Weihnachtswundernacht 3

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Maria

Eine starke Frau in einer schwierigen Situation in einer unruhigen Zeit, eine Frau, die von Anfang an das Leben Jesu ermöglicht, begleitet und mit durchlitten hat. In ihr begegnet uns das Urbild der Mutter, die einerseits mitten im Geschehen steht und andererseits seltsam im Abseits. Von Anfang an muss Maria es lernen, loszulassen und mit dem Wissen zu leben: Dieses Kind „gehört“ mir nicht, es ist das Kind Gottes – ein Mensch, der für andere da sein soll und wird und dabei am wenigsten für mich, seine Mutter. Ein Leben für andere – schon gleich die Geburt des Kindes wird zu einem öffentlichen Ereignis – für die „Hirten auf dem Feld“, für die „Weisen“ und auch für Herodes. Von Anfang an liegt der Schatten solch einer Öffentlichkeit auf dieser Frau und ihrer jungen Familie, sie müssen fliehen, sich dieser Öffentlichkeit entziehen und dorthin gehen, wo keiner sie kennt – nach Ägypten.

Ich lerne von Maria, dass auch unsere Kinder uns nicht gehören, dass sie ein Geschenk Gottes sind und dass es Aufgabe der Mutter, des Vaters ist, diese Kinder zu schützen, zu fördern, sie aber dann auch ihre eigenen Wege gehen zu lassen. Nach und nach und seltsam aus dem Abseits gilt es, diese Gotteskinder lieb zu haben und mehr und mehr loszulassen.

Maria kannte Jesus wie sonst niemand, und doch musste sie sehr bald erkennen, dass es da eine Seite an ihrem Sohn gab, zu dem sie als Mutter und engste Bezugsperson keinen Zugang hatte. Ich denke an die Erzählung über den zwölfjährigen Jesus im Tempel. Der jugendliche Jesus war scheinbar im Trubel des Passahfestes verloren gegangen – alle Eltern, die schon einmal ein abhandengekommenes Kind verzweifelt gesucht haben, wissen, was Maria in dieser Situation durchgemacht hat. Als sie Jesus schließlich im Tempel umringt von einigen Schriftgelehrten finden und ihn mit einer Mischung aus Wut und Erleichterung zur Rede stellen, fragt er sie verwundert: „Wisst ihr nicht, dass ich in meines Vaters Haus sein muss …“

Nein, das wusste sie nicht, und sie verstand es auch nicht – ich glaube, sie hat ganz bis zum Schluss nicht verstanden, was da mit ihrem Sohn geschah – für sie gehörte Jesus einfach und zunächst mal zur leiblichen Familie. Umso schmerzhafter für sie, zu erkennen, dass dieser Aspekt im Leben Jesu zunehmend an Bedeutung verlor. Ich denke an die Erzählung, bei der Maria Einlass zu einer bereits überfüllten Veranstaltung mit Jesus begehrt. Sie lässt Jesus ausrichten: „Deine Mutter, deine Familie ist hier und will dich sehen.“ Und Jesus lässt zurück ausrichten: „Meine Familie, meine Schwestern und Brüder sind die, die mir nachfolgen.“

Das muss der leiblichen Mutter sehr, sehr wehgetan haben. Ihr eigener Sohn signalisiert ihr: Hier geht es um Beziehungen und Inhalte, zu denen du als leibliche Verwandte nicht automatisch Zugang hast – ja, man hat den Eindruck, dass die enge, leibliche Verwandtschaft diese neue und andere Beziehung zu Jesus geradezu verhindert. Das erinnert mich an das irische Sprichwort: „Freunde sind Gottes Entschuldigung für Verwandte.“

Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass Eltern und Kinder sich irgendwann voneinander entfremden (müssen) und dass es zukünftig Menschen geben wird, die an diesem von mir so geliebten Kind viel näher dran sind als ich. Das tut weh.

Von Maria lerne ich, trotz aller Entfremdung dabei zu bleiben, im Hintergrund mit zu hoffen, mit zu beten und grenzenlos weiterzulieben, wenn nötig bis zum bitteren Ende.

Josef

Das, was von diesem Menschen rüberkommt, wirkt seltsam spröde und wortkarg. „Typisch Mann“, sagen vielleicht die einen, „nicht wichtig“, sagen vielleicht die anderen.

„Typisch Mann.“ Immer wieder begegne ich dem Vorwurf, dass Männer in Konfliktsituationen selten bereit seien zu reden. „Männer reden nicht“, und in der Tat, uns ist kein einziges Zitat von Josef überliefert – nichts. Und dennoch ist er der, der im Hintergrund die Verantwortung trägt, der still leidet und verdauen muss, was ihm da passiert, was ihm da als Mann und Familienoberhaupt zugemutet wird. Sicherlich hat er noch viel weniger als Maria verstanden, was da vor sich ging, und trotzdem war er wohl ein tiefgläubiger Mensch, der wusste, wann Gott zu ihm sprach, und der dann aus einer Intuition heraus diesen Rat beherzigte und so gut er konnte umsetzte.

Ganz „untypisch Mann“ achtet er auf seine Träume, erkennt in ihnen mitunter die Stimme Gottes, das erfordert ein hohes Maß an Sensibilität. Von wegen „nicht wichtig“ – Josef ist neben Maria die wichtigste Bezugsperson im Leben Jesu.

Ich lerne von Josef, dass es überlebensnotwendig sein kann, auf meine Träume zu achten, und dass es sich lohnt, ein zweites oder drittes Mal hinzuschauen und zu hören, wenn etwas in meiner eigenen Ehe vor sich geht, das mir rätselhaft erscheint. Ich lerne, dass hinter der „spröden Schale“ des wortkargen Handwerkers ein großzügiger, sensibler und verantwortungsvoller Mensch stecken kann.

Das Kind

Natürlich ist Jesus nicht irgendein Kind – Gott macht sich auf den Weg, um uns gewissermaßen „von Mensch zu Mensch“ zu begegnen. Gott, der Schöpfer des Kosmos, bleibt nicht ein ferner und unnahbarer Gott, sondern kommt als Baby auf diese Welt, wie jeder andere Mensch auch. Dieser Gedanke allein ist schon völlig unfassbar. Welches Interesse sollte der Schöpfer des Kosmos an einer Beziehung zu uns kleinen, schwitzenden, egoistischen und selbstzerstörerischen Bewohnern eines kleinen Planeten eines Rand-Sonnensystems haben?

Ich denke, es ist die Liebe, die Gott diesen Weg führt, die Liebe zu diesem Geschöpf, das er einmal „zu seinem Ebenbild“ erschaffen hat. Nur wenn er selbst Mensch wird, kann er verstehen, warum sein Geschöpf so denkt, lebt und handelt, wie es der Mensch nun einmal tut. Nur wenn er am eigenen Leib die Gefährdungen, das Leid, die Freuden, die Versuchungen durchlebt hat, kann er uns verstehen, begleiten und erlösen.

Und all das geschieht und beginnt mit der Geburt. Man könnte sagen, Gott „gibt sich“ von Anfang an das volle Maß an Problemen, die man als Erdenneuling haben kann: Er kommt als kleines hilfloses Baby mitten in einer großen Volkszählung völlig improvisiert (in einem Stall) zur Welt. Als er die Geburt unter diesen medizinisch-hygienisch widrigen Umständen heil überstanden hat, muss er sich sofort auf die Flucht begeben, um nicht umgebracht zu werden. Ich lerne, nicht mehr neidvoll auf das Leben der Reichen und Schönen zu schielen, die scheinbar im goldenen Himmelbett geboren und in der samtroten Sänfte zu Grabe getragen werden. Ich lerne, meinen eigenen Lebensweg von Kindesbeinen an als ein Geschenk zu verstehen, das Gott für mich vorgesehen hat – weit über dem Wohlstandsniveau, das er sich selbst zugebilligt hat.

Die Hirten

Um Pfarrer oder Priester zu werden, um „hauptamtlich“ von Gott reden zu dürfen, muss man an einer Universität die drei alten Sprachen Latein, Griechisch und Hebräisch erlernen und ein langjähriges Studium absolvieren. Größer könnte der Kontrast zu den Menschen, die die Nachricht von der Ankunft Gottes als erste erhalten, kaum sein: die Hirten als erste menschliche Zeugen, als erste Anbeter des Gotteskindes sind die „Fortsetzung-auf-zwei-Beinen“ des Bildes vom Stall. Die Hirten hören die Botschaft, folgen der Botschaft und beten das Kind an. Wir Theologen lesen den biblischen Text, mitunter sogar im Urtext, zerlegen seine einzelnen Elemente nach den Regeln, die wir gelernt haben, übersehen dabei oftmals, dass zunächst einmal wir ganz persönlich gemeint sind, hören folglich auch keine Botschaft für uns selbst (wohl aber für andere), und mit der Anbetung stehen wir sowieso auf „Kriegsfuß“. Ich beziehe mich da ausdrücklich mit ein, denn ich merke, dass ich oftmals fast schon „blinde Flecken“ für die einfache und direkte Sprache Gottes in meinem Leben habe.

Von den Hirten möchte ich lernen, den Lichterglanz, die Lieder und die Botschaft von Gottes Ankunft im Unscheinbaren dieser Welt zunächst einmal auf mich wirken zu lassen. Ich möchte lernen, auf das, was Gott mir sagt, zu hören und es auch umzusetzen, und ich möchte staunend lernen, Gott anzubeten.

Der Engel

Vor vielen Jahren war ich mit meiner damaligen Freundin (und heutigen Frau) unterwegs in die Schweiz zu meinen Eltern. Ich fuhr damals so einen wunderschönen alten VW Variant, mit Motor hinten und Doppelvergaser. Etwa auf der Höhe von Stuttgart passierte es: ein Hinterreifen platzte. Glücklicherweise konnte ich das Auto gut und schnell auf dem Seitenstreifen zum Stehen bringen. Ich stieg aus, positionierte das Warndreieck und wollte dann den Wagenheber und das Ersatzrad aktivieren – jedoch: Der Wagenheber war eingerostet und unbrauchbar, und das Ersatzrad war platt. Ratlos schaute ich abwechselnd zu den nutzlosen Hilfsmitteln, dem geplatzten Reifen am Auto und meiner Freundin. Keine fünf Minuten später hielt auf der Gegenfahrbahn ein großer Abschleppwagen des ADAC, der Fahrer stieg mit einer Werkzeugtasche bewaffnet aus, holte von der großen Ladefläche einen Reifen mit Felge und kam zu uns herüber. Ohne große Worte zu machen, bockte er den Wagen hoch, wechselte das Rad und verschwand, ohne irgendetwas in Rechnung zu stellen, wieder auf die andere Straßenseite, noch ehe wir uns richtig bedanken konnten, und fuhr davon.

Es ist mir ja fast ein bisschen peinlich, aber meine erste bewusste „Engelbegegnung“ war die mit einem „gelben Engel“. Seitdem habe ich gelernt, darauf zu achten und zu lernen: Es gibt Engel, die uns genau im richtigen Moment begegnen, aber es gibt auch viele Momente, in denen wir sie klagend vermissen. Jeder Mensch kann für einen anderen zum Engel werden, wenn wir den Mut und die Sensibilität entwickeln, auch für andere da zu sein.

 

Ich lerne, dass unsere Welt in dem Maße froher und menschlicher wird, in dem wir unsere „Engelmöglichkeiten“ entdecken und anderen zugutekommen lassen – gäbe es mehr davon, gäbe es weit weniger Gleichgültigkeit und mehr Zivilcourage. Ich lerne, in den Engeln, die mir begegnen, die Schönheit der Fürsorge Gottes zu entdecken.

CLEMENS BITTLINGER


Ich bin anscheinend der einzige Bösewicht in dieser berühmten, rührenden Geschichte voller freundlicher, wunderbarer Menschen. Dabei habe ich einfach nur versucht, das zu bewahren, was ich mir hart erarbeitet hatte und was mir von Rechts wegen zustand.

Sicher, ich habe mal wieder einige Familien gegen mich aufgebracht, es sind ein paar Kinder umgekommen, Kollateralschaden nennt man das wohl heutzutage.

Manchmal werde ich deswegen als machtbesessener, kindermordender Tyrann beschrieben. Mag sein, aber verurteilen Sie mich nicht zu voreilig. Was wären Sie denn im Stande zu tun, wenn Sie das bewahren müssten, was Sie sich so hart erarbeitet haben? Um bei anderen beliebt zu sein, um Ihr kleines Königreich zu bewahren?

Ich war durch ein paar geschickte Schachzüge und Geldgeschäfte auf den Thron gekommen, gegen den Willen der jüdischen Gelehrten, weil ich „rein technisch“ gar kein gebürtiger Jude war, obwohl ich von Kindheit an alle jüdischen Riten eingehalten habe – und da gibt es so einige.

Es ist doch selbstverständlich, dass mir sehr daran gelegen war, es mir auf dem Thron gemütlich zu machen und meine Macht über meinen Tod hinaus zu etablieren. Welcher König will das nicht?

Und das war schwierig genug in dieser Zeit, in der man ständig die Balance halten musste, um einerseits die allmächtigen römischen Herrscher gnädig zu stimmen und es sich gleichzeitig mit den religiösen Fanatikern nicht zu verscherzen, die in meinem Volk so viel Beachtung genießen.

Es war ein Spagat! Für die Römer sorgte ich mit harter Hand für Ordnung und unterdrückte jeglichen Widerstand in meinem Volk. Ich engagierte mich für den Erhalt der Olympischen Spiele und ließ Samaria ausbauen zu Ehren von Caesar Augustus. Und natürlich sammelte ich Steuern für sie ein. Tempelsteuer, Besatzungssteuer, für alles hatten wir eine Steuer. 75 % ihres Einkommens quetschte ich aus dem Volk heraus. Viele verloren dadurch ihre Höfe oder wurden versklavt, aber um meinen Status bei den Römern nicht zu verspielen, hätte ich sogar noch mehr aus diesen armen Seelen herausgeholt, wenn es irgendwie gegangen wäre.

Nicht, dass ich nicht auch eine fürsorgliche Seite habe. Nach einer großen Dürre vor 25 Jahren gab es eine Hungersnot und Seuchen. Damals ließ ich in Ägypten Getreide kaufen und erließ den Bürgern ein Drittel ihrer Steuern. Das war doch nett. Eine Ausnahme zwar, aber nett.

Dass ich sonst einen eher weniger netten Eindruck machte, machte mich bei meinen eigenen Leuten natürlich nicht unbedingt beliebter. Deswegen, und weil mir die Römer einen schwelenden Aufstand als Schwäche ausgelegt hätten, sah ich mich gezwungen, dem Volk meine religiöse Seite zu zeigen. Ich ließ einen bombastischen Tempel bauen: zur Ehre Gottes natürlich. Natürlich. Das sollte diese religiösen Trottel doch wohl stolz auf mich machen, sodass sie zukünftig mit Ehrfurcht über mich reden würden. Über mich, den König, der einen Tempel gebaut hatte, größer und schöner als der gute alte Salomon damals. Und wehe, wenn nicht.

So ein Tempel baut sich natürlich nicht von alleine, und wieder einmal brauchten wir Ideen, wie wir noch mehr Steuern aus den Menschen herausholen konnten. Irgendwann kam uns die Idee einer Steuerzählung, für die jeder Jude in seine Heimatstadt ziehen musste, um sich dort eintragen zu lassen. Diese Aktion sollte uns das Geldeintreiben erleichtern.

Sie sehen, meine Furcht, das Amt, das mir zustand, zu verlieren, war durchaus begründet. Dass sich keiner meiner Söhne aus sieben Ehen als geeigneter Nachfolger herauskristallisierte, sodass ich mich ständig gezwungen sah, mein Testament zu ändern, half auch nicht gerade. Wie gesagt, es war ein Machtkampf, den ich mit allen Mitteln gewinnen musste.

Gerade in diesen Jahren der Volkszählung wurde ich dann an einen dritten Gegner erinnert, der mir angeblich den Thron streitig machen wollte. Eines Nachmittags bekamen wir im Palast Besuch von ein paar Sterndeutern, die auf ihren Kamelen von weit her gereist waren, weil sie angeblich einen Stern gesehen hatten, den sie dahingehend deuteten, dass in unserer Gegend ein großer König geboren worden war, dem sie Geschenke bringen wollten. Als ob die Dinge nicht schon kompliziert genug waren!

„Was wollt ihr ihm denn schenken?“, wollte ich wissen.

„Gold, als Zeichen seiner Herrschaft!“, sagte der erste.

„Weihrauch, weil er nicht nur König, sondern auch Priester dieses Volkes sein soll!“, sprach der nächste dieser äußerst interessanten Männer.

„Und das letzte Geschenk verstehen wir selber nicht so ganz“, murmelte ein Dritter fast zu sich selber. „Myrrhe, das Balsam, das ihr zum Bestatten der Toten benutzt. Irgendwie muss das Sterben wichtig sein im Leben dieses wundersamen Mannes!“

„Wenn an eurer Geschichte etwas dran ist, dann wird der wundersame Mann die Myrrhe früher brauchen, als ihm lieb ist“, dachte ich, aber gesagt habe ich das natürlich nicht. Im Gegenteil, ich versprach meine Hilfe und ließ mich von meinen Schriftgelehrten, richtig, diesen religiösen Fanatikern, beraten, ob es denn in unseren Schriften auch etwas zu lesen gab über einen möglichen König, einen Priester, dessen Einbalsamierung wichtig war.

„Tatsächlich!“, berichteten die Gottesmänner mit strahlenden Augen. „In der Geburtsstadt Davids, in Bethlehem, soll der Sohn Gottes, der Messias, geboren werden. So haben es die Propheten vorhergesagt. Könnte dies die Zeit sein, in der Gott sein Versprechen wahr macht und unserem Volk einen Retter schickt?“

„Warum sind eigentlich alle um mich herum so froh über einen neuen König?“ Ich war fast wahnsinnig vor Neid, vor Wut und ja, ich gebe es zu, vor Angst. Was würde mit mir geschehen, wenn mir dieser „wunderbare König“ gegenüberstehen, mich von meinem Thron stürzen würde, wenn ich abdanken müsste? Wenn einer meine Herrlichkeit überstrahlte?

Nein, das durfte einfach nicht geschehen!

Ich schaffte es irgendwie, meine panische Angst in einen Plan zu kanalisieren. „Folgt eurem Stern!“, sagte ich zu den Astrologen. „In Bethlehem, der Stadt unseres Königs David, werdet ihr ihn finden, wenn ihr recht behalten sollt. Geht dorthin, huldigt ihm und dann kommt zurück zu meinem Palast und gebt mir Bericht. Dann werde ich selber dorthin gehen, um diesen wunderbaren Messias anzubeten.“ Und im Stillen ergänzte ich: „Und ich werde mit meinen Soldaten kommen, und mein Schwert wird geschärft sein, und diese Gefahr für meinen Thron wird in seiner eigenen Blutlache ein Ende finden!“

Meinen Spionen zufolge haben diese komischen Orientalen tatsächlich jemanden gefunden, dem sie ihre Geschenke gegeben haben. Ein kleiner Junge von erbärmlich armen Eltern. Soll nicht gerade wie eine königliche Familie ausgesehen haben. Ihr Versprechen haben sie auch nicht eingehalten, diese kamelreitenden Betrüger; direkt zurück in ihren Orient sind sie, ohne mir Bescheid zu geben, wo genau sich die kleine Familie aufhielt.

Ich werde sie einfach nicht los, diese Albträume, jetzt kurz vor dem Ende noch alles zu verlieren. Also musste ich handeln. Um ganz sicher zu sein, befahl ich meinen Männern, in der Nacht loszureiten und alle Jungen unter drei Jahren zu töten. Gerne haben die Soldaten den Auftrag nicht ausgeführt. Ich habe ihre Verachtung gespürt. Was sollte ich denn machen? Darauf warten, dass mir alles genommen würde, was ich bin, was ich mir verdient hatte?

Meine Hoffnung war gewesen, in dieser Nacht endlich wieder ruhig schlafen zu können. Aber irgendwie habe ich seitdem nie wieder geschlafen. Sicher, ich war unheilbar krank und hatte starke Schmerzen, aber das hatte ich bisher immer kontrollieren können.

Dies war anders! Ich bin immer noch König, ich arbeite immer noch sehr hart daran, meine Macht auszubauen. Aber die Albträume bleiben.

Es ist nicht einmal die Angst, meinen Widersacher nicht erwischt zu haben. Einer meiner Spione ist sich sicher, wir haben damals die falschen Kinder getötet, und es hält sich das Gerücht, der „Retter“ wäre mit seinen Eltern nach Ägypten geflohen und könnte irgendwann wiederkommen.

Soll er doch kommen! Ich bin klug und habe meine Macht immer verteidigen können. Ich bin einfach nur so müde. So unglaublich erschöpft!

Da ist noch etwas, dass mich nachts wach hält.

Meine Soldaten haben damals in der Nacht des Massakers, für die man mich nun wohl für immer in Erinnerung behalten wird, eine Tontafel gefunden. Auf diese mysteriöse Tontafel wurde ein Lied, ein Psalm eingeritzt. Mein Spion ist sich sicher, diese Worte stammen von der jungen Mutter dieses wundersamen Kindes.

Ich habe die Melodie dieses Liedes nie gehört, aber ich höre diese Worte jede Nacht, als Hintergrund für meinen Albtraum.

„Von ganzem Herzen preise ich den Herrn, und mein Geist jubelt vor Freude über Gott, meinen Retter. Denn er hat mich, seine Dienerin, gnädig angesehen, eine geringe und unbedeutende Frau. Ja, man wird mich glücklich preisen – jetzt und in allen kommenden Generationen. Er, der Mächtige, hat Großes an mir getan. Sein Name ist heilig, und von Generation zu Generation gilt sein Erbarmen denen, die sich ihm unterstellen. Mit starkem Arm hat er seine Macht bewiesen; er hat die in alle Winde zerstreut, deren Gesinnung stolz und hochmütig ist. Er hat die Mächtigen vom Thron gestürzt und die Geringen emporgehoben. Den Hungrigen hat er ‚die Hände‘ mit Gutem gefüllt, und die Reichen hat er mit leeren Händen fortgeschickt. Er hat sich seines Dieners, ‚des Volkes‘ Israel, angenommen, weil er sich an das erinnerte, was er unseren Vorfahren zugesagt hatte: dass er nie aufhören werde, Abraham und seinen Nachkommen Erbarmen zu erweisen.“*

Na, das ist ja ganz was Feines. Ein Gesandter Gottes, der sich mit den Armen, den Unterdrückten dieser Welt solidarisiert, der die Mächtigen vom Thron stoßen wird. Wenn da etwas dran ist, dann verändert diese wundersame Geburt tatsächlich so einiges, und jeder muss für sich selber entscheiden, ob das für ihn wirklich so eine gute Nachricht ist.

Während ich diese Zeilen verfasse, liege ich im Sterben. Mein Traum von einem vereinigten Reich wird trotz all meiner Anstrengungen nicht in Erfüllung gehen. Drei meiner Söhne, alle von unterschiedlichen Müttern, werden sich das Land teilen müssen.

Ich werde auf Nummer sicher gehen und habe bereits eine Gruppe von beliebten, angesehenen Männern auf einer Rennbahn in Jericho einsperren lassen. Meine Soldaten haben die Anweisung, sie am Tag meines Sterbens umbringen zu lassen. Das wird dafür sorgen, dass man in diesem Land weinen wird, wenn ich sterbe.

Die Frage des Wehklagens ist somit geklärt. Die Frage, die bleibt, ist, was passieren wird, wenn dieser wundersame kleine König der Liebe tatsächlich an die Macht kommt und dann doch sterben wird. Wie wird man sich an ihn erinnern, und was wird von seinem Leben bleiben?

*1 Marias Psalm aus Lukas 2, 46 - 55 NGÜ

FRANK BONKOWSKI

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