch und Geist: Luther sagt: Ich trenne Fleisch, Seele und Geist überhaupt nicht. Denn das Fleisch begehrt nicht außer durch Seele und Geist, wodurch es lebt, aber unter Geist und Fleisch verstehe ich den ganzen Menschen, besonders die Seele selbst. Derselbe Mensch, dieselbe Seele, derselbe Geist |75|des Menschen, ist, insofern er das, was Gottes ist, versteht, Geist, insofern er von den Verführungen des Fleisches bewegt wird, Fleisch, so dass er, wenn er dem zustimmt, ganz Fleisch ist. Man darf sich also nicht zwei verschiedene Menschen vorstellen. Es ist der ganze Mensch, der die Keuschheit liebt, derselbe ganze Mensch wird durch die Verführungen der Begierde gereizt. Es sind zwei ganze Menschen und ein ganzer Mensch. Daher kommt es, dass der Mensch gegen sich selbst kämpft und sich widerstreitet, will und nicht will. Aber das ist der Ruhm der Gnade Gottes, dass sie uns selbst zu unseren Gegnern macht (2, 585, 31–586, 18). Ein einziger Mensch findet in sich selbst zwei Stücke: durch den Geist will er das Gute und dient dem Gesetz Gottes und ist fromm, hat auch Lust und Liebe darin, aber durch das widerspenstige Fleisch will er das Böse und hat Liebe und Lust darin, demselben zu dienen. Weil Fleisch und Geist ein Mensch sind, so wird ihm zugerechnet beides, obwohl sie widereinander sind. Des Geistes halben ist er fromm, des Fleisches halben hat er Sünde. Denn weil das edelste, beste, höchste Stück des Menschen, der Geist, durch den Glauben fromm und gerecht bleibt, rechnet ihm Gott die übrige Sünde des geringsten Stücks, des Fleisches, nicht zur Verdammnis (7, 331, 32–333, 7). Das Fleisch neigt sich nach unten, der Geist strebt zum Himmel, und ist dennoch ein Mensch, nicht eine doppelte Person, die verschiedene Affekte hätte im Fleisch und im Geist, also der Sünde und des guten Lebens (34II, 198, 28–31).



3. Gegensatz: Den Streit unseres Fleisches und Geistes mit widerspenstigen Begierden legt Gott auf allen, die er getauft sein und berufen lässt. Daher streiten Geist und Fleisch widereinander, aber der Geist soll mit Mühe und Arbeit obsiegen und das ungehorsame Fleisch unterdrücken. Es ist offenbar, dass noch Sünde in den Getauften und Heiligen bleibt, so lange sie Fleisch und Blut haben und auf Erden leben (7, 331, 3–15; vgl. 6, 244, 14–21). Woher kommt aber solcher Streit des Bösen wider das Gute in uns selbst als von der leiblichen Geburt Adams, welche nach dem angefangenen guten Geist in der Taufe und Buße übrigbleibt, bis dass es durch Widerstreit und Gottes Gnaden und des Geistes Zunehmen überwunden und zuletzt durch den Tod erwürgt und ausgetrieben werde (7, 331, 25–29). Weil wir alle mit Christus der Welt und dem Fleisch abgestorben sind, so sollen wir hinfort nicht mehr nach dem Fleisch oder fleischlich leben noch denken (26, 310, 30–311, 24).



4. Ist nun Christi Fleisch aus allem Fleisch ausgesondert und allein ein geistliches Fleisch vor allen, nicht aus Fleisch, sondern aus Geist geboren, so ist es auch eine geistliche Speise. Ist es eine geistliche Speise, so ist es eine ewige Speise, die nicht vergehen kann. Sein Fleisch ist nicht aus Fleisch noch fleischlich, sondern geistlich, darum kann es nicht verzehrt, verdaut, verwandelt werden, denn es ist unvergänglich wie alles, was aus dem Geist ist. Vergängliche Speise verwandelt sich in den Leib, der sie isst. Diese Speise wiederum verwandelt den, der sie isst, in sich und macht ihn ihr selbst gleich, geistlich, lebendig, ewig (23, 203, 14–29; vgl. 205, 20–23). Luther lehrt, dass Christi Fleisch nicht allein keinen Nutzen, sondern auch Gift und Tod sei, wenn es ohne Glaube und Wort gegessen wird (26, 353, 27–31). Der Evangelist Johannes hätte wohl sagen können: Das Wort ward Mensch, er sagt aber nach der Schrift Brauch: es ward Fleisch, um anzuzeigen die Schwachheit und Sterblichkeit, denn Christus hat menschliche Natur angenommen, die sterblich und dem schrecklichen Zorn und Gericht Gottes wegen der Sünde des menschlichen Geschlechts unterworfen ist, welchen Zorn dieses schwache und sterbliche Fleisch in Christus gefühlt und gelitten hat (46, 632, 21–26).



|76|5. Christus und die Kirche sind ein Fleisch und ein Geist und haben alles gemeinsam. Christus hat die Menschheit angenommen und ist mit der Kirche in einem Fleisch verbunden, was ein großes und freudiges Geheimnis ist, in dem in eins zusammenkommen der Reiche und der Arme, der Gerechte und der Sünder, der Selige und der Verdammte, der Sohn der Gnade und der Sohn des Elends (5, 549, 10–13).



6. Die unvergleichliche Gnade des Glaubens ist es, dass er die Seele verbindet mit Christus wie die Braut mit dem Bräutigam. Durch dieses Geheimnis werden Christus und die Seele ein Fleisch. Wenn sie ein Fleisch sind und zwischen ihnen eine wahrhafte Ehe geschlossen wird, so folgt, dass alles, was ihnen gehört, sowohl das Gute wie auch das Böse, beiden gemeinsam wird, damit, was auch immer Christus besitzt, die gläubige Seele als das Ihre genießen und sich dessen rühmen kann, und was immer die Seele besitzt, sich Christus als das Seine aneignet (7, 54, 31–38).



📖 Oswald Bayer, Das Wort ward Fleisch, in: ders., Hg., Creator est Creatura, 2007, 5–34. Erdmann Schott, Fleisch und Geist nach Luthers Lehre, 2. Aufl. 1969.















Form



→ Reformation



Sobald dieses und andere Wörter in der Theologie oder in theologischen Zusammenhängen gelesen werden, denkt der menschliche Geist sofort an die, die in der Naturwissenschaft gebraucht werden, und wird abgelenkt und weggeführt in verwirrende und gefährliche Streitigkeiten. Denn die Naturwissenschaft schmeichelt natürlich der Vernunft, aber die Theologie ist hoch über das menschliche Verstehen gesetzt (39I, 228, 14–229, 5). Beim Wort ‚formal‘ und anderen naturwissenschaftlichen Begriffen bringt die Philosophie immer etwas Schädliches mit sich, wenn sie in die Theologie übertragen werden, deshalb muss sorgfältig beachtet werden, dass die Wörter rein und sicher verstanden werden, nämlich dass sie, wenn sie daher übertragen werden, gleich neu werden (39I, 229, 35–230, 26).



1. Christus ist den Menschen ähnlich, d.h. den Sündern und Schwachen, und er hat keine andere Gestalt noch Form als die des Menschen und Knechts, dass er uns nicht in der Form Gottes verachtete, sondern unsere Form annahm und unsere Sünden in seinem Leib trug (2, 603, 17–20). Obwohl er voll göttlicher Form war und für sich selbst genug hatte, hat er sich dennoch dessen alles entäußert (7, 35, 14–16). Christus verwirft alle hohe Form und trägt des Kreuzes Form (10I.1, 390, 17f.).



2. Paulus sagt, Adam sei die Form Christi, da jener Urheber der Sünde, dieser der Gerechtigkeit sei, aber die Form ist dem Ursprung ähnlich, nicht den ähnlichen Dingen (5, 314, 20–22).



3. Der Papst ist nicht ein Statthalter Christi im Himmel, sondern allein Christi auf Erden wandelnd, denn Christus im Himmel, in der regierenden Form, bedarf keines Statthalters. Aber er darf es sein in der dienenden Form, als Christus auf Erden ging, mit arbeiten, predigen, leiden und sterben. So kehren sie es um, nehmen Christus die himmlische regierende Form und geben sie dem Papst, lassen die dienende Form ganz untergehen (6, 434, 9–15).



|77|4. So muss der Christ, wie sein Haupt Christus durch seinen Glauben erfüllt und gesättigt, zufrieden sein mit dieser durch den Glauben erhaltenen Form Gottes (7, 65, 26f.).



📖 Joachim Mehlhausen, Forma Christianismi, in: ZThK 87 (1990) 447–455.















Freiheit



→ Wille



1. Wesen: Freiheit hat theologisch gesehen wie die Knechtschaft entsprechend den zwei Aspekten des Menschen zwei Seiten: Die Freiheit des Geistes oder des neuen Menschen ist die Befreiung vom alten Menschen und von der Knechtschaft der Sünde. Die Freiheit des Fleisches oder des alten Menschen ist im Gegenteil die Loslösung vom neuen Menschen und von der Knechtschaft der Gerechtigkeit. Die Knechtschaft des Geistes ist selbst die Freiheit des Geistes, und die Knechtschaft des Fleisches ist selbst die Freiheit des Fleisches (57II, 99, 14–18). Die Freiheit, zu der uns Christus befreite, befreit nicht aus irgendeiner menschlichen Knechtschaft oder der Gewalt von Tyrannen, sondern vom ewigen Zorn Gottes, nämlich im Gewissen. Denn Christus machte uns nicht politisch, nicht fleischlich frei, sondern theologisch oder geistlich, d.h. damit unser Gewissen frei und freudig sei, nicht den kommenden Zorn fürchte (40II, 3, 20–24). Aus dieser folgt eine andere Freiheit, durch die wir durch Christus sicher und frei gemacht werden vom Gesetz, Sünde, Tod, Macht des Teufels, Hölle usw. (40II, 4, 13f.). Die evangelische Freiheit herrscht nur in dem, was zwischen Gott und dir stattfindet, nicht zwischen dir und deinem Nächsten. Aber diese Freiheit hindert nicht, dass du dich mit deinem Nächsten verbinden kannst, denn dein Nächster befiehlt dir nicht, losgelöst und frei zu sein wie Gott. Sonst erlaubte er auch alle Verträge, Bündnisse und Abmachungen zu halten oder zu brechen nach Belieben (8, 615, 28–616, 1). Ein Christenmensch, der also in der Freiheit steht, darf nichts mehr sorgen, dass er fromm und gerechtfertigt werde, er weiß wohl, dass ihn die Werke weder fromm noch unfromm machen können. So bleibt er immerzu frei, tut, was man von ihm haben will (9, 569, 24–28). Ein christliches Wesen besteht nicht in äußerlichem Wandel, es wandelt auch den Menschen nicht nach dem äußerlichen Stand, sondern nach dem innerlichen, das ist, es gibt ein anderes Herz, einen anderen Mut, Willen und Sinn, welcher eben die Werke tut, die ein anderer ohne solchen Mut und Willen tut (10I.1, 137, 14–22). Unsere christliche Herrschaft, Freiheit und Macht muss man allein geistlich verstehen, denn Christus hat nichts wollen zu schaffen haben mit weltlicher Herrschaft. Das heißt aber geistliche Freiheit, wenn die Gewissen frei bleiben (10II, 15, 24–27). Der Satz von der christlichen Freiheit sagt, dass alle äußerlichen Dinge frei sind vor Gott und ein Christ sie mag gebrauchen, wie er will, er mag sie nehmen oder fahren lassen. Du bist Gott nichts schuldig zu tun, als glauben und bekennen, in allen anderen Sachen gibt er dich los und frei, dass du es machst, wie du willst, ohne alle Gefahr des Gewissens. Bei dem Menschen oder bei deinem Nächsten mache ich dich nicht frei, denn ich will ihm das Seine nicht nehmen, bis er selbst dich auch frei gibt. Bei mir aber bist du frei. Darum so merke und unterscheide diese Freiheit recht, dass |78|es zwischen Gott und dir nicht also steht wie zwischen dir und deinem Nächsten. Dort ist diese Freiheit, hier ist sie nicht. Denn Gott gibt dir diese Freiheit nur in dem, was dein ist, nicht in dem, was deines Nächsten ist (12, 131, 23–132, 10). So bist du aller Dinge frei bei Gott durch den Glauben, aber bei den Menschen bist du jedermanns Diener durch die Liebe (12, 133, 2f.).

 



2. Herkunft: Wenn die Gnade erlangt ist, dann hast du einen freien Willen, dann tue, was in dir ist (2, 248, 7f.). Der freie gute Wille bedarf allein Gottes und der Gnade, ohne die er nur sündigen kann (2, 702, 32f.). Christus hat uns frei gemacht von allen Menschengesetzen, besonders wenn sie gegen Gott und der Seelen Seligkeit sind (6, 443, 22–24). Also sehen wir, dass an dem Glauben ein Christenmensch genug hat, er bedarf keines Werkes, dass er fromm sei: bedarf er keines Werkes mehr, so ist er gewiss entbunden von allen Geboten und Gesetzen, ist er entbunden, so ist er gewiss frei. Das ist die christliche Freiheit, der einzige Glaube, der macht, nicht dass wir müßig gehen oder Übel tun mögen, sondern dass wir keines Werks bedürfen, um Frömmigkeit und Seligkeit zu erlangen (7, 24, 35–25, 4). Daraus man klar sieht, wie ein Christenmensch frei ist von allen Dingen und über alle Dinge, so dass er keiner guter Werke dazu bedarf, dass er fromm und selig sei, sondern der Glaube bringt ihm alles überflüssig. Wo er so töricht wäre und meinte, durch ein gutes Werk fromm, frei, selig oder Christ zu werden, so verlöre er den Glauben mit allen Dingen (7, 28, 19–23). Dass die Lehre des Evangeliums frei sei und macht freie Herzen, die an kein Werk noch Weise äußerlich gebunden, allein im freien Glauben leben, das ist die christliche Freiheit. Das Evangelium macht fröhliche, willige, freie Gewissen, denn da ist alles frei (8, 11, 9–15).



3. Man soll merken, dass die christliche Freiheit nicht darin besteht, wie viele Leute denken, dass man tut, was man will, sondern wer die Freiheit verstehen will, muss annehmen, dass die Kirche geteilt sei in zwei Stücke: eines vor Gottes Angesicht, das andere vor den Leuten. Das ist eine andere Weise, wenn man in Gottes Augen fromm ist, als wenn man vor den Leuten fromm genannt wird. Also sind wir vor Gottes Angesicht frei, in der Seele durch den Glauben, in welchem allein die Freiheit besteht. Darum ist sie nichts anderes, als dass ein Mensch ein gutes, fröhliches und unerschrockenes Gewissen habe. Dann ist er Gott nichts mehr schuldig. Das Gewissen macht ein rechter, starker Glaube. Diesen Glauben kann niemand sehen, als der ihn hat, denn er ist inwendig im Herzen. Zu dieser Freiheit wirst du nicht kommen, wenn du außen tust, was du willst, denn damit wird das Herz nicht rein, fromm, frei, bekommst auch damit kein fröhliches und ungefangenes Gewissen, du musst an einem Höheren anfangen. Die Freiheit kommt von innen her, dass wir mit Gott eins sind und wissen, wie wir mit ihm stehen (9, 566, 32–567, 24). Wenn wir nun also mit Gott eins sind und glauben, dass er uns fromm gemacht habe, so dass wir zur Frömmigkeit nichts mehr bedürfen, müssen wir kommen zu dem anderen Aspekt und sehen, was man in der Menschen Angesicht tun soll. Wenn die Seele also frei ist vor Gottes Augen, ist dennoch der äußerliche Mensch da vor den Leuten, da hört die Freiheit auf. Wenn ich aus dem Herzen und aus der Seele komme vor die Leute, bin ich in einem anderen Land. Unser Fürstentum, darin wir ganz frei sind, ist in der Seele inwendig und im Himmel, wie Paulus sagt, vor Gottes Angesicht. Aber der Leib ist in einem fremden Fürstentum, da muss ich mich lenken, handeln und tun, nach dem es die Leute leiden mögen. Das ist ein freies Gefängnis: Das Herz bleibt ungefangen, obwohl wir tun |79|müssen, was andere Leute wollen, tun wir es doch aus einem freien Gemüt. So geht die rechte Freiheit immer heraus, bleibt inwendig ungefangen (9, 567, 25–568, 3).



4. Der Irrtum vom freien Willen ist ein eigener Artikel des Antichrist. Darum ist es nicht wunder, dass er so weit in alle Welt ist getrieben, denn der Antichrist soll die ganze Welt verführen (7, 451, 4–6). Der Wille des Menschen ohne die Gnade ist nicht frei, sondern knechtisch, obwohl nicht unwillentlich (1, 147, 38f.). Jeder, der sündigt, ist ein Knecht der Sünde. Der Wille ohne die Gnade sündigt, also ist er nicht frei (1, 148, 1f.). Der freie Wille nach der Sünde ist ein leeres Wort, und wenn er tut, was in ihm ist, sündigt er tödlich (1, 354, 5f.). Der Wille