Mehrsprachigkeit in der Schule

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Mehrsprachige Kompetenz evaluieren – Der Fall der Interkomprehension

Christian Ollivier / Margareta Strasser

1 Einleitung

Dieses Kapitel befasst sich mit der Evaluation der mehrsprachigen Kompetenz, speziell mit dem Fall der Interkomprehension. Nach einem theoretischen Teil zur Evaluation der kommunikativen und der mehrsprachigen Kompetenzen werden Ansätze zur Evaluation dieser Kompetenz mit Beispielen aus verschiedenen Projekten dargestellt.

2 Evaluation der kommunikativen Kompetenz

Bevor wir uns der Evaluation der mehrsprachigen Kompetenz zuwenden, erscheint es uns wichtig, die Frage der Evaluation der kommunikativen Kompetenz allgemein zu behandeln. So soll der Hintergrund erläutert werden, vor dem im Projekt EVAL-IC die Entscheidungen für die konkreten Evaluationsmaßnahmen getroffen wurden. Wir werden also im Folgenden das Thema der Kompetenzevaluation im Zusammenhang mit dem kommunikativen Ansatz und dem task based language assessment präsentieren, denn bei der Evaluation der mehrsprachigen Kompetenz geht es um die Evaluation einer kommunikativen Kompetenz, die auf dem mehrsprachigen Repertoire einer Person beruht.

Die Entwicklung des kommunikativen Ansatzes in der Fremdsprachendidaktik führte Forscher/innen dazu, sich der Frage der Evaluation der neu definierten kommunikativen Kompetenz zu widmen. So publizierte Bachman, der 1982 mit Palmer ein Modell der kommunikativen Kompetenz ausgearbeitet hatte (cf. Bachman & Palmer 1982), einige Jahre später ein Buch über Fundamental considerations in language testing (cf. Bachman 1990).

Da die in den 1980er Jahren entwickelten Modelle der kommunikativen Kompetenz diese als komplexe Kompetenz darstellen, die die Aktivierung verschiedener zusammenhängender Komponenten bzw. Unterkompetenzen bedingt (cf. Canale 1983; Canale & Swain 1979; Coste 1978; Moirand 1982), wendet sich die Forschung von Evaluationsverfahren ab, die nur Wissen und Fertigkeiten unabhängig voneinander testen, wie das in den 1960er Jahren gefordert wurde (Carroll 1961; Lado 1961). Wenn die kommunikative Kompetenz eine komplexe Kompetenz ist, so kann sie nur durch komplexe Aufgaben evaluiert werden, die die Kompetenz nicht „künstlich und willkürlich“ („artificiellement et arbitrairement“) in Sprachaktivitäten zergliedern (cf. Bourguignon 2001). Die führende Forschung spricht sich deshalb seit den 1980er Jahren (Bachman 1990, 2002; Huver & Springer 2011; Morrow 1981, 2012; Norris 2016) für holistische Evaluationsverfahren aus, die der komplexen „mehrdimensionalen“ Natur (Huver & Springer 2011) der Kommunikations- und Handlungskompetenz gerecht werden.

Bereits 1991 plädierte Bachman (1991, 678) für Verfahren, die aus mehreren zusammenhängenden, logisch aufeinander folgenden Aufgaben („multiple, sequential subtasks“) bestehen. Auf der Basis einer Analyse der Fachliteratur erarbeitete er eine Liste von vier Anforderungen an kommunikative Sprachtests:

 information gap: Ein Informationsmangel soll geschaffen werden, so dass die getesteten Personen Informationen aus verschiedenen Quellen bearbeiten müssen;

 task dependancy: Aufgaben bauen aufeinander auf und integrieren die Antworten der getesteten Personen in die vorhergehenden Aufgaben;

 kommunikative Tests integrieren Aufgaben und Inhalte in „a given domain of discourse“;

 kommunikative Tests versuchen, die verschiedenen Dimensionen der kommunikativen Kompetenz zu messen, inklusive „cohesion, functions and sociolinguistic appropriateness“.

Es sollten Tests konzipiert werden, mit denen die Fähigkeit der Lernenden evaluiert werden kann, die Sprache im Kontext zu gebrauchen und lebensnahe Aufgaben zu bewältigen.

In der englischsprachigen Forschung etablierte sich bald der Begriff des Task based language assessment (TBLA), das von Norris (2016, 232) wie folgt definiert wird: „the elicitation and evaluation of language use (across all modalities) for expressing and interpreting meaning, within a well-defined communicative context (and audience), for a clear purpose, toward a valued goal or outcome“.

In der französischsprachigen Literatur verbreitete sich der Begriff des scénario, wobei dieser anfangs unterschiedlich gebraucht wurde. So sprach sich Lussier (1992) zum Beispiel für Evaluationsszenarien aus, die aus einer thematisch zusammenhängenden Reihe von Aufgaben bestehen und keine kohärente Gesamtaufgabe ergeben. Bourguignon, Delahaye & Vicher (2005, 469) betrachten dagegen ein Szenario als ein „enchaînement logique dʼune série de tâches communicatives […] qui seront liées entre elles et qui permettront dʼaboutir à lʼaccomplissement dʼune tâche complexe […] en fonction dʼun objectif donné et dʼinterlocuteurs définis“. Huver & Springer (2011) unterstreichen außerdem die Notwendigkeit, Szenarien zu entwickeln, die die verschiedenen Ebenen der Bloomschen Taxonomie widerspiegeln und somit zum Beispiel nicht nur reines Verstehen testen, sondern auch die Fähigkeit zur Synthese.

Über den Zweck des TBLA streiten die Spezialist/inn/en. Für die einen geht es darum, aus dem Erfüllen einer Aufgabe auf Fertigkeiten zu schließen, die für die Sprachnutzung im wirklichen Leben wichtig sind, für andere soll das erfolgreiche Abschließen des Tests ermöglichen, auf die Fähigkeit zu schließen, in der Zukunft ähnliche Aufgaben im Leben durchzuführen (cf. Bachman 2007). Alle sind sich aber einig, dass Evaluations-Tasks – wie alle Tasks überhaupt – so authentisch wie möglich sein sollen.

Dabei soll eine doppelte Authentizität angestrebt werden, wie sie von Bachman (1991) und Ellis (2003) definiert wurde: situational authenticity und interactional authenticity, wobei es, wie Ellis unterstreicht, fraglich bleibt, ob volle Authentizität in Evaluationssituationen überhaupt erreichbar ist. Interaktionale Authentizität kann am Grade gemessen werden, mit dem getestete Personen Kommunikationsstrategien verwenden, die im richtigen Leben in einer ähnlichen Situation angewendet werden. Situationale Authentizität wird erreicht, wenn die Charakteristika der Tasks sich mit denen der entsprechenden Aufgaben im Leben decken. Um es einfach auszudrücken: Eine Aufgabe wäre demnach authentisch, wenn sie eine Aufgabe aus dem Leben widerspiegelt und die Durchführung der Aufgabe in der Testsituation die gleiche Sprachnutzung wie im „richtigen“ Leben ermöglicht bzw. hervorbringt. Bourguignon & Narcy-Combes (2003, 5) meinen, eine Testaufgabe sollte außerdem Vorhersehbares und Unvorhersehbares beinhalten, denn im Leben, vor allem in beruflichen Situationen, gilt: „la prévisibilité est grande, mais c’est la réaction à l’imprévisible (incident, accident) qui est cruciale“.

3 Evaluation der mehrsprachigen Kompetenz

Im folgenden Teil soll ein Überblick über vorliegende Befunde zu mehrsprachigen Kompetenzen und Evaluationsverfahren gegeben werden: zum einen Befunde im Hinblick auf gängige Testverfahren, zum anderen Ansätze für die Evaluation einer mehrsprachigen Kompetenz und im Speziellen der Interkomprehensionskompetenz.

a. Das Konzept der mehrsprachigen Kompetenz in Evaluationsverfahren

Die traditionellen Testverfahren zur Evaluation einsprachiger Kompetenzen stehen seit längerem in der Kritik, was das zu Grunde liegende Sprachkompetenzmodell betrifft. In einzelsprachlichen Tests werde Sprache nach wie vor als ein homogenes, monolinguales Konstrukt betrachtet und das Ideal eines monolingualen Sprechers/einer monolingualen Sprecherin mit muttersprachlichen Kompetenzen verfolgt. Dieses Konzept sei ein idealisiertes, das beispielsweise auch das Konzept der Variation in der Erstsprache weitgehend außer Acht lasse (vgl. dazu z. B. Cook 2007).

Zu kurz würden gängige Testverfahren jedenfalls greifen, wenn es um die Abbildung der Sprachkompetenz mehrsprachiger Sprecher/innen gehe: Studien zeigen, dass mehrsprachige Sprecher/innen sich quantitativ und qualitativ von monolingualen Sprecher/innen unterscheiden. So konnten Kroll & Dussias (2012) zeigen, dass in bilingualen Sprecher/innen beide Sprachsysteme aktiv sind, auch wenn nur eine Sprache aktiv verwendet wird – ein Phänomen, das Cook (1991) als multicompetence („knowledge of two languages in one mind“) bezeichnet. Aktuelle Ansätze der Mehrsprachigkeitsdidaktik wie der Translanguaging-Ansatz oder die Interkomprehensionsdidaktik beruhen auf einem komplexen und dynamischen Kompetenzbegriff, der das gesamte sprachliche und nichtsprachliche Repertoire der Sprecher/innen umfasst und in dem die Sprachsysteme nicht voneinander getrennt sind, sondern zusammenwirken. In der Interaktion schöpfen Sprecher/innen das gesamte ihnen zur Verfügung stehende (sprachliche) Repertoire aus.

 

Während die Unterschiede in der Sprachkompetenz in der L2 von mehrsprachigen Sprecher/inne/n gegenüber einsprachigen Sprecher/inne/n bereits recht gut untersucht sind (cf. Cenoz, Hufeisen & Jessner 2001; Gass & Selinker 1994), rückten erst in den letzten Jahren die Einflüsse der L2 bzw. der L3 auf die Erstsprachen mehrsprachiger Sprecher/innen ins Blickfeld. Auch hier zeigen sich Unterschiede auf den verschiedenen Ebenen des Sprachsystems: bei der Geschwindigkeit der Worterkennung, der Phonologie, der Semantik und der Syntax (für einen Überblick vgl. Brown 2013). Unterschiede sind auch im Interaktionsverhalten mehrsprachiger Sprecher/innen festzustellen: Bilinguale bzw. mehrsprachige Sprecher/innen passen das Gesprächsverhalten, insbesondere die eingesetzten Interaktionsstrategien, an die jeweiligen Gesprächspartner/innen an (vgl. z. B. Gumperz 1982; Giles 1984; Grosjean 2008, 2010; Valdés 2005). Hier ignoriert die Testpraxis das Konzept einer mehrsprachigen Kompetenz, wie sie von Cook (1991) oder von Coste et al. (1997; 2009) beschrieben wurde: Diese in mehrsprachigen Interaktionen unter Umständen erfolgreicheren Strategien mehrsprachiger Sprecher/innen werden in monolingualen Testverfahren als fehlerhaft bewertet. Testverfahren haben aber traditionellerweise eine enge Beziehung zum Kompetenzbegriff und sollten auch auf aktuellen Sprachtheorien beruhen. Verfahren, die diese Sprachtheorien und Kompetenzmodelle nicht widerspiegeln, seien daher nach Shohamy (2011, 420) auch hinsichtlich ihrer Validität problematisch. Jedenfalls bilden sie die Realität einer plurilingualen Gesellschaft nicht entsprechend ab. Insbesondere was die Interaktion betrifft, müssen gängige Testverfahren überdacht bzw. eigene Testformate konstruiert werden, die dem dynamischen Charakter der mehrsprachigen Interaktion gerecht werden (cf. Canagarajah 2010, 238sq.; Shohamy & Menken 2015, 264sq.).

Wie kann nun aber eine mehrsprachige Kompetenz und im Speziellen die Interkomprehensionskompetenz angemessen evaluiert werden? Im Folgenden sollen einige Ansätze bzw. Empfehlungen dargestellt werden.

b. Ansätze zur Evaluation der mehrsprachigen Kompetenz

Unter den Ansätzen für die Evaluation der mehrsprachigen Kompetenz können additive und integrative Verfahren unterschieden werden. Additive Verfahren, wie sie bereits von Coste et al. (2009, 64) vorgeschlagen wurden, setzen auf die Evaluation der Teilkompetenzen. Auf diese Weise könnten sowohl die verschiedenen Dimensionen der plurilingualen und plurikulturellen Kompetenz als auch die partiellen Kompetenzen (z. B. die rezeptive Kompetenz für die rezeptive Interkomprehension) berücksichtigt werden. Die praktische Umsetzung dieses Ansatzes beschreibt Reissner (2015) für EuroComRom (vgl. dazu auch das Kapitel „Beispiele“).

In ihrer Studie „Assessment in plurilingual and intercultural education. Guide for the development and implementation of curricula for plurilingual and intercultural education“ für den Europarat beschreiben Lenz und Berthele (2010) derartige mehrdimensionale Verfahren der Evaluation verschiedener didaktischer Konzepte zur Entwicklung einer mehrsprachigen Kompetenz, darunter auch für die schriftliche rezeptive Interkomprehension sowie für den „polyglotten Dialog“.

Im Hinblick auf die rezeptive (schriftliche) Interkomprehension schlagen Lenz und Berthele vor, den Fokus auf die Evaluation metakognitiver und metalinguistischer Kompetenzen zu legen. Konkret werden die Strategie des Inferierens sowie der Aufbau einer Hypothesengrammatik (Annahmen über die grammatischen Regularitäten der Zielsprache) genannt (cf. Meißner 2006, 64). Evaluiert werden können die Fähigkeit, Regularitäten in der Zielsprache/den Zielsprachen zu entdecken und diese in Beziehung zu(r) bekannten Sprache(n) zu setzen, die Fähigkeit, Internationalismen bzw. Kognaten (genetisch verwandte Wörter) zu identifizieren, sowie die Fähigkeit, relevante Informationen in Texten von weniger relevanten zu unterscheiden. Als geeignetes Setting werden offene Tests zum Leseverstehen in nahen Sprachen genannt: Dabei kann das Leseverstehen mit Hilfe allgemeiner Methoden evaluiert werden. Für die Erhebung spezifischer Interkomprehensionsstrategien werden analytische Verfahren vorgeschlagen, in denen metasprachliche Strategien getestet werden können (Wörter mit demselben Stamm sortieren, Funktion der Wörter erklären o.Ä.).

Auch für die mündliche interaktionale Interkomprehension finden sich bei Lenz & Berthele sehr konkrete Vorschläge, die unter dem Begriff polyglotter Dialog subsumiert werden. Die von Lenz & Berthele angeführte Definition für diese Form der Interaktion entspricht der von uns (cf. Ollivier & Strasser 2013, 44) vorgeschlagenen Definition der mündlichen interaktionalen Interkomprehension, weswegen die Vorschläge an dieser Stelle erläutert werden. Evaluationsverfahren sollten sich auf die spezifischen Bedingungen der mehrsprachigen Interaktion konzentrieren, d.h. auf das Hörverstehen in einer oder mehreren Sprachen in der mehrsprachigen Interaktion sowie auf die Interaktion an sich. Evaluiert werden kann daher, analog zur rezeptiven schriftlichen Interkomprehension, das Hörverstehen mit verschiedenen Hörintentionen (z. B. Globalverstehen und selektives Verstehen) und verschiedenen Registern (formell, informell). Spezifisch für die mehrsprachige Interaktion sind Anpassungen an die sprachlichen Fähigkeiten des Gesprächspartners/der Gesprächspartnerin. Es können daher Inter- bzw. Translanguaging-Strategien (Strategien des bewussten Wechsels in andere Sprachen, je nach Situation, Code-Switching, der Einsatz von Chunks aus anderen Sprachen, kreative translinguale Strategien etc.) evaluiert werden. Letzteres sei, so Lenz und Berthele, unabdingbar für die Evaluation des polyglotten Dialogs, stelle gleichzeitig aber die größere Herausforderung dar: Während der rezeptive Part der Interaktion mit traditionellen Testverfahren evaluiert werden könne, gebe es für die spezifischen Interaktionsstrategien (noch) keine validen Testverfahren. Vorstellbar wären retrospektive Verfahren, in denen fremdes oder eigenes Interaktionsverhalten kommentiert wird; aber auch ein Portfolio-Konzept.

Auch Gorter und Cenoz (2017, 241ff.) weisen auf die spezifischen Bedingungen der mehrsprachigen Interaktion hin, die es in einem Evaluationsverfahren zu berücksichtigen gelte. Sie beschreiben drei mögliche Herangehensweisen, um die Kompetenzen mehrsprachiger Sprecher/innen angemessen zu evaluieren.1 Der als „Translanguaging approach in assessment“ beschriebene Ansatz ist ein integrativer Ansatz, der am konsequentesten dabei vorgeht, die mehrsprachige Kompetenz in ihrem dynamischen und komplexen Charakter zu berücksichtigen. Das beinhaltet Interaktionsstrategien, die spezifisch für die mehrsprachige Interaktion sind. Die Sprecher/innen können aus dem gesamten linguistischen Repertoire schöpfen, das ihnen zur Verfügung steht. Canagarajah (2010) schlägt für diesen Zweck ein mehrsprachiges interaktionales Setting mit mehrsprachigen Aufgaben (Tasks) vor, das auch die Beurteilung durch mehrsprachige Prüfer/innen umfasst:

If we can think of a „general“ proficiency test at all, we should move toward a multitask, multirater, and multi-candidate test. The multiple tasks would help assess the candidate’s skills in different communicative activities. The multiple raters would help assess the candidate according to a range of holistic and discrete-item criteria. The multiple candidates would create a communicative interaction where language use has to be negotiated. Such a format would also involve a spoken component with the possibility of face-to-face interactions between examiners and candidates (Canagarajah 2010, 238).

Im Folgenden werden konkrete integrative und additive Beispiele präsentiert. Wir beschreiben auch introspektive Evaluationsformen.

c. Beispiele
i. Introspektive Verfahren: Portfolios

De Carlo & Carrasco (2016, 197) unterstreichen, dass die Stärke der Interkomprehension in der Entwicklung kognitiver Fähigkeiten (Wissenstransfer, Sprachenvergleich, interkulturelle Kompetenzen) und in der Förderung neuer Haltungen gegenüber Sprachenlernen, Sprachen und deren Nutzer/innen liegt. Sie sprechen sich daher neben Tests, Lerntagebüchern, Selbstevaluation und Peer-assessment für Portfolios als Bestandteil von Evaluationsverfahren aus.

Verschiedene Portfolios sind in den letzten Jahren entwickelt worden, meistens im Rahmen von Interkomprehensionskursen, die an Universitäten bzw. anderen höheren Bildungseinrichtungen – zum Teil im Rahmen von Projekten – abgehalten wurden. Wir stellen hier drei dieser Portfolios vor.

Hidalgo Downing (2009) berichtet über ein Portfolio, das mit Studierenden der Universidad Complutense de Madrid verwendet wurde. Dieses Portfolio hatte sowohl eine pädagogische Dimension – es sollte den Studierenden helfen, über ihr Lernen, ihre Fortschritte und Motivation zu reflektieren – als auch eine dokumentierende und eine institutionnelle Funktion, weil es auch den Lehrenden die Gelegenheit bieten sollte, die Arbeiten ihrer Studierenden zu präsentieren. Es bestand wie das Europäische Sprachenportfolio aus drei Teilen: Profil, Sprachbiographie und Dossier. Im Profil konnten die Studierenden ihre Daten festhalten, ihr Kompetenzniveau in den verschiedenen Sprachen, die sich schon kannten, selbst evaluieren und ihre institutionelle Sprachlerngeschichte dokumentieren. Die Biographie gab den Studierenden die Möglichkeit, frei über ihre Erfahrungen mit Sprachen und Kulturen zu berichten. Im (elektronischen) Dossier konnten die Arbeiten und Materialien aus dem Kurs sowie zusätzliche Dokumente, die die Studierenden beifügen wollten, gesammelt werden.

Carrasco & Pishva (2009) stellen ein kursbegleitendes Portfolio vor, das an der Universität Grenoble ausgearbeitet wurde. Dieses Portfolio besteht aus vier Teilen, die im Laufe des Kurses eingesetzt wurden: Die Teile mes attentes (meine Erwartungen) und mes objectifs (meine Lernziele) ermöglichen in den ersten Kursstunden eine Reflexion über die Erwartungen gegenüber dem Kurs und fördern mit Hilfe von auf der Basis der REPA-Deskriptoren1 entwickelten Kompetenz- und Strategiedeskriptoren das Erarbeiten von Zielsetzungen. Mon travail (meine Arbeit) begleitet die Aktivitäten, die im Kurs durchgenommen wurden. Der letzte Teil (Mon bilan) gibt den Studierenden die Möglichkeit, Lernfortschritte und Erreichtes zu dokumentieren und über zukünftiges Verwerten der neu erworbenen Kompetenzen nachzudenken.

Im Rahmen des Intermar-Projekts, das sich an maritime Akademien richtete, wurde ebenfalls ein Portfolio entwickelt, das aus drei Teilen (plus Anhang) besteht: Sprachenbiographie, Dossier und Tagebuch. Die Sprachenbiographie – eine Adaptation des Europäischen Sprachenportfolios – soll Lernenden helfen, „to set learning targets, to record and reflect on language learning and on intercultural experiences, as well as regularly assess progress“. Das Tagebuch sollte nach jedem Kurs verwendet werden, damit die Lernenden „all kinds of comments […] about their Intermar experience, their reactions on this new approach to languages, their daily discoveries“ dokumentieren können. Das Dossier ermöglicht den Lernenden, „the most significant examples of the activities s/he performed during the course“2 und Dokumente zur Selbstevaluation, die im Anhang mitgeliefert sind, zu sammeln. Diese Selbstevaluationsbögen sollen die Reflexion der Studierenden über folgende Aspekte fördern: „Sprachenfamilien“, Mehrsprachigkeit in ihrer Umwelt und ihre Reaktionen gegenüber Mehrsprachigkeit, Kommunikation und Kultur, Rezeptions- und Interaktionsstrategien, die sie verwenden, wenn sie mit einem Text in einer „fremden“ Sprache oder mit mehrsprachiger Interaktion konfrontiert werden.

 

All diese Portfolios sind stark an Kurse gebunden. Bis jetzt wurde – unseres Wissens – noch kein allgemeines Interkomprehensionsportfolio entwickelt. Ein solches Portfolio sollte auf Basis der im Miriadi-Projekt entwickelten Kompetenzdeskriptoren aus dem Projekt E-portfolio de compétences plurilingues-Intercompréhension hervorgehen. Das Projekt wurde aber laut Projektbeschreibung in Researchgate3 im Januar 2018 frühzeitig abgebrochen.

Mit De Carlo & Carrasco (2016, 190) halten wir fest, dass in den Portfolios verschiedene Selbstevaluationsmodi angewendet werden: Selbstevaluation der rezeptiven Kompetenz in verschiedenen Sprachen, narrative Teile, gezielte Selbstevaluationsaktivitäten, reflexive (schriftliche) Aufgaben, Deskriptorenliste für die mehrsprachige und interkulturelle Kompetenz, … Die Ziele decken sich aber großteils: Es geht darum, die Reflexion über die Erfahrungen mit den Sprachen und dem Sprachenlernen zu fördern, das Lernen zu planen, Fortschritte sichtbar zu machen und Kompetenzen zu dokumentieren.