Zeitschrift für Romanische Sprachen und ihre Didaktik

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Einstellungen angehender Französischlehrkräfte zum Einsatz von Linguistic Landscapes im Fremdsprachenunterricht: Un objet didactique non identifié ?

Lisa Marie Brinkmann & Franziska Gerwers & Sílvia Melo-Pfeifer & Jannis Androutsopoulos (Hamburg)

1. Einleitung

In ihrer Einleitung zum Sammelband Linguistic Landscape und Fremdsprachendidaktik merken Badstübner-Kizik und Janíková an, dass „der Begriff der Linguistic Landscape bisher noch wenig Eingang in die einschlägige fremdsprachendidaktische Fachliteratur gefunden hat“, und dies obwohl Linguistic Landscapes einen sehr wichtigen „außerschulische[n] Lernort für den Fremd- und Zweitsprachenunterricht“ darstellen (Badstübner-Kizik & Janíková 2018, 10). Linguistic Landscapes (Sprachlandschaften) werden in erster Linie im Fachgebiet der Soziolinguistik erforscht und haben dort bereits eine längere methodologische Tradition entwickelt. Weit weniger Forschung gibt es darüber, wie Linguistic Landscapes Lehr- und Lernprozesse unterstützen können und wie ihr Einsatz von Lehrkräften wahrgenommen und eingeschätzt wird. Der vorliegende Beitrag zielt darauf ab, diese Lücke zwischen der Bedeutung von Linguistic Landscapes als außerschulische Lernmöglichkeiten einerseits und ihrem Einsatz im Fremdsprachenunterricht andererseits zu schließen, indem Perspektiven von angehenden Lehrkräften auf die Linguistic Landscapes als Material im Fremdsprachenunterricht empirisch untersucht werden.

Um dieses Ziel zu erreichen, gehen wir folgender Forschungsfrage nach: Welche Einstellungen haben angehende Lehrkräfte zum Einsatz von Linguistic Landscapes im Fremdsprachenunterricht? Sie teilt sich in die folgenden untersuchten Teilfragen auf:

 Was verstehen angehende Französischlehrkräfte unter Linguistic Landscapes und welche Potenziale bzw. Kritik entwickeln sie aus diesem Verständnis?

 Welche Kriterien muss der Fremdsprachenunterricht ihnen zufolge erfüllen, um einen Einsatz von Linguistic Landscapes zu ermöglichen?

Wie auch andere Studien über Perspektiven von Lehrkräften auf mehrsprachige Pädagogik und plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen (vgl. Gay 2015; Haukås 2016; Melo-Pfeifer 2020; Candelier et al. 2012) zeigen die Ergebnisse unserer Studie, dass trotz der strukturellen Rahmenbedingungen, die die Attraktivität von Linguistic Landscapes als didaktische Ressource zu verringern scheinen, hauptsächlich positive Einstellungen zu ihrer Verwendung im Fremdsprachenunterricht vorherrschen. Positive Aspekte der Einführung von Linguistic Landscapes im Klassenzimmer werden in der Regel im Hinblick auf ihre Praktikabilität reflektiert und problematisiert, dies hauptsächlich aufgrund der Wahrnehmung des Fremdsprachenunterrichts als starr und unveränderlich.

Dieser Beitrag ist wie folgt strukturiert: Zunächst geben wir einen theoretischen Überblick über zwei wichtige Konzepte, die unserer Forschung zugrunde liegen: Linguistic Landscape bzw. Sprachlandschaft und Einstellungen. Daraufhin stellen wir die empirische Studie vor und erläutern ihren Kontext, die Instrumente der Datenerfassung, und die Auswertungsmethode. Wir erläutern außerdem die Auswahl der Teilnehmenden sowie ihre Charakteristika. Anschließend werden die Ergebnisse präsentiert und diskutiert, bevor wir schließlich einige Schlussfolgerungen ziehen und Perspektiven für weitere Entwicklungen in diesem Forschungsfeld zeichnen.

2. Theoretischer Hintergrund

2.1 Einstellungen und Lehrkräftehandlung: Begriffsklärung und Forschungsstand

Im Rahmen der Ausbildung und professionellen Entwicklung von Lehrkräften muss der Begriff „Einstellungen“ im Kontext von professionstheoretischen Ansätzen betrachtet werden. Diese haben zum Ziel, „die individuellen Merkmale zu identifizieren, die Lehrkräfte für die erfolgreiche Bewältigung ihrer Aufgaben benötigen“ (Baumert & Kunter 2011, 29). Diese Autoren haben ein Modell professioneller Handlungskompetenz entwickelt, das aus dem Zusammenspiel von vier Bereichen entsteht: motivationale Orientierungen, selbstregulative Fähigkeiten, Professionswissen sowie Überzeugungen/Werthaltungen/Ziele (Abb. 1).


Abb. 1: Modell professioneller Handlungskompetenz (vgl. Baumert & Kunter 2006, 42)

In der deutschen Einstellungsforschung zeigt sich allerdings beim Konzept der Überzeugungen bzw. Werthaltungen eine große begriffliche Heterogenität. Begriffe wie „Vorstellungen“, „Haltungen“, „Einstellungen“, „Überzeugungen“ oder „subjektive Theorien“ werden oft ohne genaue Definition oder Abgrenzung voneinander verwendet (vgl. Calderhead 1996; Pajares 1992; Reichhart 2018; Voss et al. 2011). Auch im Englischen gibt es diese begriffliche Heterogenität, neuere Studien beziehen sich jedoch meist auf den Begriff beliefs (vgl. Gill & Fives 2015), verstanden als „an individual’s judgment of the truth or falsity of a proposition“ (Pajares 1992, 316). Während der Begriff „Überzeugungen“ oft in fachdidaktischer und pädagogisch-psychologischer Forschung genutzt wird, ist „Einstellung“ in der sozialpsychologischen Forschung weit verbreitet (vgl. Baumert & Kunter 2011; Bohner 2003; Haddock & Maio 2007; Reichhart 2018; Voss et al. 2011). Teilweise sind auch Unterschiede in der Definition gegeben: „Überzeugungen sind psychologische Einsichten, Annahmen oder Haltungen gegenüber der Welt, die für wahr gehalten werden oder gehalten werden wollen“ (Reichhart 2018, 76). Demgegenüber sind Einstellungen wie folgt definiert: „Mit Einstellungen bezeichnet man Bewertungen von Menschen, Gruppen und anderen Arten von Objekten in unserer sozialen Welt“ (Haddock & Maio 2007, 188). Während beide Konzepte kognitive, affektive sowie konative Komponenten beinhalten, wird bei Einstellungen vor allem die affektive Komponente betont, es werden positive oder negative Bewertungen vorgenommen (Reichhart 2018, 77). Auch Bohner (2003) sieht Einstellungen als Produkt aus kognitiven, affektiven und verhaltensbezogenen Prozessen, welche sich in kognitiven, affektiven und verhaltensbezogenen Reaktionen manifestieren. Dies wird als Dreikomponentenmodell der Einstellung bezeichnet (vgl. Bohner 2003, 268). Die Relevanz der Erforschung von Einstellungen und Überzeugungen erläutern Voss et al. (2011, 235):

Ausgangspunkt der Beschäftigung mit Lehrerüberzeugungen ist die Annahme, dass Überzeugungen die Art der Begegnung mit der Welt, das heißt in der Schule vor allem die Begegnung mit Schülerinnen und Schülern im Unterricht, vorstrukturieren und somit die Wahrnehmung, die Zielvorstellungen und die damit verbundenen Handlungspläne beeinflussen.

Ein Zusammenhang zwischen Einstellungen und dem Verhalten von Lehrkräften und damit auch dem Lernen der Schülerinnen und Schüler wird auf der Grundlage bisheriger Untersuchungen angenommen (vgl. Bohner 2003; Reichhart 2018; Richardson 2003), allerdings ist bislang keine Kausalität nachgewiesen. Im Rahmen der Lehrkräfteausbildung ist Tillema (1997, 209) der Ansicht, dass

belief change is an important aim of teacher education programmes, i.e. that it is important to acknowledge students teachers’ beliefs and to offer and discuss alternative conceptions to which student teachers can revert and in which they can find support in building their teaching identities and professional lives.

Wichtig sei dann, Einstellungen zu identifizieren, um sie als „starting points“ aktiv nutzen zu können (vgl. Stenberg & Karlsson & Pitkaniemi & Maaranen 2014). Das Problem dabei ist, dass wenige Studien die Einstellungen angehender Fremdsprachenlehrkräfte noch vor dem Praktikum in den Fokus nehmen, um Forschung und Institutionen darüber zu informieren, wie diese Einstellungen in den verschiedenen Phasen des Studiums systematisch bearbeitet und thematisiert werden können (vgl. Legutke & Schart 2016, 33).

2.2 Linguistic Landscapes: Zum Potenzial eines soziolinguistischen Objekts im Fremdsprachenunterricht

Linguistic Landscapes bilden einen „Fachgegenstand an der Schnittstelle von Mehrsprachigkeit, visueller Kommunikation und Sprachpolitik“ (Androutsopoulos 2008, 3) und werden vorrangig im Bereich der Soziolinguistik analysiert (vgl. Huțanu & Radu-Pop 2019, 2)1. Dabei ist diese Forschung erheblich weiter als der Einsatz von Linguistic Landscapes im Unterricht (vgl. Huțanu & Radu-Pop 2019, 2). Letzterer wird zusammen mit einer vorangehenden Definition von Linguistic Landscapes im Folgenden dargestellt.

Linguistic Landscapes bzw. Sprachlandschaften können hinsichtlich ihrer Form definiert werden, d. h. als die Gesamtheit visueller sprachlicher Kommunikation im öffentlichen Raum (vgl. Shohamy 2006, 2019). Manche Forschende veranschaulichen dies anhand von Listendefinitionen, die konkrete Textsorten und Schildertypen wie z. B. Straßenschilder, Ladenschilder, Plakatwerbung usw. anführen (vgl. Gorter 2019, 40). Nach Benson (2019) kann von einer Linguistic Landscape dann gesprochen werden, wenn sich materielle Objekte im wahrgenommenen Raum durch sprachliche Eigenschaften auszeichnen und zugleich auf Aspekte des sozialen Umfelds verweisen. Eine Sprachlandschaft ist immer auch Ausdruck räumlicher und gesellschaftlicher Prozesse und verändert sich mit der sozialen und kulturellen Realität (vgl. Benson 2019, 2). Zudem zeichnen sich Sprachlandschaften durch ihre sprachliche Heterogenität aus. „Linguistic landscapes sind nicht zwingend mehrsprachig; doch ist es diese Spielart von Sprachlandschaft, die das Interesse der Forschung geweckt hat“ (Androutsopoulos 2008, 1, Herv. i. O.). Viele bisherige Studien zeigen, dass Linguistic Landscapes auf der Mikroebene des einzelnen Schildes wie auch auf der Ebene ganzer Straßenzüge und Stadtteile weniger durch einen flächendeckenden Gebrauch standardsprachlicher Mittel, sondern von Code-Switching und Mehrsprachigkeit geprägt sind (vgl. Klerk & Wiley 2010; Benson 2019, 5).

 

Schilder und andere raumgebundene Texte in der Sprachlandschaft (z. B. Graffiti, Aufkleber, Plakatwerbung, Inschriften) können informative und/oder symbolische Funktionen erfüllen. Als „informativ“ bzw. „kommunikativ“ werden dabei Schilder verstanden, die das konkrete Handeln im öffentlichen Raum in einer näher zu bestimmenden Art und Weise steuern und nebenbei auf einer übergeordneten Ebene auch Auskunft über die Bewohner und Bewohnerinnen oder Nutzer und Nutzerinnen der Umgebung geben (vgl. z. B. Landry & Bourhis 1997; Leeman & Modan 2009). Beispielsweise verweist der Gebrauch einer Minderheitensprache auf einem Ladenschild sowohl auf bestimmte Waren bzw. Dienstleistungen als auch darauf, dass im Geschäft in dieser Sprache kommuniziert werden kann. Von einer symbolischen Funktion ist hingegen dann die Rede, wenn die auf einem Schild gewählte Sprache nicht inhaltlich-propositional verstanden wird bzw. werden soll, sondern lediglich für die aktuelle oder frühere Präsenz einer bestimmten (ethnischen) Gruppe im Raum steht (vgl. Androutsopoulos 2008, 2; Krompák 2018, 247).

Shohamy (2016) macht in diesem Kontext auf die Frage aufmerksam, wem öffentliche Plätze gehören und welche Sprachen im öffentlichen Raum erlaubt sind. Dabei spielen vielfältige Faktoren wie z. B. Modernisierung, Globalisierung oder auch Kolonialisierung eine Rolle dafür, welche Sprachen im öffentlichen Raum überhaupt Verwendung finden (dürfen). Nicht zuletzt ist visuelle Sprachlichkeit eine Ressource für die symbolische Konstruktion des öffentlichen Raums (vgl. Ben-Rafael et al. 2006), denn die Wahl bestimmter Sprachen kann zur Wahrnehmung führen, dass diese Sprache einen höheren sozialen Status hat und es dementsprechend wichtig sei, sie zu erlernen. Somit wird Schriftlichkeit im öffentlichen Raum zu einem Mittel und Ausdruck von Macht, in dem sich Veränderungen erkennen, initiieren, nachvollziehen und beeinflussen lassen. In diesem Sinne geben Linguistic Landscapes nicht nur Aufschluss über die spezifischen Sprachen, die einer multilingualen Gesellschaft zur Verfügung stehen, sondern auch über die in dieser Gesellschaft vorherrschende Sprachpolitik (vgl. Sayer 2010, 145; Shohamy 2016). Neben dem Niederschlag von Sprachenpolitik auf die Strukturen der top down-Beschilderung (v. a. amtliche Schilder) bestehen aber auch Anzeichen einer bottom up-Sprachpolitik, die ihren Ausdruck darin findet, wie die Bevölkerung zu ihren Sprachen steht und diese im öffentlichen Raum sichtbar macht (vgl. Androutsopoulos 2008, 4).

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die Erforschung von Linguistic Landscapes und auch ihr Einsatz im Unterricht an Interdisziplinarität gebunden sind (vgl. Krompák 2018, 257). Die didaktisch aufbereitete Arbeit mit Linguistic Landscapes im Unterricht kann Diskussionen über Sprache und language awareness auslösen bzw. fördern (vgl. Cenoz & Gorter 2008; Dagenais & Moore & Sabatier 2012; Dagenais & Moore & Sabatier & Lamarre & Armand 2009; Krompák 2018; Sayer 2010). Dabei ist die Sprachlandschaft ein authentischer, zusätzlicher, nahezu beiläufiger Input, der dazu anregt, das gesamte materielle und soziale Umfeld als Anlass und Objekt des Sprachenlernens wahrzunehmen (vgl. Cenoz & Gorter 2008; Huțanu & Radu-Pop 2019, 4; Shohamy 2016). In dieser Form können Sprachlandschaften für das Sprachenlehren und -lernen vorteilhaft sein. So können etwa durch den Unterricht am Beispiel von Schildern bereits A1- oder A2-Niveaus nach dem GeR erreicht werden (vgl. Huțanu & Radu-Pop 2019, 3). Huțanu & Radu-Pop (2019, 3-4) sehen Potenzial in dem Einsatz und der Erklärung von Linguistic Landscapes im Unterricht, denn durch das Bewusstwerden über z. B. sprachliche Ambiguitäten, Metaphern und Wortspiele können fortgeschrittene Sprachenlernende pragmatische und soziolinguistische Kompetenzen in der Zielsprache entwickeln.

2.3 Einstellungen von Fremdsprachenlehrkräften zum Einsatz von Linguistic Landscapes: state of the art

Zu den Einstellungen von Fremdsprachenlehrkräften zu Linguistic Landscapes im Fremdsprachenunterricht gibt es bisher kaum Untersuchungen. Dennoch weisen die noch seltenen Studien – das sind Hancock (2012), Lisek (2018), Shang und Xie (2020) sowie Brinkmann und Melo-Pfeifer (eingereicht) – darauf hin, dass Lehrkräfte Linguistic Landscapes ein hohes Potenzial für den Erwerb von sprachlichen, mehrsprachigen und interkulturellen Kompetenzen sowie von Alphabetisierungs- und Literalitätsaktivitäten an authentischen Materialien beimessen.

2012 hat Hancock eine Untersuchung publiziert, in der durch einen „camera safary task” analysiert wurde, wie angehende Lehrkräfte auf Linguistic Landscapes in Edinburgh reagieren. Ziel der Arbeit war „to shed light on how predominantly monolingual participants respond to LL in order to give them fresh insights into multilingual school contexts“ (Hancock 2012, 250). Der Autor betont, dass Sprachlandschaften didaktische Instrumente in der Lehrerausbildung darstellen können, da sie dazu beitragen, das Bewusstsein der Lehrkräfte für ihre mehrsprachige Umgebung zu fördern. In seiner Studie interpretierten die Teilnehmenden das Verhältnis zwischen städtischer Sprachlandschaft und mehrsprachiger Gemeinschaft unter drei Gesichtspunkten: Vermeidung, Akzeptanz und Bewusstsein. Auch wenn der Autor anerkennt, dass die Arbeit mit Linguistic Landscapes die Wahrnehmung kultureller und sprachlicher Vielfalt verändern kann, räumt er ein, dass eine solche Änderung nichts über die Bereitschaft von Lehrkräften aussagt, mehrsprachige Pädagogik in ihren zukünftigen Beruf einzubeziehen (vgl. Hancock 2012, 263).

Lisek (2018) untersucht in seiner Studie über Einstellungen von Lehrkräften zur Verwendung von Linguistic Landscapes als authentisches Material, welche Einstellungen Lehrende zu der Verwendung von polnischen Sprachlandschaften im akademischen und nichtakademischen Sprachunterricht in Deutschland haben. Mithilfe von Interviews in ausgewählten Universitäten und Volkshochschulen untersucht der Autor Lehrkräfte hinsichtlich ihres „Bewusstseins für die Linguistic Landscapes und gängige[n] Anwendungspraktiken im Unterricht“2 (Lisek 2018, 275). Er stellt fest, dass Linguistic Landscapes als Unterrichtsmaterialien in beiden Kontexten erprobt und positiv getestet wurden: „Der Einsatz der Materialien bleibt [...] nicht auf den Erwerb von Lexik oder die Förderung interkultureller Kompetenz ausgerichtet, sondern zielt den befragten Lehrkräften zufolge auch auf eine Stärkung der Sprachlernmotivation ab“ (Lisek 2018, 291). Die Arbeit zeigt eine interessante Tendenz: Lehrkräfte an der Volkshochschule zeigen positivere Einstellungen gegenüber Linguistic Landscapes als Lehrkräfte in der Universität.

Shang und Xie (2020) haben in einer Fragenbogenerhebung die Einstellungen von insgesamt 295 Englischlehrkräften in China zum Englischen in der Linguistic Landscape untersucht. Insbesondere zum didaktischen Mehrwert waren die Einstellungen der Lehrkräfte sehr positiv, wobei Lehrkräfte mit jüngeren Schülerinnen und Schülern positivere Einstellungen zeigten als Lehrkräfte höherer Klassenstufen. Über 80 % der Lehrkräfte sahen Englisch auf Schildern als wertvolle Ressource für den Englischunterricht (vgl. Shang & Xie 2020, 43).

Brinkmann und Melo-Pfeifer (eingereicht) haben die Lehrkräfteeinstellungen gegenüber Linguistic Landscapes als Methode zur Mehrsprachigkeitsförderung im Fremdsprachenunterricht im Rahmen einer empirischen Studie erforscht. Sie haben online Gruppendiskussionen durchgeführt, an denen 63 Teilnehmende beteiligt waren, insbesondere Fremdsprachenlehrkräfte mit Berufserfahrung und internationalen Erfahrungen. Die Ergebnisse wurden einer qualitativen Inhaltsanalyse folgend hinsichtlich ihres Verständnisses und ihrer Einstellungen zum Einsatz von Linguistic Landscapes im Fremdsprachenunterricht kategorisiert. Es wird gezeigt, dass das Verständnis der Teilnehmenden von Linguistic Landscapes sowohl einer klassischen als auch einer inklusiven Definition3 folgt. Außerdem erweitern sie das Konzept der Linguistic Landscapes beispielsweise um schoolscapes. Für die Teilnehmenden stellen Offenheit gegenüber Sprachen und Kulturen über die Unterrichtssprache hinaus und die Schaffung eines sicheren Raums für alle Sprachen Prämissen für den Einsatz von Linguistic Landscapes im Fremdsprachenunterricht dar. Sie sehen Potenziale in der language/cultural awareness und der Wertschätzung von Sprache seitens der Lernenden.

Diese Studien spiegeln die Verwendung von Sprachlandschaften nach einer vorherrschenden einsprachigen oder mehrsprachigen Perspektive wider, d. h., wie Lehrkräfte die Verwendung von Linguistic Landscapes entweder beim Unterrichten der Zielsprache oder im Prozess der mehrsprachigen Bewusstheitsförderung wahrnehmen.

3. Empirische Studie

In diesem Abschnitt werden wir das Design unserer empirischen Studie vorstellen und Informationen bereitstellen, um die Daten und die Teilnehmenden zu verorten und den eingeschlagenen Interpretationspfad zu verstehen. Die empirische Studie wurde im Rahmen des Erasmus Plus-Projekts LoCALL4 entwickelt, das städtische Linguistic Landscapes als Ausgangspunkt für die Diskussion der sprachlichen Vielfalt und die Entwicklung des Sprachbewusstseins im Fremdsprachenunterricht verwendet.

1 Studiendesign: Kontext und Teilnehmende

Die Daten wurden im Sommersemester 2020 an der Universität Hamburg auf der Online-Lernplattform EduCommSy erhoben. Teilnehmende sind 17 angehende Französischlehrkräfte (darunter 16 Frauen), die im Modul „Kernpraktikum 1 Französisch“ eingeschrieben waren. Aufgrund der durch die Covid-19-Pandemie verursachten Unterbrechung des Lehrens und Lernens wurde das Seminar nach einer asynchronen Gestaltung der Aufgaben vollständig online durchgeführt. Alle in diesem Beitrag analysierten Diskussionen fanden in einem Diskussionsforum statt, in dem jede Woche ein neues Thema diskutiert wurde. Die Diskussion, die als Korpus für diesen Beitrag fungiert, fand zwischen dem 15.06.2020 und dem 24.06.2020 statt, unter dem Motto „Paysages linguistiques en cours de FLE“. Als Vorbereitung für die Diskussion waren drei Beiträge in der Soziolinguistik und der Didaktik verankerten Texte zur Verfügung gestellt (Androutsopoulos 2008; Auer 2010; Krompák 2018).

Die Moderation der Diskussion lag in der gemeinsamen Verantwortung einer studentischen Expertengruppe und der Seminarleiterin (S. Melo-Pfeifer, auch Ko-Autorin dieses Beitrags). Die Expertengruppe hat die folgenden Arbeitsaufträge formuliert:

1 Was versteht ihr allgemein unter Linguistic Landscaping (LL)? Und was in Bezug auf den Fremdsprachenunterricht (FSU)?

2 Wie steht ihr dem didaktischen Potential von LL gegenüber? Haltet ihr es für eine sinnvolle didaktische Methode im FSU?

3 Ladet hierzu bitte Photos von mehrsprachigen Zeichen, Landschaften, Nachbarschaften usw. (hier im Forum) hoch. Wie könntet ihr euch vorstellen diese Photos etc. als Material für den FSU zu verwenden?5

Interessant sind die Fragen, die die Online-Diskussion entschärfen sollen. Die erste Frage impliziert, dass die Definition von Linguistic Landscape unterschiedliche Bedeutungen haben kann: eine Laien- und eine spezifische Bedeutung. Die zweite Frage impliziert, dass sprachliche Landschaften möglicherweise nicht als sinnvolle Ressource oder Methode für den Fremdsprachenunterricht wahrgenommen werden. Drittens sollte sich die Diskussion an der praktischen Anwendung von Linguistic Landscapes im Klassenzimmer orientieren.

3.2 Datenerhebung und Datenauswertungsmethode

Als Daten für die nachfolgende Analyse dienen die Online-Diskussionen mit den 17 Seminarteilnehmenden im Rahmen des o. g. Seminars. Tabelle 1 stellt sie im Überblick vor (Gesamtumfang: 3065 Wörter).


Anzahl der Beiträge Anzahl der Teilnehmenden Sprachen Durchschnitt der Wörter pro Nachricht (zwischen 15 und 477 Wörtern) Anzahl der Nachrichten mit multimodalen Elementen
20 16 Deutsch Französisch 128 7

Tab. 1: Korpus für die Analyse

 

Für die Analyse wird die Methode der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2000) herangezogen. Unter Inhaltsanalyse verstehen wir „ein kodifiziertes und kodifizierendes Forschungsverfahren, das kommunikative Texte im weitesten Sinne systematisch untersucht und auswertet“ (Burwitz-Melzer & Steininger 2016, 256). Laut Schreier (2014) kennzeichnen drei Merkmale diese Methode: Sie reduziert Daten, ist systematisch und flexibel. Da die qualitative Inhaltsanalyse Forschenden ermöglicht, sich auf ausgewählte Bedeutungsaspekte zu konzentrieren, bezieht sich die Kategorisierung auf die formulierten Forschungsfragen. Als Teil der qualitativen Datenanalyse ermöglicht die Inhaltsanalyse „the classification and interpretation of linguistic (or visual) material to make statements about explicit and implicit dimensions and structures of meaning-making [...]. Meaning-making can refer to subjective or social meanings“ (Flick 2014, 5). Diese Definition ist im Rahmen unseres Beitrags wichtig, da sie zwei Dimensionen der zugrunde liegenden Forschung hervorhebt: erstens die Thematisierung multimodaler Ressourcen (wie Linguistic Landscapes in Fotos und online-Interaktion) und zweitens die Analyse von Einstellungen, die individuelle und soziale Komponenten haben.

Unter Berücksichtigung der in der Einleitung dieses Beitrags formulierten Forschungsfragen wurden sechs explorative Hauptkategorien der Analyse deduktiv nach Mayring (2000) erstellt. Aus dem Forschungsstand zur Einstellung von Lehrkräften gegenüber Linguistic Landscapes leiten wir ab, dass das Verständnis der Lehrkräfte ausschlaggebend für ihre Einstellung gegenüber Linguistic Landscapes ist, das sind Definitionen und Ausweitungen (vgl. Brinkmann & Melo-Pfeifer (eingereicht). Außerdem sind der didaktische Mehrwert (vgl. Brinkmann & Melo-Pfeifer (eingereicht); Shang & Xie 2020), aber auch Prämissen für den Unterricht relevant (vgl. Brinkmann & Melo-Pfeifer (eingereicht)). Schlussendlich sind auch die Anwendungspraktiken im Unterricht (vgl. Brinkmann & Melo-Pfeifer (eingereicht); Lisek 2018) und die Wirkung auf die Wahrnehmung von Lehrkräften ausschlaggebend für die Erforschung der Lehrkräfteeinstellungen (vgl. Brinkmann & Melo-Pfeifer (eingereicht); Hancock 2012). Die Subkategorien wurden induktiv erstellt, da sie nicht direkt aus der Theorie abgeleitet wurden, sondern aus dem Kategorisierungsprozess des gesamten Datenmaterials entstanden sind (vgl. Mayring 2000). Da die Gruppendiskussion schriftlich (online) stattgefunden hat, sind auch in der Auswertung non- oder paraverbalen Elemente nicht vermerkbar. Tabelle 2 stellt die Haupt- und Subkategorien dar.


Hauptkategorie Subkategorie Definition
Definition Enge Fassung Symbol und Sprache, Visualisierung von Sprache im öffentlichen Raum
Weite Fassung Soundscapes, Untersuchungsobjekte aus allen Bereichen
Gegenstandsbereich des Begriffs Anekdoten Persönliche Erfahrungen
Soziale Dimension Spannungen, Sprachenpolitik, Machtverhältnisse, Diversität
Didaktischer Mehrwert Mehrsprachigkeits-didaktik Verständnis für Bedeutung von Sprache, Bewusstwerden über und Wertschätzung von Sprache, Interkulturalität, Sprachvergleich
Kompetenzen Language awareness, interkulturelle Kompetenzen
Prämissen Curriculare Verordnung Zeit, nachgestellte curriculare Verordnung
Umsetzung Eingebettet in Lebenswelt der SuS, geeignetes Anschauungsmaterial notwendig, Regionsabhängigkeit
Anwendungspraktiken Ziele Bewusstheitsförderung für Sprachen, Sprachvergleich, Verknüpfung Umwelt und Schule
Ressourcen und Aufgaben Interaktive Erkundung von Linguistic Landscapes mit Apps, Street Art, öffentliche Verkehrsmittel
Erweiterungen Übersetzungen, multimodale Linguistic Landscapes
Wirkung auf die Wahrnehmung der angehenden Lehrkräfte Emotionale Wirkung Interesse, Begeisterung, Unsicherheit
Erkenntnisse Initiation und Behandlung von lebensweltlicher Mehrsprachigkeit

Tab. 2: Deduktives Kategoriensystem (nach Brinkmann & Melo-Pfeifer (eingereicht)) mit induktiven Subkategorien

Die Erklärung der Subkategorien und ihre dazugehörige Definition werden in den Ergebnissen dargestellt.

4. Ergebnisse: Zwischen „es lohnt sich“ und „aber nicht als zentrales Thema“

Die Darstellung der Ergebnisse folgt den Kategorien in Tabelle 2. Um unsere Kategorisierung und Interpretation transparenter zu gestalten, verwenden wir direkte Zitate aus den Diskussionsdaten.

4.1 Definition von Linguistic Landscapes

Die von den Teilnehmenden angebotenen Definitionen lassen sich in eine enge und eine weite Fassung unterteilen. „Enge“ Definitionen beziehen sich auf das visuelle Verständnis von Sprache im öffentlichen Raum. Ein Beispiel ist: „Die Visualisierung von Sprache im öffentlichen Raum und dadurch auch eine Abbildung der mehrsprachigen Gesellschaft“6. Eine weitere befragte Person begreift Linguistic Landscapes als „Verbindung von Symbol und Sprache“.

„Weite“ Definitionen beziehen sich auf ein multimodales Verständnis von Sprache mit Untersuchungsobjekten aus allen Handlungsbereichen, dabei werden amtliche, private, kommerzielle oder amateurhafte Zeichen einbezogen: „Ces signes ou objets peuvent être d’origine publique, privée (commerciale) ou ‚sauvages‘“. In der Gruppendiskussion tritt die Frage auf, ob sich „LL ausschließlich auf das Schriftliche bezieht (weil das Schriftliche sichtbar ist und festgehalten werden kann??)?“ Die Befragten nehmen auch in weiteren Beiträgen Bezug auf „soundscapes”.

Zusammenfassend nehmen die Befragten Bezug auf die visuelle Präsenz von Sprache in der engen Fassung und auf die auditive und visuelle Präsenz von Sprache in der weiten Fassung.

4.2 Gegenstandsbereich des Begriffs der Linguistic Landscape

Der Gegenstandsbereich des Begriffs lässt sich in Anekdoten und die soziale Dimension von Linguistic Landscapes unterteilen. Unter der Subkategorie „Anekdoten“ sind Erfahrungen, die die Befragten mit Linguistic Landscapes im weiten Sinne in Verbindung sehen, zu verstehen. Eine befragte Person berichtet über ihren Aufenthalt in einer bilingualen Region:

pendant mon séjour au Canada, dans la province dite « officiellement billingue » du Nouveau-Brunswick, cet aspect de la vie publique m’avait particulièrement frappée car toutes les enseignes administratives y sont en effet en français et en anglais. Ce qui déplaît particulièrement aux partisans anglophones qui souhaiteraient voir les Francophones retourner à leur état de clandestinité... : régulièrement, une tribune dans un journal attaque cet état de fait et relance la polémique afin de rendre les panneaux monolingues. Par contre, la langue de la communauté micmac, « première nation » de cette province, n’est représentée que sur les panneaux signalétiques à l’entrée des villes et villages, sous le nom canadien de l’agglomération.